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Drittes Kapitel.
Die Doppelgänger.

In den glänzenden Salons der Fürstin Lieven, dieses weiblichen Talleyrands der letzten Jahre, in der Straße Saint Florentin 2, bewegte sich die glänzende Versammlung in der bekannten zwanglosen Weise der höchsten Kreise von Paris. Es war der Abend allgemeinen Empfangs, und was die Weltstadt an Notabilitäten der Administration und Diplomatie, der Kunst, der Wissenschaft und der Börse, sowie von Fremden bot, begegnete sich auf diesem Parkett mit den Löwen und Löwinnen der Mode. Die Salons der Fürstin hatten in dieser Zeit ihre wichtigste politische Bedeutung; denn alle Parteien fühlten sich hier gewissermaßen auf neutralem Felde, und bei der immer ernster sich gestaltenden Spannung zwischen den Höfen von Frankreich, England und Rußland bot sich hier eine Gelegenheit zu Besprechungen und Verhandlungen, die weniger für den offiziellen diplomatischen Verkehr geeignet, doch oft tief einschneidend und von weithin tragender Wichtigkeit waren.

In einem mit grünem Damast ausgeschlagenen, nur durch die erhobene Portière von diesem getrennten Nebenkabinett des großen Salons, in dem getanzt wurde, saßen auf einer üppigen Causeuse zwei Männer. Der eine von ihnen, einige Jahre älter als der andere und etwa sechs- bis achtundzwanzig Jahre zählend, trug die prächtig-phantastische Uniform eines Kapitäns der Garde-Zuaven, jenes Elitekorps aus den gewandtesten und verwegensten Kriegern Algeriens. Sein Gesicht war das männlich-schöne, mutige eines echten französischen Soldaten, mit Zügen, die jene Aristokratie der Geburt zeigen, welche Namen und Wappen nur bestätigen, nicht verleihen können. Auf der breiten Brust mit der silbergestickten blauen Jacke prankte das Ritterkreuz der Ehrenlegion ... Neben ihm, mit dem Lorgnon in dem Auge, saß einer jener hocharistokratischen Flaneurs, denen ihr vornehmer Name und ihre elegante Toilette, trotz ihrer ruinierten Verhältnisse, überall Eintritt verschafft, ja die, mit einer scharfen und witzigen Zunge begabt, als Chronik des Tages überall willkommen oder gefürchtet sind. Alfred de Sazé, einer der Modekönige des Tages, gehörte zu den Leuten, die nur wie Lichtblicke auftauchten aus dem tötenden Firnis einer modernen Erziehung.

Am andern Ende der Causeuse, auf einen Sessel gestützt, lehnte ein noch sehr junger Mann in russischer Uniform, dessen eigentümlicher, wunderschön geformter Kopf sofort auffiel, während sein Auge unruhig und zerstreut umherschweifte. Braunes Haar in wirren Locken umgab sein Gesicht, das, in kühnem Oval hervorspringend, eine überaus schöne, leichte Beugung der Nase zeigte, während dunkle, hochgezogene Brauen das glänzende Auge einrahmten. Die eigentümlichste Schönheit dieses Gesichts bildeten jedoch Mund und Kinn: der Mund, von einer halbaufgeworfenen Oberlippe bedeckt, die in ihrer Mitte das glänzende Weiß der Zähne durchschimmern ließ; das Kinn, von kräftiger, runder Kontur und von jenem seltenen und stets einen energischen, unbeugsamen Charakter verratenden Schnitt, welcher nicht im scharfen Winkel gegen den Hals zurücktritt, sondern bei dem die Linie des Halses am Vorderkinn selbst ihren Anfang zu nehmen scheint und gleichsam gewölbt nach der Brust zu sich herabsenkt. Das Gesicht, von jenem durchsichtig roten Teint gefärbt, den man Blutteint zu nennen pflegt, war zu auffallend, um je vergessen zu werden, und hatte bei dem Mangel jeden Bartes zugleich ein Aussehen, das den Beschauer an stolze Frauenschönheit erinnerte.

»Sie sind aber auch der aufmerksamste Zuhörer, den man sich denken kann, Fürst,« sagte lachend Löwe Sazé zu dem eben beschriebenen jungen Mann. »Seit einer halben Stunde bin ich bemüht, Ihnen die Silhouetten der werten Gäste Ihrer noch wertern Frau Tante zu geben; aber Sie sind und bleiben zerstreut und scheinen selbst den Vikomte angesteckt zu haben. Er betrachtet Sie mit Blicken, als wären Sie die Fürstin, Ihre schöne Schwester, der er bekanntlich stark den Hof macht und die sich eben, wie ich sehe, vom Oberst Wassilkowitsch zum Kontre führen läßt.« – Er unterbrach sich lachend und sah die beiden Nachbarn neckend an ... »Ah, meine Herren, hab' ich endlich den rechten Punkt getroffen? – Sie sind ja beide ganz rot und erregt. Wäre es wahr, Fürst, daß Sie eifersüchtig sind auf Ihre Schwester wie ein Türke? und Sie, Méricourt, kann dies starre, lauernde Gesicht, das ich, valga me Dios! wahrhaftig auch nicht liebe, einen berühmten Krieger, wie Sie, so leicht in Harnisch bringen?«

Der Kapitän legte ihm die Hand auf den Arm ... – »Keine Scherze, Sazé« sagte er ernst, »der Gegenstand ist zu hoch dazu.« – » Bon! So wende ich mich zu einem geeignetern Bilde. Sehen Sie, Fürst, dort jene lange, hagere Gestalt mit der hohen, fabelhaft weißen Kravatte? Daß es einer unserer neuen Herzensalliierten ist, ein Exemplar, das uns Azincourt und Waterloo, Malplaquet und St. Helena vergessen machen soll, brauche ich nicht erst zu sagen. Man wittert den reisenden Briten auf hundert Schritt. Der Mann – Lord Sherkliffe, Parlamentsmitglied und Besitzer einiger soliden Grafschaften – macht jetzt Aufsehen in unserer guten Stadt Paris, und wenn er das glattrasierte Kinn in die Loge der italienischen Oper steckt, wenden alle Damen die Gläser nach ihm. Wissen Sie, warum? Er ist ein Othello ganz neuer Art. Lord Sherkliffe ist einer der ersten Gemäldekenner unserer Zeit und beschäftigte vor etwa fünf Jahren einen jungen Maler in Rom, einen Italiener. Der gute Lord besaß neben seinen Millionen eine blonde Lady, der aber der römische Künstler besser gefiel, als der langweilige Bildernarr, ihr Gemahl. Erst nach mehreren Monaten überzeugte sich dieser, daß er auch hier den Narren gespielt, empfahl sich höflich seinem Protegé, dem Maler, und reiste mit der verliebten Dame nach Hause, wo er sie manierlich ihren Eltern ablieferte, nachdem er ihnen die in Rom gemachte Entdeckung mitgeteilt. Dann ging er auf Reisen und besuchte Deutschland, Rußland, Italien, sammelte überall zu enormen Preisen Gemälde und kaufte, nach Rom zurückgekehrt, seinem alten Freunde die neuesten Werke seines Pinsels ab. Kaum aber hatte er sie, so verlangte er Genugtuung für seine Hahnreischaft und forderte den Erstaunten auf Pistolen. Mit dem ersten Schuß lähmte der Engländer dem Künstler den linken Arm. Nach einem halben Jahre kam er wieder und bestand auf einem zweiten Duell. Der Künstler mußte sich fügen und die Kugel des beleidigten Eheherrn traf sein rechtes Handgelenk, so daß die Hand amputiert werden mußte. Als die Kur glücklich vorüber war, erschien der Lord am Krankenlager seines Feindes und sagte ihm gelassen: »Jetzt habe ich meine Rache befriedigt. Sie sind als Künstler zu einem lebendigen Tode verdammt.« – »Sie irren sich,« entgegnete der Unglückliche, »meine Werke werden Ihre Bosheit überleben. Den Ruhm meiner Madonna in Paris, meine Auferstehung in der Galerie von Petersburg und zahlreicher anderer Werke vermögen Sie nicht zu vernichten. Ich kann nicht mehr malen, aber meine Bilder werden meinen Namen lebendig erhalten.« – Der Lord zeigte ihm ein Papier. »Ist diese Liste Ihrer Bilder vollständig?« – Mit Staunen bejahte der Künstler. – »So bin ich im Besitz aller Ihrer Werke, selbst die Skizzen habe ich nicht vergessen. Es hat mir viel Mühe gemacht und viel Geld gekostet, aber ich habe meinen Zweck erreicht. Wollen Sie mich nach Hause begleiten, um sich zu überzeugen? Mein Wagen wartet.« – Der Unglückliche begriff und bat um Gnade. – »Sie haben meinen ehelichen Frieden gestört, ich vernichte den Ihren,« sagte Sherkliffe eisig. »Sie sollen das Gefühl mit sich herumschleppen, daß keine Spur Ihres Namens und Ihres Talentes auf der Welt zurückbleibt.« – Nach einer Stunde brachte ein Diener dem Verstümmelten eine große Urne voll Asche; sie enthielt alles, was von seinen Werken auf der Welt übrig war.«

»Das ist teuflisch!« rief der Kapitän. – »Ein Mann, der zu hassen und zu lieben versteht!« versetzte der junge Russe. »Doch da ist die Quadrille zu Ende, lassen Sie uns näher treten.« – Die drei jungen Männer erhoben sich und traten an den Eingangsbogen zum Salon, durch den eben eine Dame am Arm ihres Tänzers hereinrauschte, Fürstin Iwanowna Oczakoff, die Zwillingsschwester des russischen Herrn, der sich bislang mit de Sazé unterhalten hatte, und die dem Bruder ähnlich sah wie ein Ei dem andern. Nicht nur Wuchs und Gesicht, selbst Stimme und Mienenspiel waren an den beiden schönen Erscheinungen völlig gleich, ja man versicherte, diese Ähnlichkeit dehne sich auf die kleinsten Details des Lebens, bis auf die Handschrift aus. Nur ein zarter Alt-Akkord unterschied die Stimme, und langes, üppiges Lockenhaar, auf dem ein goldgestickter smyrniotischer Fez schwebte, den Kopf der jungen Fürstin von dem ihres Bruders. In den Augen der Dame lag der ganz tat- und lebenskräftige und dennoch hingebende Charakter ihres Bruders. Eine köstliche Robe von grünem Moirée hob die volle Gestalt der nordischen Schönheit, die seit vier Monaten die junge Aristokratie von Paris zu ihren Füßen sah.

»Warum nicht beim Tanz, Iwan?« fragte sie zärtlich. »Sie machen sich eines Vergehens schuldig, meine Herren, indem Sie meinen Bruder von einem Vergnügen abhalten, das er sonst leidenschaftlich liebte. Aber freilich, seit einiger Zeit scheint er für alles Vergnügen ganz verloren, ich weiß wirklich nicht, ob die hohe Politik oder welcher Dämon sonst ihn mir ganz verwandelt hat.« – »Apoll und Diana müssen doch durch etwas unterschieden sein, gnädigste Fürstin,« sagte Sazé galant; »aber Sie haben recht, auch mir ist heute seine Zerstreutheit aufgefallen. Wenn man die Königin der Schönheit als Schwester besitzt, so hat man nicht das Recht, sich selbst und seinen Launen anzugehören.« – – »Marquis, Sie sind und bleiben der unnütze Schwätzer. Aber meine schwesterliche Liebe scheint Sie alle in einer interessanten Unterhaltung gestört zu haben, denn auch der Herr Kapitän spielt den Ernsten und ist noch nicht einmal so galant, mich an das Versprechen zu erinnern, das ich ihm gegeben.«

Der Offizier blickte sie an, ein rascher, verstohlener Wink des Auges bedeutete ihn und er entgegnete mit einer Verbeugung: » Ma princesse tun mir unrecht, Sie wissen, daß Sie keinen aufmerksameren Sklaven als mich haben.« – Iwanowna, den Arm in den ihres Bruders geschlungen, der mit ihrem Begleiter sprach, lächelte schelmisch ... »Ich will es für diesmal glauben, obschon der tapfere Zuavenführer und Löwentöter sich den Rang von einem nordischen Barbaren, wie Ihr in Frankreich uns zu nennen beliebt, hat ablaufen lassen. Aber ich übe Großmut und habe den nächsten Tanz für Sie aufbewahrt, wenn nicht Iwan etwa sein Vorrecht geltend machen will.« – »Ich tanze heute nicht, Iwanuschka,« sagte der Bruder zärtlich, »du mußt mich dispensieren.« – »Da sehen Sie, tut der leidige jüngste Attaché wirklich, als hätte er das Gleichgewicht Europa's auf seinen zwanzigjährigen Schultern zu tragen? – Doch à propos, meine Herren, kann mir einer von Ihnen Auskunft geben, wer der würdige Palikare ist, der heute im Salon meiner werten Tante Aufsehen macht?« – »Wenn Sie als Belohnung Ihrem untertänigsten Verehrer die Quadrille nach meinem Freunde Méricourt versprechen wollen, Fürstin,« meinte Sazé, »so verrate ich Ihnen das diplomatische Geheimnis seiner Vergangenheit.« – »Geschwind, geschwind! Sie sehen ja, ich sterbe vor Neugier.«

»Bemerken Sie wohl, gnädigste Fürstin,« plauderte der junge Mann, »daß Kommandant Kalergis den Fez sorgfältig über das linke Ohr gezogen und deshalb trotz seiner französischen Sympathieen das griechische Kostüm trägt? Seine jetzigen Alliierten, die Türken, schnitten ihm das Ohr ab, als er den Toten spielte nach der Schlacht am Piräus, und das übriggebliebene kostet ihm bare zwölftausend Piaster Lösegeld. Aber er hat die Summe reichlich wieder eingebracht in verschiedenen Münzsorten. Denn schon 1843, als Herr Kalergis von der Emeute des 15. Septembers nach Hause zurückkehrte, hatte sich die russische Gesinnung, mit der er das Haus Ihres Gesandten Katakasi verließ, in eine englische verwandelt. Er hatte wohl begriffen, daß er seine Rolle schlecht gespielt; der Zweck der Emeute gegen König Otto war verfehlt; die Rubel waren eingesteckt, es handelte sich jetzt darum, sich für englische Pfunde zu verkaufen. Großbritannien machte ihn zum Militär-Oberkommandanten von Athen, aber der 4. August jagte ihn schmachvoll davon. Als der Lord-Oberkommissar ihm später den kleinen Vorschuß von zehntausend Talern nicht bewilligen wollte, um Colettis Regierung zu stürzen, warf er sich Frankreich in die Arme. Man sagt, daß der Kaiser große Pläne mit ihm vor habe. Gegenwärtig hat er seinen Sohn hierher gebracht, den der Kaiser auf seine Kosten erziehen läßt.«

»Ein echter Grieche, feil jedem Gebot!« sagte Méricourt. – »Entschuldigen Sie, Kapitän,« bemerkte Wassilkowitsch: »Herr Kalergis ist ein Landsmann unserer schönen Freundin. Er ist Russe von Geburt, aus Taganrog, wo seine Mutter noch lebt. Erst im Jahre 1821, beim Ausbruch der Erhebung, kam er nach Griechenland.« »Also politischer Marodeur; jedenfalls verspricht der Charakter noch viel für die Zukunft.« – »Und der Herr im Fez mit dem großen Stern des Christusordens auf der Brust, mit dem Herr Kalergis eben spricht, wer ist das?«

»O, Sie irren, mein Lieber,« sagte Sazé; »das ist nicht der Christusorden, sondern ein unbekanntes Gestirn aus dem Firmament von Tausend und Einer Nacht. Haben Sie denn noch nichts von Leo, dem Prinzen von Armenien, dem von Rußland schnöde beraubten Thronerben des halben Vorder-Asiens, gehört? – Da sehen Sie die mysteriöse Person in natura vor sich. Der Prinz von Korikos, défenseur de l'Eglise d'Orient, wie er sich in den Journalen nennen läßt, hat kürzlich in London eine skandalöse Affäre gehabt, und die Rücksichtslosigkeit der Queens-Bench hat ihn bewogen, London mit seiner Abreise zu strafen. Ich weiß wirklich nicht, – wenn es nicht Herr Kalergis sein sollte, – wer die Unverschämtheit gehabt haben kann, diesen Herrn hier im Salon Ihrer Fürstin Tante vorzustellen, nachdem er so offenkundig etwas starke Proklamationen gegen Ihren Zaren und Ihre Regierung durch alle Welt verbreitet hat.«

Die ersten Streiche des Orchesters erklangen und machten dem Gespräch ein Ende; Méricourt bot der Fürstin den Arm, sie in den Salon zu führen, Sazé eilte fort, noch eine Tänzerin in dem Kreise der Damen zu finden; Fürst Iwan und Oberst Wassilkowitsch blieben zurück: der letztere eine jener hageren Gestalten, die durch ihre Magerkeit groß erscheinen; einige vierzig Jahre alt, aber wie ein Fünfziger aussehend; spärlicher, nur durch die Kunst der Toilette gefärbter Haarwuchs über der hochkahlen Stirn, ein graues, oft ins grünliche spielendes Auge und ein aufgeworfener Mund über massivem, glänzendem Gebiß machten den Eindruck lauernder Ruhe bei einem brutal-sinnlichen Charakter.

Die beiden Russen standen am Eingang des Salons und schauten der Quadrille zu, beide dasselbe Paar, wiewohl mit sehr verschiedenen Blicken und Gefühlen, verfolgend. Während Iwan träumerisch an der graziösen Schönheit der Schwester sich weidete, hing das Auge des Obersten verzehrend an der üppig-schönen Gestalt und wurde zum kalten Giftstrahl, wenn es sich auf ihren Tänzer wandte und die lebhafte Unterhaltung beobachtete, die beide pflogen. Endlich kehrte er sich zu seinem Gefährten und sagte mit jener Höflichkeit, unter welcher oft der Hohn schlecht verborgen ist: »Auf mein Wort, Fürst, ein herrliches Paar! Es wird den Kaiser, unsern Herrn, freuen, daß die Fürstin Oczakoff dazu beiträgt, die Bande wieder fester zu knüpfen, deren Zerreißen uns in diesem Augenblick eben nicht ganz angenehm wäre.« – »Wie meinen Sie das, mein Herr?« fragte, sich rasch nach ihm wendend, der junge Mann. – »Ei, mein Lieber, ich meine, was die ganze Welt spricht, daß unser französischer Freund auf dem besten Wege ist, Ihren Landsleuten in der Gunst Ihrer schönen Schwester den Rang abzugewinnen. Der Vikomte soll ein Liebling des Kaisers sein.« – »Die Hand meiner Schwester ist kein Gegenstand der Politik,« sagte kurz und rauh der Fürst. »Die Fürstin Iwanowna Oczakoff wird nie ihre Hand einem Franzosen schenken.« – Wassilkowitsch lachte ... »Da scheint sie nicht den Geschmack Ihres Bruders zu teilen. Herr von Méricourt erzählt wenigstens viel von der Vergötterung, die Fürst Iwan einer interessanten Grisette des Marais zuteil werden läßt.«

Eine dunkle Röte überflog das Gesicht des jungen Mannes, als er so plötzlich und unerwartet sein innerstes, sorgfältig bewahrtes Geheimnis dem Spott Fremder preisgegeben sah. »Das ist erl – –« Der Fürst legte sich, als er den eisigen Blick seines Gegners traf, Mäßigung auf ... »Das ist nicht möglich! Der Vikomte ist ein Ehrenmann!« – »Das kann er immerhin sein und doch den künftigen Schwager gern vor einer Mesalliance bewahren oder wenigstens der schönen Schwester sich dienstbar zeigen wollen, die, wie man sagt, eine gewisse Herrschaft über den Zwillingsbruder ausübt, blos weil sie die Erstgeborene ist. Doch ohne Scherz, Fürst, lassen Sie uns offen reden, ich bin Ihr Landsmann, und uns verbinden gleiche Interessen gegen diese Fremden. Sie werden auf Ihren Wegen belauert.«

Der junge Mann faßte krampfhaft seinen Arm. »Beweise, Graf, Beweise!« – »Ei, die sollen Sie haben! Sie erinnern sich, Fürst, der letzten Soiree, die Herr von Kisseleff am Dienstag dem Fürsten Woronzoff und Herrn von Persigny gab. Ich war zufällig und ungesehen Zeuge des Auftrages, den Ihre schöne Schwester Herrn von Méricourt erteilte, Sie zu beobachten, und zu erforschen, woher seit kurzem Ihre seltsame Gemütsstimmung komme und was Ihre häufigen heimlichen Abwesenheiten zu bedeuten haben, deren Zweck Sie so sorgfältig zu verbergen suchen. Sie können denken, Fürst Iwan, daß ein so galanter Verehrer, wie dieser Franzose, mit Vergnügen alles versprach und Wort gehalten hat.« – »Pest!« – »Erinnern Sie sich vorgestern nicht eines Ganges durch die Rue Montmartre bis zur Ecke der Straße Saint-Joseph?« – »Sie haben Recht, ich begegnete dem Vicomte und vermochte mich kaum von seiner verwünschten Höflichkeit loszumachen.« – »Nun wohl, Fürst, Herr von Méricourt kennt die elegante Einrichtung des zweiten Stockes im Hause Nr. 10 der Rue Joseph sehr wohl und weiß, wer der vornehme Fremde ist, der die hübsche, nur – wie der Vicomte sagt, – allzu leichtfertige Bewohnerin unterhält und Tag und Nacht bei ihr ist. Ich hörte ihn vorhin gegen Sazé darüber spötteln, ehe Sie erschienen ... Sehen Sie doch, wie eifrig der Franzose sich mit Ihrer schönen Schwester unterhält. Ich wette tausend Kronen, daß er eben seinen Bericht abstattet.«

Der junge Mann errötete und erbleichte abwechselnd; der schöne, üppig geformte Mund zuckte ... »Der Spion soll mir büßen!« – »Wissen Sie, was man sogar behauptet, Fürst? Sie sollen mit Ihrer kleinen Grisette verkleidet den bal mabille frequentieren und dort ein flotter Tänzer sein.« – Diesmal war der Schlag zu arg; ein dunkler Purpur überzog das schöne Gesicht des jungen Mannes, und der Zorn wich der Scham; er schlug die Augen zu Boden. – »Ei was,« lachte der Oberst, »wäre es wirklich wahr, daß Jugend austoben müsse? Aber kommen Sie, Iwan, die Quadrille geht zu Ende. Wir würden mit unserer Migräne nur die Konversation stören.«

Er nahm ihn am Arm und führte ihn durch einen Seitenausgang in die Nebenzimmer. An einem Büffet nahmen sie Champagner und traten dann auf des Grafen Vorschlag zum Spieltisch im benachbarten Salon ... Die schöne Fürstin hatte keine Ahnung von dem Gift, das eben in des geliebten Bruders Ohr ausgegossen wurde. Dennoch bezog sich auch ihre Unterhaltung während der wechselnden Touren des Tanzes auf denselben Gegenstand. Das Verhältnis zwischen der Fürstin und dem tapferen Kapitän war ein ganz anderes als es die giftigen Worte des Russen angedeutet. Der Vicomte gehörte allerdings zu den eifrigsten Anbetern der nordischen Schönheit und wurde durch ihre Achtung und ihr Vertrauen ausgezeichnet vor der zahlreichen Schar der Bewerber. Darauf hatte sich jedoch die Gunst der Fürstin bis jetzt beschränkt; doch verstanden sich beide, wie sich kräftige und hohe Seelen immer verstehen.

»Haben Sie Gelegenheit gehabt, meine Bitte zu erfüllen, Herr von Méricourt?« fragte die Fürstin. »Sie verzeihen meiner Besorgnis, aber sie ist in den letzten Tagen nur noch vermehrt worden. Sie selbst haben gesehen, wie verändert der Fürst sich zeigt, und nur mit großer Mühe konnte ich ihn bestimmen, mich heute zu begleiten.« – »Vergeben Sie, Fürstin,« erwiderte der Offizier, »wenn ich leider noch wenig Fortschritte in Ihrem Auftrage gemacht habe. Daß es an meinem Eifer nicht gelegen, werden Sie ohne meine Versicherung wissen. Aber der Fürst, Ihr Bruder, sonst so offen und zugänglich, ist nicht blos für seine liebenswürdige Schwester, sondern auch für seine aufrichtigen Freunde jetzt ein verschlossenes Buch.« – »Hegen Sie denn gar keine Vermutung, Vicomte, was diese häufige Abwesenheit, diese stets allein unternommenen Gänge zu bedeuten haben? Selbst dem treuen Wassili, der ihn von Jugend auf nie verlassen, hat er streng verboten, ihm zu folgen und ihm befohlen, mir sein Ausbleiben so viel als möglich zu verschweigen.« Der Kapitän lächelte ... »Ich glaube, Fürstin Iwanowna hat allzu große Besorgnisse. Paris ist der Ort für so mancherlei Zerstreuungen, und es wäre leicht möglich, daß irgend eine Liaison das lebenswarme, empfängliche Herz des Fürsten gefesselt hätte.« – »Aber warum dann dies geheimnisvolle Treiben, das ihn so aufreibt? Ich bin natürlich nicht seine Gouvernante und maße mir nicht an, in das Tun Ihrer Männerwelt zu dringen. Doch wenn er der Schwester gegenüber auch schweigt, warum gegen seine Freunde? Ich habe mir sagen lassen, daß in solchen Herzensangelegenheiten die Herren nur allzu offenherzig gegeneinander sind.« – »Das mag bei jenen Torheiten der Fall sein, Fürstin, welche die Modewelt galante Verbindungen nennt, aber nie bei einer ernsten und wahren Neigung des Herzens. Es sollte mir leid tun, wenn eine solche sich schon seines jungen Gemütes bemächtigt hätte, denn bei seinem energischen und feurigen Charakter würde er sich ihr mit ganzer Seele hingeben.«

Ein rascher, fragender Blick ihres schönen Auges traf jenes des Kapitäns, das mit Innigkeit auf dem schönen Mädchen haftete. Eine leichte Röte überflog Wangen und Stirn – – die Wogen des Tanzes unterbrachen das Gespräch. Als der Vicomte sie zur Gruppe zurückführte, die sich um die Dame des Hauses gebildet, und de Sazé nahte, die Fürstin an ihr Versprechen zu mahnen, neigte sie sich vertraulich zu ihm und bat: »Versuchen Sie noch einmal heute Ihr Heil bei Iwan und sorgen Sie wenigstens für seine Zerstreuung. Die Gesellschaft, in der wir ihn vorhin verlassen, – und ich sehe beide nicht mehr an dem vorigen Platz, – ist keine, die ich für ihn liebe. Gehen Sie, Vicomte, und denken Sie, daß ein Ritter der Ruhe seiner Dame alle Dienste leisten muß.« – Ein anmutiger Wink des Fächers verabschiedete ihn; er ging, den Fürsten aufzusuchen, während Iwanowna sich dem Damenkreise anschloß. – –

Der nächste Kontre war vorüber; am Arm de Sazés durchging die Fürstin den zum blühenden Garten umgewandelten Korridor, der die vorderen Salons mit dem hinteren Flügel verband. Plötzlich stockte der zierliche Fuß; kaum vermochte sie, die Hand erhebend, ihrem Kavalier, der sie mit Galanterien überhäufte, zuzuflüstern: »Marquis, sehen Sie, – um Gottes willen, was ist vorgefallen?« Auf sie beide zu, durch den Eingang, der zum Spielzimmer führte, kam der Zuaven-Kapitän. Sein männlich schönes Antlitz war dunkel gerötet, das Auge blitzte, doch zeigte die ganze Gestalt eine ernste, ruhige Fassung. Wenige Schritte hinter ihm, aus einer Gruppe von Herren, welche sich um die Tür versammelten, folgte Fürst Iwan am Arme des Obersten, der ihn fest zurückhielt. Das Gesicht des jungen Russen zeigte jene Wachsbleiche, die leidenschaftliche Charaktere im Augenblicke der höchsten Erregung zu befallen pflegt. Sazé begriff im Augenblick, daß etwas Wichtiges vorgefallen, und führte die Fürstin zu einem der Sitze, die unter Rosen- und Kamelienbüschen versteckt zu Lauben gestaltet waren. Der Kapitän trat auf ihn zu, und während er mit einer Verbeugung die Dame begrüßte und sein Auge sichtlich das ihre vermied, das fragend und ängstlich auf ihm ruhte, sagte er mit fester Beherrschung der Stimme: »Gestatten Sie, Durchlaucht, daß ich Ihnen für einen Augenblick Ihren Kavalier entführe, ich habe ihm nur eine kurze Bitte vorzutragen. Und er ist sogleich wieder zu Ihren Befehlen.«

Der Fürst war herangekommen und trat zu seiner Schwester ... »Genieren Sie sich nicht, Herr von Sazé,« sagte er hochmütig, »ich werde Sie bei meiner Schwester ersetzen.« Er bot ihr den Arm, die junge Fürstin jedoch beachtete die Geberde nicht, sondern wandte sich zu den beiden Franzosen ... »Da der Zweck unseres Ganges erfüllt ist und ich meinen Bruder gefunden habe,« sprach sie verbindlich zu de Sazé, »so wären Sie allerdings Ihrer Ritterschaft ledig, Herr Marquis. Ich habe dagegen noch die Verpflichtung, Ihrem Freunde zu danken, der zuerst meinen Auftrag übernommen hat, und bitte ihn, mich zu der Fürstin, meiner Tante, zurückzuführen. Sie müssen mit seinem Vertrauen sich schon bis dahin gedulden.«

Damit legte sie die feine Hand auf den Arm des Vikomte und ging mit ihm voran. Sazé folgte und begriff rasch die Aufgabe, die ihm geworden, indem er das Paar von den beiden nachfolgenden Herren trennte ... »Was ist geschehen, Vikomte? ich muß alles wissen, ich bin zu jeder Stunde für Sie morgen zu sprechen!« flüsterte sie erregt, als sie durch den Eingang des Salons schritten und das Gedränge sie für ein paar Augenblicke von den Nachfolgenden schied. – »Méricourt aber neigte sich wie dankend zu ihr nieder und entgegnete mit tiefbewegter Stimme: »Leben Sie wohl, Fürstin, mein Traum ist vorüber.«

Einen Moment lang preßte er ihren Arm an seine Brust, dann zog er sich mit einer Verbeugung zurück und grüßte im Vorübergehen höflich und gemessen die beiden Russen. Kaum eine Viertelstunde später ertönte am Portal der Ruf nach der Equipage der Fürstin Oczakoff. Fürst Iwan war schon vorher aus der Soiree verschwunden und allein nach Hause zurückgekehrt, um den Fragen der Schwester auszuweichen.

*

Es war zu einer für die Pariser Aristokratie noch frühen Stunde des nächsten Morgens, als in dem von dem Fürsten bewohnten Hôtel der Allée des Veuves vor der jungen, im weißen Morgenkleide auf der Bergère ihres eleganten Toilettezimmers ruhenden Fürstin der Diener ihres Bruders, der Leibeigene Wassili, stand, herbeigerufen von seiner Schwester Annuschka, dem russischen Kammermädchen der Fürstin. Beide Geschwister, der Bruder um fünf, die Schwester um drei Jahre älter als das Zwillingspaar, das mit ihnen die Milch derselben Mutter getrunken, ein in Rußland noch überhaupt heilig gehaltenes Band, hatten demselben von Jugend auf gedient und dadurch eine entsprechende Erziehung genossen. Mit der aufopferndsten Treue hingen die beiden an den fürstlichen Geschwistern ... Wassili, der Leibeigene, war ein hochgewachsener kräftiger Mann, wie sie das Innere von Rußland so häufig hervorbringt. In seinem markigen, festen Gesicht spiegelte sich Zuverlässigkeit und entschlossene Hingebung. Hinter der Fürstin, ihm gegenüber, stand seine Schwester, hübsch und blauäugig, die langen blonden Zöpfe um den Kopf gewickelt, indem sie ihn mit lebhaften Geberden zur Rede antrieb, die er nur unwillig zu stehen schien.

»Also dein Herr ist die ganze Nacht nicht zu Bett gewesen?« – »Nein, Mütterchen.« – »Und was hat er getan während der ganzen Zeit?« – »Ich weiß es nicht, Mütterchen.« – »Glaube ihm nicht, dem schlechten Menschen, Durchlaucht,« mengte sich Annuschka in das Gespräch. »Es wäre ein schlechter Diener, und das ist Wassili nicht, wenn er sähe, daß sein Herr unruhig, und seine Augen hätten ihn nicht auf jedem Schritt verfolgt. Er will nicht sprechen, Durchlaucht, er hat mich schon früher gescholten, wenn ich ihn in deinem Auftrage fragte, und meint, das hieße seinen Herrn verraten.«

Wassili schoß einen ärgerlichen Blick auf seine Schwester, schwieg aber verstockt. Die Fürstin richtete sich auf ... »Höre, Wassili,« sagte sie ernst, »ich würde nicht in meines Bruders Geheimnisse zu dringen suchen, wenn es nicht sein eigenes Wohl gälte. Es ist wichtiges vorgefallen. Du mußt mir Rede stehen und darfst bei allen Heiligen nicht das geringste verheimlichen. Was hat Iwan bis heute früh getan?« Wassili kratzte sich verlegen in den dichten Haaren ... »Er schrieb, Mütterchen,« sagte er endlich. – »Und dann?« – »Dann ist er unruhig umhergegangen und ...« Er zögerte. – »Wirst du reden, Wassili!« fuhr ihn die Schwester an; »siehst du nicht, daß du die Herrin bekümmerst?« – »Ja, Annuschka,« sagte ausweichend der Russe, »ich kann doch bei meinem Schutzheiligen nicht dafür, daß der Fürst seine Pistolen aus dem Schrank genommen und lange beguckt hat.«

Die Fürstin winkte mit der Hand ... »Genug, genug! – ist der Fürst jetzt allein?« – »Er war es, Mütterchen – aber – –« »Was?« – »Ich sollte sagen, er schlafe noch, wenn du nach ihm fragst, und dann, er sei ausgegangen.« – »Hat er dir sonst einen Befehl gegeben?« – »Ja, Mütterchen. Der Herr erwartet Besuch, und ich soll ihn sogleich in das Zimmer führen, wo die vielen Bücher stehen.«

Die Fürstin erhob sich ... »Geh' auf deinen Posten, Wassili, und achte auf alles, was geschieht und wer aus- und eingeht bei meinem Bruder. Ich lade die Schuld auf dein Haupt, wenn das geringste vorgeht, das ich nicht sofort erfahre.« Sie warf einen leichten Mantel um ihre Schultern, während Wassili, von der Schwester zur Tür gewinkt, mit dem demütigen, aber in seiner Einfachheit schönen Gruße der niederen Russen verschwand. Dann verließ sie durch eine andere Tür das Zimmer und nahm ihren Weg zu den Gemächern ihres Bruders, die, durch den gemeinschaftlichen Salon und die Nebenzimmer von den ihren getrennt, nach dem Garten hinaus lagen. Im Begriff, durch das eben von Wassili bezeichnete Zimmer zu gehen, hörte sie fremde Stimmen und sprang rasch hinter die Portiere eines angrenzenden Kabinetts, deren Schnüre sie löste. Die Falten bewegten sich noch, als Wassili mit einem Herrn eintrat. Die Fürstin erkannte durch die Öffnung des Vorhanges den Marquis de Sazé, ein Umstand, der sie in ihren Befürchtungen bestärkte. Der Fürst nötigte seinen Gast, Platz zu nehmen. Er sah überwacht und blaß aus, beherrschte aber vollkommen seine Mienen ... »Sie werden erraten, Durchlaucht,« eröffnete der Marquis die Unterhaltung, sobald der Diener sich entfernt hatte, »in welcher unangenehmen Angelegenheit ich Ihnen so zeitig meinen Besuch aufdränge. Diese Zeilen des Herrn Kapitän de Méricourt erteilen mir unbeschränkte Vollmacht.« Der Fürst lehnte mit einer Handbewegung höflich die Durchsicht ab und verbeugte sich zustimmend. »Ich muß Ihnen gestehen, Fürst,« fuhr de Sazé fort, »ich begreife eigentlich das Vorgefallene nicht, und mein Freund, der Vikomte, ebensowenig. Wollen Sie sich herablassen, uns einige Erläuterungen zu geben, so wird sich das Mißverständnis gewiß aufklären, und Sie werden als Mann von Ehre nicht anstehen, meinem Freunde in Gegenwart eines der Zeugen der Beleidigung Ihre Entschuldigung zu machen.« – »Ich bedaure, Herr von Sazé« sagte der Fürst. – Doch der andere unterbrach ihn: »Einen Augenblick noch, Durchlaucht, ehe Sie Ihre unwiderrufliche Meinung aussprechen. Sie wissen, daß es nicht Sitte der Franzosen ist, in einem Ehrenstreit die Hand zu bieten, und namentlich eine solche Beleidigung, wie sie dem Kapitän widerfahren, anders als durch Blut zu sühnen. Ich bitte, würdigen Sie also das wackere Benehmen Ihres Gegners, der in Berücksichtigung der bisherigen Verhältnisse mit jeder billigen Erklärung zufrieden sein will.«

Der Fürst entgegnete steif und frostig: »Obschon noch sehr jung, mein Herr, bin ich doch vollständig mit den Gesetzen eines Edelmannes vertraut und möchte dem Herrn Vikomte nicht zumuten, mit einer Erklärung zufrieden zu sein, die ich ohnehin nicht zu machen gesonnen bin. Darf ich Sie um Ihre weiteren Aufträge bemühen?« – »Ich habe die Ehre, Ihnen die Forderung des Kapitäns de Méricourt zu überbringen.« – »Ich bin zum ersten Male in Paris und mit Ihren Gewohnheiten daher noch einigermaßen unbekannt. So viel ich weiß, pflegt man dergleichen Angelegenheiten rasch abzumachen?« – »Gewöhnlich, ehe die nächste Sonne untergeht; sollten Sie jedoch Zeit wünschen ...«

Der junge Mann richtete sich steif empor. »Ich bitte, Herr Marquis!« – »Also heute, eine Stunde vor Sonnenuntergang ... Ihre Waffen?« – »Natürlich Pistolen, ich verstehe mich nur wenig auf Ihre Degen.« – »Ich werde die Ehre haben, mit Ihrem Sekundanten das Weitere zu ordnen.« – »Sehr freundlich, Herr Marquis. Graf Wassolkowitsch hat, in Erwartung eines solchen Besuches, meine Vertretung bereits übernommen.« – »So bleibt mir nur noch, mich Ihnen zu empfehlen, Durchlaucht. Leben Sie wohl; ich bedauere, diesmal sagen zu müssen: au revoir!«

Der Fürst zwang sich zum Lachen. »Unter Freunden, Marquis, sollte man sich dergleichen Bedauern eigentlich übelnehmen. Wollen Sie nicht eine Zigarre? – Sie wissen, ich führe echte Manilla.« – Der Marquis nahm die gebotene Zigarre und steckte sie an; Fürst Iwan folgte dem Beispiele und geleitete ihn nach einigen gleichgültig geplauderten Worten bis ins Vorzimmer. Als Wassili ihm wenige Augenblicke nachher in sein Kabinett folgen wollte, fand er in der Mitte des Zimmers die Fürstin, bleich, die Hand auf das klopfende Herz gedrückt, mit dem Finger drohend ... »Bei deinem Leben, Wassili, keinen Laut, daß du mich hier gesehen.« Dann verschwand sie.

*

Kapitän Méricourt bewohnte den Garten-Pavillon hinter dem Hofe seines Schwagers in der Rue Avenue de Bourdonnaye, wenn er sich in Paris aufhielt. Kaum eine Stunde nach dem obigen Renkontre hielt ein Fiaker in der Seitenstraße vor dem Zugang des Gartens, und zwei tief verschleierte Frauen stiegen aus. Die eine von ihnen läutete auf das Zeichen der anderen die Glocke, und nach kurzem Harren öffnete Mulei, der junge arabische Diener des Kapitäns, die Pforte ... »Kapitän Méricourt zu sprechen?« fragte die zweite der Verschleierten, anscheinend die Gebieterin. – »Der Bey befindet sich in seinem Zimmer, Herrin. Wen befiehlst du, daß ich ihm melden soll.« – »Sage deinem Herrn,« erwiderte die Verschleierte, »daß eine Dame ihn in dringender Angelegenheit zu sprechen wünsche, die keinen Aufschub gestatte. Ich würde ihm nur wenige Minuten rauben.«

Der Maure verbeugte sich nochmals mit über die Brust gekreuzten Händen und bat die Frauen, ihm in das Vorzimmer zu folgen. Dann verschwand er hinter dem schweren persischen Teppich, kehrte aber schon nach wenigen Augenblicken zurück und nötigte die Fremden in den Salon. Beide traten ein, und bald trat der Kapitän aus dem Nebengemach, in ein weites orientalisches Gewand aus weißer Wolle gehüllt, das, von einem mit Gold durchwirkten tunesischen Shawl um die Hüften gehalten, über die faltigen Beinkleider fiel, während ein Burnus von gleichfalls weißer Farbe um seine Schultern hing.

»Entschuldigen Sie, meine Damen,« sagte er höflich, indem er sie einlud, Platz zu nehmen, »daß ich Sie noch in Morgen-Toilette empfange; ich wollte Sie jedoch nicht warten lassen und stehe deshalb zu Befehl.« Die eine der beiden Frauen hob den dichten schwarzen Schleier, der ihr Gesicht verhüllte ... »Die Fürstin! – Mein Gott – Sie hier?«

Iwanowna wandte sich zu ihrer Begleiterin ... »Verlaß uns auf einige Augenblicke, Annuschka! ich stehe unter dem Schutz der Ehre des Herrn Vikomte.« Die Milchschwester der Fürstin verschwand in das Vorgemach ... Méricourt ergriff die Hand der Dame und führte sie zum Diwan ... »So viel Glück und Schmerz in einem Moment, Fürstin, es ist zu viel, selbst für eine Männerbrust.« Das Antlitz des jungen Mädchens war bleich, aber eine aufopfernde feste Entschlossenheit lag in jeder Miene, selbst ihre Stimme zitterte nicht ... »Sie wissen, Vikomte, warum ich komme.«

Der Franzose beugte sich mit schmerzlichem Lächeln auf ihre Hand, die er gefaßt hielt ... »Sie werden sich noch heute mit Iwan, meinem Bruder, schlagen?« – Eine leichte Neigung des gesenkten Hauptes gab ihr die Antwort ... »Méricourt, Sie werden es nicht tun, – um meinetwillen.« – »Es ist unmöglich, Fürstin, mein Leben steht zu Ihren Diensten, nicht meine Ehre als Edelmann. Ihr Bruder verweigert jede Erklärung.« – »Ich weiß es, ich war ungesehen Zeuge seiner Unterredung mit Herrn de Sazé. Sagen Sie mir – wie kam es dahin?« – »Bei meiner Ehre, Fürstin,« sagte der Offizier, aufatmend und seinen Blick auf das Mädchen richtend, »ich bin schuldlos, ich weiß es selbst nicht, und daß mir noch auf Erden das Glück zu teil geworden, Ihnen mündlich das sagen zu dürfen, was Sie morgen durch den kalten Buchstaben meiner Abschiedsworte an Sie erfahren hätten: das erfüllt den geheimsten Wunsch meines Herzens. Ein böser Dämon muß Ihren Bruder regiert haben. Seine Worte, seine Beleidigungen sind mir unerklärlich. Ich fand ihn mit dem Obersten beim Spieltisch und gesellte mich zu ihm. Der Fürst war offenbar sehr aufgeregt, und als ich ihn fragte, ob ich ihn am Morgen zu einem Spazierritt abholen dürfe, wie wir früher verabredet, entgegnete er heftig: er werde allein reiten, er brauche weder einen Vormund, noch – –« »Sprechen Sie!« – »– noch einen Spion!« – »Mein Gott!« – »Ich war im ersten Augenblick so bestürzt, daß mir die Fassung fehlte. Ihr Bild, Iwanowna, stand vor mir. – ›Sie reden irre, Fürst‹, sagte ich und faßte seinen Arm, ›Sie haben mich wahrscheinlich nicht verstanden. Kommen Sie, lassen Sie uns plaudern.‹ – Ihr Bruder riß sich los. ›Ich habe Sie sehr wohl verstanden, mein Herr‹, sagte er barsch, ›und wenn Sie meine Worte nicht verstehen wollen, so werden Sie vielleicht das verstehen!‹ – Fürstin, er –« »Zu Ende, zu Ende!« – »Er hob die Hand gegen mich, einen Moment zwar nur, aber – er hob die Hand!«

Der Kapitän war bleich geworden bei der Erzählung ... »Der Unglückliche!« Diesmal war es die Dame, die das Haupt vor dem Manne in unsäglichem Schmerz beugte ... »Ich wiederhole Ihnen, Fürstin,« sagte der Kapitän endlich, »ich weiß noch immer nicht, was dieses Benehmen Ihres Bruders hervorgerufen hat; nur ein Mißverständnis oder eine Verleumdung kann die Veranlassung sein, doch leider ist die Sache nicht mehr zu ändern. Sie kennen selbst das Weitere.« – »Das ist Wassilkowitschs Werk!« rief die Fürstin; »jetzt ist mir alles klar, und mein Widerwille vor diesem Manne hat mich nicht betrogen! Ich weiß, Vikomte, daß nach den Gesetzen der Ehre unter Militärs eine solche Beleidigung nur durch den Tod des Beleidigers gesühnt werden kann, und dennoch haben Sie dem Unglücklichen die Hand zur Sühne geboten und nur seine Entschuldigung verlangt, Sie, der tapfere Offizier, der Spiegel stolzen Rufs für alle Soldaten.«

»Ich bin es nicht mehr, Fürstin,« unterbrach sie Méricourt. »Heute morgen habe ich Herrn von Saint-Arnaud meine Entlassung eingereicht.« – »Wie, Sie haben – –« »Es war nötig, Fürstin, der Offizier konnte jene Sühne unmöglich bieten. – Es war Ihr Bruder, Iwanowna!« – »Und dennoch alles vergeblich, – ich kenne seinen eisernen Sinn von Kindheit auf, er würde sich eher zerreißen lassen, als durch eine Entschuldigung selbst das erkannte Unrecht gut machen.«

Sie hatte sich erhoben und ging leidenschaftlich im Salon umher. Der Vikomte schwieg und folgte ihr mit trauerndem Blick. Plötzlich blieb die Fürstin vor ihm stehen, ihre großen Augen voll und klar auf ihn gerichtet ... »Das Duell darf nicht vor sich gehen, es darf nicht! – Er ist mein einziger Bruder, der letzte aus dem Hause der Oczakoff, einer der neun Familien, die von Ruriks Stamme sind, edler selbst als die Romanoffs. Ich darf ihn nicht sterben lassen! – Eugen,« es war das erstemal, daß sie ihn bei diesem Namen nannte, und es durchzuckte den jungen Mann wie ein elektrischer Strahl, – »Eugen, werden Sie zum Engel des Erbarmens an uns! Fliehen Sie das Duell – weigern Sie dem Toren, ihn zu strafen. Kommen Sie, fliehen Sie mit mir! – Eugen, ich liebe Sie, und jeder Atemzug meines Lebens soll Ihrem Glück gewidmet sein!«

Der junge Offizier sank vor ihr nieder, er preßte stöhnend im bittern Kampf ihre zarten Hände auf sein brennendes Gesicht ... »Sie verlassen Ihr Frankreich,« fuhr Iwanowna fort, »Sie ziehen mit mir in das herrliche Land, wo mildere, süßere Lüfte wehen, als hier; wo der Oleander blüht, und die Orange sich in den blauen Fluten des Meeres spiegelt. Nach Taurien folgen Sie mir – nicht bloß der Kaiser hat dort seine erhabene Phantasie, das Paradies Orianda, – an den Felsenvorsprüngen der Yailaalpen prangen noch viele Stätten ebenso herrlich, ebenso schön ... O! mein Freund, werfen Sie es von sich, das Vorurteil dieser sogenannten Zivilisation, die von Ihnen verlangt, das Blut ihres Bruders zu vergießen, des einzigen Wesens, das gleich Ihnen mir teuer ist – –« Der Vikomte hatte sich aufgerichtet, auf der ehernen Stirn stand der eherne Männerentschluß ... »Seien Sie ruhig, Iwanowna, diese Hand wird nicht gerötet sein von dem Blut Ihres Bruders!« – »Sie gehen mit mir, Sie opfern mir alles, alles, Eugen?« – »Ich gebe Ihnen alles, was ich habe, Iwanowna; nur eins bewahren Sie mir: den unbefleckten Namen der Méricourt, den Namen meines Vaters. Es gibt noch ein anderes Mittel, – bei meiner Liebe zu Ihnen, Ihr Bruder wird unverletzt von dannen gehen!«

Die Fürstin stürzte auf ihn zu ... »Was sinnen Sie? – Das ist Mord an Ihnen selbst! Meinen Sie denn, daß der törichte Knabe Ihren Edelmut würdigen wird? Sein Leben wäre Ihr Tod – geht das Duell vor sich, so oder so – sind wir auf ewig getrennt.« Der Kapitän wandte sich ab ... »Es ist kein anderer Weg. Sie haben einen Namen zu verteidigen, Iwanowna, auch der meiner Väter ist mir heilig und darf nicht entehrt werden, selbst um den himmlischen Preis nicht, den Sie mir gezeigt haben.«

Sie warf sich schluchzend auf den Diwan; er setzte sich zu ihr und nahm ihre Hand in die seine ... »Warum trauern, Iwanowna?« sagte er freundlich, »nachdem Sie mich so unaussprechlich glücklich gemacht? Warum trauern, daß uns ein persönliches Mißgeschick trennt, wo uns das Geschick der Völker in jedem Augenblick unwiderruflich zu trennen drohte? – Denken Sie, wie unendlich leichter es mir sein wird, jetzt der Kugel des erbitterten Bruders die Brust zu bieten, als wenn das eherne Geschick der Schlachten uns gegenüber gestellt und die kalte Berechnung der Politik Ihres Kaisers und seiner Nesselrodes und Kisseleffs den Freund dem Freunde, den Bruder dem Bruder den Stahl ins Herz stoßen hieße!«

Die Worte, die Namen schienen die Fürstin berührt zu haben, – einen Augenblick schwieg sie wie nachdenklich, dann raffte sie sich rasch empor; sie schien ihre volle, eine kurze Zeit von der doppelten Aufregung gestörte Energie wieder zu gewinnen.

»Wann soll das unglückliche Duell vor sich gehen?« – »Soviel ich weiß, gegen Abend – um sechs Uhr.« – »Eugen, wollen Sie mir eine Bitte erfüllen?« sie hob die Hände gegen ihn. – »Jede, die sich mit meiner Ehre verträgt.« – »Sie ist auch die meine und wird unverletzt aus allem hervorgehen.« – Sie drängte ihn freundlich zum Seitentisch, auf dem das Schreib-Necessaire stand. »Schreiben Sie an Herrn de Sazé! nur einige Zeilen, daß das Duell erst morgen früh um dieselbe Stunde stattfinden könne, – nehmen Sie irgend einen Vorwand – die Ordnung Ihrer Angelegenheiten –«

»Aber ich darf nicht – ich kann nicht – Sie sinnen eine List ...« – »Bei dem Grabe meiner Mutter! ich sinne nichts gegen Ihre Ehre! Ist das Leben zweier Menschen nicht einen kurzen Aufschub von zwölf Stunden wert? – Galt Ihnen das Geständnis meiner Liebe so wenig?« Er reichte ihr die Hand. – »Es ist unnötig, daß ich schreibe, – der Marquis hat versprochen, in einer halben Stunde hier zu sein, und ich gebe Ihnen mein Wort, daß Ihr Wille erfüllt werden soll. Das Arrangement wird sich leicht treffen oder ändern lassen, ohne aufzufallen. – Fürstin, ich ahne Ihren Grund – Sie wollen Ihren Bruder bewegen – möge Gott seinem Engel zu dem Werke des Friedens helfen! Ich würde glücklich sein, die Lösung von Ihrer Hand annehmen zu können.«

Sie sah ihm trübe lächelnd in die heiterer gewordenen Augen ... »Meinen Dank, mein Freund, meinen innigen, ewigen Dank! – und jetzt – mein Lebewohl!« Sie wandte sich rasch nach der Tür, er eilte ihr nach, aber sie selbst kehrte sich an dieser noch einmal zu ihm. Ihre Hände faßten die seinen – ihre Augen hafteten auf den seinen minutenlang, innig und zärtlich, und doch wie unter dem Flor einer tiefen Traurigkeit. Er zog sie näher, – unwillkürlich – im stummen Glück – ruhten ihre Lippen einen Moment auf den seinen voll und heiß – dann rauschte die Portiere hinter ihr zusammen – sie war verschwunden!

Der Vikomte trat ins Seitenzimmer, die teure Gestalt noch einmal zu sehen; eben eilte sie mit Annuschka, von dem Araber begleitet, durch die Pforte – im nächsten Augenblicke rollte der Wagen davon. Als der Fiaker in die Rue de Grenelle gebogen war, befahl Annuschka dem Kutscher: »Nach der Faubourg de St. Honoré 33, Hotel des russischen Gesandten.«

*

Fürst Iwan, – durch ein Billett des Grafen Wassilkowitsch von der veränderten Bestimmung des Rendezvous in Kenntnis gesetzt, – hatte eben seinen gewöhnlichen Besuch im Palais und Bureau der Gesandtschaft gemacht und wollte sich entfernen, als Herr von Kisseleff, der damalige Vertreter Rußlands in Paris, ihn in sein Kabinett rufen ließ. Etwas beunruhigt, folgte er dem Boten, sah sich aber in seiner Besorgnis getäuscht, da der Gesandte ihn aufs freundlichste empfing und mit keiner Silbe eine Kenntnis des vorgefallenen Zwistes an den Tag legte, sondern ihn einlud, mit ihm en deux zu speisen. Im ganzen war es dem jungen Manne nicht unlieb, einen Vorwand zu finden, der ihm erlaubte, nicht in sein Hotel zurückzukehren und so den Fragen der Schwester auszuweichen. Die Arbeit zerstreute ihn. Aber Stunde auf Stunde verrann; der Gesandte, der von Zeit zu Zeit das Kabinett verließ und ihn bei der Arbeit einschloß, häufte immer neue Schriftstücke vor ihm. So nahte die Zeit, zu der er versprochen hatte, an einer anderen Stelle zu sein. Abgespannt und ärgerlich warf er endlich die Papiere zur Seite und nahm seinen Hut, um sich zu entfernen. Da trat Herr von Kisseleff wieder ein, um die letzten Unterschriften zu vollziehen ... »Ich muß Sie noch einen Augenblick bemühen, Fürst,« sagte er artig; »die Sekretäre haben bereits das Hotel verlassen; ich muß Sie bitten, diese Papiere zu kuvertieren.« Der Fürst gehorchte. Der Gesandte legte noch eine eigenhändige Depesche dazu, und das Briefpaket wurde fertig gemacht. Herr von Kisseleff schellte ... »Ist der Wagen bereit?« fragte er den eintretenden Jäger. – »Zu Befehl, Exzellenz.« Der Diener trat ab. – »Jetzt, Fürst, muß ich Sie darauf aufmerksam machen, daß diese Depeschen, wie Sie sich selbst überzeugt haben, von der höchsten Wichtigkeit sind. Den Telegraphen können wir in dieser Angelegenheit nicht benutzen, die Gründe liegen auf der Hand. Sie werden daher auf Ihr Ehrenwort dieses Paket nicht von Ihrer Seite lassen, bis Sie es dem Herrn Staatskanzler selbst übergeben haben.« – »Wie? ich – –?« – »Allerdings, Sie selbst. Ich bin gewillt, Sie damit als Kurier nach Petersburg zu schicken, da ich augenblicklich niemand weiter zur Disposition habe, dem ich so wichtige Interessen anvertrauen könnte. Sie werden mit dem Zug um elf Uhr nach Brüssel abreisen.« – »Aber, Exzellenz – das ist unmöglich! Ich bin nicht im geringsten vorbereitet.« – »Das ist unnötig, – es ist alles getan; die Fürstin, Ihre Schwester, hat für alles gesorgt und wird Sie begleiten.«

Er öffnete die Seitentür, Iwanowna trat ein im Reisekleide. Dem jungen Mann schwirrte und dunkelte es vor den Augen. Das Blut schoß in Strömen ihm zu Kopf, er fühlte, daß er überlistet worden ... »Ich werde Paris nicht verlassen, mein Herr! Ich habe morgen früh einen Ehrenhandel und will nicht das Spielwerk einer Intrige sein, die ich durchschaue.« – Iwanowna eilte auf den Bruder zu und hing sich an seinen Hals ... »Iwan, bedenke was du tust!« – Der Gesandte trat dicht an ihn heran ... »Fürst Oczakoff, ich befehle Ihnen im Namen des Kaisers, ohne Widerrede zu gehorchen. Sie werden auf der Stelle abreisen. Denken Sie an Sibirien!«

Der junge Mann knirschte. Er wand sich in den umschlingenden Armen der Schwester. Herr von Kisseleff legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte in freundlichem Tone: »Es ist unbedingt nötig, daß Sie reisen, Fürst, um Ihrer selbst willen. Ich weiß alles; Sie haben eine bittere Übereilung begangen und wollen dieselbe durch ein Verbrechen wieder gut machen. Der Kaiser würde Ihnen nie verzeihen, wenn in diesem kritischen Augenblick, wo alles auf dem Spiele steht, Ihre törichte Heftigkeit einen Eklat mit dem französischen Kabinett herbeiführte. Ihre Ehre und Ihr Name müssen gewahrt werden, und deshalb zwinge ich Sie im Namen des Kaisers, abzureisen. Ihr Sekundant hat bereits Stubenarrest; ich selbst werde Ihre Entschuldigung und Rechtfertigung bei Ihrem ehrenwerten Gegner übernehmen.«

Der Fürst beugte das Haupt. Er sah, daß ihm jeder Ausweg abgeschnitten war und er sich fügen müsse ... »Ich werde reisen, hätte aber von Euer Exzellenz mehr Rücksicht erwartet.« – »Sie sind ein törichter junger Mensch,« sagte der Gesandte achselzuckend. »Danken Sie der Aufopferung Ihrer schönen Schwester, die Sie mit so vieler Rücksicht behandelt, daß Sie aus jener Ihrer unwürdigen Stellung hier mit Ehren gezogen werden.« Er hob warnend den Finger. »Übrigens könnten Sie leider bald Gelegenheit erhalten, Ihre Rauflust vielleicht selbst an Ihrem heutigen Gegner, den ich achte und schätze, auf einem würdigeren Felde zu kühlen.« – »Haben Euer Exzellenz noch etwas zu befehlen, oder bin ich entlassen?« – »Nichts weiter. Ich habe Ihr Ehrenwort, daß Sie diese Depeschen richtig und ohne Zeitverlust in Petersburg abliefern werden?« – »Mein Ehrenwort!« – »Fürstin! Sie sind mir Zeuge und Bürge für Ihren Herrn Bruder. Ich wollte Sie erst selbst zum Bahnhof begleiten, verlasse mich aber ganz auf Sie.« – »Die Ehre meines Bruders ist die meine. Leben Sie wohl, mein Herr, und genehmigen Sie nochmals meinen innigen Dank.« – »Auf glückliche Reise also, Fürst, und ohne Groll. Ich muß Sie verlassen, denn ich habe Berichte zu empfangen. Es ist etwas wichtiges vorgegangen; man hat heute abend ein Attentat auf den Kaiser Napoleon entdeckt, und es sollen viele Verhaftungen in der komischen Oper vorgekommen sein. – Leben Sie wohl!«

Er reichte beiden die Hand, die Fürst Iwan schweigend und zögernd annahm, und geleitete sie bis zum Vorsaal. Diener des Fürsten standen hier bereit, im Hofe des Palais harrte eine Chaise ... »Wir finden unseren Reisewagen bereits auf dem Bahnhofe, Iwan,« sagte die Fürstin freundlich; »Wassili und Annuschka werden uns allein begleiten, die anderen folgen.« – Der Fürst verharrte noch immer in mürrischem Schweigen, während der Wagen durch die Straßen rollte. Plötzlich, als er auf den Place de la Madeleine bog, faßte er die Hand seiner Schwester ... »Iwanowna,« sagte er zärtlich, »ich habe mich in den Willen des Gesandten und in deinen Wunsch gefügt, und ich schwöre dir, willig abzureisen, ohne einen Versuch in Betreff des Ehrenhandels zu machen, den dein Scharfsinn und deine Liebe entdeckt und verhindert hat. Aber ich habe eine Bitte an dich, von deren Erfüllung mein Leben abhängt.« – »So habe Vertrauen zu mir; du weißt, wie das meine nur in dem deinen besteht.« – Der Fürst zeigte seine Uhr ... »Es ist zehn Uhr,« sagte er; »um elf geht der Zug. Wir haben noch eine volle Stunde Frist. Gib sie mir – ich kann nicht scheiden von Paris, ohne eine andere Verpflichtung gelöst, ohne jemand, wenn auch nur einen einzigen Augenblick, gesprochen zu haben, der mich zu dieser Stunde bereits erwartet.« – »Iwan, du hintergehst mich!« – »Bei dem Grabe unsrer Mutter – nein! Aber ich schwöre dir ebenso, daß keine Macht der Welt mich lebendig aus Paris bringt, wenn du mir diese Bitte verweigerst. Schwester – ich will – ich muß sie noch einmal sehen!«

Die Fürstin schaute ihn an – ihr Herz gedachte der eigenen Liebe, die sie vielleicht auf Nimmerwiedersehen verlassen ... »Wann wirst du am Bahnhof sein?« – »Eine Viertelstunde vor der Abfahrt. Bei der Unbeflecktheit unseres Namens! ich vertraue dir diese Papiere an, du kennst ihre Wichtigkeit und was sie mich kosten. Und jetzt – jede Minute ist verloren. – Dank, Iwanowna, tausendfachen Dank, du rettest mich vor Verzweiflung.« Er rief den Kutscher, der Wagen hielt, Iwan öffnete den Schlag ... Die Fürstin hielt ihn zurück ... »Noch einen Augenblick! Iwan, du gehst nur zu einer Dame?« – »Bei meiner Seligkeit! Meine Ehre ist dir und dem Gesandten verpfändet.« – Er verschwand im Gedränge an der Kreuzung der Straßen.

*

Auf dem Nordbahnhof wogte das Leben und Treiben der Reisenden, der Kommissionäre, Beamten und Packträger. Die große Uhr am Hauptgebäude hatte drei Viertel auf elf geschlagen. Die Fürstin saß im Coupé mit Annuschka, Wassili stand am Schlage, alle drei schauten aufmerksam nach den Eingängen, mit jedem anrollenden Wagen den Fürsten erwartend. Die Glocke läutete zum ersten Male. Es war zehn Minuten vor elf ... Das schöne Gesicht der Fürstin begann sich zu verfinstern, in der kleinen Falte zwischen den Brauen, im Strahl des Auges lag der Unwille, gepaart mit der ängstlichen Besorgnis.

Wassili und Annuschka bemühten sich, diese durch allerlei Vermutungen zu zerstreuen ... Wagen auf Wagen rollte heran – keiner brachte den Fürsten. Die Minuten schienen mit Windeseile zu entfliehen. Es litt die Fürstin nicht länger im Waggon, – sie trat auf den Perron; die Uhr in ihrer Hand zitterte vor der inneren Aufregung. Drei Minuten vor elf! ... Eine eisige Entschlossenheit, jener Zug unendlicher Willenskraft, die um den herrlichen Mund lag, verbreitete sich über das ganze Gesicht. Sie winkte Wassili heran und legte die Hand auf seine Schulter.

»Höre wohl an, was ich dir sage. Es handelt sich um Tod und Leben, – um die Ehre der Oczakoffs; ich kann nicht glauben, daß Fürst Iwan sein Wort gebrochen – ich kenne ihn, sein Wort ist ihm heiliger als das Leben. Kommt er nicht, so muß ein unvorhergesehener Zufall, ein Unglück geschehen sein. Der Zug geht ab, ich mit ihm. Das Wort und die Ehre der Oczakoffs müssen rein bleiben im Vaterlande!«

Ihr Busen hob sich keuchend, sie rang mit der Erregung – Wassili, der leibeigne Milchbruder, horchte schweigend den Worten ... »Hier ist meine Börse, Wassili, fürs erste genug. Du bleibst hier und weichst nicht aus Paris, bis du Iwan ermittelt und gefunden. Ich kenne dich, Wassili, und weiß, daß sein Leben das deine ist. Sage ihm, er solle rasch und heimlich folgen, ich hätte unterdes seine Ehre gewahrt. Kein Wort im Hotel, Wassili, von dem Verschwinden des Fürsten – bei deinem Leben! bei dem Leben deiner Schwester: Iwan ist abgereist mit mir!« Die Glocke erklang zum dritten Male – kein Iwan zu sehen! – sie sprang in den Waggon; mit gekreuzten Armen stand der Diener vor der Tür, die der Kondukteur eben schloß ... »Lebe wohl! Treu und verschwiegen!« Dahin brauste der Zug! – –


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