Max Ring
Lose Vögel
Max Ring

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Durch die Feldpost.

I.

»Zum Sterben langweilig!« seufzte der Lieutenant von Hartleben, der schon seit Monaten bei der dritten Feldbatterie vor Paris stand.

»Zu Befehlen, Herr Lieutenant!« antwortete sein getreues Echo, der Offiziersbursche Hans Grützner aus Berlin. »Tag für Tag dieselbe Suppe mit blauen Bohnen; vom frühen Morgen bis zum späten Abend das ewige Geschieße, daß Einem der Kopf brummt.«

»Und keine Abwechslung, keine Zerstreuung. Es ist nicht zum Aushalten.«

»Soll ich vielleicht einen Kaffee kochen?«

»Du willst mich wohl mit Deinem höllischen Gebräu ersäufen?« 116

»Zu Befehlen, Herr Lieutenant!« erwiederte der Bursche. »Ich dachte nur, daß eine Tasse Mokka Sie auf andere Gedanken bringen würde.«

»Meinetwegen!« versetzte der Lieutenant, indem er seine zehnte Cigarre anzündete, die jedoch zu seinem Aerger keine Luft hatte.

»Es wird wohl eine von den Liebesgaben sein, die niemals nicht brennen wollen!« bemerkte Grützner, der auf dem wackelnden Tisch den Kaffee in der Blechmaschine bereitete.

»Lass' Deine schnodrigen Berliner Redensarten sein und halte Deinen ungewaschenen Mund,« entgegnete der verdrießliche Offizier.

Bald darnach herrschte in dem wüsten Zimmer, das dem Offizier zum Quartier diente, ein tiefes Stillschweigen, welches nur durch das Knistern der Spiritusflamme, durch das Zischen des siedenden Wassers und das laute Gähnen des gelangweilten Lieutenants unterbrochen wurde. Selbst das Schießen von dem nahen Mont Valerien, oder wie er im Soldatenmunde hieß, von dem »Onkel Baldrian« hatte aufgehört.

Es war wirklich zum Sterben langweilig und die 117 ungewohnte Ruhe wahrhaft drückend. Dazu kam noch der aschgraue Winterhimmel, die mit fußhohem Schnee bedeckte, in ein einförmiges Weiß gehüllte Landschaft, die grundlosen Wege, welche den Verkehr mit den Kameraden in der Nähe erschwerten und das Ausbleiben aller Nachricht aus der Heimath, um den sonst so lebenslustigen Lieutenant vollends zu verstimmen.

Plötzlich schmetterte ein heller Ton aus der Ferne, bei dessen Klang der verzweifelnde Offizier von dem zerrissenen Sopha auffuhr, während der Bursche sein breites Gesicht zu einem freundlichen Grinsen verzog.

»Es wird Allarm geblasen,« sagte der Lieutenant aufgeregt. »Gott Lob, daß wir wieder zu thun bekommen! Sattle den Schimmel und halte Alles parat.«

»Zu Befehlen, Herr Lieutenant,« versetzte Hans Grützner, ohne sich vom Fleck zu rühren.

»Hast Du denn nicht gehört, was ich gesagt habe? Ich glaube, daß Du von dem vielen Schießen taub geworden bist.«

»Umgekehrt wird ein Schuh daraus,« erwiederte der verwöhnte Bursche. »Mein Gehör ist ganz gut, aber der Herr Lieutenant scheinen, mit Respekt zu melden, an Ohrenverstopfung zu leiden.« 118

»Du wirst mich noch rasend machen mit Deiner Unverschämtheit!«

»Zu Befehlen, Herr Lieutenant. Aber mit den Franzosen ist es diesmal Essig; die denken nicht daran, uns bei dieser Hundskälte anzugreifen. Sie haben noch an der letzten Keile genug.«

»Aber ich glaube doch deutlich das Signal gehört zu haben.«

»Es wird wohl nur eine optische Täuschung gewesen sein,« entgegnete der gebildete Berliner, der sich mit besonderer Vorliebe solcher fremden Worte bediente, wobei es ihm auf eine Verwechselung der Begriffe nicht ankam.

Zum zweiten Mal schmetterte es durch die kalte Winternacht, diesmal aber so klar und deutlich, daß man die Töne besser unterscheiden konnte.

»Merkst Du was!« brummte der Bursche, seinen Herrn spöttisch von der Seite anschielend.

»Die Feldpost!« rief dieser elektrisirt.

»Die Feldpost!« wiederholte das Echo in triumphirender Weise.

»Schnell! – Frage, ob für mich Briefe mitgekommen sind!« 119

Diesmal ließ sich Hans Grützner nicht lange bitten, da er noch größere Eile als sein Gebieter zu haben schien. Wie der Blitz fuhr er mit seinen Armen in den grauen Kommismantel, setzte er die alte Soldatenmütze schief auf das kurz geschorene Haupt und stürzte fort nach dem Hause, vor dem die eben angelangte Feldpost hielt.

Hier war ein Drängen und Treiben, wie es sich gar nicht beschreiben läßt. Offiziere und Gemeine, Infanteristen und Kavalleristen warteten mit Sehnsucht auf die Vertheilung der eingegangenen Nachrichten aus der Heimath. So manche Hand, die vor dem Feinde nie gezittert, bebte jetzt, als sie das Siegel erbrach; so manches Männerauge, das selten oder nie geweint, füllte sich jetzt mit Thränen, und über manches wilde, bärtige Gesicht flog ein milder Freudenschimmer. Da stand der junge Soldat und las den Brief seiner Mutter, deren Liebe nicht nur aus jedem Wort, sondern auch aus den beigelegten blauen Wollensocken sprach, die sie mit eigener Hand gestrickt, und neben ihm der alte Landwehrmann, der die liebevollen, wenn auch unorthographischen Zeilen seiner Frau und die Krackelfüße seiner Kinder mit Entzücken las.

Endlich kam auch die Reihe an Freund Grützner, der 120 auf seine Anfrage einen Brief erhielt, mit dem er zu seinem Herrn eiligst zurückkehrte.

»Nun, wie steht's?« fragte dieser, ungeduldig dem Boten schon von Weitem die Hand entgegenstreckend.

»Es ist man blos Einer gekommen,« antwortete der Bursche phlegmatisch.

»So gib doch her!«

»Nicht für Sie, Herr Lieutenant, nur ein Brief für meine Wenigkeit.«

»Was der Kerl für ein Glück hat!« dachte der Offizier, der seinen Diener im Stillen darum beneidete.

Die getäuschte Erwartung war eben nicht dazu angethan, die gute Laune des Lieutenants zu verbessern. Verdrießlich starrte derselbe durch die gefrorenen Fensterscheiben den rothen Abendhimmel an, während der Bursche einige abgebrochene Schemelbeine in den Kamin warf und das letzte Stearinlicht anzündete, da es bereits in dem Zimmer dunkel geworden war.

Nachdem er in solcher Weise für die nöthige Wärme und Beleuchtung gesorgt, machte er es sich bequem, indem er den alten Lehnstuhl an das lodernde Feuer rückte und den Brief aus der Tasche zog, über den er erst einige Mal 121 mit dem Aermel seiner Uniform strich, um das zerknitterte Papier zu glätten. Mit Bedacht öffnete er das Couvert, es von allen Seiten betrachtend, und langsam, als ob er erst jedes einzelne Wort buchstabiren müsse, las er den Brief, der ihn in hohem Grade zu interessiren und zu erfreuen schien, wie der Lieutenant an dem lachenden Gesicht zu bemerken glaubte.

»Du hast gewiß gute Nachrichten von Deinen Eltern erhalten?« fragte er theilnehmend.

»Dieses weniger. Mein Alter ist ein großer Oekonomikus und spart selbst an der Tinte.«

»Dann wird der Brief wohl von Deinem Schatz sein?«

»Das stimmt! – die Louise hat mir geschrieben und das ordentlich, acht ganze Seiten voll.«

»Du bist wirklich beneidenswerth,« versetzte der Lieutenant, halb im Ernst, halb im Scherz, mit einem Anstrich leichter Ironie.

»Alles, was wahr ist. Die Louise ist ein nettes Mädchen und sehr gebildet, ich möchte sagen, zu gebildet für Unsereinen.«

»Nun, der Fehler läßt sich leicht ertragen.« 122

»Je nachdem,« entgegnete der Bursche nachdenklich. »An und für sich ist Bildung eine schöne Sache, aber unter Umständen kann sie auch eklich werden.«

»Du machst mich wirklich neugierig,« erwiederte der Lieutenant, den in Ermangelung jeder besseren Unterhaltung das Gespräch mit seinem Diener zerstreute und belustigte.

»Sehen Sie, Herr Lieutenant!« fuhr dieser fort, »jedes Ding hat zwei Seiten und die Bildung auch. Wenn mir die Louise einen gebildeten Brief schreibt, so ist das ganz gut und freut mich sehr, aber wenn ich darauf antworten soll, so ist mir das sehr unangenehm und genirt mich, weil man sich doch als Mannsperson nicht von einem weiblichen Wesen beschämen lassen will.«

»Jetzt verstehe ich Dich erst. Du fürchtest, Dich vor ihr zu blamiren, weil Du nicht so gut schreiben kannst wie sie.«

»O! mit dem Schreiben geht es noch an, mir fehlt nur, was man den Styl nennt. Auf eine Postkarte versteh' ich mich ganz gut; da schreibt man d'rauf, wie Einem der Schnabel gewachsen ist, und kann sich auch kurz fassen, zum Beispiel: ich bin gesund und hoffe desgleichen; vergiß nicht, mir Butter und Cigarren zu schicken; im Uebrigen 123 verbleibe ich Dein Dich liebender Hans Grützner. – Das bringe ich fertig, aber so ein langer Brief mit Liebe und Gefühl ist kein Kinderspiel und macht Einem Kopfschmerzen, wenn man keinen Briefsteller oder sonstige Unterstützung hat.«

»Du thust mir leid,« scherzte der Lieutenant, »und wenn ich Dir helfen kann –«

»Einzigster, bester Herr Lieutenant!« rief der hocherfreute Grützner. »Da würden Sie mir einen großen Gefallen thun. Mir ist es nur allein von wegen der Blamage.«

»Wenn ich aber an Deiner Stelle antworten soll, so muß ich doch zuvor den Brief Deines Schatzes lesen. – Es stehen doch keine Geheimnisse darin?«

»Gott behüte! Die Louise ist ein anständiges Mädchen. Was wir uns zu schreiben haben, kann jedes Kind wissen.«

Mit diesen Worten reichte der Bursche seinem Herrn den so gepriesenen Brief, den dieser mit boshaftem Lächeln entgegennahm. Bald jedoch verwandelte sich der Spott des Offiziers in ein unverkennbares Erstaunen, das von Satz zu Satz sich steigerte. In jeder Zeile, aus jedem Wort der Schreiberin athmete eine natürliche Anmuth, eine Innigkeit des Gefühls, eine Zartheit der Empfindung und eine 124 weibliche Feinheit, die um so mehr überraschen mußte, da sich alle diese Eigenschaften vereint in dem Briefe eines gewöhnlichen Dienstmädchens fanden, so daß der Lieutenant einen eigenen Augen nicht trauen wollte.

»Das geht nicht mit rechten Dingen zu,« sagte er nachdenklich, nachdem er bis zu Ende gelesen. »Unbegreiflich! Weißt Du sicher, daß das Mädchen den Brief geschrieben hat?«

»Das steht bombenfest!« versetzte der ehrliche Grützner. »Ich werde doch ihre Handschrift kennen?«

»Und Du glaubst nicht, daß ihr Jemand dabei geholfen hat?«

»Wer sollte ihr geholfen haben? Die alte Geheimeräthin, bei der sie dient, schreibt keine Liebesbriefe. Bei der würde Louise schön ankommen; und sonst kennt sie keinen Menschen in dem ganzen Hause.«

»Um so räthselhafter erscheint mir die ganze Angelegenheit. Das Mädchen besitzt, wenn es wirklich diesen Brief geschrieben hat, nicht nur eine für ihren Stand ungewöhnliche Bildung, sondern auch Herz und Gemüth. Wenn sie eben so schön ist, so kannst Du Dir zu einem solchen Schatz wirklich gratuliren.« 125

»Ja, die Louise hat es in sich,« versetzte der geschmeichelte Bursche. »Die kann Einem etwas zu rathen aufgeben; und gefallen würde sie Ihnen auch: nett gewachsen, drall zum Anbeißen, rothe Wangen wie die Borsdorfer Aepfel und Augen wie zwei feurige Kohlen.«

»Wenn Du nicht bald aufhörst, so verliebe ich mich noch ganz in das Mädchen!« scherzte der Lieutenant gut gelaunt.

»Sie werden doch nicht?« entgegnete der ehrliche Hans etwas stutzig. »Doch davor bin ich sicher; der Herr Lieutenant sind kein solcher Schwiemel; und heirathen werden Sie kein Dienstmädchen, denn das wäre gegen die Subordination und würde sich auch nicht schicken. Außerdem hat mir die Louise ihr Wort gegeben, und wenn erst der verwünschte Krieg ein Ende hat und ich gesund nach Hause komme, so machen wir gleich Hochzeit. Die Ausstattung liegt schon lange fertig; etwas haben wir Beide uns gespart, und wenn ich noch die Civilversorgung kriege, warten wir keine Stunde mehr.«

»Nun, was ich dazu beitragen kann, will ich mit Vergnügen thun.«

»Wenn Sie mir nur jetzt erst helfen wollen, damit 126 ich mich nicht blamire. Sie brauchen mir den Brief nur zu diktiren; denn schreiben muß ich selber, sonst riecht die Louise gleich den Braten, da sie meine Handschrift kennt.«

Während der ehrliche Hans die Tintenflasche und Feder suchte, den Tisch näher rückte und sich in die gehörige Positur setzte, ging der Offizier, über eine Antwort sinnend, mit verschränkten Armen in dem kleinen Zimmer auf und ab. Die Aufforderung des Burschen machte ihm Spaß und bot ihm eine willkommene Unterhaltung. Nach und nach kam er in den rechten Zug, und da es ihm weder an Geist noch an Humor fehlte, so brachte er einen interessanten Brief zu Stande, auf den der Bursche nicht weniger eitel war, als wenn er ihn selbst verfaßt hätte.

»Prächtig! ausgezeichnet!« rief er voll Bewunderung. »Die Louise wird Augen machen und vor mir und meiner Bildung Respekt bekommen. Das muß man Ihnen lassen, der Herr Lieutenant verstehen den Rummel.«

»Ich komme da zu einer Liebeskorrespondenz, von der ich nicht das Geringste habe.«

»Na! der liebe Gott wird es Ihnen lohnen, was Sie an einem armen Burschen thun.«

»Jetzt aber wollen wir schließen. Mein ganzer 127 Vorrath an zärtlichen Redensarten ist erschöpft, und beim besten Willen kann ich nicht weiter.«

»Nur noch die Unterschrift: Dein Dich ewig liebender Hans Grützner von der dritten leichten Feldbatterie – Dann Punktum und Streusand drauf!«

In seiner Freude über den gelungenen Brief und in der Eile hätte der glückliche Bursche bei einem Haar statt des Sandes das Tintenfaß über den Bogen geschüttet, wenn ihn nicht sein Herr zurückgehalten hätte. Noch an demselben Abend, obgleich draußen ein eisiger Wind stürmte, trug er das Schreiben auf die Post, stolz auf ein solches Meisterwerk, mit dem er seiner Geliebten nicht wenig zu imponiren hoffte.

Eine Woche verging, bevor die Antwort kam, was bei der weiten Entfernung und der unsicheren Verbindung gar nicht zu verwundern war. Voll Ungeduld erwartete der Bursche die Ankunft der nächsten Feldpost, aber fast noch ungeduldiger erschien sein Herr. Endlich schmetterte das Horn wieder und Grützner lief mit Siebenmeilenstiefeln, so daß er außer Athem schon nach wenigen Minuten mit dem ersehnten Briefe zurückkehrte, den der Lieutenant laut vorlas. 128

»Das wird ja immer toller!« sagte dieser, nachdem er geendet hatte. »Wenn hier nicht Zauberei im Spiele ist, so steht mir der Verstand still. Den Brief könnte die Rahel oder Bettina geschrieben haben.«

»Die sind mir nicht bekannt und gehen auch nicht mit der Louise um.«

»Das glaube ich gern,« lachte der Lieutenant. »Doch wie kommt das Mädchen zu solchem Geist? – Dahinter steckt sicher ein Geheimniß!« setzte er nachdenklich hinzu.

»Ich hab's!« rief der Bursche. »Die Louise ist schlau und hat sich gewiß den Briefsteller für Liebende gekauft. Da ist es keine Hexerei, daß man gebildet schreibt.«

»Du bist ein Dummkopf. Kein Briefsteller in der ganzen Welt besitzt diese Anmuth, Grazie und liebenswürdige Schalkheit, die aus jeder Zeile spricht. Dagegen komme ich mir wie ein Stümper vor und ich schäme mich, ihr einen solch armseligen Brief geschrieben zu haben.«

»Wir dürfen nur nicht die Courage verlieren,« tröstete der gutmüthige Hans. »Das nächste Mal wollen wir uns ordentlich zusammennehmen und der Louise zeigen, daß wir Haare auf den Zähnen haben und uns nicht von einem Frauenzimmer aus dem Sattel heben lassen.« 129

Damit war der Lieutenant einverstanden, da ihn das Abenteuer reizte. Sogleich mußte sich der Bursche niedersetzen und die Antwort schreiben, die er ihm unter dem frischen Eindruck des eben empfangenen Briefes in die Feder diktirte. Unwillkürlich wurde seine Sprache leidenschaftlicher und wärmer, seine ganze Ausdrucksweise feiner und gewählter. Wenn er auch den Geist und die Maske eines Offiziersburschen beibehielt, so bemühte er sich doch, überall, wo sich dazu die Gelegenheit bot, seinen Witz und angeborenen Humor glänzen zu lassen. Mit der Beschreibung des Lagerlebens und der kriegerischen Ereignisse wechselten Liebesversicherungen und poetische Herzensergüsse.

Diesmal war nicht nur der Bursche sondern auch sein Herr selbst mit dem Briefe zufrieden, der wieder auf die Feldpost wanderte und schon nach einigen Tagen in solcher Weise beantwortet wurde, daß der Lieutenant in der That nicht wußte, was er davon denken und sagen sollte.

Mit jedem Briefe, den er empfing und beantwortete, wuchs seine Bewunderung und seine Theilnahme an der räthselhaften Schreiberin. Die unerwartete Korrespondenz gewährte ihm außerdem einen eigenthümlichen Genuß und eine willkommene Zerstreuung in seinem einförmigen Leben. 130 Mit Ungeduld erwartete er die Ankunft der Feldpost und nur mit Herzklopfen sah er dem Augenblick entgegen, wo sie ihm die ersehnten Zeilen brachte.

Unwillkürlich beschäftigte sich seine Phantasie mit dem Bilde des seltsamen Mädchens, das ihm mit der Zeit ein fast leidenschaftliches Interesse einflößte. Er wurde nicht müde, seinen Burschen nach ihr und ihren näheren Verhältnissen zu fragen, obgleich die Auskunft, welche er von diesem erhielt, ihm keineswegs genügte, um den Widerspruch zwischen ihrer Bildung und Lebensstellung zu lösen.

Er selbst erschöpfte sich in den verschiedensten Vermuthungen über die Briefstellerin, um das wunderbare Räthsel zu erklären. Je mehr er aber darüber nachsann desto mehr fühlte er sich zu ihr hingezogen, desto mehr reizte ihn das sonderbare Abenteuer, desto sehnlicher wünschte er, die Unbekannte zu sehen und kennen zu lernen.

Zuweilen konnte er sich jedoch des Gedankens nicht erwehren, daß vielleicht eine Mystifikation im Spiele sei, daß sich die Louise ebenso wie sein Bursche mit fremden Federn schmücke. Aber die wiederholten Versicherungen des Letzteren und das enthusiastische Lob, das derselbe dem Geist der Geliebten ertheilte, ließen den Verdacht einer 131 absichtlichen Täuschung nicht aufkommen, noch dazu, da Grützner auf die Fragen des Lieutenants jede Hilfe und Einmischung eines Dritten hartnäckig in Abrede stellte.

Aber gerade das geheimnißvolle Dunkel, welches diesen interessanten Briefwechsel und die Erscheinung des seltsamen Mädchens umschwebte, übte einen stets wachsenden Zauber auf die leicht entzündliche Einbildungskraft des Offiziers, der sich eine gewisse Poesie des Lebens bewahrt hatte. Er träumte von einem neuen »Aschenbrödel«, das er mit tausend Reizen schmückte, und sah sich selbst im Geist als glücklichen Prinzen, der die Küchenfee aus ihrer Niedrigkeit erlöste und zu dem ihr gebührenden Rang erhob.

Der poetische Lieutenant war auf dem besten Wege, sich in den Schatz seines Burschen oder vielmehr in ein Phantasiebild zu verlieben; was schon öfters sonst ganz vernünftigen Männern begegnet sein soll.

 
II.

Die seltsamen Schwärmereien des jungen Offiziers, welche durch die Langeweile einer sich monoton hinschleppenden Belagerung noch genährt wurden, hielten ihn jedoch 132 nicht ab, seine militärische Pflicht zu erfüllen. Bei dem berühmten Ausfall der Pariser Besatzung kurz vor der bald darauf erfolgten Kapitulation trug der Lieutenant mit seiner Batterie wesentlich dazu bei, den Angriff des verzweifelten Feindes zurückzuschlagen. Bei dieser Gelegenheit traf eine tückische Kugel seinen rechten Arm. Da der Schuß und der damit verbundene Blutverlust nicht unbedeutend war, so ordnete der behandelnde Arzt den Transport des Lieutenants nach Berlin an, wo er in einem der zahlreichen Hilfslazarethe die nöthige Pflege und sorgfältige Behandlung fand. Mit demselben Eisenbahnzuge reiste auch der treue Bursche, der sich in Folge der Strapazen einen tüchtigen Rheumatismus geholt hatte. Auf Wunsch seines Herrn, der unter diesen Umständen leicht berücksichtigt wurde, begleitete ihn der ehrliche Hans, der dasselbe Zimmer mit ihm theilte.

Ermüdet und angegriffen von der mehrtägigen und anstrengenden Reise suchten Beide am Abend ihrer Ankunft in Berlin zeitig ihr Lager auf und versanken in einen tiefen Schlaf, aus dem sie erst am nächsten Morgen gestärkt erwachten. Als der verwundete Offizier seine Augen aufschlug, erblickte er eine junge Dame, die sich freundlich 133 nach seinen Wünschen und seinem Befinden erkundigte, indem sie sich zugleich als seine Pflegerin vorstellte.

Die wenigen Worte, die sie sprach, das reizende Lächeln des feinen Mundes, die Theilnahme, die aus den seelenvollen blauen Augen leuchtete, machten den angenehmsten Eindruck auf den jungen Offizier, der seit Monaten jeden weiblichen Umgang entbehrt hatte und darum jetzt doppelt dafür empfänglich war.

Nachdem sie kurze Zeit verweilt, verließ sie das Zimmer zu seinem Bedauern, da er sie nur ungern scheiden sah. Bald jedoch kehrte sie mit dem Frühstück zurück, das sie voll Anmuth selbst kredenzte. Da er seine rechte Hand nicht gebrauchen konnte und den Arm in einer Binde trug, so reichte sie ihm die Tasse und unterstützte ihn dabei, wofür er ihr mit herzlichen Worten dankte.

Bald entspann sich eine freundliche Unterhaltung, wobei er Gelegenheit fand, den Geist und die Bildung seiner Pflegerin zu bewundern, die in der That eine reizende Erscheinung war. Leider wurde das Gespräch durch den Eintritt des Lazaretharztes unterbrochen, der den Verband des Verwundeten untersuchte und einige Anordnungen für den rheumatischen Burschen traf, worauf sich die junge 134 Dame entfernte, welche, wie der Lieutenant auf Befragen von dem Arzt erfuhr, Bertha v. Linken hieß und einer der angesehensten Familien in der Residenz angehörte.

»Das Fräulein,« fügte der Doktor hinzu, »ist unermüdlich im Krankendienst, und ich kann Ihnen nur gratuliren, daß Sie auf unsere Abtheilung gekommen sind. Sie werden an ihr die beste Pflegerin finden und außerdem eines der herrlichsten Mädchen in ihr kennen lernen.«

Im Laufe des Tages rechtfertigte die junge Dame das ihr so reichlich ertheilte Lob des älteren Arztes, indem sie in der liebevollsten Weise für die Kranken und Verwundeten sorgte, stets bereit, die Wünsche und Forderungen ihrer Pflegebefohlenen zu erfüllen und ihnen zu dienen.

Gleich dem Engel der Barmherzigkeit ging sie von Bett zu Bett, von einem Leidenden zum anderen, um zu trösten und zu helfen; hier die verordnete Medizin reichend, dort ein loses Verbandstück mit geschickten, zarten Händen befestigend, liebenswürdig, theilnehmend, freundlich gegen Alle, voll Heiterkeit trotz der ernsten Beschäftigung, ohne ihrer Frauenwürde das Geringste zu vergeben.

Dafür genoß sie aber auch die Anerkennung, das Vertrauen und die Zuneigung sämmtlicher Patienten. Wo 135 sie erschien, wurde sie wie eine Botin des Himmels begrüßt und selbst die schwersten Kranken suchten zu lächeln, wenn sie an ihr Lager trat. Da gab es auch nicht Einen, der ihr nicht zu Dank verpflichtet war, dem sie nicht einen Dienst geleistet hätte, dem sie nicht die Zeitung oder aus einem guten Buche vorgelesen, um ihm die Langeweile zu vertreiben, für den sie nicht schon einen Brief an Eltern, Freunde oder Verwandte geschrieben.

Einen derartigen Liebesdienst erwies sie auch heute dem rheumatischen Grützner, als er sie darum ersuchte, der Louise seine Ankunft anzuzeigen, damit sie ihn im Lazareth besuchen sollte. Merkwürdiger Weise zuckte die junge Dame unwillkürlich zusammen, als er ihr zu diesem Behuf den Namen seiner Geliebten und seinen eignen nannte.

»Hans Grützner?« fragte sie, als ob sie nicht gut gehört hätte.

»Zu Befehlen, mein gnädiges Fräulein. Hans Grützner von der dritten leichten Feldbatterie, Offiziersbursche beim Lieutenant v. Hartleben, gegenwärtig als Verwundeter im Lazareth, Barracke Nr. 36,« perorirte er mit militärischer Präzision. 136

»Und die Adresse lautet –«

»Louise Schwalbe, Kammerjungfer bei der Geheimräthin v. Schmerling.«

Wieder zuckte sie zusammen und eine plötzliche Röthe bedeckte das liebliche Gesicht, während sie halb verlegen, halb schalkhaft zu dem Lieutenant hinüber blickte, der ganz in der Nähe lag, so daß er jedes Wort hören konnte.

»Ich werde Ihren Brief sogleich besorgen,« fügte sie freundlich hinzu.

»Aber Sie wissen ja noch nicht die Straße und das Haus.«

»Richtig! Das hätte ich fast vergessen,« erwiederte sie von Neuem erröthend.

»Viktoriastraße 110, in der Beletage.«

»Sie können sich darauf verlassen, daß der Brief richtig abgegeben werden soll.«

»Sie werden sich doch nicht selbst bemühen? Oder sollten Sie vielleicht zufällig die alte Geheimräthin kennen?«

»Nein, nein!« lachte die junge Dame. »Ich meinte nur, daß ich selbst den Brief in den nächsten Kasten legen will, damit er sicher ankommt.« 137

Zugleich entfernte sie sich so eilig, als ob sie nur dazu auf der Welt wäre, um die Liebesbriefe des ehrlichen Burschen zu besorgen, der ihr dafür äußerst dankbar war.

»Ein sehr nettes Fräulein,« bemerkte er, ihr mit Wohlgefallen nachblickend. »Die könnte mir gefallen, weil sie so obligat ist.«

»Obligant,« verbesserte der Lieutenant. »Du hast Dir wohl einen Brief von ihr schreiben lassen?«

»Die Louise mußte doch erfahren, daß wir noch leben und hier sind. Na, die wird Augen machen, die Ueberraschung und die Freude!«

»Ich bin wirklich neugierig, sie kennen zu lernen.«

»Das Vergnügen können Sie genießen. Wenn die alte Geheimräthin nichts dagegen hat, werden wir die Louise morgen sehen.«

Diese Nachricht weckte von Neuem die Sehnsucht des Lieutenants nach dem räthselhaften Mädchen, dem er mit der größten Spannung entgegensah, so daß er mit Ungeduld ihren angekündigten Besuch erwartete. So oft am nächsten Tag zur festgesetzten Visitenzeit die Thüre des Krankenzimmers sich öffnete, fuhr er unwillkürlich von 138 seinem Lager auf, wogegen der ehrliche Hans seine angeborene Ruhe nicht verlor.

Schon hatte der Offizier die Hoffnung aufgegeben, die interessante Briefstellerin heute noch zu erblicken, als in der Dämmerung ein junges Mädchen erschien, in ein dickes, buntes Wollentuch gehüllt, so daß man die Gestalt nicht sogleich erkennen konnte. Nachdem sie das Tuch abgelegt, zeigte sich ein rundes, von der Kälte geröthetes Gesicht und zwei noch röthere Hände, an denen sie sogenannte Pulswärmer von brauner Wolle trug. Mit lauter Stimme frug sie nach dem Offiziersburschen Hans Grützner, der ihr schon von Weitem seine rheumatischen Arme entgegenstreckte.

»Louise!« rief er mit freudigem Lachen.

»Hans! Mir rührt der Schlag noch vor Vergnügen, daß ich Dir wiedersehe!«

Sie war es! das geträumte Ideal des poetischen Offiziers, das mit allem Zauber der Schönheit geschmückte Bild seiner Phantasie stand jetzt in solch »fragwürdiger Gestalt« vor seinen enttäuschten Blicken, daß er sich kaum zu fassen vermochte. Eine untersetzte Figur, mit gutmüthigen aber gewöhnlichen Zügen, keck aufgeworfener Stumpfnase 139 und wasserblauen, nichtssagenden Augen. Und das sollte die Schreiberin jener geistreichen anmuthigen Briefe sein? –

Unmöglich!

Aber konnte nicht der etwas massive Körper nur die schwere Hülle einer schönen Seele sein, die korpulente Form den seinen Geist verbergen?

Auch diese Hoffnung mußte der romantische Lieutenant bei näherer Bekanntschaft schwinden lassen, als er sie im schönsten Berliner Jargon weiterreden hörte.

»Herrjes!« rief sie, die rothen Hände über den Kopf zusammen schlagend, »wie ich mir freue. Ich globte schonst, daß die Franzosen Dir todt geschossen haben, weil Du mich so lange nicht geschrieben hast. Warum hast Du mich nicht auf meinen letzten Brief geantwortet?«

»Weil, weil,« stotterte der ehrliche Hans, »weil der Herr Lieutenant das Malheur hatte –«

»Was vor ein Malheur?«

»Einen Schuß im Arm –«

»Na, das kann Dir doch nicht geniren,« versetzte sie verwundert.

»Das verstehst Du nicht; ein ordentlicher Bursche darf keinen Brief nicht schreiben, wenn sein Herr 140 verwundet ist,« entgegnete der verlegene Hans, der sich in den Augen der Geliebten durch das Eingeständniß des Vorgefallenen nicht blamiren wollte.

»So was lebt nicht! Mir sollte einmal die Geheimeräthin kommen und mir verbieten wollen, an Dir zu schreiben, weil sie die Mikrene (Migraine) hat.«

»Davor sind wir vom Militär und müssen Ordre pariren, was man Subordination heißt.«

»Mach' mir keine Wippchens vor!« entgegnete die pfiffige Berlinerin. »Ich globe, daß Du mir mit Deine Schreiberei beschummelt hast und die schönen Briefe nicht in Deinem Hirn gewachsen sind. Du hast Dir wohl dabei helfen lassen? Sag' mir die Wahrheit!«

»Nur ein Bißchen,« antwortete verschämt der ehrliche Hans. »Der Herr Lieutenant war so gütig und hat mir den Styl diktirt, aber geschrieben hab' ich sie ganz allein; das kann er mir bezeugen.«

»Was hiermit geschieht,« warf dieser lachend dazwischen. »Hoffentlich wird es ihm in Ihren Augen nicht schaden.«

»Wenn's weiter nichts ist,« versetzte das gutmüthige Mädchen, »so braucht er sich keine grauen Haare wachsen zu lassen. Auch ich habe mich meinen Styl verbessern lassen.« 141

»Da schlag doch gleich eine Pudelmütze drein!« schrie der erstaunte Bursche.

»Was dem Einen recht ist, ist dem Andern billig,« bemerkte der Lieutenant. »Wer aber hat Ihnen geholfen?«

»So fragt man die Leute aus,« entgegnete sie schnippisch. »Das darf ich nicht sagen.«

»Ich bitte, ich beschwöre Sie,« rief der Lieutenant mit sichtlicher Aufregung.

»Thue es mir zu lieb,« bat der gute Hans. »Der Herr Lieutenant wird Dich nicht verrathen.«

»Aber das Fräulein hat es mich strenge verboten.«

»Welches Fräulein?« fragte der Bursche.

»Du kennst sie doch nicht, und ich hab' ihr versprechen müssen, reinen Mund zu halten.«

»Ich übernehme jede Verantwortung,« versetzte der Offizier immer dringender, »und gebe Ihnen mein Wort, daß es nicht Ihr Schaden sein soll, wenn Sie mir die Wahrheit sagen.«

»Der Herr Lieutenant verschafft mir die Civil-Versorgung und dann können wir uns auf der Stelle heirathen,« ergänzte der Bursche. 142

»Und mein Hochzeitsgeschenk soll dabei nicht fehlen.«

Einer solchen Versuchung vermochte die gute Louise nicht zu widerstehen, da ihr ohnehin das Geheimniß das Herz abdrückte und sie froh war, es an den rechten Mann zu bringen, der noch dazu ein Lieutenant und der Herr ihres Geliebten war.

»Also das Fräulein?« fragte der Offizier voll Spannung.

»Ist eine Bruderstochter von meiner alten Geheimeräthin,« entgegnete das Mädchen.

»Davon hab' ich ja nichts gewußt,« unterbrach sie Hans Grützner. »Wie kommt denn das?«

»Weil das Fräulein erst seit dem Tode ihres Vaters aus Dresden nach Berlin zu ihrer Tante gekommen ist.«

»Und ihr Name?«

Statt zu antworten, starrte das Mädchen mit weit geöffneten Augen nach der Thür, als ob ihr ein Gespenst erschienen wäre.

»Herrjes!« schrie sie erschrocken, »da ist sie ja selbst.«

»Wer denn?« fragte der Bursche.

»Unser Fräulein!« 143

»Bertha v. Linken!« rief der erstaunte Lieutenant, der jetzt erst seine Pflegerin erblickte.

Mit schalkhaftem Lächeln trat die junge Dame dem überraschten Offizier entgegen, der seine Bewegung nicht zu bemeistern vermochte. Ein Blick auf ihn und auf das bestürzte Dienstmädchen sagte ihr, daß er bereits Alles wußte.

»Können Sie mir den losen Scherz verzeihen?« fragte sie erröthend.

»Ihm verdanke ich die schönsten, die glücklichsten Augenblicke meines Lebens,« erwiederte er mit wahrer Innigkeit. »Ihre Briefe waren meine einzige Unterhaltung vor Paris und gewährten mir den höchsten Genuß durch ihren Geist, Witz und Humor.«

»Darin waren Sie mein Meister,« versetzte sie artig.

»Und Sie mein Vorbild, das ich jedoch vergebens zu erreichen suchte.«

»Sie sind zu bescheiden, Herr Lieutenant!«

»O, mein gnädiges Fräulein! Wenn Sie wüßten, mit welcher Sehnsucht ich die Ankunft der Feldpost erwartete, welch' Vergnügen mir Ihre Zeilen bereiteten, wie sehr ich meinen Burschen darum beneidete –« 144

»Das glaube ich Ihnen gerne,« erwiederte sie mit liebenswürdiger Naivetät, »da es mir ganz ebenso ergangen ist.«

»Wirklich?« rief der entzückte Offizier. »Ich dachte nur –«

»An unsere Louise,« lachte sie schelmisch.

»Nur Ihr Bild umschwebte mich und meine Phantasie schmückte dasselbe mit allen Reizen, und doch erscheint es mir nun arm und dürftig gegen die Wirklichkeit.«

»Sie wollen mich nur für meine Mystifikation jetzt strafen und sich über mich lustig machen.«

»Nein, nein!« fuhr er fort, indem er ihre Hand ergriff, die sie ihm willig überließ. »Ein günstiges Schicksal hat meinen heißesten Wunsch erfüllt. Es ließ mich in Ihnen jene geheimnißvolle, interessante Briefstellerin und zugleich die edelste, anmuthigste –«

»Halten Sie ein!« unterbrach sie ihn lächelnd. »Sie reden im Wundfieber, und wenn Sie nicht bald aufhören, so muß ich den Arzt rufen, damit er Ihnen einen kalten Umschlag verschreibt.«

»Lassen Sie mich Ihnen nur noch sagen –« 145

»Für heute kein Wort mehr, morgen aber sehen wir uns wieder.«

Mit einer anmuthigen Verbeugung und dem freundlichsten, Glück verheißenden Lächeln verabschiedete sie sich von dem Lieutenant, der ihr zärtlich die Hand küßte. Mit ihr zugleich ging auch die etwas kleinlaut gewordene Louise, welche das Fräulein begleitete, nachdem sie ihrem Geliebten eine mitgebrachte Erbswurst heimlich zugesteckt.

Trotzdem der verwundete Offizier eine unruhige Nacht hatte, machte seine Genesung so schnelle Fortschritte, daß er schon nach vierzehn Tagen sein Bett verlassen konnte, was er wohl hauptsächlich der liebevollen Sorgfalt seiner ausgezeichneten Pflegerin zu verdanken hatte. Ihre bloße Gegenwart reichte hin, alle Schmerzen zu mildern und ihn gesund zu machen. Es war daher gewiß nur in der Ordnung und Christenpflicht, daß sie so viel als möglich und schicklich in seiner Nähe weilte.

Natürlich galt sein erster Ausgang der Frau Geheimeräthin v. Schmerling, mit der er eine lange und sehr ernsthafte Unterredung hatte, worauf die alte, höchst gutmüthige Dame ihre Nichte rief und an dieselbe einige sehr 146 verfängliche Fragen richtete, welche diese erröthend zur allseitigen Zufriedenheit beantwortete.

Eine Woche darauf las man in den Zeitungen: »Als Verlobte empfehlen sich Bertha von Linken, Alfred von Hartleben.«

»Das haben wir gut gemacht,« sagte Hans Grützner zu seiner Louise am Verlobungstage.

»Wir!« versetzte sie schnippisch, »Du meinst wohl mir

»Und die Feldpost! Sie soll leben und das Brautpaar daneben!«



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