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Zweites Kapitel.
Das erste Blut.

Der »Egytto« hatte während der Nacht auf Chios angelegt und eine Menge neuer Passagiere an Bord genommen. Erst als das Tagesgrauen über die fernen Berge Anatoliens herauf dämmerte, erhoben sich die Reisenden vom Verdeck, wo sie ihr improvisiertes Lager gefunden, oder kamen langsam aus den Kajüten und Kabinen zum Vorschein.

Der erste rosige Strahl der Sonne tauchte am Horizonte empor und zitterte über die Fläche des Golfs. Glänzend stieg die Königin unsrer irdischen Welt über die in den fernen Nebeln noch unsichtbare Königin der Städte Anatoliens empor. Neben dem ernsten, etwa vier- bis fünfunddreißigjährigen Mann in einfacher, aber moderner europäischer Kleidung mit dem grauen, breiträndrigen Filzhut, der schon seit einer Stunde an dem Bollwerk des Vorderschiffes lehnte, um das herrliche Schauspiel mit allen seinen hier so wunderbaren Farbenwechseln nicht zu verlieren, breitete ein Türke seinen Teppich aus und kniete mit dem Antlitz gen Mekka nieder, sein Gebet zu verrichten. Was an Moslems auf dem Verdeck war, folgte dem Beispiel; der große Haufe der Griechen und Franken kümmerte sich aber wenig um die Andacht der Ungläubigen und unterbrach keinen Augenblick seine Unterhaltung, ja viele der ersteren spuckten verächtlich und mit grimmigen Seitenblicken nach dem Erbfeind ihres Glaubens ins Wasser. Eine Hand legte sich an die Achsel jenes Mannes, der die ihm fremde Andacht beobachtete; als er sich umwandte, blickte er in ein Gesicht, das ihm wohl bekannt schien, doch ließ die fremdartige Kleidung, der das Haupt bedeckende griechische Fez ihn im ersten Moment den anderen nicht gleich erkennen.

»Erinnert sich Doktor Welland wirklich nicht mehr des Kommilitonen,« fragte der Grieche, »mit dem er vor Jahren die Kollegien unter Dieffenbach gehört? oder haben die acht Jahre, die seitdem vergangen, Gregor Caraiskakis so ganz aus dem Gedächtnisse der Freunde seiner schönen Jugendtage verdrängt?« – Welland warf sich in die geöffnete Arme. »Die Schulbank des Knaben, die Aula des Jünglings schlingt ein Band gemeinschaftlicher Erinnerungen, das wahrlich auch im Männerleben sich nicht vergißt. Verzeihen Sie mir, Caraiskakis, daß ich 500 Meilen von dem Orte, wo wir zusammen gelebt, und in der veränderten Tracht Sie nicht wiedererkannte. Glauben Sie mir, ich habe, während der Dampfer mich an den Küsten Ihrer klassischen Heimat vorübertrug, gar oft Ihrer gedacht, und nur die Kürze unseres Aufenthaltes in Athen verhinderte mich, nach dem lieben Kommilitonen alter Zeit zu forschen. – Aber,« fuhr er fort und sah aufmerksam in das Antlitz des Universitätsfreundes, – »warum die Wahrheit verhehlen? gewiß, Sie haben sich auch sehr verändert, Gregor, und diese Falten, diese Blässe stimmen wenig mit Ihren Jahren und dem frischen, kecken Lebensmut, den der Sohn des Helden vom Piräus sonst in jeder Bewegung, in jedem Wort zeigte.« – »Sie haben recht,« entgegnete der junge Mann, »ich fühle es selbst. Aber zuerst, wie kommen Sie hierher nach der Levante, in die sich brauenden drohenden Gewitter? ich habe Sie doch in Berlin vor dem Examen und in Aussicht einer baldigen Praxis oder Anstellung im Staatsdienst zurückgelassen!«

»Der Mentor, der sich Ihnen gegenüber so oft als älter und erfahrener aufgespielt hat, wußte sich selbst nicht zu leiten. Etwa zwei Jahre, nachdem Sie, lieber Freund, nach München, und von dort, wie ich hörte, nach Griechenland zurückgekehrt waren, brach bei uns jene merkwürdige, mir selbst kaum erklärliche Revolte aus, die man die Märztage nennt. Sie kennen sie aus den Zeitungen. Ich war töricht genug, mich daran zu beteiligen, nachdem ich mir bereits seit einigen Monaten eine kleine Praxis gegründet hatte. Zu der Zeit ging alles drunter und drüber, auch meine Existenz. Meine Familie trennte sich im Zorn von mir; so packte ich mein Bündel und zog nach Frankfurt, wo das deutsche Reichsparlament tagte und tobte. Dort blieb ich bis zum Frühjahr 49, und ein eigentümlicher Zufall, den ich Ihnen wohl später erzähle, führte mich nach der Pfalz und Baden, als der Prahler Mieroslawski dort seine Lorbeeren zu pflücken dachte. Mir war die Sache zuwider, denn ich hatte viel gesehen und erlebt in der Zeit; aber es stand doch mancher eherne Mann mit aufrichtiger Gesinnung, mancher Jüngling mit glühender Phantasie und ehrlichem Herzen unter den Freischaren, und wenn ich auch nicht an ihrer Seite gegen meine Landsleute focht, so widmete ich ihnen doch meine Kunst und wirkte als Arzt unter den Verwundeten und Sterbenden. Der Fall von Rastatt trieb mich nach Straßburg, und von da nach Paris. Ich hätte vielleicht wiederkehren können in meine Heimat, da ich nicht kompromittiert genug war, um sie mir für immer versperrt zu sehen; aber ich war mit meiner Familie ganz zerfallen und erhielt nur heimlich hin und wieder einen Brief von den Schwestern. Sodann fesselten mich Freundesbande an Paris. Schon wollte ich nach Algerien gehen, als ein Auftrag von Freunden mir einen andern Weg wies. Ich erhielt eine Empfehlung nach Konstantinopel an Herrn de Latour, den französischen Gesandten. Vorläufig werde ich also kurze Zeit in Smyrna bleiben.« – »Da ist unser Ziel dasselbe,« sagte freudig der Grieche, dem die etwas zurückhaltende und vorsichtige Erzählung vollkommen genügte. »Auch ich gehe nach Smyrna. Selbst in anderer Beziehung ähnelt sich unser Schicksal, auch die Familie Caraiskakis ist ausgewiesen von hellenischem Boden, aus jener Heimat, die ihr Vater mit seinem Blut erkauft hat!« – »Sie verwiesen aus Athen?« fragte erstaunt der Deutsche. »Aber König Otto hat Sie und Ihre Brüder ja selbst erziehen lassen als eine Dankespflicht für den Heldentod Ihres Vaters.« – »Wir haben auch über den König nicht zu klagen, er ist gut und will das beste. Aber Sie kennen die Parteiungen nicht, die das arme Griechenland zerreißen und es immer am Emporblühen hindern werden. Nur wenn es galt, das Kreuz gegen unsern alten Erbfeind zu erheben, waren Griechen jedes Stammes einig, und selbst da noch trieben Neid und Ehrgeiz ihr zerstörendes Spiel. Zudem erliegt das arme, gedrückte Hellas unter der Last des europäischen Protektorats. Blicken Sie hin nach Jonien, der proklamierten freien Republik! Der britische Schutz hat es in Fesseln geschlagen, ärger als die indischen. Der Gouverneur von Korfu ist mehr Herr in unserem Griechenland als König Otto, und seinem peremptorischen Verlangen verdanke ich die Verweisung vom Festlande, die mich seit zwei Jahren auf den Inseln des Archipels umhertreibt.« – »Wenn ich mich recht erinnere,« fragte Welland, »so stammen Sie ja wohl ohnehin von den Inseln?« – »Von dem unglücklichen Chios, das, trotz seines Märtyrertums im Befreiungskriege, der englische Machtspruch unter den Fesseln des Halbmondes ließ. Meine Mutter flüchtete mit uns aus den Mörderhänden des Kapudan-Pascha aufs Festland, wo mein Vater bereits für das Kreuz kämpfte. Überall, wo ich weilte, fand ich mein Volk unterdrückt und geschlachtet. Glauben Sie mir, Welland, was ich gesehen und erlebt, würde Ihnen das Herz in der Brust umkehren. Nur in Konstantinopel und in den Küstenstädten, wo die europäischen Konsuln residieren und ihre Anwesenheit die Paschas im Zaume hält, haben die griechischen Christen geduldete Rechte; im Innern des Landes herrscht der Jahrhunderte alte Druck noch in seiner vollen Willkür und Barbarei.«

»Aber Ihre Geschwister? Sie erzählten mir so oft von ihnen.« – »Mein älterer Bruder steht im griechischen Heere an der Grenze, mein jüngster ist in diesem Augenblick in Cettinje und hält die Schluchten der Tschernagora mit dem tapferen Bergvolk gegen Omer-Paschas Redifs. Beide sind ihrer Väter würdig und ich nenne sie mit Stolz meine Brüder. Wenn ich sie sehe, werde ich ihnen den Segen ihrer greisen Mutter bringen, denn ich komme von ihrem Sterbebett auf Chios, wo ich sie gestern unter den Platanen begrub, die auf den Trümmern meines väterlichen Hauses wachsen. Möge die blutgetränkte Erde der Heimat ihr leicht sein!« – Welland reichte dem trauernden Freunde die Hand. »Und Ihre Schwester?« Des Griechen feuchte Augen flammten auf. Über sein bleiches Gesicht flog die Zornesröte heftiger Erregung, und er streckte die Arme aus gegen die Stadt, die aus dem Duft von Licht und Wasser emporschwamm, überragt von dem Pagus, an dessen Seiten über die Kuppeln und Minaretts der Türkenstadt sich die Zypressenwälder der Friedhöfe hinaufziehen.

»Ich bin unterwegs, sie zu schützen, oder – zu richten!« sagte er mit tiefer Stimme und wandte sich ab. Die drängende Menge umgab sie und verhinderte jedes weitere Gespräch.

Ismir, – wie es die Türken nennen, – Smyrna im Munde der Geschichte, das Kind Alexanders des Großen – zehnmal verwüstet von der Hand mächtiger Feinde und zehnmal wieder emporgestiegen aus seinen Trümmern, – Smyrna, eine der sieben heiligen Kirchen Kleinasiens, dehnte sich vor den Blicken der Reisenden an seinem prächtigen, drei Meilen breiten Golf aus. Wie fast alle Uferstädte Griechenlands und Kleinasiens an der Höhe der Berge terrassenmäßig emporsteigend, bietet es einen prächtigen Anblick. Rechts am türkischen Kastell vorüber mit seinen schläfrigen Schildwachen und unbehilflichen Geschützen fliegt der Dampfer gegen die Stadt, die, von Bergen umgeben, nur rechts am Ufer hin sich nach der Karawanenstraße öffnet. Im Vordergrunde die neue Kaserne, ihre Höfe in das Meer tauchend; darüber die Türkenstadt mit ihren zahlreichen Minaretts und Kuppeln, den kleinen, zum Terrassenbau so prächtig geeigneten Häusern, dem Grün der Büsche und der Bäume, den mäandrischen Windungen der Straßen; höher am Berge Pagus das armenische Quartier, links die Franken- und Griechenstadt mit den Flaggen der Konsulate, den Kaffeehäusern und Magazinen auf der Marina, – zur Seite einschneidend die Wässer des Golfes zwischen den Bergen, eine Bucht tief hinein, deren Ufer von den zierlichen Landhäusern des Dorfes Burnabat besetzt sind. Im Hafen, und das ist der ganze Golf, ankern Hunderte von Schiffen aller Nationen. Dampfer kommen und gehen, von Beirut und Alexandrien, von Malta und Athen, aus dem Bosporus her ... das Meer ist belebt von den flatternden Wimpeln und Segeln und dem Schlage der Dampfmaschinen.

Auf den Höhen des Golfes lag eine österreichische Brigg vor Anker, der »Hussar«, und von der Gaffel wehte lustig im Morgenwinde der schwarze Doppeladler im gelben Felde. Bollwerk und Wandtaue waren besetzt von dem Schiffsvolk, das zur Begrüßung des Lloyddampfers die Hüte schwenkte, auf dem Hauptdeck standen die Offiziere um eine gedrungene, markige Gestalt, den Kommandanten Major Schwarz. Kaum daß der »Egytto« in einiger Entfernung näher der Stadt Anker geworfen, so hörte man auch auf der Brigg den schrillen Ruf der Bootsmannspfeife ertönen, und mit der den Kriegsschiffen eigenen Schnelligkeit hob sich ein Boot vom Schiffsrand und wurde bemannt, um zum Dampfer zu rudern. Noch ehe dasselbe jedoch anlangte, umschwärmten zahlreiche Uferbarken das Dampfschiff.

Welland saß auf dem Rande des Bugspriets, und seine Blicke schauten mit Neugier auf das malerische Getümmel. In seiner Hand wehte zufällig oder absichtlich ein Taschentuch von hellgrüner Seide. Nach wenigen Augenblicken bemerkte Caraiskakis, der wieder neben dem Freunde stand, daß in einem der um das Schiff kreuzenden Boote zwei Männer scharf auf den Deutschen blickten, und der eine von ihnen nach wenigen eifrig gewechselten Worten ein ebensolches Tuch aus der Tasche zog und wehen ließ. In diesem Augenblick wandte sich Welland zufällig um und machte dieselbe Wahrnehmung wie sein Freund. Der eine war ein Grieche, der andere ein Passagier, der schon von Triest aus die Fahrt mitgemacht und mit auffallender Freundlichkeit sich an ihn zu drängen versucht hatte. Des Mannes Wesen gefiel ihm aber nicht. Auch hatte ihn der Kapitän durch ein zufällig hingeworfenes Wort gewarnt. Infolgedessen hatte er sein Benehmen auf den äußerlichen Verkehr beschränkt und war namentlich den Fragen ausgewichen, die der Fremde, seiner Aussprache nach ein Wiener, obschon er sich für einen Ungar ausgab, nach Zweck und Ziel seiner Reise geschickt einzuflechten verstand. Eine leichte Röte überflog Wellands Gesicht, als er sich beobachtet sah, doch wurde seine Aufmerksamkeit alsbald durch einen Streit abgezogen, der sich unten zwischen den Booten erhoben hatte. In dem des Kriegsschiffs saß ein junger schlanker Schiffsoffizier in der österreichischen Midshipmans-Uniform und gebot heftig den beiden Ruderern des andern Bootes, an der Treppe Raum zu geben. Der eine von ihnen lachte jedoch höhnisch zu dem herrischen Befehl und hieß in italienischer Sprache, die in den Küstenländern des Orients, selbst bis an die Ufer der Donau hinauf überall gesprochen und verstanden wird, seine Fährleute ihren Platz behaupten.

Der junge Offizier, an Gehorsam gewöhnt und über den Widerstand der Bootsleute ergrimmt, ergriff eine neben ihm liegende Speiche, um sie halb gegen die feigen griechischen Ruderer, halb gegen den trotzigen Passagier zum Schlage zu erheben. Wie ein Blitz flammte das Auge des Bedrohten auf den Österreicher, und seine Hand fuhr nach der Brusttasche, aber der zweite, besonnenere, derselbe, welcher das Tuch gezeigt, riß ihn zurück und gab den Ruderern ein Zeichen zum Weichen ... »Bist du rasend, Fumagalli?« herrschte er dem Gefährten zu, »dein Tollkopf wird uns noch verderben.« – Der Offizier bestieg mit dem ziemlich hörbaren Ausdruck »Gesindel« die Schiffstreppe, ohne sich weiter um die Zurückgewiesenen zu kümmern, und hörte nicht das » Cospetto, Bursche, wir treffen uns wieder!« das der Italiener hinter ihm herfluchte. Kähne überfluteten jetzt von allen Seiten die kleine Zwischenszene und bald war das Verdeck förmlich im Sturm genommen von all den Bootsführern, Verkäufern und Agenten, die das Schiff umringt hatten. Während der junge Offizier von dem Schiffsschreiber ein Paket mit Briefen in Empfang nahm und von dem Wiener angesprochen wurde, hatten die beiden Männer mit den scharfgeschnittenen südlichen Physiognomien, die in dem Kahne mit Welland die Zeichen gewechselt, sich diesem genaht und verkehrten an einer weniger beengten Stelle des oberen Verdecks lebhaft mit ihm. Bald schienen die Drei sich verständigt zu haben; denn die Fremden winkten ihre Kahnführer an Bord und diese brachten das wenige Gepäck der Deutschen in ihr Boot.

»Ich habe bereits Leute getroffen, Gregor,« sagte Welland zu dem gleichfalls beschäftigten Jugendfreund und reichte ihm mit gewisser Verlegenheit die Hand, »an die ich empfohlen bin und mit denen ich Geschäfte habe. Sagen Sie mir, Freund, wo wir uns heute abend in dem mir fremden Smyrna treffen können; wir haben uns noch so vieles zu sagen und können dann besser unsere weiteren Pläne besprechen.« – Caraiskakis drückte ihm eifrig die Hand. »Hüten Sie sich vor fremden Flüchtlingen,« sagte er ihm eilig und leise. »Es sollen in Smyrna deren jetzt mehr als fünfhundert sich befinden, und das niedere Gesindel ist zahllos und macht die Stadt und die Gegend unsicher. Mein Weg führt mich nach dem armenischen Quartier, und wenn ich kann, suche ich Sie heut abend bei Sonnenuntergang auf der Terrasse des englischen Kaffeehauses am Hafen auf, das Ihnen jedes Kind zeigt.«

Damit trennten sich die Freunde, und bald fuhr die Barke der Italiener mit Welland über die im Sonnenschein leuchtende und blitzende Wasserfläche zur Stadt. Ihren Weg kreuzte das Boot der Korvette, in dem der Wiener saß und dem Reisegefährten vertraulich zunickte. Am Kai des österreichischen Generalkonsulats sahen sie es landen.

*

Smyrna, das wie viele andere orientalische Städte, aus der Ferne einen so prächtigen Eindruck macht, bietet im Innern dem Fremden den ganzen Typus des türkischen Schmutzes, der grenzenlosen Fahrlässigkeit und Unordnung. Nur das Frankenquartier mit seinen vielen Konsulaten und den großen europäischen Handelsmagazinen, deren Durchgänge von der Frankenstraße her sich am Meeresstrande öffnen, und ein Teil der armenischen Stadt sind nach europäischen Begriffen einigermaßen erträglich. Die Straßen aber auch dieser Stadtteile sind krumm, eng und ungepflastert, doch im Vergleich zu den Gäßchen und Winkeln der Türkenstadt Promenaden. Keines der Häuser hat mehr als ein Stockwerk außer dem Erdgeschoß, und die meisten sind nach orientalischer Art, also eng und unbequem mit flachen Dachterrassen und mauerumgebenen Höfen gebaut.

Welland hatte aus verschiedenen Gründen die Einladung seiner neuen Bekannten nicht angenommen und seine Wohnung bei Madame Giraud aufgeschlagen, der behaglichen, freundlichen Französin, die eine weitbekannte Pension – wie man die Kosthäuser im Orient nennt – in der Frankenstadt hält. Er hatte eben seine Sachen geordnet, als seine beiden neuen Bekannten erschienen und einen dritten ihm vorstellten, den Ungarn Costa. Es war ein Mann von einigen dreißig Jahren, nicht groß, doch schlank gebaut, dabei von breiten Hüften und festen Muskeln ...

»Sie haben, wie ich von meinen Freunden höre, Briefe für mich von Paris,« sagte der Ungar verbindlich, »ich warte schmerzlich auf Nachrichten. Wollen Sie mir die Briefe aushändigen?« – »Sie werden selbst wissen, daß einige Bedingungen vorher zu erfüllen sind,« bemerkte Welland und nahm ein sorgfältig verwahrtes Briefpaket aus seiner Brieftasche. Costa beugte sich zu ihm und flüsterte: »Die Flamme ist die Mutter des Lichts. Die Mariannen beten die Flamme an!« – Sie waren zur Seite getreten. »Das sind die Worte des dritten Grades,« sagte Welland, »ich brauche die Losung des vierten.« – Costa flüsterte noch leiser als zuvor: »Flamme und Eisen machen Asche und Leichen. Asche und Blut düngen den Boden der Freiheit. Die Josefiten sind die Blätter des Baumes. – Sind Sie befriedigt?«

Welland übergab ihm die Briefe. Der Ungar betrachtete ihn einige Augenblicke scharf, dann zog er ein kleines schwarzes Kreuz von Ebenholz aus der Tasche, das, von eigentümlicher Form, dem des Ordens vom heiligen Grabe glich, und in das fünf breite silberne Stifte eingeschlagen waren. »Sie sehen,« sagte er leise, »daß Sie mir zu gehorchen haben, denn ich setze voraus, daß Ihre Mission mit dem vierten Grade endigt!« – Welland verbeugte sich. »Ich stehe zu Ihrer Disposition, Signor Costa.« – Der Ungar winkte die andern wieder herbei und schickte sich an, den Briefumschlag zu lösen. Zuvor untersuchte er ihn sorgfältig von allen Seiten und betrachtete namentlich aufmerksam das Siegel, das ein wie oben beschriebenes Kreuz auf guillochiertem Grunde zeigte. Seine scharfen Augen schienen einen Umstand zu entdecken, der seine Besorgnis erregte.

»Auf Ihren Eid als Bundesbruder,« fragte er; »ist das Paket nie aus Ihren Händen gekommen, Signor?« – »Ich trug die Briefe stets in meinem Portefeuille, und dies in der inneren Brusttasche meines Rockes. Des Nachts verschloß ich sie in meine Kassette und stellte diese in die Kabine, in der ich schlief.« – Costa schüttelte den Kopf. »Das war viel zu viel Vorsicht, oder zu wenig,« sagte er, »man hätte uns einen mit der österreichischen Polizei vertrauten Mann schicken sollen. Der Brief ist geöffnet worden.« Er sagte dies mit solcher Bestimmtheit, daß alle erschrocken und neugierig näher traten, um selbst zu prüfen. Welland behauptete, es sei nicht möglich; doch der Ungar nahm eine Schere, schnitt rings um das Siegel das Kuvert durch, hob das erstere dann in die Höhe und zeigte an seiner Doppellage, daß das Papier mit einer feinen, erwärmten Klinge unter dem Rande aufgetrennt gewesen und später auf gleiche Weise wieder befestigt worden war. Dann sah er rasch die Papiere durch. »Zum Glück,« sagte er, »sind die wichtigeren Stellen in Zeichen geschrieben, deren Lösung wohl dem Dechiffrierbureau in Wien arges Kopfzerbrechen machen dürfte, selbst wenn es gelungen wäre, Abschrift zu nehmen. Haben Sie auf niemand Verdacht, Signor Wellando? Wer waren Ihre Mitreisenden?«

Welland fiel der Wiener ein. »Nur einer derselben könnte es gewesen sein, die anderen waren unbedeutende Menschen. Der Mann versuchte sich auffallend an mich zu drängen, doch wies ich ihn zurück.« – »Wo schlief er?« – »Jetzt fällt mir auf, daß, obschon er auf dem ersten Platz reiste, er mehrmals sein Nachtlager auf den breiten Bänken unserer zweiten Kajüte aufschlug, unter dem Vorwande, daß ihm in den engen Kabinetten die Hitze unerträglich sei.« – » Bassa manelka! Verlassen Sie sich darauf, er ist der Spion. Wo ist er geblieben?« – »Er fuhr in einem Boot des österreichischen Kriegsschiffes, das an unsern Bord kam, ans Land.« – »Ich sah es am Kai des österreichischen Konsulats landen,« flocht einer der Italiener ein. »Ich beobachtete es genau, denn ich hatte ein kleines Rencontre mit dem Laffen, der es kommandierte.« – »Sie werden uns sicher noch Unannehmlichkeiten mit Ihrer Hitze bereiten, Fumagalli,« sagte Costa streng. »Wir sind zwar augenblicklich die Herren in Smyrna, und die Autorität des Paschas ist Null. Aber wir müssen trotzdem vorsichtig sein, um die Aufmerksamkeit nicht auf Smyrna zu lenken. – Signor Wellando, Sie werden in ein paar Tagen mit mir nach Konstantinopel gehen müssen, unsere Gegner sind tätig, und wir dürfen ihnen keinen Vorsprung lassen. Sie, Fumagalli, berufen mit Bassitsch die Ungarn und Italiener auf morgen abend nach dem Tempel des Jupiter, denn für heute bleibt uns keine Zeit. Eine Stunde vor Sonnenuntergang! Und nun, Signor, ruhen Sie sich aus und schauen Sie sich diese sogenannte Königin Anatoliens an. Sie werden finden, daß sie einer Reinigung stark bedarf.« Costa schied, die Italiener folgten ihm, nachdem sie dem Deutschen versprochen, ihn am Abend zu einem Gange abzuholen.

Am Tisch, der bei Madame Giraud vortrefflich ist und die Genüsse des Orients und Okzidents vereinigt, waren Gäste aller Zungen. Man sprach und erzählte von den Verwickelungen in Konstantinopel, von den beginnenden Aushebungen in Syrien und Ägypten und der großen Unsicherheit der Gegend, ja der Stadt selbst, die damals eine merkwürdige Zeit durchlebte. Weit über ein halbes Tausend Flüchtlinge aus Ungarn, Italien und Frankreich hatten sich an dieser Stätte unzivilisierter Freiheit und Nachlässigkeit gesammelt. Dazu kam die abnorme Masse Gesindels, die von dem griechischen Festland, den Inseln, dem ionischen Staat und namentlich von Malta und Ägypten her sich zusammenfindet. Räuber und Mörder streiften rings um die Stadt und plünderten Karawanen und Reisende. Ja, es war allgemein bekannt, daß Jan Katarchi, der berüchtigtste und kühnste unter diesen Bandenführern, fast täglich frank und offen in den Straßen Smyrnas verkehrte und jeder Grieche ihm zum Spion und Freund ward, da er kühn erklärt hatte, nur gegen die Feinde des Kreuzes, gegen die Moslems, seinen Säbel erhoben zu haben. Obschon eine Menge Freiwillige ihm zuströmten, vermied er doch, die Zahl seiner Bande zu vermehren, mit der er ganz Smyrna bald derart in Schrecken setzte, daß kein Mensch mehr wagte, die nächste Umgebung der Stadt allein zu überschreiten.

Es war am Abend bei Sonnenuntergang, als Welland auf der Terrasse des englischen Kaffeehauses den Freund seiner Jugend traf. Finsterer Schmerz, ruhelose Gedanken lagerten auf den Mienen des Griechen. Er drückte schweigend dem Deutschen die Hand, und beide setzten sich unter das Zeltdach an das äußere Ende der niedrigen Barriere, die in die plätschernden Wellen des Golfes taucht ... »Sie haben nicht alles so gefunden, wie Sie gewünscht, lieber Freund,« sagte Welland vertraulich, »Sie empfinden Schmerz und Kummer, wollen oder können Sie mir dessen Ursache mitteilen?«

Gregor Caraiskakis sah einige Augenblicke vor sich hin, dann strich er mit der Hand über die Stirn und entgegnete: »Sie sollen erfahren, was mich hierher nach Smyrna trieb. Sie wissen bereits aus meinen Erzählungen von der Heimat, daß meine Schwester und mein jüngerer Bruder aus einer zweiten Ehe stammen, die meine Mutter sechs Jahre nach dem Tode meines Vaters mit einem früheren Waffengefährten desselben schloß. Es war ein braver und gerechter Mann, der an uns beiden Älteren, die wir im Pädagogium zu Athen auf Kosten des Staates erzogen wurden, wie ein aufrichtiger Freund handelte und bei seinem Tode sein Erbe gleichmäßig unter uns vier teilte. Meine Schwester Diona, jetzt ein Mädchen von 18 Jahren, kam, als man mich aus Athen verbannte und meine Mutter nach Chios zog, von dort aus zu armenischen Verwandten ihres Vaters nach Smyrna. Wir Brüder liebten das Mädchen innig, das, als ich es das letzte Mal sah, bereits zur schönen Jungfrau erblüht war, wie sie nur dieser milde Himmel erschafft. Eine Botschaft der erkrankten Mutter rief mich an ihr Sterbebett, und hier vermißte ich mit Staunen die Schwester, sie war von Smyrna nicht zurückgekehrt. Ihre Briefe, denn sie hatte eine gute Erziehung genossen, brauchten offenbar leere Vorwände zur Verlängerung ihres Aufenthaltes und verbargen sichtlich vieles vor den Augen der Mutter. Ich konnte diese nicht verlassen, so kurz auch die Entfernung war – in wenigen Tagen ging es zu Ende. An ihrem Todestage erhielt ich zugleich einen Brief von Diona, in welchem sie, verworren und schmerzlich aufgeregt, von uns allen einen leidenschaftlichen Abschied nahm. Mir ahnte böses, und als das Grab unter den Platanen sich über meiner und ihrer Mutter geschlossen, eilte ich nach Kastron und traf am andern Abend ihr Schiff.«

»Und hier?« – »Hier fand ich Diona verloren! – Freund, Sie wissen nicht, was unter diesem warmen Himmel, der das Blut heiß durch die jugendlichen Adern treibt und zur Nachsicht mahnen sollte, ein Fehltritt des unbewachten Mädchens für Folgen nach sich zieht! Die Reinheit unserer Töchter und Schwestern ist ein Ehrenpunkt, der heilig gehalten wird; das gefallene Mädchen ist verstoßen und verflucht von ihrer Familie, wenn sie nicht die Pistole oder der Dolch des Blutfreundes in rascher Tat straft. – Ja, Fremdling auf dem Boden meiner Väter, die Schwester des Gregor Caraiskakis ist die Maitresse eines Engländers geworden!« – Er schlug die Hände vor das Gesicht und barg das Haupt auf der Balustrade. Eine schwere Hand legte sich auf seine Schulter, noch ehe Welland ihm zu antworten vermochte. »Caraiskakis?« fragte eine tiefe Stimme in italienischer Sprache, während die frühere Unterhaltung deutsch geführt worden; »wer spricht hier von Gregor Caraiskakis?« – Die Freunde blickten erstaunt um.

Ein Mann mittlerer Größe, von gedrungenem, kräftigem Bau, in fränkischer Kleidung, die ihm offenbar ungewohnt und unbequem war, stand hinter ihnen und mußte während der Erzählung an einem Tische in ihrer Nähe Platz genommen haben. Ein kräftiges, orientalisches Gesicht, von der Sonne tief gebräunt, wurde von einem ergrauenden Bart umschattet; der Mann mochte ungefähr fünfzig Jahre zählen. Ein Zug kecker Entschlossenheit und eiserner Willenskraft preßte seinen Mund zusammen; dunkle, rastlose Augen glühten mit vom Alter ungeschwächtem Feuer unter den dicken Brauen. Seine markige Hand spielte mit der den Orientalen eigentümlichen Rastlosigkeit an der Stelle des Gürtels, gleich als sei sie gewohnt, dort den Pistolenknauf oder den Handjar zu finden.

Welland hatte sich zuerst gefaßt ... »Was wünschen Sie von uns, mein Herr?« fragte er. – »Verzeihen Sie, Signor,« sagte der Fremde, »dieser Herr nannte, wenn ich recht gehört, soeben einen Namen, den ich lange nicht vernommen habe, der mir aber lieb und wert ist. Ist ein Gregor Caraiskakis noch unter den Lebenden, und kennen Sie das Kind?« – »Das Kind,« sagte der Deutsche lächelnd, »freilich nicht. Aber den Mann kenne ich, der aus dem Kinde geworden, und Sie auch. Dort sitzt er. Mein Freund ist Gregor Caraiskakis.« Der Fremde stürzte auf den jungen Griechen zu und faßte seine beiden Hände; sein Gesicht war lebhaft erregt. »Sie sind Gregor Caraiskakis?« fragte er hastig, »der Sohn von Michael Caraiskakis und Anastasia Maliolis, in Chios geboren?« – »Derselbe!« entgegnete erstaunt der Grieche. – »Wo hatte ich auch mein Gedächtnis!« sagte der Mann, »das ist ja sein Gesicht, das sind ja ihre Augen! – Herr,« fuhr er fort, »halten Sie mich nicht für närrisch oder aufdringlich, daß ich mich freue wie ein Knabe, einen Ihres Geschlechtes wiederzusehen. Wenn Sie wüßten, wie sehr dieses Herz noch an ihm hängt, wie nahe ich ihm gestanden – sprechen Sie, Signor, haben Sie keine Erinnerung mehr für –? Doch nein,« fuhr er fort, sich umsehend auf der Terrasse, die sich mit Spaziergängern zu füllen begann und auf der sich eben Costa mit mehreren Begleitern den Freunden nahte, »jetzt nicht, hier nicht! diese Menge ist nicht für mich. Leben Sie wohl, Signor, Sie werden von mir hören!«

Damit wandte er sich ohne Gruß und ging langsam, wie absichtslos sein Gesicht mit dem Tuche verbergend, durch die Reihen der Gäste, die hier ihren Sorbet oder ihre Limonade schlürften. Unter den zahllosen Barken, die am Ufer lagen, wurde sogleich eine von zwei Ruderern frei gemacht, als hätte sie auf ihn gewartet. Der Fremde stieß einen riesigen Mann in gemeiner griechischer Tracht zur Seite, der, am Ufer lungernd, ihm den Weg versperrte, und stieg in den Nachen, der sofort sich in Bewegung setzte und davonfuhr, während der Zurückgedrängte mit einigen Männern in seiner Nähe sprach, eifrig nach dem bereits entfernten Kahne deutend. Caraiskakis schien den Menschen zu kennen, denn während Costa den Deutschen ansprach und ihm mehrere Begleiter vorstellte, ging er zu dem Griechen ... »Andrea,« sagte er, »kanntet Ihr den Mann, der eben in jenem Boote davonfuhr?« – »Eccellenza werden das selbst am besten wissen,« entgegnete mit übertriebener Höflichkeit und ausweichend der Angeredete, der Wirt eines griechischen Speisehauses, worin Caraiskakis einstweilen wegen seiner Nähe am armenischen Quartier Aufenthalt genommen; »ich bin ein armer Mann und lebe und lasse leben. Eccellenza haben ja selbst mit ihm geredet, und in Smyrna sind Messerstiche eine billige Ware. Doch Eccellenza wollen mir eine Gegenfrage erlauben! Wer ist der Herr mit dem dunklen kurzen Rock und dem breiten Strohhut, der eben mit Ihrem Freunde spricht, mit dem sich Eccellenza so lange unterhalten haben?« – »Ihr scheint ja genau hier aufzupassen, Andrea,« sagte verwundert Caraiskakis. »Wenn ich recht gehört im Fortgehen, nannte ihn mein Freund Signor Costa. Kennt Ihr, der halb Smyrna kennt, denn diesen Herrn nicht?« – »Bitte um Verzeihung, Eccellenza,« entgegnete unterwürfig der Wirt, »aber ich war meiner Sache nicht ganz gewiß, obschon ich den Signor oft gesehen habe. Doch kann ich Ihnen gute Nachricht in Ihrer Angelegenheit zu heute abend bringen, einer meiner Freunde ist der Sache auf der Spur.« – »Desto besser, Ihr wißt, es wird Euer Schaden nicht sein. In einer Stunde bin ich bei Euch.«

Damit kehrte der Grieche zu seinem Freunde zurück; an Andrea, dem Speisewirt, aber streiften in der rasch auf den Sonnenuntergang folgenden Dämmerung zwei Gestalten vorüber, deren eine Wellands scharfes Auge, wenn er sie beobachtet hätte, leicht für seinen Wiener Reisegefährten erkannt hätte. Der zweite, eine robuste Figur mit einem österreichischen Orden im Knopfloch, winkte ihm nach einem der Durchgänge und fragte: »Habt Ihr das Wild gefunden?« – »Ja, Eccellenza!« – »So sorgt dafür, – tot oder lebendig, Ihr kennt den Preis.« – »Ihr werdet zufrieden sein, Signor Cancellario, wenn nicht heute Abend, so doch sicher bis morgen um diese Zeit, und sollte ich ihn aus seinem Bette holen.« – »Auch den andern vergeßt nicht,« fügte der Wiener hinzu, »es geht in einem hin und er wird uns notwendig sein. Doch bleibt der erste die Hauptsache. Lebendig womöglich! ich lege hundert Piaster zu.« – »Verlaßt euch auf mich, Eccellenza.«

Beide betraten das Kaffeehaus. Caraiskakis war unterdes zu Welland gekommen, der sich lebhaft mit dem Kreis um ihn her unterhielt. »Ich muß Sie verlassen, lieber Freund,« sagte er, als sich dieser sogleich losmachte, »ich habe Ihnen zwar noch viel zu erzählen und Ihren Rat, vielleicht auch Ihren Beistand zu erbitten, doch sind mir eben Nachrichten versprochen, die ich nicht versäumen darf. Wenn es Ihnen genehm, hole ich Sie morgen zu einem Gang nach dem Bazar ab. – Noch eins. Eben erkundigte sich ein Mann, der auch Ihnen vorhin am Ufer auffiel, bei mir nach Ihnen und Ihren Freunden. Er ist mein Wirt gegenwärtig, ein berüchtigter Mensch in Smyrna, und ein so verworfenes Subjekt, wie irgend eines die Erde trägt. Aber ich brauche ihn augenblicklich und habe deshalb sein Haus vorgezogen. Doch wollte ich Sie aufmerksam machen, der Schurke fragt nie ohne Absicht.«

Welland zuckte die Achseln. »Ich bin noch so ganz unbekannt, Und deshalb wohl ungefährdet. Ich verlasse mich darauf. Sie kommen morgen, gebe Gott, mit erleichtertem Herzen.« Er drückte dem Freunde die Hand und kehrte zu dem Kreise zurück; Caraiskakis aber wandte sich nach dem griechischen Quartier.

*

Es war bereits gegen Mittag, die Stunde der Siesta nahte, als Caraiskakis den Freund abholte und mit ihm zum Bazar hinaufstieg, in dessen weiten Kreuzgängen sich alle Schätze des Morgenlandes und Abendlandes vereinigen. Welland kaufte einige Gegenstände in den verschiedenen, streng gesonderten Abteilungen des Bazars, unter anderem einen vollständig orientalischen Anzug und von einem Turkomanen einen trefflichen Handjar, und sandte die Sachen durch die Kaufleute in sein Quartier. Schon während des Handels war es dem Deutschen aufgefallen, daß ein Knabe in zerlumpter türkischer Kleidung sie unablässig verfolgte und aufmerksam beobachtete. Als sie nun durch die leeren Gänge zurückkehrten, trat ihnen der Bursche an einer Biegung nochmals entgegen. Welland glaubte, es sei ihm um einen Bakschisch zu tun und reichte ihm ein paar Paras, doch der Knabe schüttelte den Kopf und zeigte ihm ein Stück schmutziges Papier, auf dem in griechischer, doch kaum leserlicher Schrift der Name »Caraiskakis« geschrieben stand ... »Aha! wohl von Ihrem geheimnisvollen Freund?« meinte der Doktor und wies den Boten an seinen Gefährten. Gregor, den ganzen Morgen über zerstreut und noch düsterer als am Tage vorher, fragte ihn kurz nach seinem Begehr. – »Ich soll Euch bitten, Effendi,« sagte der Junge, »Ihr möchtet heute mit Eurem Freunde die Marina (den Kai) meiden und um den Sonnenuntergang an der Karawanenbrücke sein, dort würde jemand Eurer warten.« – »Torheit,« entgegnete der Grieche, »meine Zeit ist gemessen und ich kann unbekannten Botschaften keine Folge leisten. Nach der Marina gehen wir eben.« – »Sie sollten die Botschaft doch nicht so leicht von sich weisen,« sagte Welland, »vielleicht betrifft sie einen Gegenstand, der Ihnen gerade von Wichtigkeit ist.« – »Das ist nur einer, – und von dem kann jener Mann nichts wissen. Ich bitte Sie, hören Sie mich weiter, denn ich muß meine Geschichte von gestern vollenden und Ihre Ansicht hören, um so mehr, als Sie morgen schon, wie Sie mir sagten, Smyrna und mich wieder verlassen wollen.«

Er legte seinen Arm in den des Freundes, und beide gingen an das Ufer, wo sie, vom Seewind gekühlt, auf der kurzen Strecke umherwandelten. Später begegnete ihnen der Ungar Costa, nickte aber nur, da er sie im eifrigen Gespräch sah, dem Deutschen zu und setzte sich in einem entfernteren Kaffeehaus am Ufer nieder, eine Zeitung zu lesen und seinen Kaffee zu schlürfen ... »Ich habe Ihnen bereits gesagt,« erzählte der Grieche, »wie meine Schwester Diona hierher gekommen ist, und welches Unglück uns betroffen hat. Als ich gestern zu meinen armenischen Verwandten kam, bei denen sie sich aufgehalten, fand ich sie dort nicht mehr vor. Die Familie war bestürzt über meine Ankunft und wollte offenbar nicht mit der Sprache heraus. Erst durch lange Bitten und Drohungen erfuhr ich endlich, daß meine Schwester vor etwa drei Monaten die Bekanntschaft eines Engländers gemacht, der sich hier aufhielt, und daß sich das Verhältnis heimlich weiter gesponnen, bis die Familie dahinter gekommen und Diona strenger bewacht gehalten habe. Vor einer Woche etwa sei sie plötzlich verschwunden und mit ihr zugleich der Brite, und es sei alle Anstrengung vergebens gewesen, ihre Spur aufzufinden. Nach einem heftigen Auftritt mit der Familie, – denn manches in ihrer Erzählung erschien mir verdächtig – verließ ich das Haus. Ich kannte Smyrna von früher und wußte, daß hier für Geld alles zu erlangen ist. Nach kurzem Besinnen nahm ich meine Wohnung bei jenem Speisewirt Andrea, einem berüchtigten Schurken, der aber die Fäden der meisten Verbrechen hier in der Hand hat – bei Gott,« unterbrach er sich, »da geht der Bursche eben wieder, bis an die Zähne bewaffnet, mit einigen seines Gelichters umher! – Ich nahm also bei ihm meine Wohnung und schickte sein Weib auf Kundschaft aus. Bald wußte ich alles! Meine Verwandten hatten, durch das verschleuderte Gold des Briten geblendet, die Bekanntschaft des Mädchens mit diesem begünstigt, ja er kam täglich in ihr Haus, und der Jungfrau Ruf war vernichtet, wahrscheinlich eher, als sie es wirklich verdient hatte. Erst als sie von meiner Ankunft aus Chios Nachricht erhielten, fanden sie es für gut, meine Rache fürchtend, dem Umgang ein Ende zu machen und Diona einzusperren. Es war zu spät; in einer Nacht waren beide, das Mädchen und ihr Liebhaber, entflohen, und meine Kundschafterin beteuerte mir, daß die Kuppler selbst keine Ahnung hätten, wohin. Verschiedene kleine Umstände, namentlich, daß man den Verführer noch vor drei Tagen hier gesehen haben will, ließen mich argwöhnen, daß das Paar noch in der Nähe sich aufhielt, und ich bot nun alles mögliche auf, seine Spur zu verfolgen. Der Schurke Andrea war mir förderlich; gestern abend führte er mir den Mann zu, der das Paar über den Golf nach Burnabat in einer Barke geführt hatte. Hier bewohnten sie, oder bewohnen sie noch ein wohlverwahrtes Landhaus, das dem englischen Vizekonsul gehört, einem Mann von schlimmem Ruf, dem für Geld alles feil ist und der für blanke Dublonen schon die ärgsten Schurken vom Galgen gerettet hat.« – »Und haben Sie seit gestern abend bereits Schritte getan?« – »Heute morgen führte mich derselbe Fährmann hinüber nach der Villeggiatura. Ich forderte Einlaß am Hause, aber ein englischer Diener weigerte ihn unter dem Vorwand, daß es gänzlich unbewohnt sei. Ich war allein und konnte den Zutritt nicht erzwingen. Zur Stadt zurückgekehrt, eilte ich zu dem englischen Konsul und drang bis zu dem Generalkonsul vor. Er war wie gewöhnlich gleich einem Vieh betrunken, sein Stellvertreter aber, jener Eigentümer des Hauses, der alle Geschäfte und alle Macht in Händen hat, wies mich barsch zurück, wollte von nichts wissen und drohte, mich verhaften zu lassen.«

»Was gedenken Sie zu tun?« fragte teilnehmend der Doktor. – »Was ich tun will?« antwortete zähneknirschend der Grieche. »Sehen Sie hin auf jenes Boot, das eben dem Strande naht, mit Männern besetzt, wie hier Hunderte umherlaufen, die nicht fragen nach Recht und Gesetz, wenn es eine kühne Tat gilt, – mit einem Halbdutzend solcher Burschen will ich morgen bei Nacht landen an der verschlossenen Tür, die die Schande meines Hauses birgt, und dann, bei dem Geist meiner Väter, Gericht halten über die beiden!« – »Um Gotteswillen, Gregor, tun Sie keinen unsinnigen Schritt, der alles verdirbt und Sie in die größte Gefahr stürzen muß,« suchte Welland ihn zu beruhigen – »gehen Sie zu dem griechischen Konsul, er hat die Pflicht, einzuschreiten. Wenden Sie sich selbst an den türkischen Gouverneur, er muß Ihr Recht schützen.«

»Recht in der Türkei?!« hohnlachte Caraiskakis. »Wissen Sie nicht, daß ich verbannt bin von den Machthabern in Athen? Meinen Sie, daß der feige, entnervte Moslem, der nicht den offenen Meuchelmord aus den Straßen seiner Stadt verbannen kann, Mädchenraub bestrafen wird an einem seiner hundert Herren? an einem aus jenem Volke, das die wahre Pest des Orients durch seinen Übermut und Druck ist? – an einem Engländer? – Aber, heiliger Gott! Was geht dort vor? der blutige Schurke Andrea mordet Ihren Freund!«

Ein wildes Geschrei ertönte von der etwas entfernten Stelle des Kai, an der sie den Ungarn verlassen hatten, – Menschen drängten eilig hinzu, der Ruf nach Hilfe übertönte aus vielen Kehlen den Lärm. Eine schreckliche Szene hatte sich dort entsponnen ... der Ungar saß ruhig und ahnungslos auf dem Kai, auf dem zu dieser Zeit nur wenig Menschen der Hitze wegen verkehrten, als der Kneipwirt Andrea mit drei bewaffneten Gefährten seines Gelichters sich ihm näherte. Zugleich kam ein Boot mit vier berüchtigten Gesellen derselben Bande herangefahren, und ein anderes, mit zwei Ruderern bemannt, hielt sich in der Nähe zur Aufnahme des Griechen. Andrea, den breiten Bund mit Pistolen und Dolchen gespickt, schlug von hinten dem Lesenden auf die Schultern und fragte: »Seid Ihr Signor Costa?« – Überrascht von der Frechheit, sprang der Ungar empor und maß den Wirt mit den Augen. Ehe er aber noch eine Erklärung fordern konnte, stürzten sich alle Vier auf den Erstaunten und suchten ihn zu Boden zu werfen. Ein wildes Ringen entstand. Der Ungar rief: »Verrat!« und so groß war seine Körperkraft, daß er sich aus den Händen der Angreifer losmachte, zwei derselben packte und rasch entschlossen sich mit ihnen über die Balken des Bollwerks ins Meer stürzte. In diesem Augenblicke war es, als Welland und Caraiskakis herbeieilten, zugleich von mehreren Seiten andere Personen. Aber auch das Boot der Banditen hatte sich genähert, und von seinem Bord versuchten die Schiffer, dem Ungarn, der sich im Wasser von seinen Angreifern befreit hatte und zum Strande zurückschwamm, eine Schlinge überzuwerfen. Zweimal gelangte Costa an das Bollwerk und klammerte sich daran fest, um sich emporzuhelfen, zweimal zerschnitt ihm der Handjar Andreas die Finger und Arme, daß er blutend zurückfiel, während dessen Genossen mit Messern und Pistolen die andrängenden Menschen zurückhielten. Verzweifelt rang Welland mit einem der Banditen, einem kräftigen Mohren, aber immer wieder wurde er zurückgestoßen und sein Alarmruf erschallte vergeblich. Währenddem war es den Mördern im Kahne gelungen, dem Unglücklichen die Schleife um den Hals zu werfen, und blutend, halb erdrosselt, halb ertrunken, schleiften sie ihn an dem Strick durch die Wellen fort. Andrea pfiff dem zweiten Boote und sprang dann auf Welland zu, diesen hineinzuzerren, doch Gregor warf sich schützend vor den Freund, und eine kleine Hand, die Hand des Knaben, der vorher die Freunde angesprochen, schlug zugleich die Pistole zur Seite, die der Anführer der Mörderrotte bereits ergriffen hatte. »Bei der Gebenedeiten des Himmels,« rief der Knabe, »Andrea, Ihr seid ein toter Mann, wenn Ihr einem der Herren ein Haar krümmt. Sie stehen unter seinem Schutz!« Er sprach dem Banditen den Namen ins Ohr.

Andrea fuhr zurück. »Diavolo,« fluchte er, »da hätte ich mir eine schöne Geschichte auf den Hals geladen! Geht zum Henker, Signor!« Damit stieß er Welland von sich und sprang in die Barke, die alsbald das Weite suchte und dem ersten Kahne nachfuhr. Einige Pistolenschüsse knallten hinter ihm drein von herbeieilenden Gefährten des Gefangenen, aber er war schon zu fern. Man hatte gesehen, wie der Ungar endlich in das große Boot gezogen worden, wie beide zu der Brigg ruderten und der Gefangene an Deck gebracht wurde; die Aufregung war entsetzlich. Wie ein Mordio ging der Ruf von der Gefangennahme Costas durch die Straßen, und von allen Seiten drängte man nach dem Kai. Um Gregor und Welland, der mit aufregenden Worten den Hergang schilderte, drängte sich die Menge. Bassitsch, der Ungar, sammelte die nächsten Bekannten um sich und wechselte fliegende Worte mit ihnen, die das Ärgste befürchten ließen; doch Welland drängte sich vor und bat, alle augenblicklichen Schritte zu unterlassen und die Beratung abzuwarten, die für die Stunde vor Sonnenuntergang auf dem Pagus angesetzt war. Er selbst erbot sich, als am wenigsten bekannt, nach der Brigg zu fahren und zu versuchen, bis zu Costa zu dringen. Und während noch die Massen auf dem Kai auf und ab wogten, fuhr er, auf sein Bitten von dem Freunde und einem in Smyrna ansässigen deutschen Kaufmann begleitet, hinaus in den Golf, um sich der Brigg zu nähern. Seine Bemühung war jedoch vergeblich. Der Anruf der Schildwache befahl ihnen, sobald man sich auf Kabellänge genähert, beizulegen, und als Welland sein Verlangen kund gab, den Gefangenen zu besuchen, erschien der Kommandant der Brigg, Major Schwarz, ein alter, fester Haudegen, auf dem Kastell und drohte ihnen, bei der geringsten weiteren Annäherung, Feuer auf den Kahn geben zu lassen. Doch war er menschenfreundlich genug, auf ihre Frage mitzuteilen, daß Costa zwar erschöpft und leicht verletzt, doch sonst ungefährdet an Bord gebracht worden und dort in strenger Haft sei. Als das Boot zum Kai zurückkam, war die Sonne bereits im Abwärtssteigen und die Stunde der Versammlung in den mächtigen Trümmern des genuesischen Forts auf dem Berggipfel nahe.

»Sie müssen mich auch dahin begleiten, Gregor,« bat Welland den Griechen, »denn das Ungewitter, das, wie ich glaube, sich dort oben zusammenbrauen wird, könnte leicht auch Ihnen behilflich sein zu Ihrem Zweck. Jedenfalls stehe ich Ihnen dann ganz zu Diensten.« So folgte Caraiskakis dem Freunde und diente ihm, da er hier bekannter war, zum Führer.

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Über die türkischen und armenischen Begräbnisplätze, die sich an den Seiten des Berges emporstrecken, von Zypressen und Platanen beschattet, schritten die Freunde eilig hinauf, den riesigen Trümmern des Schlosses entgegen, dessen Mauern einen beträchtlichen Raum umfassen und in deren Mittelpunkte sich die Reste einer alten Kirche, nach den Volksüberlieferungen der alten Kirche Smyrnas, befinden. Desgleichen viele Zisternen, Gewölbe und Gänge, die einen ganzen unterirdischen Bau unter den Trümmern bilden sollen. Eine weite, herrliche Aussicht bietet sich von diesen Ruinen über Stadt und Meer, über die vom Hermus durchzogenen Ebenen im Osten und die Flächen im Süden, die der Meles mit seiner Wasserleitung befeuchtet. Etwas weiter zur Seite, unfern der in die Felsen gegrabenen Steine, wo der heilige Polykarp den Märtyrertod erlitt, stehen noch einige Trümmer des Jupitertempels, und hier hatten die Flüchtlinge aller Nationen sich zur Beratung versammelt.

Man hatte mit der Eröffnung derselben auf Welland gewartet. Er wurde genötigt, von einem der riesigen Postamente herab nochmals die Erzählung der grausamen Art und Weise zu wiederholen, wie Costa verhaftet worden war. Welland sah sogleich, daß die Exaltation der Menge durch die Einwirkungen einzelner aufs höchste gesteigert worden, und daß eine besonnene Vermittlung dringend not tat. Er knüpfte daher sofort an seine Erzählung den Vorschlag, daß die in der Angelegenheit zu tuenden Schritte einem Komitee übertragen werden möchten, das vom österreichischen Konsul die Freigabe Costas verlangen und durch Deputationen die Mitwirkung aller anderen Konsuln, namentlich der französischen und englischen, in Anspruch nehmen solle.

Doch das war nur ein Tropfen auf den heißen Stein der geweckten Leidenschaften. Fumagalli, mit all dem lodernden Feuer seiner Landsleute, nahm den Platz des bedächtigen Deutschen ein und reizte mit flammenden Worten die Menge zu Taten der Rache. »Wie es Costa ergangen,« rief er, »wird es uns auch gehen; einen nach dem anderen werden die feilen Schergen der Tyrannei hinwegholen, um uns in Ketten in ihre tiefen Kerker auf dem Spielberg und Kufstein zu werfen, wo so viele edle Söhne der Freiheit lebendig vermodern. Zeigen müssen wir ihnen, daß wir Mann zu Mann stehen, Blut müssen wir haben zur Sühne, mit roten Flammenzeichen wollen wir unser Gericht halten! Brüder, Freunde, edle Männer der Magyaren! Söhne des freien Italiens! – Laßt uns hinunterziehen und die steinerne Zwingburg unseres Feindes, des österreichischen Konsuls, mit bewaffneter Faust stürmen; denn nicht eher wird man uns den Verratenen ausliefern. Aber haben wir ihn erst zurück, dann wehe den Elenden!«

Mit wildem Jubel erwiderte die Menge die Rede.

Vergebens suchte in dem Tumult Welland zur Ruhe und Überlegung zu mahnen; verzweifelnd wollte er sich abwenden und den Platz verlassen, als er im Gedränge einen Zettel in die Hand gedrückt fühlte. Rasch wandte er sich um, doch unbekannte, nur mit der aufregenden Versammlung beschäftigte Gesichter zeigten sich rings umher. Er flüchtete aus dem Gewühl und las den Zettel. Ein Kreuz, ähnlich dem, das Costa ihm gezeigt, war in flüchtigen Zügen mit Bleistift auf das Papier gezeichnet. Darunter standen die Worte: »Keine Gewalt! Die Zeit ist noch nicht gekommen. Gehen Sie morgen zum amerikanischen Konsul und verlangen Sie seinen Schutz für Costa als amerikanischen Bürger. Die Hilfe wird zur rechten Zeit bereit sein. Gehorsam!« – Welland trafen die Zeilen wie ein Blitzstrahl, freudig, daß sich eine Aussicht zeigte, den Gefangenen zu retten, verblüfft, daß auch hier in so weiter Ferne eine unsichtbare geheimnisvolle Macht seine Handlungen zu leiten, alles zu überwachen schien. Er drängte sich mit Gewalt zu Fumagalli durch und zog ihn beiseite. »Wenn Sie nicht absichtlich alles verderben und Costas Blut über sich und uns alle bringen wollen, so stehen Sie von diesen wahnwitzigen Handlungen ab!« sagte er zu ihm. »Sie wissen, daß Costa dem Bunde angehört; im Namen dieses Bundes und als Vorgesetzter befehle ich Ihnen den morgenden Tag abzuwarten.« – – Mit Widerstreben versprach der Italiener, die Menge zu beruhigen. Welland erfuhr von ihm, daß in der Wohnung Costas sich nur wenige, unbedeutende Papiere vorgefunden hätten, die bereits in Sicherheit gebracht worden seien. Ein Paß sei nicht darunter gewesen.

Während Fumagalli aufs neue zu dem Kreis der Flüchtigen sprach, suchte Welland den Freund auf. Er fand ihn unter den Trümmern des Schlosses am Rand einer Cisterne. Die Sonne verschwand eben am Horizont, und in der beginnenden Dämmerung, die, wie es im Süden der Fall, rasch zunahm, hörten sie die wilden Revolutionsgesänge der abziehenden Haufen. Sie waren die einzigen, die noch zurückblieben, und Welland mahnte trotz des erhabenen Eindrucks, den die Stille des Abends und der einbrechenden Nacht verbreitete, zum Aufbruch, da ihm die Erzählungen von der Unsicherheit der Umgebung einfielen. Aber es schien bereits zu spät. Als sie den Ausgang suchten, streckte sich ihnen plötzlich ein Gewehrlauf entgegen, und eine barsche Stimme rief sie in griechischer Sprache an. Sie sprangen zurück und griffen nach den verborgenen Terzerolen, die beide trugen, doch ein leichtes Lachen ließ sie sich umwenden, und sie erblickten hinter sich, aber in griechischer Tracht und auf eine lange Flinte gestützt, den Unbekannten, welcher sich gestern auf der Marina bei Caraiskakis Namen so ergriffen gezeigt hatte ... »Ich danke Ihnen, Signori,« sagte der Fremde mit leichtem Spott, »daß Sie meiner Einladung dennoch Folge geleistet. Freilich etwas spät – doch in diesem Lande kommt alles Gute spät, oft zu spät, meist gar nicht. Wollen Sie mir folgen? Sie sehen, jeder Widerstand ist unnütz, und bei Sankt Procopio, meinem Schutzheiligen, ich wollte mir eher die Augen ausreißen lassen von diesen türkischen Hunden, ehe ich zugebe, daß Ihnen etwas Übles widerfährt.«

Welland und der Grieche sahen sich um, und von neun bis zehn dunklen Gestalten umgeben, deren Waffen im Sternenlicht funkelten, – Widerstand wäre töricht gewesen – nach wenigen deutsch gewechselten Worten erklärten sich beide bereit, dem Fremden zu folgen.

Dieser – offenbar der Anführer der gefährlichen Schar – erteilte derselben einige kurze Befehle und ging dann voran, von den beiden Freunden gefolgt, denen sorgsam zwei der Banditen jede unebene und gefährliche Stelle zeigten. Der Weg führte sie mitten in die Ruinen der alten Akropolis, und nach kurzem Gang sahen sie aus einem der verfallenen Bogen den Schein eines Feuers leuchten. Sie traten durch die Pforte in einen kleinen, von Mauern umgebenen Raum, in dessen Mitte ein Feuer brannte, von dem Knaben angeschürt, der ein Hammelviertel am Spieße briet. In der Nähe lagen auf riesigen Marmorquadern ein Schlauch voll des schwarzen, aromatischen Brussaweins und andere zur Mahlzeit gehörige Gegenstände. Der Fremde schritt zuerst auf den Stein zu, nahm einen Maiskuchen, bestreute ihn mit Salz und brach ihn in drei Teile, von denen er einem jeden der Freunde gab. »Nehmt und eßt,« sprach er, »der Gast ist dem Wirte heilig.« Gregor und Welland aßen einige Bissen, und beide, die schöne Sitte des Morgenlandes kennend, fühlten sich beruhigt.

»Jetzt, Mauro,« sagte freundlich der Unbekannte zu dem Knaben, »entferne dich und halte Wache, daß uns niemand stört; ich habe mit diesen Männern zu reden.« Das Kind gehorchte, und auf einen Wink des Mannes setzten sich die Freunde auf die umherliegenden Trümmer. »Sei mir willkommen, Sohn des Michael Caraiskakis, meines unvergeßlichen Herrn!« sagte nach einer Weile tiefen Sinnens der Grieche. »Sage, ist einem deines Geschlechts der Name und das Antlitz Johannes des Ipsarioten denn so ganz fremd geworden, daß er ihn nicht mehr wiedererkennt?« – »Janos!« rief Gregor und sprang empor – »Janos, der Mutter und Kind in der Mordnacht aus den Flammen trug? Janos, unser Retter und Freund! Heilige des Himmels, wo hatte ich meine Augen!« Er umschlang den Hals des Mannes, in dessen Augen Freudentränen glänzten, der aber freundlich ihn von sich drängte. – »Janos! Jawohl!« sagte er, »und damit Ihr alles wißt – Janos Katarchi, Jan, der Kameltreiber, Jan, der Räuber und Mörder, vor dessen Namen jene ungläubige Brut dort unten zittert. Jan Katarchi steht vor dir und heißt Gregor, den Knaben, den er einst auf den Knien trug, willkommen, wenn dieser ihn noch kennen will.«

Gregor warf sich noch einmal an die Brust des treuen Dieners seiner Familie. »Sage Jan, der Palikare, Jan, der Rächer, wie dich jedes wahre griechische Herz dort unten nennt. Was geht mich dein Name an, dein Tun, oder daß du vogelfrei im Kampf mit den Unterdrückern unseres Volkes bist, und daß an deinen Händen Blut klebt! Ist es auch nicht das Blut, daß du vor einunddreißig Jahren zu unserer Verteidigung vergossen? bist du nicht auch der Waffendiener meines Vaters, der mit ihm das Schiff des blutigen Wüterichs gegen die Wolken sprengte, als diese ihre Blitze vergessen hatten gegen die tausendfachen Greuel! Es ist wahrlich eine Segnung der Heiligen in meinem Kummer, daß ich in diesem Augenblick einen Mann finde, der der Freund meiner Kindheit war, wie ich den Freund meiner Jünglingsjahre wiedergefunden!« Er reichte beiden die Hand, die der Bandit trotz der Abwehr Gregors leidenschaftlich küßte. Dann zog der Mann des Bluts und der Verbrechen den Wiedergefundenen zu sich nieder ans Feuer und begann mit einer Hast und Unermüdlichkeit der Zunge, die dem Griechen, namentlich der unteren Klassen, eigen ist, ihm hundert Fragen über das Schicksal der Familie vorzulegen, während der Deutsche ein stummer, aber aufmerksamer Zuhörer der unerwarteten Szene blieb.

»Aber sage mir, Janos,« unterbrach endlich Caraiskakis den Strom der Fragen, – »wie kommst du hierher? Wir glaubten dich tot nach der letzten Nachricht, die wir von dir erhalten, und betrauerten dein Andenken.« – »Du weißt, Herr,« erzählte der Räuber, »daß ich an der Seite deines tapferen Vaters am Piräus fiel, als wir fünf Jahre nach dem Blutbad von Chios unter Richard Church den Entsatz der Akropolis versuchten. Mein Leib deckte den teuren Leichnam und zeigt noch die Spuren der drei tiefen Wunden, die ich erhielt. Als ich erwachte, lag ich nackt und bloß auf dem Schlachtfeld. Ein fränkischer Arzt erbarmte sich meiner, – schon damals im heiligen Kampf des Kreuzes gegen den Halbmond hatten sich ja Christen unseren Feinden verkauft! – und verband meine Wunden. Wider das eigene Hoffen genas ich, und mit hundert anderen Unglücklichen schickte mich Ibrahim Pascha als Siegesbeute seinem Vater nach Ägypten. Dort litt ich fünf Jahre, was ein Sklave leiden kann, bis ich im Krieg des Vizekönigs gegen den Sultan mit nach Syrien geschleppt wurde. In dem Gewühl des Sieges von Konieh gegen Reschid Pascha gelang es mir, zu entkommen, – ich bettelte und schlug mich durch, bis ich die blauen Ufer unseres schönen Meeres mit seinen Inselsternen wiedersah, und kam nach Chios. Zehn lange Jahre hatten nicht gereicht, die Spuren jener schrecklichen Verwüstung zu verwischen. Inglesi tragen die Schuld daran, wie ich mir sagen ließ, daß die schöne Insel in den Händen der Moslems geblieben – jenes Volk von Kaufleuten, das jetzt wieder auf der Seite unserer Unterdrücker steht, jetzt, wo der große Zar im Norden das ganze Griechenland frei machen will! Deshalb hasse ich die Nation und speie auf die Gräber ihrer Väter, denn nichts sind sie besser, als die Moslems selber.«

»Hier hören Sie eine Stimme des Volks,« winkte Caraiskakis dem Freunde. »Wie aus dem Munde dieses Verbannten und Geächteten, so tönt es überall, wo Hellenen wohnen.«

»Auf Chios,« fuhr der Räuber fort, »war meines Bleibens nicht. Vergeblich forschte ich nach der Familie meines Herrn. Der neue Name deiner Mutter verbarg mir die Spur. So ging ich aufs Festland zurück und gewann mein Brot in Smyrna als Kameeltreiber. Ich hatte Weib und Kind, – eine Tochter von sechzehn Sommern, ein schönes und gutes Kind. Ich wohnte damals mit meiner Familie in Tschardak am Tschernek-Su, nährte mich redlich und friedlich und zahlte regelmäßig mein Kopfgeld. Ein junger Mann unseres Glaubens sah mein Kind und begehrte es zur Ehe. Der Tag der Hochzeit war bestimmt, da reitet der Gouverneur an unserem Hause vorbei und sieht Nausikaa, die ihm Milch reichen muß. Am andern Tage läßt er mein Weib rufen, – ich war gerade mit den Karawanen nach Smyrna, – und fragte sie, ob sie ihm die Tochter verkaufen wolle. Mein Weib erschrickt und bittet ihn, abzustehen, da das Mädchen verlobt sei und man bloß meine Rückkehr abwarte, um sie in das Haus ihres Gatten zu führen. Der Moslem aber streicht sich den Bart, spricht, er brauche ein schönes Weib als Geschenk für seinen Gönner, den Mehemed Pascha in Stambul, und wenn sie das Kaufgeld nicht nehmen wolle, werde er das Mädchen umsonst holen. Darauf schickt er nach Vaso, meinem Eidam, steckt ihn trotz seines Glaubens unters Militär und sendet ihn noch am selben Tage mit einer Schar fort. Am Abend aber holen seine Khawassen das Mädchen, und als mein Weib flehend folgt bis an die Schwelle seines Hauses, mißhandeln sie die Ärmste mit Stockschlägen, daß sie krank von den Nachbarn nach Hause getragen wird. Als ich fünf Tage später von Smyrna heimkehrte, fand ich mein Weib am Tode, mein Kind geraubt und den Gouverneur verreist. Ich raufte das Haar und begrub mein Weib. Dann tat ich einen Eid bei der heiligen Jungfrau, zündete mein Haus an, die Stätte meines Glücks, und ging davon.«

»Aber warum klagtet Ihr nicht, unglücklicher Mann?« sagte der Deutsche, »warum wandtet Ihr Euch nicht an die europäischen Konsuln oder selbst nach Konstantinopel?« – »An die Konsuln?« hohnlachte der Räuber. »War ich ein ionischer Dieb oder ein maltesischer Mörder, daß ich auf ihren Schutz Anspruch gehabt hätte? Ich war ja nur ein Ipsariote, einer der Millionen Christen, die diesen Henkern überlassen blieben mit Leib und Seele! – Gerechtigkeit in Smyrna oder Stambul gegen den Stadtgouverneur? meinen Herrn? – Nein, Signor! ich tat besseres, das einzige, was dem Manne bleibt. Ich lauerte am Wege in den Felsen neun Tage lang, bis der Türke von seiner Fahrt zurückkehrte, und als er mir nahe war, schoß ich ihm die Kugel inmitten seiner Khawassen durch das gierige Herz. – Seitdem, Gregor Caraiskakis, seitdem bin ich ein Räuber! ... Was liegt an meiner Tochter? Sie wird, wie hundert andere, an das träge Leben im Harem eines unserer Herren im üppigen Stambul sich gewöhnt haben! Die Heiligen wissen, ob und wo sie atmet – für den Vater ist sie tot. Ich nahm den Sohn der Schwester meines Weibes mit, Ihr habt den Knaben gesehen, und bald waren einige Gefährten um mich versammelt, mit denen ich mein Rachewerk begann.«

»Du schmähst auf den Türken, Mann, auf den Erbfeind deines Glaubens,« sagte Gregor mit finsterem Ausdruck: »Gehe hin zu deinen christlichen Brüdern, den prahlenden Beschützern unserer Freiheit und unserer Religion, den Männern, die von den Rechten des Volks in ihren Parlamenten reden und das Glück der Völker im Munde führen! Dir ist die Tochter genommen, mir die Schwester. Ist die Odaliske der Türken, nach seinen Sitten und nach seinem Glauben sein Weib, nicht besser als die Metze des reichen Briten?« – Janos sprang empor; seine Faust preßte Gregors Arm. »Was sprichst du da?« – Gregor wiederholte, was er am Mittag dem Freunde erzählt hatte. Der Bandit jauchzte hell auf: »Ei! Steht es so? – Du würdest das Vöglein ausgeflogen finden, mein Sohn, wenn Jan der Kameltreiber nicht zufällig dafür gesorgt hätte. Unten im Golf liegt eine Felucke vor Anker, die der Inglesi gemietet hat, um mit seinem Täubchen morgen in der Frühe auf und davon zu fahren. Ich habe gute Spione in Burnabat und hatte dem Franken ohnedies heute Nacht einen Besuch zugedacht, um ihn etwas leichter zu machen. Jetzt wird die Sache ernster. Wenn wir ihm nicht heute deine Schwester abnehmen, ist sie verloren für dich. Die Felucke fährt nach Tenedos, wo in der Troja-Bai die Flotten ankern. – He, Mauro!« Er pfiff gellend, der Knabe sprang wie ein Pfeil herbei; Jan befahl ihm, die Gefährten zu rufen bis an die äußerste Wache gegen die Stadt. »Wir dürfen erst nach Mitternacht aufbrechen und wollen unterdes unsere Mahlzeit halten. Ehe der Morgen graut, Gregor Caraiskakis, sollst du deine Schwester hier sehen.« – »Das ist mein eigen Geschäft,« erklärte Gregor, »ich nehme dankbar deine Hilfe an, aber ich werde dich begleiten. Und du, Freund,« er reichte Welland die Hand, »wirst uns gewiß nicht verlassen?« – »Gewiß nicht in einer gerechten Sache,« entgegnete dieser; »aber eines beding' ich mir aus, um Ihrer eigenen Ehre willen, Gregor; kein unnützes Blut, keinen Mord! Sie versprechen mir das Leben des Briten – – hören Sie erst Ihre Schwester, dann entscheiden Sie und fordern Rechenschaft, wenn es notwendig ist.« Gregor gab das geforderte Versprechen, nach einigen Einwänden auch der Räuber. Während die wilden Gestalten seiner Gefährten von verschiedenen Seiten herbeikamen und alle um das Feuer zur Mahlzeit lagerten, besprach man das Unternehmen, und Mauro brachte Waffen aus den in weiten unterirdischen Gewölben und Gängen der Ruinen befindlichen Verstecken der Bande für die beiden Freunde.

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Die dunkle Nacht lag über dem prächtigen Golf, und Ruhe und Stille über der großen Stadt, als in der Nähe der Mühlen am diesseitigen Strande zwei Barken abschoben, in denen sich acht wohlbewaffnete Männer und ein Knabe befanden, und ihre Richtung nach Burnabat nahmen. Es waren der Räuber Jan Katarchi und seine Gefährten, Gregor Caraiskakis und Doktor Welland.

Auf der Mitte des Wassers sahen sie die Felucke ankern, die am Morgen Sir Maubridge und die schöne Griechin nach Tenedos tragen sollte. Jan gab ein leises Zeichen, in aller Stille vorbeizufahren, die Ruderer hoben die Riemen, um sich nicht durch die phosphorleuchtenden Striche einer etwaigen Wache zu verraten, und die Boote trieben in einiger Entfernung am Schiffe vorüber, bis sie weit genug waren, um durch den Ruderschlag nicht mehr gehört zu werden; dann griff man wieder eifrig zur Arbeit, und nach einer Viertelstunde war man an der Gartenmauer des Landhauses, das Gregor im Dunkel als dasjenige erkannte, an dem er am Morgen vorher nach der Schwester geforscht. Am Tor angekommen, hob der Räuber den Jungen, der seine Lust an der ihm gewährten Rolle durch fast affenartige Behendigkeit und Geschicklichkeit ausdrückte, auf seine Schultern und ließ ihn einen der am Strick befestigten Haken über die Mauer werfen und daran emporklimmen. Oben auf derselben veränderte Mauro bloß die Lage des Hakens und ließ sich an dem Seil in den Hof hinab, um von Innen das Tor zu öffnen. Jan hatte seinen beiden Begleitern Fackeln gegeben, um sie zum Anzünden bereit zu halten. Gregor faßte den Schaft der Pistole in seinem Gürtel und spannte den Hahn.

»Capitano,« flüsterte der Knabe durch die Spalte, »die Tür ist verschlossen, ich kann sie nicht öffnen und höre das Schnarchen der Khawassen.« – »Pesta!« fluchte der Skiote, »das ändert unser Spiel und wird blutige Arbeit geben. Sieh, daß du ins Haus gelangst durch eine der Jalousien. Du hast zwei Minuten Zeit; beim heiligen Procopio, sei flink, mein Junge!« Wenige Minuten darauf setzte er das Brecheisen zwischen die Fugen des Tores und warf sich mit seiner riesigen Kraft darauf. Zugleich flammten die Pechfackeln der beiden Räuber empor. Ein türkischer Anruf ertönte von Innen ... »Bismillah! Wer ist dort? Was wollt ihr?«

»Jan Katarchi!« heulte der Ruf des Räubers durch die Luft, und alle Vier warfen sich mit aller Manneskraft gegen das brechende Tor. Zwei Schüsse krachten ihnen entgegen, von denen der eine den Mann neben Katarchi in die Schulter traf, daß er zu Boden taumelte ... »Nach der Barke!« herrschte ihm der Führer zu, und die Fackel dem Verwundeten entreißend, schleuderte er sie mit gewaltigem Schwunge hinauf auf das platte Dach des Hauses und war mit einem kühnen Satze über die Trümmer des Tores mitten im Hof. Im nächsten Augenblick parierte sein großes Pistol den scharfen Handjarhieb des Khawassen, und er drückte die Waffe nach dem Türken ab. Aber eingebogen von dem kräftigen Hieb, sprang das Rohr bei dem Schuß, und die eisernen Splitter stoben umher.

»Diona! Diona!« schrie Caraiskakis, und ohne des zweiten, mutig den Zugang des Hofes verteidigenden Khawassen zu achten, sprang er wie ein Panther über den Hof und versuchte die Tür des Hauses einzustoßen. Eine Kugel, die im nächsten Augenblicke durch seinen hohen Fez fuhr, belehrte ihn, daß die Bewohner bereits wach und zur Verteidigung bereit seien. Emporblickend, gewahrte er ein männlich schönes, nur etwas starres Gesicht, das, von hochblondem, lockigem Haar umgeben, sich mit furchtlosem Ausdruck aus dem Fenster des ersten Stockwerks gerade über der Tür herausbog, um die Wirkung des Schusses und die weiteren Vorgänge im Hofe zu erspähen. Ein weißer, voller Arm schlang sich um den Hals des Engländers und zog ihn mit Gewalt in das Haus zurück.

Im Hofe schlug sich Katarchi mit den beiden Khawassen, sein Untergebener war Caraiskakis zu Hilfe geeilt und suchte mit diesem die Tür einzudrängen. Ein Ruf des Bandenführers, der die Augen überall hatte, mahnte Gregor, zur Seite zu blicken. Aus einem Nebenfenster des Erdgeschosses, nahe der bestürmten Tür, lehnte sich ein vierschrötiger Engländer in Seemannstracht bequem heraus und suchte für seine Flinte im Anschlag den Kopf des Griechen zu fassen. Die Gefahr war dringend und fast unabwendbar. Aber im Augenblick, wo der Finger des Briten den Drücker berührte, schwankte das Gewehr, und der Schuß fuhr zur Seite vorbei, der Engländer aber verlor das Gleichgewicht und, an den Beinen in die Höhe gehoben, stürzte er schwerfällig aus dem Fenster auf das Marmorpflaster des Hofes. Mauro, der gewandte Schelm, war durch eines der Fenster ins Haus geklettert und zum glücklichen Augenblick erschienen. Im nächsten hatte er die Tür entriegelt, und Caraiskakis, sein Gefährte und der Räuberhauptmann, der sich des einen Khawassen durch einen schweren Hieb in die Schulter entledigt hatte, stürzten in das Haus. Zugleich eilte aus dem Querstock Sir Maubridge, von zwei anderen Dienern und dem Hausaufseher gefolgt, die Stiege herab, denn oben auf dem flachen Dache leckten und schlugen bereits die Flammen empor, die Jans geschleuderte Fackel an dem trocknen Holzwerk entzündet ... In dem linken Arm des Briten, halb getragen von ihm, hing ein griechisches Weib in wallenden Nachtgewändern, das bleiche Gesicht umflattert von den fessellosen, wallenden Locken. »Diona!« wiederholte Gregor, und das bleiche Frauenbild zuckte zusammen bei den bekannten Tönen und streckte die Hand nach ihm aus, – aber wie von unwiderstehlicher Macht hingerissen, klammerte sie sich von neuem an den Geliebten; zweimal hob Gregor das Pistol und visierte nach dem Verführer, zweimal ließ er es sinken, denn des Mädchens Brust deckte opfernd den Geliebten ... So tobte der Kampf von Zimmer zu Zimmer, bis der hintere Ausgang des Hauses erreicht war und unter der Hand der Diener aufflog. »Hundert Pfund, wenn ihr fünf Minuten die Tür haltet!« bot der Brite und warf sich mit seiner schönen Beute ins Freie, während die drei Engländer wie grimmige Bulldoggen sich vor den Ausgang stellten und den Gegnern das Weiße im Auge boten. Aber draußen tönte bereits der Ruf des Triumphes; Welland trug das ohnmächtige Mädchen auf seinen Armen zum Ufer, indes seine beiden Gefährten den zu Boden geworfenen Baronet mit Stricken schnürten. Hoch auf schlug die Flamme aus dem Landhause in den blauen Nachthimmel und beleuchtete die blutige Szene. In der nächsten Minute stießen sie vom Ufer ab und flogen in das bergende Dunkel, während hinter ihnen drein noch ein Schuß der entflohenen Khawassen knallte ... Welland hatte das noch immer von Ohnmacht befangene Mädchen dem Freunde auf den Schoß gelegt und arbeitete rüstig mit zwei Rudern. In der Spitze des Kahns stand Jan, um die Bewegungen zu lenken, damit sie nicht zu nahe der Felucke kommen möchten, auf der in der Tat alles wach geworden war von dem wiederholten Schießen und dem Brande, der mächtige Rauchwolken in die Luft emporqualmte.

Im Hauch der frischen Seeluft kam Diona wieder zur Besinnung. Zuerst fuhr sie empor und blickte wild um sich, wie den schützenden Freund suchend, – dann, indem sie den Bruder erkannte, warf sie sich in seinen Schoß und weinte heftig. In der Nähe des Ufers trennten sich die Kähne, und während der Banditenhäuptling das Geschwisterpaar weiter hinauf nach seinen Verstecken führte, landete der Knabe den Arzt in der Nähe der Frankenstadt und geleitete ihn dann in die noch einsamen Straßen bis zum Eingange seines Hauses.

*

In Smyrna selbst war der Abend und ein Teil der Nacht zwar unruhig und stürmisch, aber doch ohne Gewalttat der Flüchtlinge vergangen. Der Tiger hatte noch nicht Blut geleckt. Eine Deputation an den österreichischen Konsul war abgewiesen worden. Die Flüchtlinge und der zahllose Janhagel von Smyrna, der sich ihnen angeschlossen, tobten durch die Frankenstadt, drohten das österreichische Konsulat zu stürmen, warfen einige Fenster ein, ließen es aber bei den Drohungen. Noch bis tief in die Nacht wogte die Bevölkerung auf und ab durch die Straßen ... Am nächsten Morgen – Welland hatte bis in den Vormittag hinein geschlafen – begab er sich sofort zum amerikanischen Konsul und reklamierte, der erhaltenen Weisung gemäß, Costa als amerikanischen Schutzangehörigen auf Grund eines Passes, den der Ungar von den Vereinigten Staaten erhalten habe. Zu seiner Verwunderung fand der Arzt den Konsul sofort bereit, auf das Verlangen einzugehen. Es schien, als ob er bereits darauf vorbereitet gewesen, und er teilte ihm mit, daß am Morgen eine amerikanische Korvette von Konstantinopel angekommen sei und im Hafen Anker geworfen habe: ein glücklicher Zufall, der ihrer Forderung den nötigen Nachdruck geben würde. Eine Stunde darauf trat, durch einen Boten herbeigerufen, der Kapitän der Korvette, in Begleitung eines seiner Offiziere, bei dem Konsul ein und begab sich mit diesem zu seinem österreichischen Kollegen, Herrn von Wexbecker, um die Reklamation einzulegen.

Der österreichische General-Konsul empfing sie zuvorkommend und erklärte sich bereit, die Amerikaner an Bord des »Hussar« zu begleiten. Welland erwartete in aufgeregter Spannung im Konsulatsgebäude ihre Rückkehr. Der amerikanische Konsul brachte jedoch schlechte Nachrichten. Costa hatte trotzig sich als Ungarn erklärt und zwar eingeräumt, daß er sich einige Zeit in Amerika aufgehalten und von dort nach Smyrna gekommen sei, aber über seine Schutzangehörigkeit oder einen Paß keine Angaben machen könne, die zu weiterem Einschreiten berechtigt hätten. Unter diesen Umständen hatten die Amerikaner von der Reklamation Abstand nehmen und den Ungarn seinem Schicksal überlassen müssen. Welland war sehr bestürzt über die Nachricht, der amerikanische Konsul versicherte jedoch, daß noch nichts verloren sei, da sein österreichischer Kollege sich bereit erklärt hätte, vor der Abführung Costas nach Triest die weiteren Entscheidungen der beiden Gesandtschaften in Konstantinopel abwarten zu wollen, an die sofort die nötigen Berichte gesendet werden sollten. Der amerikanische Kapitän war bereits angewiesen, sich jeder früheren Wegführung des Gefangenen mit Gewalt zu widersetzen. Für das weitere, meinte mit schlauem Lächeln der Amerikaner, werde man schon in Konstantinopel sorgen. Beruhigt schied Welland von ihm und wandte sich wieder zu Marina, um den Freunden Costas diese tröstliche Nachricht mitzuteilen, denn rasch hatte sich die Kunde von der verweigerten Auslieferung in der Stadt verbreitet.

Eine Zeitung zur Hand nehmend, setzte er sich am Eingang des englischen Cafés nieder. Es war der Abend des 23. Juni. Das Belvedere des Kaffeehauses begann sich nach und nach mit Fremden und Einheimischen zu füllen. Bald darauf traten Arm in Arm zwei junge Offiziere von der österreichischen Brigg, Schiffsleutnant von Auerhammer und der Marine-Aspirant Baron von Hackelberg, auf den offenen Raum, ließen sich an dem zweiten Tisch von Welland nieder und forderten Eis und Limonade. In dem zweiten erkannte Welland den Offizier, der am Morgen seiner Ankunft zum Egytto gekommen und das Boot der Italiener zurückgewiesen hatte. Welland hatte nicht ohne Besorgnis die kecke Haltung der beiden hübschen jungen Männer bemerkt, und dies um so mehr, als kurz nach ihrem Erscheinen sein Wiener Reisegefährte sich für einige Augenblicke einfand, heimlich mit den beiden Offizieren sprach und einzelne auf ihn fallende Blicke zeigten, daß von ihm die Rede sei. Um dem widrigen Einblick zu entgehen, wollte er sich eben entfernen, als mit lautem Lärm und offenbar stark erregt, eine neue Gesellschaft am Tische neben Welland, gegenüber dem der Offiziere, Platz nahm: Fumagalli, Bassitsch, dessen Hand fortwährend in der Brusttasche spielte, Lepicq, ein französischer Fechtmeister, zwei andere lombardische Flüchtlinge, Budoli und Cugini, und der Pole Sczukowski. Aller Blicke hafteten sogleich auf den beiden Österreichern, und Fumagalli schlug ein wildes Lachen auf, indem er Bassitsch auf die Schultern schlug und offen auf den Baron wies ... » Per bacco amico, da haben wir unser Vöglein von vorgestern! Jetzt kann ich Revanche nehmen!«

Die Offiziere hatten Besonnenheit genug, die offenbare Beleidigung nicht zu bemerken, und unterhielten sich leise, während die Angekommenen ringsum die Stühle besetzten, sodaß kein Ausgang blieb. Welland trat rasch zu dem in der Nähe befindlichen Wirt des Cafés, Signor Paulo, und flüsterte ihm einige Worte zu ... » Bassa manelka!« fluchte Bassitsch. »Grog hierher! Rasch!« Der Arzt aber nahte sich der Gesellschaft und suchte durch ein geschicktes Manöver die Mitte zwischen den beiden Tischen zu decken ... »Zum Teufel, Doktor,« schnob der ersichtlich schon angetrunkene Ungar, »gehen Sie mir da aus dem Wege! Sie genieren mich im Anblick der verfluchten Röcke, die wir an der Theiß und Donau manch' liebes Mal geklopft haben. Eljen Kossuth! Der Teufel hole die deutschen Tyrannenknechte!« – Der Wirt, der das Verlangte gebracht, war am Tische der beiden Marineoffiziere vorübergegangen, und sich dort ein Geschäft machend, flüsterte er ihnen zu: »Meine Herren, ich rate Ihnen dringend, sich zu entfernen, es ist hier nicht geheuer für Sie, und ich stehe für nichts.«

Eine kurze Beratung zwischen den jungen Leuten folgte, dann standen beide rasch auf und versuchten fortzugehen. Welland hatte in diesem Augenblick ihnen den Rücken zugekehrt und war bemüht, Bassitsch, der ihm der gefährlichste schien, zu beschäftigen. Er gewahrte deshalb nicht, wie das schwarze Auge des Italieners Fumagalli jeder Bewegung des Aspiranten folgte, gleich dem Blick der Schlange, mit dem sie die ängstlichen Windungen ihres Opfers belauert. Fumagalli hielt den Fuß weit vorgestreckt, so daß er damit den Ausgang zwischen den Stühlen versperrte. Der Baron von Hackelberg war voran; obschon er die offenbare Herausforderung des Lombarden erkannte, hatte er Geistesgegenwart genug, seine Ruhe zu bewahren, faßte mit der linken Hand an die Mütze und sagte höflich: »Signor, erlauben Sie, daß wir passieren!« – »Zur Hölle!« gellte die Stimme des Lombarden, der wie ein Raubtier hervorsprang und sich auf sein Opfer warf.

Einen hellen, schlanken Blitz sahen die Umsitzenden zucken. Der Baron taumelte, wie von dem Stoß außer Haltung gebracht, zurück an das Geländer, dann faßte er es mit beiden Händen, stieß einen einzigen kreischenden Schrei aus und schwang sich hinüber ins Wasser, das ihn spurlos verschlang ... Zugleich waren die umsitzenden Flüchtlinge, wie als hätten sie auf das Mordsignal gewartet, aufgesprungen und stürzten sich mit ihren schweren Stöcken und Dolchen auf den Leutnant von Auerhammer, ehe dieser noch imstande war, sein Seitengewehr zu ziehen. Mehrere Hiebe über den Kopf warfen ihn zu Boden, drei Dolchstöße verwundeten ihn, zum Glück nur leicht. Wie ein Rasender rang Bassitsch mit dem deutschen Arzt, der, im Innersten empört, um Hilfe gegen die Mörder rief. »Zum Teufel mit Euch!« tobte Bassitsch; »Ihr seid auch ein deutscher Verräter, der unsere Feinde schützt!« – »Seid Ihr toll, Signor Dottore?« knirschte Fumagalli und riß den Arzt zurück. »Wer ein Freund der Freiheit ist, steht zu uns, nicht zu jenen!« – Welland stieß ihn von sich ... »Meuchelmörder! Wenn das Euer Kampf für die Freiheit ist, so wünschte ich, Euch nie gesehen zu haben. Fliehet, da es noch Zeit ist!«

Eine immer größere Menge drängte herbei; die blutige Tat hatte das bessere Gefühl des Publikums wachgerufen, und Drohungen gegen die Mörder ließen sich hören. Vor der Überzahl zogen sich diese zurück und, die blutigen Waffen schwingend, jubelnd über die gräßliche Tat, zerstreuten sie sich auf der Marina, während Welland und zwei Smyrnaer Kaufleute den Verwundeten rasch in eine Barke trugen und hinaus ins Meer rudern ließen, um ihn vor einem neuen Angriff zu retten. Hier auf der See verband der Arzt die Wunden des Offiziers und brachte ihn aus der Ohnmacht zum Leben zurück. Unterdes hatten auch die Nachforschungen nach der Leiche Hackelbergs begonnen und dauerten spät bis in die Nacht, erst am andern Mittag gelang es, sie zu finden. Sie lag genau auf demselben Fleck auf dem Meeresgrunde, an welchem er sich im Todeskampfe ins Wasser geworfen, mit den Händen fest an die Steine des Grundes geklammert. Der zweite Stich des Mörders hatte das Herz durchschnitten. Am dritten Tage wurde sie beerdigt.

Als Welland, ans Ufer zurückgekehrt, nach der nahen Behausung eilte, fand er dort bereits den Knaben Mauro seiner harren, und eilig trat er mit ihm den Weg zu dem Freunde nach dem Versteck des Räubers an, unter banger Besorgnis, auch dort, wohin er ging, Schlimmes zu finden.


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