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Fünftes Kapitel.
Am Bosporus.

Wo jenes prachtvolle, seit Jahrtausenden berühmte Meeresbecken, das Marmarameer – die Propontis der Alten – im Nordosten wieder die Ufer zweier Weltteile zusammentreten läßt, liegen einige liebliche Eilande, die Prinzen-Inseln; – näher und näher drängt sich darüber hinaus Asien an Europa, und ein Golf bildet sich, aus den zwischen hohen Bergwänden jene weltberühmte Straße, der Bosporus, über sechs deutsche Meilen lang, sich in nordwestlicher Richtung nach dem Schwarzen Meere in zahlreichen Windungen streckt. Im Süden öffnet sich der weite Blick auf das offene Marmarameer, gegen Westen hin zieht sich die prächtige, zwischen zwei Vorgebirge des europäischen Ufers eingezwängte Meeresbucht, das goldene Horn. Auf dem Ufervorsprung zwischen diesem und der Buchtung des Marmarameeres liegt die Sieben-Hügel-Stadt des Ostens Byzanz – Konstantinopel – Stambul!

Gegenüber, auf der nördlichen Seite des Goldenen Hornes, dessen Ufer sich hier schroffer und steiler emporheben und als die westliche Felswand des Bosporus zum Schwarzen Meere fortlaufen, liegen die neueren, zum Teil von den Genuesern und Venetianern gegründeten Stadtteile: um die äußere Spitze Tophana, daran stoßend am inneren Ufer des Hornes, Galata, über beiden terrassenförmig auf der Berghöhe Pera, die Frankenstadt; auf der Höhe des Berges die Vorstädte Cassim-Pascha und St. Demetri.

Am leicht aufsteigenden Berghange, der sich in sieben Hügel gruppiert, hebt sich die riesige Stadt, ein Meer von achtzigtausend Häusern – Byzanz – Konstantinopel – Stambul – mit jenen tausendjährigen Erinnerungen des alten Thraciens, des mächtigen Römerreiches – der Kreuzzüge – des jahrhundertelangen Kampfes der Komnenen und Paläologen gegen die asiatischen Horden, des Kreuzes gegen den Halbmond, des Christenreiches gegen die Moslems; für dessen Hilferuf das kirchenprahlerische Europa kein Ohr hatte; mit jenen Erinnerungen an Ströme von Blut, an jene Siege des Halbmondes, der von hier aus Europa bedrängte und seine Roßschweife bis vor die Tore Wiens trug.

Und links – über die Kiosks und Bleidächer von seltener Form, die zwischen Platanen und dunklen Zypressen von der Landseite des Horns das Auge fesseln, das Serail – eine Stadt in der Stadt – und darüber hinweg ein Dom, riesig und mächtig, ein Meisterwerk von Menschenhänden, wie die Erde kein zweites hat! – des großen Justinian heiliger Gedanke an Gott, – die Sophien-Kirche – jetzt die Aja Sophia, eine türkische Moschee, über deren Gigantenkuppel von 180 Fuß Höhe und 115 Fuß Spannung hoch in die Luft ein riesiger Halbmond sich streckt: als Wahrzeichen, daß Europa ja nicht vergessen möge, daß es hier den Christenglauben von dem Moslem mit Füßen treten ließ!

Aus dem Meer von Häusern, alle klein, alle eintönig in ihrer rotbraunen Farbe, tauchen Paläste und die bleiglänzenden Kuppeln der beiden Bazars und zahlloser Moscheen empor, schießen die schlanken, säulengleichen Minaretts in die Höhe, mit den schmalen Rundgängen und den grünen hohen Spitzen, wie tausend Fingerzeige nach oben. Dazwischen wechselt das Grün der Platanen, das dunklere der Zypressen von den Gärten und weiten Kirchhöfen auf der Höhe der Berge; der riesige Palast der Hohen Pforte streckt seine lange Front auf dem einzigen freien Platz zwischen den Häuserreihen, und der Turm des Seraskiers, der Feuerturm, von dessen Höhe Tag und Nacht Wächter die weite Stadt überschauen, um alsbald den Ausbruch der gefährdenden Flamme melden zu können, hebt sich wie eine Warte des romantischen Mittelalters in die Luft. Und drüben auf der andern Seite des Goldenen Horns – Chrysokeras, wie die Griechen wegen seiner vorteilhaften Lage und wegen seines Reichtums an Fischen, diesen schönsten aller Meeresarme nannten – da wo die Mauer von Galata Pera abschneidet, hebt sich eine wirkliche Warte aus jener Zeit, der alte Genueser-Turm, mächtig und frei von dem Berge ab, zu gleichem Zweck dienend, wie der jüngere Gefährte am Seraskiat. Von der Spitze beider weht die rote Fahne mit dem weißen Halbmond und den weißen Sternen. – Zwischen dem europäischen und asiatischen Ufer, doch näher an Scutari, erhebt sich eine kleine Felseninsel aus dem Meere, wie Kaub am Rhein, der Turm des Leander mit seinem Wasserschloß. Scutari erscheint, selbst aus der Ferne gesehen, – das Meer ist hier eine halbe deutsche Meile breit, – weit freundlicher und lichter als die europäische Stadt. Auf der Höhe des Berges Burgulu, an dessen Senkung sich die Stadt ausbreitet, dehnen sich die meilenlangen, großen Friedhöfe aus, die größten des Orients! Darüber hinaus in der Ferne hebt der Olymp seine Schneegipfel am Horizont.

Drei große schöne Schiffbrücken führen über das Goldene Horn, diesen prächtigsten und größten Hafen der alten Welt. Hunderte und Aberhunderte großer Schiffe jeder Art wiegen sich auf den blauen Wellen dieses Hafens und am Eingange desselben riesige Linienschiffe, Fregatten, Kriegsdampfer, dazwischen die Unzahl Handelsfahrzeuge jeder Form, aus allen Gegenden und Zonen der Erde. Tausende von Kaïks, diese Schwalben des Bosporus, leichte, schlanke, schmale, auf beiden Seiten spitze Boote, so eng und leicht gebaut, daß sie gewöhnlich außer dem Fanarioten oder Moslem, der das Ruder führt, nur eine Person tragen, kreuzen und schießen in allen Richtungen umher und mit wunderbarer Schnelligkeit, gleich leuchtenden bunten Pfeilen, über die Flut.

Über die Brücken und durch die Gassen zunächst dem Horn und den Bazars – Besestan in Konstantinopel genannt – wogt fortwährend ein Gedränge von Menschen, wie kaum die belebtesten Straßen von London es bieten, unvergleichlich in seinem bunten, immer wechselnden Anblick. Die Völker des Morgen- und Abendlandes begegnen sich hier in ihrem nationalen Kostüm; neben dem Perser in dem steifen blauen Kaftan und der hohen spitzen Mütze von schwarzem Lammfell, der englische und der französische Matrose; neben dem Derwisch in seinem zerlumpten, wollenen Mantel mit der, einem umgestülpten Eimer gleichenden Kopfbedeckung von grauem Filz, der fränkische Kaufmann oder Handwerker aus Pera; zur Seite des in seine braune Decke gehüllten Drusen oder Kopten die hohe Figur des Tscherkessen, der Arnaut mit dem Arsenal von Waffen in seinem Gürtel, der Baschi-Bozuk aus den Wüsten Syriens oder von den arabischen Horden, der geschäftige Grieche, der Turkomane, der verachtete Jude: – alle Abstufungen von Farbe in den Gesichtern, alle Pracht bunter Gewänder, reicher Gold- und Silberstickerei auf den Gestalten; – das ist das Bild dieses bunten Lebens, Treibens und Drängens. Dennoch bewegt sich die ungeheure, ewig ab- und zuströmende Masse, wenn auch nicht stiller, doch weit sicherer und geordneter als bei uns. Kein Wagen, keine Equipage sprengt den Strom der Fußgänger auseinander, nur selten fährt langsam eine von einem oder zwei voreinander gespannten Pferden – in den Umgebungen der Stadt auch von Ochsen – gezogene Araba daher: ein im Rokokostil des Abendlandes gebauter Wagen mit rot angestrichenem und reich vergoldetem Kasten von fast dreieckiger Form, die Spitze nach unten, der in Riemen zwischen hohen Rädern hängt oder fest aufsitzt, und in dem die Frauen der reichen und vornehmen Türken mit Sklavinnen durch die Straßen fahren, um ihrer Neugier zu frönen und die Läden zu beschauen. Ein Eunuch oder Sklave führt das Pferd und wahrt die in den abscheulichen Yaschmak verhüllten Frauen vor jeder Berührung mit den Männern.

Sobald man aber das Ufer betritt, schwindet alle Herrlichkeit des schönen Bildes, und die Faulheit, Unordnung und der Schmutz des Orients bieten sich in ihrer vollen Widrigkeit dem Blicke des Europäers. Wo das Schiff oder Boot ans Ufer legt, da tritt der Fuß in Schlamm oder Schmutz; jedes Gäßchen, jedes Haus läuft unmittelbar an den Meeresstrand aus, und nicht hundert Schritt kann man auf demselben entlang gehen; die Straßen sind, wie überall im Orient, eng und krumm und meistens Gäßchen, in denen oft kaum ein Fußgänger dem andern ausweichen kann. Selbst in Pera und Galata herrscht diese Bauart, und die große Perastraße ist nur sechs Schritt breit. In der Mitte läuft die Gosse – wo eine solche existiert. Die Stadtteile an der nördlichen Bergwand, also Galata, Tophana, Pera usw., laufen so steil in die Höhe, daß der Weg ein bloßes Steigen und Klimmen ist. Die Häuser sind hier meist von Stein gebaut, mit europäischen Einrichtungen, die indeß wenig dem Klima entsprechen; die Hotels der Gesandtschaften sind große, prachtvolle Gebäude, ohne jedoch den Stadtteil zu zieren, da sie in hohe Mauern eingeschlossen oder durch enge, finstere Stiegen und Gäßchen abgesondert sind.

Erreicht man über die erste Schiffbrücke das Ufer von Stambul, so tritt man alsbald ins volle türkische Leben. Über niedrige Häuser, deren Wände vom Boden bis zum Dach mit Hühnerkörben gefüllt sind, ragen die Kuppeln und Minaretts der Moschee der Sultanin Valide empor, und man vertieft sich in die zahllosen Gassen und Gäßchen, die zum großen Bazar, zum alten Serail, zum Palast der Pforte, zum Hippodrom, zur Suleimania, der schönsten Moschee Konstantinopels, und der Zahl reicher Prachtbauten der anderen Moscheen führen.

Das große Serail – Serai Burnu – das in der Abgrenzung der umgebenden Mauern einen Flächeninhalt wie etwa die innere Stadt Wien einnimmt, war der eigentliche Palast und Wohnsitz der ottomanischen Herrscher und der Schauplatz aller jener Revolutionen und Bluttaten, die so häufig die Thronfolge änderten. Dennoch sind der gegenwärtige Sultan und seine Söhne die direkten Abkömmlinge Ottomans, des Gründers der Monarchie, und gehören demnach zu den ältesten Herrschergeschlechtern des Erdballs. Der Vater Abdul Medschids, der politische Reformator Mahmud II., der die Janitscharen opferte und das Tansimat gab, verlegte die Residenz aus dem Serail, das noch von dem Blute seines am 28. Juli 1808 ermordeten Bruders und Sultans rauchte, nach den Bosporus-Palästen, um mit den Erinnerungen zu brechen, die sich für sein Geschlecht an jene Mauern knüpfen. Er erbaute das Palais von Tschiragan am Ufer des Bosporus, nahe der Stadt, worin noch der gegenwärtige Sultan residiert, bis das neue, von ihm erbaute Palais vollendet ist. Zahlreiche Kiosks und Schlösser auf beiden Seiten des Bosporus und seinen zauberischen Höhen dienen außerdem zum wechselnden Aufenthalt des Sultans. Das ganze europäische Ufer des Bosporus bis Bujukdere hin ist bedeckt von Palästen und Landhäusern, die teils den türkischen Großen, teils den Gesandten und reichen Kaufleuten Konstantinopels gehören, wo dieselben zur Zeit des Frühjahrs, Sommers und Herbstes wohnen. Während die Vorderfront der Häuser und Villen die Wellen des Bosporus bespülen, strecken sich auf der Rückseite prächtige Gartenterrassen an der steilen Bergwand in die Höhe.

Über das Verhältnis der Frauen des Orients bleibt uns noch einiges im allgemeinen zu sagen. Die Lage derselben wird in Europa vielfach falsch aufgefaßt, und die vage Meinung der Menge glaubt jeden Moslem im Besitz eines kleineren oder größeren Harems und hält die Frauen des Orients für gänzlich willenlose, untergeordnete, dem Herrn des Hauses knechtisch gehorchende Wesen. Das ist keineswegs der Fall. Die meisten Staats- und Privatintrigen entspinnen sich im Harem und werden dort geleitet. Der Moslem, bis zum Sultan hinauf, steht so gut unterm Pantoffel wie der Abendländer, und die Macht der Freiheit der Frauen ist – wenn auch außer dem Hause ziemlich beschränkt – in dessen Innerem sehr groß. Die Dragomans und die Harems der Würdenträger sind die politischen »Faiseurs« des Orients. Es ist dem Mohammedaner erlaubt, vier Frauen zu heiraten, die sämtlich als seine rechtmäßigen Gattinnen gelten; die Zahl der Frauen des Sultans kann sich auf sieben belaufen, doch ist es selten, daß dieser wirklich auch nur mit einer die gesetzliche Zeremonie der Heirat vollzieht. Jeder Türke hat dagegen das Recht, so viele Sklavinnen zu halten, als er will und seine Verhältnisse erlauben. Dieselben sind dann die Dienerinnen seiner rechtmäßigen Frauen, wenn er solche hat, oder seine Odalisken, und während ihre Reize ihm gehören, – wozu jedoch ihre freie Einwilligung gehört – haben sie keinerlei Rechte der Gattinnen. Die Geburt eines Kindes, gleichviel ob Knabe oder Mädchen, von ihrem Herrn macht die Sklavin und das Kind jedoch frei; und um dem durch die Fruchtbarkeit drohenden Verlust der Sklavinnen zu entgehen, existieren jene empörenden Geheimnisse des Harems, welche die Frucht im Mutterleibe ersticken oder das Weib zu seiner erhabenen natürlichen Bestimmung unfähig machen.

Der Gebrauch dieser schändlichen Mittel ist allgemein, teils gezwungen, teils freiwillig. Denn selbst die angetrauten Frauen scheuen sich dessen nicht, und in den Harems der Reichen wird er häufig als Mittel betrachtet, den Vorzug über die Nebenbuhlerinnen zu gewinnen: und gerade hierin liegt der eigentliche Grund für die Erschlaffung des osmanischen Geschlechts. Da dem Muselman die Liebe nur ein sinnlicher Begriff ist, sucht die Frau oder Odaliske jedes Mittel auf, alle die Sinnlichkeit des Mannes fesselnden Reize so lange wie möglich zu bewahren, und benutzt eben dazu jene Mittel, sobald sie ihm ein Kind geboren hat. Daher kommt es, daß, während im christlichen Europa die Kinderzahl in den Familien durchschnittlich bedeutend, namentlich bei den unteren Ständen ist, in der Türkei bei den Familien der mittleren und unteren Stände selten mehr als ein oder zwei Kinder gefunden werden. Selbst der Sultan besitzt nur zwölf Kinder.

Verschiedene Anordnungen des Korans beschränken die Gewalt über die Sklavinnen und Sklaven, deren Verhältnis übrigens in der Türkei mehr das von Hausdienern ist, die zur Familie gehören. Überhaupt ist der Türke in seinem gewöhnlichen Leben, wenn nicht besondere Leidenschaften ihn erregen, milde und gerecht. Es kommt häufig vor, daß die Sklaven nach einer längeren oder kürzeren treuen Dienstzeit freigelassen oder von dem Herrn ausgestattet, ja mit einer Tochter der Familie verheiratet werden. Viele der ersten türkischen Würdenträger selbst der Neuzeit waren und sind solche freigelassene Sklaven. Z. B. Chosrew Pascha. Selbst Mehemed Ali-Paschah, der Schwager des Sultans Abdul Medschid, war ein cirkassischer Sklave.

Die durch den Umgang mit Sklavinnen erzeugten Kinder werden als legitim betrachtet. Die Scheidung von einer Frau ist sehr leicht, obschon selten. Die Herrschaft der rechtmäßigen Frau im Innern des Hauses ist ebenso groß, wie im kultivierten Europa, und sie duldet ebensowenig eine Nebenbuhlerin in ihrer Nähe. Daher ist denn auch das Recht zur Heirat von vier Frauen im allgemeinen sehr problematischer Natur und wird nur von denen ausgeübt, die reich genug sind, ein großes Harem oder jeder der Frauen eine besondere Wohnung zu halten. Der Neid und die Eifersucht in den Harems sind überaus heftig und arten häufig in Tätlichkeiten, ja in geheime und offene Verbrechen aus. Die Abgeschiedenheit der Frauen außer dem Hause ist noch immer sehr groß. Während im Haremlik Ein Teil des Hauses, in dem die Frauen wohnen; Selamlik, die Wohnung der Männer. ihr Anzug und ihre Sitte übertrieben frei sind, obschon sie auch da nur vor dem Mann, den Kindern, den Eunuchen und Frauenbesuchen unverschleiert erscheinen, ist jeder Verkehr mit andern Männern auf das strengste verpönt. Seit der Regierung des vorigen Sultans haben sie zwar größtenteils die Freiheit des Ausgehens und Ausfahrens, und man sieht in den Straßen und Läden Konstantinopels Frauen in Menge, doch immer streng verhüllt und verschleiert, und kein Muselman übertritt die Sitte und schaut ihnen, wie es bei uns geschieht, in das Gesicht. Selbst der Mann würde es für unschicklich halten, wenn er seiner Frau, die ihm begegnet, durch ein Zeichen merken ließe, daß er sie erkannt habe.

Die Verhältnisse im Harem des Großherrn sind natürlich in vielen Beziehungen verschieden. Im Sommer 1853 bestand er aus etwa 700 Odalisken, den schönsten Sklavinnen aus verschiedenen Ländern, welche die im Frühjahr desselben Jahres verstorbene Sultana Valide zum größten Teil selbst gewählt hatte. Alles, was an Schönheit und Reiz der weiblichen Formen, auf die der Asiate so viel gibt, sich in den verschiedenen Abstufungen der Farben findet, ist hier versammelt: die prächtige Büste der üppigen Georgierin mit den großen, mandelförmigen Augen und den feingeschnittenen Brauen, die schlanke, ebenmäßige Figur der cirkassischen Schönheit, wie der volle Wuchs und der feine, zarte Teint der Frauen von den griechischen Inseln, bis zur Ebenholzfarbe und der großen, apollinischen Gestalt der schwarzen Sklavin aus jenen Stämmen des Sennar und Darfur, die sich durch ihren ebenmäßigen Körperbau auszeichnen; die feine, zierliche Gestalt der echten Araberin mit ihrer blaßbraunen durchsichtigen Haut und den Rehaugen, und selbst die Europäerin, namentlich aus den südlichen Staaten, Italien, Spanien, Sizilien usw.; denn obschon die Geheimnisse des Harems ziemlich unzugänglich sind, verlautet doch gar vieles daraus, und es ist bekannt, daß der Harem des Sultans viele Europäerinnen enthält. Die Frauen, die der Sultan aus der Zahl der Odalisken zur Teilung seines Lagers wählt, heißen Kadinen, und die erste derselben, die dem Padischah einen männlichen Erben schenkt, gilt als die Favorit-Sultana und ihr Einfluß ist sehr bedeutend. Sobald ihr Sohn zur Regierung kommt, führt sie den Titel Sultanin Valide. – Der Sultan entläßt und wechselt übrigens, mit Ausnahme der Mütter seiner Kinder, seine Kadinen nach Belieben, und häufig werden sie und die Odalisken mit Würdenträgern des Reiches vermählt oder ihnen geschenkt. Das salische Gesetz hat in der Türkei volle Geltung, denn die Thronfolge erbt nie auf die Töchter fort und nur in der männlichen Lage weiter. Ein furchtbarer Gebrauch in der regierenden Familie vom Stamme Osmans und ein Regierungsprinzip ist es, daß weder die Brüder noch die Söhne des Sultans überhaupt Nachkommenschaft, ihre Schwestern aber nur weibliche haben dürfen. Die Söhne derselben werden sofort nach der Geburt erdrosselt.

Die Kadinen eines verstorbenen Sultans dürfen nicht wieder heiraten und werden nach dem Eski-Serail – dem alten Serail, in der Mitte von Stambul belegen, – gebracht; der Harem des Sultans wird bei weitem strenger überwacht, als der Harem eines Privatmanns. Die große Zahl der jugendlich kräftigen Frauen bleibt fortwährend in den Gemächern eingeschlossen, und ihre einzige Erholung in frischer Luft ist, wenn – was höchstens drei- bis viermal im Jahre geschieht – der Sultan die Erlaubnis gibt, daß sie die von hohen Mauern umgebenen kaiserlichen Gärten von Dolmabaghdsche betreten dürfen, die dann der Schauplatz der Ausgelassenheit und eines unbeschränkten tobenden Genusses der kurzen Freiheit sind. Außerdem besuchen zuweilen unter strenger und zahlreicher Überwachung der Eunuchen die Kadinen und Odalisken in kleinerer Zahl die süßen Gewässer von Asien und Europa, die bekannten Lieblingsorte der Frauen von Stambul.

*

Wenn man das erste der sieben Vorgebirge, die auf jedem Ufer mit entsprechenden Buchten den Lauf des Bosporus bilden, auf der europäischen Seite – Tophana – das alte Metopon, hinter sich hat, fährt der Kaïk in die schöne Bucht von Dolmabaghdsche ein, an dem Ufer entlang, an dem früher ein Altar des Ajax und der Tempel des Ptolomäus Philadelphus stand, dem die Lateiner göttliche Ehre erwiesen. Am Ufer liegt die Moschee Auni-Effendi, und weiter hinauf am Ufer, gegenüber der Stelle, wo er seine Flotten zu sammeln pflegte, um den Schrecken an die Küsten des Mittelländischen Meeres zu tragen, steht das einfach malerische Denkmal Hairaddin Barbarossas, des berühmtesten türkischen Seehelden. Am Ufer streckt hier der Palast Tschiragan seine lange Front von Stein- und Holzbau mit Arabesken und Stuckaturen hin. An den höheren Mittelbau schließen sich zwei Flügel, die wiederum von vorspringenden Seitengebäuden flankiert werden. Ein schmaler Kai von schönen Marmorquadern, in den das Wassertor für die Kaïks des Großherrn einmündet, scheidet das Palais von dem Spiegel des Bosporus, auf den nach beiden Seiten hin die Fenster und Erker des Gebäudes eine prächtige Aussicht haben. Der nördliche Seitenflügel enthält das Haremlik des Padischah; vergoldete Fenstergitter scheiden es von der Außenwelt und schützen es gegen zudringliche Blicke, während sie den neugierigen Augen der Frauen volle Freiheit lassen, umherzuschweifen.

Es befanden sich ungefähr zwanzig Frauen in dem Oberteil desselben, während eine gleiche Anzahl von Dienerinnen den unteren in verschiedenen Beschäftigungen einnahm. Zwei Schwarze von unförmig dicker Figur, unglückliche Geschöpfe, die für die Gebräuche des Despotismus schon als Kinder ihrer Mannheit beraubt worden, in weiten orientalischen Kleidern von schreiend roter Farbe, standen an den beiden Eingangstüren, teils als Wache, teils um Ordnung zu halten unter den oft höchst aufrührerischen Odalisken. In der linken Ecke des Kiosk – welchen Namen die größeren Zimmer in den türkischen Häusern führen – dem Ehrenplatz gegenüber, schien sich die Hauptgruppe von drei versammelt zu haben, welche das Oberteil einnahmen: Auf den Kissen des Diwans saßen zwei Frauen in überaus reicher Kleidung, während eine dritte auf der Decke vor ihnen kauerte, alle drei im eifrigen, obschon leise geführten Gespräch.

Zwei junge Mohrinnen, Mädchen von etwa 12 bis 13 Jahren, bedienten sie, indem sie von Zeit zu Zeit mit einer silbernen Zange eine frische Kohle auf den duftenden Tabak von Schiras legten, der im vergoldeten Kopf des Nargileh brannte. Häufig nahm die eine oder die andere einen Löffel von dem süßen Eingemachten, das, aus Rosenblättern, Mastix, Limonen und Weichsel bestehend, in vergoldeten Schalen auf einem gleichen Präsentierbrett von den Sklavinnen herumgereicht wurde, und dessen häufiger Genuß, jedesmal mit einem Schluck Wasser, nächst dem Naschen des Zuckerwerks und dem Kaffee zu den Liebhabereien der türkischen Frauen gehört.

Die eine der Damen auf dem Diwan war eine hohe, und trotz des weichlichen Lebens ebenmäßige Figur, zwar über die Frauenjugend hinaus und anscheinend bereits im Anfang der dreißiger Jahre, aber keineswegs schon verblüht, was so häufig bei den orientalischen Frauen in einem Alter der Fall ist, das bei uns Nordländern erst vollkommen die Frauenschönheit zu entwickeln pflegt. Ihre Gesichtszüge zeigten den reinen, klassischen Typus der kaukasischen Rasse, belebt durch ein feuriges Auge, aus welchem Stolz und Herrschsucht sprachen. Das dunkle Haupthaar war in zahllose Flechten gelegt, die, mit Goldmünzen und Perlen durchwunden, zu beiden Seiten des Gesichts und im Nacken herunterhingen, während ein gelbseidenes Tuch um den Scheitel geschlungen und dort mit großen Brillantnadeln festgehalten ward. Eine dicke, dreimal umgelegte Perlenschnur umgab den vollen, ebenmäßigen Hals und fiel auf den Busen herab, der von einer aus Goldstoff bestehenden Weste fast gänzlich entblößt gelassen wurde. Weite Beinkleider von Purpurseide aus Brussa, aus denen die nackten, auf den Zehen mit goldenen Ringen geschmückten Füße hervorsahen, indes die gelben, kaum die Spitze bedeckenden Pantoffeln vom Diwan geglitten waren, bildeten die untere Bekleidung. Auch die Arme waren fast bis an die Schulter entblößt, von der ein der Weste entsprechender offener Ärmel von Goldstoff niederhing. Schwere Ohrgehänge von jenen großen Türkisen, die allein in den Minen von Nischnapur in Indien gefunden werden, und eine Unzahl goldener Armbänder um beide Handknöchel vollendeten den Putz.

Ebenso reich, obschon weniger frei, waren die beiden anderen Damen, namentlich die zweite, gleichfalls auf dem Diwan sitzende gekleidet. Ihr reiches Geschmeide überstrahlte sogar an Glanz und Wert bei weitem den Schmuck der ersteren. Diamanten und Smaragden waren sowohl an ihrem turbanartigen Kopfputz, als an der Stickerei ihres dunkelroten Mieders verschwendet, über welches ein mit schwarzem Pelz verbrämtes, kaftanartiges Oberkleid von gelber Seide fiel. Sie war eine türkische Schönheit von etwa 27 Jahren, deren männliche Züge stark an den verstorbenen Sultan Mahmud I., namentlich in den buschigen Augenbrauen und der vollen, kräftigen Bildung des Mundes und Kinnes erinnerten. Die dritte auf dem Teppich kauernde dagegen mochte bereits an Vierzig zählen, und in ihrem Gesicht sprach sich ein hoher Grad von Verschlagenheit, List und Fähigkeit zur Intrige aus.

Etwas entfernt von der Gruppe, nach der Seitentür zu, die an der Balustrade des Oberteils zu den inneren Gemächern führte, befand sich eine zahlreichere Gesellschaft von jungen und schönen Frauen, im Genre der ersterwähnten Dame ähnlich üppig und womöglich noch freier gekleidet, obschon nur zwei unter ihnen durch besonderen Schmuck sich auszeichneten und dadurch dem kundigen Auge bewiesen, daß sie unter der Schar der Odalisken zu Kadinen des Padischah sich durch die Macht ihrer Reize emporgeschwungen hatten. Ihnen gegenüber, auf der Ecke des zum Ehrensitze fortlaufenden Diwans, lehnte eine dritte, doch nur aus zwei Personen bestehend, beide der Typus einer auffallenden und doch sehr verschiedenartigen Schönheit, Herrin und Dienerin. Die erste war ein junges Mädchen von kaum siebzehn Jahren, nicht nach gewöhnlicher türkischer Sitte auf dem Diwan mit untergeschlagenen Füßen hockend, sondern halb liegend in die weichen Polster gelehnt. Ein zartes, blasses Gesicht von überaus schöner Form, von den im Orient so ungewöhnlichen aschblonden Haaren umgeben, die in einem reichen Lockenwald auf Hals und Brust fielen, erhielt durch die bei dieser Farbe ebenso seltene Zierde schwarzer Augen, in denen eine gewisse melancholische Schwärmerei lag, einen wunderbaren Reiz. Die Züge dieses Gesichts waren edel, verständig und harmonisch, die Figur unter Mittelgröße, zart und schlank, und obschon die Schöne, die den Kopf in die rechte Hand gestützt, sinnend und teilnahmslos vor sich hinschaute, in orientalische Gewänder gekleidet, war, hatte alles an ihr doch den Typus einer Züchtigkeit und Scham, der offenkundig der Kleidung der anderen Frauen fehlte. Vor ihr kniete, mit ihren Locken spielend und ihr von Zeit zu Zeit allerlei Erfrischungen anbietend, eine junge Mohrin von wahrhaft junonischem Wuchs und einem Ebenmaß der Körperformen, der einem Bildhauer hätte zum Modell dienen können. Sie war in ein weißes Gewand gekleidet, das die dunkle Bronzefarbe noch mehr hervorhob, während breite, goldene Reifen den nackten Hals, die Arme und Knöchel zierten. Eine fast antike Kopfbildung bewies, daß sie zu einem der Stämme Abessiniens gehörte, die sich durch ihre Körperschönheit vor allen Mohren so sehr auszeichnen, daß sie kaum zu den Negergeschlechtern gezählt werden dürfen.

»Mashallah,« sagte die zweite Dame der Gruppe in der oberen Ecke des Gemachs aufgeregt zu ihrer Gefährtin, »ist der Padischah, mein Bruder, ein Esel oder bist du nicht die Sultana seines Harems und die Mutter des Thronerben, daß du nicht die Macht haben solltest, einen Mann zu dem zu bewegen, was uns das beste dünkt?« – »Ich küsse deine Augen, Sultana Adilé,« entgegnete die Cirkassierin, »Allah und die Zuflucht der Welt Alem Penah, einer der Titel des Großherrn. haben es gewollt, daß ich die erste Frau seines Herzens bin, aber dein Bruder ist veränderlich und die Sonne seiner Gunst ist auf ein Geschöpf gefallen, von dem ich glaube, daß sie unsere Feindin ist.« Die Augen der drei Frauen wandten sich bei dieser Erwähnung einen Moment lang auf die blonde Odaliske am Ende des Diwans, die in ihrem Träumen nicht bemerkte, daß von ihr die Rede war.

»Haif! Haif! Schande! Schande! Eine verkehrte Stunde hat sie hierher und vor den Großherrn gebracht. Wir werden es Ali Pascha gedenken, der sie ihm zum Geschenk gemacht hat. Sie ist offenbar eine Moskow. Moskow, ein Moskowite, ein Russe. Aber ich müßte die Sultana nicht kennen, wenn ich glauben sollte, sie werde ohne ihre Erlaubnis eine Kadine werden und ihm ein Kind gebären.« – »Wallah! Haltet ihr mich für eine turkomanische Kuh? Ich habe Augen in meinem Kopfe, und sie sind offen.« – Ein rascher Blick verständigte beide. – »Es ist gut. Doch laßt uns von dem Geschäft reden, um das Mehemed Ali-Pascha, mein Mann, mich hierher gesandt.« – »Allah behüte Euch, Ihr redet Wahrheit, Sultana,« mengte sich die ältere Frau in die Unterhaltung, »und Mehemed-Pascha ist der wahre Hort der Gläubigen. Hier ist das Schreiben meines Herrn, des Sirdar, eines so guten Moslem, wie nur je einer das Antlitz des Padischah geschaut hat, obgleich sein Vater und seine Mutter als Ungläubige verdammt sind. Omer meldet darin, daß er am zwanzigsten Tage des Moharrem 24. Oktober. den Krieg gegen die Ungläubigen beginnen wolle. Wir zählen heute den gesegneten Tag des siebzehnten, und es gilt vor allem zu verhindern, daß der Sirdar keinen Gegenbefehl vom Schatten Gottes Zil Allah, Titel des Sultans. erhalte.«

»Du weißt, was geschehen ist heute morgen im Rat, Sultana?« – »Mashallah, was werde ich nicht? Für was habe ich Augen und eine Zunge im Munde? Ist der Kapu Agassi Das Oberhaupt der weißen Verschnittenen und der major domo des Palastes. ein Mann, der auf die Stimme der Sultanin nicht zu hören wagt?« – »Die Inglis und Franken sind Leute, welche die ganze Welt in dem Winkel ihres Auges tragen und eine gespaltene Zunge haben. Sie haben den Padischah gebeten, daß er ihre großen Schiffe unter seine Obhut nehme, und das Kaïk mit dem Rauch ist heute nach Darnelli gefahren, um sie zu holen. Sie sind Giaurs, aber sie sind mächtig.« – »Jock! Was sind sie? Nichts! Der Padischah ist alles.« – »Das ist es nicht, was uns den Stein der Sorge aufs Herz legt,« fuhr beharrlich die Gattin Mehemeds, des Hauptes der alttürkischen Partei, fort: »sondern man hat auf das Verlangen der Christen im Diwan heute beraten und beschlossen, daß dein Mann, o Khanum, noch zögern solle, den rebellischen Vasallen in Moskau die Schärfe des Schwertes fühlen zu lassen.« – »Fluch über die Feiglinge,« sagte eifrig die Khanum; »die das geraten, sind Söhne eines Hundes, ihre Väter sind Hunde und ihre Mütter sind Hündinnen. Sie verunreinigen mit ihrem Atem den Ruhm des Großherrn.« – »Allah allein weiß, ob es zum Kriege kommt und unsere Männer Geld verdienen. Sultana Fatima, du mußt es verhindern!«

Die Cirkassierin wiegte schlau den Kopf ... »Der Padischah ist unser aller Herr. Wie kann ich tun, was du sagst, ich bin nichts als ein Weib.« – »Allah erbarme sich! Wo wäre unsere große Sultana, wenn sie nicht für jede Gefahr ein Mittel hätte. Ich weiß, was ich weiß.« – »Wir aber sind Staub unter deinen Füßen,« liebedienerte die Khanum, »denn wir wissen nichts.« – »Da seht!« – Der Finger wies wiederum auf die blonde Sklavin, die in dem Augenblick, halb aufgerichtet, aufmerksam auf die Mohrin schaute ... »Was gibt es?« – »Wenn wir ihn fern von dieser halten können, wird die Botschaft nicht abgesandt werden, die der Sirdar nach den Balkangewässern senden will ... Wir brauchen nur zwei Tage Zeit. Hafis sagt: Der Wille eines Mannes ist Wachs in der Hand eines Weibes, das sein Lager teilt.«

Die Frau des Sirdars nickte verständlich ... »Wird der Herrscher der Gläubigen die Nacht in diesem Harem zubringen?« – »Ich glaube es. Es ist unsere Reihe, und er hat mir seinen Besuch verkünden lassen.« – »Die Macht deiner Reize ist groß, o Sultana, sie blühen wie die Rosen von Schiras. Aber warum hast du denn diese Schlange hier behalten?« – »Du redest Torheit. Das böse Auge der Buhlerin hat den Padischah bezaubert, und wenn er sie nicht hier wüßte, würde er zu den anderen Kadinen gegangen sein, oder zu ihr allein. Glaubst du, daß diese da mir schaden werden?« sie wies verächtlich nach den anderen Frauen hinüber; »bah, sie sind der Hauch meines Odems!«

Die schlaue Cirkassierin hatte wohlberechnet die beiden jüngsten und schönsten der Kadinen in ihre Umgebung gezogen und in die Abteilung des Harems, die sie bewohnte. Ebenso hatte sie zu vermitteln gewußt, daß die junge blonde Odaliske, die erst seit kurzem den Harem des Großherrn zierte, von diesem aber die auffallendsten Beweise großer Zuneigung erhielt, in ihrem Haremlik blieb.

»So wird die Sultana selbst das Lager der Zuflucht der Welt besteigen und seinen Willen einschläfern auf den Kissen ihres Busens?« – »Nicht ich, auch jene nicht, obschon ich ihnen vertrauen kann. Der Padischah soll eine Überraschung erhalten, die seinen Geist während der nächsten Tage in den siebenten Himmel des Propheten versetzt. Hört!« – Sie klatschte zweimal stark in die Hände und augenblicklich näherte sich ihr aus dem untern Teil des Raumes eine so widerwärtig scheußliche Figur, wie sie eben nur in dem Harem des Moslems geduldet werden kann, die eine ganz besondere Vorliebe für Verwachsene und Zwerge zeigen. Aus einem kleinen, breiten Körper mit Säbelbeinen hockte ein unförmlicher, kürbisartiger Kopf mit einem Munde, der förmlich das Gesicht in zwei Hälften schnitt. Aus den Augen leuchteten Bosheit und List, und die rote Kleidung bewies, daß er zu den Eunuchen des Harems gehörte, und die Peitsche an seinem Gürtel, daß er einer der Aufseher über die Sklavinnen war.

Der Zwerg verbeugte sich tief vor der Sultana und blieb, die Hände über die Brust gekreuzt, in gebückter Stellung vor ihr stehen ... »Hast du Nachricht für mich, Sohn eines Zwerges und einer Hündin?« fragte die Sultanin. »Ist Neues vorgefallen?« – »Ich küsse den Staub deiner Sohlen; bosch – es ist nichts.« – »So können wir auf den Sir Kiatib Der Sekretär des Sultans. und seine Versicherung rechnen, daß der Ferman noch nicht abgesandt ist?« – »Bei meinen Augen, Herrin! er lag zur Unterschrift des Padischah bereit, aber der heilige Scheik ül Islam Der oberste Geistliche und Richter. hat das Versprechen des Schatten Gottes, daß die Sache nochmals beraten werden solle. Der heilige Mann und der Saderel Azan Titel des Großwessiers. Mustapha gehörte zur Friedenspartei. haben sich böse Worte gesagt.« – »Er ist unser Feind,« warf die Schwägerin der Sultana ein; »möge seine Leber schwarz werden!« – »Ist alles geschehen, wie ich befohlen? Sind die Almen bereit und das Spiel? Haben die Weiber die Sklavin vorbereitet und sie gesalbt?« – »Möge das Licht deiner Augen auf deinen Sklaven fallen. Das Mädchen hat soeben das letzte Bad erhalten, und ihre Schönheit strahlt, wie der Abendstern neben der Sonne der Sultana.« – »Es ist gut. Laßt uns das Ende erwarten. Allah möge uns beistehen.«

Der durchdringende, helle Klang zweier in einiger Entfernung zusammengeschlagenen Becken unterbrach das Gespräch ... »Der Padischah!« – – – – – –

Während am Ende des obern Teils des Raumes die Weiber-Intrige im Interesse der alttürkischen Partei sich schürzte, um den Ausbruch des Krieges herbeizuführen, war unfern der Gruppe eine andere geheimnisvolle Szene vor sich gegangen. Eine jüdische Juwelenhändlerin war in das Haremlik getreten und verschacherte den Odalisken ihren wertlosen Plunder. Die blonde Odaliske hatte sich mit ihr anfangs gar nicht befaßt; als sie aber sah, daß die Jüdin, als ihr Auge das der Odaliske traf, ein rasches Zeichen machte und den Zeigefinger der linken Hand an die Lippen legte, wandte sie der Jüdin ihre volle Aufmerksamkeit zu, erhob sich langsam und trat gleichfalls neugierig zu der Gruppe ihrer Gefährtinnen. Die gewandte Jüdin ergriff sofort den Moment ... »Aï, Herrin,« sagte sie, indem ihr Blick die Odaliske bedeutete aufzupassen; »der Gott Abrahams segne Eure Schönheit! Wollt Ihr nicht dieses Halsband versuchen? Es sind reine Amethysten aus dem kalten Lande der Moskowiten, unserer Feinde, wo der Schnee das ganze Jahr lang auf der Erde liegt. Nehmt, meine Schöne, und prüft es an dem Elfenbein Eures Halses.« – Sie drängte der Odaliske das Halsband auf, und diese fühlte zugleich, daß aus dem weiten Ärmel der Jüdin ein anderer Gegenstand mit in ihre Hand glitt. Besonnen trat sie vor einen der großen Spiegel, die, meist Geschenke europäischer Fürsten, in prachtvollen Rahmen an der Wand des Kiosks ohne alle Regelmäßigkeit aufgehängt, eine Lebensnotwendigkeit für die eitlen und putzsüchtigen Haremsbewohnerinnen sind, und legte das Halsband wie prüfend um, indem sie geschickt dabei den zusammengerollten Streifen Pergament, den sie zugleich erhalten, in das süße Versteck aller Frauen, den Busen, gleiten ließ. – Dann gab sie ablehnend den Schmuck wieder zurück und wandte sich nach ihrem Platz.

Noch ehe sie diesen erreicht, erscholl das Zeichen, das den Besuch des Großherrn verkündete. Wie mit einem Zauberschlage änderte sich das Bild. Die Jüdin raffte ihre Sachen eilfertig zusammen, warf der Odaliske noch einen raschen, bedeutsamen Blick zu und wurde von den Verschnittenen aus dem Gemach getrieben. Auch die erste Haupt-Khanum Omer Paschas schlug ihren Yaschmak um das Haupt und barg sich nach einigen rasch mit der Favoritin gewechselten Worten unter den Dienerinnen im Unterhause des Gemaches. – Während die beiden Kadinen zu der Sultana traten, stellten sich die Odalisken in zwei Reihen entlang des Diwans auf, die Hände über die Brust gekreuzt und die Augen zu Boden gesenkt, ebenso die Dienerinnen und Eunuchen im Unterteil. In der Bewegung, die dieser Anordnung voranging, gelang es Mariam, der blonden Odaliske, den Zettel in der hohlen Hand zu lesen. Derselbe enthielt die Worte: »An die Khanum Mariam. – Die Verschiebung des Angriffs um zehn Tage ist heute zwar im Diwan auf den scheinbaren Rat des englischen Gesandten beschlossen, heimlich aber drängt man den Sultan, die Absendung des Befehls zu verzögern. Erlange um jeden Preis seine Unterschrift und die Absendung des Fermans, noch womöglich in dieser Nacht, denn morgen wachen die Feinde. Im Namen des Gottes, den du im Herzen verehrst. Die Sache ist wichtig.«

Sie bog den Pergamentstreif zusammen und verbarg ihn in dem Gewande, denn der Zug des Sultans nahte, wie das Zusammenschlagen der silbernen Becken verkündete. Einen Augenblick hielt er vor dem großen Eingang des Gemaches, während die mit entblößten Säbeln Wache haltenden Eunuchen den Vorhang zu beiden Seiten emporhielten ... Zunächst traten vier Itschoklans Pagen. – schon in ihrer Jugend verstümmelte Kinder – ein und schritten bis zu dem Aufgang des Oberteils vor. Ihnen folgte eine gleiche Anzahl schwarzer Eunuchen, die Becken schlagend, und darauf der Tschannador-Aga, Der zweite unter den schwarzen Verschnittenen; Kislar-Aga, das Haupt derselben, einer der einflußreichsten Posten. den großen Pfauwedel tragend, womit die Pagen dem Großherrn Kühlung zufächeln. Hinter ihnen kamen die beiden Schwertträger des Sultans und dann dieser selbst, auf den Arm des Kislar-Aga gestützt. Der Kapu-Aga oder das Oberhaupt der weißen Verschnittenen schloß den Zug, an der Spitze von vier mit blanken Säbeln bewaffneten cirkassischen Sklaven.

Der Großherr – Abdul-Medschid-Khan – zur Zeit unserer Erzählung im einunddreißigsten Jahre stehend, geboren 23. April 1823, war eine große Gestalt mit vollem, fleischigem, aber blassem Gesicht, das zwar unverkennbar einen Zug von Gutmütigkeit trug, aber – offenbar von dem frühen Genuß der Haremsfreuden, zu denen ihn seine ehrgeizige Mutter verleitete – den Ausdruck des Schlaffen, Teilnahmlosen hatte. Er trug halbeuropäische Kleidung: weiße Pantalons, darüber einen zugeknöpften, indigoblauen Rock mit steifem Kragen und dem roten Feß, statt der gewöhnlichen, schwarzen, lackierten Stiefeln jedoch gelbe Pantoffeln. Die einzige Auszeichnung, die ihn schmückte, war ein mit großen Diamanten besetztes Brustschild, da wo der Rockkragen sich schloß. Als er über die Schwelle des innern Gemaches trat, fiel die Reihe der Dienerinnen und Eunuchen knieend zu Boden, mit der Stirn fast die Erde berührend; auch die Odalisken beugten sich tief und verharrten, alle das »Salem aleikum« Der türkische Gruß. murmelnd, in dieser Stellung, bis der Sultan, der nie den Gruß eines Untertanen erwidern darf, durch ihre Reihen hin zu dem Ehrensitz in der Ecke geschritten war, auf dem er Platz nahm. Ein rascher kurzer Seitenblick, als er an Mariam vorüberging, der nicht bloß von dieser, sondern auch von den beiden Sultaninnen sehr wohl bemerkt worden war, bewies, daß er, trotz seiner äußern Gleichgültigkeit, auf seine Umgebung achtete.

Von Ali-Pascha, dem Gouverneur von Brussa, hatte er sie zum Geschenk erhalten und ihr alsbald eine besondere Aufmerksamkeit gewidmet. Dieser Vorzug hatte natürlich unter den Frauen des Harem bedeutende Aufregung und Eifersucht hervorgerufen und ihre Intriguen und die Herrschsucht der Mutter des Thronfolgers erschwerten den Umgang des Sultans mit seiner neuen Geliebten auf alle mögliche Weise. Man sah in ihr nicht nur die gefährliche Nebenbuhlerin um die persönliche Gunst des Sultans, sondern auch um den politischen Einfluß, und es ging das Gerücht im Harem, daß sie eine heimliche Christin und von der russischen Partei in den Harem gebracht sei. Sie war eine Mingrelierin von Geburt, mit ihrer Mutter – einer Russin –; als Kind in die Hände kurdischer Räuber gefallen und später unter den Schutz Ali-Paschas gekommen, der sie dem Harem seines Gebieters bei passender Gelegenheit zum Geschenk machte. Näheres wußte und erfuhr man nicht von ihr, doch war es bald offenbar, daß sie, dankbar für die Gunst des Großherrn, diesem mit ganzem Herzen anhing und ihn hingebungsvoll liebte.

Ein Schlag der Silberbecken, die während des Ganges durch das Gemach geschwiegen hatten, verkündete, daß der Großherr Platz genommen, und auf dieses Zeichen erhoben alle das Haupt, und es bildete sich eine Gruppe um den Padischah. Die Favorit-Sultana und die Schwester des Großherrn nahmen auf Kissen am Boden an seiner Seite Platz und neben ihnen die beiden anderen Kadinen, während die Odalisken jenseits der Fenster an den Wänden entlang auf dem Diwan sich reihten. Die Sonne war am Horizont verschwunden und damit die Zeit gekommen, wo die meisten Bekenner des Propheten die einzige oder wenigstens die Hauptmahlzeit des Tages zu sich nehmen. In den Gängen des Palastes erscholl zugleich der Ezan, der Ruf des Imam zum Gebet, und sofort kniete der Sultan, mit dem Gesicht nach Mekka, auf dem Teppich nieder, während alle Anwesenden sich zu Boden warfen, und verrichtete das Abendgebet. Dann wurde dem Sultan der Kaffee gebracht, und während sich die Sultana Adilé verabschiedete und, rückwärts schreitend, von ihrer Schwägerin bis an die Tür der Frauengemächer geleitet, ihren kurzen Heimweg im Kaïk nach dem Harem Mehemed-Ali-Paschas antrat, wurde das Gemach mit einer Unzahl von Wachskerzen erhellt, worauf die Baltagiehs, die Köche des Harems, eintraten und auf einem vor dem Großherrn aufgestellten Tische die zahlreichen Gerichte ordneten. – Während der Mahlzeit, die schweigend vollbracht wurde, verrichtete am Eingang des Oberteils die Erzählerin ihr Amt, indem sie im halben eintönigen Gesang eines jener phantastischen Märchen erzählte, deren Anhören in den Kaffeehäusern, auf den Straßen und in den Harems einer der größten Genüsse der Moslems ist. Die Sultana goß dem Großherrn aus einer goldenen Kanne Wasser über die Hände, und einer der Pagen hielt knieend das Becken von gleichem Metall, worin der Padischah die vom Koran vorgeschriebenen Abwaschungen vollführte. Alsdann wurde mit gleichen Zeremonien wie vor der Mahlzeit dem Gebieter der Kaffee und eine neue Pfeife gebracht. – Der »Herr der Welt« erlaubte jetzt durch seinen Wink den begünstigten Frauen, gleichfalls ihre Nargileh zu nehmen, da die Unterhaltungen des Abends beginnen sollten. – Die Dienerinnen nahten sich ihren Gebieterinnen, und Nursädih, die schwarze Sklavin Mariams, tat dasselbe. Die Gelegenheit benutzte die Odaliske zu einem raschen Gespräch mit ihr.

»Ist dein Bruder Jussuf, der Kurier, im Palast?« – »Du sagst es, Herrin.« – »Wohl. Höre meine Worte! Laß ihn sich bereit halten zu einer Reise nach dem Lager des Sirdar! Er soll das schnellste Pferd nehmen, das ihm zu Gebote steht, und nicht rasten unterwegs.« – »Du kennst seine Schnelligkeit, o Khanum. Der Pfeil vom Bogen verfolgt seinen Weg nicht gerader als er.« – »Der Padischah, mein Gebieter, wird mich zu seiner Kadine wählen an diesem gesegneten Abend, sein Auge sagte es mir. Nun merke auf! Zu welcher Stunde der Nacht es auch geschehe, daß ich dich rufe, so sei zur Hand und laß deinen Bruder den Fuß im Bügel halten.« – »Auf mein Haupt komme es.« – –

Die Favorit-Sultana klatschte in die Hände, und eine Musik von Zithern und Triangeln erschallte aus dem Unterteil des Gemaches. Mit ihren ersten Takten traten die Almen, Mädchen im Alter von zehn bis vierzehn Jahren, die vor dem Padischah ihre Tänze aufführen sollten, herein. Die Sultana hatte für diesen Abend die jungen Mädchen – Kinder sollten wir sagen – gewählt, die von zartem Alter an im Harem für dessen Zwecke ausgebildet und erzogen werden. – Das Kostüm dieser jungen Geschöpfe war so lüstern und schamlos, wie es eben nur für die Zwecke sinnlicher Aufregung dienen kann. Der obere Teil des Leibes von den Hüften an aufwärts war gänzlich unbekleidet, Arme und Hals waren mit Goldspangen und Perlenschnüren umgeben, und nur die über der Brust gekreuzten Hände verbargen den emporschwellenden jugendlichen Busen. – Der Tanz dauerte wohl eine halbe Stunde, unterdes die Sultana die Blicke häufig auf das Antlitz des Großherrn beobachtend gerichtet hielt. Doch vergebens suchte sie den gewünschten Ausdruck – die Augen des Padischah blieben schlaff auf das gewohnte Schauspiel geheftet; es vermochte nicht, seine Nerven zu erregen, und als jetzt, nach einem Zeichen der Sultana, den Tanz zu enden, die Älteste der Almen näher trat und knieend dem Padischah eine silberne Schale vorhielt, warf er mit derselben Gleichgültigkeit einige Geldmünzen hinein. Mit Wut und Erbitterung nahm die Favoritin wahr, daß dabei der Blick des Sultans immer wieder nach der Stelle sich wandte, wo Mariam auf dem Diwan saß. – Auf ein zweites Zeichen der Sultana ließen jetzt die Eunuchen von der Decke des Unterraums einen straffgezogenen Leinwandvorhang fallen, die Lichter im oberen Teil diesseits des Vorhanges wurden ausgelöscht und die Musik, verstärkt durch mehrere Tambourins und Handtrommeln, eröffnete eine neue Melodie.

Es folgte nunmehr in Form eines Schattenspiels eines jener scheußlichen Schauspiele, halb Pantomime, halb Dialog, die in Stambul die Stelle unserer Harlekinaden und Hanswurst-Theater ersetzen. Die Hauptfigur derselben, Karagoïs genannt, ist eine Art komischer Don Juan oder frivoler Hanswurst, der in verschiedene Liebesabenteuer gerät, wobei namentlich Griechen und Griechinnen fungieren. Der Dialog wimmelt, wozu die türkische Sprache leicht Gelegenheit gibt, von den infamsten Zweideutigkeiten, die Aktionen und Szenen sind aber der Art, daß die »Sittlichkeit« der europäischen Bordelle davor erröten würde. Namentlich erpicht sind die Frauen auf diese Schauspiele, und es gibt für dieselben auch besondere öffentliche Theater, in denen sie in Gitterlogen sitzen ... Es hatte wohl eine Stunde gedauert, als der Padischah selbst das Zeichen zur Beendigung des Schauspiels gab. Schauspieler und Vorhang verschwanden, die Kerzen wurden aufs neue angezündet und Kaffee und Zuckerwerk gebracht.

Diesmal sah die Sultana ihr Arrangement von einem Erfolg begleitet. Die Stirn des Großherrn zeigte eine leichte Röte, seine Augen hatten sich belebt, und als der Glanz der Lichter das Gemach wieder durchstrahlte, irrten sie über den Reizen seiner Odalisken umher und blieben dann auf Mariam, der Mingrelierin, mit einem Ausdruck von Zärtlichkeit und Feuer haften, dessen Bedeutung nicht zu verkennen war und den das Mädchen mit gleicher Sehnsucht erwiderte. Der Padischah machte eine Bewegung nach dem Kislar-Aga, zu dessen Vorrechten es gehört, der begünstigten Kadine oder Odaliske die ihr zugedachte Auszeichnung zu verkünden, als die Sultana dem Befehl zuvorkam und sich vor dem Großherrn auf die Knie warf ... »Möge das Licht der Welt,« sagte sie schmeichelnd, »seiner Sklavin noch einige Augenblicke seiner kostbaren Zeit gewähren und seine Augen auf ein Geschenk werfen, das sie für ihn bereit hält.« – »Was ist es, o Khanum? Du weißt, daß ich der Mutter meines Sohnes ihr Recht nicht verweigere,« sagte der Sultan, sich setzend.

Die Sultana verneigte sich. Als sie sich erhob, streifte ihr Blick mit dem Vorgefühl des Triumphes über die getäuschte Nebenbuhlerin hin, die mit einiger Beunruhigung auf den unerwarteten Zwischenvorgang sah. Dann klatschte sie zweimal in die Hände, und alsbald öffnete sich der Vorhang der Seitentür nochmals, und von zwei schwarzen Sklavinnen geführt, trat eine ganz in einen weiten Schleier und braunen Feredschi gehüllte weibliche Gestalt ein, die langsam – während ihre Begleiterinnen zurückblieben – die Stufe herauf und bis in die Mitte des Oberteils vorschritt, wo sie sich vor dem Sultan zur Erde verneigte und dann, in ihre Gewänder gehüllt, gleich einer Statue stehen blieb ... Erstaunt schaute der Großherr auf die ungewohnte Erscheinung und dann fragend auf die schlaue Sultana. Diese zögerte – wie um die Neugier zu reizen – einen Augenblick, dann gab sie das zweite Zeichen ... Im Nu flogen die Gewänder und der Schleier zur Seite, und ein reizendes Bild stand vor den Augen des »Herrn der Welt«: es war eine Tänzerin, halb europäisch, halb orientalisch gekleidet, in raffinierter Berechnung auf die Erregung der Sinne, – ein griechisches Mädchen von wunderbarer Schönheit, – Nausikaa, die geraubte Tochter des Räubers und Mörders Janos, des Kameltreibers, die Tochter des blutigen Feindes der Moslems, dessen kühne Tat einst die Greuel von Chios gerächt hatte!

Der Leser wird sich erinnern, daß der Musselim von Tschardak das sechzehnjährige Mädchen kurz vor ihrer Hochzeit aus dem Hause ihres abwesenden Vaters mit Gewalt geraubt hatte, um sie seinem Gönner, Mehemed Ali, in Stambul zum Geschenk zu machen, und daß dieser Raub es war, welcher Janos aufs neue zum Krieg gegen die Moslems trieb und ihn zum Schrecken Smyrnas machte. Mehemed, dessen Haus die Schwester des Sultans streng beherrschte, hatte diese reizende Sklavin durch seine Frau der Sultana für den Harem seines Schwagers übergeben lassen, zu dem Zwecke, sich in der Sklavin eine Anhängerin und beim Verblühen der eigenen Reize ein Mittel zu schaffen, auf die Sinne des Sultans zu wirken und seine Neigung in der Gewalt ihrer eigenen Interessen zu behalten. Mit der Raffinerie der Wollust war die junge Tänzerin gekleidet, umhüllend und entblößend – lockend und verheißend! Um das dunkelbraune, fessellos über den Nacken fallende Haar, worin lange Schnüre von kleinen Goldmünzen eingeflochten glänzten, war ein duftender Kranz von Damaszener Rosen geschlungen. Große blaue Augen unter dunklen Brauen und der üppig aufgeworfene Mund predigten Lüsternheit und Sinnenrausch. Die antik schöne Nase und das Oval des Gesichts mit seinem reizenden weiß und roten Teint bildeten ein äußerst liebliches Bild des Kopfes, der auf schlankem Hals und üppig geformter Büste saß, die von einem weit bis zur Herzgrube ausgeschnittenen Mieder von drap d'argent entgegen der legèren orientalischen Sitte zur schlanken Taille eingeschnürt war. Um die breiten, beweglichen Hüften bauschte ein schwarzer, spanischer Seidenrock, kaum bis zum Knie reichend, während aus der Hülle der zahlreichen weiten Unterkleider von weißem Spitzengrund die klassische Form des völlig nackten Beines sich hervorstahl, dessen zierlicher Fuß allein mit fleischfarbenen Seidenschuhen bekleidet war. Ebenso von der Achsel ab, wo sie eine kurze, schwarze Seidendraperie einschloß, entblößt waren die Arme, an den Handgelenken mit breiten, goldenen Bracelets geziert. Ein Strauß frischer Blumen, Rosen und Kamelien schmückte und schloß den Ausschnitt des Busens.

Die rechte Hand mit der Castagnette über das reizende Haupt erhoben, die linke stolz auf die breite Hüfte gestemmt, stand die Tänzerin in malerischer Stellung einige Augenblicke vor den erstaunten Augen des Großherrn. Dann erklangen die rauschenden Töne eines spanischen Tanzes, von Flöte und Violinen vorgetragen, die draußen im Vorzimmer postiert waren, durch die Vorhänge der Türen herein dringend, und im kecken Sprunge flog die Alme auf den Padischah zu, den einen Fuß aus der neidischen Hülle üppig graziös den von den unerwarteten Reizen entflammten Augen entgegenwerfend ... Der Padischah war bei dem Ende des Tanzes emporgesprungen; seine sonst so teilnahmlosen Augen flammten mit verzehrendem Blick auf die schöne Erscheinung. Selbst die verachteten Halbmänner an seiner Seite schienen neu ermannte Wesen voll Verlangen und Erregung. – Mit raschem Schritt – vom strahlenden Blicke der Sultana verfolgt – trat er auf die Knieende zu und hob das seidene Schnupftuch, um selbst mit eigener Hand das Amt des Kislar-Aga zu vollziehen und ihr Haupt damit zu bedecken, zum Zeichen, daß die Wahl auf sie gefallen, an diesem Abend sein Lager zu teilen ... Da scholl ein schmerzlich gellender Schrei, wie aus zerrissenem Herzen, grell durch das Gemach und fesselte seine Hand. Auf dem Diwan lag marmorbleich die schöne Gestalt Mariams in Ohnmacht.

Während die Frauen sich um die Mingrelierin drängten, stand der Sultan einige Augenblicke stumm und unentschlossen, – sein Blick hatte die Geliebte erkannt, – dann legte er die Hand wie sinnend an die Stirn, die Röte verließ das Antlitz, die leidenschaftliche Glut der sinnlichen Erregung das Auge, und er wandte sich, ohne weiter einen Blick auf sie zu wagen, von der verführerischen neuen Bereicherung seines Harems und trat zu der um Mariam beschäftigten Gruppe, die ihm scheu Platz machte. Es war, als fühle die bleiche Odaliske seine Nähe; denn alsbald öffneten sich ihre Augen, und ihr Blick wandte sich zärtlich und flehend auf den des Sultans, während sie ihm wie Schutz suchend die Arme entgegenstreckte. Der Großherr beugte sich zu ihr, flüsterte ihr einige Worte zu und legte der Errötenden das Tuch auf das bleiche Gesicht. Auf ein Zeichen des Tschannador schlugen sogleich die Silberbecken wieder zusammen, und der Kapu-Agassi umgab mit seinen Verschnittenen alsbald die Glückliche, der sofort ein grüner Feredschi über Gestalt und Kopf geworfen wurde, während der Großherr, in Begleitung des Kislar-Aga und der Pagen, sich nach der Tür wandte, die an der Seitenwand des Oberteils in die Schlafgemächer des Harems führt. Aber hier warf sich ihm die Favoritin, von den beiden anderen Kadinen assistiert, in den Weg, wutblitzenden Auges, die Adern der Stirn vor Zorn geschwollen.

»Haif! Schande! Will der Padischah ein Mann sein und tut seinen Frauen die Schmach an, daß er auf das Geschrei einer Kuh von Kreuzträgerin hört? Mashallah! Er ist ein Lügner in seinen eigenen Bart, und ein Weib in seinem Hause nicht besser als dies Tier von einem Halbmann!« wobei sie verächtlich mit der Fläche der rechten Hand sich auf den linken Ellenbogen schlug, das Zeichen der tiefsten Geringschätzung.

»Haif! Haif!« schrieen dazu die anderen Weiber, sich um ihre Verfechterin drängend und den Eunuchen die gespreizten Finger in das Gesicht streckend. Der arme Sultan schien dergleichen Pantoffelauftritte gewöhnt, denn ohne ein Wort zu entgegnen, suchte er stillschweigend durch ein Manöver die verbarrikadierte Tür zu gewinnen, während der Kislar-Aga und sein Tschannador sich zwischen die wütende Frau und ihren Herrn warfen. Aber diese Pflichterfüllung sollte ihnen schlecht bekommen, denn die Sultana war eine böse Gegnerin und die Schärfe ihrer Nägel so gut wie die ihrer Zunge, im ganzen Serail bekannt und gefürchtet.

»Bah!« schrie die Erbitterte, als der Aga, dessen Gesicht die blutigen Male der bösen Finger zeigte, unwillkürlich nach dem Handjar im Gürtel griff und die Augen grimmig rollte; »was soll das heißen, du ägyptisches Vieh? Meinst du, ich fürchte mich vor einem Manne, der kein Mann ist? Wallah! Der schlechteste Knecht ist besser als du, und ich will dem Grabe deines Vaters antun, was ihm gebührt. Ist dies der Bluttrinker Titel des Sultans. oder ist er deinesgleichen? Für was bin ich seine Bujuk-Khanum, Die erste Frau. wenn er meine Sklavin verschmäht? Sieh mich an! bin ich ein Nichts? Der Padischah ist eine blinde Kuh, und seine Agas sind Esel!«

Die Eunuchen drängten jetzt mit Gewalt die Tobenden zurück, während es dem Sultan gelang, durch die Tür zu entwischen.

Mariam war unterdessen von den weißen Eunuchen der Eifersucht der Odalisken entzogen und hinausgeführt worden, um den alten Frauen übergeben zu werden, denen es obliegt, die Schönen für das Lager des Sultans zu bereiten, und die Beamten zogen sich nun eilig zurück, im Stillen über die Schwäche ihres Gebieters grollend. Zur wutkeuchenden Sultana aber, die eben das griechische Mädchen, das ihr nahte, erbittert mit dem Fuße von sich stieß, eilte die Khanum des Sirdars tröstend und beratend herbei. – »Was nun, o Sultana?« – »Fluch über die Christin! Mögen ihre Augen verdorren und meine Torheit mir Unglück bringen, daß ich sie so lange geschont. Unser Plan ist Rauch. – Die hunderttausend Piaster,« setzte sie flüsternd zur Freundin hinzu, »die mir der Gesandte von Frangistan hat versprechen lassen, sind Wind. Ne apalum! Was kann ich tun?« – Die intrigante Gattin des Sirdar sann nach ... »Mashallah!« sagte eine der Kadinen, »ich habe da einen Talisman bei der Moskowitin gefunden, als sie in Schwachheit lag und wir ihr helfen wollten. Was weiß ich? Vielleicht ist es der Zauber, den sie gegen den Padischah anwendet.« – Sie brachte den Pergamentstreif zum Vorschein, den sie im Busen der Unglücklichen gefunden.

Die Khanum nahm ihn schnell und überflog die Schrift, da sie die einzige von den Frauen war, die lesen konnte ... »Allah kerim! Gott ist groß!« rief sie. »Wir haben das Verderben der Moskow in dieser unserer Hand. Ich eile zu Fuad-Effendi, er ist ein schlauer Mann und wird uns raten!« Die lebhaft erregte Neugier der Odalisken mußte sich jedoch mit diesen Worten begnügen, denn nach einem kurzen, heimlichen Gespräch mit der Sultana, das diese hoch zu erfreuen schien, verließ die Vertraute hastig den Harem. – – –

Kaum zehn Minuten darauf strich ihr Kaïk, von zwei Ruderern getrieben, eilig über die Fluten des Bosporus und nahm seinen Weg stromaufwärts nach Kura-Tschesme, wo das Landhaus des Sirdars liegt. Anstatt aber dort anzuhalten, befahl sie plötzlich den Ruderern, quer über den Bosporus die für die kleineren Kaïks nicht ganz ungefährliche Fahrt zu machen und nach Kandili am asiatischen Ufer sich zu wenden. Hier hielt das Boot am Wassertor einer einfachen, mehr im europäischen Geschmack erbauten Villa, und die Khanum schickte einen der Ruderer in das Haus mit einer Botschaft für dessen Herrn ... Schon nach wenigen Augenblicken erschien derselbe, ein Mann von etwa 30-35 Jahren, großer körperlicher Schönheit und höchst eleganten französischen Manieren. Es war Fuad-Effendi, der junge Staatsmann, in dessen Händen die Leitung der politischen Geschäfte ruhte, und der jetzt zu der Khanum ans Ufer trat, worauf diese das Boot verließ und beide sich abseits eine kurze Zeit besprachen. Dann führte der Effendi die Dame höflich wieder zu ihrem Sitze im Boot zurück.

»Sei versichert,« sprach er zum Abschied, »ein Geschäft, das Fuad übernimmt, wird er auch zu Ende führen. Der Ferman soll, beim Propheten! deinen Gatten, den Sirdar, nicht am Übergang über die Donau hindern! Morgen erhältst du Botschaft.«

Während der Kaïk der Dame seinen Weg nach dem europäischen Ufer zurücknahm, gab der frühere Minister der Dienerschaft seine Befehle, und ehe zehn Minuten vergingen, fuhr er in einem vierrudrigen Boot mit der Schnelligkeit eines Dampfers durch das Dunkel der Nacht auf Stambul zu. – – –

In einer Laube des an der Verlängerung der Perastraße auf dem Wege zum großen Campo, zwischen Häusern und Mauern versteckten und ziemlich europäisch eingerichteten Konzertgartens, der von den Europäern Peras und Galatas gern besucht wird, saßen, dem Vortrag der Ouvertüre der Lucia lauschend, drei Männer, in deren einem wir Doktor Welland wiederfinden. Der zweite war eine große, aristokratische Gestalt von den Manieren eines Weltmannes, etwas Aventürier und gaskognierend, aber interessant und überaus gewandt, der seinerzeit in zwei Weltteilen und in den verschiedensten Verhältnissen vielbekannte Baron Oelsner von Montmarquet. Ein ganzes Kollier von Orden an seinem Frack unterstützte den etwas zweifelhaften Titel. Der Dritte schien ein Italiener, obschon er in der Unterhaltung geläufig deutsch sprach, ein herausforderndes, etwas unverschämtes Gesicht, seit vier bis fünf Jahren in Pera als Bankier und Geschäftsmann ansässig und überall zu finden. Eine breite Narbe an der linken Schläfe zeichnete das Antlitz aus.

Mit beiden Personen war der Doktor durch Briefe, die er an sie überbracht, bekannt geworden und in häufigem Verkehr, da sein Leben in Konstantinopel bisher ziemlich langweilig und beschäftigungslos gewesen war: eine Muße, die er zum Studium der zahlreichen historischen Merkwürdigkeiten, der türkischen Sprache und der türkischen Sitten benutzte. Er hatte sich zum Eintritt als Arzt bei der Armee in Bulgarien im Seraskiat gemeldet, doch durch allerlei Verzögerungen seine Anstellung bis jetzt hingehalten gesehen.

Das Treiben des Barons war für den Deutschen ziemlich rätselhaft; mit allen Parteien in Konstantinopel schien er auf gleichem Fuße zu verkehren und von allen Vorgängen und Intriguen die genaueste Kenntnis zu haben. Die bedeutenden Geldmittel, über die er offenbar disponierte, vermehrten seinen Einfluß, und selbst Welland hatte sich ihm nicht ganz zu entziehen vermocht, denn nachdem er den Baron von einem jener leichten Übel durch seinen ärztlichen Rat befreit hatte, die häufig im Orient sich einstellen und nur durch Vernachlässigung gefährlich werden, hatte der Genesende ihn mit seinen Aufträgen überhäuft und war sichtbar bemüht, ihn an sich zu fesseln.

Paduani, der dritte, gehörte als Lombarde zur liberalen Partei und zeigte seine Gesinnung mit einer gewissen Ostentation, die namentlich gegen Österreich Partei nahm. Dabei verkehrte er viel mit den Führern der Flüchtlinge und Emigrierten, die jetzt von jeder Nation Konstantinopel zu überfüllen und einen ähnlichen Übermut an den Tag zu legen begannen, wie dies im Frühjahr und Sommer der Fall gewesen war. Offenbar trug dazu der Bruch des russischen und das Sinken des österreichischen Einflusses bei, während der französische und englische Schutz jetzt allgewaltig waren. Dennoch hatte Welland bald die Beobachtung gemacht, daß man dem Italiener nicht recht zu trauen schien. Da er jedoch mit den Personalverhältnissen in Konstantinopel sehr vertraut war, hielt sich der Deutsche, der erhaltenen Instruktion gemäß, in Verbindung mit ihm.

Das Gespräch drehte sich, wie jetzt überall der Fall, im Kreise der großen Tagesfragen. Die Kriegserklärung war am 26. September im großen Rat der Pforte, aus 172 Mitgliedern bestehend, beschlossen worden. Kaiser Nikolaus hatte mit dem österreichischen Kaiser vom 26. bis 28. eine Zusammenkunft im Lager von Olmütz gehabt, aus der unter Ägide des österreichischen Premiers ein neues Notenprojekt hervorgegangen war, das das Wiener Kabinett in Paris, London und Wien wohl befürwortete, doch erwies sich die Zeit den Ausgleichungsvorschlägen keineswegs mehr günstig, und die Forderungen und Gegenforderungen verwickelten sich immer mehr. Während die drei Monarchen der heiligen Allianz am 3. Oktober noch eine Zusammenkunft in Warschau hielten, erließ der Sultan, von allen Seiten gedrängt, am 4. Oktober ein Manifest an sein Land mit der Kriegserklärung gegen Rußland, und Omer-Pascha richtete auf den Befehl der Regierung unterm 6. die Aufforderung an den Fürsten Gortschakoff, den Oberbefehlshaber der russischen Besatzungstruppen, die Fürstentümer bis zum fünfzehnten Tage zu räumen, widrigenfalls die Feindseligkeiten eröffnet werden würden. Der Fürst erwiderte in sehr gemäßigter Weise, daß er keine Vollmacht habe, Krieg zu führen, Frieden zu schließen oder die Donaufürstentümer zu räumen.

Während noch immer Friedensvorschläge sich von Konstantinopel, Wien, Paris und London her kreuzten, machte Kaiser Nikolaus noch einen persönlichen Versuch, die deutschen Kabinette für seine Interessen zu gewinnen, und traf zu diesem Ende am 3. Oktober in Sanssouci ein, seinen erlauchten Gast und Schwager, den König von Preußen, dorthin zurückbegleitend. Es war das letztemal, daß der mächtige Kaiser die fremde liebliche Stätte sah, von der er einst die Mutter seiner Kinder geholt hatte. Schon in der Nacht zum 10. trat er wieder die Rückreise nach Petersburg an. Unter dem vielen, was das preußische Volk König Friedrich Wilhelm IV. schuldet, sind gewiß jene Tage in Sanssouci nicht das Kleinste. Dem Freunde, dem Schwager, den historischen Erinnerungen und dem eigenen Herzen gegenüber blieb der König fest bei seinem Entschluß, sein Volk fern zu halten von dem sich bereitenden Kampfe, dessen Veranlassung er für keine gerechte hielt, so lange nicht die unumgängliche Notwendigkeit ihm das Schwert in die Hand drängen würde.

Bereits am 17. hatten die Türken eine Insel auf der Donau zwischen Kalafat und Widdin besetzt, doch war noch keine Feindseligkeit erfolgt. Omer Pascha rechnete den 24. als den Ablauf der dem Fürsten Gortschakoff gesetzten Frist. Am 29. beriefen die Gesandten Stratford und de Latour die Flotten nach Konstantinopel. In diesem letzten Augenblick machte der österreichische Gesandte, Baron von Bruck, noch einen Versuch und drang auf Aufschub der Feindseligkeiten. Für Rußland wäre derselbe von großer Wichtigkeit gewesen, da bei der verhältnismäßig geringen Zahl des Besatzungsheeres in den Fürstentümern wichtige strategische Operationen und Vorbereitungen noch im Rückstand waren.

Während Welland mit Paduani über die am Tage vorher bei dem englischen Gesandten stattgefundene Konferenz der Vertreter der vier Großmächte sich unterhielt, hörte Baron Oelsner, offenbar zerstreut und mit wichtigen anderen Gedanken beschäftigt, der Unterhaltung zu und blickte häufig nach dem Eingange des Gartens. Auch Paduani schien verstimmt und nachdenklich und lenkte mehrmals das Gespräch auf Vorbedeutungen und Ahnungen ... »Es ist heute ein Tag unangenehmer Erinnerungen für mich,« sagte er endlich, »und ich habe mich seit dem frühen Morgen mit einer seltsamen Unruhe getragen. Glauben Sie an Ahnungen, Doktor?« – »Im allgemeinen nicht, – in einzelnen Fällen: ja! Der Dänenprinz hat recht, wenn er sagt: Es ist vieles zwischen Himmel und Erde, was wir nicht begreifen können! – Überdies leben wir ja im Lande der Vorbestimmung und dürfen also an einer Ahnung derselben nicht zweifeln.« – »Ohne Winkelzüge – sagt Ihnen Ihre Erfahrung ja oder nein?« – Der Arzt sann einige Augenblicke nach. »Zwei Erinnerungen aus meinem Leben sind es, welche mir jene unerklärlichen und doch unleugbaren Fäden nahe gebracht haben, durch welche der Mensch mit der Geisterwelt in Verbindung zu stehen scheint. Ich erzähle sie Ihnen ein andermal.« – »Nein, jetzt, ich bitte Sie. Sie möchten sonst keine Zeit mehr dazu haben!« – Weiland schaute den Italiener bei den seltsamen Worten aufmerksam an; das Gesicht desselben hatte eine aschbleiche Farbe angenommen, er befand sich offenbar in der größten Aufregung, der er mit aller Mühe Herr zu werden suchte. Der Arzt schüttelte den Kopf, doch folgte er seinem Wunsche ... – »Ich war,« erzählte er, »ein junger Mensch von 16 Jahren und in Breslau auf der Schule. Meine Eltern hatten mich bei einem Gelehrten in Pension gegeben, der in einem früheren Kloster an der Oder wohnte. Die älteste Tochter der Familie, Amalie, war eine Blondine mit herrlichen Locken, so schön, wie ich sie nie wieder im Leben gesehen, ein Madonnengesicht, die Stirn von breiten Goldflechten gleich einem Diadem eingefaßt, das erste und einzige Weib, in das ich wahrhaft verliebt gewesen bin, trotzdem das Mädchen mehrere Jahre älter war als ich und den Gram einer unglücklichen Liebe im Herzen trug. Ein junger, interessanter Maler war von ihr durch die Eltern getrennt worden und bald darauf in rätselhafter Weise verschwunden – man glaubte an einen Selbstmord, – später erwies sich, daß er im Duell gefallen und von den Sekundanten in die Oder geworfen worden war. Ein einziges Andenken war dem Mädchen aus dieser Zeit geblieben: ihr eigenes, von dem Geliebten entworfenes, aber nicht ausgeführtes Porträt, von dem auffallenderweise nur der Kranz der goldenen Haare vollendet war, während das Gesicht noch in der Skizzierung der ersten Anlage verschwamm. – Ich war etwa ein Jahr im Hause gewesen, als Amalie plötzlich an einer nervösen Krankheit starb, – ich fand sie bei meiner Rückkehr von den Ferien als Leiche im Sarg und war untröstlich. Am Abend vor dem Begräbnis, als ich sie noch einmal besuchte, schnitt ich ihr, um dieselbe zum Andenken zu bewahren, eine der breiten Flechten ihres schönen Haares ab. Es war Mitternacht, als ich ruhelos bei einem Buch in meinem Zimmer, einer ehemaligen Klosterzelle, saß; hinter mir hing das vorhin beschriebene Bild an der Wand. Zufällig blickte ich vom Buch auf und in den großen Spiegel mir gegenüber. Da sah ich das Porträt sich darin spiegeln, aber – schrecklich! in veränderter Form: das klar ausgeprägte, blasse Leichengesicht, wie ich es eben verlassen, dagegen mit kahlem, aller Haare beraubtem Scheitel! Ich hatte die Kraft, mich langsam umzuwenden nach dem Bild an der Wand, und – dasselbe Totengesicht ohne den Lockenschmuck starrte mich an. Mein Haar sträubte sich; ich glaubte, eine Mahnung der Toten zu sehen, daß ich einen frevelhaften Raub an ihr begangen; denn selbst ihrem Geliebten hatte sie stets die Gabe ihrer Haare verweigert, auf die sie auffallend hielt. Ohne das Auge von der schrecklichen Erscheinung abwenden zu können, taumelte ich rückwärts zur Tür meines Zimmers und öffnete sie; – drüben über dem Gang hörte ich das Mädchen noch hantieren und rief dasselbe. Sie kam mit Licht, – ich bat sie, noch einmal mit mir zur Leiche zu gehen und – legte still die Flechte wieder in den Sarg, wohin sie gehörte. – Sie sehen,« sagte der Doktor nach einer kleinen Pause, »wohin die aufgereizte Phantasie führen kann.«

Der Baron war während der Erzählung aufgestanden und nach dem Eingang des Gartens zu gegangen, wo er mit einem eben Eingetretenen eifrig sprach, der die Kleidung eines jüdischen Handelsmannes trug. Paduani hatte aufmerksam zugehört, doch schien ihn die Erzählung nicht zu befriedigen. »Und die andere Geschichte, Doktor, die andere?« – »Der zweite Fall, ich muß es gestehen, ist mir selbst unerklärlicher Natur, und beweist mir, allen Zweifeln gegenüber, die Gabe des zweiten Gesichts bei gewissen Personen. Während meiner Studienzeit besuchte ich von Berlin aus Verwandte in Stendal. Eines Abends waren wir in Gesellschaft und man erwähnte einer Dame, die erwartet wurde und die ich noch nie gesehen, da sie sich fast von allem Umgang zurückgezogen hatte und nur einer nicht auszuschlagenden Einladung diesmal gefolgt war. Es schien mit ihrer Person ein gewisses Geheimnis verknüpft, obschon niemand recht mit der Sprache heraus wollte, die meisten aber die Sache verspotteten. Endlich erschien die Dame, eine Frau, bereits im mittleren Alter, wahrscheinlich noch heute lebend, von blassem, feinem Aussehen, ohne alles Auffallende, und die Gesellschaft nahm ihren gewöhnlichen Gang. Plötzlich, mein Auge war gerade auf sie gerichtet, sah ich die Dame unruhig und ängstlich werden. Sie versuchte offenbar, dies Gefühl mit Gewalt zu unterdrücken, doch schien es ihr nicht möglich, denn sie entfernte sich bald darauf in ein Nebenzimmer und ließ von hier aus um Hut und Mantel bitten. Ich war gerade in dem Zimmer anwesend, als Wirt und Wirtin in die Dame, eine Verwandte von ihnen, drangen, zu bleiben, oder ihnen wenigstens den Grund ihres raschen Weggehens zu sagen. Lange weigerte sie sich, endlich sagte sie zitternd und höchst aufgeregt: »Sie kennen das unglückliche Geschenk, mit dem mich leider die Vorsehung ausgezeichnet und das mir schon so vielen Kummer und so viele Unannehmlichkeiten bereitet hat, daß ich mich lieber aus allen Kreisen zurückgezogen habe. Während ich vorhin unter den Fröhlichen saß, überfiel mich wieder diese schreckliche Gabe des doppelten Gesichts, und ich sah ein Mitglied der Gesellschaft als Leiche vor mir auf dem Tisch liegen!« – Der Wirt des Hauses, etwas ungläubiger Natur und auch erst seit kurzem im Ort, suchte ihr die Grille auszureden und lachte dazu, als die Dame ihm auf sein Drängen endlich einen Herrn, einen lebenskräftigen, kerngesunden Hagestolzen von einigen vierzig Jahren, als denjenigen bezeichnete, den sie als Leiche gesehen. Die Dame aber war nicht zu bewegen, wieder zur Gesellschaft zurückzukehren, und ich bat daher um Erlaubnis, sie nach Hause führen zu dürfen. Unterwegs suchte ich sie mit gleichgültigen Gesprächen zu zerstreuen, doch sie blieb still und traurig und nahm an der Haustür unter Tränen von mir Abschied.« – »Sie werden leider erfahren, mein Herr,« sagte sie, »daß ich mich nie täusche. Die traurige Erfahrung hat es mich schon zu oft gelehrt.« – »Als ich in die Gesellschaft zurückkehrte, fand ich, daß der Wirt nicht still geschwiegen, sondern von der Prophezeiung gesprochen hatte, und daß man sich allgemein bemühte, darüber zu lachen. Vor allem war das bezeichnete Opfer der ungläubigste und heiterste. Man spielte ein Pfänderspiel, und wirklich war bald in der allgemeinen Lust der unangenehme Auftritt vergessen. Da – nach ungefähr zwei Stunden, während ich eben wieder im Nebenzimmer plauderte, hörte ich plötzlich einen lauten Hilferuf, Gekreisch und Geschrei. Alles stürzte herbei, – der Herr, den die Seherin bezeichnet, hatte frisch und gesund noch einen Augenblick vorher auf seinem Stuhl gesessen und sich nach der Gewohnheit vieler dabei auf den Rückbeinen desselben hin und her gewiegt, als er plötzlich das Gleichgewicht verlor und mit dem Stuhl hinten überschlug. Man legte eben in der ersten Angst den Körper auf den nämlichen Tisch, den die Dame bezeichnet: – er hatte im Zimmer den Hals gebrochen und war eine Leiche, ehe man ihn aufhob.«

»Ei, Doktor, was erzählen Sie da für Schauergeschichten,« sagte lachend Baron Oelsner, der wieder hinzugetreten war; »ich glaube wahrhaftig, Herr Paduani läßt seine italienische Phantasie davon in Schrecken setzen. Doch kommen Sie einen Augenblick, Freund, ich möchte Sie um eine kleine medizinische Auskunft bitten.« – Er nahm den Arm des Doktors und führte ihn, offenbar sehr aufgeräumt durch die empfangene Nachricht, in einem Spaziergang durch den Garten. – »Sie haben bereits von der infamen Sitte in diesem Lande gehört,« sagte er nach einem kurzen Bedenken, »den Lebenskeim im Mutterschoß zu töten. Dies geschieht nicht bloß durch fremde Bosheit. Ist es möglich, in einem solchen Falle den Folgen des Verbrechens zu begegnen, sie aufzuheben und das Opfer wieder zur erhabenen Bestimmung des Weibes zu befähigen?« – »Die Angaben sind sehr allgemein,« sagte ernst der Arzt; »zunächst müßte man wissen, welche höllischen Mittel hier angewendet sind. Es würde nötig sein, die Kranke zu sehen.« – »Das geht nicht,« antwortete der Baron barsch; »auch ist hier von keiner Kranken die Rede. Ich frage Sie bloß, ob es in dieser Beziehung Gegengifte gibt? Im Ort, müssen Sie wissen, ist man Meister in der Giftmischerei, und unsere Haremsdamen könnten den Borgias etwas zu raten aufgeben.« – »Die Natur ist unerschöpflich, Herr Baron,« sagte Welland, etwas verletzt von dem ungewohnten Ton, »und sie reproduziert ewig in ihren geheimnisvollen Werkstätten, deren wunderbarste der menschliche Körper ist. Die Erfahrung lehrt, daß selbst jene Unglücklichen, die in den Höhlen des Lasters sich feilbieten und bei denen jeder Keim der Mutterkraft längst erstickt scheint, bei geordnetem Leben mit der Zeit dieselbe wiedergewinnen. Ich glaube, daß die Zeit allein heilen kann, – ein Gegengift aber ist nicht möglich, wenn man das Gift selbst nicht kennt. Ich würde mich nicht entschließen, ein solches zu geben, wenn ich nicht mindestens vorher die Person gesehen.« – »Das ist nicht möglich, ich wiederhole es.« Die Stirn des Barons faltete sich mißmutig. »Man muß sie aufgeben und auf andere Mittel denken,« murmelte er und reichte dem Arzte die Hand. »Leben Sie wohl, Doktor; ich habe eine Nachricht bekommen, die mir noch einige Geschäfte auflegt. Ich hoffe, wir sehen uns morgen. Bringen Sie den Italiener nach Hause, der Mann hat heute ein seltsames Wesen an sich.« – Damit schied er.

Als Welland zu der einsamen Laube zurückkehrte, fand er den Bankier, mit starren Blicken vor sich hin in die Luft stierend, zuweilen mit der Hand wieder die Augen bedeckend, als wolle er einer äußeren Erscheinung entfliehen ... »Sie hatten recht, Doktor, mit ihrer ersten Geschichte,« sagte er fröstelnd; »alle diese Bilder sind nur ein Spiel der aufgeregten Phantasie. – Und doch sehe ich ihn in diesem Augenblicke so deutlich vor mir stehen, – schauen Sie,« er wies in die leere Luft, »mit dem ausgelaufenen Auge, wo die Kugel in den Schädel gedrungen ist, und von zwei blutigen Wunden in der Brust, gerade wie sie ihn aus dem Glacis ins Schauspielhaus gebracht haben!« – Er bedeckte schaudernd wieder die Augen mit der Hand. – »Wen sehen Sie denn dort?« fragte forschend der Arzt. – »Wen? – wen anders, als den Kapitano Blum, den deutschen Revolutionsmann, von dem sie törichterweise sagen, daß ich ihn im Gefängnis verraten hätte. Die Narren! Als ob ich damals in Wien gewesen wäre. Ich heiße doch Paduani und nicht ...« – Er ermannte sich ... – »Ich rede irre, Doktor; ich glaube, ich bekomme ein Fieber, und werde Sie morgen um Ihren Rat bitten müssen.« – »Wollen Sie nicht lieber nach Hause gehen? Ich werde Sie begleiten.« – »Nein, Signor, lassen Sie uns in frischer Luft bleiben! ich fühle, mir wird schon besser; es war ein böser Anfall, dem ich manchmal unterworfen bin, und ich menge da tolles Zeug zusammen; achten Sie nicht darauf!«

In der Tat schien er sich zum Erstaunen des Arztes auch wieder ganz zu erholen, erwähnte mit keiner Silbe mehr den wüsten Gedanken und nahm das frühere Gespräch über die politischen Ereignisse wieder auf. Nur schien er den Heimweg so lange wie möglich zu verzögern, und Mitternacht war bereits nahe und der Garten längst menschenleer, als sie auf Wellands Erklärung, daß er nun die Ruhe suchen wolle, sich auf den Weg machten. Beide trugen die in Konstantinopel nach Eintritt der Dunkelheit vorgeschriebene kleine Papierlaterne, da eine öffentliche Beleuchtung nicht existiert, und scheuchten auf ihrem, bis in die Nähe des englischen Gesandtschaftshotels zusammenführenden Wege häufig jene eigentümlichen Straßenbewohner, die zahllosen Hunde, auf, die auf allen Straßen Konstantinopels bei Tage und bei Nacht ihr Lager halten und die Sanitäts- und Reinigungspolizei der türkischen Hauptstadt bilden.

Paduani war jetzt ganz verändert und spottete selbst über seine frühere Erregung ... »Wissen Sie,« sagte er lachend zu Welland, während sie an dem Kreuzwege standen, der sie trennte, »was vorhin mir den tollen Spuk durch den Kopf jagte? Eine dumme Prophezeiung! Als ich heute morgen eines Geschäfts wegen in St. Demetri war, begegnete mir auf dem Campo eine alte bulgarische Zigeunerin und bettelte mich an. Ich hatte zufällig keine kleine Münze bei mir und wies sie etwas barsch ab. Da hob sie drohend ihre Krücke und schrie mir nach, Azraël, der Engel des Todes, wie die Moslems sagen, halte bereits seine Fittige über mir, und ehe der Tag um sei, werde ich niemand mehr eine Gabe reichen. Der Tag ist vorbei und – auf Wiedersehen morgen!«

Er reichte ihm die Hand und bog trällernd in die Seitenstraße, in der sich sein Haus befand. Welland, der in einer Pension an der Perastraße seine Wohnung aufgeschlagen hatte, setzte seinen Weg ruhig fort, doch war er noch keine zweihundert Schritt gegangen, als er plötzlich einen entfernten Hilferuf zu hören glaubte. Er hielt inne, – ein zweiter Ruf erscholl und ließ ihm über die Richtung keinen Zweifel; er kam aus der Gegend, in der Paduanis Wohnung lag. Eilig – im Laufe die lästige Laterne von sich werfend – flog er zurück und rief nach der nicht entfernt einquartierten türkischen Scharwache. Am Eingang der Gasse, die zu Paduanis Wohnung führte und die er im Fluge erreicht hatte, kamen ihm im vollen Rennen zwei dunkle Gestalten entgegen. Er rief ihnen sein Halt zu, doch achtlos sprang der erste an ihm vorüber, dem zweiten warf er sich in den Weg und hielt ihn mit beiden Armen fest. – » Diavolo!« fluchte eine wilde Stimme, und eine riesige Kraft warf ihn zu Boden. Dennoch hielt er fest und klammerte sich, laut nach Hilfe rufend, an den Fremden. Die Klinge eines Dolches blitzte im Mondlicht hoch geschwungen über ihm, und ehe er selbst zu einer Waffe greifen konnte, glaubte er sie niederfahren zu sehen auf seine unbeschützte Brust – da warf sich ein dunkler Körper zwischen ihn und die morddrohende Faust, eine Hand faßte dieselbe und rang mit ihr um die Waffe, während eine jugendliche Stimme neben ihm den Hilferuf schreiend wiederholte. Der Mörder, eine kräftige Gestalt, riß den Arm los, stieß den unbekannten Helfer zur Seite und sprang an der Gruppe der herbeikommenden Scharwache vorüber, deren schwere, eisenbeschlagene Stöcke auf dem Steinpflaster rasselten. Ein Pistolenschuß knallte hinter ihm drein, aber die Kugel schlug neben ihm in die Häuserwand, und er setzte unbehindert seine Flucht fort, alsbald in den Quergäßchen, die nach Tophana hinunter führen, verschwindend. Unterdeß richtete der fremde Retter den Deutschen empor, – die Laternen der herbeieilenden Wache erhellten die Szene ... »Gregor!« – »Welland?!« – Vor ihm stand Caraiskakis mit dem Knaben Mauro, die so seltsam der Zufall zu seinen Rettern gemacht hatte. Ein nahes Stöhnen und Wimmern verhinderte jedoch alle Fragen und Erörterungen, alle eilten die Straße hinauf und vor Paduanis Tür – den Schlüssel zum Öffnen in der Hand – auf der eigenen Schwelle im Todeskampfe sich windend, fanden sie den blutigen Körper des Italieners, von fünf Dolchstichen durchbohrt. Der Mord Paduanis ist historisch, wie – wir wiederholen es – fast alle Szenen dieses Romans wenigstens ihre historische Basis haben. – –

Es war spät in der Nacht, als Welland mit den wiedergefundenen Freunden das Haus des Ermordeten verließ, nachdem alle Bemühungen zu dessen Rettung sich als vergeblich gezeigt hatten.

*

Wenn man von der Perastraße am russischen Gesandtschaftshotel vorüber den Weg nach Tophana zur Moschee Kilidsch-Ali-Pascha und zur Kanonengießerei treppenartig hinuntersteigt, findet man rechts nach den belebten Teilen von Galata hin eine Menge wirrer, einsamer Quergäßchen, darunter den berüchtigtsten Schlupfwinkel aller Räuber und Mörder von ganz Konstantinopel, das Maltesergäßchen, das Hauptquartier des Auswurfs aller Nationen, der hier ungestört und sicher sein Wesen treibt; denn nach Dunkelwerden wagt sich kein ehrlicher Mensch mehr in diese Umgebung, und die türkische Polizei hält höchstens einmal, wenn der Gesandte einer großen Macht wegen vorgefallener Räubereien oder Mordtaten an Untertanen derselben Lärm erhebt, eine Razzia, die gewöhnlich zu nichts führt, als daß ein paar Wichte um einen Kopf kürzer gemacht werden.

In einen leichten Mantel gehüllt, schritt eine mittelgroße, schlanke Männergestalt in den Eingang dieser verrufenen Gasse; etwa dreißig Schritte hinter ihr folgten zwei Kaikschiks, kräftige Gestalten, die Faust am Kolben der Pistolen, den Handjar im Gürtel. Der kecke Fremde war noch keine drei Häuser weit in der Gasse vorgeschritten, als rechts und links zwei Männer auf ihn lossprangen und ihn an den Armen faßten. Blanke Messer blitzten im Sternenlicht, rauhbärtige, wilde Gesichter starrten ihn grimmig an ... »Dein Geld her, Bursche, oder wir machen dich kalt!« – »Es ist ein Türke,« sagte prüfend der zweite. »Soll ich ihn zwischen die Rippen stoßen, Stephano?« – Der Fremde wickelte ohne ein Zeichen von Furcht unbefangen die Hand aus den Falten des Mantels ... »Mashallah – nicht so laut, Freunde, meine Begleiter da hinten möchten euch hören und unrecht verstehen. Die Teufelskerle schneiden einen Kopf ab, ehe ihr Guten Abend sagen könnt. Auch liebe ich es, daß man mir drei Schritt vom Leibe bleibt, die Kleinigkeit da ist nicht angenehm in zu großer Nähe.«

Unter dem Mantel hervor blitzte ein sechsläufiger Revolver; zugleich nahten die Schritte der beiden türkischen Diener, und das Waffenarsenal in ihren Gürteln klang verdächtig zusammen. Verdutzt und mit einer Art von Respekt fuhren die beiden Räuber zurück in das Dunkel der Häuserschatten ... »Ah, bon, so lieb' ich's,« sagte der kleine Moslem; »das ist eine respektvolle Entfernung. Aber lauft nicht fort, Kerls, ich habe mit euch zu reden, und ihr sollt euer Goldstück diesmal ehrlicher verdienen, als gewöhnlich. Wo ist die Pension des Griechen Palurgos?« – »Wir wissen nicht, wer Ihr seid,« sagte nach einer Pause die rohe Stimme eines der Banditen, »und ob man Euch, ohne Verrat zu begehen, antworten darf. Gebt erst ein Losungszeichen.« – » Bestia! – wenn ich einer deiner Kollegen wäre, würde ich nicht so lange mit dir die Zeit vertrödeln! Kennt ihr einen Signor Tommaso, den Magyaren?« – »Gewiß!« – »Wohl! Den muß ich sprechen, ich habe Geschäfte für ihn, und wenn ich ihn recht kenne, wird er's euch schwerlich danken, daß ihr mich hier unnütz aufhaltet. Bismillah! Tummelt euch, oder ich suche den Weg allein.« Die beiden Griechen krauten sich verlegen in den Haaren – das moralische Übergewicht des Fremden hatte sie besiegt. – »Nun wohl, Effendi, auf Eure Gefahr!«

Sie gingen vor ihm her eine kurze Strecke, dann bogen sie in einen der kaum zwei Ellen breiten Durchgänge und blieben an einer Mauer stehen ... »Aber Ihr müßt allein kommen, Eure Sklaven dürfen nicht mit.« – »Wohl. Sie bleiben hier, doch einer von euch bei ihnen, teils um sie vor unnützem Angriff zu bewahren, teils als Bürgschaft für mich. Euer Lohn wird doppelt werden, wenn ich unbelästigt zurückkehre.« Die Banditen besprachen sich einige Augenblicke, dann willigte der eine in den Vorschlag, und der Osmanli sagte seinen beiden stummen Begleitern einige Worte auf Arabisch, worauf er seinem Führer andeutete, voran zu gehen.

Der Bandit klopfte viermal in eigentümlicher Weise mit dem Griff seines Dolches an die verschlossene Tür, worauf diese sich öffnete und beide in den Hof traten. Im matten Schein einer Laterne bemerkte der Fremde, daß ein griechischer Knabe die Pforte geöffnet hatte und hinter ihnen sorgsam wieder schloß; er hatte jedoch keine Zeit zu weiteren Betrachtungen, denn sein Führer schritt voran nach dem Hause, aus dem ein wüster Lärm ihm entgegenscholl, und öffnete die Tür, die sofort in ein großes Gemach führte. Die Szene, die sich hier den Blicken des kühnen Orientalen bot, war eine Orgie der schrecklichsten Art. Rings umher auf schmutzigen breiten Diwans lag und saß eine Gesellschaft, die würdig gewesen wäre, die Hölle auszustaffieren: Schwarze und Weiße, Renegaten, Malteser, Griechen, Italiener, in dem buntesten reichen oder zerlumpten Kostüm, – Alle bewaffnet, teils spielend mit schmutzigen Karten, das blanke Messer gleich neben sich an den Boden geheftet, oder das Mora Italienisches Fingerspiel. haltend, – teils schräg dahingestreckt, Kaffee oder Branntwein und andere hitzige Getränke schlürfend, plaudernd, schwörend, Zoten reißend mit zwei jüdischen Mädchen, dem Auswurf der eklen Höhle. Dazwischen fuhr der griechische Wirt umher, mit Hilfe eines größeren Knaben die lärmenden Wünsche seiner Kunden befriedigend. Die einzelnen Gruppen zu mustern blieb dem Effendi keine Zeit, denn die meisten Insassen des Gemachs fuhren empor, als sie einen in europäischer Weise gut gekleideten Türken eintreten sahen, der ihnen allen fremd war; einige Worte des Führers beruhigten sie jedoch und sie setzten achtlos die unterbrochene Beschäftigung fort.

»Signor Tommaso, ist er zu sprechen?« – Der Kaffeewirt wies diensteifrig auf eine Stiege, die nach dem oberen Gemach führte ... »Wollen Eccellenza belieben, hier hinauf zu spazieren? Der General ist in seinem Zimmer.« Der Moslem stieg die Treppe hinauf, öffnete am Ende derselben eine Tür und trat in das Gemach.

Zwei Personen saßen darin, in Wolken von Tabaksdampf eingehüllt, ein etwa fünfzigjähriger Mann von mittelhohem Wuchs und militärischer Haltung, häufig den ergrauenden, langen Schnurrbart von ungarischer Form streichend. Den magyarischen Typus zeigte auch das Gesicht, die gebogene, schmale Nase, die breiten Stirnknochen und das scharfe, blitzende Auge, in dem etwas Finsteres, Herrisches lag. Der zweite war ein jüngerer Mann in eleganter französischer Kleidung, mit Papieren und Briefschaften eifrig beschäftigt. – » Mon Dieu – der Minister!« – »Ah Sie, Herr Dechambeau,« sagte Fuad – denn dieser war der Eintretende – mit leichtem Spott zu dem aufspringenden jungen Manne, »lassen Sie sich nicht stören in Ihrer Erholung von den anstrengenden Arbeiten der Redaktion. Sie haben ja gestern einen vorzüglichen Artikel im Spectateur geliefert. Ich kam bloß, um meinen Freund, den General, zu besuchen, der auch so stark beschäftigt scheint, daß er für seine alten Bekannten keine Zeit mehr übrig hat. Wenigstens ist er seit länger als einem Monat nicht bei mir gewesen, und ich kann doch nicht glauben, daß meine gegenwärtige Entfernung aus dem Diwan die Ursache sein sollte.«

Der Militär hatte sich erhoben und dem Ankommenden die Hand gereicht. »Das wissen Sie besser, Hoheit. Titel, den man höflicherweise dem Pascha gibt. Sie haben mich damals in der Walachei vom Strick gerettet, der mir sicher bei den Österreichern geworden wäre, und dergleichen vergißt man ohne Not nicht, wenn man auch Revolutionär von Profession ist. Ich hätte jedoch sicher morgen oder übermorgen Ihnen meinen Besuch gemacht, da ich, aufrichtig gestanden, Ihres Einflusses für einige Anstellungen von Schützlingen in der Donau-Armee bedarf.« – »Er steht Ihnen zu Diensten, General,« sagte der frühere Minister höflich. »Sie wissen, wir müssen nur die Form wahren, da wir in der Flüchtlingsfrage gegen den Wiener Hof Verpflichtungen eingegangen sind und uns trotz der englischen und französischen Zusicherungen Österreich nicht auf den Hals laden mögen. Übrigens komme ich auch nicht ohne Absicht in diese abscheuliche Mördergrube, wohin Sie sich einmal inkognito einquartiert haben. Ich –« sagte er mit einem leichten Zögern, »bedarf Ihrer Hilfe zu einem geheimen und schleunigen Dienst.« – »Genieren Sie sich nicht, Hoheit, – Herr Dechambeau ist mit meinen Angelegenheiten vollkommen vertraut.« – »Also zur Sache,« sagte der Moslem, der sich auf dem Diwan niedergelassen. »Sie haben wahrscheinlich gehört, daß gestern von der Pforte der Aufschub der Feindseligkeiten beschlossen worden ist. Der Befehl dazu wird spätestens morgen früh nach Schumla und Rustschuk abgehen.«

Der General sah ihn aufmerksam und fragend an ... »Der Tatar mit dem Ferman darf nicht ankommen, mindestens nicht vor dem 25sten. Der Sirdar hat seine Instruktionen, und die Eröffnung der Feindseligkeiten darf unter keinen Umständen verhindert werden.« – »Ich verstehe, aber wie soll ich das hindern?« – »Sie haben geeignete Leute genug zur Disposition. Ein paar müssen den Tataren aufhalten und ihm Ferman und Paß mit Gewalt abnehmen. Inshallah, was kommt es auf ein Tier an, wo so viel auf dem Spiele steht! Hier ist Gold, fünfzig Ghazis Türkische Goldmünze, etwa 4 Mk. 50 Pfg. für den Mann, ebensoviel erhält er, wenn er den Ferman bringt.« – »Aber wird die Sache nicht viel Aufsehen machen?«

»Die Ordre soll auch keineswegs unterschlagen werden, schon um der Einmischung der Gesandten willen nicht, sie soll nur zu spät kommen. Am zweiten Morgen sendet man dann einen andern vertrauten Boten mit Ferman und Paß an Stelle des Beseitigten ab. Haben Sie die passenden Männer zur Stelle?« Der General sann nach. – »Ich wüßte im Augenblick kaum, wem ich als zuverlässig diesen Auftrag geben könnte!« – Der Journalist, der bisher schweigend zugehört, wandte sich zu ihm. – »Santa Lucia«, sagte er, »er weicht nie von seiner Aufgabe.« – – »Ja, aber Sie wissen, – –«

Ein Lärmen im unteren Gemach unterbrach ihn. Die Treppe hinauf stürmte ein schwerer Männertritt, und ehe weiter ein Wort gesprochen, stand der ebengenannte in der Tür. Er schien erhitzt, atemlos von einem raschen Lauf, seine Kleidung war in Unordnung und Hände und Gesicht mit Blut bespritzt. – »Was ist geschehen?« – Der Bandit trat langsam bis zu dem Tisch vor und stieß mit gewaltiger Kraft den Dolch, den er in der Faust hielt, dicht vor dem General in die Platte, daß die breite Klinge fast zwei Zoll tief in das Holz fuhr. – »Der Schuft wird den 9. November An diesem Tage wurde an Robert Blum das Urteil des Kriegsgerichts in der Brigittenau vollstreckt. nicht mehr sehen! Ich wollte zwar warten bis zum Jahrestage seines Verrats, aber die Gelegenheit war heute günstig. Doch muß ich mit Hassan, dem Arnauten, für einige Tage fort, General, man hat uns dabei überrascht und die türkischen Hunde waren hart auf meinen Fersen.« – »Ein Verräter verdient den Tod,« sagte der General ernst, »und dieser war ein doppelter, der sein Spiel lange genug mit uns getrieben. Es trifft sich glücklich, daß ich Euch sogleich entfernen kann. Der Gefährte dieses Mannes kann, wenn es Euch genehm, Effendi, sogar den Kurierritt nach Schumla machen. Er diente früher als Tatar bei der englischen Gesandtschaft und mußte gewisser Vorgänge wegen verschwinden.«

Der Minister, der mit Interesse den Banditen betrachtet hatte, nickte zustimmend, und nachdem Hassan in das obere Gemach gerufen war, wurde der Auftrag den beiden kurz auseinandergesetzt. Der Kaïk des Effendi mit den vier Ruderern sollte sie sofort an die Spitze des Schlosses der sieben Türme bringen, bis in die Bucht von Kütschük-Tschekmedgeh, an deren Ufer die Straße nach Adrianopel vorüberläuft. Am Nachmittag, zu einer bestimmten Stunde, sollte der Effendi oder ein Vertrauter mit dem nötigen Gelde an dem Ufer des Lykus vor dem Tore von Adrianopel auf den Boten harren, der Nachricht über den Erfolg des Unternehmens und womöglich den Ferman zurückbringen würde.

Die Verhandlungen waren rasch geschlossen und, nachdem die Banditen das Aufgeld in Empfang genommen, verließen sie mit dem Minister zugleich die Spelunke und eilten zu dem harrenden Kaïk, der seinen Herrn in der Nähe des Serails in Stambul ans Land setzte, um sein Haus in der Stadt zu erreichen, um dann, von acht kräftigen Armen getrieben, seinen Weg entlang der Seeseite weiter zu nehmen.

*

Es mochte gegen vier Uhr morgens sein, als der Teppichvorhang vor der Tür des innern Schlafgemaches des Großherrn ein geringes zurückgeschlagen wurde und das schöne Haupt der Odaliske Mariam in der Öffnung erschien. Ihr Auge schaute forschend umher, von den beiden Verschnittenen, die, den entblößten Handjar in der Faust, auf der Schwelle des Gemaches schliefen, nach dem Diwan gegenüber, auf dem es Nursädih ruhend erblickte. Ein leiser Ruf erweckte dieselbe und brachte sie vorsichtig herbei. Die Herrin reichte ihr ein in einen seidenen Beutel gehülltes Papier und eine Börse mit Gold.

»Jussuf, dein Bruder, möge sofort den Fuß in den Bügel setzen und nicht ruhen, bis er dies in die Hände des Sirdars gelegt hat. Der Bujurulteh Türkischer Paß, offene Order für die Stationen, Pferde zu stellen. ist unnötig, seine Erlangung würde nur die Abreise verzögern und gefährlich machen; in dem Beutel ist Gold genug, um überall Pferde zu kaufen. Geh', und der Gott, zu dem wir alle beten, begleite dich und ihn!« Der Vorhang fiel zurück.

*

Da, wo unfern der ersten tiefen Buchtung des Marmarameeres in das südliche Ufer der rumelischen Landspitze, auf welcher Konstantinopel liegt, – etwa zwei Stunden von den Toren der Stadt, die Straße nach Adrianopel sich in zwei Richtungen, in die über Silistria und Burgaz, und in jene über Tschataldscha und Wisa, teilt, – windet sich der Weg zwischen einem Felsufer hin, dessen Ausgang ein Gebüsch von Feigen und wilden Myrthen umgiebt. Hier hatten sich seit etwa einer Stunde die beiden Banditen in Hinterhalt gelegt, ihr Opfer erst im Laufe des Vormittags erwartend, als plötzlich der nahende Galopp eines Pferdes sie aufmerksam machte. – » Diavolo!« sagte der Korse, »ob das am Ende gar schon unser Vogel ist? Leg' dich quer in den Weg, Hassan, so muß er einen Augenblick halten, und wir können uns wenigstens der Sache versichern.« – »Jawasch!« So geschehe es. antwortete der Arnaut, indem er die Waffen in seinem Gürtel zur Hand rückte. »Ich bin nicht umsonst Tatar gewesen und kenne einen Kameraden.« Damit legte er sich mitten auf die Straße, während sein Gefährte sich im Schatten des Gebüsches verbarg ... Einige Augenblicke darauf kam der Hufschlag näher, und der Reiter ritt in den Hohlweg ein. Hassan fing an, jämmerlich zu stöhnen. Im nächsten Moment sprengte der Reiter heran; es war Jussuf, der Bote Mariams und des Padischah ... »Gib Raum da, daß ich vorüber kann.« – »Aman! Aman! Allah sendet Euch mir zum Beistand, Effendi! Steigt ab und helft mir, ich bin ein armer Mann, der vom Pferde gefallen ist und das Bein gebrochen hat.« – »Inshallah, ich habe keine Zeit. Des Bluttrinkers Zorn sitzt hinter mir, wenn ich nicht eile. Mach dich zur Seite!« – »So seid Ihr ein Bote des Padischah?« – »Ich bin sein Tatar! Fort, oder auf dein Haupt komme es!« Der Mohr gab dem Pferde die Sporen, und es setzte zum Sprunge an. Im Nu war der Bandit auf den Beinen und griff ihm in die Zügel, zugleich knallte aus dem Gebüsch ein Pistolenschuß, und Jussuf wankte im Sattel.

Er stürzte schwerfällig zu Boden; während Hassan das Pferd bändigte, warf sich der Korse über den Blutenden und begann ihn zu durchsuchen. Um den Hals gebunden, fand er den seidenen Beutel mit dem wichtigen Dokument, im Gürtel des Tartaren die schwere Geldbörse. Der Verwundete versuchte vergebens, das anvertraute Dokument zu verteidigen, während seine großen Augen in Schmerz und Verzweiflung auf den Mörder rollten. – »Laßt mir den Beutel, es ist ein Brief des Großherrn, der euch nichts nützt!« stöhnte er. Santa Lucia lachte. – »Das kannst du nicht wissen, mein junger Rabe! Eben um den Brief war mir's zu tun. Und nun zum Teufel, wo ist dein Bujurulteh?«

Der Mohr deutete verneinend an, daß er keinen besitze, dann aber wurde er von dem Blutverlust ohnmächtig. Die Kugel hatte ihn in die linke Seite getroffen. – »Wir haben, was wir brauchen,« sagte der Korse zu seinem Gefährten, »und mehr als das. Was tun wir mit dem Burschen da?« – »Schneid' ihm die Kehle durch und laß ihn liegen.« – »Nein, das geht nicht, man würde ihn finden, und das könnte unsere Sache stören. Hilf ihn mir aufs Pferd heben, der schwarze Halunke hat vollkommen genug, und wir wollen ihn in die Schlucht am Meer werfen, an der wir vorbeikommen. Dort liegt er ungestört, bis ihn sein und dein Prophet erwecken mag.«

Beide legten Hand an, und, über den Sattel geworfen, führten sie den leblosen Körper eine Strecke ins Land mit sich fort. Erst am Rande der Schlucht, als Santa Lucia ihn in seine nervigen Arme faßte, schien dem Unglücklichen noch einmal das Bewußtsein wiederzukehren, und seine Augen blitzten finster und drohend den Mörder an, während die Hand sich auf die Wunde preßte. Ein kräftiger Schwung – und hinunter flog der Körper über die Klippen und beide hörten seinen Fall ins Wasser.

Santa Lucia schwang das verhängnisvolle Papier hoch in der Hand. – »Hundert Ghazis gewonnen, Kamerad, außer diesem Beutel und dem Pferd! Bei allen Teufeln! das war keine schlechte Morgenarbeit. Fort nach Stambul!«

*

Am 23. Oktober wurde gegen russische Kriegsfahrzeuge, welche die Donau hinauffuhren, von der türkischen Festung Isakschah unterhalb der Pruthmündung das erste Feuer eröffnet. Die Russen erzwangen mit starkem Verlust die Passage. Am 25. ging auf Befehl des Sirdars ein türkisches Korps bei Widdin über die Donau und setzte sich in Kalafat fest. Zu spät traf der Ferman des Padischah am 27. im Hauptquartier ein; der Krieg hatte begonnen!


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