Fritz Reuter
Polterabend-Gedichte
Fritz Reuter

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9. Vorspiel

(Eine überschwengliche, himmlischen Unsinn redende Erzieherin und eine derbe Wirtschaftsmamsell. – Es kann dies Vorspiel zu dem Verschenken eines Kaffee- und Teeservice benutzt werden; nötig ist es nicht, wo denn aber für Kaffee und Tee auf einem Nebentische gesorgt sein muß.)

Erzieherin:
O wunderliebliche Gestaltung,
Wenn der Gedankenflug in ernster Haltung
Sich über Wolken, über Sterne schwingt
Und durch das All, durch alle Himmel dringt;
Wenn in der mannigfaltigsten Entfaltung
Er sich wie Epheu um die Geister schlingt
Fern von der Menschen albernem Geplärre.

Wirtschafterin:
Ach Gott! Nu hett sei't werre.

Erzieherin:
Wenn Berg und Tal zurückgelassen
Im Nebel fern der Erde liegt
Und unser Lieben, unser Hassen
Sich nur an an'dre Welten schmiegt,
Dann dehnt das Herz sich in die Breite,
Die Seele in die Länge aus,
Und aller Welten weitste Weite,
Die wird uns dann zum Vaterhaus.

Wirtschafterin:
Mien leiwes Frölen, hollen S' still!
Mi wad so blümerant tau Sinn,
Wenn ick mit Sei ok giern fleigen will,
So fäuhl ick doch, dat ick tau schwer von Körpe bün.

Erzieherin:
Oh, fliege mit mir durch die Himmelsferne,
Streb zu dem Äther auf mit leichtem Flügelschlag,
Begrüß mit mir die ew'gen goldnen Sterne,
Und zieh dem Flug der Wolken nach!
Dort ist ein himmlisch Weilen, selig Bleiben.
Oh, flieh der Erde schnödes Treiben
Mit ihren Dörfern, ihren Städten...

Wirtschafterin:
Un laat uns up den Mahn tau Abend eten.

Erzieherin:
O Mond, o süßer Mond,
O Mond, bist du bewohnt?
O Mond, dringt denn dein Licht
In aller Herzen nicht?
O Mond, der nächtlich thront,
O goldner, süßer Mond!
Schon als kleines Kind,
So still und fromm gesinnt,
Da dacht ich mir...

Wirtschafterin:
Dat hei en Eiekauken wier! –
Nu ritt dat ut; nu is't dei höchste Tied,
Dat gegen desen Raptus wat geschüht.
Is gaut, dat ick en Mittel weit,
Wat dese Dullheit endlich stürt.
Wenn sei up kein vernünftig Wurt mihr hürt,
Denn stillt dei Tee dei Schwärmigkeit.
(Sie hat während der Rede Tee eingeschenkt
und bringt ihn der Erzieherin.)

Erzieherin:
O Mond, o süßer Mond,
O Mond, wenn ich dich seh!...

Wirtschafterin (ihr laut in die Ohren schreiend):
Mien leiwes Frölen, hier is Tee!

Erzieherin:
Wo ich auch weil, wo ich auch geh,
Der Ruf zieht mich zur Erde nieder.
Wenn ich vor mir gefüllet seh
Die Tasse mit dem Haysantee,
Der Himmel flieht, die Erde hat mich wieder.

Wirtschafterin:
Na, dat's man schön! – Nu segg'n Sei mal, wo is denn dat
Mit unsre Pulterabend-Angelegenheit?
Ick mücht giern weiten, wo dat steiht,
Un wad denn ut den Kram noch wat?

Erzieherin:
Ja wohl! – Die Sache ist bereit.
Ich eil, das Nöt'ge zu besorgen.
Die Hochzeit ist ja schon auf morgen;
Es ist die allerhöchste Zeit.
(Geht ab.)

Wirtschafterin (zum Publikum):
Is schaar! Is würklich taum Beduurn,
Dat sei tauwielen kriegt so'n Tuurn,
Wo sei denn allens kann vegeten,
Is süs so'n schmuckes, nettes Mäten.
Dat Teegeklatsch, dat hett sei so veschraben,
Dat sei dei Minschen un dei Ier veracht't,
Dat sei dei Oogen kiehrt nah baben
Un stets nah Mahn un Heben tracht't. –
Wer drinkt denn Tee? Dat lawwrige Gedränk!
Wenn't Koffee wier, dat lat'ck mi noch gefallen.
(Sie schenkt sich Kaffee ein und trinkt
mit Wohlbehagen in einzelnen Absätzen.)

Ick lawe mi 'ne dücht'ge Koffeeschenk,
Denn Koffee deiht bekamen allen.
Tee? Nee! – Pfui! gaht mi mit den Tee!
Tee? Nee! – Koffee is mien Leben.
Ick dank för jugen Tee! – Nee!
Wer mi traktieren will, dei möt mi Koffee geben.
Den Tee, den'n kann der Kuckuck hahlen.
Doch Koffee! – Ach, dei schmeckt, un dei maakt warm,
Del glitt so sacht dei Seel hendalen,
Un is 'ne Medizin för Rieck un Arm.
Mi wad so wunderlich tau Sinn,
Mi wad so lustig, wad so licht,
Mi is, as ob ick all in'n Himmel bün;
Ick künn nu Riemels maaken un Gedicht'. –
Un denn? – Worüm nich? – Is all einerlei! –
Ick will dat ok mal eins probieren,
Ick will ok mal so as sei,
Ok mal en bäten phantasieren.
(Indem sie die Manieren der Erzieherin
nachzuäffen sucht und gewaltig übersinnlich
auszusehen sich bestrebt..)

Flüchten möcht ich jetzund haben,
Möchte fliegen, fliegen, fliegen,
Immer fort un fort nach baben,
Oder auf das Sopha liegen.

Auf das Sopha möcht ich liegen,
In den Koffee möcht ich stippen,
Oder fliegen möcht ich, fliegen,
Bunte Flüchten an den Rippen.

Stippen möcht ich, Kuchen stippen,
Mondschein möcht ich gern und Sterne,
Aus der Koffeetasse nippen
Möcht ich, ach! und himmeln gerne.

Himmeln möcht ich, nichts als himmeln,
Alles um mich her vergessen,
Wo die goldnen Sterne wimmeln,
Möcht ich wohl mal Kuchen essen.

Möcht ich wohl mal Kuchen essen,
Möcht ich wohl mal Kaffee trinken,
Alles um mich her vergessen
Und im Mondschein ganz versinken.

Und in Mondschein ganz versunken,
Möcht ich Liebespärchen schauen,
Wie sie hold sich zugewunken,
Möchte selig dort verdauen.

(Von jetzt ab spricht sie natürlich,
indem sie weiter vortritt.)

Wie ist der Gedanke labend:
Meine Wünsche sind nicht nichtig,
Heute ist es Polterabend,
Liebespärchen ist ansichtig.

Goldne Sterne sind die Damen,
Mondschein bieten alle Herrn,
Selbst den Steifen und den Lahmen
Leiht Musik die Flügel gern.

Gebt mir nun doch Kaffee! Kuchen!
Und, mein Himmel, er ist fertig!
Jetzt muß ich die Freundin suchen.
Seid der Rückkehr hold gewärtig. (Ab.)


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