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Zweites Kapitel.
Der Aufstand im Epirus.

Während noch der Winter mit seinen Stürmen tobte, Gipfel und Schluchten des Pindus und Balkan mit tiefem Schnee bedeckt waren, die Gebirgsbäche mit brausenden Wässern überflutet, die Täler in Ebenen und Seen verwandelt, loderte die Flamme des Christenaufstandes in Epirus, Albanien und Thessalien bereits in voller Glut empor.

In diesem Lande, der Heimat glühender Geister und tapferer Krieger, hatte die Perfidie des Diwans nach Vernichtung der freien albanesischen Begs seit Beginn dieses Jahrhunderts alles mögliche getan, durch gegenseitige Bekämpfung der griechischen, lateinischen und türkischen Stämme die Energie eines Volkes zu vernichten, das seit Jahrhunderten in blutigen Kämpfen immer wieder dem Joch von Konstantinopel getrotzt hatte.

Epirus – Albanien – zerfällt in vier Gebiete. Das nördliche oder rote Albanien bewohnen die Ghegen, deren christliche – lateinische – Stämme die Mirditen sind. Südlich von den Rot-Albanesen im Gebiet der Partheni (Ur-Albanesen) wohnen die Tosken, deren muselmännische Stämme die berüchtigten Arnauten bilden und in Ali von Janina ihr Musterbild fanden. Der dritte Stamm, die Ljapis oder Japiden, durch seine körperliche und geistige Häßlichkeit unvorteilhaft von dem andern Volk unterschieden, bewohnt die akrokeraunischen Felsen längs der Adria und lebt von Raub auf Land und See. Sein Name ist ein Schimpf unter den anderen Albanesen. Der vierte Stamm, die Schamiden, hat das Reich Plutos inne, die acherontische Landschaft Aïdonien, zwischen Arta, Suli, Janina und dem Pindus. In den heiligen Eichenwäldern von Dodona scheint ein ewiger Frühling zu grünen. Die Fröste Rumeliens, die Heuschreckenschwärme Mazedoniens, der Brand, der in Morea das Getreide verwüstet, das Gewürm, das die griechischen Weinberge zerstört, sind in Schamurien und den sonnigen Landschaften von Epirus, die der Meerbusen von Prevesa begrenzt, unbekannt. Die Sonnenglut wird durch frische, sanfte Lüfte gemildert, die vom Meer, von den Schneegipfeln des Pindus und den tausendjährigen Wäldern, mit Wohlgerüchen geschwängert, in die Täler niederwehen. Die unterirdischen Feuer, die das Land zuweilen erschüttern, machen dasselbe nicht ungesund; die unzähligen Bergseen strömen keine schädlichen Dünste aus, und der furchtbare Acheron selbst, der sich zwischen vulkanischen Tälern und erloschenen Kratern dahinwälzt, der Mauropotamos, bringt nicht mehr den Tod. Denn neben dem Orkus, dem Reiche der Schatten, und dem Chaos, von dem finsteren Erebus und Cocytus durchströmt, neben den acherontischen Sümpfen, deren phosphorische Dünste den feuerflutenden Phlegeton der Alten bildeten, neben dem Abgrund von Zalongas, bei den Ruinen von Cassiopeia, in den sich die Heldenfrauen Sulis vor den verfolgenden Türken stürzten, liegen die elysäischen Gefilde am Fuße des Pindus, duftend von Myrten, Quendel, Salbei und Thymian, vom hohen Lorbeer und Rosmarin, von Melisse und Orange, dem Zitronenwald und der Narzisse, aus der die griechische Jungfrau ihre Kränze windet; und mit Mairosen geschmückt, zieht die epirotische Bäuerin in das duftende Gehölz, um noch immer die Hochzeit der Flora und des Frühlings mit Tänzen zu feiern!

Hierhin, in die elysäischen Gefilde, verlegen wir den Schauplatz unserer Geschichte.

Die türkische Provinz Epirus wird von ungefähr 312 000 Christen und 65 000 Moslems bewohnt. Der Druck aber, welchen die ersteren wiederum in der letzten Zeit von der Willkür des Paschas von Janina, der Begs und Agas und von ihren Werkzeugen, den türkisch-albanesischen Truppen auszustehen gehabt, war furchtbar und drängte zum Ausbruch der lange verhaltenen Rache. Die Grausamkeit, mit der die furchtbare Zins- und Steuerlast, die auf dem Lande lag, eingezogen wurde, war unbeschreiblich, täglich wurden Männer und Knaben gemordet und verstümmelt, Frauen und Mädchen geschändet. Da griffen im Flecken Radobitzi die verzweifelten Bewohner zuerst zu den Waffen und vertrieben die Arnauten und türkischen Aufseher. Die hervorragendsten Männer des Ortes erließen am 27. Januar eine Proklamation, die zum Kampfe für Volksrecht, Freiheit und Glauben aufforderte und noch am selben Tage von 400 streitbaren Männern unterzeichnet wurde. Wie ein Blitzstrahl lief die Nachricht von den begonnenen Kämpfen durch das ganze, von der offen und im stillen arbeitenden Hetärie längst vorbereitete Griechenland. Die Mittel zur Unterhaltung des Aufruhrs lieferten die Vereine, die sich nicht allein in Athen, sondern in allen griechischen Städten bildeten. Die Epiroten, Thessalier, Mazedonier, Kretenser, Samnioten hielten Sammlungen, die Griechen in London zeichneten an einem Tage 25 000 Pfund Sterling, die Kaufleute in Syra 20 000 Pfund, eine einzige Provinz des Peloponnes 40 000 Drachmen. Der Eid der christlichen Krieger lautete: »Ich beschwöre auf das Evangelium und die Dreieinigkeit und auf den Namen Jesus Christus: daß ich die Waffen, die ich in die Hände nehme, nicht eher niederlegen will, ehe nicht die Tyrannen aus meinem Vaterlande vertrieben sind, so daß dasselbe gänzlich befreit ist; ich schwöre auch bei dem allwissenden Gott, daß ich die griechische Fahne mit meinem Blute verteidigen will.«

Dieser in allen Gegenden Griechenlands aufflammenden Begeisterung gegenüber erklärten am 23. Februar die Gesandten Frankreichs und Englands dem König Otto, wie ihre Regierungen für nötig hielten, daß Griechenland strenge Neutralität beobachte, und boten ihm die Hilfe der Truppen gegen die Ungehorsamen an. Der König, von seiner hochherzigen Gemahlin getrieben, entgegnete, daß er stets die Neutralität beobachtet habe und beobachten werde, daß er aber die Sympathien seines Volkes teile und die einzelnen nicht hindern könne, ihren Glaubensbrüdern zu Hilfe zu eilen. Eine ähnliche Antwort gab in Konstantinopel der griechische Gesandte, General Metaxa, auf die Anfrage der türkischen Minister. Die Abreise des türkischen Gesandten Nesset-Bei aus Athen, die spätere Besetzung des Piräus und der Akropolis und das schmachvolle Regiment des Ministers Kalergis waren die westmächtlichen Konsequenzen jener Antwort, und während der englische und französische Gesandte in Athen noch zur Neutralität rieten, segelten drei englische Schiffe bereits in den Golf von Prevesa und boten den türkischen Kommandanten der Forts ihre Hilfe gegen die Christen an.

Unterdes schlugen sich die Freischaren mit abwechselndem Glück. Die Türken wurden bei Demorio, Domoti und an dem berühmten Engpaß der fünf Brunnen (Pente pegadia), dem Zugang von Arta nach Janina, bei Salaora und Zuros geschlagen, auf Peristera zurückgeworfen, und Zervas befestigte jenen Paß, während dessen tapferer Verteidiger Zambra Ziko sich nach Paramythia und gegen Janina wandte. Arta fiel in die Hände der Griechen, aber sie mußten die Stadt, von den Kanonen des Kastells bedroht, wieder räumen und sich auf ihre Zernierung beschränken. In Thessalien schlugen sich Zacas und Hadji Petro gegen Abbas-Pascha und den Dervent-Aga Phrassari. Dagegen siegten die Türken bei Sankt Dimitri, verbrannten zehn griechische Dörfer und machten glückliche Ausfälle aus der Zitadelle von Arta. Grivas, mit seiner Schar geschlagen, mußte mit 40 seiner Anhänger in ein Kloster flüchten und verteidigte dasselbe heldenmütig gegen die Albanesen. Zweitausend Mann ägyptischer Truppen landeten in Prevesa, und eine größere Zahl war in Anzug. Zugleich erhielten die Paschas der umliegenden Provinzen den Befehl zum Anmarsch. Zu Anfang März war auch General Tzavellas, ein geborener Suliote, zu den Aufständischen übergegangen und hatte bei Lauros 1500 Türken geschlagen. Viele Führer ordneten sich ihm unter und übertrugen ihm den Oberbefehl des Aufstandes, der sich bereits über die ganze Pinduskette bis Metzowo erstreckte. Grivas dagegen, aus dem Kloster befreit, wandte sich gegen Janina, nahm 500 Arnauten im Dorfe Kufowo gefangen, und lagerte vor Janina.

Es war am Nachmittag eines sonnigen Apriltages. Der leichte Wind, der von den grünen bis zu den schneeigen Gipfeln des Pindus aufsteigenden Bergen wehte, kräuselte leicht die Fluten des Sees Labchistas, dessen Lagunen unter den Felsen des Tomoros verschwinden. Auf der Hochebene am See dehnten sich die weiten Ringmauern von Janina aus, jetzt nur noch die Trümmer der unter Ali so mächtigen Festung umschließend, die jedoch noch immer stark genug sich zeigte, die aufständischen Griechen abzuhalten. Auf dem Felsenplateau des Klosters der beiden »geldlosen Heiligen«, Cosmas und Damianus, an dem der Bergstrom Dobra-Woda (frisches Wasser) auf den Höhen des eisigen Berges Matzikeli entspringend, vorüberrauscht, lagerte eine Schar von Griechen und Albanesen unter den Platanen, die das Kloster umgeben, kräftige Gestalten, christliche Schipetaren Bewohner von Albanien. vom Stamme des Tosken, Hirten des Pindus und Männer aus den griechischen Grenzprovinzen und der Morea, wie von den steilen Höhen des Taygetos.

In einigem Abstande, am Rande der Schlucht, gingen zwei Offiziere, beide in der reichen Tracht der Palikaren, im eifrigen Gespräch auf und nieder. Der eine war ein Mann von 36 bis 37 Jahren, der andere um 10 Jahre älter, von wilder, finsterer Miene, Grausamkeit und Zorn in dem blitzenden Auge: Theodor Grivas, General der Aufständischen und Führer der Truppen vor Janina, ein Stiefsohn seines Begleiters, des kühnen und edlen Anastasius Caraiskakis, dessen Züge unverkennbare Ähnlichkeit mit seinem Bruder zeigten, den wir zuletzt auf der Flucht aus Konstantinopel verlassen haben. An ihrer Seite ging ein Knabe in griechischer Kleidung, Mauro, der Pflegesohn des unglücklichen Räubers auf dem Pagus von Smyrna.

»Bei der Agia-Glykis, der sanften Heiligen,« sagte Caraiskakis, »wir werden meinem Bruder Gregor nur Trauriges zu berichten haben, wie er uns böse und trübe Kunde gesandt. Für den Tod Dionas den Tod deines Bruders Nikolas. Der Name Grivas lebt in dir allein noch fort.« – »So möge er mit mir sterben, ehe je wieder diese meine Heimat das türkische Joch trägt. Aber auch der deine, Anastasius Caraiskakis, ruht nur auf vier Augen. Du und dein Bruder Gregor, ihr habt kein Weib genommen.« – »Unser Leben, Theodoros, gehört dem Vaterlande und dem Kampf für die Freiheit.« – »Das meine nicht minder, und Weiberliebe ist ein erschlaffendes Ding für den Mann. Ich wollte, du hättest dich immer fern davon gehalten, statt dein Herz an jenes Mädchen von Messolonghi zu hängen, das die Seeräuber dir entführten. Was wirst du meinem Neffen Gregor antworten?« – »Die Wahrheit – es steht nicht gut mit uns; ich wollte, es wäre anders. Deine Feindschaft mit Tzavellas, Oheim Theodoros, ist es, was unsere Sache schlecht macht und die Herzen der Unseren spaltet.« – »Bei dem Kakodämon dieser Berge!« fuhr der wilde Klephtenführer auf, »soll ich mich dem Sulioten untertänig zeigen, der erst von Athen gekommen, als bessere Männer, denn er, bereits die blaue Fahne erhoben und die Osmanli bis zu den Toren Artas gejagt hatten? War ich nicht der erste, der zum Epirus eilte, und hat mich nicht der freie Wille der Klephten zu ihrem Führer gewählt?« – »Das ist freilich der Fall, und niemand leugnet deine Verdienste. General Tzavellas aber ist in den europäischen Kriegsschulen gebildet, ein Führer des königlichen Heeres, und sein Name steht in großem Ansehen durch ganz Griechenland.« – »Mag er! die Namen Grivas und Caraiskakis sind besser als der seine, denn Heldenblut hat sie geweiht. Ich bin ein Sohn des Pindus und nicht so gelehrt wie er, aber meinen Mut und meine Vaterlandsliebe stelle ich nicht unter die seinen. Laß uns nicht streiten, Neffe! Theodoros Grivas und seine Freischar wird noch immer Raum zum freien Kampf gegen die Türken finden, auch wenn die Männer von Suli mir und meinen Leuten die Tore verschließen.«

Ein Anruf der Wache unter ihnen im Hohlweg, das albanesische »kum phis?« Wes Stammes? und der Gegenruf »Wla!« Ein Bruder! unterbrach ihr Gespräch. Gleich darauf wurde von einem der eingeborenen Krieger ein Jüngling auf das Plateau und vor den Führer gebracht, um den sich alsbald der ganze Haufe mit jener Ungezwungenheit sammelte, die den freien Krieger der Berge von den geschulten Soldaten der europäischen Armee unterscheidet. Er war ein Jüngling von etwa 16 Jahren, hoch und schlank gewachsen, mit einem Adlergesicht. Über dem Gunjatz Wollnes Untergewand der Czernagorzen. trug er die Struka, Brauner zottiger Mantel. an den Füßen die Opanka, und von dem bis zum Wirbel rasierten Schädel fielen die Flechten schwarzen Haares, die das Vorrecht eines Kriegers bilden, auf seinen Nacken, obschon noch kein Bart Lippe und Kinn beschattete. Die Hand des Jünglings führte eine lange, reich mit Silber beschlagene Flinte, und an seinem Hals hing neben einem großen Pulverhorn an einer seidenen Schnur ein getrocknetes Menschenhaupt. Seine Miene war ernst, ja finster, sein Wesen gemessen und schweigsam. – »Wer von Euch,« sagte der Fremde, indem er in die Mitte der Krieger trat, »ist der Beg Grivas, der Führer der tapferen Männer von Schamidien?« – »Ich, Fremder, sage uns deinen Namen!« – »Bogdan, Sohn Iwos des Einäugigen, Begs der Martinowitsch.« – »So bist du der Sohn des Helden, dessen Brot mein Bruder bei seinem Tode gebrochen? Du bringst uns Kunde von dem Ende meines Bruders?« – »Nikolas Grivas fiel an der Kula des Popowitsch Gradjani, an der Seite meines Vaters und Gabriels des Zagartschanen, seines Blutbruders, den er gerettet hatte aus dem Turme von Skadar. Der Knabe Bogdan ist jetzt der Glaware der Martinowitsch, die Moslems nahmen das Haupt Iwos des Tapfern mit von dannen, auch der griechische Gastfreund ruht nicht in geweihter Erde.« – »So hat man den Leichnam meines Bruders nicht gefunden? ich hörte noch, daß ihr die Türken geschlagen.« – »Die blutige Wölfin von Skadar trug den Körper davon auf dem Sattelknopf ihres Rosses. Was nutzen die Kugeln der Söhne der schwarzen Berge gegen ihr gefeites Leben? Ich allein habe schuld an dem Verderben der Meinen, denn ich trug das Pulver, das sie retten konnte, mit mir davon und zur Sühne seitdem das Unglückshorn und das Wahrzeichen meines Vaters, bis daß ich sein eigenes Haupt von den Toren Skadars gelöst habe.« – »Und was bringt dich hierher, Czernagorze?« fragte Grivas. – »Eine Botschaft und meine Rache. Die Botschaft soll ich zu den Häuptlingen der freien Griechen bringen, von Danilo, dem Vladika der schwarzen Berge; Rache aber suche ich im Kampfe gegen die Mörder von Skadar, die dem Pascha von Janina zu Hilfe gezogen.«

Der junge Czernagorze wickelte aus einem seidenen Tuche das Schreiben des Fürsten Danilo, worin dieser den griechischen Führern seine Proklamation vom 16. März sandte, die das Volk von Montenegro zu den Waffen gegen die Türken rief, und einen Einfall im nördlichen oder roten Albanien, dem Lande der Mirditen, verhieß. – »So ist die Nachricht wahr, das Selim Bey von Skadar mit tausend Arnauten dem Pascha von Janina zu Hilfe gekommen?« – »Ihr müßt sie von dieser Stelle in die Tore der Stadt haben einrücken sehen.« – »Sei uns willkommen, Bogdan, und mögen deine Taten deine Jugend vergessen machen.« – Grivas reichte ihm die Hand und führte ihn zu der Platane, unter welcher sich die Schar gelagert hatte ... »Nimm teil an unserm Mahl und erfrische dein Herz an unserm Wein.« – Caraiskakis setzte sich an seine Seite und reichte ihm die große hölzerne Kalebasse. Sein Herz drängte ihn, Näheres von dem Schicksal des geliebten Bruders zu erfahren, den er selbst im Auftrage des Hoffnungsbundes nach Czernagora gesandt. Als Bodgan Hunger und Durst gestillt hatte, wandte Grivas sich mit neuen Fragen an ihn und wollte zunächst wissen, ob wirklich der Körper des jungen Mannes von dem Schlachtfelde entführt worden sei ... Bodgan erzählte ihm, was er selbst und seine Krieger geschaut ... »Sie ist eine Zauberin,« sagte er mit allem Aberglauben seines Volkes, »und die Bewohner von Skadar sagen, auch ein Vampir. Zum mindesten hat sie den bösen Blick, und niemand kann sie anschaun, ohne ein Leid davon zu tragen.« – »Aber warum soll sie den Körper meines Bruders entführt haben, wenn er wirklich tot war?« – »Die Wilas mögen es wissen! Schlimme Gerüchte erzählen sich die Weiber von Skadar seitdem von einem weiblichen Urokoklak, den sie bei sich hat. Der böse Geist, der sie so lange als Wolf begleitet hatte und dessen Leib wir auf der Schlachtstätte fanden, ist seitdem in den Körper einer Sklavin gefahren, von der sie sich Tag und Nacht nicht trennt. Bei den sieben Heiligen von Ostrog! ich weiß, was ich rede, Beg, meine Augen haben das Gespenst geschaut, als ich ihrem Zuge folgte, zehn Tage lang bis zum See von Janina. Es wurde in einer Sänfte von zwei Maultieren getragen.«

Die Erzählung des abergläubischen Czernagorzen klang so seltsam, daß Caraiskakis nicht wußte, was er daraus machen sollte. Auffallend war es ihm, daß der Körper seines Bruders von der Kampfstätte durch die Arnauten bei ihrer wilden Flucht mit fortgeschleppt sein sollte, ohne daß sie einen gewissen Zweck damit verbanden, und er schloß daraus, daß sein Stiefbruder nur verwundet und als Gefangener davongeführt sei. Für das Weitere, ob er am Leben oder nicht, ob er später der türkischen Rache zum Opfer gefallen oder noch in den Gefängnissen von Skadar schmachte, bot freilich die Erzählung des jungen Glawaren keinerlei Anhalt, und dennoch überkam es ihn wie eine geheimnisvolle Ahnung, als ob sie mit dem Schicksal seines Bruders im Zusammenhang stände. Er suchte Grivas auf und teilte ihm seine Hoffnungen und Zweifel mit. So unbestimmt sie auch waren, zeigte sich der General der Aufständischen doch alsbald damit einverstanden, daß sie die Gelegenheit der Anwesenheit der Männer von Skadar benutzen wollten, um auf irgend eine Weise von ihnen zu erforschen, was über das Schicksal des jungen Griechen etwa bekannt geworden war.

»Die Verstärkung Abdi-Paschas,« sagte Grivas, »läßt mich vermuten, daß er bald einen Ausfall aus Janina machen wird, und es wird gut sein, wenn wir die Capitanos davon in Kenntnis setzen und, da die Türken uns überlegen sind, uns der Pässe nach Metzowo versichern, wo wir den Weg nach Thracien und Mazedonien, nach Larissa und Salonichi in unsrer Hand haben.« – »Und mein Bruder – dein Neffe?« – »Wir werden sicher im nächsten Gebiet einige Hunde von Ghegen gefangen nehmen, und ich lasse sie lebendig verbrennen, wenn sie nicht sagen, was sie wissen.« – »Wäre es nicht besser, einen Spion an unsere Freunde in Janina zu schicken und diesen die Nachforschung anzuvertrauen?« – »Ich habe mein Auge auf den Knaben gerichtet, den uns Gregor von Varna geschickt hat. Er rühmt uns seine Schlauheit, und die Art und Weise, wie er sich durch ganz Rumelien zu uns durchgeschlagen, ist Beweis genug dafür. Ihn will ich zu meinem Boten machen; der Knabe spricht fertig Türkisch und ist klug und besonnen genug, daß er uns wichtige Dienste leisten kann.«

Mauro zeigte sich sogleich willig und nachdem er von einem der eingeborenen Albanesen eine Be- [Fehlende Zeile in der Scanvorlage. Re] Abendsonne in der Entfernung von etwa anderthalb Meilen vor ihnen lag, machte er sich auf den Weg. Caraiskakis geleitete ihn eine Strecke und kehrte dann zu seinen Leuten zurück.

Der General mit etwa zwanzig Griechen war zum Abmarsch bereit; Caraiskakis übergab seinem Leutnant den Posten und begleitete ihn. Es war bereits am Spätabend, als sie in dem Dorfe Dervendzista nach einem scharfen Marsch anlangten. Hier quartierten sich die Führer bei dem Ortsvorstand ein, freilich gegen seinen Willen, doch mußte er der Notwendigkeit sich fügen. In ihre Mäntel von Ziegenhaaren gehüllt, lagen sie bald, nachdem eine Wache ausgestellt worden, in tiefem Schlaf.

Am andern Mittag traf der Bote von Metzovo ein, der Papa oder Priester des Orts, der einen Brief an Grivas überbrachte, während sie ihr Ragout von gekochtem Fleisch mit trocknen Erbsen verzehrten ... »Die Primaten, meldet mir der Agent,« sagte der General, »wollen uns die Tore öffnen. Metzovo ist ein reicher Ort; während wir hier Not leiden, können wir dort unseren Leuten Sold und alles Nötige verschaffen. Zuvor aber will ich Janina anzünden, daß sein Brand uns auf dem Wege leuchten soll.« – »Es wäre unnütze Grausamkeit,« wandte Caraiskakis ein; »du weißt, wie viele Griechen dort wohnen und Handel treiben.« – »Was kümmert's mich,« tobte der wilde Grivas. »Bei der Panagia, dann hätten die Schufte uns längst die Tore öffnen sollen, ehe diese Hunde von Ghegen in die Festung gezogen sind, vor denen wir jetzt weichen müssen. Der Agent des Zaren, unsers Vaters, wünscht eine Zusammenkunft mit mir in dieser Nacht und schlägt mir die Palanka am Fuße des Mitzikeli auf dem Wege nach Gozista vor, eine Stunde von hier. Der Papa, den ich befragt, nennt sie ein festes Gebäude.« – »Das Antlitz des Mannes gefällt mir nicht, so wenig wie das unseres Wirts. Gott zeichnet, in die Mienen der Menschen ihre Seele.« – »Der Pliak ist ein Japide, wie er selbst mir erzählte, und hat sich aus den akrokeraunischen Felsen flüchten müssen, wegen einer Stammesfehde. Es sind Christen, weiter brauchen wir nichts.« – »Wieviele der Gefährten nimmst du mit, Oheim?« – »Sieben Mainoten; es sind ihrer genug zur Aufstellung der Wachen. Laß uns aufbrechen, Anastasius, und mögest du bald Kunde erhalten von dem anatolischen Knaben aus Janina.«

Während die Klephten sich zum Abmarsch anschickten, kam der Hausherr herbei, auf einer silbernen Platte die altertümliche Trinkschale mit dem rotblauen Wein der Höhen des Tzumerkagebirges, um seinen Gästen den Abschiedstrunk zu bringen. Der wilde Grivas jedoch schlug ihm mit einem Schlage seiner Faust Becher und Platte aus der Hand ... »Räudiger Hund von einem Lapen,« fuhr er ihn an, »glaubst du, einem freien Griechen die Ehre und Sitte deines Hauses verweigern zu dürfen? Schaffe dein Weib zur Stelle, daß sie uns, wie der Gebrauch es heischt, den Abschiedstrunk auf der Schwelle des Hauses kredenze.« – Die Hand des Primaten, eines wildaussehenden Mannes mit niederer Stirn und von jener abschreckenden Häßlichkeit, die seinen Stamm charakterisiert, fuhr nach dem Pistolenknauf in seinem Leibbund, ein Blick auf die Männer umher aber lehrte ihn Vorsicht. – »Mein Weib ist krank, Herr, mein Gebieter möge sie entschuldigen.« – »Du lügst, Primat. Es liegt uns wenig daran, ihre Häßlichkeit zu schauen, die der deinen gleichen mag, aber ein Japide soll uns nicht Hohn sprechen. Laß dein Weib den Becher bringen, oder deine Fußsohlen sollen es entgelten.«

Der Hausherr schlich mit finsterm Blick davon. Einige Augenblicke nachher trat aus dem Innern des Hauses, von einer Dienerin begleitet, die Frau, zum Staunen der Krieger, welche die Häßlichkeit einer Lapin zu sehen erwartet, eine Schönheit von antiker griechischer Form, auf deren edlem Antlitz nur die Blässe geistigen Leidens die schöne Sammetfärbung und den Glanz der dunklen Augen milderte. Mit der edlen griechischen Verneigung, der Bewegung der Rechten an Brust und Stirn, ergriff sie die silberne Kanne, die das Mädchen auf gleicher Platte ihr nachtrug, und war eben im Begriff, die Pflichten der Wirtin zu erfüllen, als ihr großes Auge auf Caraiskakis fiel, der bei ihrem Eintritt, zufällig mit einem der Krieger sprechend, ihr den Rücken gewandt hatte und sie jetzt gleich einer Bildsäule anstarrte ... Der Krug entfiel ihrer zitternden Hand, und der rote Strom des Weines ergoß sich über die Steinplatten des Bodens. »Anastasius!« das einzige Wort entquoll ihrem hochatmenden Busen, dann sank sie bewußtlos in die Arme des herbeispringenden Griechen. – »Aphanasia!« schrie der Offizier wild auf und preßte die Ohnmächtige an seine Brust. »Geliebte meines Herzens, du das Weib dieses Mannes!«

Der Primat stürzte sich zwischen sie, und seine boshaften Augen funkelten in eifersüchtiger Wut, als er sie mit Gewalt zu trennen suchte. – »Zurück, Beg, es ist mein Weib, mein Eigentum! Achtet Ihr so die Sitte des Landes, das Ihr befreien wollt? Laßt sie los, sag' ich, oder, beim Gott meiner Väter! ich stoß' Euch dies Eisen durch die Rippen!« – Eine starke Faust jedoch erfaßte den Wütenden und schleuderte ihn den umstehenden Kriegern zu. – »Haltet ihn fest und schlagt ihn zu Boden, wenn er sich rührt,« befahl Grivas. »Was ist's mit dem Weibe, Neffe! woher kennst du sie?« – »Das Mädchen von Messolonghi, Aphanasia Dulanyi, die vor 10 Jahren die Piraten entführten!« Er suchte mit Hilfe der Dienerin die Frau ins Leben zurückzurufen. – »Die Tochter meines Waffengefährten am Aspropotamos? So ist dieser Hund von Japide der Pirat, der sie raubte? Bindet ihn, Kameraden; der Schurke hat eine griechische Jungfrau gestohlen, um sein schmutziges Blut mit ihr zu mischen. Es soll strenges Gericht gehalten werden über ihn, und wehe ihm, wenn er schuldig ist!«

Die Mainoten, die sich auf den Primaten warfen, schnürten dem Tobenden die Arme zusammen, Männer und Weiber aus dem Stamme des Wirtes sammelten sich um die Szene. Grivas aber scherte sich nicht um sie. Seinem Neffen war es gelungen, die Frau zum Bewußtsein zu bringen; er trug sie in das Gemach zur Seite des Flurs und legte sie auf die Bank von Rohrgeflecht nieder. Mit der glühenden Leidenschaft des Südens kniete er vor ihr und küßte ihre Arme und ihre Stirn, mit hundert süßen Worten die schöne Zeit ihrer Liebe an den blauen Gewässern des Golfes von Patras zurückrufend. Sie erzählte ihm ihr Geschick. Der Primat selbst, früher einer der berüchtigtsten jener Seeräuber der akrokeraunischen Felsenschluchten an den Abhängen des Chimära-Gebirges, zwischen Cap Linguetta und Delvino, – die mit ihren schnellen Tartanen an den griechischen Küsten umherschweiften bis hinüber nach Calabrien, Ufer und Meer unsicher machend – hatte sie bei einem Spaziergange am Meeresstrande mit zwei anderen Mädchen gefangen genommen und in die wilden Berge Ljapuriens geschleppt, wo er sie durch Mißhandlungen zwang, ihn zu heiraten. Später durch seine Seeräubereien reich geworden, hatte er seine Heimat verlassen und, durch ein Geschenk den Schutz des Paschas von Janina erkaufend, sich in Schamurien niedergelassen, wo jener Schutz ihm zu Amt und Ansehen verhalf. Aphanasia, die bei dem Raube eine sechzehnjährige Jungfrau gewesen, hatte dem aufgezwungenen Gatten zwei Kinder geboren, von denen nur das jüngste, ein Mädchen von drei Jahren, noch lebte und der einzige Trost der Frau war, die noch immer argwöhnisch von dem ehemaligen Piraten bewacht wurde. General Grivas sprach ein kurzes Urteil, obschon dergleichen Gewalttaten, wie der Seeraub von Frauen, an den Küsten Griechenlands eben nichts Seltenes sind: der Japide sollte erschossen werden; aber Aphanasia warf sich zu seinen Füßen und bat um das Leben des Vaters ihres Kindes. Auch Caraiskakis erklärte sich auf das bestimmteste gegen die blutige Tat. – »Ihr wißt nicht, was Ihr bittet,« sagte der wilde Führer, »denn ich wollte Euch von Eurem Tyrannen mit gutem Blei befreien. Capitano Dulanyi mag selbst über Euch bestimmen, denn Eurem Vater muß ich Euch zuführen, das fordert meine Ehre, obschon er es mit Tzavellas hält und bei Arta steht. Mein Neffe wird Euch nach dem Kloster der armen Heiligen bringen, bis ich Euch weiter geleiten kann. Für Euer Eigentum aber wollen wir selbst sorgen, es ist gerecht, daß der Gatte seine Frau ausstatte.«

Der General duldete keinen Widerspruch weiter, und um eine blutige Tat zu verhindern, mußte sich Caraiskakis darein finden, daß die Klephten die Wohnung des Primaten plünderten und die wertvollsten Gegenstände, nachdem die eigenen Taschen bedacht waren, auf einen Esel luden, als das Eigentum der Frau, die der Machtspruch des Führers geschieden. Dann wurde sie selbst mit ihrem Kinde auf eines der kleinen griechischen Pferde gesetzt, und Caraiskakis führte es am Zügel, von dem Rest der Truppe umgeben, zurück nach dem Posten am Kloster, während der General mit den sieben Mainoten sich nach dem Gebirge wandte.

Zu dem wutknirschenden Japiden, der noch immer gebunden in der Veranda seines Hauses lag, schlich der Papa ... »Es ist dir schlimm gegangen, Freund Petros. Die Vorsicht, mit der du dein schönes Weib geborgen, ängstlich wie dein Geld, hat dir wenig genützt, und der griechische Capitano wird diese Nacht an ihrem Busen ruhen.« – »Hältst du mich für einen Esel, Papa, daß ich mein Geld offen hinlege? Sie haben mir viel gestohlen, aber es bleibt mir genug, um ihr Verderben zu erkaufen. Ich gehe zu Abdi-Pascha nach Janina, und meine Zechinen sollen eine Schar von Burschen zu meiner Rache sammeln, die gleich den schlimmsten Paganias Werwölfen. ihrer Spur folgen sollen.« Er streckte ihm die gefesselten Arme entgegen zur Befreiung. – »Wenn Ihr mir zwanzig Zechinen gebt, Petros,« sagte der schurkische Priester, indem er langsam die Stricke zu lösen begann, »so will ich Euch ein Geheimnis vertrauen, das Euch volle Rache an Euren Feinden sichert und Euch wieder zu Eurem Weibe und Eurer Habe verhilft.« – »Du sollst sie haben.« – »Schwört bei der Panagia!« – »Bei der Panagia und bei allen Heiligen, die du willst.« – »Wohl; ich weiß, daß Ihr in Gunst steht bei dem Pascha, aber die Nachricht, die Ihr ihm bringen könnt, wird diese Gunst noch erhöhen. Ihr wißt, daß ich für den Griechen in Metzovo war, ich mußte den Weg machen, denn der Diakon des Klosters hatte mir den Auftrag gesandt und ich wurde bezahlt dafür. Aber ich habe unterwegs den Brief gelesen, den mir der verkleidete russische Offizier in Metzovo gab, und ich weiß, was ich weiß. Ihr gebt mir die zwanzig Zechinen, Petros, und teilt den Lohn mit mir, den Euch der Pascha dafür gibt, daß Ihr die Feinde in seine Hände liefert?« – »Du sollst es haben, Papa, ich schwöre es dir mit sieben Eiden!« – »So wollen wir uns beide eilig auf den Weg machen nach Janina, denn jeder Augenblick ist kostbar!«

*

Durch den Hain duftiger Zitronen und roter Granaten, der den südlichen Abhang von Janina bedeckt, schlenderte der Knabe Mauro hinter einigen Seidenarbeitern her, deren kunstvolle Webereien noch heute eine Haupterwerbsquelle der seit Alis Tode auf die Hälfte ihrer Einwohnerzahl heruntergekommenen, einst so blühenden Stadt bilden. Sie kamen von den Plantagen der Maulbeeerbäume, die mit Zitronen und Oliven den südlichen Gürtel der Stadt außerhalb der Ringmauern bilden.

Ein großer Molosserhund, eine jener kolossalen epirotischen Doggen, in deren Begleitung unbesorgt die mirditischen Jungfrauen durch die ödeste Wildnis schreiten, sprang an der Straße daher und warf den Knaben zu Boden. Aber Mauro klammerte sich an den vergoldeten Sammetreif, der den Hals des Hundes zierte, und ließ sich furchtlos von ihm fortziehen. Das gefährliche Spiel weckte die Aufmerksamkeit der Reiter, die der Dogge folgten. Die hervorragendste Gestalt war eine türkische Frau zu Pferde, gleich den Männern in den weiten seidenen Beinkleidern im Sattel sitzend, die goldglänzende Toka – den Flügelharnisch der Ghegen, aus leichten Goldschuppen gebildet – um Brust und Schultern, auf dem Haupte der Turban mit hoher Reiherfeder, von dem ein leichter, halb durchsichtiger Schleier statt der unförmlichen Yaschmaks über Kopf und Gesicht niederhing, der die Trägerin am freien Umherschauen nicht behinderte, während er genügte, sie als Bekennerin des Propheten zu zeigen. Auf der Hand der Dame saß in seiner Kappe der Falke, während ihre Linke das weiße mutige Roß an den aus rotem Sammet und Goldtressen gebildeten Zügel bändigte. Ihr zur Rechten, dem Ehrenplatz der Mohammedaner, ritt eine zweite Frauengestalt, die erste noch an Größe überragend, quer auf einem Maultiere, nach europäischer Sitte. Sie war jedoch vom Scheitel bis zur Sohle in einen weiten Feredschi und Yaschmak von grüner Farbe, der heiligen Farbe der Moslems gehüllt, aus dem allein die Augen hervorblickten. Die dritte Person der Reitergruppe bildete ein junger, in weite weiße, nur von einem roten Shawl zusammengehaltene Gewänder gekleideter arabischer Scheik. Das bronzefarbene Gesicht mit den großen, dunklen Augen und der schön geformten Adlernase über den schmalen Lippen schaute kühn und trotzig aus der weißen kapuzenartigen Umhüllung hervor. Seine Hand führte die lange, schlanke Lanze der Araber, während die mit Silber und Perlmutter eingelegte Luntenflinte über seinen Rücken hing. Etwa hundert Schritte hinter der eben beschriebenen Gruppe folgte bunt durcheinander ein Haufe arabischer und albanesischer Krieger, als die Schutzwehr der Reiter, die an den sumpfigen Lagunen, in die der See Labchistas verschwindet, den Reiher gejagt hatten.

Die grüne Reiterin berührte leicht den Arm der glänzenden Dame an ihrer Seite, und ihre verhüllte Hand deutete nach dem gefährdeten Knaben, mit dem der große Molosserhund, wie der Löwe mit seiner hilflosen Beute, sich balgte. – »Ruhe, Scheitan!« – Die große Dogge, die den erschlagenen Wolf bei Fatinitza, der Tochter des Paschas von Skadar, ersetzt hatte, folgte gehorsam dem Ruf ihrer Stimme und sprang an der Seite ihres Pferdes empor, ihre Füße und die entgegengestreckte Hand liebkosend. Der Knabe Mauro aber lief, als habe ihn das gewalttätige Spiel des Hundes gar nicht erschreckt, neben den Reitern neugierig her, obschon von dem Fall auf den Boden das Blut von der Stirn rann. – »Wende das Licht deiner Augen auf dies Kind, dunkle Rose des Sees,« sagte der Emir in der blumenreichen Sprache seiner Heimat. »Der Prophet sagt: Wenn dein Sklave oder dein Roß oder dein Hund den Unschuldigen verletzt hat, bist du schuldig den Schaden zu vergüten.« – »Inshallah! kann ich mich um jeden Bettler kümmern? Warum geht der schiitische Bube nicht meinem Tiere aus dem Wege?« – »Es ist Gerechtigkeit in der Wüste,« sagte der Araber, »laß sie mich nicht vermissen an der stolzen Blume der Felsen. Dein Hund hat diesem Knaben ein Leides getan.«

Wiederum legte sich die Hand der Verhüllten auf den Arm der wilden Schönen und die Bewegung schien eine merkwürdige Macht über sie zu üben, denn sogleich bezwang sie ihre Heftigkeit. – »Du redest weise, Araber, und ich habe unrecht,« sagte sie mit möglichster Milde ihrer Stimme. »Bist du ein Knabe aus Janina, Kind?« – »Mein Vater war ein Tapferer aus Rumili und ist im Kampfe gegen die Ungläubigen gefallen,« berichtete Mauro, nebenher trabend. »Ich habe keine Angehörigen und bin eine Waise, die vom Tau der Barmherzigkeit lebt, den Allah mir sendet.« – »Ich habe gesehen, daß du mutig bist, Knabe,« sagte die Tochter des Paschas, »und du sollst mein Page sein, bis du ein Mann wirst. Geh mit den Reitern dort und sage ihnen, Fatinitza habe es befohlen.« Während der Knabe zurückblieb, galoppierten die drei weiter durch das Tor der Ringmauer und ins Innere der Stadt.

Janina, vom Sebastokrator Michael Lukas gegründet, im zwölften Jahrhundert bereits durch die Normannen von Neapel aus zerstört, dann von den serbischen Königen wieder aufgebaut und durch französische Ingenieure unter Ali-Pascha zur starken Festung gemacht, zeigt seit seinem Fall innerhalb der weitläufigen Ringmauern nur wüste Stätten und verödete Straßen. Eine Kaserne des Nizam steht an der Stelle des einst über der Stadt thronenden Schlosses Litharitza, von dem nur ein kolossaler fünfstöckiger Turm noch übrig ist. Der Platz des Castro, das mit seinen Trümmern und seinen unbrauchbaren Geschützen den ganzen in den See vorspringenden Hügel einnimmt und über welchen die Gesellschaft jetzt zu dem schmalen Damme ritt, der die Insel Kulia mit dem berühmten Serail und dem Mausoleum des Löwen von Janina einnimmt, und auf dem Ali die zahllosen Opfer seiner Grausamkeit hängen, spießen, schinden und lebendig verbrennen ließ, bot jetzt ein buntes Lager der mirditischen und arabischen Hilfstruppen in tausend bunten Bildern und Gruppen. Über den Raum hinweg folgte der Knabe Mauro den Reitern bis in den äußeren Hof des Serails, wo Abdi-Pascha gleichfalls seine Residenz aufgeschlagen hatte. Hier blieb er bei den Arnauten zurück, denen er die Rosse füttern und die Waffen putzen half, und der schlaue Knabe verstand es bald, das Gespräch auf ihre Heimat und ihre Taten gegen die Männer der schwarzen Berge zu bringen. Während so der junge Spion geschickt seine Zwecke verfolgte, betraten Fatinitza und ihre Begleiter das Turbeh, jenen schauervollen Ort, an dem Ali dem Verrat des Franzosen erlag, Näheres im Roman »Der Graf von Monte Christo« von Alexander Dumas. Übersetzt und mit Einleitung von Philipp Wanderer ... (Verlag A. Weichert, Berlin NO. 43.) und den Abdi-Pascha seinem Kollegen Selim zur Wohnung angewiesen. Der junge arabische Scheikh, der seit der Ankunft der Mirditin am vorigen Morgen, von dem freien und seltsamen Wesen Fatinitzas angezogen, auf allen Tritten, wo sie sich außerhalb des Haremliks nach ihrer gewöhnlichen, allem Zwang Hohn sprechenden, Sitte zeigte, ihr gefolgt war, benutzte die Gelegenheit, als die grüne Khanum – wie sie die Begleiter der Wölfin nannten – vom Pferde stieg, um sich dieser zu nahen. – »Weise Frau,« sagte er eilig zu ihr, »auch in das gesegnete Arabien kommen die Zauberinnen von Oman, die die Zukunft verkünden und mit dem Reich der geheimnisvollen Geister verkehren, und Abdallah ben Zarugah hat sie stets geehrt und geschützt. Der Sohn der Hedjas ist reich an dem Gold seiner Heimat und den Perlen des Meeres von Persien. Bei der heiligen Kaaba von Mekka! Du sollst den zehnten Teil seiner Schätze haben, wenn du die Purpurrose des Gebirges mit deinen Worten bewegst oder ihm einen Liebestrank bereitest, daß sie ihr Ohr seinen Wünschen öffnet.« – Die Verhüllte neigte das Haupt und folgte der Herrin, die bereits nach ihr rief, während Abdallah seine Schritte zurück zu seinen Kriegern wandte, die auf dem Platz des Castro ihr Lager aufgeschlagen.

Im innersten Gemach des Haremliks warf Fatinitza den Schleier von sich und nahte der grünen Verhüllten. – »Lege Yaschmak und Feredschi von dir, o Licht meiner Augen; du weißt, Aejischa, der einzigen, die unser Geheimnis kennt, ist der Mund auf ewig geschlossen.« Sie wies auf die schwarze Sklavin, die auf eine Matte im Gemach kühlenden Sherbet, Wein, die Früchte der Jahreszeit und jenes süße Backwerk und Eingemachte zum Mahl stellte, in dessen Bereitung die Bewohner Janinas berühmt sind.

Die Verhüllte ließ Schleier und Mantel zu Boden fallen und warf sich mit gekreuzten Armen und allen Zeichen finsterer Ungeduld auf den Diwan. Es war eine sonderbare Gestalt, die sich nach der Entledigung der weiten Hüllen zeigte, halb Mann, halb Frau, in deren Gewändern. Ein bleiches, schönes Männergesicht mit sorgfältig rasiertem Bart unter dem frauenmäßig geringelten Haar, quer über die Stirn eine breite, tiefe Narbe, den Körper in ein seidenes Oberkleid, wie es die türkischen Weiber tragen, gehüllt, ebensolche weite Beinkleider und gelblederne Strümpfe an den Füßen, das dunkle Auge flammend vor Unwillen über die Verkleidung, so lehnte er finster auf dem Kissen: Nikolas Grivas, der schöne Grieche, der Erschlagene von der Kula des Popowitsch Gradjani an den Ufern der Moratscha! Gleich einem schüchternen, bittenden Kinde hatte sich das wilde Mädchen auf ein Kissen zu seinen Füßen geworfen: »Will mein Herr nicht Speise und Trank genießen?« Der Grieche schwieg finster. – »Stern meines Lebens!« bat das Mädchen; »was hat Fatinitza getan, daß du ihr zürnst? Tue ich nicht, was der Odem deines Mundes will? Bin ich nicht ein verändertes Weib, das sein eigener Erzeuger kaum wieder erkennt? Hab ich nicht das wilde Blut, das durch meine Adern tobt, gebändigt, und die Schmach, die du mir angetan im Turme von Skadar, vergolten mit deiner Rettung?« – »Fluch über sie,« rief wild der junge Mann, »hättest du mich sterben lassen an der Seite meiner Gefährten, die deine Grausamkeit erschlug, blutige Wölfin von Skadar, es wäre mir besser, als daß ich lebend in der unwürdigen Mummerei eines Weibes der Sklave eines solchen bin und mich verbergen muß gleich einem Aussätzigen.«

Die Türkin sah ihn finster an ... »Undankbarer Christ,« sagte sie, »ist das der Lohn für das Herz Fatinitzas, der du hundertmal Gehorsam und Treue gelobtest, als du aus zehn Wunden blutend im Kiosk am See ruhtest, wohin sie dich mit eigener Gefahr gebracht, und Azraël, der Engel des Todes, an seiner Seite stand? Deine Wunden habe ich verbunden und mit heilendem Balsam bestrichen, und bin täglich zu deinem Lager auf flüchtigem Roß geeilt, oder auf dem Kahn mit schwellendem Segel, trotzdem du Fatinitza verraten hattest in der Stunde der Liebe und schmachvoll das Heiligtum ihres Leibes den Augen der hündischen Czernagorzen preisgegeben, daß ich sie alle rächend erschlagen mußte! Als ich den Genesenden dann zu mir führte im süßen Geheimnis, das der Tod der Sklaven erkaufte, die dich so lange bedient, – als du wohntest in meinen Gemächern und allnächtlich mein Arm dich umschlang und dich preßte an dies heiße, wilde Herz, hast du mir nicht geschworen, daß du die Freuden der sieben Himmel des Paradieses verschmähen würdest an meiner Brust? Undankbarer Christ! deine Liebe ist flüchtig wie die Wolke, die über den See zieht, und die Rose, deren Blätter der Wind zerstreut.« – »Ich liebe dich, Fatinitza, bei dem Kreuz meiner Väter!« sagte in milderm Ton der Gefangene. »Aber ich bin ein Mann und diese Mummerei ist unerträglich.« – »Du weißt, o Licht meiner Seele,« flehte das Mädchen, »daß es das einzige Mittel war, dich in meine Nähe zu bringen. Die weise Frau, die ich in das Haremlik meines Vaters führte, ist sicher vor jedem Argwohn, und ihr stilles Leben fordert den Argwohn nicht heraus. Die Diener und Krieger des Paschas scheuen deine Nähe, denn sie schreiben dir Macht über die Geister zu und fürchten dich, wie sie mich gefürchtet haben. Selbst ich jedoch vermöchte dich nicht zu schützen vor dem Zorn Selims, meines Vaters, und der Blutrache seiner Arnauten, wenn sie ahnten, daß du einer der verräterischen Czernagorzen bist.« – »Aber dies Spiel muß ein Ende haben, ein Zufall kann alles entdecken. Und warum, Fatinitza, hast du mich hierher geführt in die Mauern von Janina? Ich habe die Fahne meines Volkes wehen sehen auf den Bergen jenseits der Stadt, und kaum weiß ich noch, daß dein Volk im Kriege mit dem meinigen. Warum enthältst du mir jede Kunde vor?«

Das wilde Mädchen saß schmeichelnd auf seinem Schoß, den Arm um ihn geschlungen, mit der anderen Hand einen Becher des feurigen griechischen Weins an seine Lippen führend. – »Habe ich nicht geschworen, dich nie zu verlassen, und ist nicht deine Sicherheit allein in meiner Nähe? Was kümmert uns der Kampf zwischen deinem und meinem Volk? – sieh, Fatinitza, die Wölfin, ist eine Taube geworden auf dein Geheiß und zieht nicht mehr in die Schlacht, wenn auch noch die Toka ihre Brust bedeckt. O, liebtest du mich heiß und glühend, wie Fatinitza dich liebt, du hättest längst den verhaßten Glauben der Christen mit der Lehre des wahren Propheten vertauscht und wärest nach meines Vaters Tode Herr von Skadar und Fatinitza deine Khanum.« Sie zog ihn nieder zu sich auf die weichen Kissen und Teppiche und umstrickte ihn mit ihren Armen. Aber unter den glühenden Küssen des Türkenmädchens war sein Herz doch bei den Fahnen seiner Glaubensbrüder auf den Höhen von Janina, von denen so lange ihm nur dunkle Kunde geworden. – – –

Die Liebenden weckte am späten Nachmittag der Eintritt der stummen Sklavin Aejischa, die, den Teppich des Einganges hebend, durch Zeichen der Herrin verkündete, daß der Pascha, ihr Vater, im Haremlik erschienen sei und sie zu sprechen verlange. In Eile wurde der junge Grieche wieder in Mantel und Schleier gehüllt und nahm seinen Sitz im Winkel des Diwans, während Fatinitza die Spuren des schwelgerischen Mahles schnell verbarg.

Selim-Bey, der Pascha von Skadar, nahm nach der Begrüßung der Frauen in der Ecke des Diwans Platz, und auf den Wink Fatinitzas brachten ihm die eintretenden Sklavinnen den Tschibuk und frischen Kaffee. – »Ich komme, Tochter meiner Liebe,« sagte der greise Pascha, »um dir zwei Dinge zu sagen. Möge dein Ohr und dein Herz geöffnet sein, sie zu vernehmen.« – »Ich höre.« – Grivas erhob sich, um Vater und Tochter allein zu lassen; der Bey winkte ihm zu bleiben: »Der Rat einer weisen Frau ist niemals vom Übel. Möge deine Weisheit Einfluß haben auf das Herz deiner Freundin. Ich bitte dich, bleib.« – So aufgefordert, mußte der Grieche gehorchen und nahm stillschweigend seinen Platz wieder ein. –

»Du bist die einzige, die mir geblieben von vielen Kindern,« sagte der Bey, »und meine Liebe hat mich verführt, deinem Willen keine Schranken zu setzen. Inshallah – es war gottlos und ich bin ein gestrafter Vater dafür, der seinen Nacken beugen muß unter den Pantoffel seiner Tochter.« – »Du redest unklug, Vater,« entgegnete das Mädchen unwillig, »Fatinitza liebt dich!« – »Ich weiß es,« sagte der Alte, sich den Bart streichend, »was wäre ich sonst! Aber die Weiber können nicht immer im Haremlik des Vaters bleiben. Sie sind bestimmt zur Freude des Mannes. Du hast der Bewerber so viele ausgeschlagen, o Kind, daß meine Haare grau geworden vor Alter und Sorge.« – »Was kann ich tun?« antwortete die trotzige Tochter, »Fatinitza mag nicht die Hündin eines Mannes sein, den sie nicht liebt. Sie ist das Kind der freien Berge.« – »Ban Bak, – er ist ein schöner Mann!« – »Wer – von welchem Manne redest du, daß er es wagt, seine Augen zu mir zu erheben?« – »Mashallah! es ist Zeit, daß du einen Mann wählst, denn du läufst seit Jahren umher wie eine wilde Ghegin, den Geboten des Korans zum Trotz. Der Emir Abdallah ben Zarujah ist ein Fürst im Lande Hedjas, er hat dich in sein Herz geschlossen und begehrt dich zum Weibe.«

Die gehorsame Tochter spreizte verächtlich alle zehn Finger aus. – »Kommst du nur hierher, Bey, um deinem Kinde ins Gesicht zu lachen? Bosch, er ist nichts, ein wilder Araber, ein verachteter Sohn Ismaels!« – »Du hast so viel bessere Heiraten verweigert,« sagte unwillig der Alte, »daß du froh sein magst, wenn ein Tapferer dich begehrt. Der junge Mann gefällt mir, wenn er auch ein Araber ist. Ich höre, er ist reich in seinem Lande und hat Schlösser im Lande Yemen. Du weißt, ich bin alt, und das Leben in diesen rauhen Bergen gefällt mir nicht mehr. Ich will meine Fahrt nach Mekka machen, zur heiligen Kaaba, bevor ich sterbe, und werde dich begleiten, wenn der Sultan, unser Herr, diese Ungläubigen in den Staub getreten und den Krieg beendet hat.« – »Hai! Hai! ich will dies Land nicht verlassen.« – »Der Emir ist tapfer – ich habe Freunde in Stambul und bin reich,« schmeichelte der Bey; »wenn du ihm nicht folgen willst, und es sei fern von mir, dich zu zwingen, so wird es mir mit Allahs Hilfe leicht sein, ihn zu meinem Nachfolger im Paschalik von Skadar oder Janina machen zu lassen.« – »Wallah – was sind das für Träume? Bin ich eine Kuh, die man verhandelt auf den ersten Blick? oder denkt der Bey, ich sei eine öffentliche Tänzerin, weil ich mein Gesicht nicht unter dickem Schleier zeige?« »Die Weiber sind toll! es ist Unsinn, was du sprichst, – ich will meinen Willen haben, oder ich sperre dich ein.«

Die wilde Schöne lachte hell auf bei der Drohung, deren Wert sie vollkommen durch die Gewohnheit kannte ... »War meine Mutter eine Miriditin oder nicht? stamme ich vom Blute des großen Beg von Ak-Serai – oder bin ich eine verachtete Japidin, daß du so mit mir sprichst? Geh – du hast graue Haare und redest Torheit. Fatinitza wird sich eher von den schwarzen Felsen in die Wellen des Meeres stürzen oder zu dem Volk ihrer Mutter zurückgehen und eine Kreuzträgerin werden, ehe sie einen Mann heiratet, den sie nicht selbst gewählt hat.« – Der gläubige Moslem strich sich zornig den Bart, aber er wagte, so tapfer und streng er im Felde oder unter seinen Arnauten auch war, nichts zu erwidern und ließ diesen Punkt des Gesprächs fallen ... »Wir werden diese Nacht gegen die Feinde ziehen,« sagte der Pascha, »und sie schlagen. Abdi wendet sich gegen Rapsista und das Kloster, wo der Grieche Caraiskakis steht. Mir und dem Emir hat der Prophet einen wichtigen Fang in die Hand gegeben. Ein griechischer Imam und der Primat eines Dorfes haben uns Kunde gebracht, wo der Aga der Griechen mit wenigen seiner Gefährten die Nacht zubringen wird. Die Feinde des Islams sind unter unseren Sohlen.« – »Wie heißt der Aga der Christen?« – »Ich habe es vergessen; aber er ist der blutige Feind der Moslems – Fluch über die Gräber seiner Väter! ich werde sein Haupt nach Stambul senden, wie ich mit dem Kopfe des einäugigen Begs der Czernagorzen getan, und die Roßschweife sind mir sicher. Wirst du mich begleiten, Tochter des Propheten, um die Niederlage der Feinde unseres Glaubens zu schauen?« – Eine heftige Bewegung der Verhüllten auf dem Diwan machte Fatinitza erbeben ... »Die heilige Frau, die die Stimme der Engel Allahs hört,« sagte sie eilig, »hat mich belehrt, daß die Weiber dem Kampfe der Männer fern bleiben sollen. Ich werde für euern Sieg beten,« – »Gesegnet sei der Rat dieses Weibes!« rief erfreut der Pascha; »sie redet weise wie Lokman, obschon sie nie zu Männern spricht. Die Frau gehört in das Haus und der Mann in die Schlacht; dein wilder Sinn, o Kind, nach dem Treiben der Männer hat mir oft bittern Gram gemacht. Nimm, diesen Ring zum Dank für deine Lehre, Frau, und mögen die Perlen deiner Worte noch lange fallen in das Ohr dieses Kindes.«

Der alte Krieger warf der Fremden ein Juwel zu, das sie achtlos zur Erde fallen ließ, küßte das Mädchen auf die Stirn und verließ das Gemach. Kaum war der Vorhang hinter ihm gefallen und sein Schritt verhallt, so riß der Grieche den Schleier vom Haupt und sprang auf die Geliebte zu ... »Laß uns dabei sein, Fatinitza, ich kann hier nicht still verweilen, indes die Söhne meines Landes geopfert werden.« – »Unmöglich! Was kümmern mich die Kinder deines Landes? – sie sind Christen, Fluch über sie! Du allein sollst leben für Fatinitza.« – »Höre mich, Weib: unter jenen Kriegern sind meine Blutsverwandten, vielleicht gelingt es uns, sie zu retten und – bei der Göttin der Liebe, der meine Vorfahren Altäre bauten – ich will dir ewig dafür danken.« – »Die Verwandten deines Blutes? Betrügt Fatinitza nicht den eigenen Vater um deinetwillen? setzt sie sich nicht täglich hundertmal dem Tode aus bei der Entdeckung, daß ein Christ, ein Feind, ihr Haremlik entweiht hat und ihr Lager teilt?« – »Ich weiß es, ich fühle es und dennoch beschwöre ich dich! Die Ungewißheit würde mich töten, ich verlange nichts, als die deinen zu begleiten; vielleicht findet sich eine Gelegenheit, wo deine Hilfe, deine Fürsprache meinen Freunden nützen kann.«

Die seinem Volke – selbst den edleren Charakteren – eigentümliche Verstecktheit und Hinterlist ließ ihn fast unbewußt die Worte wägen, – sein Herz sann bereits auf mehr. Das Türkenmädchen schaute ihn fest und prüfend an ... »Ich will dein Verlangen erfüllen,« sagte sie endlich, »aber bei der lodernden Glut, die für dich durch meine Adern strömt, täusche mich nicht zum zweiten Male, denn Fatinitzas Liebe würde zum blutigen Hasse werden. Ich will mit dir gehen zur Kampfstätte, doch nur unter der Bedingung, daß wir beide dem Kampfe fern bleiben. Möge die Schlacht walten und ihre Opfer nehmen, Allah entscheide! Fallen die Freunde deines Blutes lebendig in die Hände der Meinen, wird Fatinitza sie schützen. Ich gehe zu meinem Vater!« Sie hüllte sich in den leichten Schleier und verließ das Gemach.

Kaum hatte sie sich entfernt, so ergriff der Grieche den seinen, und sein Haupt darin verbergend, folgte er ihr. Die Angst, die unbestimmte Hoffnung, irgend etwas für die gefährdeten Kämpfer des Kreuzes tun zu können, litt ihn nicht in dem engen Gemach und trieb ihn hinaus auf die Terrasse, von der im Strahl der sinkenden Sonne der Blick über die Stadt und die umliegenden Höhen schweifte. An der Mauer des mit Blumen geschmückten Vorsprungs lehnte der neue Page der Paschatochter, der Knabe, den ihr Hund am Vormittag zu Boden geworfen und der mit diesem jetzt kameradschaftlich spielte. Der Befehl Fatinitzas hatte ihn bereits mit einem neuen Gewande versehen. Der Grieche trat, ohne darauf zu achten, daß der Knabe ihn aufmerksam betrachtete, hastig zu der Balustrade und schaute hinüber zu den Bergen, auf denen die Schar seiner Freunde lagerte ... »Möge die Panagia sie retten, ich vermag es nicht!« sagte er unwillkürlich in griechischer Sprache vor sich hin ... Im Augenblick darauf trafen Laute in derselben Sprache sein Ohr. Es war ein leiser Gesang, den der Knabe, ohne jetzt aufzublicken, vor sich hin summte; dennoch war jedes Wort verständlich, und Grivas hörte mit Staunen seinen eigenen Namen darin. Es war eine wilde Erzählung seines Kampfes in Montenegro, soweit Bogdan sie hatte geben können ... »Wer bist du, Knabe?« fragte der junge Mann hastig, »bist du von griechischen Eltern oder aus den Bergen Czernagoras?« – Der Knabe schaute ihn schlau an ... »Man fragt keinen, ohne selbst Antwort zu geben, sagt das Sprichwort. Gefällt dir mein Lied?« – »Sprich, wer lehrte es dich?« – »Ich hörte die Erzählung von Bogdan, einem Knaben der Hochlande, der bereits ein Krieger ist. Man nennt dich die weise Frau, – kannst du mir bessere Kunde geben von dem Tode dessen, von dem ich sang? ich höre gern Geschichten.« – »Knabe,« sagte hastig und tiefbewegt der Grieche, »du verstellst dich und bist ein anderer, als du scheinen willst. Bei den Gräbern deiner Väter, bei dem Kreuz, wenn du ein Christ bist, – rede die Wahrheit. Was suchst du im Lager der Türken?«

Mauro blickte hastig um sich, – sie waren allein auf der Terrasse ... »Nikolas Grivas, den Bruder des Gregor Caraiskakis und den Neffen des tapfern Generals der Krieger des Kreuzes suche ich.«

Leidenschaftliche Erregung erstickte das. Wort in der Brust des Griechen? »Knabe, rasch, ich selbst bin Nikolas Grivas!« – »Dann hat meine Ahnung mich nicht getäuscht,« sagte der Bursche, »die die Heiligen mir zugeflüstert bei den seltsamen Erzählungen der Arnauten von der mirditischen Zauberin, die seit der Tötung ihres Wolfes die unzertrennliche Gefährtin der Herrin von Skadar geworden. Sie meinen, der böse Dämon habe nur seine Gestalt gewechselt.« – »Rasch, rasch! Was kümmert mich das Geschwätz der Toren? Sage mir schnell deine Botschaft!« – »Bogdan, der Czernagorze, ist gestern ins Lager gekommen und hat von deinem seltsamen Verschwinden erzählt. Das weckte die Hoffnung deines Bruders, Herr, daß du in Skadar gefangen gehalten würdest, und ich ward auf Kundschaft ausgesandt.« – »Ist Gregor – dessen Name du nanntest, im Lager der Griechen?« – »Mein Herr ist in Varna – ich bin ein smyrniotischer Knabe und als Bote von ihm zu den Hellenen gesandt. Auf jenem Berge dort, in dem Kloster der armen Heiligen, weilt Anastasius Caraiskakis, dein zweiter Bruder, der mir den Auftrag gab.« – »Ich weiß es; hast du von meinem Oheim Grivas gehört?« – »Er zog gestern mit wenigen Leuten nach Dervendzista. Dein Bruder begleitete ihn und sollte heut zurückkehren.« – »Allmächtiger Gott, dann ist Grivas, die Hoffnung des Kreuzes, der Mann, den der verräterische Papa in die Hände der Türken liefern will? Wieviel Krieger stehen bei meinem Bruder?« – »Dreihundert. Die Hauptmacht des Generals lagert an der Arta gegen Fuad-Pascha, der mit 9000 Mann in Prevesa steht. General Tzavellas liegt in Suli, aber es ist Feindschaft zwischen ihm und deinem Oheim!« – »Fluch über diese Uneinigkeit! Sie wird alles verderben. Jetzt begreife ich den Plan der Türken, sie wollen sich zwischen die Abteilungen drängen und sie einzeln vernichten. Wer befiehlt im Lager an der Arta an Stelle meines Oheims?« – »Oberst Stratos.« – »Mein Bruder muß benachrichtigt, Grivas muß gerettet werden. Ein Engel hat es mir eingegeben, auf meiner Teilnahme am Zuge zu bestehen. Knabe, ist es dir möglich, die Stadt zu verlassen?« – »Ich hoffe es.« – »Es gilt die Rettung deiner Glaubensbrüder. Suche das Kloster zu erreichen und sage meinem Bruder, im Dunkel der Nacht rücken Abdi-Pascha und der Pascha von Skadar aus, der erste auf Rapfista zu, der andere, ihnen den Weg ins Gebirge zu sperren und Grivas zu vernichten, der sich unvorsichtig vorgewagt hat. Wenn es eine Möglichkeit ist, soll er den General retten und Stratos benachrichtigen von der Gefahr. Lebe wohl, Knabe, und die Panagia schütze dich!« Er hüllte sich in den Yaschmak und eilte über die Terrasse zurück, auf her Äjischa, die Mohrin, ihn bereits zu suchen erschien. – –

Die Paschas warteten das Dunkel ab, um mit ihren Truppen die Festung zu verlassen. Sie bestanden aus 2500 Mann Nizam und Arnauten, 150 arabischen Reitern und 4 Kanonen. Ein Bote war bereits am Nachmittag nach der Küste abgegangen, um Fuad-Effendi von dem beabsichtigten Ausfall in Kenntnis zu setzen und sein Vordringen zwischen die Stellung der beiden griechischen Generale anzuraten. Abdi-Pascha mit dem Nizam und zwei Geschützen wandte sich gegen die Arta und die Stellung des Hauptkorps; Selim-Bei mit den Reitern und zwei Kanonen in das Tal zwischen dem Kloster und dem Fuß des Mitzikeli, so den Posten bei dem erstern zwischen zwei Feuer bringend und den verwegenen Führer der Griechen gänzlich von den Seinen abschneidend. Dem Unwillen ihres Vaters trotzend und unter dem Vorwand, daß sie sich nicht von ihm trennen wolle, begleitete die Amazone von Skadar den Zug, an ihrer Seite die Verhüllte, vor der die von Aberglauben erfüllten Krieger scheu zur Seite wichen. Der verräterische Primat machte den Führer und ritt an der Spitze der Abteilung, von Abdallah, dem arabischen Emir, bewacht. So gelangte der aus etwa 600 Kriegern bestehende Zug im Schatten der Nacht bis auf die Entfernung von etwa 2000 Schritt in die Nähe seines Ziels und machte hier, von einer Schlucht gedeckt, Halt. Nach dem Rate des Verräters sollte der Überfall in der Morgendämmerung erfolgen.

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Wo die Quellen der Arta zwischen dem Tzumeria-Gebirge, dem Mitzelki und den Höhen des Pindus entspringen, in einer der an Romantik und Lieblichkeit reichsten Gegenden der Welt erhebt sich auf einem kühn vorspringenden, von drei Seiten fast unzugänglichen Felsen die Palanka oder die Kula von Protopapas. Hier erwartete Grivas mit seinen sieben Mainoten den russischen Agenten von Metzowo. Der Ort war noch unter Ali-Pascha eine kleine Feste mit geringer Besatzung, seitdem aber gänzlich verlassen und nur von den Kobbans, den Hirten des Gebirges, benutzt. Ein eingesunkener Wall umgab im engen Kreis einen starken viereckigen Turm, von massiven Quadern zwei Stockwerke hoch aufgeführt, dessen Mauern und Zinnen Zeit und Verödung nur wenig zu schaden vermocht hatten. Durch ganz Epirus und an der Küste entlang, selbst in den akrokeraunischen Gebirgen finden sich noch, zum Teil öde und verlassen, zum Teil als abgeschlossene Posten der Khawassen dienend, viele solcher festen Türme, gleich den Trümmern der alten Feudalburgen in Mitteleuropa.

Nicht mit Unrecht führen die Bewohner von Bassa-Maina, dem alten Gebiet von Sparta, den Namen »Wölfe des Taygetos.« Rauh und hart wie das Felsgestein des Taygetos, scheint ihr Sinn allen milderen Freuden des Lebens unzugänglich; dem Schoß ihres Landes entrinnt keine Quelle, und seine Kinder überragen an Wildheit, aber auch Kühnheit und Tapferkeit alle Stämme der Erde. Raub und Mord ist ihr Gewerbe, der Haß und die Blutrache erben unter Geschlechtern grimmiger, unversöhnlicher als selbst auf den schwarzen Bergen Czernagoras und den Bergen Korsikas, und wenn ein Mann eines natürlichen Todes stirbt, so beklagen sie ihn, weil er nicht erschlagen wurde und daher keiner Rache bedarf ... Räuber zur See und zu Land, unbezwungen und ungebändigt, in wildem Kampf untereinander, seit sie nicht täglich mehr mit ihren Feinden, den Türken, kämpfen können, war noch in den vierziger Jahren, und ist es zum Teil noch, jedes Haus der Maina eine Feste und jeder Zugang durch eine Schießscharte beherrscht. Das ganze Gebiet ist ein Land von Türmen, die meist auf felsigen Anhöhen stehen, so daß sie den benachbarten Distrikt überblicken können. Nur die Weiber gehen zur Arbeit aus, die Greise und Knaben bleiben zu Hause aus der Wache, und es gibt Fälle, daß Männer in zwanzig Jahren nicht die Schwelle ihres Turmes überschritten haben, um nicht der Blutrache zu verfallen. Die bayerischen Truppen, die im Jahre 1834 auf Befehl der Regierung in Athen diese Festen zerstören sollten, wurden von den Mainoten zurückgeschlagen von den wilden Klephten, und ihre Türme blieben unzerstört; und Grivas, der mit den Mainoten 1827 die Akropolis von Korinth erstürmt, konnte sicher bauen auf die Treue und den Mut dieser Krieger.

In ihre Abbas gehüllt, lagen die Tapferen um das verglimmende Feuer im Innern der Kula; denn die Nachte des Orients sind oft kalt und schneidend, während am Mittag heiß der Sonnenstrahl brennt. Commoduro und Demetrios hatten die Wache auf dem Turm und dem Wall, bis die Sonne sich erhoben über die schneeigen Gipfel des Pindus und Dodonas heilige Eichenhaine ... Aus den Schluchten und Tälern ballten in formlosen Massen die Morgennebel empör, gleich als ahnten und fürchteten sie den nahenden Strahl der Sonne. Auf den Wolken über dem See von Janina malten sich die purpurnen und violetten Strahlen des noch hinter den Bergen verborgenen Tagesgestirns.

Da dröhnte es von Westen her in langsam aufeinander folgenden Schlägen – ferne Kanonenschüsse ... Die Hand der Wache legte sich auf die Schulter des Führers – im Augenblick war der General empor und gleich darauf auf der Plattform des Turmes, und um ihn sammelten sich die Mainoten. – Es war die höchste Zeit – ein seltsames, abenteuerliches Schauspiel entwickelte sich phantastisch aus den ballenden Nebeln am Fuße der Höhe, auf der der Turm steht: – gleich Gespenstern, die der Hahnenruf des Morgens von ihren nächtlichen Wegen auf und davon jagt, stürmten durch die Schatten des Tales drei Reiter – voran auf windschnellem arabischem Roß eine Frauengestalt in fliegenden, grünen Gewändern – hinter ihr drein ein alter Moslem, den Säbel in der Faust, offenbar bemüht, der Fliehenden den Weg abzugewinnen und zuerst am Eingang des schmalen Felsengesteins anzukommen, der den Weg zum Plateau der Palanka bildete; – den beiden in der Entfernung von 60 bis 100 Schritt folgend, eine zweite türkische Frau in prächtigen Gewändern, den goldglänzenden Panzer des Tosken um Brust und Schultern, den hohen Reiherbusch über dem Turban. Und hinter ihnen drein in der Ferne, aus dem Nebel und Dunkel, hoben sich im Morgengrauen Lanzenspitzen, blitzten Bajonette und wogte es heran in dunklen Massen. – »Zu den Waffen, Kameraden, die Moslems sind vor der Palanka!« und an den Eingang des Walls stürzten Grivas und seine Mainis.

*

Der Halt, den die Türken gemacht, war, wie gesagt, kaum eine Viertelstunde Weges von der kleinen Feste entfernt, und der Bey sandte von hier aus seine Späher, die bald mit der Nachricht zurückkehrten, daß die Griechen zwar Wachen ausgestellt hätten, sonst aber keine Ahnung von der Gefahr und Nähe des Feindes zu haben schienen ... Es wurde beschlossen, daß die Kula durch Tirailleurs überrascht werden sollte, die sich im Schatten der Klüftungen auf das Plateau schleichen und plötzlich auf das Zeichen eines Schusses eindringen sollten, während die Hauptmacht ihnen langsam folgte. Der Emir Abdallah mit seinen Arabern erbot sich, den Versuch zu machen. Er stieg von seiner Stute, deren Zügel er um den Schaft seiner in den Boden befestigten Lanze schlang, und seinem Beispiel folgten sofort all seine Leute. Dann untersuchte der Emir sein langes Luntengewehr, erteilte den Arabern einige Befehle und verschwand mit ihnen nach verschiedenen Seiten in den Nebel, in denen ihre weißen und grauen Gewänder verschwammen. Der Bey mit Fatinitza und dem verkleideten Griechen waren jetzt die einzigen Reiter, die in der Nähe hielten, und er hieß sie ihnen folgen, um von einem näher liegenden Hügel den Erfolg des Überfalls zu beobachten. Im Gespräch mit ihrem Vater bemerkte das Türkenmädchen anfangs nicht, daß ihre Begleiterin zu folgen zögerte und einige Augenblicke zurückblieb, bis der Vorsprung des Felshügels sie verdeckte. Plötzlich verkündete ein Schrei der Überraschung ein ungewöhnliches Ereignis. – –

In der Brust des jungen Griechen hatte ein wilder Sturm getobt – Qual und Angst um die Blutsfreunde, und Liebe und Dankbarkeit zu dem wilden Türkenmädchen. Dennoch war er von Anfang an entschlossen gewesen, jede günstige Gelegenheit zu ergreifen, um den Oheim und seine Gefährten zu retten. Er wußte aus den Unterredungen des Emirs mit Fatinitza, daß das Roß desselben eine Stute aus jenem berühmten Geschlecht der Nedjhi war, einer durch ganz Arabien wegen ihrer Schnelligkeit und Muskelkraft berühmten Rasse; und als daher der Emir den Sattel verlassen und die Pferde fast unbewacht zurückgelassen wurden, war sein Entschluß rasch gefaßt. Er drängte, zurückbleibend, sein Maultier an die Seite der Stute und den Augenblick entschlossen ergreifend, wechselte er den Steigbügel und sprang in den Sattel, des arabischen Pferdes, zugleich die Lanze aus dem Boden reißend und die scharfen, statt der Sporen dienenden Spitzen der Bügel in seine Flanken pressend. Wie ein Pfeil schoß die Stute vorwärts, und im nächsten Augenblick an Fatinitza, dem Pascha und den ihnen zum Hügel gefolgten Kriegern vorüber.

Im ersten Moment fesselten Überraschung und Verwirrung jede Lippe, da außer Fatinitza keiner die Bedeutung der seltsamen Handlung sich zu enträtseln vermochte, bis der Ruf derselben: »Verräterischer Christ! Allah verderbe dich!« und ihr wütendes Anspornen des Rosses hinter dem Fliehenden drein plötzlich neues Staunen weckte. Dann ein wilder Wutschrei von aller Lippen, und dann folgte der ganze Haufe der wilden Jagd durch den Talgrund, auf dessen anderer Seite das Felsenplateau der Palanka sich erhob. Da der Pascha und seine Tochter die einzigen Berittenen in der Gruppe gewesen, unternahmen diese auch allein mit einiger Aussicht die verzweifelte Verfolgung. Das Pferd des Paschas war ein Tier von edlem Berberblut, das nur wenig dem schnellen Roß des Flüchtlings nachstand, und der greise Moslem, sobald er sein erstes Erstaunen überwunden, sprengte wütend hinter dem Griechen drein, denn der Ruf seines einzigen Kindes hatte ihm im Augenblick gezeigt, wie grausam er betrogen worden.

Die ganze Hoffnung des jungen Mannes lag darin, daß er zuerst den Felskamm erreichte, der den einzigen Weg zum Plateau der Palanka bildete, und die Augen auf die Feste geheftet, jagte er durch das Tal. Doch hatte er, um der Gruppe am Hügel zu entgehen, schon beim Fortstürmen die gerade Richtung verlassen müssen und wurde auch auf dem weiten Ritt, wenn auch nur Augenblicke lang, aufgehalten. Zweimal trat ihm aus dem Nebel die weiße Gestalt eines arabischen Kriegers entgegen und versuchte sich ihm in den Weg zu werfen. Aber die Lanze des Emirs warf den einen, der Sprung des Pferdes den andern zu Boden, und keiner wagte es, auf das wohlbekannte Roß seines Häuptlings zu feuern ... So gelang es dem Griechen, fast gleichzeitig mit dem Bey, den Aufgang des Felsenkammes zu erreichen, und ein Sprung des prächtigen Pferdes brachte ihn voran auf denselben. Er hatte den Schleier von seinem Haupte gerissen und schwang ihn durch die Luft. – »Zum Kampf, Oheim Grivas, zum Kampf! die Moslems sind euch nahe!« – »Verfluchter Christ! Schänder meines Harems! stirb!« – Eine rasende Anstrengung seines Pferdes hatte auf einer breiten Stelle den greisen Bey an die Seite des Griechen gebracht, und er lehnte sich zurück auf den Sattel, den Hieb von hinten zu führen, denn er befand sich zu seinem Unglück auf der rechten Seite des Flüchtlings. Ein Blick zeigte diesem die Gefahr, und daß nur das Verderben des einen den andern zu retten vermöge. Der Trieb der Selbsterhaltung war rascher als alle Überlegung, und mit aller Kraft seiner Hand und seiner Schenkel sein Pferd parierend, drängte er es nach dem Gegner, indem er den rechten Arm nach ihm ausstreckte, den Hieb aufzufangen.

Ein wilder Schrei drang an seine Ohren – die Stimme der Geliebten: »Schone meinen Vater!« – aber im selben Augenblicke schon stieß sein Knie an den hohen Sattel des Gegners, seine Hand faßte den erhobenen Arm – ein Stoß – und über die Seite der Felsenkante stürzten Roß und Reiter! ... Im nächsten Moment flog das Araberpferd weiter und dem offenen Ausgang des Walles zu, auf dem jetzt, die Flinten schußgerecht in der Hand, die sieben Mainoten lagen. Hinter ihm drein gellte in seinen Ohren der schneidende Zeterruf des Türkenmädchens, das Klagegeschrei der herbeieilenden Arnauten ... und vor ihm am Eingang des Walles lag eine breite Kluft, über die eine einzige Bohle führte, welche die Mainoten liegen gelassen und in der unerwartet andrängenden Gefahr noch keine Zeit gehabt, hinwegzuräumen. Aber sie war zu schmal, selbst im Schritt ein Pferd zu tragen; noch einmal preßte er die spitzen Bügel dem seinen in die Flanken, und mit langem Sprunge gewann es den jenseitigen Rand und stand zitternd und schaumbedeckt zwischen den wilden Gestalten der Griechen.

Nikolas Grivas sprang herab, sprachlos – Entsetzen auf dem bleichen Antlitz – deutete er hin nach dem gefährlichen Wege, den er soeben zurückgelegt hatte. – – Dort jagte die Wölfin von Skadar heran, – der Schleier fliegend im Zuge der Luft, glutrot das Antlitz, rachesprühend das dunkle Auge – in der erhobenen Hand die Pistole. – Kaum sah sie den Abhang, der sie von dem Verräter trennte, noch weniger ihn achtend in der wilden Leidenschaft, die jede ihrer Fibern spannte, – der Schuß knallte, indem das Pferd sich zum Sprunge erhob, aber seine Kraft war diesem nicht gewachsen und die Hand der Reiterin hatte es nicht unterstützt, es erreichte kaum den jenseitigen Rand und brach zusammen über die Planke, die über die wenn auch nicht tiefe, doch gefährliche Felsspalte führte. Einen Augenblick hingen Pferd und Reiterin über dem Abgrund, und dieser Augenblick genügte dem älteren Grivas, um vorzuspringen. Seine kräftige Faust erfaßte das Türkenmädchen und riß es empor, und ein Fußtritt schleuderte die schwankende Brücke und das Roß auf ihr in die Tiefe.

Die Flinten der Mainoten krachten zu beiden Seiten und das »Allah Akhbar!« Kampfruf der Araber. erschütterte die Luft. Abdallah an der Spitze, versuchten die wilden Asiaten, das Plateau, an den Felsen und Steinen emporkletternd, zu erstürmen, – aber die Kugeln der sechs wachsamen Spartaner warfen die kleine Zahl, die emporzuklimmen vermochte, tot oder verwundet von dem Felsrand zurück; kein Schuß fehlte bei dem leichten Ziel, und der Ruf des kühnen griechischen Führers belebte den Widerstand.

Die Sonnenstrahlen brachen glänzend über die Berge, und die Palanka vergoldend, zeigten sie sicher den Schützen ihr Ziel. Nach ihrer gewöhnlichen Kampfweise ließen die Asiaten nach dem ersten Sturm vom Angriff ab, sobald sie sich überzeugt, daß die Überraschung mißlungen und der Gegner zum Empfang bereit war, und unter wildem Geschrei zogen sie sich aus der Schußweite der Kugeln zurück. Von der Höhe des Walls sah der General noch, wie sie den Körper ihres greisen Führers aus der Schlucht, wohinein ihn und das Roß der Arm seines Neffen gestürzt, davon trugen, doch vermochte sein Falkenblick nicht zu erkennen, ob der Verunglückte noch am Leben sei ... Der General wußte, daß er vorerst Ruhe und Zeit haben werde, die Anstalten zur weitern Verteidigung zu treffen, und jetzt wandte sein Blick sich wieder auf seinen Neffen und dessen schöne Gefangene. Nur sechs Mainoten-Flinten hatten dem Angriffsgeschrei der Araber geantwortet; der siebente, – Andunah Vati, lag, die Hand auf die rechte Seite gepreßt, an der Mauer der Kula, und durch seine Finger quoll in dicken Tropfen das rote Blut, während sein Auge finster und drohend auf das Türkenmädchen geheftet blieb. Die Kugel ihrer Pistole hatte bei dem Sprunge das Ziel ihrer Rache, den meineidigen Geliebten, gefehlt und den Mainoten niedergeworfen ... In einiger Entfernung von ihm, auf einer der Quadern, saß Fatinitza; der Turban war ihr vom Haupte gefallen, und das dunkle, glühende Auge starrte finster und gleichgültig durch die Öffnung des Walles auf die ferne Schar der Ihren. Sie schien den treulosen Freund nicht zu bemerken, der, nur wenige Schritte von ihr entfernt, an dem Roß des Arabers lehnte. Ein einziges mal während des kurzen Kampfes hatte er gewagt, ihr näher zu treten, aber ein wilder, stolzer Blick des Mädchens scheuchte ihn zurück, und stumm, mit niedergeschlagenen Augen, blieb er in seiner Stellung. So traf die stumme, lautlose Gruppe der General, der mit mehreren seiner Gefährten jetzt in das Innere der Umwallung sprang, während andere derselben die Wache auf dem Wall behielten ... »Andunah ist verwundet, seht nach ihm,« befahl der Führer, »und jetzt, Neffe, nachdem die erste Blutarbeit getan, willkommen, trotz deines seltsamen Aufzugs. Wer ist dies Weib?« – »Fatinitza, die Tochter des Paschas von Skadar, meine Lebensretterin. Laß sie zum Dank dafür, daß es mir gelang, euch noch im letzten Augenblick auf die Nähe der Feinde aufmerksam zu machen, unbeleidigt zu den Ihren zurückkehren.« – »Sie ist die Mörderin meines Vetters Andunah,« rief wild Comoduro. »Ihre Kugel traf ihn – sie muß sterben!« Er hob die Pistole gegen die Unglückliche.

Der General jedoch stellte sich vor sie. – »Zurück, Mann! Andunah Vati wurde im ehrlichen Kampf erschossen, und die Türkin ist meine Gefangene. Wer es wagt, die Waffen gegen sie zu erheben, hat es mit mir zu tun. Du aber, Neffe, irrst, wenn du glaubst, ihre Freiheit in Anspruch nehmen zu können, weil dein Ruf uns gerettet. Der Donner jener Kanonen über das Gebirge her, den du hörst und der uns die Schlacht unserer Brüder verkündet, hatte uns bereits in die Waffen gerufen. Dieses Mädchen, dessen Namen und blutigen Ruf wir alle kennen, hat die Jungfrau vielleicht zu unserer Rettung in unsere Hand gegeben. Bindet ihre Hände und nehmt ihr ab, was sie an Waffen noch bei sich trägt.« – »Oheim!« flehte der junge Grieche. – Der General schüttelte finster das Haupt. – »Sie ist die Gefangene meiner Hand, und es muß sein! Deine Rettung ist vergolten durch die ihrige von jenem Sturz.«

Zwei der Mainoten fesselten mit ihren Riemen die Arme der Türkin und nahmen ihr den Dolch, der in ihrem Gürtel steckte. Ohne Widerstand ließ es das Mädchen geschehen, nur ein stolzer, verächtlicher Blick fiel auf den jungen Grivas, der sein Gesicht in den Händen verbarg ... »Bringt sie in den hintern Raum der Kula und fesselt ihr dort noch die Füße, damit sie keinen Versuch zur Flucht machen kann,« befahl der Führer. »Euer Leben bürgt mir für das ihre. Legt Andunah gleichfalls dahin und leistet ihm Hilfe, so gut es sich tun läßt. – Wie hoch schätzest du die Zahl unserer Feinde, Neffe?« – Nikolas gab die Auskunft, so weit er vermochte. – »Du magst die Stelle Andunahs einnehmen,« sagte der General, »und dich mit seinen Waffen versehen; wir werden harten Kampf zu bestehen haben.«

Steine und Trümmer wurden nun vor dem Zugang des Walles gehäuft. Zwei Mainoten bestiegen das flache Dach der Kula und lagen an den Schießscharten. Die vier anderen mit dem General und dem Flüchtling, der sich der Frauengewänder entledigt hatte, behaupteten den Wall und durchspähten die Umgegend. Im zweiten Raum, nach dem schroffen Felsabhang zu, lagen auf Zweigen und Blättern, wie sich die Hirten des Gebirges ihr Lager bereitet hatten, einander gegenüber Fatinitza und der verwundete Krieger, dessen Waffen und Munition der junge Grivas an sich genommen.

Die Sonne war nunmehr über den Gipfeln des Pindus und ihre Strahlen hatten die Nebel vertrieben und zeigten den Bedrängten klar und deutlich die Gefahr, von der sie umgeben waren. Am Eingang des Felsengrates außer Flintenschußweite lagerte die Hauptschar der Türken, und eine Gruppe von Feigenbäumen schien ihren Mittelpunkt und das Lager ihres toten oder verwundeten Führers zu bilden, denn man konnte vom Turme aus bemerken, daß Shawls und Decken dort ausgebreitet waren. Kleine Abteilungen schlossen bereits im Grunde das Plateau auf allen Seiten ein, und die Mannschaft der beiden Feldgeschütze bemühte sich eben, dieselben am Zugang des Felsendammes zum Wall, in der Entfernung von sieben- bis achthundert Schritt von diesem, aufzustellen, da es zum Glück für die Griechen nicht möglich befunden worden, sie auf dem Felsdamm selbst durch die Bespannung weiter vorwärts zu bringen ... Zu ihrem Staunen sahen die Mainoten jedoch statt des Beginnens des Sturmes einen einzelnen Reiter, den Zweig eines Olivenbaumes in der Rechten – das Zeichen des Friedens oder Waffenstillstandes – heran nahen. Es war der Emir, der kühn und unbesorgt bis zur Felsspalte vorritt, die den schmalen Weg zum Felsplateau der Palanka trennte, und dort den Zweig als Zeichen über dem Kopfe schwang, daß er eine friedliche Unterredung wünsche. Der General mit Nikolas, indem er den übrigen gebot, im Anschlag zu bleiben, erschien sofort auf dem Wall ... »Hunde und Söhne von Hunden,« begann der Emir die friedliche Anrede, »ihr seht, daß Allah euch in die Hand der Gläubigen gegeben hat, die zahlreich sind wie der Sand am Meere, und daß kein Entrinnen für euch ist. Bist du Grivas, der Anführer der aufständischen Griechen?« – »Nimm dich in acht, Freund Araber, mit deinen Worten,« entgegnete der General in türkischer Sprache: »Meine Mainoten und ich selbst sind nicht gewillt, geduldig die Schmähungen eines Götzendieners zu ertragen. Wer bist du und was willst du?« – »Ich bin Abdallah ben Zarugah, das Haupt meines Stammes und der Freund des Paschas von Skadar, Selim Bey, eines Tapfern, dem die Hand eines Verräters Unglück gebracht hat. Ich rede in seinem Namen und führe seine Krieger gegen euch zum Kampf.« – »Sage mir, Emir Abdallah, bei deinem Haupte beschwöre ich dich,« unterbrach Nikolas Grivas das Gespräch, »ist der Pascha bei dem Sturz umgekommen oder glücklich der Gefahr entgangen?« – »Ich erkenne dich an deiner Stimme, Pferdedieb,« entgegnete der Araber, »und Fluch über dich, denn du hast Verrat geübt an dem, dessen Brot du gegessen. Allah hat seine Hand über dem Pascha gehalten, er ist schwer verwundet und sein Schenkel gebrochen, aber er lebt, Euch zum Verderben.«

Ein unwillkürliches »Den Heiligen sei Dank!« entfloh den Lippen des jungen Mannes. Dann verließ er hastig den Wall und eilte in das Gefängnis Fatinitzas, um ihr die Nachricht zu verkünden. Sie nahm sie schweigend auf; kein Laut, kein Blick des Auges verkündete ihre Gefühle ... »Weshalb kommst du, Emir? – Ich bin Grivas, der General der freien Griechen.« – »Deine Krieger,« sagte der Araber, »werden in diesem Augenblick von dem Pascha von Janina vernichtet, du hörst den Donner der großen Büchsen. Schau auf die Zahl meiner Tapferen, und du siehst, daß ein Entrinnen unmöglich ist. Es ist keine Schmach für den Kühnen, der Macht zu weichen. Gib dich gefangen mit deinen Leuten, und das Urteil des Paschas wird milde sein.« – »Bin ich ein Kind oder ein Weib, daß du so mit mir redest? Wir haben Kugeln in unseren Flinten und Blut in unseren Adern.« – »Du bist ein Tapferer, ich weiß es, und Abdallah, der mit den Rotjacken vor Aden gefochten, ehrt die Tapferen, auch wenn sie seine Feinde sind. Gib mir mein Pferd Eidunih und Fatinitza, die Tochter des Paschas, nebst dem Verräter heraus, der sie beide entführt hat, und liefert eure Waffen ab, so will der Pascha dir und den deinen den Abzug erlauben, wenn Ihr bei dem Koran der Christen schwören wollt, nie wieder gegen das Licht der Welt zu kriegen.« – »Der Mann, den du einen Dieb nennst,« sagte der General, »ist mein Neffe und ein Krieger des Kreuzes, dessen Blut nicht für die türkischen Henker bestimmt ist. Das Weib und das Pferd kannst du erhalten, aber nicht unsere Waffen, die wir brauchen wollen, so lange ein Moslem auf griechischer Erde steht. Was bürgt uns für die Erfüllung des freien Abzugs? wir kennen die Treue der Türken.« – »Mein Wort,« entgegnete der junge Araber stolz, »der Eid Abdallahs ben Zarugah. Die Sterne würden eher in ihrem Lauf zurückgehen, als daß ein Hauch des Eides bei seinem Barte nicht gehalten würde.«

Der griechische General lächelte verächtlich ... »Du magst redlich genug sein für einen Araber, aber die Türken, deine Brüder, sind Schurken. Wir verlassen uns auf die Jungfrau und unsere Flinten, wenn du keine besseren Bedingungen gibst. Zieht euch zurück nach Janina, laßt die Berge frei, und ich will dir Pferd und Weib unbeschädigt zurückgeben. Willst du nicht, so mach, daß du fortkommst.« – »Hund! Sohn einer Hündin, willst du Abdallah in den Bart lachen?« rief der Emir wild, indem er sein Roß wandte und den schützenden Zweig hinwegwarf. »Dein Blut komme über dich! Allah Akhbar – zum Kampf!«

Eine Kugel pfiff dicht an seinem Haupte vorbei, aber die Bewegung des Pferdes rettete ihn, und er jagte unverletzt davon; die Griechen sparten ihr Blei für den Kampf auf Tod und Leben, der, wie sie wußten, jetzt erfolgen mußte ... Kaum war der Emir zu der Gruppe unter den Feigenbäumen zurückgekehrt, so wurde auch das Zeichen zum Beginn des Angriffes gegeben, und die beiden leichten Feldgeschütze eröffneten ihr Feuer gegen die Palanka. Die Geschütze waren jedoch zu schwach, um auf diese Entfernung von energischer Wirkung zu sein, und sie beunruhigten und gefährdeten kaum die Personen der Verteidiger. Die Kugeln übten gleichfalls nur geringe Zerstörung an den dicken Marmorquadern des Turmes. Die Palanka konnte allein durch Sturm genommen werden, der nun auch nicht lange auf sich warten ließ. Die Mainis sahen den jungen, kühnen Führer gleich einem Pfeil von einem Posten zum andern jagen, die das etwa 50 bis 60 Fuß über das Tal emporragende Plateau umgaben. Sie bestanden größtenteils aus seinen berittenen Arabern, die jetzt bis auf Schußweite ihrer langen Luntenflinten heranrückten und ein scharfes Feuer auf alle Öffnungen des Turmes begannen, während eine Abteilung des Nizam an den Seiten des Felsendammes und auf diesem selbst vorrückte.

Sobald sie auf etwa 200 Schritt herangekommen, gab der General das Zeichen zur Eröffnung des Feuers, und Schuß auf Schuß aus den sicheren Flinten der Mainoten schlug in die Reihe der Stürmenden. Zwölf Tote oder schwer Verwundete deckten den Weg, ehe sie bis an die Spalte herankamen, der jetzt die verbindende Brücke fehlte. Die Untenstehenden versuchten zugleich, an der hier etwa vierfache Manneshöhe haltenden Felswand heraufzuklimmen, während ihre Gefährten vom Damm aus ein heftiges Feuer auf die kleine Schar der Verteidiger unterhielten. Aber Grivas hatte drei seiner besten Schützen eilig nach dem zweiten Stockwerk der Kula gesandt, und ihre Kugeln schlugen todbringend in das Gedränge der Türken auf dem Wege, die sich, das Nutzlose ihres Beginnens erkennend, zurückzogen. Über zwanzig Tote lagen bereits auf dem Kampfplatz, zahlreiche Verwundete schleppten sich zurück aus dem Gefecht. – Emir Abdallah kommandierte Artilleristen und Nizams an die Kanonen, und man versuchte, eine derselben durch Menschenhände auf dem Felsendamm vorwärts zu bringen. Mit vieler Mühe gelang es, bis auf 300 Schritt heranzukommen. Unterdes hatten die um den Emir versammelten Araber sich nach allen Seiten hin zerstreut.

Der Führer der Mainoten hatte alle diese Anstalten der Feinde eifrig und nicht ohne Besorgnis beobachtet. Der ferne Geschützdonner benachrichtigte ihn, daß in der Ferne gleichfalls hart gegen seine Truppen gekämpft wurde, die des Führers durch seine eigene Unvorsichtigkeit beraubt waren. Mit einem Fernrohr, das er bei sich hatte, verfolgte er die Araber, die sich in die Berge zwischen die Bäume und Büsche verloren, – er konnte sehen, wie sie mit ihren Yatagans leichte Zweige und Äste abhieben und zu starken Bündeln zusammen banden.

Im selben Augenblick stand die Absicht der Gegner vor seinen Augen – sie machten Faschinen, um die Schlucht, die sie vom Plateau trennte, zu füllen. Seine Augen flogen umher, um ein Gegenmittel zu suchen, und fanden es. Zwischen Wall und Turm lag ein großer Vorrat von trockenen Reisern, Röhricht und Binsen aus den Sümpfen, von Hirten hier für Notfälle aufgehäuft ... Dasselbe Mittel, das ihr Verderben bereitete, sollte die Gegner schlagen. Der kühne Palikare traf ohne Säumen seine Vorkehrungen ... Da trat zu ihm Mainot Comoduro und meldete, der Engel des Todes sei an das Lager seines Verwandten getreten, und diesen verlange es nach dem Sterbesegen.

Die rauhen Krieger der Maina, deren Religion noch immer ein phantastisches Gemisch von altem Aberglauben und den Lehren der griechischen Kirche ist, während sie seit Jahrhunderten bereits mutig für das Kreuz in den Tod gehen, – hängen fanatisch an ihren Priestern. Wenn der Tod sie fern von denselben ereilt, ist es der Capitano, der das Recht hat, Priester zu ersetzen. Diesen letzten Wunsch eines sterbenden Kriegers zögerte der wilde Palikarenführer nicht, zu erfüllen, so lange die Waffenruhe es erlaubte.

Ein Halblicht, durch zwei enge, hochangebrachte Schießscharten hereinfallend, beleuchtete das ziemlich große Gemach, an dessen einer Wand halb aufgerichtet der Sterbende ruhte, während auf der andern Seite, auf dem Lager von Binsen und Laub, das gefesselte Türkenmädchen lag, mit dem Gesicht nach dem Krieger gekehrt, dem ihre Kugel den Tod gebracht. Ein Zug hohnlächelnden Frohlockens blitzte aus ihren dämonischen Augen und um den festgeschlossenen Mund ... Der General betrat allein das Gemach und setzte sich auf einen Stein an die Seite des Verwundeten. Es war ein Kakawuniot, der wildeste und grausamste aller Mainotenstämme und ein Mann, der längst über das mittlere Lebensalter hinaus und mit Grivas schon in mehreren Schlachten des ersten Befreiungskrieges gefochten hatte. Die Natur von Eisen, die an vierzig Jahre lang den blutigsten Kämpfen getrotzt, unterlag jetzt der Kugel eines Mädchens ... Grivas reichte dem Getreuen die Hand.

»Lebt wohl, Capitano,« sagte er; »mögen die Heiligen Euch beschützen und die Unterirdischen Euch helfen! Ich gehe zu dem Acheron, und die Panagia möge mir gnädig sein! Habt Ihr Zeit, so laßt ein Grab für mich bereiten, damit die Moslems, wenn der Teufel ihnen den Sieg gibt, nicht meinen grauen Kopf nehmen. Gebt mir den Segen, Capitano, denn mein Atem ist kurz, und ich habe noch von den Kindern der hohen Maina zu scheiden.« – Der General sprach ein kurzes Gebet und machte das Zeichen des Kreuzes über ihn. Dann fragte er, ob er das Türkenmädchen entfernen solle, damit ihr Anblick seine letzten Augenblicke nicht störe. Der Klephte aber machte das Zeichen der Verneinung, und noch einmal ihm die Hand reichend, schied Grivas von dem Krieger ... Draußen befahl er dem Neffen, am Eingang des Walles Wache zu halten; er selbst übernahm den Posten auf der Höhe des Turmes, die sechs Mainoten ihrem sterbenden Genossen sendend ... Die wilden Gestalten der Krieger knieten um den Gefährten, den Comoduro, sein leiblicher Vetter, unterstützte. Der sterbende Klephte sprach in leisen Worten zu ihnen: von dem Kampf, in den sie gehen würden, und von der Tapferkeit, die er von ihnen erwartete; von den Seinen in der Heimat und von Blutfehden, die er seiner Familie zurückließ. Er gab ihnen Grüße an die Heimat und seine letzten Bestimmungen mit. Zuletzt sprach er von seinem Tode und von der Pflicht der Rache, die er ihnen hinterlasse ... »Ich sterbe von der Hand eines Weibes, Fluch über ihr Geschlecht! Der Tod durch Weiberhand ist kein Tod im Kampf, und das Gesetz unserer Väter verlangt, daß er gerächt werde.« – »Der General ist kein Sohn der Maina,« sagte Konstantin, »er kennt nicht das Gesetz der Blutrache. Das Weib wird sterben von meiner Hand!« – Der Verwundete winkte abwehrend mit der seinen ... »Der Capitano hat befohlen, ihr Leben zu schonen; sie ist seine Gefangene – und wir sind freie Krieger, die ihm Gehorsam geschworen. Das Weib darf nicht sterben; es würde der Tod eines Tapfern sein!« – »Der deine muß dennoch gesühnt werden, Andunah Vati, oder dein Schatten wird die Unterirdischen verlassen und Fluch bringen über die Schwelle unserer Häuser.« – »Er soll es!« – Der Sterbende warf einen Blick wilden Hasses auf das Mädchen, das bisher gleichgültig dem schaurigen Auftritt beigewohnt. Er flüsterte, das Auge auf sie gerichtet, ein Wort.

Die Klephten nickten stumm ... »Alle – alle! Fluch und Schmach über sie!« Sie neigten alle das Haupt. – »Ich danke euch, Brüder. – Das Auge wird dunkel – lebt wohl, Mainis, und vergeßt euren Schwur nicht! – Heilige Jungfrau, bitte für mich und vernichte die Moslems – –«

Die sechs begannen einen Gesang zu murmeln – eintönig, mit jener plärrenden, unangenehmen Weise der Griechen, die sich einzig in zwei Tönen bewegt – den Sterbegesang eines Kriegers – halb Psalm, halb Hymnus ... Die Augen des Sterbenden ruhten mit glühendem Haß auf dem Türkenmädchen, starrer und immer starrer. Dann begannen seine Glieder sich zu strecken – ein unheimliches Gurgeln quoll die Kehle herauf, und ein Zucken erschütterte die Glieder ... Der Wolf des Taygetos hatte geendet!

Die Wölfin von Skadar schauderte zusammen. Eine furchtbare, unbestimmte Ahnung überkam die wilde Amazone der Berge. Starr, wie das des Todes, haftete ihr Auge auf der Gruppe um denselben ... Fort und fort »murmelten die Mainis den Sterbegesang ... Dann erhoben sie sich alle zusammen und schlugen das griechische Kreuz, während Konstantin Comoduro der Leiche die Lider über die großen, starren Augen drückte und sie lang auf das Blätterlager ausstreckte. Der Blutsfreund des Toten leitete die Leichenzeremonien – dazu gehörte die Rache!

Er winkte nach der Gefangenen, die noch immer mit aufmerksamen Blicken jede seiner Bewegungen beobachtete, den Tod erwartend. Sie tat trotzig und furchtlos. Ihr Auge zeigte nur Verachtung und Haß ... Er nahm aus der Tasche seiner Jacke zwei Würfel und alle sechs kauerten sich im Kreise neben den Toten. Sie würfelten – Comoduro begann! Sollte das Spielerglück entscheiden, wer ihr den Todesstoß gab? Comoduro warf sechs! Hassan Stavro – acht! Georg Zanet – elf! Panagotti Zanetachi – vier! Georg Mauromichalis – fünf! Demetri-Bey – zwölf! Das Los fiel auf Demetri-Bey! Aber seltsam – was sollte das bedeuten? – er begann seine Waffen von sich zu legen, die der Klephte nie von seiner Seite läßt, außer – Die fünf zogen ihre Yatagans und nahten sich der Tür. Ein höhnisch frecher, faunenreicher, gehässiger Blick fiel auf das türkische Mädchen und den von den Würfeln Erwählten.

Der Mainot Demetri-Bey, ein Mann von wildem Aussehen und riesigen Körperformen, von etwa dreißig Jahren und in der Fülle seiner Kraft, begann ein seidenes Tuch knebelartig zusammenzudrehen. Dann nickte er den Gefährten zu. Sie verließen schweigend die Halle – hinter ihnen fiel die Tür zu. Sie gingen, draußen am Wall mit ihren Yatagans ein Grab zu schaufeln. Der Maini – der Tote – und die Türkin waren allein! Die Blicke der beiden Lebenden begegneten sich ... die des Mainoten bohrten sich frech auf das blasse, aber dämonisch schöne Antlitz des Weibes und die Wellenformen ihrer gefesselten Gestalt – die Blicke des Weibes sprachen Haß, Verachtung, aber zugleich Entsetzen – die Augen des Toten sagten nichts – sie waren geschlossen für dieses Leben und geöffnet für das furchtbare Jenseits, wohin er seinen sündigen Haß mit hinüber genommen.

Die Türkin sah den Mainoten auf sich zukommen, seine Linke hielt den Knebel! Schritt um Schritt – jetzt war er an ihrer Seite! Ihre Hände rangen sich wund, die ledernen Bande zu sprengen. Noch kam kein Laut von ihren Lippen. Dann – – – –

 

Schluß des ersten Bandes.

 

[Fehler in der Buch- und Kapitelnummerierung der Scanvorlage wurden korrigiert. Re]


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