Max Ring
Lose Vögel
Max Ring

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Eine alte Tänzerin.

Fräulein Leon war lange Zeit die Königin des Ballets, die Perle der Tänzerinnen, die unumschränkte Gebieterin der vornehmen Männerwelt. Zur Zeit des Wiener Kongresses sah sie gekrönte Häupter, Fürsten und Staatsmänner zu ihren Füßen. Eines Tages aber, als sie vor ihrem Spiegel mit dem schweren, geschnitzten Goldrahmen stand, bemerkte sie eine leichte Runzel. Sie erschrak, sie weinte, aber die böse Runzel wollte nicht weichen. Nach einem Jahre entdeckte sie ein weißes Haar in ihrer schwarzen Lockenfülle. Wüthend zog sie die verrätherische Spur ihres Alters aus, aber die weißen Haare wurden immer zahlreicher und der Runzeln immer mehr. Mit jedem weißen Haar fiel ein Verehrer von ihr ab, und mit jeder neuen Runzel verschwand einer ihrer Anbeter. Endlich stand sie 164 allein, verlassen von dem glänzenden Kreise, der sie einst huldigend umgeben. Sie nahm ihren Abschied von der Bühne und lebte von nun an in strengster Zurückgezogenheit, vergessen von der treulosen Welt.

Nur ein einziger Freund war ihr geblieben. Der alte pensionirte Balletmeister, der sie zuweilen, wenn es seine müden Beine erlaubten, besuchte und mit ihr von den vergangenen Tagen sprach oder über die Entartung der neueren Tanzkunst klagte. Da saßen die beiden ehrwürdigen Ruinen einstiger Herrlichkeit in dem kleinen Salon mit den verblaßten Tapeten auf dem gelbseidenen Sopha, das mit seinen griechischen Formen und den vergoldeten Sphynxen an die längst vergessenen Moden des ersten Kaiserreiches erinnerte.

An den Wänden hingen einige verbleichte Pastellgemälde, welche die Tänzerin in ihren Hauptrollen darstellten, außerdem bemerkte man eine Mater dolorosa, eine Copie der Venus von Tizian und die büßende Magdalena nach Correggio. Zu den Füßen der alten Dame lagerte ein halbes Dutzend größerer und kleinerer Hunde, sorgfältig gepflegt und gewaschen, während sie auf ihren Armen gewöhnlich eine blendend weiße, seidenweiche Angora-Katze trug. 165

Wenn die Hunde, was nicht selten vorkam, durch ihr lautes Gebell oder durch ein leiseres Knurren sich in das Gespräch mischten und die Unterhaltung zu stören suchten, so drohte sie den unartigen Thieren, denen sie allerlei wunderliche Namen beilegte.

»Kusch, Baron! Willst Du wohl artig sein, Graf! Unter den Tisch, Monsieur le Duc! Geben Sie die Pfote, Prince!« Dazu stieß sie ein eigenthümlich kurzes, spöttisches Lachen aus, in das der alte Balletmeister mit einstimmte, worauf er eine Prise bedächtig aus seiner Dose nahm und dieselbe mit der ihm eigenen Grazie zur Nase führte.

»Immer noch die Alte!« bemerkte er bei dieser Gelegenheit, während die Tänzerin ihm den Thee in einer echten Sèvres-Tasse reichte, um die sie ein Sammler von Antiquitäten beneidet hätte.

»Und doch bin ich alt, sehr alt geworden!« seufzte sie, indem sie einen traurigen Blick in den gegenüberstehenden Spiegel warf.

»O!« erwiederte der galante Freund. »Ihr Herz ist jung geblieben.«

»Wer hat Ihnen das gesagt? Alberne Redensarten! 166 Die Liebe altert nicht, denn sie stirbt schon als Kind – aber das Herz!«

»Wenn man Sie sprechen hört, sollte man wirklich glauben, daß Sie nie ein Herz besessen, und doch behauptet die Welt das Gegentheil von Ihnen.«

»Die Welt!« spottete die Tänzerin mit einem stolzen, superben Lächeln. »Was weiß die Welt von uns? Sie hat mir hundert Liebschaften angedichtet, alle möglichen Abenteuer zugeschrieben, von denen alle ohne Ausnahme erlogen sind. Lügen, nichts als Lügen.«

»Auch die Geschichte mit dem Herzog?« fragte der skeptische Balletmeister, der sich allein eine solche Freiheit ungestraft herausnehmen durfte.

»Pah! Der Herzog!« rief sie mit einer verächtlichen Bewegung.

Bei diesen Worten sprang der Hund empor, den sie »Herzog« zu nennen pflegte, weil er glauben mochte, daß sie ihn gerufen. Das zärtliche Thier wollte ihre noch immer schöne Hand lecken, aber sie gab ihm einen wenn auch noch so leichten Tritt mit ihrem kleinen Fuß, worauf der »Herzog« beschämt unter das Sopha kroch, während die Tänzerin wieder ihr früheres spöttisches Lächeln erschallen ließ. 167

»Ich glaube jetzt auch, daß die Welt gelogen,« sagte der Balletmeister, »wenigstens in Bezug auf – den Herzog.«

Es folgte eine Pause, wo man nichts hörte, als den einförmigen Pendelschlag der Alabaster-Uhr auf dem Kamin; selbst das Knurren des »Herzogs« unter dem Sopha war verstummt. Die alte Tänzerin stieß einen Seufzer aus, und der Balletmeister, der nicht wußte, was er davon denken sollte, nahm eine neue Prise aus seiner goldenen Dose.

»Sollten Sie wirklich niemals geliebt haben?« fragte er nach geraumer Zeit, nur um die stockende Unterhaltung wieder aufzunehmen.

Statt zu antworten, ergriff die Tänzerin seine Hand und führte ihn lautlos in ihr Schlafzimmer. Dasselbe glich einem Trödelladen; es herrschte darin eine seltsame Unordnung, denn man sah ihm an, daß es vorzugsweise von den Hunden benutzt worden war. Sie blieb vor einer kleinen geschweiften Kommode von Rosenholz stehen, welche ganz mit Meißner Porzellanfiguren bedeckt war. Aus der geöffneten Schublade nahm sie ein einfaches Kästchen aus Ebenholz hervor, wozu ein kleiner silberner Schlüssel 168 paßte, den sie an einer schwarzen Schnur auf ihrem Herzen trug.

»Sehen Sie her!« sagte sie mit einem neuen Seufzer.

Der Balletmeister betrachtete einen vergilbten Brief, der fast in Fetzen hing, und ein vertrocknetes Bouquet, das in Staub zu zerfallen drohte. Dann zeigte sie auf ein verstaubtes, mit Spinnweben überzogenes Porträt, in Oel gemalt.

»Dies die Antwort auf Ihre Frage,« fügte sie hinzu. »Das ist sein Bild, doch sehe ich es nicht an. Das ist gut für solche Leute, die keine Zeit haben, um sich zu erinnern. Ich brauche kein Bild,« fuhr sie fort, indem sie ihre abgezehrte, aber schneeweiße Hand auf das Herz legte. »Nun haben Sie meine Reliquien gesehen und Sie können der Welt mit gutem Gewissen sagen, daß die Tänzerin trotz ihrer unzähligen Thorheiten einmal in ihrem Leben wahrhaft geliebt hat. Glauben Sie mir, mein Freund, jedes Frauenherz verbirgt ein Heiligthum und hat neben vielen falschen Göttern einen Altar für den ewigen Gott der Liebe sich rein bewahrt.«

Während die alte Tänzerin so sprach, leuchteten ihre eingesunkenen Augen wie von einem überirdischen Glanz, 169 und ihre bleichen Wangen rötheten sich von einem Anhauch der entschwundenen Jugend. Achtungsvoll geleitete sie der Balletmeister in den Salon zurück, als ob er eine Fürstin führte. Sie hielt noch immer das Kästchen in ihren Händen, das sie vor sich auf den Tisch stellte.

»Ich bin Ihnen,« sagte sie nach einer erwartungsvollen Pause, »eine Erklärung schuldig. Sie sind bereits fast fünfzig Jahre mein Freund, ohne meine Geschichte zu kennen. Das Geheimniß der Liebe gleicht der Rose; wenn man es der Welt Preis gibt, verliert es seinen Duft. Sie haben es jedoch verdient, daß ich mit Ihnen eine Ausnahme mache. Wenigstens soll ein Mensch auf Erden wissen, daß auch eine Tänzerin treu lieben kann. Die Erinnerung wird mir wohl thun und mich in Ihren Augen nicht heruntersetzen.«

»Das haben Sie gewiß nicht zu befürchten,« erwiederte der Balletmeister mit einer respektvollen Verneigung.

»Ich kam,« erzählte die Tänzerin, »wie Sie wissen werden, sehr zeitig zum Ballet, wo ich trotz meiner Jugend bald zahlreiche Freunde und Verehrer fand. Ich lachte bald über die faden Schmeicheleien der jungen Männer, die ich nur zu schnell verachten lernte. Es ging mir mit 170 ihren Huldigungen wie den Lehrlingen der Zuckerbäcker, denen man anfänglich erlaubt, sich nach Gefallen den Magen mit den vor ihnen offen daliegenden Süßigkeiten zu überladen, bis sie einen Ekel davor empfinden und dieselben nicht mehr berühren. Ich zog den Umgang mit älteren Herren vor, unter denen ich jenen berühmten Diplomaten kennen lernte, dem ich meine Bildung und Erziehung verdanke.

»Ich wurde zuerst die Schülerin und später die Freundin des geistreichen Mannes, der zur Zeit des Wiener Kongresses eine so bedeutende Stellung unter den versammelten Staatsmännern einnahm. Ihnen brauche ich nicht zu sagen, daß dies Verhältniß, worüber die Welt ihre Glossen machte, ein rein väterliches von seiner Seite war. Er suchte bei mir Erholung und Zerstreuung von den anstrengenden Arbeiten, mit denen er damals überbürdet war. Mein harmloses Geplauder ergötzte ihn, wie ihn meine Fortschritte, die er sorgsam überwachte, erfreuten.

»Wie Sie sich noch erinnern werden, war mein hoher Freund nicht nur wegen seiner staatsmännischen Talente, sondern eben so sehr wegen seiner ausgezeichneten Diners berühmt. Er liebte vor Allen in seinen Mußestunden und 171 besonders an seiner Tafel die Gesellschaft bedeutender Männer und liebenswürdiger Frauen. Oefters pflegte er zu sagen: Zu einem vollendeten Diner gehören drei Dinge, ein guter Koch, gute Zuthaten und gute Unterhaltung. Mir selbst wurde häufig die Ehre zu Theil, bei ihm in der glänzenden Gesellschaft zu speisen, wobei sowohl der Wirth wie seine Gäste mich mit der höchsten Achtung behandelten, nicht als ob ich eine Ballettänzerin sondern eine geborene Fürstin gewesen wäre.

»Bei einem dieser reizenden Diners stellte mir der Graf einen jungen Verwandten vor. Er hieß mit seinem Vornamen Egon, war Offizier und hatte im letzten Kriege mit Auszeichnung gedient. Jetzt wollte er sich in Wien erholen und wie alle Welt an den gebotenen Vergnügungen Theil nehmen. Im ersten Augenblick mißfiel er mir; er schien ein Geck zu sein, und ich habe Gecken nie leiden mögen. Fortwährend drehte er seinen schwarzen Schnurrbart, allerdings den schönsten, den ich je gesehen. Er schien nicht zu wissen, wer ich war, da der Graf mich mit väterlicher Vertraulichkeit nur bei meinem Vornamen zu nennen pflegte. Bei Tische unterhielten wir uns theils über gleichgiltige Dinge, theils über die hervorragenden 172 Persönlichkeiten des Kongresses, von denen der Graf die pikantesten Geschichten zu erzählen wußte.

»Mein Nachbar schien nichts weniger als geistreich und sprach nur selten mit. Wie zufällig erfuhr ich nur, daß er in der Schlacht bei Laon durch seine Tapferkeit allgemeine Bewunderung erregt und mit einem hohen Orden dafür belohnt worden war. Als wir vom Tisch aufstanden, neckte der Graf seinen Verwandten wegen der bewiesenen Schweigsamkeit und nannte ihn nur den ganzen Abend über »den stummen Ritter«; was jener sich gefallen ließ, ohne seinen Fehler zu verbessern.

»Am nächsten Abend wurde das Ballet »Ariadne auf Naxos« gegeben, worin ich wie immer die Hauptrolle hatte. Ich trug ein kurzes griechisches Gewand und einen Kranz von Weinlaub in den Locken. Noch nie hatte ich so schlecht getanzt, obgleich ich mir keinen Grund dafür anzugeben vermochte. In der Loge des Grafen, der mir freundlich zunickte, bemerkte ich den jungen Offizier, der mich mit brennenden Blicken anstarrte. Wohin ich mich auch wenden mochte, schienen mich seine dunklen Augen zu verfolgen. Ich wußte nicht, wie es kam, aber ich vergaß das Publikum und mußte fortwährend nur an ihn denken. Darüber 173 ärgerte ich mich so sehr, daß ich auf meine Pas kaum achtete.

»Um mich zu zerstreuen, fuhr ich den folgenden Mittag zur Zeit der Promenade in den Prater, wo sich damals noch die feine Welt zu versammeln pflegte. In dem Gewühl der Equipagen entdeckte ich Egon, der ein herrliches Pferd ritt. Unwillkürlich fiel mir wieder der melancholische Ausdruck des bleichen, interessanten Gesichtes auf. Er grüßte mich und näherte sich meinem Wagenschlag. Mehrere Minuten beobachteten wir Beide ein auffallendes Schweigen. Da ich eine Artigkeit von ihm erwartet hatte, frug ich in gereiztem Ton, ob er gestern im Ballet gewesen und mich gesehen. »Schade, daß Sie tanzten!« erwiederte er mit einem tiefen Seufzer. Ich wollte ihm zürnen, aber ich vermochte nicht; der Ton seiner Stimme rührte mich fast bis zu Thränen.

»Ich wußte selbst nicht, wie es kam, daß wir uns plötzlich in einer abgelegenen Allee befanden. Es war ein herrlicher Sommertag, Alles erschien mir in einem andern wunderbaren Licht, der Himmel, die Bäume, die Menschen und selbst die Pferde kamen mir verklärt vor. Ich sah wie durch einen goldenen Schleier. 174

»Wir sprachen nicht und fühlten um so mehr. Aus Verlegenheit betrachtete ich den Brillantring, den ich am Finger trug, ein Geschenk des Kaisers Alexander, und ließ ihn in der Sonne spielen. Er faßte meine Hand, ich wollte sie ihm unwillig entziehen. Dabei beugte er sich vom Pferde so tief zu mir herab, daß ich fürchtete, er werde fallen. Das unruhige Thier, das er nicht mehr ganz in seiner Gewalt hatte, bäumte sich; ich erbleichte und stieß einen Schrei aus.

»Mein Gott!« rief ich zitternd. »Sie werden noch Schaden nehmen.«

»Ich sterbe gerne zu Ihren Füßen,« erwiederte er. »O mein Fräulein! Wenn Sie wüßten, wie sehr ich Sie liebe.«

»Er sprach diese Worte mit unbeschreiblicher Zärtlichkeit, wie von einer überirdischen Gewalt hingerissen, fast wider Willen. Es war die Liebe selbst, die mit seinen Lippen redete. Ich hatte nicht mehr die Macht, ihm zu zürnen. Er nahm meine Hand und bedeckte sie mit seinen heißen Küssen, ohne daß ich sie zurückzog. Unsere Blicke begegneten sich von Zeit zu Zeit wie kreuzende Blitze; wir sprachen kein Wort und waren doch beredt. Welche 175 Schwüre ewiger Liebe, welche Versprechungen unendlichen Glückes!«

Die alte Tänzerin hielt hier tief ergriffen inne. Sie war ganz bleich geworden, nur ihre Augen leuchteten im Abglanz der Vergangenheit. Der treue Balletmeister wagte nicht, ihr Schweigen zu unterbrechen, bis sie sich wieder erholt hatte.

»Vier Wochen,« fuhr sie nach einer Pause fort, »verflossen uns wie ein Traum. Ich vergaß die ganze Welt um den Geliebten und verzichtete auf alle meine Triumphe. Da er es wünschte, meldete ich mich krank, um nicht mehr vor der Welt zu tanzen. Ich brachte ihm das größte Opfer, indem ich einer Nebenbuhlerin in der Gunst des Publikums meine glänzendsten Parthieen überließ. Das tiefste Geheimniß, welches er von mir forderte, erhöhte nur noch den Zauber unserer Liebe. Selbst der Graf hatte keine Ahnung von unserem Verhältniß, da Egon aus Pietät für seine zärtlich geliebte Mutter mir und sich diesen Zwang vorläufig auferlegte. Er hoffte jedoch alle diese Hindernisse zu besiegen und die Einwilligung seiner Eltern noch zu erlangen, da diese ihm noch nie eine Bitte versagt hatten.

»Einstweilen genossen wir die Gunst des Augenblicks. 176 Jeder Tag war ein Fest für uns, jede Stunde brachte neues Entzücken. Um allen Nachforschungen zu entgehen, hatte ich mich unter dem Vorwande, meine angegriffene Gesundheit zu pflegen, auf das Land zurückgezogen, während Egon nach wie vor in Wien lebte, um keinen Verdacht zu erregen. Erst gegen Abend trug ihn sein schnelles Roß zu mir in unser verschwiegenes Asyl, wo ich ihn mit Sehnsucht erwartete. Wir gingen in dem anstoßenden Park bei einbrechender Dämmerung spazieren; dann tranken wir unsern Thee, wobei ich die Wirthin machte. Egon besaß eine schöne Stimme und spielte meisterhaft Klavier, zuweilen las er mir die Werke unserer klassischen Dichter vor, die ich erst durch ihn verstehen und würdigen lernte. Mein Liebling war Goethe's »Egmont«, während er für das bürgerliche »Clärchen« schwärmte.

»Nicht selten ergriff mich wieder die alte Liebe zu meiner Kunst und ich tanzte, aber nur für ihn. Mitten in einem Pas, das sonst die Welt entzückte, stürzte ich selig zu seinen Füßen. Er hob mich vom Boden auf, er drückte mich an sein Herz und verzieh mir, daß ich einst für Andere getanzt. Ich höre noch immer seine schöne Stimme, sie klang wie Musik aus einer besseren Welt! 177

»Vier Wochen waren uns so in ungetrübtem Glück vergangen, als Egon eines Abends später als sonst erschien. Sein Gesicht war bleich, auf seiner hohen Stirn ruhte eine finstere Wolke, sein ganzes Wesen verrieth eine furchtbare Aufregung, die er mir vergebens zu verbergen suchte. »Um Gottes willen!« rief ich erschrocken, »was ist Dir geschehen?« – »Nichts,« murmelte er düster. – »Ich will, ich muß es wissen,« erwiederte ich, von bangen Ahnungen ergriffen. Als ich in ihn drang, sagte er mit angenommener Gleichgiltigkeit: »Ich komme vom Grafen, der so eben eine wichtige Nachricht durch den englischen Gesandten erhalten hat. Napoleon hat die Insel Elba verlassen und ist an der französischen Küste gelandet.« – »Was kümmert uns Napoleon?« entgegnete ich, indem ich seine Besorgnisse hinwegzuscherzen suchte.

»Trotzdem ich mich bemühte, ihn aufzuheitern, blieb er ernst und sorgenvoll, obgleich er nie zärtlicher als an diesem Abend war. Seine Verstimmung hatte auch mich angesteckt und nachdem er gegangen, mußte ich weinen. Ich warf mich unausgekleidet auf das Sopha und schlief sehr unruhig, träumte auch immer von Egon. Als ich die Augen aufschlug, glaubte ich noch immer zu träumen. 178 Er stand vor dem Sopha in der Uniform seines Regiments.

»Egon!« schrie ich, erschrocken aufspringend.

»Lebe wohl!« sagte er bleich und zitternd.

»Du willst mich verlassen?«

»Ich muß. Der Krieg ist gegen Napoleon erklärt. Mein Regiment hat den Befehl erhalten, zur Armee zu stoßen, die sich an der belgischen Grenze sammelt.«

»O mein Gott!« erwiederte ich weinend. »Was soll aus mir werden? Ich will Dir folgen.«

»Fasse Dich, Marianne! Aller Berechnung nach wird der Kampf nicht von langer Dauer sein. Ich werde wiederkehren.«

»In einem Jahrhundert. Unterdeß werde ich gestorben sein. Du tödtest mich, wenn Du gehst.«

»Nimm Vernunft an! Ich darf nicht zurückbleiben, wenn die Ehre ruft. Deine Liebe wird mich beschützen. Wenn ich als Sieger zurückkomme, soll uns nichts mehr trennen. Das schwöre ich Dir.«

»Eine Stunde lang nahmen wir Abschied unter Küssen und Thränen. Er ging und ich blieb in dem einsamen Landhaus, um ihn in der Stille zu beweinen. Einige Wochen 179 später erhielt ich diesen Brief, den Sie hier sehen. Er war von Egon mit zitternder Hand geschrieben. Eine Kugel hatte ihn bei Belle-Alliance in die Brust getroffen. Er starb an seiner Wunde und ich sah ihn nicht wieder. Soll ich Ihnen meine Qualen, meine Schmerzen schildern? Ich vermag es jetzt selbst nach so langen Jahren nicht. Endlich erholte ich mich von dem furchtbaren Schlage; ich mußte leben. Ich hatte eine Mutter, jüngere Geschwister, deren einzige Stütze ich war. Die Noth führte mich zum Theater zurück; der Tanz war einmal mein Beruf, bald von Neuem meine einzige Leidenschaft. Bei meinem Wiederauftreten wurde ich von dem Publikum mit Enthusiasmus empfangen; ich flog von Triumph zu Triumph. Aus Verzweiflung stürzte ich mich jetzt wie rasend in den Strudel der mir gebotenen Zerstreuungen. Ich wurde angebetet, vergöttert. Alle liebten mich, aber ich liebte nur noch – einen Todten. Als ich jenes einsame Landhaus verließ, wo ich einst so glücklich war, pflückte ich jenes welke Bouquet zur Erinnerung. Ich nahm nichts mit mir als diese Blumen und sein Porträt, das in meiner Schlafstube hängt. Jetzt wissen Sie, mein Freund, daß auch eine Tänzerin lieben kann.« 180

»Verzeihen Sie meine Zweifel,« erwiederte der Balletmeister, indem er sich auf ihre abgezehrte Hand hernieder beugte, um seine Rührung zu verbergen.

»Und nun,« sagte die alte Tänzerin, »noch eine Bitte. Wenn ich sterbe, so sorgen Sie dafür, daß dieser Brief und das Bouquet mir in den Sarg gelegt werden. Sollte aber nach meinem Tode von mir und meinen Abenteuern die Rede sein, so können Sie getrost sagen: Einmal hat die alte Tänzerin doch wahr geliebt, und darum wird auch Gott ihr ihre Sünden vergeben.«



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