Fritz Reuter
Polterabend-Gedichte
Fritz Reuter

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26. Zu einer silbernen Hochzeit

Zigeunerzug

Pedro (Schloßvogt. Er hat einen Holzfuß, trägt einen
dreieckigen Hut, Perücke mit Zopf, gepudert, einen
breitschößigen Uniform-Schniepel mit buntem Kragen und
Aufschlägen an Schoß und Ärmeln. In der Hand hat er ein
großes Rohr mit blankem Knopf und herabhängenden
Quasten. Um den Leib hängt ein Schleppsäbel. Spricht zur
ganzen Gesellschaft.)

Donnerwetter! Parapluie!
Seit der großen Retirade
Sah ich solche Wirtschaft nie!
Meine Herrn, heut' ist es grade,
Als wollt' sich ganz ...
Und die nah gelegnen Dörfer ..., ...
Vor dem Hause hier versammeln
Und die Türe uns verrammeln.
N. N., unser Intendant,
Längst als fixer Kerl bekannt,
Ja, sogar auch N. N.
Könn'n dem Unfug nicht mehr steuern.
Is ist nur gut, daß unser Olle
Heut' muß seine Hochzeit feiern,
Käm' er 'raus und säh den Krempel,
Statuiert er ein Exempel,
Denn seit Anno achtundvierzig
Ist er sehr vor Polizei,
Und der keckste Hofjung' wird sich
Ihm nur nahn in tiefster Scheu;
Nur den Damen schenkt er Gnade.
Bei der großen Retirade,
Wo ich um dies Bein gekommen...
Habt Ihr die Geschicht vernommen?
Nicht? – Dann sollt ihr nun sie hören,
Aber nun auch still, ihr Gören!
Seht, ich werd es nicht vergessen:
Früh hielt uns der General
Eine Rede voll Choral.
»Kinder«, sprach er, »nicht vermessen!
Hübsch das Leben konserviert!
Denn ein Feldherr ist nur Sieger,
Wenn er keinen Mann verliert.
Laßt vom Mut euch nicht verführen,
Denkt bei Zeit ans Retirieren.«
Kaum daß er die Rede schloß,
Ging die Retirade los.
Schnaufend, laufend rannte ich,
Laufend mit dem einen Beine
Über Stock und über Steine,
Mit dem andern wehrt' ich mich.
Halb schon in dem offnen Tor
War ich mit dem rechten Bein,
Da schiebt man den Riegel vor,
Und so büßt ich dieses ein.
Kriegt' den Abschied drauf, Verehrte,
Ohne Bein und ohne Orden;
Schloßvogt bin ich hier geworden
Und verseh' die Hakenpferde,
Putz dem Herrn hier auch die Stiebel.
Kurz, die Stellung wär' nicht übel,
Und nicht schlecht bin ich gehalten,
Dürft' mit Einsicht und Verstand
Ich nach eignem Willen schalten,
Ließ man mir nur freie Hand.

(Spöttisch.)
Doch da muß man immer fragen,
Was Gestrengen dazu sagen.

(Tritt an das Jubelpaar heran. Zu dem Herrn.)
Ehrfurchtsvollen Gruß, Gestrengen!

(Zu der Frau.)
Edle Dame, sein Gemahl!
Draußen stehn die Leut' und drängen
In das Haus und in den Saal.
Pöbel, Euer Gnaden, Pöbel!
Gebt Befehl, so soll mein Säbel
Dieses Volk sogleich zerstreu'n;
Gebt Befehl, ich haue ein.
Aber, ein'ge sind darunter,
Männer sind's sowohl wie Frauen,
Deren Kopf und Kleid ist bunter
Als ein Pagelun zu schauen;
Aus Ägyptens fernem Lande,
Sagt man, stammt die Rasselbande.
Singen Romanzen,
Springen und tanzen,
Flicken Kessel,
Stehlen Gössel
Wie die Füchse.
Taugenichtse!
Legen Feuer
An die Scheuer,
Sagen wahr,
Hexen gar!

(Zu dem Herrn.)
Und besprechen, Herr, das Vieh.
Doch ein Mädchen ist darunter,
Donnerwetter! Parapluie!
Um das Mädchen ist es schade!
Seit der großen Retirade
Sah ich, Herr, ich sage Sie,
Sah ich so ein Mädchen nie!
Wenn Gestrengen demnach wollen,
Daß herein sie kommen sollen,
Dann, Herrschaften, meinetwegen,
Ich, ich habe nichts dagegen.
Sprecht, Herrschaften, soll es sein?
(Hier eine Pause, bis die Jubilare mit »Ja« antworten.
Er geht darauf zur Tür und läßt den Zug ein.)
Na, ihr Pack, dann tretet ein!

Zigeunerzug

(Voran Preziosa, einfach geschmückt, ein Tamburin in
der Hand, Schleier. Alle paarweise, der Hauptmann mit
der Zigeunermutter zuerst, alle verschieden gekleidet,
namentlich die Damen recht bunt. Die Männer mit
Klapphüten. Sie treten mit Gesang ein und ziehen im
Kreise umher bis zum Schluß der Melodie, wo sie sich
dann vor dem Paare aufstellen.)

 

Chor (nach der Melodie »Wohlauf noch
getrunken den funkelnden Wein«):

Die Jugend und Schönheit kann nimmer bestehn,
Doch innige Liebe kann nimmer vergehn;
Drum Heil diesem Hause und Heil diesem Paar!
Und Heil dieser Liebe, so treu und so wahr!

Preziosa (zu dem Paare):
Heil dem Hause! Heil dem Paare!
    Das sich heut' des Tages freut.
Rasch verflossen sind die Jahre
    Unter Freud' und unter Leid.
Kehrt die Zeit euch nicht zurück,
    Kehrt die Jugend auch nicht wieder,
Blüht sie in der Kinder Glück,
    Singt aufs neue Hoffnungslieder.

Zigeunerhauptmann (zur Gesellschaft):
Wir wandern durch Wälder bei Nacht und bei Wind,
Wir ziehen durch Länder mit Weib und mit Kind,
Wir lagern uns lustig am murmelnden Bach,
Es singt uns die Lerche im Morgentau wach.
Die Welt ist so weit, und so weit wie die Welt
Ist das Herz, dem die Freiheit vor allem gefällt.
Nur vorwärts, nur vorwärts! Nur nimmer zurück!
Es lebe die Freiheit! Die Freiheit ist Glück!

Zigeunermutter (zu dem Paare):
Doch schön ist's auch, will es mir scheinen,
Wenn einer sitzet mit den Seinen
Bei Winternacht und Sturmgebrause
Behaglich in dem eignen Hause;
Wenn man am warmen Herde hockt,
Wenn in den Tälern, auf den Bergen
Das goldne Korn den Schnitter lockt,
Wenn Schätze unsre Scheuren bergen
Und wenn der Rinder glatte Schar
Und wenn der Schafe woll'ge Herde
Sich fröhlich mehret Jahr für Jahr
Und wenn der Stall voll mut'ger Pferde,
Füchs' in dem Stall und in der Truhe,
Und allenthalben Ordnung ist und Ruhe.

Pedro:
Madam Zigeunerin,
Verschon' Sie uns mit Ihren Witzen!
Ich glaube gar, dies soll'n woll Spitzen
Auf unsern hiesigen Zustand sin?

Zigeunermutter:
Ich dachte, Herr...

Pedro:
                              Na, das wär' schön!
Da müßt' die Welt ja untergehn
Und müßt' sich aus den Fugen renken!
Kein Frauenzimmer darf hier denken,
Mir selbsten ist es nicht erlaubt;
Das Denken hört dem Oberhaupt.

Zigeunermutter:
Wenn wir nicht denken sollen, laßt uns tanzen
Und Lieder singen, laßt uns prophezeihn!

Pedro:
Parapluie und Pomeranzen!
Meinetwegen kann das sein.

Zigeunermutter:
Nun, Preziöschen, komm, mein Herz,
Sing dein Lied in Ernst und Scherz.

Hauptmann:
Ja, Preziosa, deine Lieder
Hall'n im Glück und Unglück wider.

Preziosa (zur Gesellschaft):
Glück und Unglück, Ernst und Scherz,
Habt es, mein ich, gut getroffen,
Glauben, Bangen, Fürchten, Hoffen
Ziehen wechselnd durch das Herz.
Seht ihr heute in die Ferne,
Blickt ihr auf- und niederwärts,
Allenthalben ödes Dunkel!
Doch mit hellem Lichtgefunkel
Leuchten morgen neue Sterne.
Blickt umher hier in dem Saale;
Freude sitzt beim frohen Mahle,
Und die Lust trinkt ihre Schale
Jauchzend leer.
Alter Zecher
Frohe Becher
Fordern mehr,
Gleich dem Siebe.
Junge Liebe
Sendet Blicke
Unter Scherzen,
Bauet die hochgeschwungene Brücke
Von Herzen zu Herzen.
Leichte Spiele
Im Gewühle
Froher Gäste,
Winden und binden beim Kerzenschein
Schimmernde Kränze zum fröhlichen Feste,
Wirken die sinnigen Blumen hinein.
Aber hinter jedem Becher
Steht ein Rächer;
Hinter junger Liebeshuld
Reu' und Schuld;
Hinter froher Spiele Scherz
Gram und Schmerz.
Ach, die Freude ist begraben!
Ernste Zeit heischt ernste Worte;
Krieg klopft donnernd an die Pforte.
Hört ihr draußen Rosse traben?
Hört ihr Donner von Geschützen?
Seht ihr blitzen?
Seht ihr, wie sich Wetter türmen?
Hört ihr stürmen? –
Ringsumher wird's trüb und trüber,
Hoffet nicht, es zieh' vorüber;
Mut allein kann schützen, schirmen.
Laß die Lust,
Beut die Brust
Nackt und kühn
Dem Feinde dar!
Kriegesmüh'n,
Kriegsgefahr
Reißen mächtig in das Leben,
Stählen, heben,
Was in Sumpf versunken war.
Laß den Vater, laß die Mutter!
Vaterlands Kanonenfutter
Sei ein jeder!
Laß die Feder!
Laß den Pflug!
Schreiber, Pflüger gibt's genug;
Männer braucht's,
Männern taugt's,
Gebt drum Männer in den Kauf!
Stellt ihr frisch euch in die Reih'n
Der gefallnen Brüder ein,
Stehn die Toten wieder auf!

Doch ich seh' weiter in die Ferne, weiter:
Die dunkeln Wetter sind verzogen
Der blaue Himmel lächelt heiter,
Hoch steigt des Friedens Regenbogen;
Es herrscht das Licht, gestillet ist das Sehnen,
Die junge Welt, sie lächelt unter Tränen.
Frei, wie der Bogen in die Luft sich schwingt,
Wird sich das Vaterland gestalten,
Eins wie das Licht, das aus dem Himmel dringt,
Mögt ihr's in tausend Farben spalten.
Und deckt den blüh'nden Sohn dann auch der Sand,
Stolz, Vater, sprich: »Er starb fürs Vaterland.«

Herrscht der Wechsel in dem Großen,
Herrscht er auch im Einzelleben.

(Auf das Paar zeigend
und an dasselbe herantretend.)
Wollten diese Antwort geben,
Würd't ihr hören, was ich sage.

(Zu den beiden.)
Ungetrübte heit're Tage,
Ländlich einfach, schicksalstille,
Wohlfahrt, Reichtum, jede Fülle,
Und den blüh'nden Kindersegen
Und der Zukunft Hoffnungswonne
Fandet ihr auf euren Wegen.
Doch nicht immer schien die Sonne.
Harte Schläge des Geschickes
Trafen auch auf euer Haupt
In dem Vollgenuß des Glückes,
Und ein Schatz ward euch geraubt,
Nimmer, nimmer kehrt er wieder!
Jugendantlitz, Jugendlieder,
Junger Mut und junger Sinn
Sind für alle Zeit dahin.
Doch ein Trost ist im Verlust,
Der erfüllt die alte Brust
Mit der Jugend Schimmer wieder.
Horcht dem Troste meiner Lieder!
(Nach der Melodie des »roten Sarafan«.)

Zeiten sind vergangen
    Unter Schmerz und Glück,
Und das Rot der Wangen
    Kehret nie zurück.
Mußt' die Jugend von euch scheiden,
    Kehrt das Alter ein,
Wird der schönste Trost euch beiden
    Treue Liebe sein.

Sie wird euch geleiten
    An des Alters Stab;
Liebe dauert Zeiten,
    Dauert übers Grab.
Wenn das junge Haar sich bleichte
    Zu dem Silberschein,
Den Verjüngungsbecher reichte
    Dann die Lieb' allein.

Und so wandelt heiter
    Immer berghinab,
Immer, immer weiter
    Bis ans kühle Grab.
Und dann drückt euch still die Hände,
    Muß geschieden sein,
In dem Herzen bis ans Ende
    Treue Lieb' allein

Pedro (vortretend):
Aber nun genug vom Singen,
Macht uns traurig bloß;
Und ich denk', nun geht das Springen
Und das Tanzen los.

Zigeunerhauptmann:
Ja, ihr Kinder, stellt euch ein!
Fix herbei und schlingt den Reihn!

Zigeunermutter:
Und hübsch auswärts setzt die Beine!
Und ich sag euch's, komm' mir keine
Mit den mod'schen Eisenreifen,
Die sie Krinoline nennen.

(Zu der Gesellschaft.)
Weiß nicht, wie sie in den steifen
Tonnenbügeln tanzen können.

(Ein Tanz, etwa eine Quadrille. Als derselbe beendet ist,
schießt Pedro auf das eine Paar los und faßt Tänzer und
Tänzerin beim Ohrzipfel und führt sie in den
Vordergrund.)

 

Pedro:
Halt, Kanaille! Seh' mal einer!
Spielen diese auch Zigeuner!

(Zum Jubilar:)
Bei der großen Retirade,
Wo ich Bein verlor und Waden,
Dies ist unser Hofjung', Gnaden!
Und dies ist das Stubenmädchen –
Donnerwetter, Parapluie!
Uns're Dörte, wissen Sie.

(Zu dem Tänzer.)
Hab' ich es doch nicht gewußt,
Wo der Strick geblieben wär'!
Junge, sprich, wo kommst du her?

Tänzer (weinerlich):
Oh, ik hadd so'n groten Lust,
Hir en beten tautaukiken,
Un ik lep von't Klutenkloppen,
Mi hir mit herin tau sliken.
Auh! So lat Hei doch Sin Zoppen!

Pedro (zu der Tänzerin):
Und du, Wildfang?

Tänzerin (keck):
                              Ack, ik bün
Ok man so mit rin geraden.

(Zu dem Paare.)
Wull mi man in Ehren Sinn
So recht freuen, Ihro Gnaden,
Wenn Sei fründlich von Gesicht
Un von Harten fröhlich wiren.
(Zu Pedro, schelmisch:)
Un vör all'n wull'k de Geschicht
Von de Retirad' mal hüren.

Pedro:
Sieh! Ein recht verständig Kind!
Na, ich werde nicht verfehlen,
Wenn sie fortgegangen sind,
Sie dir gründlich zu erzählen,
Wie es ist und wie es war.

(Zu Preziosa.)
Schatz, nun sage mir mal wahr!

Zigeunermutter (sich vordrängend):
Halt! Bei Euch bin ich am Platze.
Zeigt mir mal die liebe Tatze!
(Sie schaut in seine Hand.)
Herr, Ihr lebet lang' auf Erden;
Werdet aber älter werden,
Werdet immer lahmer gehn,
Mit dem Bein, da wird es schlimmer,
Und der Rücken wird Euch krümmer,
Und Ihr werdet immer, immer...
(Pantomine vor der Stirn.)
Na, Ihr werdet mich verstehn!

Pedro (ihr die Hand fortreißend):
Halt Sie 's Maul mit dem Gekrächze!
Das weiß ich selber, olle Hexe!

Preziosa (zu der Jubelbraut,
nach bekannter Melodie):
Den lieben, langen Tag
Hast du nur Sorg' und Plag',
Der Olle tut dich immer plagen.
Wenn ihn die Laune sticht
Und er den Kriwwel kriegt
Und kriegt's im Magen,
Mußt du's ertragen.

Doch trag es mit Geduld,
Es ist nicht seine Schuld,
Ihn reitet dann der Hypochonder.
Und schlägt kein Mittel an,
Wirst du den lieben Mann
Doch heilen müssen,
Vielleicht mit Küssen.

Zigeunermutter (zum Jubilar):
Mein Herr, ich soll euch Wahrheit künden
Aus Eurer Hand, ich brauch' sie nicht;
Die laut're Wahrheit läßt sich finden
In Eurem weisen Angesicht.
Diese ausdrucksvollen Züge,
Dieses Aug', wie ein Flambeau,
Künden Eures Geistes Siege,
Seid ein zweiter Salomo.
Keine Hofdirn remonstrieret,
Und kein Hofjung' rebellieret,
Selbst kein Drescher widerspricht,
Wenn Euer Mund ein Machtwort spricht,
Denn Ihr seid klug und weise,
Und Euch betrügt man nicht.
(Preziosa stellt sich hin, als wolle sie noch weiter singen.)

Pedro (faßt sie am Arm):
Nun halt mir ein mit deinem Liede!
Du bist zwar 'ne ganz nüdliche Person,
Doch nun mach fort! Gestrengen werden müde,
Gestrengen jähnen schon,
Gestrengen winken, sollt euch scheren.
Wir haben übel zwar euch nichts genommen;
Zuweilen wurdet ihr jedoch zu dreist,
Und solltet ihr 'mal wieder kommen,
So zügelt euren Witz. Nun reist!
(Zigeuner ordnen sich zum Zuge.)

Pedro:
Nun geht! Gestrengen haben eben mir befohlen,
En Schnaps und Butterbrod euch aus der Küch' zu holen,
Und dann ist es mir aufgetragen,
Ich sollt' euch gnädigst wissen lassen,
Es würd' dem hohen Herrn hier passen,
Wenn ihr so in den nächsten Tagen
Wollt't mal submissest vor hier wieder fragen –
Das heißt: nach fünfundzwanzig Jahren.
(Zigeuner mit dem Eintrittsgesang ab.
Pedro hinkt hinterher.)


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