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Zweites Kapitel.
Die Massacres auf Chios.

Der Mond warf seinen klaren, durchsichtigen Schein auf Berg und Meer, mit seinem silberbleichen Licht die Ruinen des genuesischen Forts auf der Höhe des Pagus von Smyrna erhellend, das seinen kalten, herzlosen Strahl auf das Märtyrertum Stephanas in den Bergen der Zenta warf. Wo die Ruinen sich nach dem Meere zu öffnen, das mit seinem ewig schwellenden Busen unruhig zu träumen schien, lag die Bande des Räubers gelagert, der Smyrna beherrschte: auf einer Marmorquader Gregor Caraiskakis; an seine Knie gelehnt, trauernd, aber vertrauend zu ihm emporblickend, Diona, in deren reichem, nur von einer Spange zusammengehaltenem Rabenhaar die Hand des Bruders spielte. Vor ihnen der Kamelführer und Welland, der treue Freund. Nur wenige Schritte davon schürte Maro ein kleines tönernes Kohlenbecken, aus dem er von Zeit zu Zeit seinem Oheim oder dem Doktor eine glimmende Kohle reichte, mit der sie ihre lange Pfeife in Brand erhielten. Etwas weiter, rings um die Gruppe, aber doch im Bereiche des Gespräches, lagerten die Genossen des Räubers.

Welland hatte bei seiner Ankunft besseres gefunden, als er nach den Vorgängen der Nacht und den Mitteilungen des Freundes hoffen durfte. Eine schwere Beichte des Mädchens hatte stattgefunden, aus der sie jedoch weniger schuldig, als es geschienen, hervorgegangen war. Sie hielt sich für Sir Maubridges Gattin, und nur als solche war sie ihm gefolgt, nachdem in der Nacht vor der Flucht der britische Vizekonsul eine Art Zeremonie vorgenommen, die ihr Liebhaber für bindend erklärte, und die das Mädchen in ihrer Unbekanntschaft mit den europäischen Gebräuchen, und von Leidenschaft geblendet, gleichfalls dafür ansah.

Der Bruder aber beschloß mit dem Freunde, Sir Maubridge selbst zur Rede zu stellen. Der Zeremonie hatte außer dem Schreiber des Konsuls nur ein alter Matrose, derselbe, den Mauro in der Villa so rechtzeitig aus dem Fenster stürzte, beigewohnt. Die Nachricht von dem Tode ihrer Mutter warf einen trüben Schleier über die Hoffnungen der jungen Frau, durch den Bruder zu ihrem Rechte zu gelangen, und träumend und stumm, aber vertrauend auf ihn, saß sie und horchte auf das Gespräch der Männer, an den geliebten Verführer denkend, von dem Mauro die Kunde gebracht hatte, daß er am Nachmittag mit der Felucke abgesegelt sei. Der Konsul hatte sich noch am Vormittag zu dem Pascha begeben, um energische Reklamationen wegen des Überfalles und des Niederbrennens seines Landhauses zu erheben, und Jan Katarchi wußte durch seine Spione, daß Ali Pascha sofort Befehl erteilt hatte, Streifzüge gegen die Räuber zu unternehmen. Doch Jan spottete ihrer, und in der Tat war, mit Ausnahme der Khawassen der Konsulate, die Schar, die damals die Polizeimannschaft von Smyrna bildete, nicht viel besser als die Räuberbande selbst.

Die Gruppe an den Ruinen des Forts im Mondlicht gewann durch das schöne Bild der jungen Griechin einen besonderen Reiz. Sie trug über dem langen, seidenen Gewand von gelber Farbe die reich mit Gold gestickte, offene Ärmelweste, die einen so schönen Schmuck und Teil des griechischen Kostüms bildet, während das gewöhnlich von einem jener herrlichen smyrniotischen Fez oder der längeren griechischen Troddelmütze bedeckte Haupthaar frei um das schöne Gesicht wallte.

Die Männer waren in einem ernsten Gespräch begriffen. Welland hatte die Vorgänge des Tages in Smyrna mitgeteilt, und die Rede hatte sich auf die politischen Verhältnisse und Ereignisse überhaupt gerichtet, die den Orient und Occident zu erschüttern drohten. Konstantinopel war in diesem Augenblick noch der Zentralpunkt der diplomatischen Agitationen, und von hier aus spannen sich die Fäden der Intrige und Gegenintrige, deren Auslaufen und Entscheidung nur wenige noch berechnen konnten.

Caraiskakis, infolge seines abenteuernden Lebens nur unvollständig über den Stand der Angelegenheit unterrichtet, hatte den Freund um einen kurzen Umriß gebeten, und dieser gab ihm denselben: Man hatte in Wien frohlockt, daß der Zar die Forderungen Österreichs in der montenegrinischen Frage so kräftig unterstützte, sah aber jetzt, daß das Petersburger Kabinett damit einen viel wichtigeren Schlag in Konstantinopel vorbereitet hatte. Rußland, das seit Katharina II. mit mehr oder weniger kurzen Unterbrechungen überwiegenden Einfluß in Konstantinopel ausgeübt hatte, bemerkte seit einiger Zeit mit Unruhe, daß an der Hohen Pforte französische und englische Sympathien – offenbar infolge des erweiterten Verkehrs und der Erziehung junger Orientalen in Paris und London – sich geltend machten. Auch materiell hatten England und Frankreich durch die Vermehrung von Konsulaten, neue Handelsverbindungen usw., in der Türkei einen festeren Fuß gefaßt. Die Flüchtlingsfrage nach dem ungarischen Kriege war durch Englands Einfluß gegen Rußland entschieden worden. Die türkischen Verhältnisse selbst waren kaum länger haltbar ohne eine durchgreifende Änderung, das fühlten und sahen mehr noch als die europäischen Höfe die einsichtsvollen Orientalen selbst, und an solchen fehlte es keineswegs, denn der Einfluß, den alle Staaten Europas nach und nach sich in der Türkei erworben, teils durch die Traktate, teils durch ihre Machtstellung und Handlungen eigener Machtvollkommenheit, war derart, daß die Souveränität der Pforte einzig durch die Rivalität der abendländischen Staaten bewahrt wurde. Nichtsdestoweniger hatte man sich in Petersburg dem Glauben hingegeben, daß die russische Machtstellung im europäischen Staatenverband und sein bisheriger dominierender Einfluß auf Mitteleuropa hinreichen würden, ernste Konflikte zu vermeiden. Dazu kam der blinde Glaube an die Unmöglichkeit einer politischen Allianz Englands mit Frankreich. Kaiser Nikolaus, einer der ehernsten Charaktere der Weltgeschichte, rechnete Völker und Länder zu sehr als Zahlen von seinem erhabenen Standpunkt aus und trug den tieferen Erscheinungen und Charakteren der Gegenwart zu wenig Rechnung. Fürst Menschikoff, der russische Marineminister, war am 28. Februar in Konstantinopel eingetroffen und hatte einen feierlichen Einzug unter dem Jubel der griechischen Bevölkerung gehalten. Unter den niederen Klassen hatte sich das Gerücht verbreitet, der Fürst werde mit den Griechen von Konstantinopel das nächste Osterfest in der Sophienkirche – dem ehemaligen Palladium des griechischen Christentums – feiern. Sein starrer Charakter war zur Führung intrigenvoller diplomatischer Verhandlungen, in denen die orientalischen Staatsmänner die feinsten Diplomaten des Westens überragen, wenig geeignet. So hatte er sich geweigert, dem Minister des Auswärtigen, Fuad Effendi, der Etikette gemäß, seinen Besuch zu machen, mit der Erklärung, daß Rußland gerade besondere Beschwerdegründe gegen diesen ihm persönlich feindlichen Minister habe, der auch die Verhandlungen wegen der Auslieferung der ungarischen und polnischen Flüchtlinge geleitet hatte. Die Pforte zeigte aber seinem energischen Auftreten gegenüber sofort ihre Nachgiebigkeit durch die Enthebung Fuad Effendis von seinem Portefeuille. Getäuscht durch dieses Resultat ging der Fürst weiter. Der vorgeschobene Beschwerdepunkt, der Krieg gegen Montenegro, war bereits durch die österreichische Intervention beseitigt – es blieb also nur die Frage wegen der heiligen Stätten, hauptsächlich über den Besitz der Schlüssel zum heiligen Grabe, welchen sowohl die Lateiner wie die Griechen in Anspruch nahmen.

Dies war der Wendepunkt, an dem aufs neue das Spiel der politischen Intrige begann. Die Hauptforderung Rußlands ging darauf hinaus, daß die Pforte in einem besonderen Protokoll der griechischen Kirche in der ganzen Ausdehnung ihres Gebiets alle von Alters her besessenen Rechte, Privilegien und Immunitäten unverändert auf der Grundlage des bestehenden Status quo gewährleisten solle, und daß die griechische Kirche berechtigt sei, alle den begünstigten christlichen Nationen eingeräumten Vorrechte auch für sich in Anspruch zu nehmen. Durch die Gewährleistung dieser Forderung hätte der Zar das Recht erhalten, als Protektor der orientalischen Kirche, also der griechischen Untertanen des Sultans, sich bei allen entstehenden Streitigkeiten derselben mit der türkischen Regierung zum Schiedsrichter aufzuwerfen. Es bedeutete mithin gewissermaßen eine vollständige Abhängigkeit von Rußland, obschon auf der anderen Seite nicht zu leugnen stand, daß die griechische Kirche und Bevölkerung in der Türkei dringend einer Befreiung und eines energischen Schutzes ihrer Rechte bedurften.

Unterm 10. Mai lehnte der Diwan dieses Verlangen als Eingriff in die Souveränitätsrechte des Sultans ab, bewilligte hingegen die geringeren angeschlossenen Forderungen. Zugleich trat durch den Einfluß des seit dem 5. April in Konstantinopel wieder eingetroffenen britischen Gesandten, Lord Stratford de Redcliffe, eine Veränderung des türkischen Ministeriums im britischen Sinne ein; Reschid-Pascha trat an die Spitze des Auswärtigen. Fürst Menschikoff antwortete am 11. Mai auf die türkische Note und kündigte, als die neuen Verhandlungen kein Resultat herbeiführten, am 18. an, daß er seine offiziellen Verbindungen mit der Pforte abbrechen müsse, weil man ihn nur mit leeren Ausflüchten hinhalte, und zog sich hierauf an Bord des bei Bujukdere ankernden Dampfschiffes zurück, das ihn nach Odessa bringen sollte, setzte aber die privaten Unterhandlungen noch fort; da die Pforte aber hartnäckig alle Modalitäten des Ultimatums zurückwies, verließ er am 21. Mai mit dem russischen Gesandtschaftspersonal Konstantinopel, nur die Handelskanzlei dort zurücklassend. Nun sandte der russische Minister des Auswärtigen, Reichskanzler Graf Nesselrode, nochmals eine Note an Reschid-Pascha, in welcher er die Annahme der früher gestellten Bedingungen binnen acht Tagen forderte, widrigenfalls Rußland die Donau-Fürstentümer besetzen würde, erklärte jedoch dabei, daß diese Besetzung eben nur als Pfandnahme und nicht als Kriegserklärung zu betrachten sei. Frankreich und England, die nach der Einleitung des Konflikts zwischen Petersburg und der Pforte sich der äußeren Einmischung fern gehalten hatten, riefen jetzt ihre Flotten in die Nähe von Konstantinopel, und am 15. Juni gingen beide in der Besikabai, am Eingang der Dardanellen, zu Anker.

Dies war die Übersicht, die Welland dem Freunde mitteilte ... »Mir scheint, Freund,« sagte er zum Schluß, »der redliche Wille einer Versöhnung und Ausgleichung ist auf keiner Seite sonderlich groß und von Zwischeninteressen, die in dem Streit spielen, scheinen so viele vorhanden, daß an eine friedliche Lösung kaum zu denken ist. Es ist offenbar, daß wir auf einem unterwühlten Boden stehen, und niemand kann sagen, nach welcher Seite die Wagschale sich senken, wo das gezogene Schwert rasten wird. Alle Verhältnisse scheinen sich umgekehrt zu haben, Freunde stehen sich feindlich einander gegenüber, alte Feinde haben den Groll im Busen verschlossen und machen gemeinsame Sache. Ich fürchte, Freund, auch unser Schicksal wird uns in das volle Wogengebraus hinauswerfen.«

»Ja, Sie haben recht, daß alle Verhältnisse verkehrt und aus den Fugen gerückt sind in diesem Streit!« entgegnete mit Bitterkeit der Grieche. »Steht nicht das allerchristlichste Frankreich, das streng protestantische England neben dem ewigen Erbfeind des Kreuzes, um drei Millionen Türken das Recht wahren zu helfen, zehn Millionen Christen zu unterdrücken, zu tyrannisieren, sie aller historischen und menschlichen Rechte zu berauben?« – »Ich glaube schwerlich, Freund, daß Sie es besser haben würden unter der Knute Rußlands, als Ihre Väter es unter der Peitsche der Moslems hatten. Sie wünschen die Wiedergewinnung und Erhebung Ihrer Nationalität. Wohl! Aber Rußland, Ihr Beschützer, ist doch gewiß gerade der Staat, der eine fremde Nationalität am wenigsten achten würde. Blicken Sie doch hin nach Polen!« – »Meinen Sie,« unterbrach ihn der Grieche, »daß mein Volk auch nur den Gedanken in sich trüge, ein Teil des russischen Reiches zu werden? Keinem Hellenen kommt die Idee! Frei wollen wir sein auf unserer eigenen Erde, die getränkt ist mit tausend großen Erinnerungen der Vorzeit, Herren unseres eigenen Landes, das zur Wüste geworden, dessen Kirchen zerstört, dessen Kinder geschändet und geschlachtet sind von einer Handvoll Ungläubiger.« Sein Auge flammte, seine Hand war erhoben, als er von der Unterdrückung seines Vaterlandes sprach. Auch Diona, die Tochter Griechenlands, schaute, auf den Knien liegend, mit geröteten Wangen und feurigen Augen empor zu dem Bruder.

Der Räuber hatte sich aufgerichtet aus seiner trägen Stellung ... »Höre mich, Franke,« sagte er mit seiner tiefen Stimme. »Ich bin nicht gelehrt wie du und wie mein Sohn hier aus edlem Geschlecht; ich bin ein geringer Mann aus dem Lande meiner Väter, ein Dieb und Mörder, der nichts von dem versteht, was die Könige des Frankenlandes sprechen und wollen. Aber sie sind Staub in den Augen des großen Zaren, der stets unser Freund war, wie sie Staub sind in den unsern. Wem sollen wir trauen? auf wen sollen wir hoffen? wenn nicht auf ihn, dessen Glaube der unsere ist, der der ewige Feind unserer Tyrannen gewesen und sie bekämpft hat? Sollen wir vertrauen auf den Bruder, der sich uns bewährt und uns geschützt hat, oder auf den Fremdling, der unserer höhnt und spottet, die Früchte unseres Fleißes an sich reißt und mit unseren Unterdrückern gemeinschaftliche Sache macht?« – »Da hören Sie die Stimme des Volkes,« sagte Gregor; »wie dieser, denken und sprechen Tausende, ja Millionen ... Es kann nimmer die Rede sein von Versöhnung zwischen dem Opfer und seinem Henker! Oder soll ein Volk, das solche Leiden getragen, wie das meine, je den Unterdrücker ehren und lieben lernen? Kann es je ein Vergessen geben zwischen einem Hellenen und einem Bekenner des Propheten? Wollen Sie eine Geschichte hören, die Sie lehren mag, die Gefühle und Erinnerungen meines Volkes besser zu beurteilen, wohlan, hier ist der Mann, der sie Ihnen geben wird: Janos!«

»Euer Vater, meine Kinder,« begann der Räuber, »war ein wohlhabender Mann auf der Insel Chios und trieb Handel mit Mastix nach Konstantinopel. Chios war damals ein blühendes Land, ein Garten Gottes, reich gesegnet mit Fruchtbarkeit und Schönheit. Was unser Himmel bietet, fand man auf der Insel, der Hafen von Kastron war gefüllt mit Schiffen aller Nationen, und hundertzwanzigtausend tätige, wenn mit der türkischen Herrschaft und ihrer Willkür auch nicht zufriedene, so doch ruhige und fleißige Menschen bewohnten die Insel. Das kam, weil von Konstantinopel selbst uns Schutz und Schirm gegen die Tyrannei wurde, unter der unsere Brüder auf den Zykladen und dem Festlande seufzten, denn Chios gehörte Fatme Sultana, der Schwester des Großherrn, als Eigentum, und sie bezog jährlich nicht weniger denn zwölfhundert Beutel von unserer Insel, die den Mastix erzeugt, wie kein anderer Ort in der Levante. Wie bald sollten wir jene beneiden lernen! Ich war in Ipsara geboren, aber schon als Knabe in das Haus deines Vaters gekommen und hatte ihn auf vielen Reisen nach Athen, selbst nach Triest und Konstantinopel begleitet. Der Name deines Vaters war geachtet und er zählte zu den Patrioten, die über dem Gewinn des Handels und dem Klange des Goldes nicht vergaßen, daß der Besitz ihrer Habe, ja ihrer Familie und ihres Lebens nur Schein und von der Willkür des Muselmannes abhängig war, daß unser heiliger Gottesdienst nur gegen schwere Geschenke an die Machthaber geduldet wurde und jedes Rechts entbehrte, daß die Ehre unserer Frauen und Töchter das Spiel der Lüste unserer Herren blieb und der Moslem verächtlich vor dem eingeborenen Sohne des Landes ausspie und ihn Giaur nannte, wenn er demütig an ihm vorüberging. Wir waren elender, als das von Gott verfluchte Volk der Erde ist!

Es bestand damals – und man hat mir erzählt, daß er seit mehr als hundert Jahren unter meinem Volke bestanden – ein geheimnisvoller Bund, »Hoffnung« benannt, der über das Festland und alle Inseln, ja weit hinein nach Asien und über Byzanz hinaus ging und alle Besseren, Tugendhaften und Tapferen unseres Volkes in seinen Reihen zählte. Wo die tausend Felseninseln wie Sterne auf dem blauen Meere schwimmen, da gibt es kleine Eilande, unzugängliche Berge, auf die sich freie Männer geflüchtet haben und wohin noch nie der Fuß eines Moslems ungestraft gekommen ist. Hier ist die Wiege der griechischen Freiheit, und von diesen Felsenbuchten, in deren Schutz die Häupter des Bundes sich alle vier Jahre zu versammeln pflegen, ging der ewige Krieg aus, den, von den Franken verlassen, unser Volk wenigstens im einzelnen seit Jahrhunderten gegen die Ungläubigen geführt hat.

Dein Vater, Gregor, gehörte seit zehn Jahren dem Bunde an, und als die Stunde gekommen war, wo auf dem Festlande die Fahne des Kreuzes gegen den unerträglichen blutigen Druck erhoben werden sollte, eilte er dahin. Vom Norden, vom großen Zar aus Moskau her, kam auch damals der Ruf unserer Freiheit. Fürst Ypsilanti zog in das Land an dem großen Strome, der uns von unseren russischen Brüdern scheidet, aber die heilige Schar fiel bei Dragachan unter der türkischen Übermacht, und der Großherr in Konstantinopel schwor bei seinem Barte, alles zu vertilgen, was Grieche hieß im Lande. Auch zu uns kam die Kunde, wie man in Konstantinopel, in Smyrna und Salonichi alle Kirchen zerstört, wie man unser Volk beraubt und gemartert, unseren ehrwürdigen Erzbischof, den heiligen Gregorius, vor der Hauptpforte seiner Kirche am heiligen Ostertage aufgeknüpft hatte. Da entbrannte in den Herzen unseres Volkes die heilige Flamme und überall schlug das Feuerzeichen der Freiheit empor! Von Achaja aus tönte der erste Ruf, und als der Erzbischof von Patras in den ersten Apriltagen das Kreuz aufrichtete, da klang es wider in Ätolien, in Attika, Akarnanien, Livadien; auf Spezzia, Ipsara und Hydra, auf Samos wie im Epirus und in Thessalien, wo die tapferen Sulioten und Agraphen sich mit dem Löwen von Janina verbanden, der längst schon am türkischen Joche gezerrt. Der alte Held Kolokotroni zog mit seinen Klephten daher, der edle Nikitas, Petros Mauromichalis, der Bey der Marine! Aber Chios wagte es nicht, laut in den Jubelruf einzustimmen, denn Veli Pascha, der Gouverneur, hatte zehn der angesehensten Chioten nach Konstantinopel als Geiseln geschickt und nahm jetzt aus jedem Dorfe zwei Ortsvorstände und warf sie in die Kerker von Kastron, um sich gegen einen Aufstand zu sichern. Dein Vater, Gregor, war, zeitig gewarnt, auf den Ruf Maurokordatos, seines Freundes, der auch aus Chios stammte, nach Attika geeilt. Mich, ich war damals achtzehn Jahre alt, ließ er bei seiner Familie zurück, denn deine Mutter trug dich noch an der Brust und selbst dein Bruder Andreas zählte erst vier Jahre. In dem Hause deiner Familie, an der Bucht von Volisso, glaubte er sie vor allen Stürmen geschützt und ich mußte ihm auf das Kreuz schwören, sie nie zu verlassen.«

Gregor reichte dem alten Diener seiner Familie die Hand ... »Vater Michael,« sagte er weich, »und die Mutter, die jetzt beide im Himmel sind, bezeugen dort oben, wie treu du Wort gehalten.« Janos küßte die Hand und fuhr in seiner Erzählung fort:

»Die guten Tage für Chios waren vorüber. Veli Pascha und seine Agas machten sich die Erbitterung des Diwans gegen das griechische Volk zu nutze und begannen Unterdrückungen und Erpressungen, die bald allen Grausamkeiten die Wage hielten, welche unsere Brüder auf dem Festlande je erduldet hatten. Dennoch widerstanden die Bewohner von Chios dem Ruf, der täglich von Samos und Ipsara her erging, zu den Waffen zu greifen und sich dem allgemeinen Kampfe anzuschließen, denn in den Kerkern von Kastron lagen ihre Väter und Brüder, hundertundzwanzig an der Zahl, darunter die sieben Bischöfe unserer Insel, und jede Familie zitterte bei dem Gedanken an das Schicksal, das die teuren Häupter in der Gewalt unserer Tyrannen beim geringsten Zeichen des Widerstandes bedrohte. Da landeten Fürst Logotheti und General Burnia am 25. März mit zweitausend Samnioten auf Chios und pflanzten des folgenden Jahres das Kreuz der Freiheit auf der Insel auf, griffen Kastron an und erschlugen hundertundfünfzig Türken im Gefecht. Veli Pascha mit den Seinen flüchtete in das Kastell und wurde hier belagert. Das Verderben aber war nahe. Bald erscholl die Nachricht von der Annäherung des grausamen Kapudan Pascha mit der türkischen Flotte. Allgemeiner Schrecken verbreitete sich, und wer da konnte, flüchtete sich. Am 12. April schiffte sich Kapudan mit 15 000 Mann von Tschesme nach der Insel über, die von Ipsara und Hydra kappten die Anker und flohen, zwölftausend Bewohner der Insel mit ihnen. Sieben Schiffe fielen in die Hände der Türken und wurden mit den Unglücklichen versenkt, – ihr Los war glücklich gegen das der Zurückgebliebenen. Allgemeines Entsetzen hielt diese in Untätigkeit, während – hätten sie sich mit den Samnioten verbunden – sie mit sicherm Erfolg der Macht der Türken Trotz geboten hätten. Doch man verließ sich auf das Versprechen des österreichischen und französischen Konsuls, die mit dem Kapudan Pascha unterhandelt und die Zusage allgemeiner Amnestie überbracht hatten, wenn man alle Waffen ausliefere. Dies geschah; nur wenige hielten sich mit Logotheti und Burnia in den Batterien von Turloti, und dort entbrannte ein heißer Kampf am 12. und 13. April. Alle Gegenwehr war vergeblich, die Schanzen wurden erstürmt, die Führer retteten sich durch die Flucht, während der Überrest der tapferen Schar sich in das Kloster Yamon warf und Schritt um Schritt, Blut um Blut jeden Fußbreit gegen die anstürmenden Scharen verteidigte. Sie wußten ihr Schicksal, und während die Kirche von Turloti in Flammen aufging, während die Türken bereits die Gräber aufrissen und die Leichen verstümmelten, fiel einer der Helden nach dem anderen, kämpfend in den Trümmern des Klosters – keiner entkam – mein einziger Bruder war unter den Toten.«

Der Erzähler schlug ein Kreuz zum Gedächtnis des Gefallenen, andächtig folgten die übrigen Griechen, dann fuhr er fort: »Am 14. war auf der ganzen Insel kein Widerstand mehr, und nun begann eine Zeit voll Mord und Entsetzen, wie wohl noch keine gewesen ist unter den Völkern der Erde. Scharen von asiatischen Mördern und Räubern, unzählig wie Heuschreckenwolken, strömten von Tschesme und Smyrna her über die unglückliche Insel, die der Wüterich jedem Schrecken preisgegeben. Sechs volle Tage dauerte das Morden. Greuel, wie sie die Hölle nicht erfindet, wurden hier ausgeübt; nicht das Kind an der Brust, nicht der wankende Greis verschont. Schon am anderen Tage gingen vier Maulesel mit Köpfen und Ohren beladen nach Smyrna ab. Entmannte Männer, Frauen und Jungfrauen, denen die Unholde die Brüste abgeschnitten, sah ich überall. Am 19. waren bereits von 65 Dörfern, die die Insel zählte, 49 fast spurlos von der Erde vertilgt, darunter 20 Mastixdörfer. Vergebens bemühte sich der französische Konsul Digeon, ein früherer Offizier, wenigstens einige zu retten. Hinter seinem Rücken begannen die aufgestellten Schutzwachen aufs neue das Werk der Zerstörung.«

Diona faßte die Hand des Mannes ... »Und du, Janos, wo bliebst du? und was geschah mit unsrer Mutter?«

»Als das Morden begann,« erzählte er weiter, »und wir in unserer entfernten Wohnstätte die erste Kunde davon erhielten, suchte ich eilig ein Schiff, aber alle hatten, wie ich bereits erzählt, von Kastron aus die Flucht ergriffen. In den Felsenschluchten des Berges Hyas war mir ein Versteck bekannt. Dorthin – unter die Trümmer eines alten Götzentempels unserer Väter, der weit hinaus schaut aufs Meer – führte ich Mutter und Kinder und verbarg sie vor den Augen unserer Henker. Acht lange schreckliche Tage brachten wir da zu, während deren einige wenige glückliche Flüchtlinge sich zu uns gesellten. Dann litt es mich nicht länger in den Bergen; ich trat zu eurer Mutter und bat sie, mich nach Kastron gehen zu lassen, um dort nach Hilfe auszusehen. Nur schwer gab sie die Erlaubnis, aber unsere Not war groß und ich mußte fort ... Ich ging durch das Gebirge und nahte mich Kastron. In einem Hause, das allein an einem Bergabhange stand, fand ich zwei der Henker, – sie schliefen, berauscht von dem ihnen verbotenen Chioswein, neben den entstellten Leichen zweier Mädchen, die sie geschändet. Ich erschlug beide im Schlaf – es war das erste Blut, das ich vergoß, und wahrlich, nicht solches, das ich je bereut habe! – In der Kleidung und mit den Waffen eines der Erschlagenen ging ich weiter und kam nach Kastron.

Es war am Morgen des 23. April. Kaum noch ein Haus stand außer denen der Konsuln. Was noch lebte, trieb man jetzt in Haufen zusammen und zu den Schiffen, um als Sklaven nach dem Festlande geschafft zu werden. Aber Veli Pascha hatte sich noch ein besonderes Fest vorbehalten; es galt den hundertundzwanzig Geiseln, die in seinen Kerkern schmachteten – darunter sechsundachtzig Ortsvorstände und sieben Bischöfe, die anderen angesehene Kaufleute des Landes. Fünfunddreißig von ihnen, darunter zwei Brüder Maurokordatos mit ihren jungen Söhnen, Knaben noch, wurden nach dem Schiffe des Kapudan Pascha geschleppt, die übrigen hing man am Morgen an den Mauern von Kastron auf, und als es den Henkern zu langsam ging, stürzte man sie herab und zerschmetterte ihre Glieder mit Keulenschlägen.

Ich schlich in der öden Stadt unter Trümmern und Leichen umher – als ich Zeuge ward einer Tat, die mir noch das Blut im Herzen erstarrt. Unter einem Haufen von Unglücklichen, die gleich dem Vieh von einem der Mastixdörfer herbeigetrieben wurden, erkannte ich die Frau und die Tochter eines Mannes, in dessen Hause ich oft gesessen hatte. Aphanasia, das Mädchen, war schön, sie zählte sechzehn Sommer und blühte wie die Rose ihrer Gärten. Ich trug schon lange die Liebe zu ihr im Herzen, aber ihr Vater war reich und ich ein armer Diener – so schwieg ich. Jetzt fand ich sie wieder, arm und elend, des notdürftigsten beraubt, das ihre junge Schönheit deckte. Ich kam dazu, wie der Araber, dessen Beute sie war, sie eben an einen Türken verhandelte, der 300 Piaster dafür geboten. Ein unglücklicher Augenblick feigen Zögerns, um mich selbst nicht zu verraten – er war ihr Verderben. Mit Geld war ich reichlich versehen, denn eure Mutter hatte mir eine Summe zur Gewinnung eines Schiffes gegeben, und der Gürtel der erschlagenen Mörder enthielt eine große Zahl goldener Zechinen, die Frucht ihres Raubes. Ich trat hinzu, indem ich Aphanasia ein Zeichen gab, mich nicht zu kennen, und bot dem Ägypter 3000 Piaster statt jener dreihundert. Die Augen des Schurken funkelten vor Freude über den Gewinn, aber der Türke erklärte, daß sein Handel bereits abgeschlossen gewesen, ehe ich mein Gebot getan, und wollte das Mädchen davonführen. Da warf ihm, ergrimmt über den entzogenen Gewinn, der Mohr die Kaufsumme vor die Füße, und ehe ich es hindern konnte, riß er das Pistol von seinem Gürtel und schoß das Mädchen durch die Brust. Ihr sterbender Blick fiel auf mich, der ich erstarrt stand vor der schändlichen Tat, dann flog mein Handjar aus der Scheide und schlug den Mörder zu Boden. Aber mein Schmerzensruf, meine Flüche hatten mich verraten. »Ein Gjaur! Tötet den Christenhund!« scholl es um mich her, kaum vermochte meine Wut mir Bahn zu brechen durch die sich mehrenden Verfolger. Aber ich rettete mich in eine Gasse, durch die der Zug seinen Weg nahm, der die fünfunddreißig Kaufleute aus den Gefängnissen des Kastells zum Schiff des Kapudan Pascha schleppte. Ein Aga befahl mir, mit Hand anzulegen an die Gefangenen; ich mußte gehorchen, um mich nicht zu verraten, und so kam ich auf das Schiff selbst, um Zeuge jener Taten zu sein, deren Gedächtnis noch mein Blut in den Adern gerinnen macht ... Im Mitteldeck war ein Raum abgeschlagen, an dessen Enden ein Diwan stand, auf dem der Kapudan, von seinen Offizieren umgeben, ruhte. Ein großes Kohlenbecken in der Mitte glühte die Eisen und Zangen, ringsum an den Holzwänden hingen Werkzeuge, wie sie nur die Hölle ausgedacht, Stachelpeitschen, eiserne Keulen, Schraubenringe, die die Gelenke zu Brei quetschten, – ich vermag nicht alles zu nennen, noch aufzuzählen. Einer nach dem andern der Gefangenen wurde hineingeführt, und der Geruch verbrannten Fleisches, das Geheul und Röcheln der Gemarterten, drang furchtbar zu uns heraus, daß selbst mancher der an Mord und Blut gewöhnten Wächter zu erbleichen schien. Endlich, als zum viertenmal das Todesröcheln verstummte, wies der Aga auf mich und zwei Genossen und hieß uns, die beiden Gefangenen, die wir an Stricken geführt, hineinbringen. Es war ein Maurokordatos – ein Greis von siebenzig Jahren – mit seinem Enkel, einem Knaben. Ich hatte ihn oft früher gesehen bei meinem Herrn.

Als wir den Verschlag betraten – Herr, ich war selbst mehr tot als lebendig, und hätte in dem Augenblick gern mein Leben gegeben, um die Greuel nicht zu sehen, – stürzten die beiden Henker – es waren, höre es, Franke, ein Malteser und ein nubischer Sklave, Diener des Kapudan – eben die verstümmelten Reste des letzten Opfers durch die Stückpforte ins Meer. Zitternd nahten die beiden dem Furchtbaren und warfen sich nieder vor ihm auf die Knie, um Erbarmen flehend. Es war herzzerreißend, sinnverwirrend, die Bitten des Greises um Gnade für das Kind zu hören. Der Kapudan – ruhig auf seinem Lager ausgestreckt, das Nargileh zwischen den Lippen, fragte den Greis, ob er hunderttausend Piaster als Lösegeld sofort herschaffen könne? – Ich wußte, die Familie hatte das Zehnfache in ihrem Vermögen gehabt, – aber woher jetzt, nach dem Raub und der Plünderung ihrer Habe, während sie aus dem Kerker kamen, der sie länger als ein Jahr umschlossen, – die große Summe schaffen? Die Augen des Greises irrten wie wahnsinnig umher, – überall nur Blutdurst, Grausamkeit – nirgends Hilfe. Ich sehe ihn noch, wie er auf den Wink des Paschas zu Boden geworfen und ihm Maß auf Maß des bittern Seewassers durch einen Trichter in den Mund gefüllt wurde, indes man ihm die Nase zuhielt, bis der Leib aufschwoll zu entsetzlichem Umfang. Dann warfen sich die Henker auf ihn und preßten und traten den Greis ... Als ich auf dem Deck den sonnig blauen Himmel wieder sah, der sich so herrlich über Meer und Land wölbte, da war das Gelöbnis heiliger, blutiger Rache mein erster Gedanke, mein heiliger Schwur, und ich habe ihn gehalten; – denn diese meine rechte Hand war es, die den Tiger mit seiner Brut zwei Monden darauf gen Himmel sprengte!«

Der Räuber schwieg wie erschöpft von den furchtbaren Erinnerungen seiner Jugend; Welland hatte sein Haupt verhüllt bei der Beschreibung dieser Greuel; aus seinen und Dionas Augen flossen Tränen. Nur Gregor blickte finster und flammend umher und auf die Türkenstadt zu seinen Füßen ... »Mein Vater rächte das Ungeheure mit dir! Michael Caraiskakis war bei der großen Sühne, die die Heldenschar des Kanaris dem blutgetränkten Chios brachte.« – »Wohl, Knabe, aber meine Hand war es, die die rächende Flamme zündete. – Höre darum weiter!

Auf einem der Boote, die fortwährend zwischen der aus vierzig Segeln bestehenden Flotte und dem Lande kreuzten, entkam ich glücklich wieder zur Stadt. Die »Siegesfahne«, das Schiff Kapudan Paschas, zählte elfhundert Mann Besatzung, zahllose andere Banden verkehrten fortwährend dort. Wer sollte mich in dem Gewühl entdecken, da ich gut türkisch sprach? So blieb ich bei den Moslems, bis der Abend kam, – dann trennte ich mich von ihnen und schlich nach dem Ort, wo am Morgen Aphanasia ermordet worden. Ich fand sie wirklich unter anderen Leichen, und auf meinen Schultern trug ich den teuren Körper fort und begrub ihn unter einem Feigenbaum. Dann eilte ich zurück ins Gebirge, und am zweiten Morgen war ich wieder bei deiner Mutter und schloß euch Knaben mit Dankestränen in meine Arme, daß die Heiligen mir gestattet, euch zu retten ... Noch zehn Tage blieben wir in unserem Versteck, uns kümmerlich von Früchten und der Milch der in die Berge verlaufenen Ziegen nährend, denn wir wagten kein Feuer anzuzünden, aus Furcht, uns zu verraten. Am Morgen des elften Tages endlich sahen wir ein Schiff in der Nähe kreuzen, dessen Flagge nicht den Halbmond mit den Sternen trug. Von den erhabenen Trümmern des Tempels aus gaben wir ein Zeichen, indem wir unsere Kleider an Stangen banden und zum erstenmal Feuer anmachten, um durch den Rauch ihre Aufmerksamkeit auf uns zu ziehen. Es glückte – wir sahen bald ein Boot abstoßen und ich eilte hinab zum Ufer, die Nahenden zu prüfen, ob Rettung von ihnen zu hoffen sei. Heilige des Himmels, der erste, der den Boden betrat, war dein Vater, Gregor! – Wie soll ich euch die Freude des Wiedersehens erzählen, als Michael Caraiskakis die Seinen unverletzt ans Herz drückte? Ich schlich davon unter die Trümmer und weinte. Die meinem Herzen gleich teuer gewesen, war im Himmel!

Das Schiff war die österreichische Brigg »Vinetia«. Auf die erste Nachricht von der Ankunft der Türken auf Chios hatte sich Caraiskakis aufgemacht zur Rettung der Seinen. Auf Samos schon hörte er die Kunde von der Verwüstung der Insel und gab die Familie verloren. Dennoch wollte er wenigstens die Insel betreten. Es gelang ihm, auf dem österreichischen Schiffe die Erlaubnis zur Überfahrt zu erwirken. In Volisso war er ans Land gestiegen und hatte hier alles verwüstet, aber nirgends Spuren der Seinen gefunden. Viele Flüchtlinge, die sich gleich uns in den Felsenklüften verborgen, hatten bereits glücklich das Schiff erreicht, das seit mehreren Tagen um die Insel kreuzte, und als wir sein Deck betraten, fanden wir neue Szenen der Klage und des Jammers, aber auch die zum Himmel geballte Faust, den Schwur blutiger, ewiger Rache an den Mördern. Nach Ipsara ging unser Lauf, wo sich die entkommenen Patrioten der Inseln, wo sich die Rächer des Frevels versammelten. Dort hörten wir täglich neue Kunde von dem, was auf Chios geschehen und noch geschah, und jede Botschaft schürte das Feuer in unseren Herzen.

Der Kapudan Pascha hatte endlich unterm 13. Mai, um die Insel nicht ganz zu entvölkern, durch einen Ferman verboten, noch weitere Sklaven auszuführen. Das Verbot aber rief nur neue Schreckenstaten hervor. Die Moslems, die die Christenkinder nicht verkaufen konnten, stürzten sie ins Meer. Fünftausend Kinder im zarten Alter wurden an den Bäumen aufgehängt und von den Felsen und Häusern herabgestürzt. In Tschesme band man sie zu fünfzig bis sechzig mit Stricken zusammen und stürzte sie ins Meer. Selbst die geldgierigen Smyrnioten fühlten Erbarmen mit dem Elend und kauften so viel sie vermochten. Tausende und Abertausende der Bewohner waren in die Sklaverei geschleppt, zweihundert der angesehensten Geschlechter der Insel ausgerottet worden. Von einer wohlhabenden Bevölkerung von 120 000 Seelen blieben etwa neunhundert auf Chios zurück. – Bald drang auch die Kunde zu uns, daß am 20. des Maimonds in Konstantinopel jene zehn Geiseln enthauptet worden, die Veli Pascha schon vor Jahresfrist dorthin gesandt. Da endlich schlug die Lohe der Rache für das Ungeheure, verderbenbringend den Frevlern, in die Höhe. Ein Schrei des Entsetzens und der Wut erscholl, so weit die griechische Zunge reicht. Der Kapudan Pascha, der die Verantwortung in Konstantinopel fürchten mochte, daß er das Eigentum der Sultana so gänzlich zerstört, sandte auf einem englischen Schiffe Botschaft nach Samos und ließ den Aufgestandenen Vergebung und Sicherheit anbieten, wenn sie die Waffen niederlegen und unter das türkische Joch zurückkehren wollten. Hörst du es, Franke? Inglesi waren es, die diese Botschaft der Schmach überbrachten und die tapferen Samnioten überreden wollten. Mit Hohn und Grimm wurden sie zurückgewiesen. Von Hydras, Pharos und Spezzia hinauf zu Ipsara und Skyros, der Brautkammer des großen Achill, scholl ein Ruf empor zu den Wolken: Freiheit oder Tod! ... Und der Tag der heiligen Rache kam ... Kanaris, der Held, führte sein blutiges Morgenrot herauf. Mit einer Fregatte und fünf anderen Fahrzeugen erschien er am 10. Juni vor Ipsara und warf Anker. Ein ernster Rat wurde gehalten unter den Führern des Geschwaders und den Geflüchteten. Dein Vater, Gregor, war einer der ersten im Rat und saß neben ihm, der die Schiffe der Moslems wie Spreu durch die Meere fegte.

Die große Tat ward beschlossen! Noch am Abend desselben Tages rief mich dein Vater und befahl mir, ihm zu folgen. Er führte mich in ein Haus, wo ich viele Männer versammelt fand, mir bekannte und unbekannte, es waren die Brüder jenes Hoffnungs-Bundes in der Hetärie, dessen Eid lautet ...« Gregor unterbrach ihn. »Das sind Dinge, Janos, die nicht für das Ohr des Franken taugen, auch wenn er unser Bruder ist. Vollende deine Erzählung.«

Der Räuber schaute erschrocken seinen jüngeren Landsmann an, eine kaum merkliche rasche Bewegung, ein flüchtiges Kreuzen über die Stelle des Herzens belehrte ihn, – er erwiderte das Zeichen und fuhr fort: »Genug! Die Söhne der Hoffnung waren tapfere, die geschworen, vor keiner Gefahr zu weichen, wo es galt, die Freiheit des griechischen Volkes zu erkämpfen oder zu rächen. An diesem Abend schlug dein Vater mich, den armen Diener, zur Aufnahme in den Bund vor, indem er erzählte, was ich auf Chios erlebt, und ich leistete den Eid, den ich treu gehalten. Dann teilte er mir mit, daß am dritten Tage ein Versuch gegen die Flotte des Kapudan unternommen werden sollte, die im Hafen von Tschesme ankerte, und daß Freiwillige aufgefordert würden, dem Tode ins Auge zu schauen. Obschon kaum ein Entrinnen bei dem Wagnis zu hoffen stand, hatten sich am anderen Morgen doch bereits zweihundert Männer gemeldet; das Los wählte achtundvierzig aus. Michael Caraiskakis und Janos der Ipsariote waren unter ihnen; dem ersteren übertrug Kanaris die Leitung der Expedition, ich begleitete ihn. Von diesem Augenblick an durfte keine Seele mehr bei Todesstrafe die Insel verlassen. Während die Achtundvierzig durch Beichte und Gebet sich vorbereiteten und ihre Waffen instand setzten, arbeitete Tag und Nacht die Bevölkerung des Hafens an der Herstellung der Brander. Am dritten Tage waren sie fertig; drei Schiffe, von der Spitze des Mastes bis zum Kiel mit Pech und Teer getränkt, leichtes Werg um Spieren und Taue gewunden, der ganze Schiffsraum eine wandelnde Hölle von Schwefel, Pulver und Feuerstoffen, die nur des belebenden Funkens harrte. Die österreichische Brigg war bei uns geblieben; ihr wackerer Kapitän, empört von den entsetzlichen Greueln, die er teils mitangesehen, teils vernommen hatte, versprach uns, die Mannschaft aufzunehmen, wenn sie sich retten könnte. Es war am Abend, als alles zum Auslaufen bereit war und der fromme Bischof der Insel mit seinen Diakonen am Gestade erschien, uns den heiligen Leib des Herrn zu reichen und seinen Segen zu spenden. Die Menge umdrängte uns, als wir zum Schiff gingen. An der Rechten deines Vaters ging der Seeheld Kanaris, ihm die letzten Anweisungen gebend, an seiner Linken eure Mutter, dich, Gregor, auf dem Arm, Andreas an der Hand. Es war ein Heldenweib, und keine Träne, kein Laut der Klage machte das Herz des Gatten schwer. Noch eine Umarmung, Kanaris reichte jedem die Hand, und die Boote führten uns zu den Schiffen, deren Segel bald lustig der Wind blähte. Durch die Nacht, durch die Wogen rauschte das Verderben gen Tschesme ... Zwei Tage lagen wir vor Thimania; der dritte war der 19. Juni, der Vorabend des Bairamfestes, das die Türken mit Gelage und Jubel zu feiern pflegen. So war es auch diesmal. Als der Abend auf See und Land sank, kappten wir die Anker und liefen auf Tschesme zu. Schon in weiter Ferne konnten wir den Jubel hören, der von den Schiffen durch die Nacht drang, die Feuer schauen, die am Ufer brannten ... Das Schiff, auf dem dein Vater selbst das Steuer führte, war mit zwanzig Mann besetzt, die übrige Mannschaft auf die beiden anderen verteilt. Die strengsten Befehle waren gegeben. Jeder stand auf seinem Posten. Alles wartete, bis auf den türkischen Schiffen alles verstummte ... Um zwei Uhr nach Mitternacht gab eine Rakete von unserm Schiff das Zeichen zum Angriff. In wenig Minuten flatterten alle Segel im Winde, und die drei Schiffe fuhren gerade in die Flotte hinein. Zugleich wurde das am weitesten links in Brand gesteckt und die feurige Lohe, an dem Tauwerk emporleckend, flammte hoch auf gegen den Nachthimmel ... Es war ein furchtbar schönes Schauspiel, als wir das brennende, flammende Schiff auf die dunklen Massen vor uns einstürmen sahen. Während ringsum sich der Lärm der Gefahr erhob, Trommel wirbelten, der Ruf der Führer die trunkene wüste Mannschaft weckte und wildes Geschrei von Bord zu Bord scholl, fuhr das Boot an uns vorüber, das die Mannschaft des entzündeten Branders trug. Jetzt gab Caraiskakis das Signal für das zweite Schiff. In wenig Augenblicken flammte seine Feuersbrunst empor, und der Brander trieb mitten zwischen zwei Linienschiffen, die in kurzer Zeit von seinen Flammen erfaßt waren. Das Geheul, das Geschrei war furchtbar und überdröhnte den Donner der von allen Seiten gelösten Schüsse. Die Schiffe hieben die Ankertaue durch und suchten das Meer zu gewinnen, eines das andere mit vollen Lagen begrüßend, wenn man sich gefährdend zu nahe kam. Vier Linienschiffe standen in vollen Flammen, ebenso mehrere kleine Fahrzeuge. Eine der brennenden türkischen Galeeren wurde von der »Siegesfahne«, dem Admiralsschiffe, in den Grund gebohrt, als das brennende Fahrzeug dem Admiralschiffe zu nahe kam.

Das aber war die Beute, die wir uns ausgesucht. Wie der Dieb in der Nacht waren wir im Dunkel herangekommen, dicht an der linken Batterie des Schiffes, ehe man uns bemerkte und anrief. Caraiskakis stand am Steuer, ich seines Winkes gewärtig mit der brennenden Lunte an der Hauptluke, die Mannschaft mit Haken und Seilen im Tauwerk. So fuhren wir auf, und im Nu waren die Enterhaken in dem Strickwerk des Feindes, die Taue geknüpft und eine Kette geworfen und am Bugspriet befestigt, daß wir unauflöslich an dem großen Koloß hingen. Zugleich flammte der Haufen Maisstroh empor, den ich in den Luken und unter den Wänden des Schiffes auf getürmt hatte. Wie ein Blitzstrahl leckte die Flamme empor und lief an den Tauen und Segeln in die Höhe, daß bald alles ein Feuerbogen war. Die Verwirrung, das Geschrei auf dem Schiff des Kapudan waren furchtbar. Er selbst war ein tapferer Mann, wenn auch ein Teufel in seiner Grausamkeit. Ich sah ihn auf der Puppe seines Schiffes stehen, wie er unerschrocken Befehle erteilte und die Rasenden, in Furcht Verzweifelnden antrieb, die beiden Schiffe zu lösen. Caraiskakis und die Mannschaft waren bereits im Boot und riefen mir zu durch den Höllenlärm, ihnen zu folgen, ich vermochte es nicht; mein Auge, mein Herz schien gebannt an das furchtbare Schauspiel, das sich rings um mich entwickelte. Zweimal hob ich das Pistol und zweimal traf meine Kugel die Offiziere, die sich an unsern Bord gewagt, um einen Versuch zum Absteuern der Schiffe zu machen. Dann sprang ich zur hinteren Luke, von der ein Zünder gelegt war bis hinunter zur Pulverkammer. Ich schien mir selbst mehr einer der höllischen Dämonen, denn ein Mensch. Auf dem Schiffe der Moslems wuchs die Verzweiflung mit jeder Minute. Viele sprangen in das Meer, um sich zu retten; andere, darunter der Kapudan selbst mit eigener Hand, suchten die Boote aufs Wasser zu bringen; jede Disziplin, jeder Gehorsam waren geschwunden, – was da auf dem Schiff atmete, und es sollen ihrer mit den Fremden zum Fest zweitausend zweihundert und sechsundachtzig Seelen gewesen sein, dachte nur an die eigene Rettung.

Da schien der Augenblick gekommen und meine Hand hielt, ohne zu zucken, den Feuerbrand an die Leitung, die zum Pulver führte; dann sprang ich auf der andern Seite des Schiffes über Bord und versank ins Meer. Noch ehe ich wieder emporkam, hörte ich ein dumpfes Dröhnen über meinem Haupte, und als ich auftauchte aus den Wellen, da stob und regnete es um mich her Flammen und Balken, Trümmer und brennende Segelstücke und zerbrochene Spieren. Wie durch ein Wunder entkam ich der Gefahr, und um mich blickend, sah ich das Admiralsschiff, jetzt ein großer, unrettbarer Flammenberg.

Ich wußte die Richtung unseres Bootes und schwamm drauf zu, aber es kümmerte mich wirklich wenig, ob ich es erreichte oder nicht, so stolz war ich in dem Gefühl der vollbrachten Rache. Doch die Hand der Heiligen war über mir – bald stieß ich auf die Freunde, die mit Angst meiner harrten und, schon mich verloren gebend, davon fahren wollten; nur Caraiskakis, mein Herr, war dem Drängen nicht gewichen. Erschöpft warf ich mich auf den Boden nieder und sah nach dem in immer furchtbarerer Herrlichkeit sich entfaltenden Schauspiel zurück, während wir eilig entflohen. Aber niemand dachte an unsere Verfolgung, und wir waren bereits am Ausgange des Hafens und näherten uns der Brigg, die uns erwartete, als ein Krachen die Luft zerriß, ärger denn zehn Donner. Das Meer schien sich in Flammenwogen gen Himmel zu wälzen – das Admiralsschiff des Kapudan mit all seinen geraubten Schätzen, mit den Hunderten blutgetränkter Mörder, war in die Luft geflogen! Der Kapudan schien das Schiff erst verlassen zu haben, als es sich unrettbar verloren zeigte. Ein brennender Balken hatte das Boot getroffen und zertrümmert, das ihn zum Ufer führte; seine Leute brachten ihn schwimmend dahin und legten ihn unter einem Felsen nieder – eine lebendige Leiche, denn seine Glieder waren halb verkohlt! Dort starb er, ohne von der Stelle gebracht werden zu können, am zweiten Tage unter den furchtbarsten Schmerzen. Von der ganzen Besatzung seines Schiffes retteten kaum zweihundert das Leben.«

Eine tiefe Stille war ringsumher, als der Kameltreiber seine furchtbare Erzählung schloß. Der Räuber, der Bandit war vergessen – nur der Held, der Palikare stand vor ihnen, dessen Hand Chios gerächt hatte. Welland erhob sich und drückte schweigend dem Freund und Räuber die Hand – dann schied er, von Mauro und einem der Männer zurückbegleitet. Eine herrlich geschriebene Ergänzung dieses wilden Freiheitskampfes bietet jedem Leser dieses Retcliffe-Romans der Jules Verne-Roman »Ein Archipel in Flammen« (erschienen als 37. Band in der neuen Gesamtausgabe der Jules Verne-Romane, Berlin, NO. 43, A. Weichert, Neue Königstr. 9).

*

Doktor Welland hatte mehrfache Gründe, die Entwicklung der Costa-Angelegenheit abzuwarten und wollte unter allen Umständen seinen Weg nach Konstantinopel nicht fortsetzen, ohne nochmals den Versuch gemacht zu haben, den ungarischen Revolutionär zu sprechen. Da Gregor bei dem, was er beschlossen, der Hilfe des Freundes bedurfte, verschob er gleichfalls die Verfolgung des Briten bis zur gemeinschaftlichen Abreise, die nach dem Rate des mit allen Smyrnaer Verhältnissen so wohlvertrauten Räubers, mit einem der vielfach kreuzenden griechischen Handelsschiffe geschehen sollte. Die Vorgänge in Smyrna hatten unterdessen ihren weiteren Verlauf genommen. Die mehrfachen Klagen der Konsuln und Gesandten bei dem Diwan über die Untätigkeit und Unfähigkeit des gegenwärtigen Gouverneurs von Smyrna, Ali Pascha, hatten in Konstantinopel endlich Früchte getragen, und die Nachricht seiner Absetzung traf in Smyrna ein; sein Nachfolger Ismael Pascha, der den Ruf eines energischen, zuverlässigen und wortgetreuen Mannes genoß, folgte ihm auf dem Fuße.

Die Namen der Mörder des jungen Hackelberg waren bereits am anderen Morgen in ganz Smyrna bekannt; mehrere Tage gingen sie frei und triumphierend mit ihren Genossen durch die Straßen, und als endlich der österreichische Generalkonsul sich so weit vor persönlicher Gefahr gesichert hatte, um die Pflichten seines Amtes erfüllen zu können, und von Ali Pascha die Verhaftung der Mörder verlangte, war Fumagalli verschwunden, Bassitsch aber verstand es geschickt, sich unter Anrufung amerikanischen Schutzes allen Verfolgungen zu entziehen, und hatte sich ebenfalls in Sicherheit gebracht, als die türkische Polizei endlich Schritte tat, ihn zu verhaften. Die österreichische Brigg »Hussar« war unterdessen durch die Ankunft einer Galeotte verstärkt worden, die sofort Befehl erhielt, sich neben die Brigg zu legen. Die drei Schiffe ankerten gegenüber dem preußischen und österreichischen Konsulat in der Entfernung von ungefähr 800 bis 1000 Schritt vom Lande. Am Morgen des 2. Juli – es war ein Sonnabend – bemerkte man plötzlich besondere Vorbereitungen auf den Schiffen, und vom amerikanischen Konsulat aus verbreitete sich die Nachricht, daß es zwischen ihnen zum Kampf kommen werde. Eine große Menschenmenge versammelte sich sofort am Ufer, und hundert Gerüchte kreuzten sich. Welland erfuhr folgendes: Infolge einer am Abend von Konstantinopel zugleich mit der offiziellen Bestätigung der Absetzung Ali Paschas eingetroffenen Order der amerikanischen Gesandtschaft hatte Kapitän Igraham dem Kommandanten des »Hussar« mittels einer Note angezeigt, daß er die sofortige Auslieferung des amerikanischen Bürgers Costa verlangen oder ihn mit Gewalt holen solle. Die Antwort des Majors Schwarz war die eines echten Soldaten: Sein amerikanischer Kamerad möge das Holen versuchen, das Nichtabgeben sei seine Sache, es sei denn, daß ihm hierüber Orders seiner Vorgesetzten zugingen ... Infolge dieser Antwort sah man alsbald die Schiffe sich zum Kampfe fertig machen.

Die Korvette zählte ein Dritteil Kanonen und Mannschaft mehr, als die beiden österreichischen Schiffe, die Übermacht war also auf ihrer Seite, und Major Schwarz traf demgemäß seine Anstalten. Er legte sich möglichst nahe dem Feind und setzte seine Mannschaft in Bereitschaft, sofort bei dem ersten Kanonenschuß zu entern. Zugleich ließ er den Gefangenen aus seiner Haft holen und erklärte ihm mit männlichem Bedauern, daß er genötigt sei, sein Schicksal an das des Schiffes zu knüpfen. Costa wurde auf dem Mitteldeck an den Mast gebunden und eine doppelte Wache an seine Seite gestellt, die den strengen Befehl erhielt, sobald ein Amerikaner den Bord des österreichischen Schiffes betreten werde, dem Ungar eine Kugel durch den Kopf zu schießen. Am Lande wurden unterdessen die Verhandlungen eifrig betrieben. Der amerikanische Konsul hatte seinem österreichischen Kollegen ein Ultimatum überbracht, das die Entscheidung auf vier Uhr nachmittags aussetzte. Diese Frist benutzte der preußische Konsul, um zu dem türkischen Gouverneur zu eilen und hier einen energischen Protest gegen die in einem neutralen Hafen unerhörte, gegen alles Völkerrecht verstoßende Handlung der Amerikaner einzulegen, die die nahe belegenen Teile der Stadt und die Konsulate mit Gefahr bedrohte. Ali Pascha tat, als höre er erst jetzt von dem ganzen Vorgang, und schlug vor, bei dem amerikanischen Konsul zu protestieren und ihn für alle Folgen verantwortlich zu machen. Erst als ihm entschieden erklärt wurde, daß es seine Pflicht sei, im eigenen Hafen dergleichen nicht zu dulden, sondern bewaffnet zu intervenieren, erklärte er sich bereit, denjenigen Teil zu schützen, der sich unter die Kanonen des Kastells legen würde. Mehrere der Konsuln traten jetzt zusammen, und der österreichische, Herr von Wexbecker, gab, um unnützem Blutvergießen vorzubeugen, seine Einwilligung dazu, daß bis zur Erledigung des Kompetenzkonfliktes durch die beiderseitigen Regierungen Costa dem französischen General-Konsulat übergeben werde, das sich zu seiner Verwahrung innerhalb des französischen Lazaretts bereit erklärte. Um drei Uhr nachmittags wurde diese Konvention unterzeichnet und um vier Uhr Costa ausgeschifft und nach dem französischen, von hohen Mauern umgebenen Lazarett gebracht. Eine ungeheure Menschenmenge am Ufer begrüßte sein Erscheinen mit lautem Jubel. Am selben Abend fand man in einer Straße die Leiche des Schankwirts Andrea, von vielen Dolchstichen durchbohrt.

Nach zwei Tagen war die Haft Costas bereits sehr milde, und Welland erzielte durch Vermittelung des amerikanischen Konsuls die Erlaubnis zu einer längeren Unterredung mit dem Ungar, infolge deren er den Freunden auf dem Pagus mitteilte, daß er zur Abreise bereit sei. Am 6. Juli führte sie eine griechische Barkasse nach Tenedos und Dardanelli.


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