Max Ring
Lose Vögel
Max Ring

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Die Freuden einer Hochzeitsreise.

»Sprecht mir von allen Schrecknissen der Hölle, nur nicht von den Freuden einer Hochzeitsreise,« sagte unser Freund, der Doktor Burger, indem er das vor ihm stehende Glas mit Rheinwein zurückstieß.

»Aber ich begreife nicht, was du gegen die allgemeine Sitte haben kannst,« versetzte Assessor Hellwig, der sich nächstens zu verheirathen gedachte.

»So eine Hochzeitsreise ist eine Erfindung des Satans, die charakteristische Ausgeburt unserer ruhe- und rastlosen Gegenwart, die keine Gemüthlichkeit, keinen wahren Herzensgenuß mehr kennt. Kaum daß man die Trauung überstanden hat, so stürmt man aus der Kirche nach der Eisenbahn, wirft sich in das erste beste Coupé, wo man 86 mit seiner jungen Frau kein vertrauliches Wort wechseln, keinen Blick, keinen Händedruck tauschen kann, ohne von allen Seiten begafft und kritisirt zu werden. Statt der Häuslichkeit, von der man als Bräutigam träumt, findet man nur unbehagliche Hotels mit dumpfigen Zimmern, eine langweilige Gasthaustafel mit feuchten Servietten und ungenießbarem Braten, unverschämte Kellner und prellende Wirthe mit ellenlangen Rechnungen, wenn nicht noch Schlimmeres.«

»Nach Deiner Wuth zu schließen, mußt du wirklich traurige Erfahrungen gemacht haben.«

»Ich darf mich gar nicht daran erinnern, sonst geräth mein Blut sogleich in Wallung. Es war ein verwünschtes Abenteuer –«

»Ein Abenteuer!« lachte der Assessor. »Das mußt Du uns zum Besten geben.«

»Damit Ihr mich zum Besten habt; daraus wird nichts.«

»Du bist es mir schuldig, wenn Du mich als Freund warnen und vor einer gleichen Thorheit bewahren willst.«

»Nun, meinetwegen!« sagte der Doktor, indem er 87 sich eine frische Cigarre anzündete. »Vielleicht nimmst Du Dir ein Exempel daran.«

»Ich bin ganz Ohr, wenn der weise Nestor spricht.«

»So höre und schaudre. Ich war der glücklichste Mensch der Welt und hätte gewiß mit keinem Könige getauscht, als ich mit meinem reizenden Weibchen, das Ihr ja kennt, nach erfolgter Trauung die versprochene Hochzeitsreise antrat. Nach einem solennen Frühstück, wobei wir vor Liebe und Aufregung keinen Bissen genießen konnten, nahmen wir von den Eltern und Verwandten den zärtlichsten Abschied. Begleitet von ihrem Segen und ihren Glückwünschen stiegen wir in den Wagen, der uns nach dem Eisenbahnhofe brachte. Da wir uns etwas verspätet hatten, so mußte ich mich jetzt beeilen, um in dem Gedränge mir die nöthigen Billette und das Gepäck, welches keineswegs ganz unbedeutend war, zu besorgen.«

»Während ich mich mit Kutscher und Gepäckträger wegen ihrer unverschämten Forderungen herumzankte, wartete meine junge Frau in dem Salon der zweiten Klasse, wo ihr wohl die Zeit lang geworden sein mochte, da ich bei dem großen Andrang der Reisenden länger 88 aufgehalten wurde, als es mir lieb war. Wie ich endlich zu ihr zurückeilte, fand ich sie mit gerötheten Augen, mit dem feinen Battisttuch ihre Thränen trocknend, worüber ich mich keineswegs verwunderte, da es ja ihre erste längere Trennung von Eltern und Geschwistern war.«

»Sobald die Glocke das Zeichen zur Abfahrt gab, eilte ich mit meiner Rosa auf den Perron, um mir mit Hilfe eines Achtgroschenstückes einen bequemen Platz zu sichern. Ein für solche galvanische Berührungen empfänglicher Schaffner schloß mir ein leeres Coupé auf, wo ich mit meiner jungen Frau im ungestörten Tête-à-tête zu verbleiben hoffte. Natürlich bot ich meine ganze Liebenswürdigkeit auf, um sie zu zerstreuen und den Schmerz des Abschieds vergessen zu machen, was mir jedoch nicht so leicht gewinnen wollte, da die Erinnerungen an das verlassene Vaterhaus noch zu frisch waren.«

»Ach die arme Mutter!« seufzte sie traurig. »Sie wird gewiß heute Nacht aus Sorge um mich kein Auge schließen.«

»Das ist grade nicht sehr schmeichelhaft für mich. Sie weiß, daß Du Dich in den besten Händen befindest.«

»Das wohl, lieber Emil, aber Du ahnst gar nicht, 89 wie sehr sie mich liebte. Ich fürchte, daß sie vor Sehnsucht noch krank werden wird.«

»Du ängstigst Dich umsonst. Die gute Mama ist zu vernünftig, um eine solche Thorheit zu begehen.«

»Wie!« versetzte Rosa pikirt, »Du hältst ihre Liebe für eine Thorheit?«

»Gott behüte! Aber ich glaube nur, daß sie durchaus keinen Grund hat, sich zu ängstigen, oder gar vor Aufregung krank zu werden.«

»Keinen Grund zur Aufregung!« zürnte meine junge Frau. »Ist die Trennung einer Mutter von ihrer Tochter kein Grund? Aber was weiß ein Mann von den Gefühlen eines Mutterherzens? Ich wollte es niemals glauben, aber leider ist es nur zu wahr, daß Ihr Alle ausgemachte Egoisten seid.«

»Aber mein süßes, mein theueres Kind, wie kannst Du nur denken –«

»Doch das süße, theuere Kind wollte nicht hören und zog sich in die entgegengesetzte Ecke des Coupé's zurück, die ihr als Schmollwinkel diente. Umsonst flehte ich um ihre Verzeihung, obgleich ich mir nicht der geringsten Schuld bewußt war, vergebens bat und beschwor 90 ich sie, mir zur Versöhnung ihre Hand zu reichen, sie antwortete mir nur mit einem Thränenstrom, der über ihre holden Wangen wie ein Regenschauer über ein Rosenbeet niedertröpfelte. Ich selbst aber kam mir wie ein armer Sünder vor, da ich wie so mancher brave Mann alles eher, als das Weinen einer geliebten Frau ertragen kann.

»Mein Humor wurde nicht besser, als wir auf der nächsten Station trotz meines Achtgroschenstückes und aller Protestationen einen unwillkommenen Reisegefährten erhielten, der unserm bisherigen Tête-à-tête ein Ende machte. Ohne meine zurückweisenden Worte und Blicke zu beachten, ließ sich derselbe mit seinem schweren Reisesacke in unserer Mitte nieder mit einer Zudringlichkeit, die mich gelinde zur Verzweiflung trieb. Schließlich blieb mir jedoch keine andere Wahl, als mich in mein Schicksal zu ergeben, obgleich mir die Sache äußerst fatal war.

»Abgesehen von diesem Grunde, mißfiel mir mein neuer Begleiter außerordentlich, so daß weder seine Physiognomie noch sein Benehmen mich auf seine nähere Bekanntschaft begierig machten. Es war ein kleiner ältlicher Herr mit einem kahlen Kopf und jenen mir unausstehlichen Backenbärten in Form von Kalbskotteletten. 91 Sein Gesicht trug den unverkennbaren Stempel des vollkommenen Philisters, jene unangenehme Mischung von Schlauheit und Bornirtheit, von Selbstgefälligkeit und Zudringlichkeit. Dazu kam noch ein lauernder Zug, der sich in den rastlos herumschweifenden kleinen Augen und der fortwährend schnüffelnden Nase verrieth, um mir seine Gesellschaft nur noch mehr zu verleiden.

»Trotz meiner Zurückhaltung, in der ich anfänglich seine Gegenwart ignorirte, ließ er sich nicht abschrecken, ein Gespräch mit mir anzuknüpfen, das sich jedoch mehr zu einem von ihm allein geführten Monolog gestaltete, aus dem ich ersehen konnte, daß er ein wohlhabender, glücklicher Familienvater u. s. w. war. Wider meinen Willen und ohne mein Zuthun machte er mich mit seinen Verhältnissen, seinem politischen Glaubensbekenntnisse, seinen religiösen und moralischen Grundsätzen, mit dem Stammbaum seiner weit verzweigten Familie, mit Fabrikation und den Preisen der verschiedenen Ledersorten vom russischen Juchten bis zum spanischen Corduan bekannt.

»Zu jeder andern Zeit hätte mich vielleicht sein Geschwätz belustigt, aber in meiner augenblicklichen Stimmung 92 erschien mir seine Gesellschaft unerträglich, so daß ich bis zur Unhöflichkeit einsilbig und wortkarg war, was er jedoch nicht im Geringsten beachtete. Vollends aber brachte mich seine Neugierde zur Verzweiflung, die er um jeden Preis zu befriedigen suchte. Der kleine Mann war ein verkörpertes Fragezeichen, ein geborener Spion, so daß man ihn leicht für einen geheimen Polizisten halten konnte.

»Sie reisen wohl nach Köln?«

»Ja!«

»In Geschäften?«

»Nein!«

»Zum Vergnügen?«

»Ja!«

»Denken Sie sich lange aufzuhalten?«

»Nein!«

»Sie gehen wohl noch weiter?«

»Vielleicht.«

»Mit Ihrer lieben Frau?«

»Ja!«

»Um den mir lästigen Fragen ein Ende zu machen, griff ich nach meinem Reisehandbuch, und that, als ob ich darin lesen wollte. Endlich schien der zudringliche Herr 93 den Wink zu verstehn. Er schwieg und zog aus seiner Reisetasche ein Blatt hervor, in das er sich vertiefte, bis er darüber eingeschlafen war. Ich benutzte diese erfreuliche Ruhepause seiner Sprachwerkzeuge, um mich meiner noch immer mit mir schmollenden Rosa zu nähern.

»Zürnst Du mir noch?« fragte ich leise.

»Du hast es zwar verdient,« versetzte sie in demselben Ton, »aber Du weißt nur zu gut, wie sehr ich Dich liebe.«

»Du sollst es nie bereuen, nie bedauern, daß Du mir gefolgt bist.«

»Ach, Du ahnst nicht, wie weh Du mir gethan hast.«

»Es soll gewiß nicht wieder vorkommen, aber auch Du bist nicht ganz ohne Schuld.«

»Ist es nicht natürlich, daß eine Tochter an ihre verlassenen Eltern zurückdenkt? Meine arme Mutter –«

»Fängst Du schon wieder von Neuem an?«

»Wenn ich mich nicht schämte, so würde ich auf der Stelle zu ihr zurückkehren und mich in ihre Arme stürzen.«

»Du würdest Dich und mich dem allgemeinen Gelächter aussetzen. Der Skandal wäre für uns Beide entsetzlich. Man würde auf uns mit Fingern zeigen.« 94

»Ich wollte selbst die Gefahr der Lächerlichkeit nicht scheuen, um meine Mutter wiederzusehn.«

»Das kann doch unmöglich Dein Ernst sein.«

»Mein völliger Ernst. Wenn Du mich wirklich liebst, so laß uns noch heute umkehren.«

»Und ich werde nie dazu meine Einwilligung geben, selbst wenn ich Dich mit Gewalt entführen sollte.«

»Oh!« schluchzte Rosa. »Du bist ein Tyrann, ein Barbar, der mein Herz mit Füßen tritt.«

»Um des Himmels Willen!« bat ich leise. »Nimm Dich zusammen. Wir sind nicht allein.«

Unser Reisegefährte, der fest zu schlummern schien, erwachte jetzt und rieb sich die Augen. Ich gab Rosa einen Wink, die verrätherischen Thränen zu trocknen, während ich selbst eine möglichst gleichgiltige Miene anzunehmen suchte. Der kleine Herr aber fixirte mich mit seinen eigenthümlich lauernden Blicken in einer wahrhaft unverschämten Weise.

»Junger Mann!« sagte er nach einer Pause mit einem Anstrich väterlicher Salbung. »Geben Sie sich keine Mühe, mich zu täuschen. Ich weiß alles.«

»Ich glaube gar,« versetzte ich empört, »daß Sie 95 sich nur schlafend gestellt haben, um mich desto besser zu belauschen. Das ist eine Indiskretion, die ich mir ernstlich verbitten muß.«

»Junger Mann!« versetzte der pathetische Philister. »Ich kann Ihnen nur einen Rath geben. Kehren Sie um, so lange es noch Zeit ist, und bereuen Sie Ihre Unbesonnenheit.«

»Ich habe keinen Rath von Ihnen verlangt und muß Sie schon ersuchen, sich nicht unberufen in meine Angelegenheiten zu mischen.«

»Als Familienvater und Staatsbürger bin ich verpflichtet, Sie vor den Folgen Ihres Leichtsinns zu warnen. Im Namen der Tugend und Moral beschwöre ich Sie, von Ihrem sträflichen Vorhaben abzulassen.«

»Was unterfangen Sie sich, mein Herr!«

»Nie werde ich es dulden, daß Sie in meiner Gegenwart gegen ein schutzloses Wesen Gewalt üben. Ich werde die Unschuld aus den Klauen des Verführers retten und die reuige Tochter Ihren betrübten Eltern zurückgeben, soweit dies in meiner Macht steht.«

»Herr! Sie scheinen das Bischen Verstand verloren zu haben, das Sie noch besitzen.« 96

»Keine Injurien, junger Mann! Sie sollen mich noch heute kennen lernen.«

»Ich glaubte in der That, daß der kleine Herr wahnsinnig geworden sei; weshalb ich den lächerlichen Wortwechsel abbrach, noch dazu da Rosa mich ängstlich bat, die Sache nicht auf das Aeußerste zu treiben. Während er noch einige Drohungen in den Bart murmelte, kehrte ich ihm den Rücken, ohne weitere Notiz von dem zudringlichen Narren zu nehmen.

»Auf der nächsten Station, wo der Zug längere Zeit verweilte, verließ uns der Reisegefährte mit auffallender Eile, worüber ich die größte Freude empfand, indem ich mir mit der angenehmen Hoffnung schmeichelte, Ihn durch meine entschiedene Grobheit für immer verscheucht zu haben. Dieser Gedanke gab mir meine gute Laune wieder, und ich scherzte heiter mit Rosa über den alten Ritter der Damen, an dem sie einen unvermutheten Beschützer und Bundesgenossen gefunden hatte.

»Während wir noch herzlich das komische Abenteuer belachten, trat ein Herr in der Uniform eines Polizeibeamten an uns heran und forderte uns höflich aus, ihm zu folgen. – Es blieb uns nichts übrig, als dem 97 Diener des Gesetzes zu gehorchen, der uns gleich zwei ertappten Verbrechern durch die gaffende Menge der Passagiere nach der Inspektion führte.

»Sagen Sie mir, was das zu bedeuten hat?« fragte ich entrüstet.

»Das sollen Sie sogleich erfahren,« entgegnete mein Begleiter mit geheimnißvoller Amtsmiene.

»Unter solcher Eskorte wurden wir in ein besonderes Zimmer gebracht, wo Rosa zurückbleiben mußte, wogegen ich in die Amtsstube genöthigt wurde, wo ich unseren bisherigen Reisegefährten vorfand, der sich angelegentlich mit dem Polizei-Inspektor zu unterhalten schien.

»Es ist gut,« sagte der Beamte. »Sie können jetzt gehn, damit Sie nicht den Zug versäumen. Später werden Sie eine Vorladung erhalten, um nöthigenfalls ihre Aussage zu beschwören.«

»Mit einer Verneigung empfahl sich der kleine Mann, der mir im Fortgehen noch einen malitiösen Blick zuwarf, woraus ich schließen konnte, daß er die alleinige Ursache dieses mir unerklärlichen Verfahrens war. Während ich diese Betrachtungen anstellte, schrieb der Polizei-Inspektor an dem vor ihm liegenden 98 Protokoll, indem er von Zeit zu Zeit einen beobachtenden Inquirentenblick auf meine Person richtete, ohne mich eines Wortes zu würdigen, so daß mir zuletzt die Geduld riß.

»Werde ich endlich erfahren, warum ich hier festgehalten werde?« fragte ich erbittert.

»Eine solche Kühnheit mochte dem Polizeityrannen der kleinen Stadt noch nicht vorgekommen sein; vor Entsetzen ließ er die eingetauchte Feder fallen und starrte mich sprachlos an.

»Herr! Wer sind Sie und wie heißen Sie?« fragte er barsch, nachdem er sich von seinem Schrecken erholt hatte.

»Ich heiße Emil Burger und bin Doktor der Philosophie.«

»Das kann Jeder sagen. Haben Sie eine Paßkarte oder sonstige Papiere, um sich zu legitimiren?«

»Ich bedauere, daß ich Ihnen nicht damit dienen kann. Für eine Reise im Inlande habe ich eine solche Vorsicht nicht für nöthig gehalten.«

»Das ist verdächtig, höchst verdächtig. Ein Mensch, der sich nicht zu legitimiren vermag, ist immer ein 99 gefährliches Individuum. Wissen Sie auch, daß ich Sie festnehmen kann?«

»Doch nur, wenn ein begründeter Verdacht gegen mich vorliegt.«

»Das wird sich finden. Jetzt antworten Sie auf meine Fragen und räsonniren Sie nicht! Verstanden?«

»Ich werde Ihnen gern jede Auskunft geben, die Sie von mir verlangen dürfen.«

»Wozu reisen Sie?«

»Zu meinem Vergnügen!«

»Allein oder in Gesellschaft?«

»In Begleitung meiner Frau.«

»Ihrer Frau?« versetzte der Polizei-Inspektor mit zweideutigem Lächeln. »Sind Sie denn wirklich verheirathet?«

»Allerdings, seit heute Morgen,« entgegnete ich voll Verwunderung über seinen Zweifel.

»Das mögen Sie einem Andern weiß machen. Wo haben Sie Ihren Trauschein?«

»Sie werden doch nicht verlangen, daß ich alle Dokumente bei mir trage?« 100

»Sie haben keinen Trauschein, folglich sind Sie auch nicht verheirathet.«

»Diese Logik will mir nicht einleuchten,« versetzte ich unwillkürlich lächelnd.

»Das Lachen soll Ihnen schon vergehen,« brummte der Tyrann, »wenn Sie erst vor dem Staatsanwalt stehen werden. Ein bis zwei Jährchen Gefängniß werden wohl bei der Geschichte herauskommen.«

»Es kann doch kein Verbrechen sein, wenn man mit seiner Frau eine kleine Reise macht?«

»Das wohl, aber wenn man ein junges, minorennes Mädchen entführt und dabei mit Gewalt droht, so ist das eine andere Geschichte.«

»Ich begreife nicht, wie Sie zu einer solchen Annahme kommen, für die Sie auch nicht den geringsten Grund haben können.«

»Das sollen Sie gleich hören. Ihr Reisegefährte, der sich vollständig legitimiren konnte, hat Sie denunzirt, daß Sie ein junges Mädchen gegen ihren Willen aus dem elterlichen Hause entführt haben.«

»Und Sie können der Aussage eines solchen Narren Glauben schenken?« 101

»Der Herr ist vollkommen zurechnungsfähig und hat sich bereit erklärt, seine Angaben zu beschwören.«

»Aber ich sage Ihnen, daß er sich durch einige mißverstandene Aeußerungen täuschen ließ.«

»Das sind faule Ausreden. Können Sie es leugnen, daß die junge Dame Sie flehentlich gebeten hat, sie zu ihrer Mutter zurückzubringen?«

»Keineswegs, aber nur aus Sehnsucht, aus einer natürlichen Bangigkeit.«

»Haben Sie nicht dem armen Mädchen gedroht, nöthigen Falls Sie mit Gewalt zu entführen?«

»Auch das muß ich zugeben, obgleich ich mich nur von meinem Eifer zu einer derartigen Aeußerung hinreißen ließ.«

»Und hat die junge Dame nicht heftig geweint und sich gesträubt?«

»Allerdings hat Rosa auch geweint. Aber Sie können sie selbst fragen, ob ich nicht die Wahrheit spreche.«

»Das wollen wir gleich sehn,« erwiederte der Polizei-Inspektor, indem er mit der vor ihm stehenden Glocke läutete und den Befehl gab, meine Frau hereinzuführen.

Bleich und verlegen erschien das arme Kind, das 102 zum ersten Mal in seinem Leben einem Verhöre beiwohnte und schon deshalb an allen Gliedern zitterte. Ich wollte ihr entgegeneilen, um sie zu beruhigen, aber der Polizeityrann hinderte mich daran.

»Kein Wort!« rief er barsch.

»Ich werde doch mit meiner Frau reden dürfen,« versetzte ich entrüstet.

»Damit Sie sich mit ihr verständigen und ihr einen Wink geben. Das kennen wir schon.«

»Aber, mein Herr –«

»Ruhig! Oder ich werde von der mir zu Gebote stehenden Macht Gebrauch machen.«

»Um des Himmelswillen!« bat Rosa, »thun Sie ihm nichts. Er ist gewiß unschuldig.«

»Das werden wir gleich aus Ihren Antworten ersehn!«

»Was soll ich denn sagen?« fragte sie ängstlich.

»Nur die Wahrheit. Wie lange kennen Sie schon den Angeklagten?«

»Länger als zwei Jahre.«

»Er hat Sie überredet, mit ihm das elterliche Haus zu verlassen?« 103

»Ich bin ganz gern mit ihm gegangen.«

»Da hören Sie selbst,« sagte ich einfallend.

»Aber unterwegs haben Sie Reue empfunden und verlangt, zu Ihren Eltern zurückzukehren.«

»Das wohl, aber es war nur ein thörichter Wunsch, wie ich erst jetzt einsehe.«

»Im Gegentheil. Ihr Gewissen war erwacht, und Sie erkannten noch rechtzeitig Ihre Unbesonnenheit.«

»Ich sehnte mich zu sehr nach meiner guten Mutter.«

»Und der Angeklagte drohte, mit Gewalt Sie an Ihrem Vorsatz zu hindern.«

»Emil ist von Herzen gut, nur manchmal etwas heftig.«

»Sie haben sich bitter über ihn beschwert und sogar geweint.«

»Ich war in der That so kindisch.«

»Der Angeklagte behauptet, daß Sie seine angetraute Frau sind.«

»Das bin ich auch seit heute Morgen.«

»Können Sie den Beweis für Ihre Behauptung beibringen?«

Rosa antwortete nicht, sondern blickte mich erröthend 104 und verlegen an, während der Polizei-Inspektor sie mit unverschämten Augen anstarrte. Ich mußte mich gewaltsam bezwingen, um den frechen Menschen nicht zu ohrfeigen, wodurch ich jedenfalls mir die größte Unannehmlichkeit zugezogen hätte.

»Machen Sie,« rief ich erbittert, »dieser unwürdigen Posse ein Ende, oder ich werde mich höheren Ortes über Ihr unverantwortliches Verfahren beschweren.«

»Das können Sie haben,« versetzte der brutale Polizei-Inspektor. »Vorläufig aber sind Sie mein Gefangener.«

»Das heißt den Scherz doch zu weit treiben, da ich unmöglich glauben kann, daß Sie im Ernst mich zu verhaften gedenken, wo Ihnen jeder Grund dazu fehlt.«

»Meinen Sie wirklich? Sie besitzen weder eine Paßkarte, noch einen Trauschein; Sie reisen in Begleitung einer jungen minorennen Dame unter höchst verdächtigen Umständen und haben, wie ein glaubwürdiger Mann bekundet, derselben mit gewaltsamer Entführung gedroht.«

»Aber Sie hören doch aus ihrem eigenen Munde, daß sie meine angetraute Frau ist und mir freiwillig folgt. 105

»Das sagt die Zeugin jetzt nur, um Sie zu retten. Diese nachträgliche Erklärung steht im Widerspruch mit dem sonstigen Verhalten derselben und ist um so weniger beweiskräftig, da die Zeugin, wie sie selbst nicht leugnet, ein Interesse zur Sache hat, weshalb sie vor dem Richter nicht vollen Glauben haben kann.«

»Aber bedenken Sie doch –«

»Ich weiß am besten, was ich zu thun habe. So lange Sie sich nicht legitimiren können, werden Sie hier in sicherem Gewahrsam bleiben.«

»Und ich protestire gegen diesen Akt einer unverantwortlichen Willkür.«

»Das steht Ihnen frei. Sobald Sie die nöthigen Papiere beibringen, können Sie ungehindert weiter reisen. Bis dahin aber sehe ich mich genöthigt, Sie hier festzuhalten.«

»Sie brauchen nur nach Berlin zu telegraphiren, um sich von meiner Unschuld zu überzeugen. Einstweilen bin ich bereit, eine von Ihnen selbst zu bestimmende Caution zu erlegen, die Sie hoffentlich annehmen werden.«

»Bei einem so schweren Verbrechen, wie es hier 106 vorliegt, kann ich Ihr Anerbieten nicht annehmen. In diesem Falle verlangt das Gesetz die sofortige Verhaftung.«

»Nur mit der größten Mühe vermochte ich meine gewiß nur gerechtfertigte Wuth zu unterdrücken. Vergebens wendete ich noch einmal meine ganze Beredtsamkeit auf, den Polizeityrannen von der Ungerechtigkeit seiner Maßregel zu überzeugen; umsonst verschwendete Rosa ihre Bitten, ihre Thränen an dem Ungeheuer. Außer sich vor Schmerz und Angst umklammerte sie mich, so daß ich mich mit Gewalt von ihr losreißen mußte.«

»Erst jetzt erkannte ich, wie sehr Sie mich liebte, und nie war sie mir reizender erschienen, als in dem Augenblick, wo sie sich laut wegen ihrer Thorheit anklagte und weinend bald mich um Verzeihung, bald den Tyrannen um Gnade anflehte.«

»Nein, nein!« rief sie schluchzend. »Ich werde, ich kann Dich nicht verlassen. Wo Du bist, da will ich auch bleiben und das Gefängniß mit Dir theilen. Das darf mir nicht verwehrt werden.«

»Leider,« erwiederte der Polizei-Inspektor, »muß ich Ihnen diese Bitte abschlagen. Ich selbst werde für Ihr 107 Unterkommen im Gasthofe Sorge tragen, wo Sie so lange unter meiner Aufsicht bleiben sollen, bis Ihre betrübten Eltern Sie abholen oder anderweitig über Sie bestimmen werden.«

»Lieber todt, als mich von meinem Manne trennen!« rief die arme Frau, der ich gar nicht eine solche romantische Leidenschaft zugetraut hätte.

»Wir müssen uns in das Unvermeidliche fügen,« tröstete ich heroisch. »Ich hoffe, daß in wenigen Stunden dieses Mißverständniß sich aufklären wird. Um so freudiger wird unser Wiedersehn sein.«

»Meine schöne Rede wurde leider durch einen Gensdarmen unterbrochen, der meinen Arm ergriff und mich mit sich fortzog, bevor ich meine rührende Abschieds-Elegie beenden konnte. In seiner Begleitung wanderte ich melancholisch durch die Straßen der Stadt nach dem Polizeiverwahrsam zum Gaudium der löblichen Straßenjugend, die in mir einen angehenden Rinaldini oder Schinderhannes vermuthete und mich mit keineswegs schmeichelhaften Ehrennamen begrüßte.

»In meinem Kerker warf ich mich erbittert auf die harte Pritsche und verwünschte die ganze Hochzeitsreise. 108 Meine Lage war in der That wahrhaft tragikomisch, so daß ich nicht wußte, ob ich darüber weinen oder lachen sollte. Statt der gehofften Freuden erlebte ich eine Reihe kaum denkbarer Fatalitäten. Ich saß getrennt von meiner jungen Frau in einer elenden Zelle, hungrig und durstend, da ich den ganzen Tag nicht einen Bissen zu mir genommen hatte. Auf mein Verlangen brachte mir der Kerkermeister ein Stück Schwarzbrod und einen irdenen Krug mit abgestandenem Wasser, das mein ganzes Souper bildete. Mein Lager war ein jammervoller Strohsack und meine Gesellschaft ein notorischer Taschendieb, der mich als seinen angehenden Collegen begrüßte, und als ich gegen seine Vertraulichkeit protestirte, mich höhnisch auslachte.

»Dazu kam noch die Sorge um Rosa, die mir in ihrer Verlassenheit noch beklagenswerther erschien als ich selbst. Meine rege Phantasie malte mir ihre Verzweiflung, ihren Schmerz mit den lebhaftesten Farben aus. Ich sah sie in dem Hotel unter fremden Menschen vor Scham und Angst vergehend, die Hände ringend sich schlaflos auf ihrem Lager wälzen; ich hörte sie im Geiste klagen, seufzen und vergebens nach mir rufen. Es war wirklich, um darüber wahnsinnig zu werden. 109

»Von Minute zu Minute, von Stunde zu Stunde stieg meine Ungeduld. So oft ich ein Geräusch hörte, erwartete ich die Verkündigung meiner Befreiung. Nach meiner Ansicht mußte die telegraphische Auskunft längst eingetroffen sein, und doch wurde ich noch immer widerrechtlich zurückgehalten. Ein furchtbarer Verdacht gegen den Polizeityrannen, den ich jeder Schandthat für fähig hielt, stieg in meiner Seele auf. Dem Wahnsinn nahe, sprang ich von meinem Lager auf; ich rüttelte und klopfte an die Thür meines Kerkers, die jedoch aller meiner Anstrengungen spottete.

»Jetzt nahten sich Schritte; es konnte nur der Bote sein, der mir Erlösung aus dieser Hölle bringen sollte. Aber statt des sehnsüchtig erwarteten Befreiers erschien mein Gefängnißwärter, der mich grob wegen des verursachten Skandals anfuhr und im Wiederholungsfalle mit den ernstlichsten Repressalien drohte. Ich hätte den Menschen erwürgen mögen, aber in Anbetracht seiner Stellung und seiner derben Fäuste blieb mir nichts übrig, als mich in Geduld zu fassen und gute Miene zum bösen Spiel zu machen.

»Knirschend vor Wuth suchte ich vergebens 110 einzuschlafen. Wenn ich die Augen schloß, verfolgten mich das Bild meiner armen Rosa, die faunischen Züge des Polizeityrannen. Außerdem lag ich keineswegs auf Rosen gebettet; die ungewohnten Strohhalmen meiner Gefängnißmatratze kitzelten und stachen mich, wenn es nicht lebendige Wesen waren, die mir die Ruhe raubten und mich vollends zur Verzweiflung brachten.

»Erst gegen Morgen überwältigte mich die Müdigkeit; ich träumte von meiner jungen Frau, mit der ich mich in einem schön bewimpelten Nachen auf dem grünen Rheinstrom schaukelte. Zärtlich umschlungen tauschten wir süße Worte der Liebe, feurige Küsse, als mich plötzlich eine rauhe Hand aus meinen holden Träumen weckte. Als ich schlaftrunken emporfuhr, erblickte ich statt meiner geliebten Rosa meinen nichts weniger als liebenswürdigen Kerkermeister.

»Ziehen Sie sich an,« sagte er barsch, »und folgen Sie mir auf der Stelle.«

Meine Toilette war schnell gemacht, da ich meine Kleider gar nicht abgelegt hatte. In Ermangelung eines Kammes fuhr ich mit meinen fünf Fingern mir durch's Haar. So frisirt erschien ich vor meinem Peiniger, in 111 dessen Gesellschaft ich bereits meine Rosa fand. Mit einem Freudenschrei stürzte das gute Kind in meine Arme.

»Du bist frei!« rief sie mir entgegen.

»In der That,« fügte der Polizei-Inspektor hinzu, »das Mißverständniß hat sich vollkommen aufgeklärt, Ihrer Abreise steht jetzt nichts mehr im Wege, da Sie als gänzlich unverdächtig legitimirt sind.«

»Ist das alles?« fragte ich mit bitterer Ironie.

»Sie haben nur noch eine Kleinigkeit zu bezahlen,« versetzte er lächelnd. »Hier die Rechnung für die telegraphische Depesche hin und zurück, für Ihr Nachtquartier, Transportkosten und Verköstigung, macht zusammen fünf Thaler zehn Silbergroschen.«

»Ich werde nicht einen Pfennig zahlen, sondern Genugthuung verlangen.«

»Das kann Ihnen nichts nützen, da Sie allein die Schuld tragen. Sollten Sie sich weigern, so werde ich auf Ihr Gepäck Beschlag legen.«

»Auch das noch,« brummte ich voll ohnmächtiger Wuth, indem ich meine Börse zog, um nur aus dem verwünschten Loche loszukommen.

»Nun dürfen Sie in Gottesnamen reisen,« sagte 112 der malitiöse Polizei-Inspektor. »Für Ihr Geld aber will ich Ihnen einen guten Rath geben. Wenn Sie künftig eine Vergnügungstour machen wollen, so vergessen Sie nicht Ihre Paßkarte und sonstige Papiere, um sich nöthigen Falls legitimiren zu können.«

»Noch in derselben Stunde gab ich meine Hochzeitsreise auf und kehrte wieder um, obgleich Rosa versprach, mir bis an das Ende der Welt zu folgen, wenn ich es von ihr verlangte. Für diesmal hatte ich genug, und seitdem hasse ich nichts so sehr als die Freuden einer Hochzeitsreise, vor denen ich alle meine Freunde warne.«



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