Fritz Reuter
Polterabend-Gedichte
Fritz Reuter

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19. Eine Szene zum Geburtstage des Vaters

(dargestellt von der Erzieherin und den Kindern.
Die erstere als Wartefrau.)

Wartefrau:
Gören, nu wees't still un maakt nich so'n Larm!
Ji maakt mi rein den Kopp noch warm
Mit juges Bröllen, juges Schriegen.
Doa kann man jo dei Ahnmacht kriegen!
Ick weit nich, wo mien Kopp mi steiht;
Hei is mi heil un deihl vedreiht.
Doa stahn sei all un blahren, blahren,
Dei ein will dit, dei anne dat,
Un wenn'n s' frögt, so weiten sei nich wat
Un hebb'n mi ümme bloß tau'm Nahren.
Schrieg, Deuwel, schrieg!
Ick war mi an jug' Schriegen goa nich kiehren;
För dat schlicht Lohn, wat ick hier krieg,
Bruuk' ick mi nich tau strapazieren.
Von'n Mor'n bet tau'n Abend, von'n Abend bet tau'n Mor'n
Geiht dat Gebröll in einen furt,
Ick bün ganz swack in'n Kopp all worrn,
Ick war verrückt, wenn dat noch länge duurt.
Wenn blos jug' Vahre dat man so mal wüßt,
Wo ick mit jug mi hier möt quälen,
Hei dehr in'n ganzen Hus' befehlen,
Dat man mi Fäut un Hän'n küßt;
Hei würr mi keine Bähr afschlagen
Un würr mi sülwst up Hän'n dragen
Un »Rieke«, würr hei seggen, »leiwe Rieke,
Wo is dat mäglich, dat du diene Saaken
Un dienen ganzen Kram so bringst in't Glieke?«
Un würr mi ok mal äwestraken.
Je hei! – Hei un straken!
Mit schnöre Rehren ranzt hei mi man an,
Kein fründlich Wurt hett je hei tau mi spraken.
Noch nielich sähr'e – paßt sich dat woll för so'n Mann? –,
As em dat wier mal upgefollen,
Dat in den Jung' sien Uhr en bäten Schmutz:
»Sall ick di noch en Hawjung' hollen,
Dat hei dat Kind dei Uhren putz'?«
Is dat 'ne Rehr för'n Gautsbesitze,
Paßt sich dat för so'n rieken Mann,
Dat hei mi so'ne schlichten Witze
Von'n »Hawjung' hollen« maaken kann?

Zweites Mädchen:
Nee, Ite, nee! Du sast up den'n Papa nich schellen.

Wartefrau:
Du dummes Ding, wer schellt em denn?
Ick dauh jo bloß dat man vetellen.
Man kann doch seggen, wo un wenn!

Erstes Mädchen:
Nee, diene Rehr wier vähl mihr spitze,
Un du hest seggt, Papa maakt schlichte Witze.

Wartefrau:
Na, mit sien gauren geiht dat ok sihr an;
Wenn hei weck maakt, sünd sei man schlicht.
Un nu gaht hen un mell't mi an,
Ierst behrt mi äwe jug' Gedicht
Un stellt jug in de Reih' up dese Stäuhl
Un schniert nich so'n oll dämliches Gesicht
Un sprekt mit Utdruck un Gefäuhl
Un rüppt un rückt un rührt jug nich.
(Sie hebt das kleinste Kind auf den Stuhl.)
So! Ach Gott, dat Lütting!
Segg, Lütting, kannst nich 'ruppekamen?
Süh, soking! Wies' dien lütten Poten,
Dien Uhren ok; sünd sei ok witting?
Denn hüt, hüt kamen Herrn un Damen
Un veele, veele annern Gäst;
Hüt is Papa'n sien Geburtsdagsfest.
Süh, so is't recht! – Nu fangt mal an,
Un jere sprek so luur, as hei man kann.
(Alle schreien durcheinander.)

Wartefrau:
Herr Je, mien Kopp! Herr Je, mien Kopp!
Hürt up, hürt up! Herr Je, mien Kopp!

(Zu der ältesten:)
Nu, du mal ierst.

Erstes Mädchen:
    Lieber Vater, bin im Neste
    Die Verständigste und Ältste,
    Bin an diesem frohen Feste
    Ganz gewiß auch nicht die Kältste.

Wartefrau:
Richtig!
    Lieber Vater, bin beim Feste
    Die Verständigste und Ältste,
    Bin in diesem frohen Neste
    Ganz gewiß auch nicht die Kältste.

Erstes Mädchen:
    Komme heut', zu gratulieren,
    Den Pantoffel dir zu bieten,
    Komm', dein graues Haupt zu zieren
    Mit dem Kranze voller Blüten.

Wartefrau:
Richtig!
    Komme heut', zu gratulieren,
    Dir mein graues Haupt zu bieten,
    Den Pantoffel dir zu zieren
    Mit dem Kranze voller Blüten.
Nee, so is't nich!
    Komme heut', zu gratulieren,
    Dir den grauen Kranz zu bieten,
    Dir dein volles Haupt zu zieren,
    Den Pantoffel voller Blüten.
Nee, so is't ok nich!
    Komme heut', zu gratulieren,
    Dir den vollen Kranz zu bieten,
    Den Pantoffel dir zu zieren
    Und dein graues Haupt voll Blüten.
Nee, so is't all nich!
Aewe schadt ok nich!
Dei Gören sälen't spreken,
Ick war mi nich den Kopp tebreken.
(Scheint jetzt erst den Festling gewahr zu werden.)
Herr Jemine! Doa is hei jo!
Wo hew ick dägern mi vefiert!
Na, nu fangt an un maakt dat so,
As jug dei Schaulmamsell dat liehrt!

(Die Kinder, die bisher nach Vorschrift steif auf den
Stühlen gesessen haben, gruppieren sich natürlich um den
Vater. In dem vorliegenden Falle überbringt das älteste
Mädchen einen Kranz und einen Pantoffel, das zweite
Mädchen den andern dazu gehörigen Pantoffel als
Geburtstagsarbeit. Für diese beiden setze ich kleine
Gedichte her, indem ich dabei andeute, daß für eine
größere Anzahl mitspielender Kinder nach Bedürfnis
leicht durch kleine Verse ausgeholfen werden kann. Daß
auch Knaben mitspielen können, versteht sich von selbst.)

 

Erstes Mädchen (Kranz und Pantoffel überreichend):
    Lieber Vater, bin im Neste
    Die Verständigste und Ältste,
    Bin an diesem frohen Feste
    Ganz gewiß auch nicht die Kältste

.

    Komme heut', zu gratulieren,
    Den Pantoffel dir zu bieten.
    Komm', dein graues Haupt zu zieren
    Mit dem Kranze voller Blüten.

    Heit're Tage, Glück und Segen
    Mögen auf dich niedertauen,
    Und auf allen deinen Wegen
    Möge stets der Himmel schauen!

Zweites Mädchen:
Klein ist die Gabe, die ich biete,
    Doch groß die Freude, die's mir macht,
    Und aus dem innigsten Gemüte
    Sei dir mein Glückwunsch dargebracht.
    Denk nicht, es sei der schlechte Schuh
    Allein, den ich dir heute bringe;
    Blick' in mein Herz, dort findest du
    Den tiefsten Dank für deine Güte,
    Für all dein freundlich, herzlich Wesen,
    Das du mir immer zugewandt;
    In meinem Herzen kannst du's lesen,
    Wie gütig deine Vaterhand!

(Drittes, viertes, fünftes Kind usw.)

Wartefrau:
So geht es uns. – Kaum hat der heit're Scherz
In uns'rer Seele froh gewaltet,
So füllt ein ernster Sinn das Herz
Und uns're Stirne ist gefaltet.
Was erst dir Freude war und Glück,
Scheint dir ein törichtes Beginnen;
Die Seele zieht sich scheu zurück,
Versenkt sich still in tiefes Sinnen,
Und alle innigen Gefühle,
Sie drängen mächtig auf dich ein.
Wohl dem, dem solche Wechselspiele
Stets neue Lebenskraft verleihn!
Wohl dem, der keine Bitterkeit
Auf seines Herzens Grund gefunden,
Dem einer stillen Freudigkeit
Verschwistert sind die ernsten Stunden!
Er wird nicht in den tiefen Schmerzen,
In Kampf und Trübsal untergehn,
Und wird in allen heitern Scherzen
Den Ernst des Lebens walten sehn.
Such nun den Ernst in uns'rer Freude,
Verzeih uns auch den Spott und Scherz
Und denk, daß tief ergriffen heute
Für dich gebetet manches Herz.
Denk, daß, die heut' sich um dich sammeln,
Dir ihre besten Wünsche weih'n
Und daß die Wünsche, die sie stammeln,
Wie Kindheitsträume fromm und rein.
Oh! Fühle deines Glückes Macht!
Und sieh, wie jedes Antlitz leuchtet
Und jede Kinderwange lacht
Und deines Weibes Blick sich feuchtet!
Wie jeder Liebling dich zu Gast
In seinen Freudenhimmel ladet,
Wie dich die Liebe ringsum faßt
Und wie der Herr dich hochbegnadet!
Wie ihm allein gebührt der Preis!
Und willst der Fremden du nicht weigern,
Sich einzudrängen in den Kreis,
Und kann ein Wunsch dein Glück noch steigern,
So laß auch mich mit ernstem Worte
Dir bringen meine Wünsche dar –
Ich wünsche: daß an diesem Orte
Dies frohe Fest sich Jahr für Jahr
Mög' immer fort und fort erneuen,
Bis deine Tage sind gezählt
Und keiner dann von deinen Treuen
An deinem Sterbebette fehlt.


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