Max Ring
Lose Vögel
Max Ring

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Kaiser Joseph und seine Mutter.

Im Februar des Jahres 1768 wurde die Stadt Wien und ihre Umgebung von einer furchtbaren Ueberschwemmung heimgesucht; das Eis der Donau war bei einem anhaltenden Süd-Westwind plötzlich geschmolzen, riesige Schollen und Blöcke rissen sich unter donnerndem Krachen vom Grunde los und trieben auf dem Fluß umher, gleich einem stürmenden Heere gegen die Brücke anprallend, daß diese trotz ihres festen Unterbaues erzitterte. Wo sich dem gewaltigen Eisgange ein Hinderniß entgegenstellte, gerieth derselbe ins Stocken und thürmte sich empor, indem er die Flut vor sich hertrieb und zur Seite drängte. Die Wellen, einen Ausweg suchend, stürzten sich wie ein beutegieriger Schwarm auf das nahgelegene Ufer. Von Stunde zu Stunde wuchs die Gefahr, mit reißender Schnelligkeit stieg 248 das Wasser zu einer bedenklichen Höhe und bedrohte die am meisten ausgesetzte Leopoldstadt. Trotzdem überließen sich die Bewohner ihrer gewohnten sorglosen Sicherheit, sie sahen ohne besondere Befürchtung auf dies Schauspiel, das sich Jahr aus Jahr ein bald mehr bald weniger gefährlich zu wiederholen pflegte. Schon zeigte sich in einzelnen Straßen die heranschießende Flut, hier und da füllten sich bereits die Keller und Untergeschosse mit Wasser, aber derartige Vorgänge kehrten in jedem Frühling wieder und waren zu natürlich, um größere Befürchtungen zu erwecken. Höchstens brachte man das Hausgeräth in die höheren Stockwerke und erwartete ruhig das Verlaufen der angestaueten Gewässer und den Fortgang des Eises. Hier und da war zwar der Verkehr gehemmt, aber doch nicht in dem Grade, daß die Communikation mit den übrigen Stadttheilen ernstlich bedroht war. Die Kinder waren sogar erfreut über das neue Vergnügen, das sich ihnen darbot, indem sie trotz des Verbotes lustig herumwateten und von einer Scholle, welche die Flut herangetrieben, munter auf die andere sprangen.

Einige Tage hatte bereits dieser Zustand gedauert, ohne eine wesentliche Veränderung herbeizuführen, als in 249 einer Nacht die bisher noch immer sorglosen Bewohner durch ein lautes, unheimliches Rauschen aus ihrem Schlummer geweckt wurden. Beim bleichen Schimmer der winterlichen Sonne sahen sie mit Entsetzen, daß der tückische Strom jede Schranke durchbrochen und wie ein furchtbares Gespenst jetzt an ihre Thüren und Fenster klopfte, um sich mit Gewalt den Eingang zu erzwingen. Es war ein entsetzliches Erwachen für die Armen; durch die Straßen tobte das Wasser mit wildem Ungestüm; so weit das Auge blickte sah es nur die schmuzig gelblichen Fluten der Donau, auf denen zertrümmerte Eisschollen, todte Viehkörper, Wassertonnen, Stroh- und Heuvorräthe, den umliegenden Dörfern geraubt, traurig umherschwammen. Entsetzt eilten die bleichen Bewohner von dem ersten Stockwerk in das zweite, von da in das dritte und endlich in die Bodenkammern, um sich vor dem nachsetzenden Feinde zu retten. Wie zur Zeit einer Belagerung sahen sie sich abgesperrt von jeder Hülfe, nach der sie vergebens ihre Hände ausstreckten. Ihr Angstgeschrei verhallte unter dem Brausen der Wellen, dem Heulen des Sturmes, der die widerspenstige Flut vor sich hertrieb.

Jede Minute steigerte die Gefahr und brachte die Unglücklichen der Verzweiflung näher. Auf die erste dumpfe 250 Bestürzung folgte ein Zustand höchster Aufregung; man wollte sich um jeden Preis dem drohenden Verderben entziehn und die höher gelegenen Stadttheile erreichen. Die Muthigsten wagten den Versuch und stürzten noch, weil es Zeit war, aus ihren Häusern, um ein sicheres Asyl zu gewinnen. Zitternd vor Kälte trugen die Frauen ihre weinenden Kinder auf den Armen durch die rauschende Flut, während die Männer, mit der kostbarsten Habe beladen, ihnen nachfolgten. Andere hielten sich zu lange bei der Bergung ihrer Güter auf und versäumten so den günstigen Augenblick, wo die Flucht allein noch möglich war. Noch trauriger erging es den Schwachen und Kranken, denen zur Rettung die Kraft gebrach; widerstandslos sahen sie sich dem entsetzlichsten Tode preisgegeben.

Ein solches Loos erwartete die arme Witwe eines Subalternbeamten in ihrer zwar reinlichen, aber traurigen Kammer. Seit Jahren gelähmt, war sie nicht im Stande gewesen, dem Beispiele der übrigen Hausbewohner zu folgen. Vergebens forderte Frau Huber ihre blühende Tochter, Josepha, ein reizendes Mädchen von achtzehn Jahren, wiederholentlich auf, an die eigene Rettung zu denken, so lange es noch Zeit war. 251

»Was liegt an mir?« sagte die kranke Mutter. »Ich habe lange genug gelebt und sehne mich nach dem Tode, weil ich mir und der Welt nur zur Last bin. Du aber bist noch jung und darfst nicht sterben.«

»Und Du glaubst, daß ich Dich verlassen kann?« fragte die fromme Tochter im vorwurfsvollen Tone. »Ich will und muß Dich retten, oder mit Dir untergehn.«

»Wie willst Du es anfangen, um mich fortzubringen. Du weißt, daß ich kein Glied zu rühren vermag, seitdem mich der letzte Schlaganfall getroffen.«

»O ich bin jung und stark; ich werde Dich auf meinen Armen tragen und mit Dir zu der Base nach der Josephsstadt flüchten.«

»Du traust Dir mehr Kraft zu, als Du wirklich hast. Ich glaube nicht, daß Du mich nur die drei Treppen hinuntertragen kannst, geschweige bis zur Josephsstadt, die über eine Stunde entfernt liegt.«

»Versuche es nur! Du wirst sehen, daß es ganz gut gehen wird. Unterwegs finden wir gewiß auch gute Menschen, die uns weiter helfen werden.«

In der That machte das kräftige Mädchen den Versuch, die Mutter aus dem Bett zu heben und sich auf die 252 Schultern zu laden, was nach einiger Anstrengung auch gelang. Mit der theuern Bürde belastet, gelangte Josepha bis zur Treppe, wo sie jedoch zusammenbrach und das Vergebliche ihrer Bemühung einsah.

»Ruhe Dich hier ein wenig aus,« sagte sie zu der Mutter, »ich will die Hausbewohner rufen, daß sie uns beistehen.«

Mehrere Male ließ sie laut ihre frische Stimme ertönen, aber kein Mensch schien sie zu hören; eine bange Ahnung durchzuckte das Herz des Mädchens. Sie rief von neuem nur noch dringender und ängstlicher um Hülfe; Niemand antwortete ihr, Alles war still wie im Grabe, nur das Rauschen des Wassers und das Heulen des Sturmes war zu deutlich zu vernehmen und vermehrte ihre Furcht. Eilig stürzte sie die Treppen herab, um einige Leute zu suchen, die ihr beistehen sollten, die Gelähmte fortzubringen; sie klopfte bei dem nächsten Nachbar an, keine Antwort; sie trat in das Zimmer durch die unverschlossene Thür und fand es leer; sie irrte durch das ganze Haus, es war verlassen. Verzweiflung im Herzen, kehrte sie zu der geduldig harrenden Mutter mit der trostlosen Nachricht zurück.

»Ich habe es erwartet,« sagte diese resignirt. »In der 253 Noth denkt ein Jeder nur an sich. O! warum bist Du nicht meinem Rathe gefolgt und mit den Uebrigen gegangen? Vielleicht ist es noch Zeit, Dich wenigstens zu retten; mag auch mit mir geschehen, was der Wille Gottes ist.«

»Ich müßte ja das herzloseste Geschöpf von der Welt sein,« entgegnete weinend die Tochter, »wenn ich Dich verlassen könnte. Aber noch gebe ich die Hoffnung nicht auf; wir wollen in unser Stübchen zurückkehren, und ich will solange durch das Fenster die Menschen auf der Straße anrufen, bis man mich hört und sich eine mitleidige Seele findet, die uns Beide rettet.« – Bei diesem Beschlusse blieb Josepha, trotzdem die Mutter sie wiederholt aufforderte, ihr junges Leben zu erhalten und sie ihrem Schicksale zu überlassen, da sie den Tod nur als den Befreier von der Last eines elenden Daseins betrachtete. Ohne diese Einreden zu beachten, trug die Tochter sie wieder in das Bett zurück, wo sie die Kranke sanft niederlegte. Hierauf öffnete sie das niedrige Fenster, um durch Rufen und andere Zeichen die Vorübereilenden auf ihre Noth aufmerksam zu machen. Wie es aber in solcher Lage zu geschehen pflegt, achtete Niemand auf die Verlassenen, weil Jeder nur an sich selbst und seine nächsten Angehörigen dachte. Viele stürzten 254 vorüber, ohne nur auf Josepha zu hören; war auch Einer wirklich aufmerksam gemacht, so begnügte er sich, mit den Achseln zu zucken und auf die steigende Flut zu deuten, welche bereits den Zutritt zu dem Hause verhinderte. Selbst wenn das Mitleid noch so laut sprach, so wagte Keiner auch nur den Versuch, da es an den nöthigen Hülfsmitteln zur Rettung, an Kähnen, Seilen und Stangen fehlte.

Nach einer Stunde peinlichen Harrens, während der das Wasser immer höher angeschwollen war, gab Josepha ihre Stellung am Fenster auf; traurig kehrte sie zu der kranken Mutter zurück, an der gemeinschaftlichen Rettung fast verzweifelnd.

»Habe ich es Dir nicht gesagt,« bemerkte die Gelähmte mit bitterm Tone. »Die Menschen kümmern sich nicht um fremdes Leid, sie lassen uns ruhig ohne Hülfe untergehn.«

»So wird Gott uns helfen; er ist der Schutz der Verlassenen und Bedrängten,« erwiderte die Tochter voll frommer Ergebung.

Frau Huber antwortete nicht, sondern schloß die Augen, als wollte sie den herbeigesehnten Tod gefaßt erwarten, nur zuweilen stieß sie einen tiefen Seufzer aus, wenn sie an die Jugend ihrer Tochter dachte, für die das Leben noch 255 einen Werth hatte. Sonst herrschte eine tiefe Stille in dem Zimmer, nur unterbrochen von dem fernen Donner des krachenden Eises und dem nassen Anschlagen der Wellen an die nicht eben allzufesten Wände des kleinen, verlassenen Hauses. Allmählig wühlten dieselben sich tiefer und tiefer ein, drangen in die Fugen, rissen Stücke der morschen Mauern fort, sodaß das Gebäude zu schwanken begann und in seinem Grunde zitterte.

»Jesus Maria!« rief Frau Huber aufgeschreckt. »Das Haus fällt ein und wir werden noch unter den Trümmern lebendig begraben. Laß uns beten, daß sich der Himmel unserer erbarme!«

Josepha faltete die Hände und betete leise, während die Mutter mit lauter Stimme das »Vaterunser« sprach. Beide bereiteten sich so auf den nahen Tod vor, da sie mit jedem Augenblick den Einsturz des unterwühlten Hauses erwarten konnten. Die Tochter nahm ein kleines silbernes Kreuz, das sie an einer schwarzen Schnur um den Hals trug, küßte es und dachte dabei an den Geber desselben, den sie mit aller Glut ihres jungen, reinen Herzens liebte. So nahm sie Abschied von dem Leben und ihrer Liebe, indem sie Beide dem Schutze des Ewigen empfahl. In dieser 256 Stunde der höchsten Noth hatte die arme Mutter nur den einzigen Gedanken, die Rettung ihres Kindes, das ihretwegen den Tod erleiden sollte.

»Geh!« sagte sie, »und sieh noch einmal, ob sich Niemand Deiner erbarmen will. Es wäre schrecklich, wenn ich Dich in das Verderben risse.«

»Wir wollen zusammen sterben,« entgegnete Josepha, »das ist ein Trost für uns Beide.«

»Und denkst Du nicht an Anton, Deinen Verlobten?«

»Er wird das Unvermeidliche wie ein Mann ertragen und mich beweinen.«

»Du mußt Dich für ihn erhalten, darum darfst Du nichts verabsäumen. Gott kann nicht wollen, daß Du in so jungen Jahren untergehst. Um Anton's willen mußt Du noch einen Versuch machen und so lange nach Hülfe schreien, bis man Dich hört.«

Nur aus kindlichem Gehorsam befolgte Josepha den Rath der kranken Mutter, obgleich sie selbst jede Hoffnung bereits aufgegeben hatte; sie trat noch einmal an das Fenster und ließ ihre Stimme von neuem erschallen, indem sie ihre Arme Hülfe flehend ausstreckte. In diesem Augenblick näherte sich dem bedrohten Hause ein Kahn, der 257 zwischen den Eisschollen sich mühsam einen Weg brach. In der Mitte desselben stand ein schlanker Mann, in einen grauen Mantel gehüllt, den dreieckigen Hut tief in das Gesicht gerückt, sodaß seine Züge nicht so leicht zu erkennen waren. Er hatte Josepha schon aus der Ferne bemerkt und die drohende Gefahr sogleich erkannt. Gebieterisch streckte er seine Hand nach der von ihm bezeichneten Richtung aus und trieb die Schiffer, welche eifrig ruderten, zu erhöhter Anstrengung an, bis es ihnen gelang, das Fahrzeug dicht unter das Fenster zu bringen, wo das Mädchen stand.

»Schnell!« rief der Unbekannte. »Wir haben keine Zeit zu verlieren; die alte Baracke droht bereits einzustürzen.«

»Es wird schwer halten,« entgegnete ein zweiter Herr im Kahne, »den armen Leuten beizuspringen.«

»Wozu haben wir denn die Strickleiter mitgenommen?« fragte der Mann im Militärmantel mit einem Tone, der an Widerspruch nicht gewöhnt schien. »Geben Sie nur her; ich selbst werde hinaufsteigen und die Unglücklichen aus ihrer entsetzlichen Lage befreien.«

»Sie vergessen, daß ich für Ihr theures Leben verantwortlich bin. Lieber will ich selbst das Aeußerste wagen.« 258

»Während wir miteinander streiten, kann das elende Haus zusammenstürzen. Lassen Sie uns gemeinschaftlich die Gefahr bestehen. Es gilt das Leben meiner Mitmenschen.«

»Ich muß mich dieser edlen Regung eines großen Herzens widersetzen. Bedenken Sie, was Sie versprochen, daß Sie höhere Pflichten zu erfüllen haben, als sich nutzlos aufzuopfern.«

Nur mit Widerwillen gab der Unbekannte den dringenden Vorstellungen seines Begleiters nach, der, um jeden ferneren Einwand zu verhindern, die Strickleiter jetzt selbst ergriff und dieselbe mit großer Gewandtheit dem Mädchen zuwarf, indem er ihr laut zurief, sie an das Kreuz des Fensters zu befestigen. Als dies geschehen war, schwang er sich mit graziöser Leichtigkeit in die Höhe, kletterte schnell die schwankenden Sprossen hinauf und sprang mit einem kühnen Satze durch das geöffnete Fenster in die ärmliche Dachstube, welche er mit scharfen Blicken musterte.

»Komm!« sagte er gebieterisch zu Josepha. »Wir haben keinen Augenblick mehr zu verlieren.«

»Retten Sie zuerst meine arme Mutter!« rief diese verzweiflungsvoll, indem sie auf das Bett hinwies, wo die Gelähmte hülflos lag. 259

»Eine schöne Commission,« murmelte der Herr, »die ich mir da aufgeladen habe. – Was soll ich mit dem kranken Weibe anfangen?«

»Haben Sie Mitleid mit einer Unglücklichen!« rief Josepha, seine Knie umklammernd.

»Ich will ja gern thun, was in meinen Kräften steht,« erwiderte der Herr, trotz seiner frivolen Manier von tiefem Mitgefühl ergriffen. »Hilf mir Deine Mutter aufheben, und ich werde sehn, ob ich sie fortbringen kann.«

»Der Himmel wird Sie für Ihre Güte und Menschenfreundlichkeit segnen.«

Von Josepha unterstützt, gelang es die Kranke emporzuheben und glücklich an das Fenster zu bringen. Einer von den Schiffern, dem der Herr von oben ein Zeichen gab, kletterte ihm nach und lud die Last zum großen Theil auf seine Schultern, sodaß Beide zusammen die Gelähmte sanft in den Kahn trugen und auf dem Boden desselben auf einige untergebreitete Kleidungsstücke niederlegten, während der Unbekannte seinen eigenen Mantel ihr sorgsam hinreichte, um sie zu bedecken und vor der empfindlichen Kälte zu schützen. Erst als die Tochter ihre Mutter geborgen sah, folgte sie ihr selbst nach, indem sie furchtlos 260 die schwankende Strickleiter betrat. Als sie auf der obersten Sprosse stand, brach ein heller Sonnenstrahl durch das düstere Gewölk und beleuchtete die schwebende Gestalt des holden Mädchens, das unwillkürlich an den Engel der Verkündigung auf den Gemälden alter frommer Meister erinnerte, das heilige Haupt umflossen von einer goldenen Glorie. Beim Anblick der fast überirdischen Erscheinung stieß der Unbekannte einen lauten Ruf des Staunens und der Bewunderung aus, während seine bleichen Wangen sich plötzlich vor innerer Bewegung rötheten.

»Welche Aehnlichkeit!« flüsterte er seinem Begleiter in italienischer Sprache zu.

»In der That; man sollte glauben, daß die Todten wieder auferstehn.«

»Still!« entgegnete der Herr im Mantel. »Wir dürfen nicht die alten Wunden wieder aufreißen; das Grab gibt seine Beute nie zurück, doch ich hoffe und glaube an ein Wiedersehn.«

Der Ausdruck des tiefsten Schmerzes in den edlen Zügen verschwand jedoch bald wieder, als Josepha mit überströmender Rührung ihm für ihre Rettung und die 261 Rettung ihrer Mutter dankte. So lange sie sprach, schwebte ein freundliches Lächeln um die feinen Lippen, und die großen, blauen Augen leuchteten in einem verklärten Glanz. Mit herzgewinnender Theilnahme erkundigte er sich nach ihren Verhältnissen, indem er die armen Frauen zu beruhigen suchte und ihnen auch ferner Schutz und Hülfe zusagte, bis er sie vollkommen geborgen wissen würde. Trotz einer gewissen Vornehmheit, die auch ihnen nicht entging, flößte sein ganzes Wesen das größte Vertrauen ein; Herzensgüte und Menschenliebe sprach aus dem milden Gesicht, während sich in seinen sanften Blicken das innigste Wohlwollen und Mitleid mit den Unglücklichen verrieth. So oft aber seine Augen auf Josepha's Antlitz ruhten, erfüllte ihn eine tiefe Wehmuth, ein unnennbares Gefühl von Schmerz und Freude, die wie Sturm und Sonnenschein durch seine Seele zogen. Er setzte sich ihr gegenüber und konnte nicht müde werden, sie anzusehn, ohne durch ein Wort seine wechselnden Empfindungen zu verrathen.

Unterdeß glitt der Kahn, vielfach durch die herumtreibenden Trümmer und Eisschollen aufgehalten und bedroht, durch die angeschwollene Flut an das jenseitige Ufer. Der Unbekannte sprang zuerst ans Land in der Absicht, 262 sich ungesehn und unbemerkt von dem dort versammelten Volke zu entfernen; was ihm auch dadurch gelang, daß er sich in einen gewöhnlichen Schiffermantel hüllte und seinen Hut noch tiefer in das Gesicht drückte. Bevor er sich so unerkannt entfernte, gab er noch seinem Begleiter den Auftrag, für die beiden Frauen zu sorgen und für die Gelähmte eine Sänfte herbeizuschaffen. Ehe noch Josepha ihm danken konnte, war er bereits im Gedränge verschwunden; betrübt und gekränkt schaute sie ihm nach wie einer überirdischen Erscheinung, die, den Dank der Sterblichen verschmähend, zum Himmel zurückkehrt. Wie im Traume folgte sie dem Herrn, der sie und die Mutter bis zum Hause der Base nach der Josephstadt begleitete. Gern hätte sie den Namen ihres Wohlthäters erfahren, aber sie wagte nicht danach zu fragen, mit weiblichem Instincte ahnte sie ein Geheimniß, das sie achtete. Nur als ihr jetziger Beschützer ihr zum Abschied eine mit Gold gefüllte Börse überreichen wollte, wies sie standhaft das großmüthige Geschenk zurück.

»Ich kann für mich und meine Mutter arbeiten,« sagte sie mit stolzem Selbstgefühl, »und bedarf keiner Unterstützung. So lange ich noch meine Hände rühren kann, werden wir nicht Noth leiden.« 263

»Aber Sie werden Ihre Mutter besser pflegen können, wenn Sie die Summe für diesen Zweck verwenden.«

Da sie jedoch in ihrer Weigerung hartnäckig verharrte, so ließ auch der Herr ab, weiter in sie zu dringen. Mit einem ehrfurchtsvollen Gruße schied er von ihr, nachdem er sorgfältig in ein kleines, kostbares Notizbuch die Hausnummer und den Namen der Base eingezeichnet hatte.

Die beiden Frauen fanden in dem Hause ihrer Verwandten vorläufig eine Zuflucht und freundliche Aufnahme, obgleich dieselbe keineswegs wohlhabend war. Von neuem bestätigte sich die Wahrheit des Sprüchwortes, daß der Arme der beste Freund der Armen ist. Während Josepha der gutmüthigen Base die ausgestandene Gefahr und ihre Rettung ausführlich erzählen mußte, irrte ihr Verlobter in der größten Verzweiflung durch die ganze Stadt, um sie zu suchen. Auf die erste Nachricht von der Ueberschwemmung der Leopoldstadt hatte der treue Anton die Kanzlei verlassen, in der er die Stelle eines Abschreibers mit einem monatlichen Gehalte von zehn Gulden bekleidete. Voll Angst eilte er nach dem Schauplatz des Unglücks, das Herz von schweren und traurigen Ahnungen erfüllt. Das Schauspiel, welches er erblickte, übertraf seine schrecklichsten 264 Befürchtungen. So weit sein Auge reichte, starrte ihm die gelbe schmuzige Wasserwüste entgegen; dennoch gab er nicht die Hoffnung auf, seine Braut zu retten. Mit viel Mühe und gegen eine Belohnung, welche fast seine ganze Baarschaft kostete, gelang es ihm, einen Kahn aufzutreiben. Als er jedoch sich dem wohlbekannten Hause näherte, war dasselbe bereits zusammengestürzt; nur der Giebel und Schornstein ragten aus der brausenden Flut empor und verkündigten ihm das entsetzliche Loos der ihm so theueren Bewohner. Er stieß einen Schrei aus und kehrte verzweiflungsvoll nach dem Ufer zurück, um vielleicht von bekannten Flüchtlingen Näheres zu erfahren. Niemand wollte oder konnte ihm Auskunft über das Schicksal der Unglücklichen geben, bis er endlich einen Flickschuster fand, der mit Josepha auf demselben Flure wohnte. Dieser hatte ihren Ruf nach Hülfe zwar gehört, aber ihm nicht Folge leisten können, da er selbst nur mit genauer Noth sich und die Seinigen vor dem Tod gerettet. Nach seinen Mittheilungen konnte Anton kaum länger zweifeln, daß Josepha und ihre Mutter in den Wellen ihr Grab gefunden hatten. Die Angst und der Schmerz um ihren Verlust, verbunden mit der Nässe und Kälte, der er sich während des ganzen 265 Tages ausgesetzt, hatten seine Kräfte dermaßen erschöpft, daß er auf offener Straße zusammensank. Einige Vorübergehende hoben mitleidig den Bewußtlosen auf und schafften ihn in ein nahe liegendes Krankenhaus, wo er in ein hitziges Nervenfieber verfiel.

Von diesem neuen Unglücke hatte Josepha keine Ahnung; Stunde für Stunde erwartete sie ihren Verlobten; sie selbst konnte sich nicht von dem Lager der kranken Mutter entfernen. Ein Brief, worin sie Anton von ihrem Schicksale unterrichtete, blieb unbeantwortet, und Niemand vermochte ihr Auskunft über sein Verbleiben zu geben, da er in der großen Stadt keine näheren Verwandten oder Freunde besaß. Sie wußte sich sein Stillschweigen nicht zu erklären und überließ sich den traurigsten Gedanken und Befürchtungen. So saß sie eines Tages in der Dämmerstunde mit dem Bilde des Verschwundenen beschäftigt, als sie ein leises Klopfen an der Thür aus ihren Träumen aufschreckte. Sie öffnete, und vor ihr stand wieder in den grauen Militärmantel gehüllt der Mann, dem sie und ihre Mutter das Leben zu danken hatten; ein leiser Schrei der Ueberraschung entschlüpfte unwillkürlich ihren Lippen. 266

»Habe ich Sie erschreckt?« fragte der Unbekannte im wohlwollendsten Tone.

»Wie können Sie glauben?« entgegnete Josepha schnell gefaßt. »Ich weiß keinen Menschen, den ich lieber sehe, als meinen Wohlthäter.«

»Sie haben also an mich gedacht?«

»Täglich und stündlich habe ich zu Gott für Sie gefleht, daß er Ihnen vergelten möge, was Sie für mich und meine Mutter gethan.«

»Gutes Kind!« sagte der fremde Herr, indem er Josepha's Hand gerührt ergriff. »Sie ahnen nicht, wie reichlich Sie meinen geringen Dienst bereits vergolten haben. Ihr bloßer Anblick ist der beste Balsam für mein krankes Herz.«

Josepha fühlte, daß sie erröthete; um ihre Verlegenheit zu verbergen, wandte sie sich ab und ging zu dem Schranke, wo die Lampe stand, welche sie anzündete. Der helle Schein beleuchtete das liebliche Gesicht, das der Unbekannte nicht müde wurde anzusehn. Alte Erinnerungen stiegen in seiner Seele auf, seine blauen Augen füllten sich mit Thränen, die er vergebens zurückzudrängen versuchte; ein tiefer, schmerzlicher Seufzer entschlüpfte der gepreßten 267 Brust. Josepha, der seine Bewegtheit nicht entgangen war, sah ihn mit fragenden Augen an, indem sie selbst sich eines fast unheimlichen Gefühles nicht erwehren konnte.

»Ich bin Ihnen,« sagte der Fremde nach einer längeren Pause, »gewissermaßen eine Aufklärung schuldig, die ich Ihnen jetzt geben will. Acht Jahre sind es, daß ich ein Mädchen kennen lernte voll Anmuth, Schönheit und Liebenswürdigkeit. Sie wurde meine Gattin und ich durch sie der glücklichste Mensch auf dieser Welt. Täglich entdeckte ich an ihr neue Vorzüge, und meine kühnsten Träume gingen durch sie in Erfüllung; in ihr fand ich die Vertraute meines Herzens; sie war mir mehr als eine Geliebte, sie war meine beste, meine einzige Freundin. Ich fühlte es, daß ich in ihrer Nähe täglich besser wurde; ein Blick von ihr reichte hin, meine wilden Leidenschaften zu zähmen, ein Wort, meine angeborene Heftigkeit zu bändigen. Durch sie lernte ich die Welt verstehn und meine Nebenmenschen lieben; sie war der gute Engel meines Daseins. –«

Von seinen Gefühlen übermannt, hielt der Unbekannte einige Augenblicke inne, indem er mit der Hand die blauen Augen und die hohe, schöne Stirn bedeckte, um seine 268 hervorquellenden Thränen zu verbergen, als schämte er sich seiner ihn übermannenden Rührung.

»Die Geburt einer Tochter,« fuhr er, nachdem er sich wieder gesammelt, in seiner Rede fort, »steigerte meine Seligkeit zum höchsten Gipfel. Ich hatte keinen Wunsch mehr hienieden und war der glücklichste Vater. Da sollte ich von meiner erträumten Höhe in das tiefste Elend geschleudert werden und die Vergänglichkeit des irdischen Glückes auf das schmerzlichste an mir erfahren. Das geliebte Weib begann zu kränkeln, ohne Grund und Ursache verfiel sie in eine tiefe Melancholie, als könnte sie nicht länger unser allzugroßes Glück ertragen, als hätte sie die nahe Trennung, die uns drohte, im voraus geahnt. Vergebens waren die Bemühungen der ersten Aerzte, umsonst suchte ich diese mir unerklärliche Traurigkeit durch Vergnügungen aller Art zu zerstreuen. Nur die Hoffnung, daß sie zum zweiten Male Mutter werden sollte, stimmte sie wieder für einige Zeit heiterer. Plötzlich wurde sie von den damals grassirenden Blattern ergriffen, sie wurde eine Beute des unbarmherzigen Todes, in meinen Armen verschied das geliebte Weib, mein Kuß vermählte sich mit ihrem letzten Seufzer.« 269

»Armer Mann!« flüsterte Josepha tief ergriffen.

»Ihr Andenken lebt in meinem Herzen fort, meine Liebe ist stärker als der Tod; ihr Geist umschwebt mich jeder Zeit, ihr Bild verläßt mich nie.«

Mit diesen Worten zog der Unbekannte ein goldenes Medaillon hervor, welches das Bildniß einer schönen Frau umschloß. Dunkle, ausdrucksvolle, in sanftem Feuer strahlende Augen leuchteten Josepha entgegen, um den lieblichen Mund schwebte ein Zug milder Traurigkeit; die hohe, reine Stirn verkündigte Geist mit Hoheit gepaart, während der ganze Ausdruck des holden Gesichts eine Seele voll Liebe und Zärtlichkeit verrieth. Unwillkürlich entschlüpfte bei diesem Anblick dem Mädchen ein Ausruf des Erstaunens über die große Aehnlichkeit dieses Bildes mit ihrer eigenen Person; es war, als ob sie sich selbst in einem Spiegel gesehen hätte.

»Sie werden jetzt,« bemerkte der Unbekannte, »das Interesse begreifen, welches Sie mir sogleich einflößen mußten. In Ihnen sehe ich das geliebte Abbild einer theueren Todten, der Sie auf das Täuschendste in jeder Beziehung gleichen. So lange ich in Ihrer Nähe verweile, glaube ich meine verlorene Gattin zu erblicken, sie noch immer zu besitzen. Gönnen Sie einem Unglücklichen diese 270 Illusion, das einzige Glück, welches ein freundlicher Zufall ihm zum Trost geschenkt hat. O! Sie wissen nicht, welche Wohlthat Sie mir dadurch erweisen, wie reich Sie den kleinen Dienst, den ich Ihnen geleistet habe, mir vergelten. Ich verlange nichts weiter, als daß ich mich aus dem Gewühl des Lebens zu Ihnen flüchten darf, um in Ihrer Nähe den Frieden zu suchen, den ich allein nur noch bei Ihnen finde.«

Unmöglich konnte Josepha ihrem Lebensretter diese rührende Bitte versagen; sie selbst fühlte sich wunderbar zu dem Unbekannten hingezogen, dessen ganzes Benehmen ihr das reinste Vertrauen einflößte. Da sie den Grund seines Kommens jetzt kannte, so fand sie durchaus nichts Auffallendes an seinen wiederholten Besuchen, zu denen er ausschließlich die späten Abendstunden wählte. Er dagegen hatte ein steigendes Wohlgefallen an dem herrlichen Mädchen, dessen Herzensgüte und Aufopferungsfähigkeit er täglich mehr bewundern lernte. Ihre einfache Unterhaltung machte ihm mehr Vergnügen als das seichte Geschwätz der vornehmen Kreise, in denen er sich sonst ausschließlich zu bewegen pflegte. Wenn er ermüdet von der Anstrengung und den Lasten des Tages zu Josepha in der Dämmerung 271 kam, empfing sie ihn mit einem heitern Lächeln, einem herzlichen Gruß, der die trüben Wolken von seiner Stirne scheuchte. So oft er aber kam und ging, ließ er jedesmal eine nicht unbedeutende Summe in den Händen der Base zurück mit dem Ersuchen, das Geld für die Kranke nach ihrem Gutdünken zu verwenden, was die gute Frau auch ohne Anstand that, ohne daß Josepha eine Ahnung von diesen großmüthigen Geschenken hatte. – Die heimlichen Besuche des Unbekannten und der vermehrte Aufwand in dem Hause der Base war jedoch den nächsten Nachbarn, trotz aller Vorsicht, nicht entgangen; die alten und jungen Weiber in der Vorstadt, die ihrem Nebenmenschen nur zu gern etwas anhängen, steckten geschäftig ihre Köpfe zusammen und hatten es bald herausgebracht, daß das schöne Mädchen einen vornehmen und reichen Herrn zum Geliebten habe.

Einige Wochen mochten so vergangen sein, als der arme Anton, von dem hitzigen Nervenfieber genesen, das Krankenhaus verließ und sich in der Kanzlei, wo er früher beschäftigt war, wiederum meldete, obgleich er noch so schwach war, daß er sich kaum aufrecht hielt. Zu seiner größten Bestürzung mußte er erfahren, daß der kleine Posten 272 bereits mit einem andern Schreiber besetzt war. Niedergeschlagen und tief betrübt schwankte er von einem Notar zu dem andern, um ein noch so ärmliches Unterkommen zu finden; überall wurde ihm seine Bitte abgeschlagen, wozu sein elendes Aussehn nicht wenig beitragen mochte. Seine Wangen waren bleich und eingefallen; die halberloschenen Augen lagen tief in ihren Höhlen und das lange schwarze Haar hing in wirren Locken um die gefurchte Stirn und die eingesunkene Schläfe. Diesem traurigen Aussehn entsprach seine abgeschabte Kleidung; ein verschossener Rock schlotterte um die abgezehrten Glieder, die Schuhe waren niedergetreten und die Wäsche in einem erbarmungswürdigen Zustande. Wer hätte einem Menschen in diesem Aufzuge eine Stelle geben wollen, oder überhaupt nur Vertrauen geschenkt. In der ganzen großen Stadt hatte er keinen Freund und seine Verlobte hielt er längst für todt. Verzweifelnd irrte er durch die Straßen, ein Bild des Jammers und des Elends; er wußte nicht, womit er sein Leben fristen sollte, da die Krankheit seinen letzten Groschen aufgezehrt hatte. Wollte er nicht verhungern, so blieb ihm nichts übrig, als das Mitleid der Vorübergehenden anzusprechen, wozu er sich jedoch nicht entschließen konnte. Ehe 273 er zu diesem letzten Mittel griff, wollte er noch einen Versuch machen; er kannte eine Speisewirthin in der Josephsstadt, bei der er in früheren Tagen seine Mittagsmahlzeit einzunehmen pflegte, wofür er regelmäßig zwölf Kreuzer zahlte. Außerdem aber hatte er der guten Frau, die mit der Feder nicht Bescheid wußte, manchen kleinen Dienst geleistet, Briefe und Rechnungen für sie geschrieben und ihre Bücher in Ordnung gehalten; was ihm zuweilen ein Glas Landwein extra einbrachte.

Bei ihr hoffte er vorläufig ein Unterkommen und vor allen Dingen ein Stückchen Brot zu finden, da er wußte, daß Frau Katharina das war, was man im Leben eine gute Seele zu nennen pflegt. Der Gang fiel ihm zwar schwer, aber es blieb ihm keine andere Zuflucht. wenn er nicht verhungern wollte. Die Speisewirthin, eine rüstige Witwe von einigen vierzig Jahren mit einem wahren Vollmondsgesicht, in dem zwei kleine feurige Augen funkelten, schlug vor Staunen und Verwunderung die Hände über dem Kopf zusammen, als sich Anton ihr zu erkennen gab und seine Leidensgeschichte erzählte.

»Na, an einem tüchtigen Stück Braten,« sagte die gute Seele, »und an einer Mehlspeise soll es Euch nicht 274 fehlen, aber wundern muß ich mich, daß Ihr nicht zuerst zu Eurer Braut gegangen seid, die jetzt bis über die Ohren in der Wolle sitzt.«

»Zu meiner Braut?« fragte der Unglückliche schmerzbewegt. »Ihr scheint nicht zu wissen, daß meine arme Josepha bei der letzten Ueberschwemmung den Tod gefunden hat.«

»Narrenspossen!« entgegnete die dicke Wirthin. »Wer hat Euch denn diese Geschichte aufgebunden? Das Mädchen lebt und hat nicht den Tod, sondern einen reichen und vornehmen Schatz gefunden, der für sie und ihre Mutter sorgt.«

Hätte Frau Katharina eine Ahnung von der Wirkung ihrer Worte gehabt, sie hätte sicher den Mund nicht in so unüberlegter Weise aufgethan. Einen Augenblick saß der arme Anton wie vom Donner gerührt, dann sprang er auf die Wirthin los, als wenn er sie erwürgen wollte.

»Weib, Du lügst,« rief er ihr zu, während abwechselnd Todesblässe und Fieberglut seine bleichen Wangen überzog.

»Ich bin eine ehrliche Frau,« schrie dagegen die dicke Wirthin, welche sich hinter ihren Schenktisch vor Angst geflüchtet hatte. »Kein Mensch kann mir etwas Böses 275 nachsagen, wie gewissen Leuten. Wenn Ihr mir aber auch nicht glauben wollt, so werdet Ihr wenigstens Euren eigenen Augen trauen. Ihr braucht Euch nur in der Dämmerung vor dem Hause von Josepha's Base, die Ihr ja auch kennt, hinzustellen und Ihr werdet Euer blaues Wunder sehen. Abend für Abend kommt der feine Kavalier geschlichen, natürlich nicht umsonst und auch nicht mit leeren Händen.«

Ohne sich länger aufzuhalten, stürzte oder schwankte vielmehr Anton, so schnell dies seine Kräfte erlaubten, auf die Straße, wo er sich unbemerkt an der Ecke gegenüber von Josepha's Wohnung auf die Lauer stellte. Er hatte ungefähr eine Stunde gewartet, als ein Mann in einen grauen Mantel gehüllt an ihm vorüberkam und den Weg nach dem ihm wohlbekannten Hause einschlug; der Unglückliche folgte ihm von weitem bis zu der Thür, durch die der fremde Herr verschwand; er konnte nicht länger zweifeln, daß die dicke Wirthin wahr gesprochen. Welche Gründe konnte die ihm sonst als gutmüthig bekannte Frau haben, ihn zu täuschen? Josepha, die er als eine Todte betrauerte, hatte ihn vergessen und war ihm untreu geworden.

Das Leben hatte keinen Reiz mehr für ihn; er war ja einsam und verlassen, das letzte Band zerrissen. Ein 276 fürchterlicher Entschluß durchzuckte seine Seele; mechanisch griff er in die Tasche nach dem scharfen Messer, das er bei sich zu tragen pflegte; wilde Mordgedanken gegen den begünstigten Nebenbuhler schossen durch das aufgeregte Hirn, aber die bessere Natur trug über die furchtbare Eifersucht des Jünglings den Sieg davon. Nicht den glücklichen Kavalier, er wollte sich selbst tödten und seinem elenden Dasein ein Ende machen. Ohne sich zu besinnen, eilte er seinen schrecklichen Plan auszuführen; es zog ihn mit unwiderstehlicher Macht zu den Fluten der Donau, in deren Wellen er den Tod zu finden hoffte. Bald hatte er das ihm wohlbekannte Ufer erreicht, an dem früher das kleine Haus gestanden, worin er mit der treulosen Josepha die seligsten Stunden verlebt; jetzt lag es in Trümmern wie sein eigenes Glück. Gespenstisch ragte nur noch der einsame Schornstein empor, vom bleichen Schimmer des Mondes beschienen. Unwillkürlich schauderte der Arme, als er an der traurigen Ruine vorüberkam, die ihm ein Bild seines eigenen Lebens war. Ringsumher war Alles still, nur die Wellen rauschten leise das ewige Lied, und die kühle, im Mondschein glänzende Flut lockte ihn mit ihrem Gesange zur stillen Ruhe in dem feuchten Grabe. 277

»Gott wird mir meine Sünden verzeihen,« murmelte der Unglückliche und faltete seine Hände zum Gebet. Ein rascher Sprung, ein dumpfer Schall, und die Wogen schlugen über ihm zusammen; doch im nächsten Augenblick fühlte er sich von einer kräftigen Hand ergriffen. Ein Schiffer, der in seinem Kahne auf dem Wasser fuhr, hatte ihn bemerkt und sich schnell ihm nachgestürzt. Seiner Anstrengung gelang es, den Bewußtlosen zu retten und an das nahe Ufer zu bringen, wo sich schnell eine große Menschenmenge um den Ertrunkenen sammelte. Während einige mitleidige Männer mit Anton die gewöhnlichen Wiederbelebungsversuche anstellten, Andere nach dem nächsten Arzte eilten, hielt ein Wagen in dem wachsenden Gedränge, das den Weg ihm sperrte. Eine hohe Frau in schwarzer Trauerkleidung bog sich aus dem Schlage und fragte nach der Ursache des Auflaufes. Als sie den Grund erfuhr, stieg sie selbst aus dem eleganten Wagen und näherte sich in Begleitung einiger Herren in stattlicher Hofkleidung der Gruppe, die sich um den armen Anton gesammelt hatte. Trotz der herrschenden Dunkelheit wurde sie sogleich von dem Volke erkannt, das ihr ehrfurchtsvoll Platz machte.

»Die Kaiserin!« ging es von Munde zu Munde, 278 und alle Anwesenden neigten sich tief vor der geliebten Landesmutter.

»Was gibt es hier?« fragte Maria Theresia, denn sie war es, die Zunächststehenden. »Kennt niemand den Unglücklichen? Hat man schon nach einem Arzt geschickt?«

Mit dieser Worten beugte sie sich zu dem Bewußtlosen; aus ihren noch immer schönen Zügen sprach das innigste Mitleid, das reinste menschliche Gefühl. Sie selbst kniete neben dem armen Anton nieder und zog einen kostbaren Flacon, mit einer belebenden Essenz gefüllt, aus ihrem Busen hervor, womit sie die Schläfe des Ohnmächtigen benetzte. Der scharfe aromatische Geruch schien die schlummernden Lebenskräfte wieder angefacht zu haben; Anton stieß einen tiefen Seufzer aus und schlug die Augen auf. Ein freudiges Lächeln schwebte um die Lippen der hohen Frau, als sie ihre Bemühungen von einem solchen Erfolg gekrönt sah; sie war stolz auf ihr Werk und interessirte sich darum doppelt für den Geretteten. Sogleich gab sie Einem der sie begleitenden Herren den Auftrag, für ihren Schützling zu sorgen und ihr am nächsten Tage Bericht zu erstatten; worauf sie sich so schnell als möglich dem begeisterten Zuruf des Volkes entzog, das sie wie eine Heilige 279 verehrte und nicht müde wurde, ihre Milde und Großmuth zu preisen.

Am nächsten Morgen saß die Kaiserin in ihrem Arbeitskabinet; nachdem sie kniend ihre gewöhnliche Andacht verrichtet hatte, las sie selbst die eingegangenen Bittschriften und Berichte, obgleich sie nach dem Tode ihres geliebten Gatten ihrem Nachfolger und Sohne, Joseph dem Zweiten, die eigentlichen Regierungsgeschäfte überließ und nur in den wichtigsten Angelegenheiten des Staates sich die Entscheidung vorbehielt. Um so mehr beschäftigte sie sich jetzt mit dem Glücke ihrer Unterthanen, die sie wie ihre eigenen Kinder liebte und von denen sie wie eine Mutter wieder geliebt wurde. Sie sah sich wie das Oberhaupt einer großen Familie an, für deren Heil und Wohlergehn sie zu sorgen hatte. Dies patriarchalische Verhältniß nahm zuweilen manche seltsame Formen an, indem Maria Theresia nur zu oft in das Privatleben ihrer Unterthanen sich einmischte und mitunter sich allerlei willkürliche Eingriffe erlaubte; aber das Volk blieb ihr stets von ganzer Seele zugethan, da man ihre Herzensgüte und ihren Edelmuth hinlänglich kannte. Aus dieser Sorge um das leibliche und geistige Wohl ihrer Untergebenen entsprang ein 280 Spionirsystem, eine förmlich organisirte Geheimpolizei, welche hauptsächlich die Sittlichkeit der wiener Bevölkerung überwachte. Die Kaiserin selbst stand an der Spitze dieser moralischen Spionage; als Vorbild und Muster ehelicher Treue war ihr jedes unerlaubte Liebesverhältniß verhaßt, und sie kämpfte dagegen mit einer Strenge an, die sonst nicht in ihrem gutmüthigen und lebenslustigen Wesen lag.

Anton hatte nur mit großem Widerstreben den Aufschluß über die Gründe seiner That gegeben, den Maria Theresia so eben las. Ihre hohe Stirn umzog sich dabei mit finsteren Wolken, und ihre Wangen rötheten sich vor sittlicher Entrüstung.

»Das ist ja eine ganz abscheuliche Geschichte,« sagte sie zu ihrem Geheimsekretär. »Ein vornehmer Kavalier, der ein unschuldiges Mädchen verführt, ein armer, gottvergessener Sünder, der aus Verzweiflung sich das Leben nehmen wollte. Dahinter muß ich noch kommen und wieder einmal ein Exempel statuiren. Wenn sich Alles so verhält, wie hier geschrieben steht, so soll der Verführer mich kennen lernen, und wenn es mein eigener Sohn wäre. Das Mädchen stecken wir in ein Kloster zu ihrem eigenen Seelenheil, und der Selbstmörder soll auch nicht straflos ausgehn, 281 obwohl der unglückliche Schelm mich von ganzer Seele dauert.«

In ihrer Aufregung griff die Kaiserin nach der auf ihrem Schreibtische befindlichen Glocke, mit der sie ein Zeichen gab, worauf der dienstthuende Kammerherr erschien.

»Man soll mir sogleich den Polizeipräsidenten herbescheiden!« befahl Maria Theresia.

Wenige Augenblicke später erschien der Gerufene vor der hohen Frau, die ihm den Auftrag gab, Josepha und ihre Base ohne Aufsehn zu verhaften und nach der kaiserlichen Burg in einem verschlossenen Wagen zu bringen; auch der arme Anton sollte zugegen sein, um als Zeuge gegen seine frühere Geliebte zu dienen.

»Vor allen Dingen,« sagte die Kaiserin, »muß ich aber den Namen des schändlichen Verführers erfahren; er soll mir für das Unglück, das er angerichtet hat, bezahlen. Das Mädchen kann sich nicht weigern, mir den Kavalier zu nennen, den meine Ungnade im vollsten Maße treffen soll.«

Während Maria Theresia sich auf eine kräftige Strafrede für die Schuldigen vorbereitete und ihrem Unwillen über die steigende Unsittlichkeit der hohen und niederen Kreise der Hauptstadt vorläufig in ihrer kräftigen Weise 282 Luft machte, erschien der Polizeipräsident mit der Meldung, daß die Gefangenen im Vorzimmer harrten.

»Lassen Sie die Dirne eintreten,« herrschte die Kaiserin, indem sie sich auf den vergoldeten Sessel niederließ.

Durch die geöffneten Flügelthüren trat das holde Mädchen, schüchtern und bestürzt über diese unerklärliche Verhaftung und noch mehr über den Befehl, vor der Kaiserin zu erscheinen, obgleich sie sich keines Vergehens bewußt war. Eine feine Röthe färbte die blassen Wangen Josepha's; die frommen Taubenaugen waren bescheiden zu Boden gesenkt, in ihren kindlichen Zügen malte sich das Bewußtsein ihrer Unschuld, mit einer leicht erklärlichen Verlegenheit gepaart; unmöglich konnte eine Verbrecherin so aussehn.

»Nur näher!« befahl die Kaiserin, ohne aufzublicken, während sie in dem vor ihr liegenden Actenstücke blätterte.

Josepha gehorchte mit leisem Beben, unwillkürlich von der Majestät der hohen Frau ergriffen.

»Wie heißt man?« fragte Maria Theresia das zitternde Mädchen.

»Josepha Huber.«

»Sie sind angeklagt, einen vornehmen Kavalier bei 283 sich zu empfangen und ein sträfliches Verhältniß mit ihm zu unterhalten.«

Auf eine solche Beschuldigung war Josepha nicht vorbereitet; eine brennende Röthe überzog ihre Wangen, ihr Busen wogte ungestüm vor innerer Erregung; sie wollte sprechen und sich vertheidigen, aber die Zunge versagte ihr den Dienst, so daß sie keinen Laut hervorzubringen vermochte.

»Sie schweigt,« fuhr die Kaiserin in ihrer Rede fort, »und thut gut daran, da sie ihre Schuld nicht zu leugnen vermag. Auch kann ich ihr einen unwiderleglichen Zeugen vorführen, der sich Ihretwegen das Leben nehmen wollte, den aber die gütige Vorsehung vor einer so großen Sünde noch durch meine Dazwischenkunft behütet hat.«

Auf einen Wink der Kaiserin wurde jetzt der arme Anton aus einem anstoßenden Zimmer in das Arbeitskabinet geführt; bei seinem plötzlichen Erscheinen stieß Josepha überrascht einen durchdringenden Schrei aus. Maria Theresia, welche bisher noch immer ihre Blicke auf die vor ihr liegenden Papiere gerichtet hielt, sah jetzt erst empor, indem sie ihre Augen auf das erschrockene Mädchen richtete, das sie bisher nicht der Betrachtung gewürdigt 284 hatte. Die sorgfältig vorbereitete Strafrede erstarb aber auf den Lippen der hohen Frau, mit der eine wunderbare Veränderung vorgegangen war, indem ihre Augen weit geöffnet auf Josepha starrten, als wäre ihr ein Gespenst am hellen Tag erschienen.

»Heilige Jungfrau!« rief die Kaiserin entsetzt. »Die Todten stehen wieder auf. Das ist ja meine verstorbene Schwiegertochter, meine geliebte und vielbeweinte Isabella.«

Mit beiden Händen bedeckte Maria Theresia ihr Gesicht, um die heißen Thränen zu verbergen, welche dem Andenken einer innig geliebten Verstorbenen flossen; sie galten der liebenswürdigen Isabella von Parma, der ersten Gemahlin ihres Sohnes Joseph, die der unerbittliche Tod ihm vor wenigen Jahren entrissen. Sie war die Zierde des ganzen Hofes, der Abgott ihres hohen Gemahls und der ganzen kaiserlichen Familie, besonders aber ihrer Schwiegermutter gewesen, welche an ihrem Sterbebette den schmerzlichen Ausruf that: »Ich liebe sie zu sehr, um sie nicht verlieren zu müssen; sie wird ein Opfer sein, das der Himmel mir abverlangt.« – Unter diesen Umständen war es nicht zu verwundern, daß der Eindruck, den die täuschende Aehnlichkeit Josepha's mit der todten Schwiegertochter auf 285 die Kaiserin machte, ein so außerordentlicher war. Mehrere Augenblicke überließ sich die hohe Frau ganz und gar ihren schmerzlichen Erinnerungen und vergaß die eigentliche Ursache, weshalb sie das Mädchen zu sich beschieden. Auch die übrigen Anwesenden, welche die Verstorbene gekannt, waren tief ergriffen, unwillkürlich verglichen sie die Züge Josepha's mit dem lebensgroßen Bilde der Todten, welches über dem Schreibtische der Kaiserin hing. Keiner wagte das tiefe Schweigen zu unterbrechen, das in dem Kabinete einige Minuten herrschte, bis Maria Theresia sich von ihrem Lehnstuhle erhob und ihre thränenfeuchten Augen von neuem auf das bestürzte Mädchen richtete.

»Der Joseph soll das Wunder sehn,« sagte sie zu dem dienstthuenden Kammerherrn. »Sagen Sie dem Kaiser, daß ich ihn bitten lasse, mich zu besuchen, aber reden Sie nichts vorher über diese sonderbare Aehnlichkeit.«

Nur wenige Augenblicke waren vergangen, als durch eine Tapetenthür Kaiser Joseph in das Zimmer seiner Mutter schritt. Bei seinem Erscheinen stieß Josepha von neuem einen Schrei der Ueberraschung aus, und ihre bleichen Wangen rötheten sich wieder; sie hatte in ihm den Herrn im grauen Militärmantel erkannt. Auch der Kaiser war 286 von ihrer Anwesenheit sichtbar betroffen; seine Mienen verriethen augenscheinlich eine Verlegenheit, deren er nicht Herr zu werden vermochte.

»Josepha!« rief er verwundert, indem er auf die Bestürzte zutrat, als wollte er ihre Hand ergreifen.

»Du kennst also das Mädchen schon?« fragte Maria Theresia fast in vorwurfsvollem Tone.

»Ich kenne sie,« entgegnete der Kaiser unbefangen. »Ein wunderbarer Zufall hat mir diesen Engel des Trostes zugeführt.«

»Er war mein Lebensretter,« stammelte Josepha, »aber ich hatte keine Ahnung, daß der Kaiser selbst mich und meine arme Mutter den Fluten der Donau entrissen.«

»Still!« entgegnete Joseph. »Was ich gethan habe, hätte jeder andere Mann an meiner Stelle ebenfalls gethan.«

»Also warst Du auch der Kavalier, der in der Dämmerstunde das Mädchen besuchte?« forschte die Kaiserin, welche die Wahrheit bereits ahnte.

»Jene wunderbare Aehnlichkeit, die auch Ihnen, meine hohe Mutter, nicht entgangen zu sein scheint, zog mich unwiderstehlich zu dem Abbild meiner theuren Isabella. Außerdem fand ich dort in dem schlichten Bürgermädchen eine Weiblichkeit und Tugend, wie sie nur selten in den 287 vornehmsten Kreisen angetroffen wird. An dem Krankenbette ihrer gelähmten Mutter zeigte sie eine Aufopferungsfähigkeit, eine Geduld ohne gleichen; sie verdiente im vollsten Maße die Theilnahme, welche ich ihr bewies, und ist auch von Seiten des Gemüths der würdige Abdruck meiner unvergeßlichen Isabella.«

Dies Zeugniß aus dem Munde des Kaisers beschwichtigte auch die letzten Zweifel in der Brust Maria Theresia's. Mit jener ihr eigenen Liebenswürdigkeit und herzgewinnenden Milde streckte sie Josepha ihre Hand entgegen, welche diese ehrfurchtsvoll an ihre Lippen drückte und mit ihren Thränen benetzte.

»Ich habe Dir Unrecht gethan,« sagte die hohe Frau im freundlichsten Tone, »und bin Dir daher eine Revanche schuldig. Dein Glück soll fortan meine Sorge sein, und außerdem gestatte ich Dir, Dir sogleich eine Gnade auszubitten.«

»So bitte ich um Vergebung,« flehte Josepha mit gefalteten Händen, »für einen Schuldigen, der seinen Irrthum schwer bereut. Nur die Verzweiflung hat meinen Verlobten zu einer so großen Sünde getrieben. Verzeihen Sie ihm, Ihre Majestät, wie ich ihm längst verziehen habe.«

»Das will ich thun,« erwiderte die Kaiserin mit gnädigem 288 Lächeln. » Damit er aber nicht wieder in eine ähnliche Versuchung geräth, soll er Dir seine Hand für immer reichen. Die Aussteuer will ich übernehmen, und der Kaiser wird gewiß wieder großmüthig sein und ihm einen Posten geben. Da er, wie ich höre, eine schöne Hand schreibt, so kann er ihn ja als Sekretär in seiner Hofkanzlei gebrauchen.«

»Er soll die Stelle haben,« sagte Joseph, indem er dem armen Anton, der wie im Traume stand, freundlich auf die Schulter klopfte, »unter der Bedingung, daß er das gute Kind auf seinen Händen trägt und für die kranke Mutter sorgt, wie es einem guten Sohne zukommt.«

»Darauf gebe ich mein Wort,« entgegnete der glückliche Bräutigam, dem sich der Himmel aufzuthun schien.

»Mir aber,« fügte Maria Theresia launig hinzu, »soll er noch das Versprechen geben, sich nicht wieder ins Wasser zu stürzen, wenn nicht Alles nach seinem Kopfe geht. Nicht immer ist gleich ein Kaiser oder eine Kaiserin bei der Hand, um solch einen Tollkopf zu retten. Der Mensch darf aber nicht gleich verzweifeln, wenn ihm der Himmel eine Prüfung zu seinem Besten schickt; denn über uns Alle wacht ein gütiger Vater, der über den ersten Herrscher der Welt wie über den letzten Unterthanen seine Hand beschützend hält.«

 


 


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