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Fünftes Kapitel.
Der Aufruhr.

Während der Schlachtendonner bereits an der Donau und an den Küsten Kleinasiens tobte, trieb die europäische Diplomatie noch immer ihr listiges Spiel, gleich als gelte es, nicht nur die Völker, sondern sich selbst zu täuschen. Jeder Einsichtsvolle in ganz Europa fühlte und wußte, daß der Krieg zwischen den Westmächten und Rußland unvermeidlich sei, daß er das Ziel aller Einmischung und aller Intriguen, der Zweck aller Vorbereitungen war, und dennoch flogen täglich die Kuriere nach allen Richtungen, dennoch wurde Projekt auf Projekt, Vorschlag auf Vorschlag gehäuft für Ausgleichung und Frieden, und die Höfe von Berlin und Wien schwelgten in Vermittelungen.

Zwei Männer allein in Europa wußten, was sie wollten: der Kaiser Louis Napoleon in Paris und Lord Palmerston in London; denn auch dem Giganten des Nordens, dem Zaren Nikolaus, begannen die Ereignisse über das hochgetragene Haupt zu wachsen: sein Glück, sein Stolz und seine Diplomatie hatten ihn getäuscht. Nur sein Vertrauen auf sich selbst und sein Volk und sein ungebeugter Mut wankten nicht ...

In der Entwicklung des Kriegsschauplatzes hatte sich im Grunde nur wenig geändert: die Türken standen, 123 000 Mann stark, ohne die bei Schumla aufgestellten Reserven, auf der breit ausgedehnten Donaulinie, die russische Donau-Armee war auch nicht viel schwächer, dagegen Herr der Situation und zur Offensive bereit. Also handelte es sich noch immer bloß um das Vorspiel; denn um über den Balkan bis Konstantinopel vorzudringen, wenn ihr das Meer versperrt wurde, daran konnte die russische Armee nicht denken, und daran dachte sie auch nicht, denn sie wußte von 1828 her, wie teuer solcher Anmarsch bezahlt werden müßte ...

Am 18. Oktober hatte es im Diwan eine stürmische Sitzung gegeben, bei der man über die am 28. September gewonnenen Resultate nicht hinausgelangte: trotzdem die Kriegspartei, mit Mehemed Ali, dem ältesten Schwager des Sultans, alles aufbot, die Gemüter in Feuer und Flammen zu setzen. Anders im Serail, wo die Sultana und Nausikaa, des Sultans neue Odaliske, vergeblich auf das Erscheinen des Großherrn warteten. Da nahm gegen zehn Uhr abends vom Goldenen Horn her ein großes Kaïk seinen Weg nach Tschiragan und legte eine ziemliche Strecke weit über den Palast hinaus an. Drei in kurdische Mäntel gehüllte Personen stiegen aus und schienen von einem Offizier der schwarzen Eunuchen des Sultans am Ufer erwartet zu werden, denn ein solcher verbeugte sich alsbald tief vor ihnen und schritt dann vor ihnen her nach den Höhen zu, die sich hinter dem Palais erheben und die Gärten desselben bilden, den einzelnen Wachen ein Losungswort zuflüsternd, das sie ungehindert passieren ließ. Auf der Höhe des Berggipfels steht, auf einer der schönsten Stellen von Gottes Erde, ein in italienischem Stil gebautes, ziemlich großes, elegantes Haus, das die Wohnung zweier Deutschen, des Obergartendirektors des Sultans und seines Substituten, beides geborene Bayern, bildet. In dem Augenblicke, wo wir die vier Männer hierher begleiteten, lag freilich nicht der Glanz des hellen Sonnenscheins, des Frühlings oder Herbstes über der herrlichen Aussicht, aber darum war sie nicht minder schön im bleichen Lichtstrahl des Mondes, mit dem Blick auf den schmalen Wasserspiegel, der, nach Stambul hin sich öffnend – wo er aus dem Schatten der Bergwände trat – gleich einem Silberbande glänzte.

Doch war es nur einer von der Gesellschaft, der diesem herrlichen Anblick einige Augenblicke widmete, der bereits mehrfach erwähnte deutsch-französische Baron, der sich auf der Höhe des Plateaus umwandte und, seine Gefährten weiter gehen lassend, die Augen über dies Eden der Nacht schweifen ließ. Dann folgte er ihnen rasch.

Das Haus mit seinen Umgebungen war still und öde. Am Zugang hatte ihnen der Obergärtner selbst das Tor geöffnet, wieder geschlossen und war dort zurückgeblieben. Der Eunuch führte sie quer über den Platz zu dem Pförtchen, das sich in die Gärten des Großherrn öffnete, und klopfte in eigentümlicher Weise an dasselbe. Sogleich wurde es geöffnet; sie traten ein und fanden sich dem Tschannador Aga gegenüber, der sie mit einer schweigenden Verbeugung empfing und vor ihnen herschritt durch die seltsam gewundenen Gänge, mehrere Terrassen hinab. Wo der Wind den Reif und Schnee von den Gängen und Rabatten hinweggefegt, sah man zahlreiche Grotten, Kiosks, Tempel, chinesische Dächer und Pavillons in den barocksten Formen mit reicher Vergoldung und Malerei ziemlich ordnungs- und geschmackslos angebracht. Nach einem der letztern von größerem Umfange wendete die Gesellschaft die Schritte. Zwei Tschannadors hielten die Wache am Eingang, durch welchen jetzt die Fremden das Innere betraten: ähnliche dunkle Gestalten bewegten sich um das Gebäude. Sie befanden sich hier in einem erleuchteten, von Kohlenpfannen erwärmten Vorgemache, wo sie die Mäntel ablegten und sich der Stiefel entledigten, um nach türkischer Sitte die Füße mit weichen Pantoffeln zu bekleiden.

Die beiden Begleiter des Barons zeigten sich jetzt als zwei Moslems, der eine ein Greis mit langem, grauem Bart, listigen Augen und kühn hervorspringender Nase, der andere als ein stattlicher Mann von einigen dreißig Jahren mit geistreichen und lebendigen Zügen. Nach kurzer Zögerung für die Toilette der Eintretenden verschwand der Aga durch den Vorhang der gegenüberliegenden Tür, erschien dann aufs neue und gab den Harrenden den Wink, sich zu nähern. Er selbst blieb im Vorgemach zurück. Das Gemach, in das sie traten, füllte, mit Ausnahme des kleinen Vorzimmers, die ganze Rundung des Pavillons. Rings um die Wände liefen Divans und gegenüber der Tür ruhte auf denselben die schlaffe Gestalt des Sultans, zu seinen Füßen ein stummer Mohrenknabe auf dem Boden knieend, der das Nargileh des Großherrn in Brand erhielt und mit seinen großen braunen Augen auf jeden Wink des Gebieters lauschte. Die Hände auf die Brust gekreuzt, nahten sich die beiden Türken dem Herrscher, warfen sich in einiger Entfernung vor ihm nieder und verharrten in dieser Stellung mit zu Boden gehefteten Augen. Der Baron machte eine tiefe Verneigung und blieb in gebeugter Haltung am Eingang stehen, bis der Großherr das erste Wort gesprochen ... »Seid willkommen, mein Bruder Halil! Ich hoffe, Eure Laune und Eure Gesundheit sind gut und Ihr werdet es dem Großherrn, Eurem Schwager, nicht nachtragen, daß er Euch noch nicht öffentlich empfangen konnte, wie es einem gebührt, der mit einer Tochter aus dem Hause Omers das Lager teilt.«

Halil-Pascha, der jüngere Schwager des Sultans, durch die Intriguen des Seraskiers aus Konstantinopel verbannt und von jeder Beteiligung an Staatsgeschäften entfernt, war erst vor zwei Tagen auf eine Botschaft Chosrews, denn dieser war sein Begleiter, nach Stambul heimlich zurückgekehrt. Er war als Russenfreund bekannt, früher längere Zeit in St. Petersburg Gesandter gewesen und hatte dort viele Auszeichnungen genossen. Er gehörte mit Chosrew zu den entschiedensten Gegnern des Krieges, und dessen Beförderer hatten ihn daher auf alle Weise vom Sultan ferngehalten; dem schlauen alten Großwessir war es aber dennoch gelungen, ihm diese heimliche Audienz zu verschaffen.

»Möge dein Schatten lang sein, o Zuflucht der Welt, und die Sonne deiner Gunst neu auf den getreuesten deiner Diener fallen,« antwortete ehrerbietig der Pascha, indem er, ohne die Hände des Padischah zu berühren, den Zipfel seines Rockes an Stirn und Brust führte. »Meine Gesundheit ist gut und wird noch besser sein, wenn sie sich im Strahl deiner Nähe sonnen kann. Du bist der Herr, du befiehlst und unser Wille ist nichts!« – »Ne apalum, was kann ich tun?« fragte der Sultan. »Ich bin von Verrätern umgeben, die mich in diesen Krieg stürzen. Ich habe so vieles anhören müssen, daß mein Kopf wirr ist. Wie befindet sich die Fatimé Sultana, meine Schwester?« – »Die Küsten Asiens erscheinen ihr schwarz, seit sie die Zenanah des Großherrn nicht mehr betreten darf.« – »Desto öfter hab' ich den Teufel von Adilé dort,« murrte der Sultan; »ich bin nicht Herr mehr in meinen Gemächern, und diese Weiber lachen in meinen Bart. Sei willkommen, Wessir, du bist einer der Getreuen meiner Mutter und kennst mein Herz. Nehmt Platz an meiner Seite, ich gestatte es Euch. Wer ist der Franke?« – »Schatten Gottes,« sagte der alte Wessir, indem er mit seinem Begleiter Kissen vom Diwan nahm, sie unfern des Sultans auf den Boden legte und darauf niederhockte, »erinnere dich, daß du mir erlaubt hast, ihn vor dein Antlitz zu bringen. Er ist ein treuer Mann und ein Vornehmer in den Ländern der Franken. Er sehnte sich, deinen Schatten zu küssen, und ich wollte, wir hätten vor acht Monden sein Anerbieten angenommen, das er vom Zar der Russen brachte.« – Der Sultan rieb sich verlegen die Stirn ... »Was meinst du, Vater?« – »Erinnere sich deine Majestät,« sagte Halil, »daß es die Flotte von jener Festung Sebastopol war und hunderttausend Mann guter Truppen, die uns der Zar zur Hilfe senden wollte, um die Dardanellen zu sperren.« – »Ich bin wie ein Ball zwischen zwei Händen,« sagte der Sultan finster. »Ist der Padischah nichts, daß er das Erbe seiner Familie nicht mehr verteidigen kann? Diese Franken machen uns zu Weibern, und sie haben gezittert vor dem Hauch meiner Väter!« Die beiden Paschas schwiegen verlegen, – sie wußten, wie recht der arme Sultan hatte ... »Lasset den Franken näher treten.«

Auf einen Wink des Chosrews näherte sich der Baron mit ehrfurchtsvollen Verbeugungen. Der gewandte Abenteurer und Unterhändler war ein Mann von stattlicher Persönlichkeit und äußerst gewandtem Benehmen, was ihm überall einen guten Empfang sicherte ... »Möge Eure Majestät geruhen, meine Huldigung und meinen Dank anzunehmen für die Erlaubnis, das Antlitz des Großherrn zu sehen. Möge Eure Majestät auch nachträglich meinen Dank empfangen für die Gnade, daß Sie aus der Hand eines Franken durch die Vermittelung meines Freundes Ali-Pascha ein demütiges Geschenk nicht verschmähten.« – Der Sultan sah den in ehrerbietiger Haltung vor ihm Stehenden überrascht an ... »Sie sind willkommen, Herr,« sagte er freundlich, »aber ich verstehe Sie nicht ganz.« – »Eure Majestät wollen verzeihen, wenn ich sage, daß ich es war, welcher die Ehre hatte, eine Sklavin durch den Pascha von Brussa Eurer Majestät als Dienerin vor etwa Jahresfrist zu übersenden.« – Das Auge des Sultans funkelte ... »Wen meinen Sie, Herr? ihr Name?« – »Mariam, eine Mingrelierin.«

Der Schlag war geradezu geführt; die Hand des Sultans zuckte unwillkürlich nach dem Herzen, dann ließ er sie sinken und erwiderte traurig: »Ich danke Ihnen, mein Herr, für das Geschenk – die arme Mariam liegt noch immer schwer darnieder an einer ansteckenden Krankheit.« – »Mariam ist tot,« sagte ernst der Baron. – Der Großherr beugte sein Haupt ... »Inshallah! Wie Gott will! So ist sie also dennoch gestorben an den schwarzen Blattern? Es tut meinem Herzen leid, diese Kunde von Ihnen zu bekommen, wo Sie dieselbe auch her wissen mögen.« – Er wandte das Gesicht nach Mekka und begann ein leises Gebet zu murmeln ... »Verzeihen Eure Majestät, daß ich Ihre Andacht unterbreche, aber Mariam, die Mingrelierin, ist nicht an den Blattern gestorben, denn sie hat die Krankheit nie gehabt.« – Der Sultan sah ihn groß und fragend an ... »Mariam,« fuhr ruhig und langsam der Baron fort, »ist in der Nacht zum 10. November im Serail zu Stambul grausam durch die Folter ermordet worden. Ihr letztes Wort war der Name Eurer Majestät.«

Der Beherrscher der Moslems fuhr mit einem Sprunge gleich dem verwundeten Löwen in die Höhe. Er vergaß alle Etikette des türkischen Hofes so weit, daß er, – der nur von den höchsten und vertrautesten Dienern des Harems angerührt werden darf, – mit beiden Händen den Arm des Fremden erfaßte ... »Dschaur! Bei dem Propheten, du lügst!« – Der Wessir und Halil waren ruhig sitzen geblieben, – beide waren auf die Szene vorbereitet ... »Möge die Zuflucht der Welt ihrem Sklaven das Wort gestatten,« sagte der Schwager des Großherrn; »der Dschaur ist ein vornehmer Mann in seinem Lande, und sein Mund redet keinen Kot, sondern die Wahrheit.« Der unglückliche, betrogene Großherr sank auf die Kissen zurück und bedeckte sein Gesicht mit beiden Händen ... »Wer? wer?« stammelte er kaum hörbar. – »Die Bujuk-Sultana und meine Schwägerin, Adilé-Sultana,« sagte Halil-Pascha, »haben der Tat beigewohnt. Sie ließen die Odaliske martern, um für ihre Freunde, die Inglis und Franzosen, Geheimnisse des Großherrn zu erpressen. Unser guter Freund Fuad-Effendi, den der Ministerrat vor acht Tagen als Bevollmächtigten zum Sirdar, seinem Genossen, an die Donau geschickt hat, leitete die Marter. Ich habe gesprochen – auf mein Haupt komme es!«

Abdul Medschid schaute wild – mit funkelnden Augen umher, und sie fielen auf den greisen Chosrew ... »Du bist der Todfeind Fuads und der Sultana,« sagte er hastig zu Halil, »ich kann dir nicht glauben! Rede du, Chosrew, der Lehrer und Schützer meiner Jugend!« – »Halil und der Dschaur reden die Wahrheit. Das Weib deines Herzens ist gemordet worden, aber sie hat standhaft geschwiegen und sich der Zuneigung des Großherrn würdig gezeigt.« – Der Sultan erhob sich; seine Augen flammten, das bleiche Gesicht rötete sich dunkel ... »Beim Barte Mahmuds, meines großen Vaters, ich will nicht umsonst der Bluttrinker heißen. Sie soll gerächt werden an meinem eigenen Blut! Hinaus, Knabe, und rufe den Aga!«

Der greise Wessir war aufgesprungen und hatte sich dem wütenden Herrn in den Weg geworfen ... »Halt ein, Padischah! Um des Propheten willen bedenke, was du tust, und höre den Rat deiner Freunde!« – Der Großherr faßte die Hände der beiden ... »Ich weiß es, Ihr seid dem Sohne Mahmuds treu, und ich darf auf Euch zählen. Sie sollen sterben, sterben alle drei, die diese Tat an meinem Herzen vollbracht haben, das sie liebte. Einmal hab' ich es bezwungen, als die Hand meines Vaters grausam auf mir lag; jetzt bin ich der Herr, und wehe dem Schuldigen!« Er war außer sich, und selbst der intrigenvolle, nur seinen Interessen folgende Abenteurer sah mit aufrichtigem Bedauern auf den jungen Monarchen, der, der Herr von Millionen, der Herrscher in drei Weltteilen, mit all' seiner Macht nicht vermocht hatte, ein schwaches Weib zu schützen, das er liebte.

Der Aga war in das Gemach getreten und stand harrend am Eingang, während der Greis und Halil-Pascha den Sultan zum Diwan zurückführten und auf die Kissen nötigten. Auf den Wink Halils war Théifur-Aga, das Haupt der schwarzen Eunuchen, näher gekommen. Die Verbündeten wußten, daß er ein bitterer Feind und Neider des Kislar-Aga war und zu ihrer Partei gehörte ... »Höre mich an, o Schatten Gottes,« sagte der greise Staatsmann. »Wir alle fühlen, daß deiner Macht und deiner Seele ein Wehe geschehen, aber was getan ist, ist getan und läßt sich nicht ändern. Unsere Feinde sind mächtig, und wir müssen mit ihnen kämpfen mit der Klugheit der Schlange, denn diese Franken haben die Oberhand.« – »Aber der Padischah ist der Herr,« warf Halil giftig ein. »Soll er sich in den Bart lachen lassen von seinen Knechten?« – »Hört mich wohl an,« sagte bedächtig der Greis, »und laßt mein Wort nicht in den Wind fallen. Die Partei des Seraskiers im Ministerrat ist stark, und wir müssen sie schwächen, ehe wir den Streich auf das Haupt aller unserer Feinde fallen lassen. Der Scheik ül Islam hat sich für den Krieg erklärt, und die Hälfte der Diener des Palastes hängen Mehemed Ali an. Leicht würde er das Volk zu den Waffen rufen können. Aber das Volk ist jetzt auch erbittert auf Mahmud, den Kapudan-Pascha, seinen Schützling, und sagt, daß die Vernichtung unserer Flotte seine Schuld sei. Ihn kann der Großherr ohne Gefahr entfernen.« – »Er falle!« sagte der Sultan. »Wer soll an seine Stelle kommen?« – »Möge die Sonne deiner Gnade Riza-Pascha bescheinen.« – »So sei es. Fertigt den Ferman aus, daß ich unterzeichne.«

Der schlaue Chosrew zog ein Papier aus seinem Busen, das bereits die Entlassung des Großadmirals enthielt, und in das nur noch der Name seines Nachfolgers eingezeichnet zu werden brauchte. Er nahm das Schreibzeug von seinem Gürtel, und der Sultan unterzeichnete hastig seinen Namenszug. – »Es ist nicht möglich, die Sultana Valide zu strafen oder eine Tochter aus Mahmuds Blut um einer mingrelischen Sklavin willen. Es würde einen Aufstand im Palast erregen. Der Kislar-Aga ist ihr geheimer Freund, aber wenn Théifur-Aga an seine Stelle kommt, wird er die Weiber im Zaume halten und kann die Sultana nach dem Burno-Serai führen und deiner Schwester den Eintritt in den Harem weigern. Er wird das Paradies des Großherrn von unnützen Geschöpfen säubern.« – Das breite Gesicht des Mohren glänzte vor freudiger Erwartung, denn der Posten des Kislar-Aga steht dem Range nach zunächst am Großwessir und ist durch seine Stellung einer der einflußreichsten. – Der Sultan bedachte sich einige Augenblicke, dann zog er rasch den Siegelring vom Finger und reichte ihn dem Eunuchen ... »Du bist der Kislar-Aga und mögest treuer als dein Vorgänger meine Befehle erfüllen.« Der Schwarze warf sich auf den Boden und berührte dreimal mit der Stirn die Erde. Dann erhob er sich freudestrahlend und blickte auf Chosrew.

»Wenn es dem Padischah gefällt,« sagte dieser, »so möge die Veränderung im Palast bis morgen früh verborgen bleiben und erst zur Stunde der Diwansitzung laut werden, damit wir unsere Feinde auch auf allen Seiten überraschen. Die Artillerie, welche die Brennibors Brandenburger – die preußischen Instruktoren. gebildet haben, ist treu und möge die Wachen beziehen. Sie liebt weder den Seraskier, noch Mehemed Rudschid, den Kommandeur der Garden.« – Der Sultan schüttelte das Haupt, – in der Türkei das Zeichen der Bejahung. – »Es ist notwendig, daß wir im Ministerrat mindestens eine gleiche Stimmenzahl auf unserer Seite haben,« fuhr der Greis fort. »Wenn der Schatten Gottes die Verbannung aufheben und den Gatten seiner Schwester wieder in den Rat berufen will als Beistand, so würde unsere Stärke wachsen.« Er reichte dem Sultan einen zweiten, gleichfalls bereitgehaltenen Ferman, und Abdul-Medschid unterzeichnete; Halil küßte den Zipfel seines Rockes.

Der Großherr blickte sie jetzt alle der Reihe nach finster an ... »Mashallah,« sagte er mit gezwungener Energie, »ich habe jetzt allen euren Willen getan, nun will ich den meinen und Rache für Mariam haben. Die Sklaven sollen sterben, welche die Hände an ihren Leib gelegt haben, und das Weib, das man mir für sie gegeben, beleidige nicht länger meine Augen.« Der alte Chosrew machte das Zeichen der Zustimmung ... »Es kann ohne Gefahr geschehen und sie mögen sterben. Wofür ist Théifur-Aga da? Er möge seine Ohren auftun und kein Esel sein. Ist es dem Großherrn jetzt genehm, zu hören, was dieser Franke von unsern Freunden, den Russen, zu sagen hat?«

Der Sultan, von der vorhergegangenen Aufregung erschöpft, war auf dem Diwan wieder in seine frühere apathische Haltung gesunken; die Röte des Schmerzes und Zorns hatte der gewöhnlichen krankhaften Blässe Platz gemacht, und er bejahte stumm, indem er dem Knaben winkte, ihm das Rohr des Nargilehs wieder zu reichen, und dem Baron, auf dem Diwan Platz zu nehmen ... »Eure Majestät,« sagte dieser, »sind in einer schlimmen Lage, indem Sie sich von Ihrem natürlichen Freund und Verbündeten, dem Zaren, abgewandt haben. Ihre Armee ist an der Donau zurückgedrängt und in Asien besiegt; in Serbien, Montenegro und Griechenland drängt das Volk zur Ergreifung der Waffen gegen das Reich Eurer Majestät. Persien rüstet zum Kriege. Die Flotte ist zur Hälfte vernichtet, die Finanzen des Staates sind so erschöpft, daß ohne eine schwer zu realisierende Anleihe die nötigsten Bedürfnisse nicht zu bestreiten sind und das Heer zum Teil seit vierzehn Monaten keinen Sold erhalten hat. Die griechische Bevölkerung in Anatolien, Rumelien und auf den Inseln ist zum offenen Aufruhr geneigt, selbst die türkische Einwohnerschaft ist schwierig, man hat den Fanatismus aufgeregt und erhöht auf diese Weise die gegenseitige Feindschaft.« – »Inshallah,« sagte der Großherr, »was können wir tun? Wir sind nicht schuld an dem Unheil.« – »Eure Majestät mögen dem Zaren, Ihrem wahren Freunde, vertrauen. Der Diwan und der Ministerrat mögen sich morgen bereit erklären, auf die Friedensverhandlungen einzugehen, welche die vier Mächte vorgeschlagen haben, und man wird den Engländern und Franzosen damit den Vorwand nehmen, sich weiter einzumischen. Was haben sie bis jetzt getan, als ihre Flotten hierher gesandt, die Konstantinopel bedrohen, ohne nur eine Kanone zum Schutz der Türkei gelöst zu haben? Ich bitte Eure Majestät, zu bedenken, daß, welches auch der Erfolg des Krieges sei, die Kosten das Land vollends ruinieren und wahrscheinlich einiger Provinzen berauben werden; denn Österreich wird auch seinen Anteil verlangen, und England ist schon längst auf Kandia, Cypern und Unter-Egypten lüstern.«

Er machte eine Pause, – der Sultan – der Beherrscher eines Gebiets von mehr als 30 000 Quadratmeilen – hatte ihm finster zugehört, denn er kannte die Wahrheit dessen, was der Unterhändler ihm aufzählte; aber mit der, den Orientalen in diplomatischen Verhandlungen eigentümlichen Schlauheit und Zähigkeit sagte er: »Die Inglis und Franzosen haben von mir noch nichts gefordert und erklären, mein gutes Recht unterstützen zu wollen. Mein Bruder, der Zar, aber hat gegen alle Verträge zwei meiner Provinzen genommen und mich gezwungen, den Krieg zu erklären. Es ist nicht das erstemal, daß ein russisches Heer mein Reich bedroht.«

Der Baron war zu gewandt, um den schlagenden Streich nicht zu parieren ... »Euer Majestät wollen sich erinnern,« sagte er, »daß der Zar sich durch die Minister der Pforte beleidigt glaubt und die Donau-Fürstentümer nur als Pfand für die Erfüllung alter Verträge in Besitz genommen hat. Er wird sich nicht weigern, sie bei einem neuen und festen Bündnis sogleich herauszugeben. Eure Majestät wollen ferner sich erinnern, daß Kaiser Nikolaus sich nie als Eroberer gezeigt und im Frieden von Adrianopel sofort alle Eroberungen herausgegeben, ja die stipulierten Kriegskosten erlassen hat;« – er warf bei diesen Worten einen scharfen Blick auf Chosrew, dessen großes Vermögen von jener Zeit datierte: – »daß der Kaiser ferner in dem Kriege gegen Mehemed Ali und Ibrahim-Pascha sich als uneigennütziger Verbündeter zeigte, gegen dasselbe Ägypten, dessen Horden Eure Majestät jetzt gegen Rußland senden.« –

Es entstand eine längere Pause. Chosrew, dessen schwache und empfindliche Seite die Erinnerung an Ibrahim-Pascha war, der ihn wiederholt besiegt hatte, brachte geschickt das Gespräch in eine andere Phase ... »Allah bilir! es ist ein Unglück, daß die Franken ihre Schiffe vor unsere Stadt gelegt haben, sonst könnte alles gut gemacht werden. Was befiehlt der Padischah?« – Der Großherr blickte ärgerlich auf den alten Intriganten ... »Ich erwarte Rat von meinen Wessieren.« – »Wenn es dem Vater aller Herrscher gefällt,« meinte Halil, »so habe ich zahlreiche Freunde im Diwan, und einige Beutel werden das übrige tun, daß man morgen für die Friedensverhandlungen stimmt.« – »Vielleicht hat unser fränkischer Freund einen weiteren Vorschlag,« meinte der greise Großwessir, mit einem listigen Augenzwinkern nach dem Baron. – »Ich glaube Euer Majestät die nötigen Vorschläge machen zu können, sobald Allerhöchstdieselben ernstlich zu einem Schutz- und Trutzbündnis mit Rußland entschlossen sind. Der Kaiser stellt noch immer seine Flotte und eine Armee von hunderttausend Mann zum Schutz der Dardanellen zur Verfügung. Durch die Anknüpfung von Friedensverhandlungen würden die Westmächte jedenfalls verhindert werden, Landtruppen nach dem Orient zu senden. Eine Scheindiversion russischer Schiffe auf die anatolische Küste könnte Gelegenheit geben, die verbündeten Flotten ins Schwarze Meer zu locken, wo sie sich bei der jetzigen Jahreszeit unmöglich zusammenhalten können. Rußland ist bereit, sofort nach dem Abschluß des geheimen Traktats die Fürstentümer zu räumen, und wird seine Truppen an der Donaumündung und in Odessa, von wo sie leicht nach Varna oder Burgas gebracht werden können, zusammenziehen. Wenn nach der Bereitschaftserklärung der Friedensverhandlungen die Flotten nicht sofort aus dem Bosporus und den Dardanellen entfernt werden, wird Rußland die Forderung stellen, eine Anzahl von Kriegsschiffen gleichfalls hier stationieren zu dürfen. Entweder sind dann die Flotten der Westmächte in dem Schwarzen Meere abgesperrt und in unserer Hand ein Unterpfand, oder die russische Flotte in Verbindung mit der türkischen und ägyptischen und den Kastells der Ufer wird vollkommen genügen, jene im Zaume zu halten oder zu vertreiben. Euer Majestät Truppen und drei russische Armeekorps, die der Zar zur Disposition stellt, werden hinreichen, die Küsten von Rumelien zu sichern.«

Der kühne gewaltige Plan, – der so leicht beim Beginn des Kampfes auszuführen gewesen wäre und dem Schicksal Europas eine andere Gestalt gegeben hätte, wenn Kaiser Nikolaus mehr auf die rasche Tat als auf seinen politischen Einfluß vertraut hätte, – erschreckte den bleichen Großherrn, und seine Augen schweiften verlegen und ängstlich auf Chosrew und seinen Schwager. Der letztere legte bestimmend die Hand auf das Herz, während der greise Diplomat den flehenden Blick seines Herrn und Schülers nicht zu bemerken schien und anscheinend kein Auge von dem Unterhändler verwandte.

»Wunderbar!« sagte endlich der Sultan. »Ich weiß nicht, was ich tun soll, und bin wie ein Mann zwischen zwei Schwertern. Wenn ich dir auch Gehör geben wollte, o Franke, – wie würden wir uns ausreden können vor der Macht der Ungläubigen, ehe die Hilfe des Zaren in der Nähe ist, um uns vor ihrem Zorn zu sichern?« Chosrew erhob ruhig das Haupt; der alte, in tausend Schlangenlisten bewanderte Diplomat hatte das Mittel längst vorbedacht. – »Wir werden einen Aufruhr in der Stadt erregen,« sagte er gelassen. »Der Raja-Pöbel von Stambul wird eine Revolution machen, und wir werden sagen können, daß uns die Christen gezwungen haben zu dem Bündnis mit Rußland.« – Der Sultan überlegte ... »Es ist unser Kismet,« sagte er endlich. »Wird alles bereit sein und werde ich sicher bleiben, oder muß ich mich auf eines meiner Schlösser in Anatolien begeben?« – »Euer Majestät werden ganz sicher sein unterm Schutz der Artillerie. Auf mein Haupt komme es! Morgen mittag ist der Frieden gesichert, und am nächsten Tage wird der Padischah den Fuß auf den Nacken seiner Feinde setzen.« – »Ich willige ein,« sagte der Großherr und gab ermüdet und abgespannt das Zeichen der Entlassung.

Die drei Verbündeten verabschiedeten sich unter den gebotenen Zeremonien und wurden vom neuen Kislar-Aga wieder bis an die Pforte der Gartenmauer zurückbegleitet. Während Halil und der Baron bereits den Garten verlassen, verweilte der greise Chosrew noch einige Augenblicke bei dem neuen, durch seine Intriguen eingesetzten Würdenträger ... »Höre, Freund Thöisur-Aga,« sagte er mit einschmeichelnder Freundlichkeit, »du wirst die griechische Sklavin morgen aus dem Harem entfernen?« – »Der Padischah hat befohlen. Sie mag das Wasser des Bosporus trinken.« – »Ein Weib ist gewiß ein großes Übel,« meinte der Pascha; »aber warum sie töten, wenn sie noch jung ist? Der Padischah hat es nicht ausdrücklich bestimmt, und ich will dir einen Ausweg sagen ... Das Mädchen soll schön sein, – gib sie mir, deinem Diener, für seinen Harem – sie wird verschwinden für immer.«

Der Eunuch schielte ihn von der Seite an. Er wußte sehr gut, daß es um den Harem des geizigen alten Intriganten sehr jämmerlich bestellt war, und daß er das Mädchen nur aus Habsucht verlangte, um sie mit möglichstem Vorteil zu verkaufen; aber er wagte nicht, nach dem Dienst, den jener ihm soeben geleistet, die Bitte abzuschlagen, und antwortete daher: »Sehr wohl; du redest Weisheit. Das Boot mit dem Weibe wird morgen abend um die fünfte Stunde zwischen 10 und 11 Uhr. mit den Stummen des Harems, gegenüber der Moschee von Auni-Effendi, deines Boten harren. Er möge dreimal den Namen Allahs nennen, und man wird sie ihm übergeben. Behalte mich in deiner Gunst, o Pascha.«

*

Die Beratung am Montag, dem 19., die in der Hohen Pforte gehalten wurde, nahm einen überaus stürmischen Verlauf, denn der Schlag, der der Kriegspartei durch die Absetzung des Großadmirals Mahmud-Pascha und die Ernennung Halils – der früher bereits zweimal Marine- und Kriegsminister gewesen war, zum Minister ohne Portefeuille mit Stimme im Konseil, versetzt wurde, kam ganz unerwartet. Die alttürkische Partei des Seraskiers und des Scheich ül Islam war damit in ihrem Einflusse hart bedroht. Durch die Bemühungen der Freunde des Großwessiers, Chosrews und Halils, zeigte sich im Harem eine Majorität für die Friedensunterhandlungen. Nur mit Mühe vermochten Mehemed-Ali und seine Freunde es durchzusetzen, daß der Endbeschluß bis zum nächsten Tage verschoben blieb ... Es lag eine schwüle Stille über der großen Stadt, und jedermann fühlte das Nahen einer schweren Krise. Die Beratung des Diwans hatte volle fünf Stunden gedauert und erst am Nachmittag geendet. Eine Audienz, die der Seraskier bei dem Sultan, seinem Schwager, verlangte, wurde unter dem Vorwand eines Unwohlseins abgelehnt. Die Ernennung des neuen Kislar-Aga war erst am Nachmittag bekannt geworden und hatte den ganzen Harem in Bestürzung gesetzt. Auf die eilige Botschaft der Sultana war die Schwester des Sultans nach Tschiragan gekommen, aber der Großherr weigerte sich, den Harem zu betreten, und sie mußte, vor Zorn und Furcht bebend, den Palast wieder verlassen und hatte noch den Ärger, den Großwessir Mustapha und Halil ihren Schwager in Tschiragan empfangen zu sehen.

Wie der politische Himmel, so begann sich auch der wirkliche zu trüben, und schwere Wolkenmassen lagerten am Abend über dem ganzen Horizont ... Gregor Caraiskakis, der einzige Gefangene, der bis jetzt auf dem Meere in die Hände der Türken gefallen, hatte auf der eiligen Überfahrt der Dampffregatte Taïf alle Schmach und alle Leiden zu dulden gehabt, welche die Erbitterung der Moslems über ihre Niederlage auf ihn häufte. Bei der Ankunft im Bosporus hatte der türkische Befehlshaber seine Hiobspost sogleich an den Großadmiral überbracht; aber der Schrecken darüber war so groß, daß man eines einzelnen Gefangenen, zumal es nur ein Grieche war, wenig achtete; der Kapitän erhielt einfach die Weisung, ihn vorläufig auf seinem Schiffe in Verwahrsam zu halten. So lag nun Caraiskakis beinahe drei Wochen, nur dem Hasse der türkischen Schiffsmannschaft noch im Gedächtnis, in dem untern Deck der Fregatte, die am Schloß von Asien ankerte. Die Leiden seiner Gefangenschaft verdoppelten die wiederholten Besuche des Briten, dessen Bemühungen, ihn als seinen persönlichen Gefangenen zu behandeln und in die Haft der englischen Gesandtschaft zu bringen, zwar an der Hartnäckigkeit der Türken gescheitert waren, der aber fast einen um den andern Tag erschien, um ihn mit dem Antrage, ja mit Bitten zu bestürmen, ihm das Kind herauszugeben, für das er eine eigensinnige Liebe gefaßt zu haben schien. Aber vergebens – der Sohn des Helden vom Piräus antwortete auf das Anerbieten des britischen Schutzes nur mit verächtlichem Schweigen. Im Stillen aber war er auch nicht untätig gewesen. Unter den Seesoldaten, die den Schiffsdienst verrichten und in seinem Deck häufig Geschäfte hatten, war ihm ein junger Mann aufgefallen, der ihn öfter mit Teilnahme betrachtete. Eine Anrede bei günstiger Gelegenheit, als sie allein waren, überzeugte ihn, daß er einen von den Türken zum Schiffsdienst gepreßten Griechen vor sich habe, und er bewog ihn leicht, einen mit Bleistift geschriebenen Zettel bei seinem nächsten Urlaub ans Land zu bestellen. Der Brief war an den Baron Ölsner von Montmarquett gerichtet und enthielt die Nachricht von seiner Gefangenschaft. – –

Am Nachmittag des 19. war der Baronet wiederum auf dem Taïf erschienen und hatte den Gefangenen bestürmt, ihm eine schriftliche Vollmacht zur Aushändigung des Kindes auszustellen, da er jetzt nach England zurückzukehren beabsichtige. Er versprach, das Kind zu adoptieren, die Heirat mit Diona anzuerkennen und den Knaben zum Erben seines Namens und seines Vermögens zu machen. Caraiskakis schaute ihn finster an ... »Wenn Sie mir die Schätze der vereinigten Königreiche böten,« sagte er mit Hohn, »und den Sohn Dionas – die Sie feig verleugnet haben – zum ersten Edelmann des mächtigen Englands machen könnten, so würden Sie den Knaben, so lange es von mir abhängt, doch nicht erhalten; seine Spur will ich Ihren Augen verwischen, und nie soll er den Namen seines Vaters hören, sondern ein Grieche werden mit jeder Faser seines Lebens, der nur Haß atmet gegen das falsche Land seines Vaters!«

Der ganze Trotz und Hochmut des Briten schwoll empor bei dieser Antwort ... »So habe was du willst und beklage dich nicht über dein Geschick. Der Kapudan hat bereits darüber bestimmt, und mit dem nächsten Schiffe gehst du auf die Galeeren nach Kreta. Ich aber schwöre dir, Wahnsinniger, daß ich nicht ruhen und rasten will, bis ich mein Kind gewonnen, und Edward Maubridge wird dies Land nicht verlassen, bevor er seinen Zweck erreicht hat, so wahr er ein Brite ist!« Caraiskakis lächelte verächtlich, und so schieden sie.

Die Vorgänge des Tages hatten anders auch über das Geschick des Griechen entschieden. Am Abend gegen die zehnte Stunde schoß von Tophana her ein Boot an die Seite der Fregatte Taïf, und ein Mann in der Kleidung eines türkischen Offiziers antwortete auf den Anruf der Wache: »Befehl des Großadmirals« und stieg an der Schiffswand empor. Auf Deck fragte er nach dem Kapitän und händigte ihm eine versiegelte Depesche ein: die Ordre des neuen Kapudan Riza-Pascha, den bei Sinope gefangenen Griechen dem Überbringer zu überliefern. Baron Ölsner hatte die erste Gelegenheit benutzt, den Verbündeten zu retten. Caraiskakis wurde sofort aus dem Gefängnis geholt. Von seinen Fesseln befreit, stieg Gregor in das Boot, der Offizier setzte sich neben ihn, und die schwarze Wand der Fregatte war bald im Dunkel verschwunden. Während das Boot im Schatten der asiatischen Ufer hinlief, trat der Offizier zu Gregor und sagte auf griechisch: »Ich bin ein Bote des Signor Ölsner und habe Ihnen mitzuteilen, daß Sie frei sind. Die Ordre zu Ihrer Überführung nach der Stadt war eine der ersten, die der neue Großadmiral Unterzeichnete. Ich begrüße in Ihnen meinen Landsmann, denn diese Kleidung ist natürlich bloß angenommen, um den türkischen Kapitän zu täuschen. Der Baron hat in dieser Nacht wichtige und viele Geschäfte, und er hat mir daher aufgetragen, Sie in ein sicheres Versteck im Fanariotenquartier zu bringen.«

Caraiskakis dankte dem Landsmann, der sich Geurgios nannte, und hörte von diesem die wichtigen Neuigkeiten des Tages. Sie befanden sich jetzt dem Sommerpalaste von Beschiktasch gegenüber und wandten sich quer über den Meeresstrom nach dem Grabmal Hayraddins und der Moschee von Auni-Effendi, um auf der europäischen Seite des Bosporus die Fahrt nach dem Goldenen Horn fortzusetzen, als aus dem Schatten des Ufers von Tschiragan ein großer, schwarzer Kaïk, von sechs weißgekleideten Ruderern getrieben, hervorschoß. Geurgios gebot sofort den Seinen, zu halten, um den fremden Kahn vorbeifahren zu lassen, und flüsterte dem Griechen zu: »Die Eunuchen des Harems – bei Ihrem Leben, keinen Laut, Freund! was Sie auch sehen mögen.« Zu seiner Verwunderung jedoch kam der Kahn, statt weiter hinaus in den Bosporus zu fahren, gerade auf sie zu und hielt in kurzer Entfernung von ihrem Bord. Im Hinterteil des fremden Kaïks stand ein bewaffneter Eunuch ... »Eure Losung?« fragte der Schwarze.

Der Grieche zauderte einen Augenblick; dann, in der Meinung, der Frager wolle wissen, ob er einen Ungläubigen vor sich habe, antwortete er rasch mit den Worten des türkischen Gebets: »Allah la illaha illallah.« Sogleich gab der Schwarze ein Zeichen, und das dunkle Fahrzeug schoß an die Seite ihres Kahns. Schon glaubten die Griechen sich verloren, denn die berüchtigten Haremswächter machten wenig Umstände mit den zufälligen Zeugen ihres geheimnisvollen Treibens, und die Hand des Geurgios faßte nach den Terzerolen in seiner Brusttasche, – aber zu ihrer Verwunderung begrüßte sie der Offizier der Eunuchen mit einem kurzen »Khosch dschelidin! « – Nehmt!« – zwei der bewaffneten Ruderer hoben vom Boden des Kaïks einen großen, ungestalteten Gegenstand, gleich einem Sack, und warfen ihn achtlos in den Nachen der Griechen, daß dieser von dem Stoß schwankte und umzuschlagen drohte; im nächsten Augenblick schoß das Haremsboot vorwärts an ihnen vorüber, wandte und kehrte zu dem Ufer zurück ... Die beiden Griechen und auch die Ruderer, die mit den Geheimnissen Stambuls sehr vertraut schienen, atmeten frei auf, als sie auf so schnelle Weise der Gefahr wieder entgangen waren, und die Ruder senkten sich mit doppelter Eile in die dunklen Wogen, daß der leichte Kahn gleich einem Pfeil dahin flog und bald in die ruhigeren Gewässer des Horns einbog. Noch hatte keiner der Männer die seltsame Last, die ihnen so unverhofft geworden war, zu untersuchen sich Zeit genommen, und nur die konvulsivischen Bewegungen der Hülle und ein leises, unterdrücktes Ächzen und Stöhnen bewies ihnen, daß ein lebendes Wesen darin verborgen war. Erst als sie die zweite Brücke passiert hatten und am Ufer des Fanariotenquartiers hinfuhren, deutete Geurgios auf den Sack und fragte: »Was machen wir damit? werfen wir die Last in das Horn? Hier sind wir sicher vor Spähern.« – Aber Gregor faßte abwehrend seinen Arm ... »Um der Heiligen willen, laßt uns nicht unmenschlicher handeln, als diese Moslems. Es scheint ein Weib in dem Sack zu sein, und wir wollen die Unglückliche retten.« – »Bah, irgend eine alte Hexe, die im Harem gekeift und sich unnütz gemacht hat! Aber wie Ihr wollt – bei Sankt Demeter, Ihr mögt das Geschenk der schwarzen Burschen dafür zu eigen nehmen und Euch mit der Last beladen.«

Unweit der Kirche von St. Basil, zwischen dem Balat-Kapussi Palasttor. und dem Haivan-Seraï Kapussi Tor der Menagerie, – von dem benachbarten Amphitheater so genannt, wo die Kämpfe der wilden Tiere stattzufinden pflegten. landete das Boot unter einem überhängenden Kaikschuppen, und Geurgios geleitete den Befreiten durch den Ausgang, der am Ende desselben hinauf in ein ziemlich großes griechisches Haus führte, wohin die beiden Ruderer auf seinen Befehl das geheimnisvolle Bündel trugen. Man schien sie erwartet zu haben, denn auf der Veranda waren, trotz des stürmischen, kalten Wetters, mehrere Männer versammelt, und in dem oberen, wohlerleuchteten Gemach, wohin man Caraiskakis führte, brannten wärmende Kohlenpfannen, und ein Tisch war mit dem lieblichen Brussawein und dem feurigen schwarzen Rebensaft vom Olymp nebst Speisen und Erfrischungen besetzt. Hierhin, in einen Winkel des Gemaches, legten die Bootsleute auch ihre Last, über die Geurgios gegen die Augen der Neugierigen seinen Mantel gebreitet hatte. Als sie allein waren, machte er mit Gregors Hilfe sich daran, den Sack mit einem Dolch aufzuschneiden ... Ein junges, bildschönes Mädchen, in reiche türkische Tracht gehüllt und mit einem kostbaren Shawl zu einem Klumpen zusammengeschnürt, lag vor ihnen. Während Geurgios die Knoten des Shawls löste, befreite sie Gregor von dem Knebel, der ihr den Mund verschloß, und rieb ihr, nachdem man sie auf ein Ruhebett gestreckt, Stirn und Schläfe mit Wein. Endlich schlug sie die Augen auf, tiefe Seufzer hoben ihren Busen, und ihr Blick fuhr wirr und ängstlich umher über die fremden Männer und die unbekannte Umgebung. Dann schrie sie laut auf und warf sich auf die Knie ... »Mordet mich nicht,« rief sie; »weshalb habe ich meinen Glauben abgeschworen und alles hingegeben, was meiner Jugend teuer war, wenn ich so jung schon geopfert werden soll? Was hab' ich getan – bin ich nicht die gehorsame Tänzerin des Padischah, die Gefährtin seiner Freuden? Hab' ich nicht treu der Sultana gedient, meiner Herrin? O, habt Erbarmen, laßt mich leben – es ist so süß und schön, zu leben im Glanz der Herrlichkeit, die ich nie gekannt.«

Die schöne Nausikaa – denn sie war es, die durch den Sultan als Sühne für die geopferte Mariam aus dem Harem verbannt und, von dem Kislar-Aga für seinen Gönner Chosrew bestimmt, durch einen Irrtum seiner Untergebenen in die Hände der Griechen gekommen war – sah in ihrer reichen Odaliskentracht und in der Blässe und Todesfurcht, die ihre Wangen bedeckte, kaum weniger verlockend aus, wie damals, als wir ihr als Tänzerin vor dem Sultan begegneten. Erst als Gregor ihr wiederholt Beteuert hatte, daß sie nichts mehr zu fürchten habe, daß aber Verborgenheit und Geheimnis das Werk der Rettung vollenden und sichern müsse, gewann sie Glauben daran, umfaßte seine Knie und beschwor ihn, sie nicht zu verlassen, indem sie versprach, jedem seiner Winke Folge zu leisten. Eine kurze Beratung zwischen Caraiskakis und seinem Wirt führte den Beschluß herbei, die Odaliske noch ferner vor den Augen der Hausbewohner verborgen zu halten, bis es gelungen sei, ihr weniger auffällige Kleidung zu verschaffen, um sie an einen besser verborgenen Ort zu bringen. Caraiskakis, auf den das Mädchen einen wunderbaren Eindruck gemacht hatte, nahm sich vor, den Baron von Ölsner für seinen Schützling zu interessieren, versprach dem Mädchen, als er jetzt seinem Worte folgen mußte, so bald wie möglich wiederzukommen, und schloß sie sorgfältig ein.

Geurgios, ein Mann von einigen vierzig Jahren, führte den neuen Bekannten in den unteren Raum des Hauses, wo mehrere Griechen versammelt waren und geschäftig ab- und zugingen. Er schien ihr Haupt zu sein, denn es wurden ihm alsbald verschiedene Berichte erstattet und Botschaften mitgeteilt. Er machte Caraiskakis mit den Anwesenden bekannt, und dieser fand bald, daß die Männer, von denen er einzelne schon früher beim Baron Ölsner flüchtig gesehen, ebenso energisch für den allgemeinen griechischen Traum, die Wiederherstellung des byzantinischen Reichs schwärmten, wie die Griechen auf den Inseln und dem anatolischen Festlande. Zugleich bemerkte er auch, daß sie sämtlich nur untergeordnete Werkzeuge höherer Leitung und für die Erregung der Massen tätig waren. Nur Geurgios wußte offenbar mehr als sie, nahm einzelne beiseite und sandte sie mit Aufträgen fort, sodaß bald nur noch drei oder vier Männer zurückgeblieben waren. Ihnen befahl er, aufs neue einen Kaïk zur Fahrt bereit zu machen, und wandte sich dann an Gregor: ... »Ich habe Sie mit diesen Männern näher bekannt gemacht, was der Signor Baron früher versäumt zu haben scheint, damit, wenn sich irgend eine Gefahr ereignet, Sie Hilfe und Beistand haben. Die Leute, die Sie hier gesehen, haben die meisten Anhänger in der Fanarioten-Stadt und sind in diesem Augenblick bereits bemüht, das Volk zu der Demonstration für den morgenden Tag vorzubereiten. Signor Ölsner hat mich wissen lassen, daß ich ihn in Tophana treffen solle, und ich gehe sogleich dahin. Sie werden besser tun, hier zu bleiben; am besten wird es sein, Sie ziehen sich in Ihr Zimmer zurück, das Sie freilich noch einige Stunden mit unserer unwillkommenen Gesellschaft werden teilen müssen, da ich dieselbe der Schwatzhaftigkeit der Weiber nicht anvertrauen mag. Gegen Morgen bin ich zurück.« Damit verließ ihn der Fanariot, und bald darauf kehrten zwei der Männer zurück und schlugen ihr Lager auf dem Boden des Zimmers auf.

Caraiskakis beschloß, sich nach dem seinen zu begeben, teils um seinen seltsamen Besuch zu beruhigen, teils um selbst einen Ort der Ruhe und Erholung zu suchen. Er fand die Odaliske wach und ganz verändert. Der Schreck und die Furcht waren von ihrem Antlitz verschwunden, und mit dem Gefühl der Sicherheit hatten sich auch Leichtsinn und Gefallsucht wieder eingestellt, denn das Leben des Harems hatte bereits unwiederbringlich die Seele des einst so einfachen und armen Mädchens umstrickt. Der Grieche setzte sich neben sie und begann ein Gespräch mit ihr. Ihre Naivität, die kein Gefühl der Zurückhaltung und Scham kannte, ohne doch niedrig und gemein zu sein, überraschte ihn ... Nausikaa zählte jetzt achtzehn Jahre: ein Alter, in welchem bei den Frauen des Orients die üppigste Blüte der Reize eingetreten ist; ihre Augen und Lippen strahlten Koketterie und Genuß, ihr Busen atmete üppige Sinnlichkeit. Aus dem armen griechischen Mädchen hatten zwei Jahre türkischer Erziehung die vollkommenste Odaliske gemacht, die sich bemühte, jede Erinnerung ihrer Vergangenheit zu unterdrücken ... Vergeblich fragte sie daher Caraiskakis, durch die ersten flehenden Worte des Mädchens, die sie bei ihrem Erwachen aus der Ohnmacht an die Männer gerichtet, aufmerksam gemacht, nach ihren Eltern; – die Eitelkeit veranlasse sie, sich für eine Georgierin auszugeben, und da sie sich von Anfang an nur der türkischen Sprache bedient und mit nichts verraten hatte, daß sie das griechische Gespräch der Männer wohl verstanden, war es ihr leicht, ihren neuen Beschützer zu täuschen, indem sie ihm andeutete, daß sie zwar als Christin geboren, jedoch schon vor vielen Jahren als Sklavin nach Stambul gekommen sei und den Islam habe annehmen müssen.

Für die Fragen, die der Grieche getan, richtete die Odaliske hundert andere an ihn. Sie hatte genug von dem Leben des Harems gesehen, um zu wissen, daß sie keine Aussicht habe, je wieder das Serail zu betreten, und die Todesfurcht, die sie ausgestanden, ließ auch solchen Wunsch gar nicht aufkommen. Dagegen ging all ihr Sehnen und Denken bereits auf die Mittel, sich auf andere Weise ein Leben voll jener Genüsse, die sie kennen gelernt, mit möglichster Freiheit verbunden, zu verschaffen, und als Caraiskakis ihr die Versicherung gab, daß er sie von Konstantinopel wegführen und für sie sorgen werde, schloß sie scharfsinnig, daß es ihm auch an den Mitteln dazu nicht fehlen könne, und setzte alle Künste der üppigen Koketterie in Bewegung, sein Herz zu erobern und seine Sinne zu bestricken ... Dem Manne, der wochenlang nichts als die gröbste ekle Kost genossen und nur das finstre Antlitz fanatischer Moslems gesehen, – deuchte es wie ein Traum, jetzt hier im wohlgewärmten, mit Teppichen belegten Zimmer zu sitzen und in die glänzenden Augen der schönen Odaliske zu schauen, so schön, wie er noch nimmer ein Weib gesehen; von ihrer weichen Hand berührt zu werden und den feurigen Wein aus demselben Becher zu schlürfen, den noch eben ihre purpurnen Lippen berührt hatten ... Wo blieb der Gedanke an das Unglück des Vaterlandes, der allein bis jetzt sein Herz erfüllt? – Wo die Erinnerung an Kampf und Sieg vor dem verzehrenden Hauch der Leidenschaft, die sein Inneres so plötzlich, so gewaltig erfaßte? Er erhob sich, – er wollte das Gemach verlassen, um bei den beiden Fanarioten sein Lager zu suchen, – aber er bedachte, daß dies ihre Aufmerksamkeit und ihren Verdacht erregen müsse. Die Odaliske flog nach der Tür und schob den Riegel vor; sie flehte ihn an, sie in dieser Nacht der Gefahr und Angst nicht zu verlassen, und Gregor Caraiskakis, der starre, tugendhafte Patriot, lauschte ihren Worten und blieb. Mit koketter Geschäftigkeit bereitete ihm das Mädchen an einem Ende des Diwans das Lager und führte ihn dahin. Dann häufte sie für das ihre die Kissen und Polster auf der entgegengesetzten Seite. Die beiden Kerzen auf dem Tische löschte ihr Hauch – bald hörte der Grieche nur noch die schweren wogenden Atemzüge seiner Gefährtin. So verging eine Zeit, – trotz der körperlichen Erschlaffung vermochte auch er nicht die Ruhe zu finden. Da faßte eine weiche sammetne Hand die fieberglühende seine, ein üppig runder Arm umschlang ihn, und der süße Atem eines heißen Mundes flüsterte dicht an dem seinen: »Warum verschmäht mein Herr und Retter seine Sklavin? Soll das Herz allein ihm gehören und nicht der Leib? Möge mein Gebieter seine Dienerin nicht verachten!« Und der Todfeind der Moslems ruhte wonnetrunken am Busen der verbannten Odaliske des Großherrn, am Busen der holden Nausikaa, der Tochter Janos Katarchi! ... Auch der zweite der tapferen, der edlen Brüder, die den Heldenkampf begonnen, war der Versuchung erlegen, der eine im Harem zu Skadar, der andere im Favoritenhause zu Stambul! ...

*

Das Seraskiat, von dem Turme überragt, auf dessen Höhe die Feuerwache von Konstantinopel hält, liegt in der Nähe der Suleimania und des alten Serails; unfern davon, tiefer in die Stadt hinein, der Platz, auf dem die alte Janitscharen-Kaserne stand, deren Hof einst die Stätte des blutigen Gemetzels ihrer Vernichtung war.

In einem streng nach türkischer Sitte eingerichteten Gemache des Seraskiats waren an diesem Abend die Mitglieder der Kriegspartei im Ministerrat um Mehemed Ali versammelt: Arif-Hikmet-Bei, der Scheik ül Islam des Reichs, Mahmud-Pascha, der bereits abgesetzte Großadmiral, Mehemed-Ruschdi, Hayreddin-Pascha und Safeli-Pascha, der neue Finanzminister. Auf einem Ehrenplatz des Diwans, mitten zwischen den Moslems, saß ein Mann in europäischer Kleidung von mittleren Jahren, dessen langgestrecktes schmales Gesicht, rötlich blondes Haar und wasserblaues, kaltes und beobachtendes Auge den Briten verriet. Es war Master Alison, der orientalische Sekretär der britischen Gesandtschaft in Konstantinopel, durch seine Gewandtheit und Kenntnis der orientalischen Verhältnisse eine der einflußreichsten Personen Konstantinopels. Die Beratung war ziemlich stürmisch und die Stimmung noch erbitterter, als Master Alison, durch seine Dragomans, jene unübertrefflichen britischen Spione und Agenten bei der Pforte, aufs genaueste unterrichtet, die Mitteilung gab, daß der Großherr bereits die Fermans unterzeichnet habe, die auch Ruschdi-Pascha sofort vom Kommando der Garden und Hayreddin vom Amt des Polizeiministers enthoben. Die Seraskier sah sehr wohl ein, daß der nächste Schlag gegen ihn selbst gerichtet sein und daß sein Todfeind Halil damit nicht säumen werde.

Von ihm, oder vielmehr durch ihn von der Sultanin Adilé war daher auch der erste Gedanke des bewaffneten Widerstandes und einer gewaltsamen Demonstration angeregt worden, bei deren Beratung sich Master Alison jedoch jeder Einmischung enthielt. Nur als der wilde Mehemed, von seiner Erbitterung hingerissen, von dem geistlichen Vorstande des Reichs verlangte, daß der Großsultan Abdul-Medschid ab- und Abdul-Aziz, sein Bruder, an seine Stelle gesetzt werden müsse, erklärte der Brite energisch, daß die verbündeten Mächte, denen der schwankende leitbare Charakter des regierenden Padischahs sehr passend war, die Ausführung eines solchen Planes nicht dulden und die Flotten sofort einschreiten würden. Ebenso sprach er sich gegen eine Militär-Revolution aus, die Ruschdi-Pascha vorschlug. Es blieb also nur noch das vom Fanatismus regierte Volk, dessen Demonstration aber um so bedeutender sein mußte. Der Scheik ül Islam erhielt also den Auftrag, seine »Armee«, – die Ulemas und Softas, die schon am 10. September von der Kriegspartei zu jener Demonstration benutzt worden, die die ersten Schiffe der Flotte in den Bosporus rief, – wieder in Bewegung zu setzen.

Während man noch über die Art und die Zeit des Aufruhrs stritt, erschien einer der vertrauten Tschokadars des Seraskiers, um zu melden, daß ein Grieche dringend Hayreddin-Pascha zu sprechen wünsche. Der Polizeiminister verließ das Gemach, da ein mit verschiedenen Merkmalen bezeichnetes Goldstück, das der Grieche der Botschaft hinzugefügt, ihm zeigte, daß der Fremde einer seiner hauptstädtischen Spione sei ... Hätte Gregor Caraiskakis den Mann gesehen, der jetzt mit dem Polizeiminister sprach, so würde er sicher, trotz der kurzen Berührung, eine jener Personen erkannt haben, die er nach seiner Ankunft im Fanariotenhause getroffen hatte.

Der Polizeiminister hatte seine zuverlässigsten Spione unter der griechischen Bevölkerung und war von den Vorgängen und Bewegungen unter derselben stets aufs beste unterrichtet; denn so heldenmütig und todesmutig ein Teil der Griechen die Sache ihres Vaterlandes verfocht, so knechtisch und gesinnungslos zeigte sich ein nicht geringer anderer Teil dieses im allgemeinen doch eben stark degenerierten Volkes. Die Kunde, die er soeben empfing, überraschte ihn jedoch, da sie ganz unerwartet kam und die Verschworenen der Friedenspartei rasch und vorsichtig zu Werke gegangen waren ... »Mashallah,« sagte er, sich den Bart streichend, »ich habe wichtige Nachrichten für das Ohr meiner Freunde; die Teufel von Anhängern der Moskows sind nicht müßig und wollen uns zuvorkommen. Die Griechen im Fanarioten-Quartier und in Demetri werden auf morgen zusammenberufen und sollen sich auf dem Okmeidan versammeln. Ihre Zahl ist groß, und wir wissen nicht, was sie vorhaben.«

Die Nachricht war von Wichtigkeit. Dem Scharfsinn des Briten und der bedächtigen Schlauheit der Orientalen konnte es nicht verborgen bleiben, daß die Bewegung der griechischen Bevölkerung bestimmt war, die Maßregeln der Friedenspartei zu unterstützen, und daß eine offene Demonstration zugunsten Rußlands in der Hauptstadt bei den schlimmen Nachrichten, die täglich aus den rumelischen Provinzen über die Stimmung der Bevölkerung eingingen, die Geneigtheit des Großherrn zum Friedensschluß verstärken mußte ... »Ich sehe keine Gefahr,« sagte der englische Sekretär, sich zum erstenmal in die Beratung einmischend, »wenn rasch gehandelt wird. Was auch der Diwan morgen beschließen möge, die Sitzung des Ministerkonseils wird allein die Entscheidung geben. Man möge dieselbe nicht im Palast von Tschiragan oder in der Pforte halten, sondern im Seraskiat. Ich kenne Seine Hoheit den Seraskier zu gut, um nicht zu wissen, daß hier die Entscheidung nach seinen Wünschen ausfallen wird.« – Der funkelnde Blick des Kriegsministers gab ihm die Versicherung ... »Unserm Freunde Hayreddin-Pascha wird es leicht sein, die Griechen einzuschüchtern und ihre Aufmerksamkeit nach einer andern Richtung zu leiten. Er wird nicht ohne Freunde sein unter der griechischen Bevölkerung.« – Hayreddin machte das Zeichen der Zustimmung ... »Wenn man die griechische Bewegung auf das Ufer jenseits des Goldenen Horns beschränkt, werden die Moslems die Herren in Stambul bleiben. Es liegen vier unserer Kriegsschiffe vor der Stadt; die Gesandten werden noch einige andere von Beykos kommen lassen. Das Geschwader wird stark genug sein, um nötigenfalls die Auflehnung nach jeder Richtung hin in Schranken zu halten.«

Die türkischen Minister schauten einander an; sie begriffen sehr wohl, was der Brite mit dem Ausdruck »nach jeder Richtung« meinte. – »Allah sende ihnen Unglück!« meinte der Polizeiminister; »ich habe Nachricht erhalten, wo meine Leute zwei von ihnen finden können; wir werden nicht säumen, solange der Kopf auf unsern Schultern sitzt. Auf meine Gefahr komme es!«

Der Engländer entfernte sich hierauf. Eine Stunde später schieden auch die andern Mitglieder, und Hayreddin-Pascha kehrte in seine Behausung unfern der Hohen Pforte zurück. Dort erteilte er einige Befehle. Dann verließ er, in einen weiten kurdischen Mantel gehüllt und nur von einem neben seinem Pferde hergehenden Diener begleitet, aufs neue das Haus. Sein Weg führte zur Moschee der Sultana Walide, der nächsten an der Brücke von Galata. Hinter derselben, nach dem großen Bazar zu, findet sich ein freier, mit Platanen besetzter Platz, an dessen Zugang der türkische Minister vom Pferde stieg, das er der Obhut seines Dieners anvertraute. Als vorsichtiger Mann überzeugte er sich, daß der Griff zweier Pistolen unter dem Mantel zur Hand war; die Kapuze über den Kopf ziehend, betrat er den Platz und schritt auf die Terrasse der Moschee zu. Auf den oberen Stufen des Rundganges, im Schatten der hohen Mauern, fand er zwei Personen, die auf ihn warteten: den Khawaß-Aga, den er mit einem Auftrage aus dem Seraskiat abgesandt, und einen fremden Mann, den der Leser als Kahvedschi aus dem Malthesergäßchen in Galata wiedererkannt haben würde, in dessen Hause Fuad-Effendi vor etwa zwei Monaten den ungarischen General aufgesucht hatte. Der Pascha flüsterte seinem Untergebenen einen Befehl zu, worauf dieser, die Hand am Säbel, in einige Entfernung zurücktrat, so daß er das Gespräch nicht hören konnte. Dann ließ sich der Pascha auf der Balustrade des Aufgangs nieder und winkte dem Mann, heranzutreten ...

»Du bist Demetrio, der Kahvedschi aus der Malthesergasse?« fragte er. – »Wie Euer Exzellenz befehlen.« – »Vor drei Tagen sind in deinem Hause zwei Matrosen von den Schiffen der Ungläubigen ermordet worden?« – »Bei der Seele meines Vaters!« schwor der Grieche, »Ihr seid falsch berichtet, Effendi. Ich weiß von keiner solchen Tat.« – »Willst du mir in den Bart speien, ungläubiger Hund?« zürnte der Pascha; »ich kenne dich und dein Haus; es ich das berüchtigtste von ganz Stambul, und meiner Nachsicht hast du es zu danken, daß die Mordgrube geduldet wird. Aber tue deine Augen auf, Mann, und höre, was ich dir zu sagen habe. Die Inglis sind eine Nation, die nicht mit sich spielen lassen, und bei der ersten neuen Klage werde ich dir den Kopf vor die Füße legen.« – »Ihr seid der Herr, was kann ich tun?« winselte der Grieche. »Es gibt viele schlimme Häuser diesseits des Horns, und es fehlt nicht an Räubern und Mördern in Konstantinopel. Wie soll ich verhindern, daß ein Franke beraubt oder erschlagen wird?« – »Bosch! was geht's mich an? In deinem Hause sind die Matrosen ermordet worden, ich habe den Beweis und schicke dich vor den Kadi, wenn du nicht tust, was ich dir befehle.«

Der Grieche spitzte die Ohren ... »Ich küsse den Staub Eurer Exzellenz. Ich bin der Sklave Ihres Wortes.« – »Wieviel Männer zählst du in diesem Augenblicke zu deiner Bande?« – »Euer Exzellenz sind im Irrtum ...« – »Schurke, antworte!« – »Wenn Euer Exzellenz es nicht anders wollen,« sagte entschlossen der Mann, »es sind sechsundzwanzig.« – »Und wieviel vermagst du bis morgen abend zusammenzubringen?« – »Mindestens zweihundert.« – »Das genügt. – Es wird morgen eine Versammlung von Griechen auf dem Okmeidan stattfinden.« – »Ich habe davon gehört.« – »Wohl! laß deine Freunde sich nicht in die Sache mischen und ihre Hand fern davon halten. Ich habe andere Arbeit für dich und deine Freunde.« – »Exzellenz, wir werden gehorchen.« – »Du weißt in der Manariotenstadt Bescheid.« – »Ich bin dort geboren.« – »Du wirst Sorge tragen, daß morgen abend um die zweite Stunde eine Feuersbrunst in dem Quartier entsteht ... Kennst du das Haus des Fanarioten Geurgios?« – »Ja, Effendi.« – »Gut. Wenn der Lärm am größten ist, wirst du mit einigen Gefährten in das Haus dringen. In dem oberen Gemach nach der Wasserseite sollen sich zwei Personen verborgen halten. Es wird gut sein für dich, wenn ich nicht mehr von ihnen höre.« – »Es soll geschehen, wie Ihr befohlen, Effendi.« – »Inshallah, ich habe nichts dawider, wenn ihr auch einige Häuser dieser Schurken von Fanarioten plündert, aber es muß ein Ende haben. Du verstehst mich!« – Der Kaffeewirt lachte ... »Lassen Eure Exzellenz uns machen. Gibt es nichts für uns zu tun in den Quartieren jenseit des Horns?« – »Unter den Schweinen seid ihr Griechen die klügsten. Ich erlaube euch, in Demetri und Kassim-Pascha ein paar Häuser zu plündern; aber, bei meinem Bart, ich lasse deine Eingeweide den Hunden vorwerfen, wenn ihr mehr tut als das und einen Brand in den Frankenstädten macht. Die Dschaurs dürfen nicht beleidigt werden.« – Der Kahvedschi verbeugte sich ... »Es ist ein böses Stück Arbeit,« sagte er, »was Ihr mir auftragt. Wer bezahlt uns dafür?« – »Sohn eines Hundes, was erfrechst du dich?« schnaubte der Pascha. »Ist es nicht genug, daß ich dein Leben schone, da ich in jedem Augenblick deinen Kopf zwischen deine Beine stellen lassen kann?« – »Exzellenz mögen ein mächtiger Mann sein,« sagte der Grieche demütig, »aber meine Gefährten sind nur mit Gold zu leiten.« – »Du wirst hundert Ghazis erhalten übermorgen auf dieser Stelle und zu dieser Stunde, wenn du deinen Auftrag gut erfüllt hast. So wahr ich ein Muselmann bin. Geh'!« – Der Grieche, zugleich Bandit und Räuber, unbedingt dem Worte des Moslems vertrauend, entfernte sich.

*

Um 11 Uhr vormittags am nächsten Tage begann die Diwansitzung im Palast der Hohen Pforte, in der beide Parteien zum letzten Kampf gerüstet schienen. Bereits am Morgen war dem Seraskier die Absetzung Mehemed Ruschdis vom Kommando der Garden und der Befehl zugegangen, seinen Nachfolger einzuführen: Mehemed Ali verzögerte jedoch unter dem Vorwande überhäufter Geschäfte die Ausführung der Order. Für Hayreddin-Pascha war unglücklicherweise der abwesende Arif-Pascha zum Nachfolger ernannt, so daß er bis zum Eintreffen desselben sein Amt behalten mußte. Bereits bei Beginn des Diwans begannen die Griechen des Fanarioten -Quartiers und der Vorstädte St. Demetri und Ejub, nach den ausgegebenen Orders, auf dem Okmeidan, dem Pfeilplatz, auf der Frankenseite des Horns, in Gruppen sich zu versammeln. Es war jetzt unter ihnen kein Geheimnis mehr, daß nach dem Siege im Rat ein großer Zug zum Palast des Sultans stattfinden sollte, um von ihm die Ausführung des Diwanbeschlusses und den Frieden mit Rußland zu verlangen. Die Masse der Bittsteller soll dieser Demonstration ein drohendes Gewicht geben. Im Diwan wurde die Beratung stürmisch. Da Redschid-Pascha die bestimmtesten Weisungen erhalten hatte, konnte er nicht anders, als sich der Partei des Großwessirs und Chosrews anschließen und für den Frieden reden, und da das Gold und die Versprechungen Halils ihre Wirkung taten, ergab sich für die Einleitung der Friedensverhandlungen auf Grund der Note der vier Großmächte eine bedeutende Majorität. Nur die Ulemas mit dem Scheik ül Islam an ihrer Spitze und die persönlichen Freunde und Vertrauten des Kriegsministers stimmten dagegen und verließen sofort mit all ihren Anhängern den Diwan, um sich nach der Aja-Sophia zu begeben. Dies war nachmittags fünf Uhr.

Eine Menge Volks hatte sich um den Palast der Hohen Pforte versammelt, und wie ein Lauffeuer drang die Kunde durch die weite Stadt. Die ausgestellten Boten brachten die Nachricht nach dem Okmeidan als das Signal zur Demonstration. Ihr Gang war offenbar vorher genau bestimmt. Die Menge, die sich aus den griechischen Quartieren hier versammelt hatte, belief sich auf mehr als zwanzigtausend Menschen und behauptete den Platz und seine Umgebungen trotz des stürmischen Wetters, das bereits den ganzen Tag über getobt hatte. Unter dem Grollen des Donners und dem Leuchten der Blitze, – eine in Konstantinopel in dieser Jahreszeit sehr ungewöhnliche Erscheinung – begann der Zug sich zu ordnen, der noch an demselben Abend seinen Weg nach Tschiragan nehmen und eine Bittschrift an den Sultan übergeben sollte. Da erst verbreitete sich die Nachricht von der Gegendemonstration, die die türkische Bevölkerung auf der andern Seite des Horns in Stambul vorbereitete, und erregte schon durch ihre Unbestimmtheit großen Schrecken unter den Griechen.

Der Scheik ül Islam mit dem Kriegsminister und seinen Anhängern hatten sich, wie bereits erwähnt, in die Aja-Sophia begeben. Zu gleicher Zeit versammelten sich die Softas, die Studenten der türkischen Theologie und Rechtswissenschaft, deren Zahl in Konstantinopel über dreitausend beträgt, in der Moschee des Sultans Achmed am Hippodrom. Einen dritten, noch gefährlicheren Herd der Bewegung bildete die Mahmudje, wie die Moschee Sultan Mahmuds II., des Eroberers von Konstantinopel, heißt. Sie steht in der Nähe des Fanarioten-Quartiers, auf der Stelle, wo einst die Kirche der heiligen Apostel, einer der schönsten Tempel des christlichen Byzanz, prangte. In ihren Totengrüsten ruhten von Konstantin an die Gebeine der meisten morgenländischen Kaiser in kostbaren Sarkophagen, bis die Lateiner unter Balduin und Dandolo sie der heiligen Stätte entrissen. Diese Moschee mit ihren Säulengängen und Vorhöfen ist die Hochschule der Softas und hat für diese in ihren Anbauten über 360 Zellen. Von hier aus war die Masse zwar zur Moschee des Sultans Achmed gezogen, dagegen eine Anzahl vertrauter Schüler zurückgeblieben, um die sich versammelnde Bevölkerung der inneren Stadtteile zu bearbeiten und mit der erregten Masse die griechischen Quartiere zu bedrohen.

Die drei Sammelpunkte des Aufruhrs standen durch Boten fortwährend in Verbindung. Die Masse in der Mahmudje und aus dem Atmeidan oder Hippodrom schwoll fortwährend. Dieser Platz des Kaisers Severus, einst die Schaubühne der Rennen und Spiele, durch berühmte Kunstwerke geschmückt, ist jetzt eine elende Stätte von kaum noch 250 Schritten Länge und 150 Breite, während er im Altertum wohl viermal so groß war. Aber welche Taten und Geschicke hat dieser Platz gesehen! welche Ströme von Blut hat er getrunken! Alle Revolutionen des alten und neuen Byzanz sind von ihm ausgegangen. Und auch heute öffneten sich seine Pforten, und von den Treppen und Terrassen hielten die Softas feurige Reden. Überall unter der Menge tauchte zugleich der Turban der Janitscharen auf, das grüne Band, ihr gefürchtetes Wahrzeichen, flatterte, vom Sturm gepeitscht, über den Köpfen der Menge. Der Ruf nach Krieg mit den Dschaurs, nach Entfaltung der Fahne von Mekka, nach Absetzung des Sultans, scholl aus hundert Kehlen, und die Menge heulte es nach, und der Name Abdul-Aziz, als des neuen Padischahs, klang schon, trotz der Beteuerungen der Minister gegen Master Alison, tausendfach in die drohende Gewitternacht. –

Vor Tophana lagen zwei Schiffe der vereinigten Flotten, die »Queen« von 120 Kanonen und der Zweidecker »London«, ihre gähnenden Breitseiten gegen die Stadt gerichtet. In den Docks von Thersana lag, außer einer preußischen Korvette, die durch einen unglücklichen Zusammenstoß im Bosporus beschädigt worden, die englische Fregatte »Tiger« zur Reparatur. Sie war bei der Einfahrt ins Marmormeer auf einen verborgenen Fels gestoßen und hatte ein starkes Leck erhalten. Eine Menge Offiziere und Matrosen des bei Beykos und Bujukdere ankernden Geschwaders befanden sich außerdem auf Urlaub in Konstantinopel. Am Vormittage hatte die Fregatte »Tiger« zwei Boote nach dem Ufer der Fanariotenstadt gesandt, um aus einem der dort befindlichen griechischen Magazine Schiffsvorräte in Empfang zu nehmen. Während Deckmeister Adams mit den Matrosen die Gegenstände abnahm und verlud, trieben sich die beiden, den Booten beigegebenen Midshipmen, Frank Maubridge und Gosset, in der Umgebung der Magazine umher oder streiften neugierig durch die Gassen. Frank, ein hochaufgeschossener Bursche, der, obschon erst 17 Jahre, doch bereits durch das Seeleben ein männliches Aussehen hatte, zog in der Nähe des Wassers umher durch die engen Straßen und kleinen bis ans Horn laufenden Höfe. Es war Mittagszeit und der Stadtteil bereits öde und verlassen, denn alle, die nicht Geschäfte zurückhielten, zogen sich nach dem Okmeidan, und die Kaïks kreuzten mit Zuströmenden fortwährend über die Meeresfläche.

Ein griechisches Haus, größer als die anderen und nahe dem Wasser, war dem jungen Manne schon am Morgen aufgefallen, Tür und Jalousien waren verschlossen; aber als er aufmerksam umherspähte, um womöglich etwas von den interessanten Geheimnissen der Frauengemächer zu erlauschen, öffnete sich wirklich eine der Jalousien, und ein junges Weib in reicher Tracht von wunderbarer und verführerischer Schönheit schaute heraus, – Nausikaa, die Odaliske. Während sie am Morgen noch im träumenden Schlummer auf den Kissen ruhte, hatte Gregor Caraiskakis betäubt, unzufrieden mit sich selbst und dennoch von Glück und Liebe berauscht, das Gemach verlassen und seinen Wirt aufgesucht, der zwar in der Nacht zurückgekehrt war, aber von den Anstrengungen des Abends noch stark ermüdet war und schlief. Als derselbe endlich erwachte, gab er Gregor Nachricht vom Baron, der ihn eiligst zu sprechen wünschte. Der Wirt warf Gregor einen weiten Armeniermantel über und führte ihn in dieser Verkleidung zu dem geheimen Agenten, der sich über das Wiedersehen aufrichtig freute. Er war bereits durch Geurgios über die Ereignisse bei der Flucht des Griechen von der türkischen Fregatte unterrichtet, und seine Kombination hatte ihm gezeigt, daß die Fremde die durch den Zorn des Sultans aus dem Harem entfernte Odaliske sein müsse, wenn er auch das Rätsel nicht lösen konnte, wie die Stummen des Kislar-Aga dazu gekommen waren, die offenbar dem Tode Geweihte dem fremden Boote zu übergeben. Es war jedoch keine Zeit, sich jetzt mit der Lösung dieser Frage zu beschäftigen, und da es ihm wichtig schien, das Mädchen selbst zu sprechen, um von ihr vielleicht über die Anschläge der Sultana weitere Auskunft zu erhalten, wurde beschlossen, daß sie vorläufig noch in dem Hause des Fanarioten verborgen bleiben, und daß erst später über ihr weiteres Schicksal entschieden werden solle. Während also Caraiskakis bei dem Baron blieb, kehrte Geurgios nach dem Fanar zurück und machte seiner schönen Gefangenen die Mitteilung, daß sie um ihrer aller Sicherheit willen an ihrem jetzigen Zufluchtsorte verborgen bleiben müsse. Er versorgte sie mit allen Bedürfnissen reichlich und schloß sie dann aufs neue ein. Dem leichtsinnigen, eitlen Mädchen, das die Todesangst des vorigen Abends längst überwunden, war die Gefangenschaft und Einsamkeit wenig willkommen, und je länger sie dauerte, um so drückender wurde sie ihr. Geurgios hatte ihr beim Fortgehen noch gesagt, daß ihr neuer Beschützer vor dem späten Abend nicht zurückkehren werde, und die Langeweile und das Bedürfnis der Zerstreuung trieb sie daher an die Jalousien, die nach dem Horn und nach einer einsamen, von Mauern gebildeten Gasse zeigten. Hier hatte sie schon am Vormittag die umherstreifenden englischen Midshipmen bemerkt, und als sie am Mittag aufs neue Frank gewahrte, konnte sie die Eitelkeit und Lust der Intrigue nicht unterdrücken und zeigte sich ihm an den geöffneten Jalousien ... Entzückt von so viel Reizen, blieb der junge Mann stehen ... »Schöne Dame,« sagte er galant und mit allem Aufwand orientalischer Poesie, dessen er fähig war, »der Strahl der Sonne ist nichts im Vergleich mit deinen glänzenden Augen; deine Lippen sind wie aufgeblühte Rosen und ich bringe dir meine Huldigung.« – Das Mädchen lachte, obschon sie von der unsinnigen Begrüßung nichts verstanden hatte, machte ihm durch Zeichen deutlich, daß sie von seinem Englisch nichts begriffe, und fragte in der lingua franca, ob er diese oder Griechisch verstehe. Wenn auch weniger geschickt und manierlich als in seiner Muttersprache, wiederholte nun der wackere Frank sein Kompliment in dem Mischmasch von Sprache, das im Orient diesen Namen führt.

»Wer bist du?« fragte die Odaliske. – »Der Teufel soll den »Tiger« holen, das alte Rattennest!« sagte Frank wohlgefällig, »wenn ich nicht einer seiner Offiziere bin. Jedenfalls aber, schöne Dame, bin ich britischer Gentleman.« – »Bist du reich?« lautete die weitere Frage. – Der Midshipman fand sich durch den Zweifel gekränkt, und um den britischen Ruf zu wahren, griff er in die Tasche und konnte, da die Güte seines Bruders ihn noch am Tage vorher reichlich versehen, eine stattliche Handvoll Sovereigns und Kronenstücke der Schönen produzieren. – »Wenn du ein Franke bist und reich und ein Offizier,« sagte mit einem überaus zärtlichen Blick die Kokette, »so möchte ich wohl mit dir entfliehen. Du würdest mich beschützen, nicht wahr?« – »Potz Haifisch,« murmelte der junge Mann, »das geht ja rasch hierzulande. Wer bist du denn eigentlich, schöne Dame?« fragte er. – »Ich heiße Nausikaa und bin Odaliske des Großherrn,« erzählte die leichtsinnige Schöne. »Aber ich bin hier Gefangene, und wer weiß, welches Leid mir noch geschieht. Wenn du mich retten willst, so werde ich dein Glück machen. Du gefällst mir, und ich habe immer gehört, daß die Inglis alles in diesem Lande tun dürfen, was die Türken nicht wagen.«

Eine Odaliske des Großherrn! – Der Gedanke verwirrte vollends das ohnehin von abenteuerlichen Bildern und Unfug strotzende Gehirn des Mids, und er beschloß auf alle Gefahr hin, den Ritter bei der Schönen zu spielen ... – »Wenn du mich lieben kannst, reizende Sultana,« sagte er emphatisch, »so soll ich gekielholt werden, wenn ich nicht Blut und Leben für deine Befreiung dransetze. Sage mir nur, wie es zu machen ist, denn der Teufel soll mich holen, wenn ich es weiß.« – Nausikaa, die an der Bekanntschaft großen Gefallen fand, und ihrer Reize gewiß, über ihre Zukunft wenig Besorgnis hegte, war mit den Vorschlägen gleich bei der Hand ... »Kannst du des Abends, im Dunkel um die dritte Stunde, wieder unter meinem Fenster sein, schöner Offizier?«

Der Midshipman schnitt ein Gesicht; er wußte nur zu gut, daß es auf rechtem Wege nicht möglich war, aber die Benennung »schöner Offizier« war zu unwiderstehlich, und da ein Mid selten um eine Lüge oder um eine Prahlerei verlegen ist, bejahte er dreist die Frage und verständigte sich dann mit der Schönen über den Unterschied der Schiffsglocken und der griechischen Zeitrechnung. – »Ich werde an diesem Fenster ein Tuch aushängen, wenn ich allein bin. Dann gib mir ein Zeichen, indem du dreimal in die Hände klatschest, und ich werde die Jalousien öffnen. Hast du ein Mittel, mir herauszuhelfen?« – »Zum Henker,« sagte Frank, »wofür gäbe es denn Strickleitern in der Welt?« – »Gut. Geh jetzt, damit wir nicht Verdacht erregen. Lebe wohl, schöner Franke, ich zähle auf dich!« – »Gott verdamm' meine Augen!« schwor der würdige Midshipmen auf englisch, indem er die Hand beteuernd aufs Herz legte – »heute abend bin ich zur Stelle und entführe Euch, schöne Miß!«

»Den Teufel werdet Ihr tun!« sagte eine grobe Stimme neben ihm. »Mids Schwüre sind keinen Penny wert, und Ihr tätet besser, Master Frank, Ihr machtet Euch zu den Booten, um die Rechnung abzuschließen, statt hier dem ungläubigen Weibsvolk nachspüren.« Mit einem leichten Schrei flog die schöne Odaliske vom Fenster und schlug die Jalousien zu, Master Frank aber wandte sich ärgerlich zu dem alten Adams, der in aller Seelenruhe eines britischen Matrosen vor ihm stand und mit dem einen Auge ihn, mit dem anderen das Fenster anschaute, in welchem das schöne Mädchen verschwunden war. »Die Haifische sollen meinen Leichnam bekommen,« sagte der würdige Deckmeister, »wenn ich nicht geglaubt habe, Ihr würdet meiner Erziehung mehr Ehre machen, als der Baronet, Euer Bruder, aber ich seh', aus Eurem Geschlecht ist einer so toll wie der andere. Der Unterrock ist eine böse Flagge, Master Frank, und vollends in diesem Lande, wie ich mir habe sagen lassen.« – »Laß mich zufrieden mit deinen Predigten, altes Seeungetüm,« erwiderte ärgerlich der Midshipman, indem er bemüht war, den unwillkommenen Aufpasser von dem Platze fort zu manövrieren. »Was zum Henker, bringt dich in mein Kielwasser?« – »Es tut mir leid,« meinte der Ältere, indem er seinen Zögling durch die Gassen und Gäßchen, auf die er ein scharfes Auge gerichtet hielt, zu dem Magazin zurückgeleitete, »daß Ihr diesmal mein vorgesetzter Offizier seid. Als solchem hab' ich Euch zu rapportieren, daß die Ladung vollständig ist, und daß Meister Gosset nur auf Euch wartet, um dem Kaufmann zu quittieren und abzustoßen. Der junge Halunke wollte Euch selbst aufsuchen, aber dann hätten wir wahrscheinlich das Nachschauen nach zweien gehabt.«

Frank antwortete nicht auf die höflichen Redensarten des Deckmeisters, um die er sich herzlich wenig kümmerte, und brütete über andere Dinge. So kamen sie zum Magazin, wo Gosset den Kameraden mit einigen solennen Verwünschungen über sein langes Ausbleiben empfing, wegen dessen sie wahrscheinlich des warmen Mittagessens an Bord verlustig gehen würden. Nachdem die Rechnungen des Kaufmanns unterschrieben waren, begab sich die Gesellschaft in die Boote, und zum Ärger des argwöhnischen alten Matrosen wußte Frank es einzurichten, daß er mit seinem Kameraden im zweiten Boote saß. Der Verdacht des würdigen Deckmeisters steigerte sich noch, als er sah, wie die beiden jungen Herren eifrig die Köpfe zusammensteckten. Er witterte Unheil, wie eine Möwe den Sturm, sah sich aber außer stande, es zu verhindern. Das nächste und wichtigste für die beiden Mids, die sogleich eines Sinnes waren, musste natürlich sein, wie sie von dem Schiffe fortkommen sollten; und Frank übernahm es, sich damit zu befassen, während Gosset versprach, ein paar Schiffspistolen und Munition beiseite zu schmuggeln. Beide wußten recht gut, daß die scharfen Augen des alten Deckmeisters auf sie gerichtet waren und daß sie vor allen Dingen ihn täuschen mußten, damit er ihnen nicht einen Querstrich durch die Rechnung mache. Sie ließen deshalb näher zum andern Boot hinanlegen und begannen eine gleichgültige Unterhaltung, bis sie an den Docks des Arsenals landeten, an deren äußerm Eingang die Fregatte bereits ausgebessert lag. Während der erste Leutnant die Rechnungen abnahm und der Deckmeister die Ladung an Bord brachte, gelang es Frank, der auf der Lauer lag, an den Kapitän zu kommen, der als alter Seewolf es verschmäht hatte, auf dem Lande sein Quartier zu nehmen. Der Midshipman brachte bescheiden sein Gesuch vor um Urlaub für sich und Gosset für den Abend und die Nacht unter dem Vorwande, daß sein Bruder, der Baronet, sie in das Hotel d'Angleterre zu sich eingeladen habe; und da der Kapitän zufällig wußte, daß Frank einige Zeilen von seinem Bruder erhalten hatte, gab er dem ersten Leutnant Anweisung, sie zu beurlauben.

Die beiden Mids ließen sich von einem Kaïschki nach Galata hinüber fahren und schlugen dort in einem Kaffeehause ihr Quartier auf. Sie bemerkten wohl, daß eine große Bewegung und Unruhe unter der Bevölkerung herrschte, kümmerten sich aber herzlich wenig darum, sondern berieten, wie sie die Affäre, die sie vorhatten, am besten in die Wege leiteten. Da Master Frank von den Affären seines Bruders, des Baronets, in Smyrna hatte munkeln hören, meinte er, sich am besten danach zu richten, wie es dieser gemacht hatte; und so meinte er, es sei das notwendigste, zuerst eine abgelegene Wohnung in irgend einem fernen Quartier zu suchen, wohin man die Schöne abends bringen könne, um dann dort zusammen mit ihr den weiteren Fluchtplan zu beraten. Inzwischen machten es sich die abenteuerlustigen Midshipmen in einem oberen Gemach des Kaffeehauses bequem. Dort müssen wir sie einige Augenblicke verlassen, um uns wieder nach den politischen Ereignissen des Tages umzusehen.

Als Caraiskakis in der Wohnung des Barons beschäftigt war, erschien ein türkischer Soldat, der diesen sprechen wollte, und zwar derselbe, dem Gregor hauptsächlich seine Befreiung durch den Baron zu danken hatte. Der junge Grieche war sehr erfreut, den früheren Gefangenen hier wiederzufinden, zumal er sich, einen Mannschafts-Urlaub benutzend, bei dem Baron nach ihm erkundigen wollte. Er erzählte Caraiskakis, daß am Vormittag der Engländer wieder an Bord gekommen und sehr erstaunt gewesen sei, ihn nicht mehr dort zu finden. Dabei kam es nun heraus, daß er auf einen Gegendienst von seiten Gregors hoffte: er beabsichtigte nämlich zu desertieren, da ihm der Dienst, zu welchem er gepreßt worden, täglich unerträglicher wurde. Mit Erstaunen über die seltsame Fügung des Schicksals entnahm nun Caraiskakis aus der Erzählung des armen Soldaten, daß er kein anderer war als Vaso, der erwählte Eidam seines treuen Freundes und Schützers Janos, der Bräutigam Nausikaas, der durch den Musselim von Tschardak unter die Redifs gesteckt und später zum Schiffssoldaten gepreßt worden war. Weinend umfaßte der junge Mann seine Knie, als er hörte, daß der Mann, dem er in seiner Gefangenschaft freundliches Wohlwollen bewiesen, ein Freund seines Schwiegervaters sei und sein Unglück bereits kannte. Gregor, dessen Teilnahme durch diese Entdeckung natürlich verdoppelt wurde, versprach dem Soldaten, ihm auf alle Weise zu seiner Flucht behilflich zu sein. Da er es für das beste hielt, ihm nichts von dem Geschehenen zu verschweigen, enthüllte er dem Unglücklichen nach und nach auf seine stürmischen Fragen das ganze Unheil, das die Familie seit der Zeit ihrer gewaltsamen Trennung betroffen hatte. Die Augen des jungen Anatoliers funkelten vor Schmerz und Rachedurst, als er vernahm, daß seine Braut mit Gewalt hinweggerissen und ihr Geschick unbekannt war, daß Janos ihre und seine Schmach blutig an dem Musselim gerächt und eben so blutig geendet hatte, und ein gewisser Stolz kam ihm bei seinem Leide zur Hilfe in dem Gedanken, daß der berühmte Räuber, von dem er so viel gehört, ohne zu wissen, daß er ihm so nahe stand, der Mann war, der ihn zum Eidam gewählt hatte ... Caraiskakis suchte den jungen Landsmann zu beruhigen und versprach ihm, bei ihm bleiben und ihn in einigen Tagen auf dem Wege nach Norden begleiten zu wollen.

Als der Baron zurückkehrte, wurden rasch einige andere Kleider für den Burschen herbeigeschafft, und da bereits Nachricht eingegangen war, daß die Griechen sich auf dem Okmeidan versammelten, begaben sich alle drei dorthin ... Davon, daß die schöne Odaliske, in deren Armen er die Nacht geruht hatte, die geraubte Braut seines neuen Schützlings, die Tochter Janis war, von der jede Spur verloren gegangen schien, davon hatte Gregor Caraiskakis keine Ahnung ... Nehmen wir die Erzählung bei dem Zuge vom Okmeidan wieder auf.

Es war jetzt abends um die achte Stunde, und die Nacht zu dieser Jahreszeit bereits eingetreten. Die Blitze zuckten am Horizont, und der ferne Donner grollte über die Marmara, der heftige, sturmartige Wind aber jagte die Wellen ins Horn und peitschte die Fahnen des langen Zuges, welcher vom Pfeilplatz aus sich durch Cassim-Pascha und hinter den großen Begräbnisplätzen fort nach der Straße wenden sollte, die am Ufer von Tschiragan hinunterführt. Die Natur selbst schien sich gegen die Demonstration der Griechen verschworen zu haben, und von verschiedenen Seiten war bereits der Vorschlag gemacht worden, den Zug auf den andern Morgen zu verschieben. Indessen sollten alle Bemühungen nach dieser Richtung hin fruchtlos sein. Aber als die Spitze der Kolonne bis zur Höhe von Cassim-Pascha in der Nähe der Artillerie-Kaserne, von wo ein freier Blick durch die Berghänge sich nach dem gegenüberliegenden Stambul öffnet, emporgestiegen war, brach auf einmal ein wilder Schrei des Schreckens aus hundert Kehlen und verbreitete sich durch die lang dahin gedehnte Volksmasse. Vom Feuerturm des Seraskiats erglänzte nämlich das rote, eine Feuersbrunst verkündende Licht, und deutlich konnte man von der Höhe des Berges schauen, wie in dem Griechen-Quartier, in der Nähe der Karagumruk-Moschee, deren schlanke Minarets deutlich im Flammenschein sichtbar waren, eine Feuerlohe in die Höhe stieg. Alsbald loderte eine zweite Feuersbrunst am Tore von Edrene in den finstern Nachthimmel empor, und das eilig heraufziehende Gewitter tobte mit langen Blitzstrahlen dazwischen. Die Verwirrung, der Schrecken war unbeschreiblich. An und für sich sind die Orientalen gegen die großartigen Kraftäußerungen der Natur, wie sehr sie auch daran gewöhnt sein sollten, höchst empfindlich. Der Glaube aber, daß ihre ewigen Feinde, die Moslems, die Gelegenheit der Abwesenheit so vieler Männer benutzen und, vom Fanatismus entflammt, mit Feuer und Handjar in ihre Quartiere einbrechen würden, verdoppelte diese Schrecknisse für die Griechen. Im Nu war der ganze Zug aufgelöst, die Fahnen und Laternen wurden fortgeworfen, und die ganze, noch immer mehrere Tausende betragende Menschenmasse stürzte sich in die engen Gassen, die hinunter zum Horn oder in die diesseitigen Griechen-Quartiere führen, schreiend, zeternd – in unbeschreiblicher Verwirrung, Kinder und Frauen zu Boden tretend – ein alles vor sich niederwerfender Sturm.

– Auch auf dem Horn war die Verwirrung schrecklich. Boote rannten aufeinander und wurden umgeschlagen, Menschen stürzten ins Wasser und plätscherten umher, einen Gegenstand zu erfassen, an dem sie sich retten konnten, – Geschrei, Verwünschungen, Zorn und Schrecken überall ... Die Führer der Friedenspartei hatten bei der plötzlichen Auflösung des Zuges den Kopf verloren. Nur wenige, darunter Caraiskakis und Geurgios, fanden sich zusammen und eilten zu dem geheimen Leiter des Ganzen, der sich natürlich von der offenen Teilnahme an dem Zuge ferngehalten hatte. Der kühne und umsichtige Geist des Barons hatte im Augenblick auch schon nach Mitteln gesucht, die so unerwartete Niederlage der versuchten Demonstration wenigstens noch in irgend einer Weise für seine Zwecke auszubeuten, und meinte sie darin finden zu sollen, daß er die Griechen zu einem offenen Widerstand mit den Waffen in der Hand ermunterte. Die Nachricht von einem Kampfe zwischen der christlichen und türkischen Bevölkerung der Hauptstadt mußte im ganzen Lande widerhallen und konnte zu allgemeinem Aufruhr führen: eine Sache, die von den russischen Agenten mit allen Mitteln angebahnt wurde.

Dem Baron mit seinen Begleitern gelang es, am Ufer von Galata die Barke eines Kauffahrers zu finden. Sie warfen sich selbst mit an die Ruder, und das Boot flog durch die dunkeln schäumenden Wellen nach der Fanariotenstadt. Als sie durch die zweite Brücke fuhren, kamen sie in das Gewühl der noch immer zum andern Ufern strömenden Menge. Mit Gewalt brachen sie sich Bahn durch die Kaïks, und das Boot, von Geurgios' Hand gelenkt, schoß in den Bootsschuppen seines Hauses. Geschrei, Angstgekreisch der Frauen, das Mordio der wilden Banden von Mördern und Mordbrennern, die durch die Straßen tobten, durchheulte die Luft. Gregors Herz schlug hoch erregt, indem er an die Gefahr der Odaliske dachte. Während die Freunde, überzeugt, daß das Haus noch nicht gefährdet sei, sich in die nächsten Gassen warfen und die vorübereilenden Fanarioten zu sammeln suchten, um den Flammen Einhalt zu tun und den Moslems mit den Waffen in der Hand entgegenzutreten, übernahm es Caraiskakis, das Haus zu schützen. Während er im Dunkel vergeblich den Auf- und Eingang suchte, waren der Baron und Geurgios bereits verschwunden. Plötzlich erschreckte ihn das Hilfegeschrei von Frauen und der Ruf von Männern, die gegen die äußere Pforte tobten. Das Haus ward angegriffen, und wenige Augenblicke darauf sah er alles ringsumher im neuen Feuerschein eines nahen Gebäudes erhellt. Endlich hatte er den Eingang zum Hause gefunden, stieß die schwache Tür nieder und stürmte in das Innere; Vaso, der bei ihm zurückgeblieben war, hinter ihm her.

Inzwischen hatte Master Frank mit seinem Busenfreunde Gosset verschiedene Tassen Kaffee und Liköre vertilgt und durch einige Pfeifen des duftenden Tabaks von Latakiah den Zustand ihres Gehirns wahrlich nicht klarer gemacht. Immerhin war Frank noch soweit Herr seiner Sinne, um als echter Seemann das Wetter zu prüfen, ehe er sich auf seine ehrenwerte Unternehmung einließ. – »Wir werden eine verteufelt schlechte Fahrt haben,« meinte er, »und unsere Sultanin wird mit einigem Spritzwasser eingeweicht werden. Der Wind stürmt, und überall stehen Gewitter. Man weiß in diesem verteufelten Lande nie, wie man dran ist. Auf, Gosset, du Faulpelz! Wir müssen an Bord unserer Jolle.« – Mit einigen Püffen wurde der Jüngere mobil gemacht. Beide eilten nun ans Ufer, wo sie an der bestimmten Stelle die bestellte Barke in Empfang nahmen. Die beiden Jünglinge, die es für besser hielten, bei solchem Unternehmen keinen Bootsführer ins Vertrauen zu ziehen, arbeiteten sich bald in den freien Strom; die Arbeit und das Spritzwasser ernüchterten sie schnell, so daß sie in bester Beschaffenheit am Ufer der Fanariotenstadt ankamen. Dagegen ward es ihnen nicht leicht, eine passende Landungsstelle und das Haus, worin die Odaliske eingeschlossen war, aufzufinden, und es verging eine geraume Zeit, bis sie die Straße wieder erreichten. Endlich glaubten sie auf der richtigen Spur zu sein, denn an einer der Jalousien peitschte wirklich der Wind ein angeknotetes Tuch. Rasch gab Frank das Zeichen, und die Odaliske, die in der Langweiligkeit des Tages vor Ungeduld und übler Laune bald vergangen war, öffnete die Jalousien und zeigte sich an dem dunklen Fenster. In der Ferne vernahm man bereits den beginnenden Tumult.

»Schöne Sultanina, Perle aller orientalischen Frauen,« sagte der Mid in möglichst hochtrabendem Tone, »dein Ritter und Befreier ist mit seinem getreuen Schildknappen zur Stelle. Eine Strickleiter haben wir zwar nicht auftreiben können, aber tritt gütigst ein paar Augenblicke von diesem Fenster zurück, und ich werde sogleich ein Knotenseil hineinwerfen, das du oben festmachst und an dem ich dich in meinen Armen herabtragen werde.«

Gosset riß den Mund weit auf, als er diese zierlichen Reden seines Kameraden vernahm, und erhielt jetzt Weisung, den Strick hervorzulangen und dann auf der Straße auf Posten zu bleiben. Mit geschicktem Wurf schleuderte Frank das Ende des Taues, an dem ein Haken befestigt war, in das Fenster, und Nausikaa klammerte es fest, worauf der tapfere Mid mit der Behendigkeit eines Affen an dem Strick emporstieg und sich über die Brüstung ins Zimmer schwang ... »Der Teufel soll unsere besten Stengen holen und der Kapitän alle Tage sämtliche Mids mit echtem Portwein regalieren,« schwor er, »wenn ich Euch in dieser Kajüte sehen kann, so dunkel ist es darin ... Warum steckt Ihr keine Lampe oder kein Licht an, schöne Sultanin, damit ich wenigstens Eure Schönheit bewundern mag?« – Eine weiche Hand erfaßte die seine und drückte sie, worauf der Mid seinem Anspruch auf Männlichkeit nicht anders genügen zu können glaubte, als dadurch, daß er die Odaliske umfaßte und ihr einen herzhaften Kuß auf die Lippen drückte. Diese aber hatte jetzt andere Gedanken als leere Liebeständeleien, und wünschte vor allem, ihrem bisherigen Aufenthalte den Rücken zu kehren. »Hast du nichts vernommen, schöner Franke? – es scheint Tumult in der Stadt, das Feuerzeichen des Seraskiats leuchtet, ich fürchtete schon, du würdest nicht kommen.« – »Bah,« sagte der Midshipman, »was kümmert mich der Brand von ganz Stambul? ein Engländer hält sein Wort. Aber nun laßt uns keine Zeit versäumen, schöne Sultanin, nehmt Eure Sachen und vergeßt die Diamanten nicht, damit wir uns davonmachen können.« – Während die Odaliske, was des Mitnehmens wert und transportabel war, in ein Bündel zusammenband und Frank das Tau im Innern besser befestigte, hörte man plötzlich Lärm in der Straße, und im nächsten Augenblick erschien der Kopf, dann die schmächtige Gestalt des Midshipmans Gosset über der Fensterbrüstung und gleich darauf im Zimmer. – »Pest,« sagte der hoffnungsvolle Jüngling, sich den Angstschweiß von der Stirn wischend, »da draußen scheint der Boden für uns zu heiß zu werden, und ich wollte, alle Odalisken und Sultaninnen des Großherrn lägen auf dem Grunde des Bosporus und wir säßen bei Tee und Schiffszwieback in der Kajüte des »Tiger«. Es ist ein Mordslärm in der Stadt, Frank, Feuerschein ringsum, und eine Menge Leute rennen durch die Gassen, so daß mir nichts anders übrig blieb, als dir zu folgen.«

Frank bog sich vorsichtig zum Fenster hinaus und fand die Besorgnis seines Kameraden mehr als bestätigt. Das Licht der nahen Feuersbrunst erhellte die Umgebung des Hauses derart, daß an ein unbemerktes Entwischen aus dem Fenster vorläufig nicht zu denken war; Frank war im Gegenteil froh, daß er das Seil noch unbemerkt ins Fenster ziehen konnte. Auch im Hause wurde es jetzt laut; Personen rannten umher; die Tür wurde zu öffnen versucht, aber durch den Riegel, den die Odaliske vorgeschoben hatte, festgehalten. Den zweiten Ausgang nach Flur und Treppe hatte Geurgios von außen verschlossen.

Nausikaa war in Angst und Furcht und ratlos, und auch den beiden Midshipmen war nicht sonderlich wohl zu Mute; sahen sie sich doch, wie man zu sagen pflegt, in einer Mausefalle und konnten von Glück sagen, wenn sie mit nichts Schlimmerem als einer tüchtigen Tracht Schläge davonkamen. Nach kurzer Beratung kamen sie zu dem Resultat, daß es das beste für sie sei, an dem Orte, wo sie sich einmal befanden, die weitere Entwicklung der Dinge abzuwarten; während die Odaliske weinte und klagte, setzten sie ihre Waffen für alle Fälle in Bereitschaft und rekognoszierten durch Fenster und Schlüsselloch.

Es war bereits dunkel, als Baronet Edward Maubridge, um Neues über die Bewegungen in Konstantinopel zu hören, sich nach Tershana rudern ließ. Er gelangte eben an Bord des »Tiger«, als der Kapitän mit den anwesenden Offizieren auf dem Hinterdeck der Fregatte stand, um die auf dem andern Ufer in der Fanariotenstadt ausgebrochene erste Feuersbrunst zu beobachten, und wurde aufs freundlichste von allen bewillkommnet. – »Die Gesellschaft der jungen Bursche,« meinte der Kapitän, »scheint Ihnen nicht lange zugesagt zu haben. Sie haben sie aber hoffentlich untergebracht, damit sie nicht am Ende gar ihre Nase in den Krawall stecken und zu Schaden kommen.« »Ich verstehe nicht, was Sie meinen, Kapitän,« erwiderte der Baronet. »Wo ist Frank?« – »Nun, zum Teufel, wo soll er sein, als bei Ihnen! Er und Gosset, der junge Schlingel! Sie haben ihn doch eingeladen.«

Der Baronet sah ihn groß an ... »Ich verstehe kein Wort davon. Ich komme doch, um Sie und Frank zu besuchen, denn im Gesandtschaftshotel steht alles auf dem Kopf; kein Mensch hat Zeit zu einem vernünftigen Wort.« – »So soll das Wetter doch gleich in meinen besten Mast schlagen, wenn die jungen Halunken mich nicht gründlich belogen haben. Ihr Bruder, Sir, wies mir eine schriftliche Einladung von Ihnen vor und erbat sich deshalb für diese Nacht Urlaub.« – »Ich habe ja gar nicht daran gedacht. Aber wo mögen die vertrackten Bursche in diesem Gewühl hin sein? Es wird ihnen ein Unglück zustoßen!« – Der erste Leutnant erzählte jetzt, was er von Adams gehört, und der Deckmeister wurde eilig herbeigerufen. Was er aussagte, erweckte die ernstlichste Besorgnis beim Kapitän und beim Baronet. – »Wenn die Unbesonnenen sich in irgend einen tollen Streich eingelassen haben, wo Frauen ins Spiel kommen, dann sind sie verloren,« sagte der letztere; »kannst du den Ort wiederfinden, wo du den jungen Narren heute getroffen?« – »Hm,« meinte der Alte, »ich müßte kein Seemannsauge für eine Landmarke haben, wenn ich's nicht könnte! Diese Häuser hier sind zwar einander verteufelt ähnlich, aber ich witterte gleich Unheil und hab' mir den Kasten gemerkt.«

»Wollen Sie mir ein Boot geben, Kapitän, und ein paar zuverlässige Leute?« fragte kurz entschlossen der Baronet. – »Die sollen Sie haben, Edward, eine ganze Bootsmannschaft und ihren Offizier dazu. Den zweiten Kutter ins Wasser und die Leute bewaffnet hinein! Der Teufel scheint dort drüben los, denn ein Feuer nach dem andern geht in die Höhe. Ich mache mir Vorwürfe, daß ich die Burschen so leichtsinnig fortgelassen habe, da doch schon Tumult in der Stadt war. Fort, Jungens, sputet euch!« Der erste Leutnant trieb die Mannschaft an; ehe fünf Minuten vergangen, war der Kutter bereit, und die Matrosen sprangen hinein, mit Enterbeilen und Kurzsäbeln bewaffnet; der zweite Leutnant saß bereits im Boote. Maubridge, der eilig die Pistolen des Kapitäns geholt hatte, und der Deckmeister folgten ... »Abgestoßen!« – Die sechs Ruder tauchten in die Wellen, und das Boot schoß in das Dunkel des goldenen Horns. – –

Die Tür des Hauses, worin Geurgios wohnte, wich unter den Schlägen der Brecheisen in den Händen der Banditen Geronimos, und zu ihr herein stürzten die wilden Gestalten in das Innere. Ihr Mordio gellte durch das Haus hinter den flüchtenden, zeternden Weibern drein. – »Hinauf! ins Oberstock hinauf!« herrschte Hassan seinen Genossen zu. »Ihr wißt, was der Khawedschi uns aufgetragen. Zeit zum Plündern gibt's dann.« – Der Arnaut mit vier Gefährten sprang die enge Treppe hinauf; Schemel, Stühle, Tische, alles, was sich werfen ließ, flog ihnen entgegen und trieb sie zurück. – »Der Teufel soll euch aufs Leder fahren!« fluchte der wüste Mörder; »hinauf, ihr Memmen!« Und sein Pistolenschuß knallte die Treppe hinan, die bereits halb gefüllt war mit einer Barrikade von Möbeln und Kissen jeder Art. – »Gib's ihnen brav, Frank!« schrie der kleine Gosset, »immer die Vordersten! hörst du? und scharf aufs Korn genommen!« – Die Kugel des kecken Midshipman traf einen der Banditen in die Schulter, so daß er blutend und fluchend zurücktaumelte.

Während die beiden Engländer noch unentschlossen auf den Lärm am Eingang des Hauses gelauscht hatten und Nausikaa in Todesangst in einem Winkel des Gemaches auf den Knieen lag, bald christliche, bald türkische Gebete jammernd, flogen rasche Tritte von außen zur Tür, ein Schlüssel wurde ins Schloß gesteckt, und ehe an Widerstand noch zu denken war, die Tür aufgerissen, und Gregor Caraiskakis, gefolgt von Vaso, stürzte herein. Erstaunt und starr blieb er stehen, während die Odaliske sich Hilfe suchend in seinen Arm warf, denn der Schein der nahen Feuersbrunst erhellte jetzt genügend das Gemach und zeigte ihm die beiden jugendlichen Offiziere, mit den Pistolen in der Hand. – »Was soll das heißen? Wie kommen die Fremden hierher?« – Aber der Sturm draußen an der Haustür verschlang des Mädchens Antwort und die verlegene Ausrede der Engländer. – »Wenn Sie Männer von Herz und Ehre sind,« rief der Grieche, »so helfen Sie mir dies Haus und die Frauen darin gegen das mörderische Gesindel zu verteidigen, das den Eingang stürmt. Ich sehe, Sie sind bewaffnet. Lassen Sie uns die Treppe zum obern Stock halten!«

Ein Säbel, den er in einem der Gemächer gefunden, war seine einzige Waffe. Frank reichte ihm sogleich eine der Pistolen. Die schwere Gefahr hatte aller peinlichen Situation ein Ende gemacht, und die Aussicht auf den Kampf im Nu alle Torheit und allen Leichtsinn verscheucht. – »Vorwärts, Sir, ich helfe Ihnen. Gosset, lade die Pistolen und schütze unsere schöne Sultanin!« und eilig schleppte er die Möbel, die er ergreifen konnte, zur nahen Treppe, denn eben brach unten die Tür des Hauses unter den Händen der Banditen ... Aber die Odaliske hatte bereits einen andern Freund und Schützer gefunden. Aus weit aufgerissenen Augen hatte Vaso, der türkische Soldat, die ehemalige Braut einige Momente angestarrt, dann sprang er auf sie zu und riß sie gewaltsam in seine Arme ... »Nausikaa, Tochter Janis, bist du es wirklich, meine Braut, mein Weib? Du hier in Byzanz?«

Mit einem fast mit Entsetzen gemischten Erstaunen hatte Caraiskakis die Worte des Soldaten gehört, und ein Blick auf die Verwirrung des schönen Mädchens überzeugte ihn, daß Vaso die Wahrheit redete. Die Odaliske, die sein Herz und seine Sinne so zauberschnell umstrickt hatte, in deren Armen er die Nacht verschwelgt, – die Tochter Janis, dessen Haupt für ihn gefallen? Und mit dem Schimpf des Mädchens hatte er das blutige Opfer vergolten?! Seine Gedanken wirbelten, da rief ihn der Schuß des Banditen und die Stimme des Midshipman zu Bewußtsein und Pflicht zurück, und im nächsten Augenblick schleuderte er zusammen mit den Engländern die schweren Geräte nach den Angreifern ... »Hurrah für Alt-England!« schrie der kleine Mid, während er am Fenster das abgeschossene Pistol lud. »Drauf, Frank, und pfeffere sie tüchtig, ich muß auch einen Schuß auf sie tun!« Und sein Ruf fand ein Echo, denn aus der Gasse herauf donnerte es aus zehn Kehlen über den Lärm der Feuersbrunst und das Geschrei der Griechen: »Hurrah für Alt-England!« und die Matrosen des »Tiger«, von Adams und dem Baronet geführt, stürzten herbei und jubelten hoch auf, als sie die Stimme des Jünglings hörten. – »Hurra, Frank! brav gehalten! Es kommt Ersatz; unsere Tiger sind da, Adams und dein Bruder Baronet! Hierher, Männer! greift sie von vorn an und bringt die Halunken zwischen zwei Feuer!«

Aber es tat auch Not, daß Hilfe kam, denn wie Teufel, der Hölle entsprungen, stürmten die Banditen die Treppe, während ihre zahlreichen Kameraden sich bereits mit dem Volk auf dem Platze vor der Tür herumschlugen. – »Das Seil! das Seil!« rief der wackere Frank seinem jungen Kameraden zu. »Denk an das Seil, Gosset, und rette das Mädchen!« – Der kleine Mid hörte den Ruf seines Gefährten, und mit Vasos Hilfe schleppte er die halb ohnmächtige Nausikaa zum Fenster, schlang den Strick um sie und ließ sie hinabgleiten, wo die Arme des Baronets sie auffingen. Kaum war das Tau am Boden, so hatte es auch der alte Deckmeister erfaßt und schwang sich mit der Gewandtheit eines Seemannes, der im Sturm die Tauwand erklimmt, hinauf in das Gemach. Andere folgten ihm ... »Hurrah, Master Frank! Die Tiger sind da!«

Aber es war die höchste Zeit! Hassan voran, stürmten die Banditen des Khawedschi wie rasend die Treppe, über die Möbel und Gegenstände kletternd, mit denen Frank und Caraiskakis sie gefüllt hatten. Einen zweiten schoß der Grieche nieder, doch den beiden andern Kugeln wichen die Banditen aus, und zum Laden war keine Zeit mehr. Über die Barrikaden aus Tischen und Stühlen hinweg wurden sie handgemein, doch auch die schwache Schutzwehr riß die starke Faust der Stürmenden bald zur Seite, und ihre Handjars und Dolche klirrten gegen die Säbel und den Kurzdegen der Verteidiger. Gregor sprang zur Tür des Gemaches zurück und rief seinem tapfern jungen Gefährten, zu folgen; aber der Midshipman, von einem leichten Dolchstoß in die Seite getroffen, strauchelte und fiel, und im Augenblick war Hassan, der Arnaut, neben ihm und erhob den blinkenden Yatagan zum Todesstoß ... Frank war verloren! – Aber Caraiskakis hatte den Fall des jungen Mannes gesehen – im Nu sprang er mitten unter die Angreifer, und sein Säbel fing, zersplitternd am Gefäß, den schweren Yataganhieb auf. Dann den Griff dem Banditen ins Antlitz schmetternd, faßte er mit der Linken den Jüngling und suchte ihn fortzuschleppen. – »Brav gemacht, Mann! Heran, Jungens!« schrie eine Stimme hinter ihm, und der kräftige Schwung eines Enterbeils deckte den Griechen gegen die erhobenen Waffen seiner Bedränger. »Drauf auf die Schufte und gebt's ihnen!«

Der alte Deckmeister sprang in die Gruppe und half dem Midshipman empor, während die Banditen, erschrocken über diese unvermutete Hilfe, Hals über Kopf Reißaus nahmen.

»Da habt Ihr die Bescherung, toller Bursche,« sagte Adams ärgerlich. »Kein Unterrock in der ganzen Welt ist wert, daß ein wackerer Seemann sich dafür ein Loch in den Leib rennen läßt, durch das der Wind pfeift. Wie geht's Euch, Master Frank? redet! ich hoffe, es ist nicht schlimm, und der brave Mann hier ist nicht zu spät gekommen!« – »Ich glaube nicht,« murrte der Midshipman, »aber Zeit war's. Ich bin in die Hüfte gestochen, und der erste Leutnant wird's vorerst bleiben lassen müssen, mich in den Mastkorb zu schicken. Aber wo führt dich der Henker zu so glücklicher Zeit her, alter Seewolf?« – »Dazu gibt's nachher Zeit, jetzt laßt uns machen, daß wir zu unseren Burschen kommen!« entgegnete der alte Matrose, indem er den jungen Mann emporhob und mit Gregors Hilfe die Treppe hinabtrug. »Goddam!« rief er plötzlich, als unten der Feuerschein hell auf das Gesicht des Griechen fiel und er dieses erblickte. »Ich sollte meinen, wir kennen uns; seid Ihr nicht der Mann von Smyrna?« – Caraiskakis schaute ihn finster an bei der Erinnerung ... »Ich weiß nichts von Euch.« – »Glaub's wohl,« meinte der alte Matrose, »aber ich kenne Euch desto besser, und es freut mich um Master Franks willen, daß ich Euch damals mit dem Schießprügel nicht durch den Kopf geschossen, als Ihr Sir Edward Eure Schwester abjagtet und uns klopftet. Wir waren auf schlechtem Wege und fochten für keine gute Sache, aber es ist brav von Euch, Freund, daß Ihr des Baronets Bruder so wacker beigestanden habt.« – Der Grieche ließ den Jüngling fallen ... »Dies der Bruder des Lord Maubridge?« fragte er wild. – »Nun ja, Mann, was tut's zur Sache? Ein braver Mann hilft dem andern gegen das Gesindel. Hierher, Hodges! Dick! helft mir den jungen Mann zum Boote tragen.«

Der Grieche faßte des Matrosen Arm, während die Gerufenen herbeisprangen und den Midshipman aus dem Getümmel schleppten. – »Wo ist das Mädchen, das Weib, das wir im Hause verteidigten?« – »Ei, zum Henker, wo wird die verteufelte Landnixe sein? In die Arme Sir Edwards fiel sie, gerade aus dem Fenster herab. Schaut, da läuft sie in der Mitte unserer Leute, und die Haifische sollen mich fressen, wenn der Baronet nicht schon seitlängs von ihr liegt.« – »Nausikaa – Mädchen – Tochter Janis!« schrie Caraiskakis und warf sich in die Menschenwoge, die sich um die Matrosen geschlossen hatte. »Zu mir, Freunde! das Mädchen ist die unsere!«

Aber wer kümmerte sich in der eigenen Bedrängnis und Not um das Weib, dessen türkische Tracht ohnehin genügt hätte, jeden Griechen Gefahr und Verderben in ihrer Berührung sehen zu lassen. Gosset hatte mit einigen verwirrten Worten dem Baronet berichtet, daß es eine vornehme türkische Dame wäre, die hier gefangen gehalten worden und die Frank habe befreien wollen. Die Odaliske, von der augenblicklichen Gefahr befreit, begriff schnell ihre Lage und die günstigste Gelegenheit für ihre Wünsche. – »O, Effendi, rettet mich aus dieser Not! Ich bin eine Gefangene und ein armes Weib, verloren ohne Euch,« schmeichelte sie in fränkischer Sprache zum Baronet, dessen Arm sie unterstützte. Sie waren bereits nahe am Boot, in dem zwei der Matrosen zurückgeblieben waren, als Caraiskakis endlich die Engländer erreichte und das Auge des Baronets mit Erstaunen und Erbitterung plötzlich seinen Todfeind vor sich sah.

»Das Weib,« herrschte der Grieche ihm zu. »Sie haben kein Recht auf sie, das Weib ist das meine!« – Der Baronet stieß ihn hohnlachend zurück. – »Nun, so nehme ich es, wie Sie mein Kind geraubt haben. Nur für dies Lösegeld sollen Sie diese Frau haben! Ins Boot mit ihr!« – Gosset zog die willige Odaliske fort, mit einem Sprunge war der Grieche an dem Baronet und faßte ihn an der Kehle. – »Mädchendieb!« – »Der Teufel hole das Gewürm, nieder mit dem Schuft!« schrie der mit Adams herbeikommende zweite Leutnant, und der Hieb seines Kreuzdegens sauste schwer auf den Schädel des Griechen nieder. Wie ein gefällter Baum stürzte Caraiskakis bewußtlos zu Boden. – »Fort mit Ihnen, Maubridge, wir haben, was wir wollen, und nichts mehr hier zu tun.«

Der Deckmeister hatte sich auf den Niedergestreckten herabgebeugt. – »Ist er tot, der Unglückliche?« fragte nicht ohne Teilnahme der Baronet. – »Ich denke! Schade um den Mann; es war nicht viel besser als ein Mord,« murmelte der alte Matrose, »und das alles um eines verdammten Weiberrocks willen.« – Der besonnene Leutnant zog sie fort zum Boot; denn ein Haufe Fanarioten mit Geurgios an der Spitze stürmte herbei ... Das englische Boot stieß hinaus in das Horn – jammernd am Ufer rannte Vaso umher, den die Matrosen zurückgetrieben, als er der Wiedergefundenen folgen wollte.

*

Es war am dritten Morgen nach den Szenen des Aufruhrs, als Gregor Caraiskakis aus einem tiefen Schlafe auf ärmlichem Lager in einem griechischen Hause der Vorstadt Ejub erwachte. Sein Kopf war mit Binden umwickelt; an seinem Lager saß in trübem Sinnen Vaso, der entflohene Schiffssoldat. Der Hieb des Leutnants hatte ihn absichtlich nur flach getroffen und durch seine Wucht betäubt zu Boden geworfen. Als er wieder zu sich kam, fand er sich an dem Orte seines jetzigen Aufenthalts, wohin ihn Geurgios hatte bringen lassen. Doch hatte ihm der Fanariot Verborgenheit anbefohlen, denn in Konstantinopel war über Nacht eine neue Wendung der Dinge gekommen. Während nämlich im Fanar die Feuersbrunst – wie es hieß, vom Blitzstrahl entzündet – in die Wolken flammte und an 200 Gebäude verzehrte, hatte sich der Strom der fanatischen Moslems, an der Spitze die Softas und Ulemas, nach dem Platz der Hohen Pforte gewendet und umgab nun, drohend und tobend, beim Schein der Fackeln, und dem Unwetter trotzend, den Palast und begehrte die Auslieferung Reschid-Paschas. Aber Reschid hatte sich bei dem ersten Anzeichen des Sturmes nach Tschiragan geflüchtet, wohin ihm der Großwessir folgte. Vergeblich erwarteten die hohen Würdenträger hier die Demonstration der Griechen; statt deren brachte jeder Augenblick den Triumph ihrer Gegner und neue Aufregung unter der türkischen Bevölkerung Stambuls. Da erließ der Großwessir den strengen Befehl, daß alle Moscheen, die Hauptversammlungsorte des Aufstandes, geschlossen werden sollten. Dem Befehl wurde entsprochen, aber die Masse versammelte sich jetzt auf den öffentlichen Plätzen und nahm eine noch drohendere Haltung an. Jetzt erhielten die Garden den Befehl, einzuschreiten und mit Gewalt den Aufruhr zu unterdrücken. An verschiedenen Stellen begannen die Softas bereits ganz offen die Thronerhebung Abdul-Aziz' zu proklamieren. Die griechische Bevölkerung wagte sich nicht mehr zu rühren, sondern zitterte seit den Vorgängen des letzten Abends für Leben und Habe. Am andern Morgen befand sich die Regierung buchstäblich nur noch im Seraskiat und in den Händen Mehemed Alis. Bei dem schwachen und ängstlichen Charakter des Sultans fühlte die Friedenspartei, daß in dem gegenwärtigen Augenblicke nichts zu machen und Nachgiebigkeit nötig sei, um nicht allen Einfluß zu verlieren. Chosrew-Pascha selbst riet dazu, und als daher am Vormittag Adilé, die Schwester des Großherrn, nach Tschiragan kam, fanden ihre Worte beim Sultan ein williges Gehör. Am Mittag hatten Lord Redcliffe und General d'Hilliers eine längere Audienz bei dem Sultan, in welcher sie ihm zeigten, daß nur ein unbedingtes Eingehen auf die Intentionen Frankreichs und Englands die Türkei und seinen Thron zu sichern vermöchte. Eine Stunde darauf erschien der Seraskier im Palast, seiner Sache so sicher, daß er ohne alle Begleitung kam, und als er nach einer längeren Unterredung sich entfernte, geschah es mit dem Schritt eines Triumphators. Er vergaß, daß in dem Herzen eines Orientalen das Gefühl einer Beleidigung nie stirbt und unter der trügerischen Blumendecke der Freundschaft und Versöhnung die Schlange des Hasses ruhig lauert, bis sie ihren Giftzahn in das Opfer schlagen kann. – Der Padischah war gedemütigt, – der Padischah wartete seiner Zeit. Noch an demselben Tage hatte Reschid-Pascha vom Bord der »Queen« aus, an den er sich geflüchtet, seine Entlassung eingereicht, aber der Sultan hatte dieselbe, auf den Rat des englischen Gesandten, nicht angenommen. Dagegen durfte der Seraskier unbehindert eine scharfe Verfolgung aller Russenfreunde beginnen, und eine Menge Führer der Griechenpartei wurde eingekerkert ... – Das waren die Nachrichten, die am Abend vorher Geurgios, der sich gleichfalls von seinem Hause entfernt hielt, dem Griechen gebracht hatte. –

Auf seine Fragen nach Vaso hörte Caraiskakis, daß der Freund heute noch nicht in Ejub gewesen; und als Vaso endlich kam, erkannte Gregor leicht, daß die Neuigkeiten, die er brachte, noch schlimmer als die früheren waren ... »Es freut mich, Sie so weit wieder hergestellt zu sehen,« sagte der Fanariot, »denn es wird gut sein, wenn wir noch diese Nacht Konstantinopel für einige Zeit verlassen. Der Baron ist auf Betrieb der englischen Gesandtschaft von der türkischen Polizei als russischer Agent verhaftet und hat mir selbst diesen Wink gegeben. Mehemed Ali, um seinen Frieden mit dem Padischah zu machen, hat an 400 Softas aufgreifen lassen, um sie als Rebellen auf die Galeeren nach Kreta zu schicken.« – »Aber der Baron – sollen wir ihn feig im Stich lassen?« fragte der Grieche. – »Signor Oelsnero,« lachte der Fanariot, »hat der Mittel zu seiner Sicherheit mehr in Händen als wir und wird sich schon zu befreien wissen. Wir werden ihm am Balkan bessere Dienste leisten als hier.« – »Und das Mädchen – Nausikaa – die Odaliske?« – »Bei Sankt Demeter! was kümmert sie uns? Wollen wir eines Weibes wegen den Kopf in die Schlinge stecken? Für sie ist der Boden von Konstantinopel ohnehin doppelt gefährlich, wenn Ihr Name entdeckt würde. Ich traue meinen eigenen Leuten nicht mehr.« – »Wie meinen Sie dies?« – »Lesen Sie! Ihr Bruder Anastasio hat die Fahne des Kreuzes in Thessalien erhoben, und die Griechen strömen von allen Seiten ihm zu. Mögen die Heiligen ihnen besseres Gelingen geben, als uns hier!« Der Fanariot warf ihm eine Nummer der »Elpis« und eine Proklamation in griechischer Sprache zu, wie in diesem Augenblick tausende als Flugblätter durch Griechenland und das südliche Rumelien, selbst nach Konstantinopel hin verbreitet wurden.

Gregor sprang empor; alle Schwäche, alle Gedanken an seine eigenen Verhältnisse waren verschwunden, als er den berühmten Aufruf seines kühnen und tapfern Bruders vom 22. November »an die geknechteten Griechen von Thessalien, Makedonien, Thracien und Epirus, Kleinasien, Candia und allen Inseln des Archipelagus« in der Hand hielt, der alle Brüder und Landsleute zu den Waffen gegen die Moslems rief, die Russen als Freunde und Glaubensbrüder pries, die Franken und Engländer als die schlimmsten Feinde an den Pranger stellte und dem geliebten Vaterlande mit Gottes Hilfe baldige Freiheit verhieß.

»O, daß ich bei ihm sein könnte, daß wir Schulter an Schulter unser Blut für die Befreiung des Vaterlandes einsetzen dürften!« – »Seine Kampfstätte ist am Pindos – die Ihrige am Balkan. Dorthin ruft Sie das Vaterland!« – »Treffen Sie Ihre Anstalten,« sagte mit stolzer Fassung der Skiote, »sein Ruf wird mich immer bereit finden!« und im Schatten der nächsten Nacht verließ zum zweiten Male mit Geurgios und Vaso Gregor Caraiskakis die Hauptstadt des türkischen Reiches auf dem Wege zur Donau.


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