Max Ring
Lose Vögel
Max Ring

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Der Diebsrath.

I.

Der Geheimerath v. Görne hatte nur zwei Leidenschaften – seine Münzsammlung und seine Tochter Therese. Die Erstere enthielt die kostbarsten Seltenheiten, griechische Dareiken und Ptolemäer, die ganze Reihenfolge der römischen Kaiser und der arabischen Kalifen, viele mittelalterliche Denkwürdigkeiten und Medaillen, Alles in zierlichen, wohlverwahrten Schränken sorgfältig geordnet und fest verschlossen.

Seine Tochter, eine durch Geist, Schönheit und Liebenswürdigkeit ausgezeichnete junge Dame, fand eben so viele und noch mehr Liebhaber, als die berühmte Münzsammlung ihres Vaters, der sich jedoch weder von ihr noch von seinen numismatischen Schätzen trennen wollte. Dies war wohl 4 auch der Grund, daß Fräulein Therese noch nicht geheirathet hatte.

Sie selbst war damit vollkommen zufrieden und einverstanden, da ihr der überaus gutmüthige Geheimerath sonst in allen Dingen freien Willen ließ und sie im eigentlichen Sinne verzog. Seit dem Tode ihrer Mutter, die schon vor mehreren Jahren gestorben war, stand sie an der Spitze des ganzen Hauswesens mit unumschränkter Gewalt in allen inneren Angelegenheiten.

Deshalb war ihr eine gewisse Selbstständigkeit frühzeitig zur zweiten Natur geworden und ohne sich ganz klar zu sein, ließ sie sich hauptsächlich von dieser Liebe zur Freiheit bestimmen, verschiedene annehmbare Bewerber abzuweisen, wodurch sie sich natürlich die Feindschaft der betreffenden Verehrer und ihrer Familien zuzog.

Da sie noch außerdem im Verkehr mit älteren und jüngern Männern, die das Haus ihres gastfreien Vaters häufig besuchten, einen freieren und ungezwungeneren Ton beobachtete, ohne jedoch jemals die Grenzen der Schicklichkeit zu verletzen, besonders aber an dem Umgang mit geistreichen Gelehrten und Künstlern Wohlgefallen fand, die sich nicht gern einen gesellschaftlichen Zwang auferlegen lassen, 5 so gerieth Therese, und zwar nicht ganz ohne eigene Schuld, in den zweideutigen Ruf einer Emanzipirten, obgleich ihr in sittlicher Beziehung nicht der geringste Vorwurf gemacht werden konnte.

Sie kümmerte sich jedoch nicht um das thörichte Geschwätz der Kaffeeschwestern, das sie verachtete, und da sie nach wie vor nur nach ihrer Neigung lebte und nach keinem Menschen fragte, so erbitterte sie ihre Gegner nur noch mehr und schuf sich zu den alten neue Feinde. Zwar fehlte es ihr auch nicht an wirklich wohlmeinenden Freundinnen, die ihr deshalb Vorstellungen machten und sie gelegentlich warnten, aber im Gefühle ihrer Unschuld und geistigen Ueberlegenheit wies sie alle diese Mahnungen zurück, so daß sich ihre weiblichen Bekannten von ihr beleidigt fühlten und sich von ihr meist zurückzogen.

Dafür tauchten täglich neue Verehrer auf, die theils durch Theresens Schönheit, theils durch das Vermögen ihres Vaters verführt, sich weder von ihrer Sprödigkeit, noch von ihren vermeintlichen Emanzipationsgelüsten abschrecken ließen und mit der Zeit den Widerstand der ehescheuen jungen Dame zu besiegen hofften.

Zu diesen Männern zählte vor Allen Doktor Arnold, 6 ein talentvoller Archäologe, dem seine bedeutenden numismatischen Kenntnisse Zutritt zu dem Hause des Geheimraths verschafft hatten. Während er dem Vater bei dem Ankaufe und Ordnen seiner Münzsammlung behilflich war, wurde der junge Gelehrte mit der Tochter bekannt und von einer tiefen und innigen Neigung für die interessante Dame erfaßt.

Sohn eines armen Handwerkers in der Provinz, von Jugend auf in beschränkten Verhältnissen lebend und selbst jetzt noch trotz seiner gediegenen Kenntnisse auf den Erwerb durch seine literarischen Arbeiten angewiesen, hielt er es für eine Vermessenheit, an die Gegenliebe oder gar an eine Verbindung mit der schönen und geistvollen und reichen Therese zu denken, was ihn jedoch nicht abhielt, sie desto mehr im Stillen anzubeten.

Eben so wenig dachte sie an ein ernstes Verhältniß mit dem schüchternen, etwas linkischen Gelehrten, obgleich sie den bescheidenen, stets freundlichen Arnold schon deshalb gerne sah, weil er ihrem Vater so gefällig war und dessen Liebhabereien theilte. Mit der Zeit betrachtete sie ihn wie einen treuen Gehilfen und Angehörigen der Familie, den sie um so zutraulicher behandelte, je weniger sie ihn zu ihren eigentlichen Verehrern zählte. 7

Gewöhnlich kam Arnold, da er am Tage beschäftigt war, gegen Abend zu dem Geheimrath, mit dem er sich bald in ein Gespräch über Münzen und geschnittene Steine vertiefte, während sie den Thee bereitete. Sie selbst interessirte sich nicht besonders für diese einseitige Unterhaltung, obgleich sie zuweilen unwillkürlich durch den jungen Gelehrten gefesselt wurde, wenn dieser, wie das mitunter geschah, das Gebiet der Geschichte oder Mythologie berührte, mit dem sie selbst bekannter war und dem sie darum eine größere Theilnahme schenkte.

In solchen Augenblicken erschien er ihr wie verwandelt, so daß sie ihn kaum wieder erkannte. Sein Gesicht belebte sich dann, seine Augen glänzten und in seinen Worten lag eine überzeugende Gewalt, verbunden mit einem eigenthümlich poetischen Reiz. Gegen seine sonstige Gewohnheit sprach er dann fließend und so gewandt bald von der Herrlichkeit des Alterthums, bald von den Meisterwerken der griechischen Kunst, bald von den Dichtungen und Bauten des germanischen Mittelalters, daß sie nicht müde wurde, ihm zuzuhören.

Dazwischen pflegte wohl der gut gelaunte Geheimrath eine oder die andere Münze aus seiner Sammlung zu 8 holen und dem jungen Freunde seine neuesten Erwerbungen zu zeigen, um dessen Urtheil zu hören und sich an der Bewunderung desselben zu erfreuen, wenn es ihm gelungen war, eine besonders interessante Kuriosität aufzutreiben.

Gerade heute gedachte er seinen Gast durch eine kostbare Bereicherung seines Schatzes zu überraschen, die durch eine besondere Gunst des Zufalls in seinen Besitz gelangt war. Zu diesem Behufe ging er in das nach dem Garten gelegene Kabinet, zu dem nur er und seine Tochter allein den Zutritt hatten. Mit dem in seiner Tasche befindlichen Schlüssel öffnete er einen der Schränke, worin er seine theuersten Münzen aufbewahrte.

Wer aber beschreibt seinen Schreck und sein Entsetzen, als er die erst vor Kurzem erworbene Seltenheit vermißte und außerdem in den herausgezogenen Schubladen noch so manche goldene und silberne Münze von unschätzbarem Werthe fehlte, wogegen die unbedeutenderen Stücke unberührt geblieben waren! Auf den lauten Ruf des bestürzten Geheimraths eilte seine Tochter mit dem jungen Gelehrten herbei.

Sie fanden den alten Herrn in der größten Aufregung, mit bleichem Gesicht, an allen Gliedern zitternd und ganz 9 untröstlich über seinen unersetzlichen Verlust. Während Therese ihn zu trösten und zu beruhigen suchte, eilte Arnold auf ihren Wunsch nach dem Polizei-Bureau in der Nähe, um sogleich die nöthige Anzeige zu machen.

Schon nach wenigen Minuten kehrte er in Begleitung des Kriminal-Kommissarius zurück, der wegen der Wichtigkeit des Falles und aus Rücksicht auf den hohen Rang des Bestohlenen selbst gekommen war, um in eigener Person den Thatbestand an Ort und Stelle aufzunehmen.

Eine genaue Nachforschung des umsichtigen Beamten ergab jedoch, daß weder die Fenster noch die Thür des Münzkabinets erbrochen waren, ebenso wenig konnte man an den Schränken selbst die geringste Spur der angewendeten Gewalt bemerken. Das Alles rechtfertigte nur den natürlichen Schluß, daß allein ein mit den Verhältnissen genau bekannter Hausdieb das Verbrechen begangen haben müsse.

Unter solchen Umständen hielt es der Beamte für gerathen, ohne Zögern zur Vernehmung sämmtlicher Hausgenossen und der Dienerschaft zu schreiten. Ihre Aussagen gaben jedoch nicht den geringsten Anhalt und schienen keineswegs den nahe liegenden Verdacht zu bestätigen, indem die 10 vernommenen Zeugen weder durch ihre Mienen, noch durch ihr Verhalten während des ganzen Verhörs auch nur im Entferntesten ihre Mitwissenschaft oder Theilnahme an dem Diebstahle bekundeten.

Nichts desto weniger und trotzdem sich der Geheimrath für die Ehrlichkeit und Treue aller seiner weiblichen Domestiken und besonders seines männlichen Dieners ausdrücklich verbürgte, hielt es doch der erfahrene Kriminal-Kommissar für seine Pflicht, eine strenge Haussuchung zu veranstalten, die sich nicht nur auf die Zimmer derselben, sondern auf alle sonstige bewohnte und unbewohnte Räume, selbst auf die Keller und Böden erstreckte. Aber ungeachtet aller Mühe und Sorgfalt, womit er Kisten und Kasten, Kommoden und Koffer, selbst die Betten und Matratzen durchwühlte, konnte er keinen noch so unbedeutenden Umstand bemerken, der die Hausgenossen belastete.

Der ganze Vorfall hatte selbst für den überaus geschickten Beamten etwas Unerklärliches und Räthselhaftes. Wohl mochte er ein gefährliches Geheimniß ahnen, wie ihm dergleichen bereits mehrfach in seiner Praxis vorgekommen war. Eine gewisse Scheu hinderte ihn jedoch, seine wahre Meinung auszusprechen, da er aus langjähriger Erfahrung 11 wußte, daß auch die Polizei ihre Grenzen habe, die sie nicht überschreiten dürfe, ohne Gefahr zu laufen, Dinge zu enthüllen und Verhältnisse aufzudecken, welche besser im Verborgenen bleiben. Aus diesem Grunde unterdrückte er die ihm aufsteigenden Zweifel und Bedenken, indem er nur noch dem Geheimrath den Rath ertheilte, den Diebstahl der Münzen unter Beifügung einer ansehnlichen Belohnung durch die Zeitungen und Anschlagsäulen bekannt zu machen, ohne sich jedoch von diesem Schritte einen besonderen Erfolg zu versprechen.

 
II.

Es war gewiß ganz in der Ordnung, daß dem jungen Gelehrten der Verlust des ihm befreundeten Geheimraths nahe ging und daß er von Herzen wünschte, dem alten Herrn zur Wiedererlangung der gestohlenen Münzen zu verhelfen, wozu er jedoch wenig Aussicht hatte.

Mit diesem Gedanken beschäftigt, wartete er am nächsten Morgen auf das Frühstück, als seine Wirthin, Frau Jäkel, eine ehrsame Zimmervermietherin und Waschfrau, mit dem gewünschten Kaffee und dem üblichen Morgengruße vor ihm erschien. Mit der ihr angeborenen Zungenfertigkeit entschuldigte sie ihr längeres Ausbleiben, indem sie ihm offen 12 gestand, daß sie bei dem Kaufmann an der Ecke, wo sie die nöthigen Materialien zu holen pflegte, durch eine höchst interessante Tagesneuigkeit aufgehalten worden sei.

Für die würdige Dame war der Laden des Kaufmanns eine Art von Ressource und Gesellschaftssalon, wo sie mit sämmtlichen Kaffeeschwestern und Basen der Nachbarschaft zusammenkam und die wichtigsten Ereignisse einsammelte. Das heutige Tagesgespräch bildete, wie sie jetzt erzählte, der Diebstahl in dem Hause des bekannten Geheimraths, der aus doppelten Gründen ihre höchste Theilnahme erregen mußte, einmal weil sie selbst die Wäsche für die Familie besorgte, und zweitens weil sie wußte, daß ihr Miether zuweilen den Herrn Geheimrath besuchte, was ihm in ihren Augen zur besonderen Empfehlung gereichte.

Da Arnold mit den näheren Umständen genauer bekannt war, so berichtigte er die etwas übertriebenen und nicht ganz wahrheitsgetreuen Angaben seiner Wirthin, welche den Verlust nach den ihr zugegangenen Mittheilungen auf etliche zehntausend Thaler schätzte, und von einer verhältnißmäßig eben so großen Belohnung für die Entdeckung des Diebstahls fabelte. 13

»Wenn auch,« sagte er, »der Schaden nicht so groß ist, wie die Leute glauben, so bin ich doch überzeugt, daß der alte Herr lieber die Hälfte seines Vermögens verloren hätte, da sein Herz so sehr an seiner Münzsammlung hängt.«

»Na,« tröstete Frau Jäkel, »die Polizei wird sie ihm gewiß wiederschaffen und sich darum die größte Mühe geben, schon weil es ein Geheimrath ist.«

»Leider gibt der Kriminal-Kommissar so gut wie gar keine Hoffnung, daß es gelingen werde, den Thäter zu entdecken.«

»So geht es immer,« versetzte Frau Jäkel, welche gegen die Polizei ein in ihrem Kreise allgemein verbreitetes Vorurtheil hatte. »Das kennen wir schon, die Herrn von der Polizei sind nur dazu da, um die ehrlichen Leute zu chikaniren. Wenn Unsereins die Anmeldung eines Chambregarnisten vergißt, oder unreines Wasser in den Rinnstein laufen läßt, da sind sie gleich dahinter her und nehmen uns einen Thaler Strafgeld ab. Wenn sie aber zeigen sollen, was sie können, da stehen sie wie die Ochsen vor dem Berg und wissen weder aus noch ein.«

»Vielleicht wird die öffentliche Anzeige zur Entdeckung des Diebstahls beitragen. Der Herr Geheimrath hat eine 14 Belohnung von dreihundert Thalern für die Herbeischaffung der gestohlenen Münzen ausgesetzt.«

»Wird ihm auch nichts helfen!« entschied die würdige Zimmervermietherin mit verächtlichem Achselzucken. »Wenn ich an seiner Stelle wäre, wüßte ich schon, was ich thäte. In vierundzwanzig Stunden wollte ich ihm die ganze Pastete wieder verschaffen, ohne Polizei und Anzeigen.«

»Da bin ich doch wirklich neugierig, wie Sie das anfangen wollten,« erwiederte Arnold den das Geschwätz der Wäscherin zu belustigen schien.

»Ganz einfach,« entgegnete die gute Frau. »Ich würde nur zum Diebsrath gehen und der würde mir schon für Geld und gute Worte zu dem Meinigen verhelfen.«

»Zum Diebsrath! Was soll das heißen?« fragte er verwundert.

»Mein Gott!« rief sie, über seine Unkenntniß erstaunt, »Haben Sie denn niemals vom Diebsrath etwas gehört? Den kennt ja die halbe Stadt; der kann mehr als Brod essen und bringt die geheimsten Dinge an den Tag.«

»Das muß ja ein wahrer Hexenmeister sein!« spottete der junge Gelehrte. »Ich hätte Sie doch für klüger gehalten, um solche Albernheiten zu glauben.« 15

»Spotten Sie nur, so viel Sie Lust haben,« meinte die gekränkte Wirthin. »Der Mann weiß mehr als die ganze Polizei, die mir auch gestohlen werden kann. Es hat schon mancher Studirte gerade so wie Sie gesprochen und doch zuletzt klein beigegeben. Wenn Sie aber mir nicht glauben wollen, weil ich nur eine einfältige Frau bin, so fragen Sie nur den Goldschmied Habermann, fragen Sie den Materialisten an der Ecke und selbst unsern Bezirksvorsteher, den Herrn Rentier Bierfreund. Die werden Ihnen schon sagen, ob ich geflunkert oder die reine Wahrheit gesprochen habe; die werden mir gerne bezeugen, daß der Diebsrath ihnen geholfen hat und Wunder thun kann, wenn er nur will. Selbst die Herren von der Polizei kennen ihn und haben allen Respekt vor seiner Klugheit.«

»Sie machen mir wirklich Lust, die nähere Bekanntschaft des Herrn Diebsrath zu suchen,« erwiederte er in dem früheren ironischen Tone.

»O! das ist nicht so leicht, wie Sie denken,« versetzte sie ernsthaft. »Wenn Sie nicht die Losung haben, oder einen Freund, der sich für Sie verbürgt, dann können Sie lange suchen, bevor Sie ihn finden. Der ist mit allen Hunden gehetzt und läßt sich nicht so leicht fangen.« 16

»Sie scheinen ja so genau unterrichtet, daß ich fast glauben muß, daß Sie mit ihm befreundet sind. Am Ende können Sie mir zu der interessanten Bekanntschaft durch ihre Empfehlung verhelfen?«

»Was fällt Ihnen ein?« rief Frau Jäkel sichtlich bestürzt. »Ich habe nichts mehr mit ihm zu schaffen, wenn er auch der leibliche Vetter meines Seligen ist. Als mein guter Jäkel noch lebte, kam er wohl ab und zu in unser Haus, aber jetzt hab' ich ihn schon Jahr und Tag nicht mehr gesehen, was mir nur lieb sein kann. Ich bin eine ehrliche Frau und will nichts mit solchen Leuten zu thun haben, die meiner Reputation schaden. Die Gesellschaft eines Diebsraths paßt mir nicht und ich mag von dieser Verwandtschaft nichts mehr wissen.«

Mit diesen zweideutig klingenden Worten entfernte sich die würdige Zimmervermietherin so eilig, als ob sie jeder weiteren Erörterung dieses Gegenstandes aus dem Wege gehen wollte. Obgleich Arnold den Mittheilungen seiner Wirthin kein besonderes Gewicht beilegte, so hielt er es doch für seine Pflicht, jede Aussicht, die zur Entdeckung des Diebstahls führen konnte, zu benützen.

Aus diesem Grunde beschloß er, bei dem 17 Kriminal-Kommissar nähere Erkundigungen über den sogenannten Diebsrath einzuziehen und ihm das Gespräch mit seiner Wirthin mitzutheilen, selbst auf die Gefahr, sich dadurch lächerlich zu machen. Zu seiner Verwunderung nahm dieser seine Eröffnungen mit sichtlichem Interesse entgegen, indem er zugleich die Angaben der Frau Jäkel vollkommen bestätigte.

»Es läßt sich allerdings nicht leugnen,« sagte der vorsichtige Beamte, »daß ein solcher Diebsrath existirt und mir auch persönlich bekannt ist. Derselbe heißt eigentlich Wolf und hat unter dem Namen der schwarze Wolf durch seine Kühnheit und Schlauheit eine gewisse Berühmtheit in der Gaunerwelt erlangt. In letzter Zeit scheint er sich von seinem früheren Geschäft zurückgezogen zu haben, obgleich er noch immer, wie wir wissen, mit seinen ehemaligen Freunden und Genossen in enger Verbindung steht. Da er aber sich von jeder Betheiligung an ihren Verbrechen frei zu halten weiß, und ihm nicht die geringste gesetzliche Uebertretung nachgewiesen werden kann, so müssen wir ihn unbehelligt lassen und uns nur damit begnügen, ihn zu überwachen.«

»Und Sie glauben wirklich, daß er im Stande wäre, die gestohlenen Münzen herbeizuschaffen?« 18

»Ich halte das nicht für unmöglich, und mir selbst sind mehrere derartige Fälle bereits vorgekommen, wo der schwarze Wolf mit Erfolg in Anspruch genommen worden ist. Durch seine Bekanntschaft mit den Dieben und durch seine geistige Ueberlegenheit übt er noch immer einen großen Einfluß aus, der ihn befähigt, manches Verbrechen zu entdecken, das der Polizei trotz aller Bemühungen verborgen bleibt; weshalb er auch den Namen Diebsrath führt. Von seinen früheren Genossen, die sich in schwierigen Fällen an ihn wenden, bezieht er eine gewisse Provision, während Privatpersonen, die seine Hilfe suchen, ihm ganz ansehnliche Summen zahlen müssen. So lebt er von beiden Parteien, denen er dient, ohne selbst etwas dabei zu riskiren.«

»Ich wundere mich nur, daß die Polizei ein solches Treiben duldet und nicht schon längst diesem Diebsrath das Handwerk gelegt hat.«

»Es muß auch solche Käuze geben,« versetzte der Kriminal-Kommissar lächelnd, »ja sie sind sogar unentbehrlich, unter Umständen von größtem Nutzen. Die Polizei ist leider nicht allwissend und sieht sich darum häufig genöthigt wie der Homöopath, Aehnliches durch Aehnliches zu heilen.« 19

»Sie würden mir, oder vielmehr dem Herrn Geheimrath also beistimmen, wenn wir uns mit dem Diebsrath in Verbindung setzten!«

»Jedenfalls kann ein solcher Versuch nichts schaden, obgleich ich Ihnen nicht verschweigen will, daß mir die ganze Geschichte nicht gefällt. Nach meiner langjährigen Erfahrung kommt bei jedem Hausdiebstahl nichts Gutes heraus und man thut in den meisten Fällen besser daran, den Verlust zu verschmerzen, als durch allzu strenge Nachforschungen Dinge aufzurühren, die gewöhnlich bei solchen Gelegenheiten an das Tageslicht kommen und noch unangenehmer sind als Alles, was man möglicher Weise dabei einbüßt.«

»Ich will deshalb noch mit dem Geheimrath zuvor Rücksprache nehmen und nur mit seiner Einwilligung mich an den Diebsrath wenden.«

Natürlich war der alte Herr mit jedem Schritt einverstanden, der ihn die Wiedererlangung seines theuren Schatzes auch nur entfernt hoffen ließ. Er war sogleich bereit, nicht nur die bereits ausgesetzte Belohnung, sondern die doppelte Summe dem Diebsrath zu bewilligen, wenn es ihm gelingen sollte, die geraubten Seltenheiten zu entdecken. 20

Der junge Gelehrte aber wurde nur noch mehr in seinem Vorhaben bestärkt, da er dadurch im Falle des Erfolges dem Geheimrath den größten Gefallen zu erweisen und auch mittelbar den Dank der schönen Therese zu verdienen glaubte, woran ihm ganz besonders gelegen war.

 
III.

In einem jener fernen, neuen Stadttheile, welche in letzter Zeit gleich Pilzen aus der Erde emporwachsen, lag die Wohnung des sogenannten Diebsraths, dem der junge Gelehrte, mit einer Empfehlung von seiner Wirthin versehen, noch an demselben Tage einen Besuch abstattete. Das Haus, eine der gewöhnlichen Miethskasernen, bot durchaus nichts Verdächtiges, war aber durch die Menge seiner Bewohner ganz geeignet, um sich einer allzu strengen Kontrolle und Beobachtung zu entziehen, um so mehr, da es zwei verschiedene Eingänge hatte.

Nur die Vorsicht, womit erst auf Arnold's wiederholtes Klingeln geöffnet wurde, deutete darauf hin, daß Herr Wolf sich nicht gerne überraschen ließ. Eine ältliche, sauber gekleidete Frau verwaltete das Amt des Cerberus und schob erst dann die Sperrkette an der so unnahbaren Thüre 21 zurück, nachdem sich der Besuch durch einen besonderen Gruß der guten Frau Jäkel als hinlänglich unverdächtig legitimirt hatte.

Auch jetzt mußte Arnold noch einige Minuten in einer Art von Vorzimmer warten, während Herr Wolf durch ein in der Nebenstube angebrachtes, geheimes Guckfenster den unbekannten Gast genügend inspicirte und genauer beobachtete. Da der junge Gelehrte weder polizeiliche noch kriminalistische Befürchtungen ihm einflößte, außerdem durch die verwandte Wäscherin ihm empfohlen war, so ließ sich der Herr Diebsrath herab, ihm die gewünschte Audienz zu ertheilen.

Arnold war einigermaßen überrascht, als ihm statt der erwarteten Spitzbuben-Romantik ein gemüthlicher Spießbürger in einem langen bunten Schlafrock entgegenkam, dessen nichtssagende Physiognomie nicht im Entferntesten seine zweideutige Beschäftigung und noch zweideutigere Vergangenheit ahnen ließ. Der äußeren Erscheinung und auch seinem Benehmen nach zu urtheilen, konnte selbst der aufmerksamste Beobachter nichts Verdächtiges an ihm finden.

Mit seinem vollen runden Gesicht und der untersetzten, zum Embonpoint geneigten Gestalt, die allerdings eine 22 herkulische Kraft in den wie Stränge hervortretenden Muskeln und Sehnen seines Körpers verrieth, sah er wie ein ehrenwerther Geschäftsmann, oder wie ein wohlhabender Oekonom aus. Nur das kurz geschnittene schwarze Haar, der dunkle, fast zigeunerartige Teint und der stechende Blick der kleinen glänzenden Augen verliehen seiner Erscheinung etwas Befremdendes.

Während Arnold ihn mit der Ursache seines Besuches bekannt machte, hörte ihm der Diebsrath mit sichtlicher Aufmerksamkeit zu, ungefähr wie ein Rechtsanwalt, der sich von einem seiner zahlreichen Klienten die Thatsache eines interessanten Prozesses vortragen läßt, worüber seine Ansicht gefordert wird. Von Zeit zu Zeit richtete er eine bezügliche Frage an den jungen Gelehrten, um sich genauer zu informiren. Das Alles hatte etwas Geschäftsmäßiges, Nüchternes und Alltägliches, was auch nicht im Entferntesten den Erwartungen Arnold's entsprach, so daß er, vollkommen enttäuscht, an dem Erfolg seiner Mission verzweifelte.

Um so mehr war er erstaunt, als der schwarze Wolf, nachdem er eine Zeit lang nachgedacht zu haben schien, sich bereit erklärte, die gestohlenen Münzen herbeizuschaffen, unter der Bedingung, daß ihm außer der ausgesetzten 23 Belohnung noch dreihundert Thaler ausgezahlt würden, und zwar die Hälfte der Summe sogleich, der Rest nach der Wiedererlangung des geraubten Gutes.

Als Arnold zögerte und offen seine gerechten Bedenken äußerte, auf diesen gewagten Vorschlag einzugehen, ohne genügende Sicherheit zu haben, lächelte der schwarze Wolf mit der ihm eigenen Ruhe, ohne eine Miene zu verziehen.

»Ich kann es Ihnen nicht übel nehmen,« sagte er gelassen, »daß Sie mir nicht trauen, da Sie mich nicht kennen. Ich bin ein ehrlicher Mann und habe keinen Menschen noch betrogen. Wenn ich einmal mein Wort gegeben habe, so können Sie darauf bauen. Indeß will ich es Ihnen nicht verdenken, daß Sie nicht die Katze im Sack kaufen mögen. Sie sollen sich erst selbst überzeugen, bevor Sie mir auch nur einen Pfennig zahlen, daß ich Sie nicht um Ihr Geld bringen will, und mehr weiß, als die Herrn von der Polizei.«

Zugleich griff der Diebsrath in eine Tasche seines bunten Schlafrocks, aus der er zwei große goldene besonders werthvolle Münzen hervorzog, welche Arnold sogleich als das Eigenthum des Geheimraths erkannte, da sie zu den größten Seltenheiten zählten und nur in dem 24 königlichen Münzkabinet, wie er sicher wußte, zu finden waren. Unwillkürlich stieß der junge Gelehrte einen Ausruf der Ueberraschung aus, während sich der »schwarze Wolf« an seinem Erstaunen zu weiden schien.

»Jetzt werden Sie mir wohl glauben,« sagte er in gemüthlichem Ton, »daß ich Sie nicht beschupsen will. Sie sehen, daß ich ein ehrlicher Mann bin und Ihnen mehr Vertrauen schenke, als Sie mir; denn Sie können mich, wenn Sie wollen, anzeigen und mich in Teufels Küche bringen. Aber ich halte Sie für einen anständigen Herrn, weil Sie mir von einer Verwandten empfohlen sind. Auch fürcht' ich mich nicht vor der Polizei, denn ich habe, Gott sei Dank, ein gutes Gewissen und kein Mensch kann mir etwas Schlechtes nachweisen.«

»Aber wie sind Sie denn zu diesen Münzen gekommen?« fragte Arnold voll Verwunderung.

»Das ist eben mein Geheimniß,« versetzte der schwarze Wolf mit schlauem Lächeln. »Sobald Sie mir das Geld bringen, sollen Sie Alles erfahren, was Sie zu wissen brauchen. Aber Sie müssen sich sputen, denn wenn Sie nicht bis morgen früh die Geschichte abmachen, so möcht' 25 es zu spät sein und dann kann ich auch beim besten Willen Ihnen nicht mehr helfen.« –

Mit diesem Bescheid entließ der Diebsrath den jungen Gelehrten, ihn höflich bis zur Thüre geleitend, welche er wieder sorgfältig hinter ihm verriegelte. Es dämmerte bereits, als Arnold die finstere Treppe herabstieg, wobei er, durch das seltsame Abenteuer beschäftigt, in der Dunkelheit mit einem fremden Mann so heftig zusammenstieß, daß ihm sein Hut vom Kopfe fiel.

Während er sich darnach bückte, schlüpfte der Andere schnell an ihm vorüber. Trotzdem glaubte er in ihm den oft von ihm gesehenen, langjährigen Bedienten des Geheimraths erkannt zu haben, obgleich er wegen der Dunkelheit nicht ganz sicher war und eine Täuschung leicht stattgefunden haben konnte.

Bald darauf klingelte der Fremde an der verschlossenen Thüre des Diebsraths, die mit der gewohnten Vorsicht ihm geöffnet wurde, nachdem er das geheimnißvolle Losungswort abgegeben. Der neue Gast, der ebenfalls den Beistand des »schwarzen Wolf« zu suchen schien, war ein junger Mann von ungefähr fünfundzwanzig Jahren, mit blonden, gescheitelten Haaren und einem zierlich gedrehten 26 Schnurrbärtchen, das seinem sonst gefälligen Gesicht einen geckenhaften Anstrich gab.

Auch seine Kleidung, eine braune Livree mit gelben Aufschlägen und vergoldeten Knöpfen, hatte etwas Stutzerhaftes, obgleich er den Rockkragen hoch aufgeschlagen trug, als wolle er darunter sein Gesicht verbergen und sich vor einer unangenehmen Entdeckung schützen. Trotz seiner Jugend zeigten seine Züge bereits die Spuren eines wüsten Lebens und sein scheues Benehmen verrieth, daß er sich nicht ganz wohl und sicher fühlte, obgleich er seine Verlegenheit hinter einer erborgten oder natürlichen Frechheit zu verstecken suchte.

»Nun?« rief er schon von Weitem dem eintretenden Diebsrath entgegen, »wie steht es mit unseren Massematten (Geschäft)?«

»Faul, mein Junge, oberfaul,« versetzte dieser achselzuckend. »Ich fürchte, daß Du diesmal kleben bleibst.«

»Bah! Das ist doch nur Ihr Scherz oder Sie wollen mir nur bange machen, um eine bessere Provision zu bekommen.«

»Was solch ein Grünschnabel nicht Alles glaubt! Als ob ich mir etwas aus den paar lumpigen Groschen machte, die dabei für mich abfallen. Aber selbst wenn es tausend 27 Thaler wären, möcht' ich mich nicht mit der Geschichte befassen, wobei man nur Kapores (zu Grunde) gehen kann, wenn man daran rührt.«

»Es wird wohl nicht so schlimm sein,« entgegnete der sichtlich betroffene Diener.

»Das verstehst Du nicht,« erwiederte der »schwarze Wolf« in ernstem Tone. »Man sieht, daß Du noch keine Uebung hast und kein Ganef (Dieb) von Profession bist, sonst hättest Du nicht den verwünschten Bettel stibitzt, den kein Trödler und Hehler umsonst nehmen will.«

»Oho!« fuhr der junge Mann auf, »das weiß ich besser; die Münzen sind mehrere Tausend Thaler werth und kosten den Geheimrath ein schweres Geld.«

»Das weiß ich so gut wie Du. Aber Du vergißst, daß das verfluchte Zeug so leicht erkenntlich ist, daß selbst ein Blinder sich nicht damit betrügen läßt. Wer wird denn so dumm sein und Dir die Münzen abkaufen? Das heißt, sich selbst angeben und in die Hände des Staatsanwalts liefern! Da müßte man ja toll oder betrunken sein.«

»Aber man kann sie einschmelzen und das Gold dann verkaufen,« wandte der Dieb schüchtern ein.

»Dabei wird nicht so viel herauskommen, daß es sich 28 der Mühe lohnt. Die paar Loth Gold machen nicht das Kraut fett, sondern die Arbeit und die Seltenheit. Solche Dinge sind nur für den Liebhaber und haben keinen reellen Werth.«

»Was läßt sich da thun?« fragte der junge Mann, der die Richtigkeit dieser Ansicht zugeben mußte.

»Ich will Dir was sagen,« versetzte der Diebsrath in gutmüthigem Tone. »Nur aus Mitleid und weil ich einmal mich in den Handel eingelassen habe, will ich Dir helfen und Dir für die ganze Geschichte fünfzig Thaler geben. Was meinst Du zu dem Gebot?«

»Da müßt' ich ja ein rechter Chamer (Esel) sein,« versetzte unwillig der junge Mann. »Was soll ich mit fünfzig Thalern anfangen? Ich glaubte wenigstens so viel herauszuschlagen, um nach Amerika gehen und dort mich etabliren zu können. Das Dienen hab' ich satt und ich wollte auch einmal mein Herr sein.«

»So, so?« sagte der Diebsrath mit ominösem Lächeln; »Du willst Dich nach Amerika drücken? Das ist kein schlechter Einfall von Dir. Da kannst Du Dein Glück noch einmal machen, wenn Du nur hinkommst. Ich will Dir nicht hinderlich sein, und damit Du siehst, daß ich es gut mit 29 Dir meine, so soll es mir auf hundert Thaler nicht ankommen. Das ist aber mein letztes Wort.«

»Unter dreihundert Thalern kann ich es nicht thun,« entgegnete der Dieb trotzig. »Das ist das Wenigste, was ich haben muß.«

»Wie Du willst; aber überlege Dir die Sache. Du hast bis morgen um zwölf Uhr Zeit. Wenn ich Dich nicht mehr wiedersehen sollte, so wünsche ich Dir Glück zu Deiner Reise!«

Am nächsten Morgen erhielt der Kriminal-Kommissar einen anonymen Brief, in Folge dessen ein Beamter der geheimen Polizei den Auftrag erhielt, sich nach dem Hamburger Bahnhof zu begeben und auf den Bedienten des Geheimraths v. Görne, Namens Ludwig Flinder, genau zu vigiliren. Dies geschah denn auch und der Diener wurde angehalten.

 
IV.

Hätten der Geheimrath und Arnold die Folgen ihrer Schritte zur Wiedererlangung der gestohlenen Münzen ahnen können, so würden beide gewiß lieber auf die Entdeckung des Diebstahls verzichtet und trotz ihrer Liebhaberei den schweren Verlust ruhig getragen haben. 30

Gleich nach der Verhaftung des Schuldigen, bei dem die entwendeten Münzen gefunden wurden, stellte der Beamte mit ihm ein kurzes Verhör an, wobei sich der Gefangene mit einer überraschenden Frechheit benahm. In seinen Mienen verrieth sich nicht die geringste Furcht, obgleich er das offene Verbrechen weder leugnen konnte, noch wollte. Lächelnd drehte er den blonden Schnurrbart, als ob es sich um eine Sache handelte, die ihn nichts anginge, indem er seine vollkommene Unschuld behauptete.

»Wie können Sie,« fuhr der Kriminal-Kommissar ihn an, »es noch wagen, von Ihrer Unschuld zu sprechen, wo die Beweise des Gegentheils so klar daliegen? Hat man nicht die Münzen in Ihrer Tasche gefunden? Wollten Sie nicht nach Amerika entfliehen? – Eine solche Unverschämtheit ist mir in meiner langen Praxis noch nicht vorgekommen.«

»Ereifern Sie sich nicht so sehr, Herr Kommissar,« entgegnete der Angeklagte mit unerschütterlicher Ruhe. »Das Alles, was Sie sagen, ist ganz richtig und es fällt mir nicht ein, dagegen zu streiten. Aber darum bin ich doch noch kein Dieb. Ich kann und werde vor Gericht schon beweisen, daß ich die Münzen nicht gestohlen habe und daß 31 ich immer ein treuer und redlicher Diener meiner Herrschaft war, wie diese mir selbst bezeugen muß.«

Trotzdem der erfahrene Beamte keinen Augenblick an der Schuld des Gefangenen zu zweifeln schien, so ließ er sich doch unwillkürlich von der wirklich bewunderungswürdigen Sicherheit und dem ganzen Benehmen des jungen Mannes imponiren, dessen Aeußeres allerdings zu seinen Gunsten sprach.

»Nun, ich bin wirklich neugierig,« sagte er in milderem Tone, »von Ihnen zu hören, wie Sie in den Besitz der Münzen gekommen sind.«

»Ganz einfach,« erwiederte der Angeklagte mit der unschuldigsten Miene von der Welt; »ich habe sie geschenkt bekommen.«

»Das kennen wir,« versetzte der Kriminal-Kommissar enttäuscht; »die Ausrede ist bereits zu oft dagewesen, um nicht lächerlich zu werden. Es giebt nicht bald einen Spitzbuben, der nicht davon Gebrauch macht.«

»Und doch rede ich nur die Wahrheit; Sie mögen mir glauben oder nicht.«

»Vor allen Dingen möchte ich jedoch wissen, von Wem Sie die Münzen erhalten haben?« 32

»Das kann ich Ihnen nicht sagen.«

»Man wird Sie zu zwingen wissen, und außerdem werden Sie wohl einsehen, daß nur ein offenes Geständniß Ihnen helfen kann, obgleich ich für mein Theil ihre Worte stark bezweifle, wenn Sie mir nicht den Geber nennen und Beweise für Ihre Behauptung beibringen können.«

Der Gefangene schwieg und schien mit sich zu kämpfen.

»Nun,« sagte der Beamte nach einer Pause, »bekennen Sie nur, daß Sie gelogen haben und daß das Geschenk ein reiner Schwindel ist.«

»Nein, nein!« rief der Diener entrüstet, »das darf ich nicht auf mir sitzen lassen, wenn ich auch gern geschwiegen hätte. Jeder ist sich selbst der Nächste und wo es sich um meine Ehre handelt, da muß jede Rücksicht fallen. Es thut mir leid, aber ich kann nicht anders, mag daraus entstehen, was da will. Was kann ich dafür, daß das gnädige Fräulein mich liebt! Sie hat mir die Münzen gegeben, damit ich mit ihr nach Amerika durchgehen soll.«

»Welches Fräulein?« fragte der Kriminal-Kommissar dringend.

»Fräulein Therese, die Tochter des Herrn Geheimraths v. Görne!« – 33

Selbst der erfahrene Beamte vermochte nicht, einen Ausruf der Ueberraschung zu unterdrücken, indem er von seinem Stuhl aufschnellte, als hätte ihn ein Skorpion gestochen, wogegen der Gefangene so ruhig blieb wie zuvor und so unschuldig aussah, als könnte er kein Wässerchen trüben. Trotz aller Ermahnungen, Vorstellungen und Drohungen beharrte der Angeklagte bei seiner Aussage, die er noch durch die genauesten Details immer wahrscheinlicher zu machen wußte. Wie er behauptete, hatte er nicht nur die gestohlenen Münzen, sondern außerdem zu verschiedenen Zeiten noch ansehnliche Summen von der jungen Dame zum Geschenk erhalten, worüber er sich auf ihr eigenes Zeugniß berief.

Da der Kriminal-Kommissar die Hoffnung aufgeben mußte, ein anderes Geständniß zu erlangen, so ließ er den Gefangenen abführen, nachdem derselbe das vorläufige Protokoll unterzeichnet hatte. Die ganze Angelegenheit hatte für den Beamten eine Wendung genommen, welche zur höchsten Vorsicht mahnte und ihn selbst in Verlegenheit brachte, da er nicht die Verantwortung übernehmen wollte, durch vorschnelle Anwendung der ihm zu Gebote stehenden Mittel eine hochangesehene Familie zu kompromittiren. 34

Zunächst hielt er es daher für das Beste, dem jungen Gelehrten das Resultat dieser Untersuchung und die Aussagen des Angeklagten mitzutheilen, in der Voraussetzung, daß Arnold als Freund des Hauses und bei seiner Theilnahme für die ganze Angelegenheit der geeignetste Mann sei, den Geheimrath in schonender Weise vorzubereiten und, da es sich um einen gewöhnlichen Hausdiebstahl handelte, ihm zu rathen, von jeder gerichtlichen Verfolgung abzusehen.

Tief erschüttert und entrüstet wies Arnold ein solches Ansinnen zurück, voll Empörung, daß der Kriminal-Kommissar auch nur einen Augenblick an der Unschuld der jungen Dame zweifeln konnte, für deren Tugend er sich verbürgen wollte.

»Wir wollen nicht darüber streiten,« sagte der erfahrene Beamte; »aber wenn man wie ich die unglaublichsten Dinge erlebt und die Gelegenheit hat, die Schattenseiten der Gesellschaft kennen zu lernen, so erscheint Einem nichts mehr lächerlich und unmöglich. Ich habe Damen aus den ersten Familien gesehen, die als gemeine Ladendiebinnen ertappt worden sind, und vornehme Männer, Grafen und Barone, Gelehrte und Künstler, welche als Betrüger im Zuchthaus endeten. Sie sind noch zu jung 35 und wissen noch nicht, welche Verbrechen und furchtbaren Geheimnisse sich im Schooße der Familie bergen, verlorene Söhne, entartete Töchter, verworfene Männer und liederliche Frauen, die sich gegenseitig in gemeinster Weise hintergehen.«

»Das sind zum Glück nur die Ausnahmen, zu denen Sie kein Recht haben, eine so hochgebildete und angesehene Dame wie Fräulein v. Görne zu rechnen.«

»Bah!« erwiederte lächelnd der Kommissar. »Sie kennen nicht die Weiber, wenn sie erst der Liebesteufel gepackt hat – je gebildeter, desto schlimmer!«

»Aber Sie werden doch nicht im Ernst glauben,« erwiederte der junge Gelehrte in gereiztem Tone, »daß Fräulein v. Görne ein Verhältniß mit dem Diener ihres Vaters hat? – Der bloße Gedanke ist eine Beleidigung, eine Lästerung!«

»Das wird die gerichtliche Verhandlung lehren,« entgegnete der Beamte, »obgleich ich im Interesse der Familie nicht wünsche, daß man es dazu kommen läßt. Warum haben Sie nicht meinen Rath befolgt und geschwiegen? Sie werden bald einen Skandal erleben, wie er schon seit langer Zeit nicht dagewesen ist.« 36

 
V.

Nur zu schnell sollte die Prophezeiung des erfahrenen Kriminal-Kommissars in Erfüllung gehen. Schon am nächsten Tage flüsterten sich die Bekannten unter dem Siegel der strengsten Verschwiegenheit die schauderhafte Nachricht in das Ohr. Die frommen Klatschschwestern bekreuzten sich, wenn sie erröthend und doch voll Schadenfreude das Verhältniß der »emanzipirten Geheimrathstochter« mit dem Bedienten ihres Vaters einander erzählten.

Natürlich hatten sie längst gewußt, daß es bei der oft getadelten freien Lebensweise der jungen Dame so kommen müßte, und ein solches Ende vorausgesehen. Die zahlreichen Gegner und Feinde Theresens ließen es sich angelegen sein, die Geschichte weiter zu verbreiten und mit den gehörigen Ausschmückungen zu versehen.

Wie dies in solchen Fällen zu geschehen pflegt, wuchs das Gerücht gleich einer Lawine, von Mund zu Mund sich vergrößernd und anschwellend. Die kleinen Blätter, welchen jeder Skandal willkommen ist, bemächtigten sich des willkommenen Stoffes, indem sie in perfider Weise, zwar ohne Nennung des Namens, aber so durchsichtig, daß man die 37 betheiligten Personen nicht verkennen konnte, das Ereigniß ihren Lesern in einer pikanten Sauce auftischten.

Selbst unparteiische Leute schüttelten den Kopf bedenklich zu diesen Nachrichten, deren Glaubwürdigkeit noch dadurch erhöht wurde, daß weder der Geheimrath noch Therese eine Widerlegung auf diese heimtückischen Angriffe folgen ließen, sondern sich in ein unerklärliches Stillschweigen hüllten. Wie man aus sicherster Quelle wissen wollte, hatte die junge Dame zwar die ihr zur Last gelegten Thatsachen bestritten, aber doch zugeben müssen, daß sie früher dem Angeklagten Geschenke gemacht habe, allerdings, wie Therese behauptete, nur um seiner armen Mutter zu helfen, welche ihre Amme gewesen war und die jetzt kümmerlich in einer kleinen Stadt von ihren Almosen lebte.

Nur ein einziger Mensch glaubte unerschütterlich an Theresens Unschuld, ohne sich durch das verleumderische Geschwätz und selbst nicht durch die Bedenken und traurigen Erfahrungen des Kriminal-Kommissärs irre machen zu lassen. Arnold war es. Aber was vermochte er allein gegen die öffentliche Meinung und das Urtheil der ganzen Welt? – Vergebens warf er sich zu ihrem Vertheidiger auf, umsonst kämpfte er ritterlich für die Ehre seiner 38 Dame; man lächelte, spottete und zuckte nur die Achseln über den modernen Don Quixote, der in der That gegen Windmühlen seine Lanze einlegte, da seine Gegner wie die abgeschlagenen Köpfe der Hyder sich stets von Neuem erhoben und aus sicherem Versteck, unter der Hülle des Wohlwollens und der Theilnahme, ihre vergifteten Pfeile abschossen, ohne daß er ihnen etwas anhaben konnte.

Wohin er kam, an allen öffentlichen Orten, in allen Gesellschaften, in allen Restaurationen und Ressourcen waren Therese und der Bediente ihres Vaters das Tagesgespräch, und selbst Frau Jäkel, die ehrsame Waschfrau, brachte aus dem Materialwaarenladen die Nachricht mit nach Haus, die sie mit ihren Anmerkungen und Ausrufungen über die Schlechtigkeit und Verdorbenheit der heutigen Jugend würzte.

Eine tiefe Erbitterung gegen die Gemeinheit der Welt und auch gegen sich selbst erfaßte den jungen Gelehrten, da er seinem unüberlegten und voreiligen Eifer nicht mit Unrecht das ganze Unglück beimaß, das er wider seinen Willen über die unglückliche Therese heraufbeschworen.

Aus dieser unangenehmen Stimmung vermochte ihn selbst nicht ein Ereigniß herauszureißen, das ihn zu jeder 39 anderen Zeit hoch erfreut und beglückt haben würde. Schon vor längerer Zeit hatte sich nämlich Arnold mit einer Preisaufgabe der Akademie beschäftigt und seine Arbeit, das Resultat seiner bedeutenden Kenntnisse und Studien, derselben eingereicht, ohne in seiner Bescheidenheit zu ahnen, daß seine Abhandlung gekrönt werden würde.

Er war daher nicht wenig überrascht, als er in diesen Tagen die Nachricht erhielt, daß er den Preis nach dem einstimmigen Urtheil des Senats gewonnen, womit zugleich eine mehrjährige Pension von tausend Thalern verbunden war. Und wie ein Glück selten allein zu kommen pflegt, so fand sich in Folge seiner ausgezeichneten Leistung die philosophische Fakultät der Universität bewogen, ihm den erledigten Lehrstuhl für die archäologische Wissenschaft mit einem verhältnißmäßig bedeutenden Gehalt anzubieten.

Mit Einem Schlage sah Arnold seinen Namen berühmt und sich selbst den bisherigen drückenden Verhältnissen enthoben. Dieser unerwartete Erfolg vermochte zwar seine Mißstimmung nicht gänzlich zu beseitigen, verlieh ihm aber den nöthigen Muth, einen längst gehegten Vorsatz auszuführen, durch den er, wie er glaubte, zugleich die Ehre der jungen Dame herstellen konnte. 40

Ganz erfüllt von diesem Gedanken, begab er sich in das jetzt gemiedene Haus des Geheimraths, wo er die verlassene Therese allein fand, da ihr Vater einer Sitzung beiwohnte. Obgleich sie sichtlich bemüht war, so unbefangen und freundlich wie immer zu erscheinen, so verriethen doch ihre bleichen Wangen, die vom Weinen leicht gerötheten Augen und eine gewisse Aufgeregtheit in ihrem ganzen Wesen, daß die letzten Ereignisse sie tief ergriffen und gebeugt hatten.

Trotzdem kam sie ihm in ihrer Trauer schöner als je vor. Der Schmerz hatte sie gleichsam erhoben, ihr interessantes Gesicht verklärt und ihm einen Zug bisher an ihr vermißter Weiblichkeit verliehen. Mochte es das Gefühl ihrer Verlassenheit sein, oder die Weihe des Unglücks, was ihm Therese heute weicher, milder und hingebender erscheinen ließ? –

Mit einem trüben Lächeln reichte sie Arnold ihre weiße Hand, indem sie ihn aufforderte, an ihrer Seite Platz zu nehmen. Verlegen suchte er nach einem passenden Eingang für die Mittheilungen, die er ihr zu machen gedachte, während sie, nicht minder bewegt und weniger sicher als sonst, einige gleichgiltige Fragen an ihn richtete, bis er 41 endlich sich so weit gefaßt hatte, um sie mit seinem unerwarteten Glück bekannt zu machen.

»Das freut mich von ganzem Herzen,« sagte sie überrascht und voll inniger Theilnahme, »daß Sie die verdiente Anerkennung gefunden haben. Sie dürfen mit Recht stolz auf einen solchen Erfolg sein, den Sie einzig und allein Ihrem Talent und Ihrem Fleiß zu danken haben. Sie sind in der That beneidenswerth.«

»Und doch,« erwiederte er mit einem leichten Seufzer, »hat dies unverhoffte Glück für mich nur einen bedingten Werth und kann mich nicht befriedigen.«

»Das begreife ich nicht,« unterbrach ihn Therese lebhaft. »Eine ehrenvolle Laufbahn, eine glänzende Zukunft und eine angesehene Stellung – was können Sie noch mehr vom Schicksal verlangen?«

»Daß Sie mein Glück theilen!« rief Arnold leidenschaftlich, ihre Hand ergreifend, »daß Sie mir gestatten, Ihnen meinen Namen, meine Stellung anzubieten; was ich früher nicht wagen konnte und durfte, so sehr ich Sie auch schon seit langer Zeit liebte und verehrte. Erst in diesem Augenblick besitze ich den Muth, Ihnen das 42 Geheimniß einer Neigung zu bekennen, die ich bisher in meiner Brust verschloß.«

Tief erschüttert von dem unerwarteten Geständniß des jungen Gelehrten, saß Therese bleich und starr, von den widersprechendsten Gedanken und Empfindungen bestürmt. Sie verschwieg sich nicht, daß Arnold's Antrag unter den gegenwärtigen Verhältnissen doppelt ehrenvoll für sie sein müßte, daß er sich dadurch gewissermaßen für ihre Unschuld verbürgte. Sein Edelmuth rührte und ergriff ihr Herz und bestärkte sie nur noch mehr in der vortheilhaften Meinung, welche sie bereits von seinem Charakter hegte.

Zugleich aber ahnte sie auch das wahre Motiv seiner edlen Handlungsweise, und so sehr ihre Achtung für ihn dadurch noch erhöht wurde, so war sie doch entschlossen, ein so großes Opfer nicht anzunehmen, obgleich ihr der junge Gelehrte in diesem Augenblick so liebenswerth erschien, daß sie unter anderen Verhältnissen nicht gezögert hätte, ihm ihre Hand zu reichen, da ihre bisherige Freundschaft für ihn unwillkürlich zu einer innigen Neigung geworden war.

»Nein, nein!« sagte sie schmerzlich nach einer langen Pause. »Ich kann nicht Ihre Gattin werden, so sehr ich mich auch durch Ihren Antrag geehrt fühle.« 43

»O!« erwiederte Arnold traurig, »ich wußte, daß Sie mich zurückweisen werden, da ich Ihnen nichts zu bieten vermag, als meine Liebe und das bescheidene Loos eines deutschen Gelehrten. Sie sind gewiß berechtigt, höhere Ansprüche zu machen.«

»Arnold!« rief sie mit bebender Stimme und nur mit Mühe ihre Thränen zurückhaltend, »Sie irren sich und sind gegen sich selbst und gegen mich ungerecht. Gott ist mein Zeuge, daß ich keinen anderen Mann höher schätzen und achten kann als Sie, daß mich zu jeder anderen Zeit Ihr Antrag mit Stolz und Freude erfüllt und ich nicht geschwankt hätte, ihn anzunehmen – –«

»Und doch stoßen Sie mich zurück?« unterbrach er sie vorwurfsvoll.

»Weil Sie eine bessere Frau verdienen, an deren Ruf kein Makel hängt, eine Gattin, die Ihrer würdig ist, die nicht nur vor sich und Gott, sondern auch in den Augen der Welt so rein dasteht, daß Niemand sie anzutasten wagt. Weil ich Sie achte und liebe, eben deshalb muß ich auf dies Glück, auf eine solche Ehre verzichten und ein Opfer zurückweisen, das mich tief beschämt.«

»Was kümmert mich die Welt!« entgegnete er, nur 44 noch mehr durch ihre hochherzigen Worte in seinem Entschluß bestärkt. »Ich verachte ihre jämmerlichen Lügen und Verleumdungen. Weiß ich doch, daß Sie unschuldig sind, daß kein Engel des Himmels reiner ist als Sie. Wenn ich nur Ihrer Liebe sicher bin, so soll mich nichts hindern, nichts abhalten.«

»Aber ich werde,« erwiederte sie feierlich, »trotz meiner Liebe, die ich in dieser Stunde Ihnen offen bekenne, nicht eher Ihnen meine Hand reichen, als bis meine Ehre vollkommen wiederhergestellt ist. An dem Tage aber, wo ich rein vor der Welt und frei von jedem Verdacht vor Sie hintreten darf, werde ich Ihre Braut. Das schwöre ich Ihnen bei dem Angedenken meiner Mutter!«

 
VI.

Vor dem Gefängniß, worin der angeklagte Diener Ludwig Flieder im Vertrauen auf seine auch vor dem Gericht wiederholten Angaben ruhig die in Kurzem bevorstehende öffentliche Verhandlung erwartete, stand eine ärmlich gekleidete Frau mit kummervollem Gesicht und begehrte Einlaß, um ihren Sohn zu sprechen.

Der Kriminal-Kommissar, an den sie sich deshalb 45 gewendet hatte, führte sie selbst in die Zelle, da er sich mehr als je für den verwickelten Fall aus Rücksicht auf die betheiligten Personen interessirte. Alle seine Bemühungen, den Gefangenen zu einem Widerruf seines für Therese so kompromittirenden Geständnisses zu bewegen, waren bisher an der Hartnäckigkeit des Burschen gescheitert, der nach wie vor seine Unschuld betheuerte.

Es war ein letzter Versuch, den jetzt der erfahrene Beamte im Einverständniß mit Arnold machte, um die Wahrheit zu ermitteln, da er sich von dem Anblick der alten gebeugten Frau einen auch selbst bei verhärteten Verbrechern nicht seltenen Eindruck versprach.

Seine Hoffnungen schienen jedoch nicht in Erfüllung zu gehen, indem der Gefangene zwar seine Mutter freundlich begrüßte, aber, durch die Gegenwart eines Dritten sichtlich zurückgehalten, in seinen Worten und Mienen die größte Vorsicht beobachtete. Um daher die Unterhaltung zwischen Beiden nicht zu stören, entfernte sich der Beamte, selbst auf die Gefahr, durch seine Abwesenheit den Vorwurf einer Nachlässigkeit und Pflichtverletzung sich zuzuziehen. Erst nachdem er gegangen war, ließ die alte Frau ihren Thränen 46 freien Lauf, welche zugleich von ihren Ermahnungen und Vorwürfen begleitet wurden.

»Daß ich diese Schande erleben muß!« jammerte sie. »Lieber wäre ich gestorben, als Dich so zu sehen.«

»Mutter!« erwiederte er mit leiser Stimme, »laß das Heulen sein; es nützt nichts, und kann Dir nicht helfen. Wenn ich auch eingesperrt bin, so fürcht' ich mich nicht, und auch Du brauchst Dir keine Sorge zu machen. In acht Tagen bin ich wieder frei und ich lache sie Alle aus.«

»Und wenn Du auch frei kommst,« entgegnete sie traurig, »so bleibst Du doch in meinen Augen und vor Gott ein schlechter Kerl; ich weiß am besten, daß Du gestohlen und noch dazu gelogen hast.«

»Du wirst mich doch nicht verrathen?« versetzte er fast ängstlich. »Dazu hast Du doch Deinen Sohn zu lieb.«

»Und wenn ich Dich auch Hundertmal so lieb hätte, als ich thue, und wenn mir das Herz darüber brechen sollte, so kann ich es doch nicht ruhig mit ansehen, daß Du so schlecht und niederträchtig an dem guten Fräulein gehandelt hast. Wenn Du mein Sohn bist, so ist sie meine Tochter, die ich auf meinen Armen gewiegt und an meiner Brust genährt habe. Sie hat es nicht vergessen 47 und mir so viel Gutes erwiesen, daß ich es ihr nicht vergelten kann.«

»Laß doch die alte Geschichte!« unterbrach er sie. »Ich habe sie schon Hundertmal von Dir gehört und weiß sie längst auswendig.«

»Als ich nach dem Tode Deines seligen Vaters,« fuhr die Alte fort, »nichts zu brechen und zu beißen hatte, da sorgte sie für mich, als ob sie meine leibliche Tochter gewesen wäre. Nur auf ihre Bitten hat Dich der gnädige Herr in seinen Dienst genommen und Dir einen so guten Lohn gegeben. Und Du bringst jetzt zum Dank für alles Gute, was sie an Dir und mir gethan, Schimpf und Schande über Deine brave Herrschaft.«

»Mein Gott!« rief der Gefangene unruhig, »schrei' doch nicht so laut, der Kommissar ist nicht weit und kann jedes Wort hören.«

»Ich wollte, daß die ganze Welt es hörte, und ich will so lange rufen und schreien, bis Dein Gewissen aufwacht und Du Deine Schlechtigkeit bereust.«

»Du wirst mich noch unglücklich machen und in's Zuchthaus bringen.«

»Besser Du kommst in's Zuchthaus als in die Hölle, 48 wozu Du ewig verdammt bist. Noch ist es Zeit, noch kannst Du Deine Seele retten. Ludwig! ich bitte und beschwöre Dich, rede die Wahrheit und der Himmel wird Dir gnädig sein. Du bist noch jung und das böse Beispiel hat Dich verführt. Wenn Du ein offenes Bekenntniß ablegst, werden die Richter Mitleid mit Deiner Jugend haben und der Herr Geheimrath, der ja so sehr viel vermag, ein gutes Wort für Dich einlegen, daß man Dich nicht zu hart straft. Ich selbst will mit ihm sprechen und ihn so lange bitten, bis er sich von mir erweichen läßt.«

»Du sprichst, wie Du's verstehst. Hier heißt es: jeder ist sich selbst der Nächste, entweder ich oder das Fräulein. Du hast die Wahl, ob Du mich oder sie lieber hast. Wenn Du aus der Schule schwatzest, so bin ich verloren, aber kein Richter kann und wird Dich zwingen, Zeugniß gegen den eigenen Sohn abzulegen.«

Es war ein harter Kampf, den jetzt die arme Frau in ihrem Herzen kämpfte. Auch in dem schuldigen Verbrecher liebte sie noch immer ihren Sohn, und trotzdem sie seine That verabscheute, fühlte sie in diesem Augenblicke alle Sorgen, den ganzen Kummer einer zärtlichen Mutter, die 49 ihr Kind in Gefahr sieht. Ein Wort aus ihrem Munde konnte ihn retten oder verderben.

Aber sie liebte auch die gute Therese, die sie einst auf ihren Händen getragen, und betete in ihr ihre Wohlthäterin an. Sie dachte an die zahlreichen Beweise ihrer Herzensgüte und Großmuth, an die vielfachen Unterstützungen, die sie von ihr empfangen, an all die freundlichen Worte und liebevollen Thaten der jungen, edlen Dame.

Noch schwankte sie. –

Doch mächtiger als dies Alles war der ihr eigene Sinn für Recht und Gerechtigkeit, der weit öfter, als man glaubt, gerade in den unteren Klassen gefunden wird und sich mit dem Glauben an den göttlichen Richter verbindet. So schwer ihr auch das Opfer fiel, so war sie jetzt entschlossen, das Unrecht nicht zu dulden und die Wahrheit laut zu bekennen, selbst wenn sie dadurch den eigenen Sohn zu Grunde richtete.

»Ludwig!« sagte sie, ihre gebückte Gestalt aufrichtend, so daß sie förmlich zu wachsen schien; »Ludwig! Ich kann nicht anders, wenn mir auch das Herz darüber bricht. Ich muß die Wahrheit sagen und kann nicht lügen, sollte es auch mein und Dein Leben kosten. Ich könnte ja nicht 50 ruhig sterben, wenn ich es zulassen wollte, daß dem guten Fräulein ein solch himmelschreiendes Unrecht geschähe. Du kannst nicht von mir verlangen, daß ich mit einer solch schweren Sünde mein Gewissen belaste und mit ihr in das Grab mich lege. Ich bin eine ehrliche Frau und will so bleiben bis zu meinem Tode, damit ich mich nicht zu schämen brauche, wenn ich drüben Deinen seligen Vater wieder sehe.«

»Was willst Du thun?« fragte der Gefangene erschüttert.

»Was Abraham mit seinem Sohne gethan hat,« versetzte die arme Frau mit vom Weinen erstickter Stimme. »Erinnerst Du Dich noch, wie Du mir als kleiner Junge das Kapitel vorgelesen hast und ich Dir damals den Sinn erklärt habe, daß man Gott jedes Opfer bringen muß, wenn er es von uns fordert? – Er wird auch mein Gebet erhören und zur rechten Zeit seinen Engel schicken, um Dich zu retten, und das bekümmerte Mutterherz trösten, denn er will nicht, daß der Sünder stirbt, sondern Buße thut, und hat mehr Freude an einem bekehrten Sünder, als an neunundneunzig Gerechten, wie uns die heilige Schrift verkündet.«

Eine tiefe Stille herrschte in der Gefängnißzelle, nur durch das dumpfe Schluchzen des Sohnes unterbrochen, 51 dessen verstocktes Herz nicht länger den Ermahnungen seiner frommen Mutter zu widerstehen vermochte.

»Ich will,« sagte er gebrochen, »nicht Deine letzten Tage betrüben und nicht Dein Gewissen belasten. Sobald der Kriminal-Kommissar wiederkommt, werde ich selbst ihm Alles in Deiner Gegenwart sagen, um Dir das Herzeleid zu ersparen, den eigenen Sohn anzuklagen.«

»Und ich,« setzte die Mutter hinzu, »will so lange bitten, bis ich Gnade für Dich finde, und sollte ich selbst bis zu unserem König gehen.«

Als der Beamte bald darauf in die Zelle trat, wurde er nicht wenig durch das offene Geständniß des Angeklagten überrascht, das dieser noch an demselben Tage vor dem betreffenden Untersuchungsrichter wiederholte.

In Folge dieses bald bekannt gewordenen Ereignisses verlor die öffentliche Gerichtsverhandlung die erwartete Bedeutung, und das auf einen Skandal begierige Publikum sah sich schmerzlich enttäuscht, da durch das unumwundene Bekenntniß des Schuldigen der Prozeß kein besonderes Interesse mehr bot.

Ludwig Flieder wurde unter Annahme mildernder Umstände zu einer mehrmonatlichen Gefängnißstrafe verurtheilt. 52 Nach verbüßter Strafe erhielt er aus der Hand seiner Mutter eine Summe, die ihn in den Stand setzte, mit ihr nach Amerika auszuwandern, wo er laut sicheren Nachrichten als Landwirth sich ehrlich nährt, so daß an seiner Besserung nicht gezweifelt werden kann.

An demselben Tage aber, wo durch die Verhandlungen ihr Ruf vollkommen wiederhergestellt war und Niemand mehr ihre Unschuld anzutasten wagte, reichte Therese dem glücklichen Arnold ihre Hand zum ewigen Bunde, indem sie gerne ihre Selbstständigkeit dem geliebten Manne opferte, der ihr den größten Beweis seiner Treue gegeben hatte. Unter den zahlreichen Gratulanten, die sich einstellten, befanden sich auch Frau Jäkel und der Kriminal-Kommissar, denen die Verlobten herzlich für ihre bewiesene Theilnahme dankten. Erstere brachte einen Gruß von dem Diebsrath und ein versiegeltes Paket für Arnold. Als dieser dasselbe öffnete, fand er darin die zwei noch fehlenden Münzen, womit er die Freude des Geheimraths über die Feier dieses Tages noch erhöhte.



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