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Erstes Buch.
Seine und Bosporus.

Erstes Kapitel.
Der Prolog.

Ein heftiger Regenschauer, wie der März sie in Paris häufig mit sich führt, hatte mit der späten Stunde des Abends – die Uhren zeigten bereits über zehn – die bewegliche Masse der Spaziergänger und Flaneurs von den Straßen und Boulevards vertrieben, als an einem Nebenausgang der Galerie Heinrichs IV. in den Tuilerien ein eleganter, aber durch keinerlei Zeichen oder Livree auffallender Wagen wartend hielt. Endlich gegen halb Elf öffnete sich die Tür, und zwei in Mäntel gehüllte Personen, beide in Zivilkleidung, kamen heraus und bestiegen den Wagen, der auf einige dem Kutscher zugeflüsterte Worte sofort über die Pont Royal, durch die Rue du Bac und de Grenelle nach der Esplanade der Invaliden seinen Weg nahm. Ein Losungswort am Tor öffnete ihm den Eingang und der Wagen rollte durch den Cour Royal nach dem berühmten Dom, an dessen Seiteneingang er still hielt. Ein Mann in Generalsuniform schien hier den Wagen erwartet zu haben, öffnete selbst den Schlag und begrüßte höflich die Aussteigenden, von denen der Eine den Mantel dicht um sich geschlagen hielt.

»Sie haben mein Billet bekommen, General?« sagte der Begleiter; »ist unser Mann an Ort und Stelle?« – »Er wartet seit einer halben Stunde.« – »Ah, dann haben Sie wohl die Güte, uns einzulassen. Die Eingänge sind doch geschlossen, und niemand mehr in der Kirche?« – »Es ist alles geschehen, Herr Graf, wie Sie gewünscht,« antwortete der General. »Ich werde die Ehre haben, Sie hier zu erwarten.«

Die beiden Fremden traten in die Kirche und schlossen die Tür hinter sich; der alte Offizier aber lehnte sinnend unter einem Vorsprung der Mauer, um vor dem Regen geschützt zu bleiben; das Schiff der Kirche war dunkel, nur vor dem Hochaltar und in der Kapelle zu Häupten des Katafalks Napoleons I. leuchtete der Schimmer der ewigen Lampen. Ehe die Männer den Gang betraten, hielt der Verhüllte den Andern einen Augenblick am Arm zurück ... »Sie kennen Ihre Instruktionen, Graf,« sagte er, »wenn etwas Weiteres nötig, werde ich Ihnen ein Zeichen geben.« – Ihre Schritte hallten im Echo wider an den mächtigen Gewölben, als sie sich der Kapelle näherten. Von den zu beiden Seiten des Grufteinganges aufwärts führenden Stufen des Mausoleums erhob sich ein Mann. Dem gegenseitigen stummen Gruß folgte eine kurze Pause, in der die beiden Parteien im Halblicht des Lampenschimmers sich zu mustern schienen. Von den beiden Eingetretenen hielt sich der größere jetzt mehr im Schatten und in den Falten seines Mantels verborgen, ohne auch im Gotteshause den Hut abzunehmen; der andere trat näher ans Licht; seine Gestalt war mittelgroß und ziemlich schlank, und sein Kopf trug charakteristische Züge, geeignet, die Erinnerung jedes Franzosen wachzurufen. Ein ergrauender Schnurr- und Knebelbart bedeckte den unteren Teil seines Gesichts, aus dem ein paar scharfe, unruhige Augen unter starken, buschigen Brauen den Dritten forschend vom Kopf bis zu den Füßen maßen. Dieser erwiderte ruhig, mit einem etwas matten, starren Auge den Blick. Es war ein Mann in hohem Lebensalter, offenbar den Siebenzig nahe, aber von ungebeugter, fester Körperhaltung. Haupthaar und Bart waren weiß, das Gesicht, außer von zwei tiefen Narben, auch von Runzeln des Alters durchfurcht; eine der Narben lief von dem linken Backenknochen aus bis auf den Schädel, auf dessen hoher, kahler Platte sie endete. Der Greis hatte den Reitermantel auf den Stufen des Mausoleums fallen lassen und stand vor den beiden in einer offenbar alten, unscheinbar gewordenen Offiziersuniform der Poniatowski'schen Lanciers.

»Sie sind der Herr,« begann derjenige, welcher den General am Eingang angeredet hatte, auch hier das Gespräch, »welcher Seiner Majestät dem Kaiser vor drei Tagen dies Memoire eingereicht hat?« Er zeigte ihm hierbei ein ziemlich starkes Heft und fuhr, als der Angeredete sich zustimmend verneigte, fort: »Sie werden aus dem Besitz dieser Papiere ersehen, daß ich von allem in Kenntnis gesetzt bin und Vollmacht habe, mit Ihnen zu verhandeln. Der Kaiser ist begierig, den Verfasser dieser Winke kennen zu lernen, und da es heute das erste Mal ist, daß Sie eine persönliche Annäherung selbst gewünscht haben, obgleich, wie ich gestehe, an einem seltsamen Ort und zu seltsamer Zeit, so hat mich Seine Majestät beauftragt, Ihre Eröffnungen entgegenzunehmen und Sie nötigenfalls, wenn Sie darauf bestehen, zu ihm zu führen.« – »Das ist unnötig, Herr Graf,« bemerkte der andere, »ich weiß vollkommen die Person zu schätzen, mit der ich hier zusammentreffe.«

Der Graf errötete leicht und warf einen Moment lang den Blick auf seinen Begleiter, der an der zweiten Seitenwand des Mausoleums lehnte. »Sie kennen mich, mein Herr,« sagte er rasch ... Der Alte verneigte sich ehrerbietig. »Es rollt Blut in Ihren Adern, Exzellenz, das ein alter Offizier des Kaisers nie verkennen wird. Überdies sind wir gewissermaßen Landsleute, ich bin Pole von Geburt.« – »Sie gehören zu der Konföderation Czartoryski?« sagte jener rasch. – Der Pole schüttelte spöttisch das Haupt. »Herr Graf,« sagte er, »ich bin nicht siebenundsechzig Jahre geworden, ohne gelernt zu haben, daß Polen nicht auf dem Parkettboden der Pariser Salons neu werde erstehen können. Der Fürst ist mir nur dem Namen nach bekannt. Doch lassen wir das, – es führt uns nur von unserem Gegenstand ab. Ich bitte, rekapitulieren wir für einen Augenblick den Stand der Angelegenheiten.«

Der Graf verneigte sich zustimmend, und der alte Offizier fuhr fort: »Im Mai 1850 ging das Kabinett der Tuilerien auf den von mir anonym vorgelegten Plan einer Initiative in der orientalischen Angelegenheit ein und ließ durch General Aupik von der Pforte den Besitz der heiligen Orte fordern. Gerade ein Jahr später griff Herr von Lavalette die Frage wieder auf und brachte im Herbst die Pforte zu einem Zugeständnis. Dies hatte, wie wir vorausgesagt, die Reklamationen des Petersburger Hofes zur Folge, der auf den Vorrechten der griechischen Kirche bestand. Der Diwan, von den russischen Forderungen ins Gedränge gebracht, ließ mit einer genugtuenden Erklärung warten, und Marquis von Lavalette brach zu Ende des Jahres seine diplomatischen Beziehungen ab. Auch das Jahr 1852 verging mit den angeregten Verhandlungen, die immer verwickelter wurden. Die Pforte, zwischen den beiden bedrohenden Mächten in die Enge getrieben, suchte nach beiden Seiten einen begütigenden Ausweg. Wie das damalige Memoire der Regierung voraussagte, spannte bei der Erklärung des französischen Gesandten, zufrieden gestellt zu sein, der russische seine Forderungen höher und verlangte jenen Ferman zugunsten der Griechen, dessen Auslegung und Proklamation neue Verwickelungen hervorrufen mußte. Herr von Lavalette drohte im November bei einem Bruch der Frankreich gegebenen Zusage die Flotte herbeizurufen. England, um weder Frankreich noch Rußland die Oberhand zu gewähren, erklärte beider Ansprüche für zu weit getrieben. Das war der Augenblick, um den Zusammenstoß der beiden mächtigen Feinde der Napoleoniden, Rußlands und Englands, vorzubereiten.«

»Ah, Sie meinen die Erklärung unseres Gesandten unterm zehnten Dezember, daß Frankreich keinen Anspruch auf ein Protektorat über die römisch-katholischen Untertanen der Pforte mache, und die Erbötigkeit unseres Gesandten in Petersburg, sich mit dem russischen Kabinett über die streitigen Punkte in der Frage der heiligen Stätte zu verständigen?« – »Ganz recht, Herr Graf. Seine Majestät der Kaiser hatte die Gnade, damals mein letztes Memoire zu empfangen und dessen Versicherung zu vertrauen, daß Kaiser Nikolaus auf dem unbedingten Protektorat über die griechischen Christen in der Türkei, das ist, bei einem Verhältnis von neun zu vier Millionen, über die Türkei selbst, bestehen und seine Forderung durch eine unüberlegte Waffen-Demonstration unterstützen würde.« – »England, mein Herr,« unterbrach die sonore Stimme des Verhüllten zum ersten Male mit dem Tone der Ungeduld die Unterhaltung, »begann seinen Rückzug. Die Depeschen Lord John Russels an den Gesandten in Paris und an den Oberst Rose konstatieren, daß das Kabinett von St.-James die Schuld der ersten Drohung immer auf Frankreich schiebt, die beiderseitige Haltung mißbilligt und sich jeder Einmischung fern halten will.« – »Diese Haltung,« entgegnete mit einer Verbeugung der alte Offizier, »war von dem schwankenden Charakter Lord Johns vorauszusehen. Aber sie wurde paralysiert durch die Erklärungen, zu denen sich Kaiser Nikolaus unvorsichtigerweise hinreißen ließ, und die Ihnen ohne Zweifel bekannt sind, Herr Graf?« – »Ich weiß nicht, was Sie meinen.« – »Dann haben Sie die Güte, diese Aktenstücke zu lesen. Es sind die genauen Abschriften der geheimen Berichte, die Sir Seymour, der englische Gesandte in Petersburg, über vier Privat-Unterredungen eingesendet, die er am 9. und 14. Januar, sowie am 20. und 21. Februar mit dem Kaiser Nikolaus hatte; desgleichen des einen Memorandums vom letzten Datum, das der Kaiser jenem Gesandten zustellen ließ.« Der alte Offizier zündete eine der auf dem nahen Altare stehenden geweihten Kerzen an und überreichte ein Heft Papiere, das der andere hastig ergriff und mit großer Aufmerksamkeit durchflog, während auch der Verhüllte näher hinzutrat und über die Schulter des Grafen mitlas. – »In der Tat, mein Herr,« sagte der letztere nach einer Pause von etwa zehn Minuten, »ich kannte zwar im allgemeinen den Inhalt der Unterredung vom 9., doch diese wichtigen Details sind mir neu. Es scheint, Lord John spielt eine doppelte Karte, indem er uns die Kenntnis so bedeutsamer Entschließungen vorenthielt.«

»Der Zar, mein Herr,« entgegnete der Greis, »ist ein kluger Politiker und hat sehr recht daran getan, sein Geschwader gleich Frankreich und England ins Mittelmeer zu kommandieren. Sie werden sich erinnern, daß mein Memoire auf eine solche Gelegenheit spekulierte.« – »Ich gebe zu,« sagte der Graf, »daß die russischen Forderungen allerdings den Charakter von Demonstrationen gewinnen können, die den Kaiser und das Kabinett von St.-James zwingen würden, für den Fall einer Krise ihren Gesandten besondere Instruktionen zu geben.«

Der Pole lächelte. »Euer Exzellenz trauen mir noch immer nicht. Vorgestern, am 22., hat Seine Majestät ihrem Gesandten in Konstantinopel bereits diese Instruktionen zugesandt. Soll ich Ihnen die vier Fälle der Instruktion noch bezeichnen? – Gestern ist die Note an Sie nach London abgegangen, worin die Regierung die Hoffnung an das englische Kabinett ausspricht, daß in Konstantinopel beide Gouvernements gegebenenfalls gleiche Haltung beobachten werden. Die Depesche wird Ihren Weg gekreuzt haben, Herr Graf, da Sie, durch den Telegraphen berufen, gestern Abend Dover verlassen haben.« Der Graf trat erstaunt einen Schritt zurück, der Verhüllte aber ungestüm auf den Fremden zu, indem er durch die heftige Bewegung den verbergenden Mantel zum Teil fallen ließ. »Wer sind Sie, mein Herr? Sie sehen, ich habe ein Recht zu fragen, und ich will wissen, auf welche Weise die Geheimnisse des Staates in Ihre Hände kommen?« – Der alte Mann verbeugte sich ehrerbietig. »In Frankreich,« sagte er, »hat stets das Wort eines Edelmannes gegolten, und ich bin im Vertrauen auf dasselbe hierher gekommen. Das Recht, nicht gekannt zu sein oder zu scheinen, sei ein beiderseitiges.«

Der andere Mann hüllte sich wieder in den Mantel. »Nach Ihrem Belieben, mein Herr, doch ich glaube, Sie sind mir noch immer das Resultat schuldig.« – Der Pole zog nochmals Papiere hervor und überreichte sie dem wieder herangetretenen Grafen. »Hier finden Euer Exzellenz das, was jede englische Zögerung aufheben wird. Es ist die geheime Instruktion des Fürsten Menschikoff und weist ihn an, auf unbedingte Anerkennung des Protektorats Rußlands über die griechische Kirche und somit auf Unterwerfung der Pforte unter die russische Oberhoheit zu dringen und einen Vertrag mit ihr abzuschließen, der 400 000 Mann und die Flotte von Sebastopol zu ihrem Schutz gegen die Westmächte stellt.« – Der Mann im Mantel riß ihm die Papiere aus der Hand und durchflog sie eilig. »Das ist genug, mehr als genug!« sagte er hastig. »Lesen Sie, Graf.« – Der Pole überreichte ihm ein zweites Papier. »Hier ist das Verzeichnis der sämtlichen Streitkräfte, die Rußland in diesem Augenblick disponibel hat. Die Positionen der Truppen und die Dauer der Etappen sind genau verzeichnet, ebenso die Streitkräfte und Vorräte an den Ufern des Schwarzen Meeres.« – »Gut, sehr gut! Aber was raten Sie nun, mein Herr?« – »Der Kaiser, von dem unterrichtet, was ich soeben hier vorzutragen die Ehre hatte, wird seine Vorbereitungen treffen. Während Frankreich ohne Mühe 100 000 Mann zum Schutz der Türkei an das andere Ende des Mittelmeeres setzen kann, wird eine solche Anstrengung England in seinen besten Lebensquellen erschüttern. Es wird die Truppen aus Indien und den Kolonien heranziehen müssen, und indeß seine unzureichende Armee im Kampf gegen Rußland sich aufreibt, wird Frankreich kräftiger und mächtiger denn je als der wahre Hort Europas und der Zivilisation dastehen. Dann – ja dann, wenn England und Rußland sich gegenseitig geschwächt haben, wird es Zeit sein, die Maske abzuwerfen und die Asche des großen Toten, der hier ruht, zu rächen an seinen beiden stolzen Feinden.« – »Aber Österreich – Deutschland?« – –

»Österreich? – o, es wird zuerst den Fuß des Siegers auf seinem Nacken fühlen, von zwei Seiten zugleich, an der Donau und am Po bedroht. Und Deutschland? – Ei! will der Kaiser den Rheinbund erneuern? Er wird im Nu zu seinen Füßen liegen. Und Preußen? o, so hochmütig und abgeschlossen es in sich selbst ist, so wird es zaudern und zaudern, bis ihm der Kampf bleibt um die eigene Existenz, und in diesem Kampf wird es sich selbst verbluten. An dem wiedererstandenen Polen und Ungarn und an dem neugeborenen Italien wird das kaiserliche Frankreich drei Stützen haben, die ihm die Welt unterjochen helfen.«

Der Mann im Mantel hatte, die Rechte fest auf die Stirn gepreßt, die entflammenden Worte des alten Offiziers angehört, während die Linke sich auf den Vorsprung der Gruft stützte. Der Mantel war von seinen Schultern gesunken, so stand er eine Weile stumm und still, dann wandte er sich mit einem stolzen Ausdruck zu dem Polen ... »Was immer auch Ihr Zweck sein mag, und ich glaube ihn in jenem schönen Traum von der Wiederherstellung Ihres Vaterlandes zu erkennen, – Sie haben gesiegt, und ich werde um jenes großen Toten willen Ihre Prophezeiung erfüllen, wenn Gott mir so lange das Leben läßt ... Leben Sie wohl, mein Herr, und nehmen Sie meinen Dank. Es ist hoffentlich nicht das letzte Mal, daß wir uns sprechen, und ich bitte Sie, mir recht bald wieder Nachricht zu geben.« Er grüßte den Fremden höflich, aber vornehm, während der Graf ihm den Mantel wieder umhing, und wandte sich nach dem Ausgang der Kirche. – »Sie gehen mit uns?« fragte sein Begleiter den Offizier und verweilte einen Augenblick bei diesem. – »Verzeihen Exzellenz, ich habe hier noch ein Gebet zu verrichten. In London das weitere! Ich bitte Sie, jedem Boten zu vertrauen, der Ihnen zu seiner Beglaubigung dies Zeichen übergeben wird.« Er zeigte dem Grafen ein eigentümlich geformtes kleines Kreuz von schwarzem Holz, mit Silberstiften geziert. Der Graf neigte bejahend den Kopf, grüßte und eilte dem Voraufgegangenen nach, um mit dem erhaltenen Schlüssel die Kirchtür zu öffnen. Draußen fanden sie den General auf seiner übernommenen Wache. Mit gezogenem Hut begleitete der Veteran die geheimnisvollen Gäste bis an den harrenden Wagen und schloß selbst den Schlag. Der Mann im Mantel wandte sich, als der Wagen das Tor verlassen, zu seinem Begleiter. »Hat Maurepas auch die gehörigen Instruktionen? und sind Sie sicher, daß uns dieser Mensch nicht entgeht, wenn er das Hotel verläßt? Ich muß wissen, woran ich mit diesem geheimnisvollen Treiben bin: eine solche Macht im Staate ist zu gefährlich, um sie unbeachtet zu dulden.« – »Es ist alles nach Ihrem Befehl geschehen, Sire,« entgegnete der Graf; »die zuverlässigsten Agenten werden dem Manne folgen. Morgen früh, Sire, haben Sie den gewünschten Rapport.« Auf den Arm des nach dem Dom, um die Tür zu schließen, zurückkehrenden Generals aber legte sich im Schatten der hohen Mauern des Hofes eine Hand und hielt ihn zurück. »Kennt General Beaupré diesen Ring?« fragte er freundlich. »Ein Kadett der großen Armee gab ihn schwer verwundet in Leipzig dem Soldaten, der ihn aus dem brennenden Hause der Vorstadt und über die Brücke der Pleiße trug, wenige Minuten vorher, ehe sie gesprengt wurde.« – »Das war ich,« sagte erregt der General; »wie kommen Sie zu diesem Ring, Herr, Sie sind doch nicht –« »Der polnische Lancier, der Sie zufällig rettete? allerdings, wenn auch diese Züge Ihnen kaum noch kenntlich sein werden. Unter braven Soldaten, General, bleibt immer Kameradschaft und Sie werden mir gewiß eine kleine Gefälligkeit nicht verweigern, um zu verhindern, daß Ihr Lebensretter in eine Schlinge der geheimen Polizei fällt.« Eine Viertelstunde darauf entfernte sich durch eine Seitentür nach dem Latour-Maubourg unbeachtet ein Mann in dem Rock eines Aufwärters und schlug die Richtung nach dem Marsfelde ein.

*

In einem der belebtesten Stadtteile von Paris bereitete sich in derselben Nacht ein geheimnisvoller Vorgang. Eine mittelgroße, gewölbte Halle von eirunder Form, anscheinend unter der Erde, denn es fehlten alle Fensteröffnungen, war von einer Lampe und mehreren auf einer rotbehangenen und quer durch die schmale Breite laufenden Tafel stehenden silbernen Armleuchtern erhellt. Hinter der Tafel, um welche sieben Sessel sich reihten, verdeckte ein roter Vorhang das Ende des Gewölbes. Sechs der Sessel nahmen Personen, in weite rote Ärmelmäntel gehüllt, ein, deren Kapuchons hauben- und larvenartig den Kopf bis zum Munde verdeckten. Der siebente Stuhl war leer. Auf dem Tische selbst lagen mehrere Papiere, mit deren Verlesung und Eintragung in ein Buch zwei der Mitglieder beschäftigt waren. »Die Berichte aus Amerika, England und Ungarn sind notiert,« sagte der eine; »das Mitglied für Italien hat das Wort.«

Der Vierte in der Reihe an der Tafel erhob sich: »General Pepe berichtet aus Turin. Der Mann bleibt auch im hohen Alter Phantast, sein Name aber wirbt uns zahlreiche Kräfte. Man hat in Turin und Genua eine Reihe von Verhaftungen vorgenommen; auch an anderen Orten Italiens, namentlich in Parma, tritt man mit auffallender Strenge gegen die Verbindungen auf. Ich schlage vor, ein Exempel zu statuieren an Ferdinand Karl von Bourbon, Herzog von Parma, unserem erbitterten Feinde. Unsere Presse hat die Nachricht verbreitet, daß Mazzini auf der »Retribution« sich nach Malta eingeschifft habe. Damit ist vorläufig die Aufmerksamkeit abgelenkt. Der Aufstand in Palermo ist zwar fehlgeschlagen, wie der in Mailand und Comorn, doch meldet Baron von Bentivoglio, daß die Organisation zur Verbreitung der Mazzinischen Proklamation vollständig geordnet sei und großen Erfolg zeige. Die Sammlungen haben im Monat Februar ein Resultat von achtunddreißig Tausend vierhundert Livres ergeben, die ich hiermit in Wechseln abliefere.« Der Redner übergab mehrere Papiere und nahm wieder Platz. Während seiner letzten Worte hatte sich eine Seitentür an der Tafel geöffnet; ein Mann gleich den Anwesenden in einen roten Mantel gehüllt, hatte den leeren siebenten Sessel am Ende der Reihe eingenommen.

»Sektion Deutschland und Schweiz,« sagte der Sekretär ... Der dritte Verhüllte nahm das Wort. »Die Berichte aus Wien lauten wenig befriedigend. Das Attentat vom 18. Februar hat die zaghaften Gemüter geschreckt und die Polizei doppelt aufmerksam gemacht. Libényi hat für sein Attentat gegen den Habsburger mit heroischer Ruhe den Opfertod erduldet. Weniger treu seinem Eide starb in Pesth der Verräter Andrassy, der die mit Omer-Pascha angeknüpften Verhandlungen über Kossuths Einrücken in Kroatien verraten hat, und die augenblickliche Stellung des Wiener Kabinetts gegen die Pforte ist hiervon die Folge. Die Finanzverlegenheit wächst; man sucht nach neuen Hilfsmitteln. – In Berlin tritt die Spaltung der Konservativen immer mehr hervor. Die Polizei hat eine Verbindung aufgehoben, deren Mitglieder von den Wissenden des Bundes bei der Flucht Kinkels benutzt wurden; sie können aber unsere höheren Interessen in keiner Weise kompromittieren. Die Sammlungen haben äußerst geringe Resultate gebracht, – man gibt dort nur öffentlich. – Die Tessiner Regierung scheint den österreichischen Anmaßungen weichen zu wollen; ich lasse durch die Presse mit der Revolution drohen. – Die Sammlung der Schweiz ergibt zwölfhundertzwanzig Franken. Das Gesamtresultat der Sammlung aus Deutschland ist noch nicht eingegangen.« Er übergab die Papiere. Der Zuletztgekommene erhob sich nach ihm, ohne die Aufforderung abzuwarten. Wer der geheimnisvollen Zusammenkunft im Dom der Invaliden beigewohnt hätte, würde leicht in dem Sprecher den alten polnischen Offizier wiedererkannt haben, der nun über den Gang derselben berichtete ... »Der Kaiser,« schloß er, »ist offenbar ein scharfsichtiger, gewandter Politiker, aber wir haben ihn besiegt, indem wir uns an das verborgenste Geheimnis dieses verschlossenen Herzens gewandt haben. Ich müßte mich sehr täuschen, wenn nicht vorher schon die Pläne dieses Kopfes von der Vernichtung Englands und der Weltherrschaft der Napoleoniden geträumt hätten. Aber ich warne vor diesem Kopfe; er ist schlau und tatkräftig genug zu einem Versuch, die Bande, die ihn geheimnisvoll umschlingen, mit eigener Hand zu zerreißen.«

Der einmalige scharfe Anschlag einer Silberglocke ließ sich hören, und augenblicklich schwieg die Unterhaltung. Der Vorhang im Hintergrunde öffnete sich ein wenig, und ein Mann, ganz gleich wie die an der Tafel verhüllt, nur daß die rote Maske selbst den unteren Teil des Gesichts verbarg, trat hervor. Die Sieben erhoben sich sämtlich ... » Die höchste Gewalt ist zufrieden, meine Herren, mit dem Resultat der Berichte,« sprach der Unbekannte mit einer milden, etwas zischenden Stimme, »namentlich erkennen wir die große Geschicklichkeit an, mit welcher der Vertreter der Sektion VII heute seinen Auftrag für die französische Regierung gelöst hat. Das Geschick Frankreichs ist damit in unseren Händen. Nun zu den Deputationen! Steht die Wahl der Personen fest?« – Der Sekretär überreichte das diesbezügliche Schriftstück ... »So? Warschau und Petersburg übernimmt der Sektionsvorstand selbst? – Sehr gut!« Der Verhüllte, den der Leser als den Offizier aus dem Invalidendom erkannt hat, erhob sich. »Ich habe diesen Auftrag als Lohn für die geringen Dienste erbeten,« sagte er, »die ich dem Bunde der Unsichtbaren geleistet. Ich glaubte, hierzu sei ein Mitglied des siebenten Grades notwendig, um im Augenblick der Entscheidung den Befehl in die Hand nehmen zu können.« – »Richtig, aber wir werden Sie kaum hier entbehren können. Auch sind Sie in Warschau sehr bekannt und stehen auf der Proskriptionsliste.« – Der alte Soldat nahm ein Papier aus dem Portefeuille und überreichte es: »Die Begnadigung des Kaisers und die Erlaubnis zur Rückkehr! Ich empfing sie heute aus den Händen Herrn von Kisseleffs.« – »Viel, sehr viel; indessen« ... eine behandschuhte Hand, die sich aus den Falten des Vorhanges hervorstreckte, reichte dem Sprechenden einen Streifen Papier, den dieser las und sofort am Licht einer Kerze verbrannte ... »die Majorität der höchsten Gewalt ist mit Ihrer Sendung einverstanden. Sie haben also die Vollmacht zur Reise und werden als Mitglied des Rates bis zur Summe von fünfzigtausend Rubel disponieren können. Doch treten Sie von diesem Augenblick an bis zur Beendigung Ihrer Mission aus dem Rate selbst und unter die Gehorchenden zurück.«

Der Pole verneigte sich. »So nehmen Sie die nötigen Papiere in Empfang, und die Sonne der Freiheit leuchte Ihnen nach Osten.« Der Verhüllte reichte dem Scheidenden die Hand, und der Pole verließ den Saal durch die erste Tür, während der andere seinen Sitz einnahm ...

»Smyrna und Konstantinopel?« fuhr derselbe nach einem weiteren Blick in das Papier fort. »Nach diesen Notizen hält der Rat es für gut, den dahin beorderten Genossen von hier zu entfernen, damit er, gehörig überwacht, dem Bunde bessere Dienste leiste, als hier. Welchen Grad zählt der Gehorchende?« – »Den vierten.« – »Das ist genügend, wir haben sichere Leute an Ort und Stelle. Lassen Sie ihn eintreten.«

Der Sekretär drückte auf eine Feder, die zweite Tür gegenüber dem Tisch öffnete sich, und ein Mann, anscheinend anfangs der dreißig, von offenen, männlichen Gesichtszügen und festem, ruhigem Auge, einfach aber gut gekleidet, nahte mit einer Verbeugung dem Tisch ... »Sie wollen als Arzt nach der Levante gehen?« – »So ist es.« – »Seit wann sind Sie Mitglied des Bundes?« – »Seit fünf Jahren.« – »Gut. Sie werden die Briefe erhalten, die Sie auf Gefahr Ihres Lebens sicher zu überbringen haben. Die weiteren Instruktionen werden Sie an Ort und Stelle finden. Die Mittel der Reise sind hier.« Er reichte ihm zwei Goldrollen. »Wann reisen Sie?« – »Morgen früh.« – »Wir werden in Konstantinopel von Ihrer Kunst den geeigneten Gebrauch machen. Bedenken Sie: Willenloser Gehorsam! Leben Sie wohl.« Der Angeredete nahm mehrere Papiere in Empfang und entfernte sich durch dieselbe Tür, durch die er eingetreten war.

»Die Person für Berlin und Deutschland!« Ein neuer Druck der Feder öffnete die dritte Tür: eine elegant in schwarze Seide und Spitzen gekleidete Dame trat graziös ein. Ein kühner, interessanter Kopf blickte aus den umhüllenden Falten des kokett um das dunkle Haar geschlungenen, von einer prächtigen Brillantnadel gehaltenen Spitzenschleiers. Der ganze Typus des zwar nicht mehr in der ersten Jugendfrische prangenden, aber überaus interessanten und anregenden Gesichts ließen die Südländerin nicht verkennen. Die sieben Männer verbeugten sich artig vor der schönen Erscheinung ... »Sie gehen nach Berlin, Madame, dort neue Triumphe zu feiern?« – »Sennor sind sehr galant,« entgegnete die Dame ... »Sie wissen, daß ich ganz zu Ihren Befehlen stehe.« – »Wir wünschen vor der Hand nichts, Madame, als daß Sie diese Empfehlungsbriefe in den verschiedenen Hauptstädten, die Sie berühren werden, abgeben, und die Personen, an die sie gerichtet sind, durch die bekannte Gewalt Ihrer Reize an sich fesseln. Wir sind, wie Sie wissen, mächtig und verlangen namentlich Schweigen. Denken Sie immer daran, daß selbst die Wände in unserem Solde stehen. Ist das für Madame Bestimmte besorgt?« Der Sekretär überreichte dem Verhüllten ein Sammetetui; er schlug es auf und ein prachtvoller Brillantschmuck glänzte in dem Strahl der Kerzen. Die Augen der Dame funkelten bei dem Anblick in unbezähmbarer Begierde ... »Nehmen Sie,« sagte galant der Redner; »seien Sie gewiß, daß es dabei nicht bleiben wird. Au revoir, Madame, vielleicht früher als Sie denken.« Er erhob sich, während die Dame eine ziemliche Anzahl Briefe in Empfang nahm, und führte sie bis an die Tür zurück, die sich hinter ihr schloß. »Ich sehe, die nächsten für London bestimmten Personen gehören den untern Klassen an?«

»Man hat um Persönlichkeiten geschrieben, die weniger als Führer und Wissende, an denen es in London nicht fehlt, denn als geeignet erscheinen, kameradschaftlich unter den Arbeitern und dem Volk selbst zu wirken.« Ein Zeichen befahl den Eintritt; aus der vierten Tür erschienen zwei Männer, sehr verschieden im Äußeren. Der jüngere mochte etwa 23 Jahre zählen, ein echtes Kind des Pariser Pflasters, dem, wenn auch von der Konskription durch eine glückliche Losung befreit, doch das soldatische Blut des Franzosen aus Haltung und Bewegung leuchtete. Ein freies, männliches Gesicht, von schönem Bart umschattet; ein etwas wild und hitzig blickendes Auge, die kräftige und doch gelenke Gestalt mit den ausgearbeiteten Händen, bekleidet mit der reinlichen Bluse, machte den jungen Mann zum Ideal eines lebensfrischen Repräsentanten der arbeitenden Klasse. Ganz im Gegensatz zu ihm stand sein Begleiter, anscheinend fünf bis sechs Jahre älter, nicht groß und dennoch von gebückter Haltung, das straff anliegende schwarze Haar fast bis zu den buschigen Brauen herabgehend, unter denen tiefliegende, unheimliche Augen funkelten; in dem gelblichen Italienergesicht um den kleingekniffenen Mund lagen Züge unbeugsamer Entschlossenheit.

»Sie gehen nach London und Manchester,« redete der Verhüllte die beiden an, »und werden dort der großen und heiligen Sache der freien Arbeiterverbrüderung wichtige Dienste leisten. Ich brauche Sie nicht an das Joch der Tyrannei zu erinnern, denn Sie fühlten es selbst an jedem Tage, an welchem Ihre Mühen und Ihr Fleiß die Geldkisten Ihres Fabrikherrn füllten. Nur die erhobene Fahne der sozialen Republik kann in ihrem Schatten jedem freien Mann seine Geltung verschaffen.«

Die schwülstigen, wohlberechneten Worte verfehlten ihren Eindruck nicht, der junge Mann hob begeistert die Hand in die Höhe wie zum Schwur, der Italiener ballte die Faust, zwischen den zusammengebissenen Zähnen zischte die Drohung: »Tod den Tyrannen!«

Die Beiden wendeten sich nach der Empfangnahme der für sie bestimmten Papiere zur Tür, an der der jüngere einen Augenblick zauderte, dann kehrte er rasch um und trat entschlossen nochmals zu dem Tisch.

» Morbleu, meine unbekannten Herren! Es drückt mir da etwas das Herz, und das möchte ich gern los sein, ehe ich die befohlene Reise zu den Beefsteaks antrete. Meine Schwester steht nämlich ohne allen Notpfennig in der Welt. Ich kann sie wahrhaftig nicht so zurücklassen ohne Schutz und Hilfe. Die Verlockung ist oft groß genug.« – »Sie werden vor Ihrer Abreise einen Vorschuß von zweihundert Franken erhalten,« sagte der Rote; »Ihre Schwester wird im Auge behalten werden, gehen Sie unbesorgt.« Der junge Arbeiter verneigte sich dankend, warf noch einen neugierigen Blick rings umher und folgte seinem Gefährten. »Ich glaube, der Vorstand der Sektion England,« sagte der Verhüllte, »scheint da keine besondere Wahl getroffen zu haben. Der Mann gehört auf die Barrikade, nicht in die Werkstätten.« – »Er ist ein trefflicher, für seinen Stand schwungvoller Redner,« wandte der Getadelte ein, »und französische Arbeiter, die der englischen Sprache mächtig sind, finden wir wenig. Überdies ist sein Begleiter der Mann, der seine Fähigkeiten auf den bestimmten Punkt fesseln wird.« – »Sie mögen recht haben, der Zweite ist eine Physiognomie, aus der sich vieles machen läßt und der, was er erfaßt, nie aus den Augen verlieren wird. Ich kann den Namen nicht deutlich lesen, der Mann heißt?« – »Pianori. Er focht in Rom, brachte uns die letzten Depeschen von Turin und hält sich seitdem heimlich hier auf.« – »Lassen Sie den letzten für heute erscheinen.«

Die fünfte Tür öffnete sich und ein elegant, ja überladen gekleideter Mann in mittleren Jahren, mit einem stattlichen Embonpoint, trat unter Verbeugungen ein. Der Schnitt des Gesichts verriet die orientalische Abstammung vielleicht auf dem zweiten Grade, die schmal zulaufende hohe Stirn den geübten Rechner und Zahlenmann, die rastlos sich bewegenden Finger und die kurz und scharf umherblickenden Augen zeigten den Geschäftsmann und Spekulanten. Ohne die Anrede abzuwarten, begann der Eingetretene: »Im Begriff, nach Wien abzureisen, erhielt ich die Ladung des Rates und beeilte mich, dem Befehle nachzukommen. Darf ich wissen, welche Angelegenheiten meine Dienste erheischen?« Der Verhüllte nahm ein kleines Buch in rotem Saffian, das der Sekretär ihm reichte, und durchblätterte es einige Augenblicke schweigend, dann fragte er: »Haben Sie zufällig unser Konto zur Hand, Herr Baron?« – »Gewiß, ich steckte es zu mir. Der letzte Abschluß vom vorigen Monat ist, wie ich ersehe, 75 000 Franken zu meinen Gunsten. Man hatte in dem Monat stark gezogen.« – »Ganz recht, mein Herr, indes die anvertrauten Fonds ergeben eine Summe von achtmalhundertdreiundsechzigtausend Frank, – soviel ich weiß, in baren Fonds und Bankaktien?«

Der Geldmann warf einen hastigen Blick auf den Redner. »So ist es, ich machte auch nur die Bemerkung in Beziehung auf das laufende Konto.« – »Ich vermutete das. Doch, mein Herr, der Bund braucht in diesem Augenblick bedeutende Mittel, und ich wollte Sie ersuchen, die Werte bis auf achtmalhunderttausend Franks auf morgen mittag 12 Uhr für uns disponibel zu halten. Wir brauchen gerade österreichische Papiere und werden sie auf die gewohnte Weise in Empfang nehmen lassen.« Der Bankier erbleichte, faßte sich aber rasch. »Die Fonds werden zu Ihrer Disposition sein.« – Ein scharfer durchbohrender Blick sprühte aus der verhüllenden Maske. »Ist das auch gewiß, Herr Baron? werden wir die Fonds vorfinden?«

Das Gesicht des Gefragten überzog sich mit fahler Blässe, dennoch schwankte er nicht unter dem Schlage, sondern entgegnete mit fester Stirn: »Ich werde die Ehre haben, Ihnen meine Kasse zu öffnen, das Geld befindet sich darin.« – Diese Worte waren kaum ausgesprochen, als der Vorhang hinter der Tafel auseinanderrauschte und in einer dunkel behangenen, weiten Nische zwei Männer sichtbar wurden, die dasselbe verhüllende Kostüm trugen, wie ihr Gefährte. Der eine war eine große, breitschultrige Gestalt, der andere klein, offenbar schwächlich und verwachsen. Alle Mitglieder der Tafel standen auf, – der Geldmann vor ihr trat unwillkürlich einen Schritt zurück und beugte das Haupt ... »Einen Augenblick,« sagte die ernste, dröhnende Stimme des größeren der neuen Zeugen, »ich möchte Sie fragen, Gehorchender, ob dieser Auszug über den gegenwärtigen Bestand Ihrer Kasse richtig ist? Danach ist der Bestand an Aktien der österreichischen Bank nur 2000 Gulden, bar vielleicht 40 000 Frank, die in diesem Moment wahrscheinlich in Wechseln in Ihrer Tasche oder in Ihrem Koffer sind; aber von den Ihnen anvertrauten baren Fonds befindet sich in Ihrer Kassette keine Spur.« – Der Baron war vernichtet. »Ich hatte Forderungen zu decken,« – stammelte er endlich, »das Geld ist nicht verloren – ich habe Spekulationen – gönnen Sie mir nur Zeit.«

Der Große lachte verächtlich. »Armer Narr! wenn wir das nicht wüßten, lebten Sie bereits nicht mehr, um hier von Ihrem Verhalten Rechenschaft zu geben. Merken Sie sich die Lektion, der nächste Bruch des Vertrauens wird mit Ihrem Herzblut gesühnt! ... Sie werden nach Wien reisen und das Eskomptegeschäft in Ordnung bringen. Je mehr Aktien Sie erwerben, desto besser. Es ist nötig, daß wir die Majorität der Stimmen besitzen. – Doch haben wir noch ein anderes und besseres Geschäft für Sie. Dies Memoire werden Sie, nachdem Sie es sich zu eigen machen, in einer Audienz an Herrn von Bach in Wien persönlich übergeben und ihm Vortrag darüber halten. Es betrifft den Vorschlag zum Ankauf der österreichischen Staatsbahnen für Rechnung einer zu bildenden Gesellschaft. In diesem Portefeuille finden Sie 2 Millionen Gulden in Wechseln auf Sina und Eskeles; fünfzigtausend davon werden Sie nötigenfalls für die Beamten verwenden, von deren Empfehlung das Geschäft abhängt, den Rest stellen Sie dem Premier sofort zur Disposition als Anzahlung auf den Kauf. Die weiteren Auseinandersetzungen und Bedingungen finden Sie in den Papieren.«

Der adelige Bankier ergriff erfreut das Portefeuille, prüfte aber als Geschäftsmann sorgfältig die darin enthaltenen Anweisungen. Dann steckte er alles zu sich, versicherte hoch und teuer, daß man volles Vertrauen in ihn setzen könne, und verließ, etwas weniger sicher, aber leichteren Herzens als er gekommen, das Gemach.

»Jetzt, meine Brüder,« nahm der zuerst Eingetretene der drei das Wort, »ist unser Geschäft für heute beendet. Sie werden die nötigen Anstalten treffen, daß unsere Missionare genügend überwacht und geleitet werden. Seien Sie tätig in sämtlichen Sektionen! Sie wissen, wie wichtig die Gegenwart ist. Wenn ganz Europa erst in Krieg verwickelt worden, kommt die Zeit unserer Ernte. Wann die höchste Gewalt im einzelnen oder insgesamt Ihren Sitzungen wieder beiwohnen kann, ist leider unbestimmt: darum leben Sie wohl bis dahin.«

Der Verwachsene winkte mit der Hand, einen Augenblick zu warten. Ein leiser, schrillender Ton ließ sich hören, und aus dem Druckapparat eines elektrischen Telegraphen, der unter einer entsprechenden Scheibe an der Wand der Nische angebracht war, schob sich langsam ein Streifen Papier, mit Punktierzeichen versehen. Er nahm denselben, las die Chiffreschrift und sagte lachend mit offenbar italienischem Akzent: »Graf Walewski hat sich an den Tuilerien beurlaubt und ist zu Mademoiselle Rachel gefahren. Dem Polizeiminister meldet man soeben, daß die Spione am Invalidenhotel keine Spur entdecken konnten. Mit dem Abendzug ist ein Kurier von Petersburg für Herren von Kisseleff eingetroffen, Fürst Oczakoff. Da haben Sie die Neuigkeiten. Buona notte!« Die Lichter erloschen, im Dunkel öffneten und schlossen sich mehrere Türen – dann Todesschweigen.


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