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Zweites Kapitel.
Die Wölfin von Skadar.

Das leichte Geräusch brechenden Holzes störte die Stille der Nacht – aber nicht die schweren Atemzüge der Schlummernden ... Dann wieder alles lauschende Stille ... Sein Haupt ruhte an ihrer schwellenden Brust. Der halb geöffnete Mund des schlafenden Weibes mit den spitzen weißen Zähnen schien noch Triumph zu atmen über den errungenen Sieg. Zwischen den Brauen in der scharf geschnittenen Falte lag die ganze Leidenschaft ihrer Seele. – –

Ein Schatten glitt unter dem Teppich hervor – wiederum eine lange Pause – dann legte sich eine kalte Hand auf die glühende Stirn des Griechen ... Eine unwillige Bewegung der Störung – die Lippen murmelten den Namen »Fatinitza«, dann schlief er weiter ... Eine zweite Berührung erweckte ihn. Träumerisch schlug er die Augen empor in jener schwelgenden Ermattung des Genusses ... Vor ihm stand Gabriel der Zagartschane!

Er wollte emporfahren. Die dunkle Glut der Scham, des gebrochenen Männereides überflutete sein Gesicht – doch ernst und schweigend winkte der Czernagorze ihm Vorsicht, auf die lockende Genossin seines Lagers deutend. Dann trat er zurück in das Vorgemach, leise, unhörbar, wie er gekommen, und winkte dem Freunde zu folgen ... Es gelang Nikolas, sich langsam aus den umschlingenden Armen der Türkin zu winden und vom Lager hinabzugleiten auf den Boden, ohne daß seine Bewegungen sie erweckten. Einige Augenblicke darauf huschte er in das Nebengemach, wo der Flüchtling stand und aus dem Arsenal an der Wand sich, vorsichtig prüfend, bewaffnete. Ein Blick zeigte dem Griechen, wie der kühne Czernagorze hier herein gelangt. Die Jalousie des schmalen Altans war geöffnet, die verdeckenden, leichten Gitterstäbe waren an einer Stelle gebrochen.

»Zum zweiten Male ist der Ruf des Blutbruders in der Stunde der Gefahr vergeblich nach dem Genossen erklungen,« sprach er, zu Grivas sich wendend; »zum zweiten Male fehlte Nikolas Grivas, als Andreas der Zagartschane seiner Hilfe bedurfte. Wird er auch zum dritten Male seine Stimme nicht hören? wird er seinen Kampf teilen um Leben und Freiheit, oder will er ruhen in den Armen der Liebe, und den Freund allein sein Heil versuchen lassen?« Der Jüngling beugte sich beschämt ... »Verdamme mich nicht, Gabriel, meine Seele war umnachtet, mein Wille gelähmt. Ich teile mit dir Tod und Leben!« – »Wohl! ich danke dir für die rettende Feile und das Seil, die du mir gesendet. Aber es war um ein Stockwerk zu kurz, und vergeblich schaute ich mich um nach der versprochenen Hilfe. Da lenkten die freundlichen Wilas mein Auge auf diesen Altan, und indem ich mich am Seil hin und her schwang gleich dem Vogel in der Luft, wie ich oft als Knabe getan, wenn ich die Felsennester der Möwen ihrer Brut beraubt, gelang es mir, die Stäbe zu erreichen und Fuß zu fassen. Das übrige weißt du. Hast du deinen Kahn in der Nähe?« – »Ich war gefangen, wie du, heute abend durch meine Unvorsichtigkeit. Nur die undurchdringlichen Mauern des Kerkers konnten mich fern von dir halten. Der rettende Kahn liegt mindestens eine halbe Stunde weit außerhalb der Stadt unter den Felsen.« – »Dann gibt es nur einen Weg für uns. Wir müssen schwimmend aus dem Bereich der Festung zu entkommen suchen. Bist du bereit?« – »Ich bin's!« – »Diese schweren Waffen nützen uns nichts,« flüsterte der vorsichtige Krieger, »laß von uns legen, was uns hindert. Suche wie ich einen leichten Yatagan und birg ihn in deinem Gürtel.«

Indem der Grieche nach der bezeichneten Waffe faßte, stieß er an eine zweite, und diese fiel klirrend zu Boden. Erschrocken blickten beide empor – der Teppich vor dem Zugang des Schlafgemaches wurde zur Seite gerissen; drinnen, wie der Tiger zum Angriff bereit, kauerte das nackte Weib, die glutsprühenden Augen auf die Freunde gerichtet ... »Verräter!« ... Der einzige Laut zischte durch ihre Lippen; mit einem Sprunge warf sie sich nach der Tür, aber der Czernagorze stürzte ihr zuvor und umfaßte mit aller Kraft ihren Leib. Ein wildes Ringen begann zwischen den beiden, eine übermenschliche Stärke und Geschmeidigkeit schien die Muskeln und Glieder dieser Frau zu stählen. Gleich einem Proteus wand sie sich in dem starken Männerarm und rang Brust gegen Brust. Aber kein Laut, kein Ruf der Hilfe entschlüpfte ihren Lippen, nur der keuchende Atem, der zischende Ton der Wut begleitete diesen Kampf.

An der Tür jedoch scharrte und kratzte es wütend und immer wütender. Das grimmige Raubtier witterte die Gefahr, den Kampf seiner Gebieterin, und versuchte, ihr zum Beistand zu eilen ... »Mach ein Ende! komm zu Hilfe! Ich vermag diesen Teufel in Weibergestalt nicht länger zu bändigen.« Zweimal hatte Nikolas Grivas den Stahl für den Blutbruder erhoben gegen das dämonische Weib, das eben noch an seinem Herzen gelegen, – zweimal traf ihn mitten in der Furie des Ringens ein kalter, verächtlicher Strahl ihres Auges – und Hand und Waffe sanken machtlos nieder. Da, wie ein Ausweg des Himmels, fiel sein Auge auf einen zur Seite am Boden liegenden persischen Shawl, und im Nu hatte er ihn aufgerafft und schlang ihn um Kopf und Schultern des Mädchens. Gabriel hob sie zugleich empor, im nächsten Augenblick hatte er sie auf das eben verlassene Lager geworfen, und keuchend umschlangen beide die wild sträubenden Glieder mit Tüchern und Decken, wie die Hand sie erreichen konnte, und zogen die Knoten um sie fest. Auch jetzt entfloh kein Schrei ihrem Munde, nur das Atmen der Wut vernahmen sie durch das dicke Gewebe des den Kopf verhüllenden Shawls. Aber draußen am Eingange des Gemaches tobte und wütete es fort, mit gewaltiger Kraft sprang der Wolf an der Tür empor und stieß ein klagendes Geheul aus, daß es weit durch die Räume des alten Gemäuers scholl.

Gabriel riß den Freund mit sich fort, der zitternd auf das Werk seiner Hände schaute, die gebundene verhüllte Gestalt, die jetzt ruhig und bewegungslos, gleich als erkenne sie das Nutzlose jedes weitern Sträubens, auf den Kissen lag ... »Sie stirbt! sie stirbt!« ... Doch der Czernagorze drängte ihn zum Altan ... »Was kümmert uns ein Weiberleben! Hinunter! Hörst du nicht, daß von dieser Bestie Geheul schon die halbe Feste in Alarm ist? Mir nach, Blutbruder, und die Heiligen seien uns gnädig!« ... An die Pforte donnerten Waffen und Hände, – unter den wuchtigen Schlägen sprangen die Riegel – mit weitgestrecktem Sprunge warf sich der Czernagorze vom durchbrochnen Altan hinab in die dunkle Flut, im nächsten Augenblicke folgte ihm der Grieche.

Als beide emportauchten, glänzte heller Lichtschein von der Öffnung des Balkons über die Fläche des Wassers – im Umwenden glaubte der Jüngling Gestalten darauf zu sehen, darunter einen weißen, fliegenden Mantel; einen Moment nachher blitzte ein Schuß, die Kugel flog über ihnen hin ins Wasser ... »Nieder!« rief der Czernagorze ihm zu, »halte dich rechts!« Und die Schwimmer sanken aufs neue fast auf den Grund und strichen weit aus ... Als sie Luft zu schöpfen nochmals emportauchten, waren sie außer dem Bereich der augenblicklichen Gefahr, aber weit entfernt davon, gerettet zu sein. Die Richtung, die sie zu nehmen gezwungen worden, führte sie hinaus in den See. In den verlassenen Festungswerken wurde es lebendig, Lichter bewegten sich an den Öffnungen hin und her, ehe sie noch zehn Minuten weiter getrieben waren, auch am Strande, und ein Kanonenschuß donnerte über die Fläche des Wassers, Alarm rufend und die Schildwachen zur Aufmerksamkeit mahnend.

Mit allen Kräften griffen die beiden rüstigen Schwimmer aus, denn sie wußten, daß jede Minute Verlust war, und daß es um Tod und Leben gälte, so rasch als möglich über den Rayon der Festungsmauern hinaus zu gelangen, ehe sie auf dem Wasser verfolgt werden konnten, und den verborgenen Kahn zu erreichen. Aber die Kleider, deren sie sich nicht hatten entledigen können, zogen immer schwerer und schwerer und hinderten ihre Anstrengungen, und die Kräfte des Czernagorzen waren durch die Entbehrungen der Haft geschwächt. Rüstiger schwamm der junge Grieche, an der See geboren und Herr des Elements, und ermunterte den Freund zu neuen Anstrengungen. Doch weit rechts noch lag das rettende Ufer, und kaum noch war Zuflucht dort zu hoffen, denn in kurzen Zwischenpausen dröhnten die Alarmschüsse fort ... Gabriel war ermattet ... »Rette dich selbst, Blutbruder, und grüße Stephana und die schwarzen Berge!« Er sank; aber der Grieche war hinter ihm drein und hob ihn empor ... »Bei der gebenedeiten Mutter Gottes von Ostrog,« flehte er, »verliere den Mut nicht, Hilfe ist nahe – ich höre Stimmen!«

Und gleichsam als Antwort auf den Scheidegruß des tapferen Czernagorzen hallte sein Name durch die Nacht über die Wellen, und hinterdrein klang der Schlachtruf der Familie Martinowitsch, ihr heilig Erbteil seit der Mordnacht der Weihnachten von 1793: Sve Oslobod! Ganz befreit! (Zugleich Name der Piesme, die jene Tat besingt.) – »Hier Czernagorze!« tönte der Gegenruf des Griechen, wie er sich aus dem Wasser hob. Triumph! Rettung! Durch die Nacht strich ein weißes Segel daher – ein jubelnder Schrei klang vom dunklen Bord, – Arme streckten sich nach ihnen aus – das waren Freunde.

Am Steuer stand der alte Beg. Hassan und der Vetter arbeiteten wie rasend an den Rudern – Stephanas, Bogdans Arme streckten sich den Schwimmenden entgegen ... »Mut!« – In der nächsten Minute hob Nikolas den erschöpften Freund über den Rand des Bootes in die Arme seines Weibes und warf sich selbst ihm nach ... »Wendet! Fort!« – Erschöpft lagen die beiden auf dem Boden des rettenden Fahrzeuges, das unter dem kräftigen Druck des Alten sich von der Festung ab- und den Bergen zuwandte ... Stephanas Angst und Ungeduld hatte die Hilfe gebracht, indem sie den alten Beg bewog, mit dem Boote während der Nacht sich den Festungswerken zu nähern, statt an der bestimmten Bucht des östlichen Ufers auf den Kahn von Retter und Flüchtling zu warten. Als der erste Alarmschuß über den See donnerte, wußte die Familie, daß die Flucht vollzogen, und der kühne Eifer trieb sie vorwärts, die eigene Gefahr verachtend.

So war die Hilfe im glücklichen Augenblick erschienen ... Die Czernagorzenfrau bedeckte den Gatten mit ihren Küssen. Über dem Wiedergewonnenen hinweg reichte sie dem Griechen die Hand und konnte nicht enden in lobpreisenden Dankesworten für seine Tat. Auch der alte Beg und die andern bezeugten ihm Dank und Achtung für die bewiesene Aufopferung und Treue, und mehr als einmal drohte das Gefühl bitterer Scham ihn zu überwältigen. Das war um so lastender der Fall, als der alte Glawre Familien-Oberhaupt. den Hergang der Flucht zu wissen verlangte und Gabriel, der sich an der Brust des treuen Weibes erholt hatte, eilig das Wort ergriff, den Freund aus der Verlegenheit zu ziehen, und der Familie kurz erzählte, wie Nikolas ihm Feile und Strick gesandt hatte, wie er verhindert worden sei, mit dem Kahne zu seinem Beistande zu erscheinen, und nun mit ihm zusammen schwimmend die Flucht versucht habe, daß diese aber durch einen Zufall zu früh entdeckt worden sei und ihre Verfolgung nach sich gezogen habe.

Die Beratung, wie dieser am besten zu entgehen, nahm jetzt aller Aufmerksamkeit in Anspruch. Der alte Beg war der Ansicht, daß sie jeder Gefahr glücklich entgangen seien, da der Pascha von Skadar schwerlich um die Flucht eines einzelnen Gefangenen willen viel Aufhebens machen würde. Gabriel und Nikolas jedoch schauten einander bedenklich an und waren der Meinung, man dürfe keine Anstrengung versäumen, um so rasch als möglich die czernagorzischen Ufer zu gewinnen. Ohne den Namen der Wölfin von Skadar auszusprechen, wußte der Grieche doch seine Besorgnis auch Stephana mitzuteilen, und sie gewann um so mehr Begründung, als die Gesellschaft bald darauf von der Höhe des Turmes, dessen Kerkern jene so glücklich entronnen waren, ein mächtiges Feuerzeichen emporlodern sah: ein Signal, das sonst gewöhnlich nur bei den Kriegsüberfällen üblich war, um den verschiedenen Posten entlang der Seeufer die Anwesenheit des Feindes zu melden. In Zeit von einer halben Stunde flammten links nach Antivari hin und rechts gegen das Hochgebirge bereits mehrere ähnliche Feuer an den beiden Ufern und verkündeten die Aufmerksamkeit in den verschiedenen Kastells.

Man beschloß, die rechte Seite des Sees zu halten und die Ufer der Rietschka zu gewinnen, der heimischen Nahia des Alten, wo sein Ruf im Augenblick die Männer der zunächst wohnenden Plemen im Fall der Bedrohung herbeiführen konnte. Nun wurde mit erneuten Kräften an den Rudern gearbeitet. Der alte Beg erklärte, das Steuer nicht verlassen zu wollen, – seine eisernen Muskeln widerstanden jeder Anstrengung. Grivas, der Grieche, Hassan Lektisch der Arnaut, und der Vetter, Jowan genannt, erhielten die erste Ruderwache zuerteilt. Es mochte 2 Uhr nach Mitternacht sein, und über die Bergspitzen begann der erste Strahl der Dämmerung zu brechen, während noch die tiefen Schatten der Nacht über dem See lagen.

Der einäugige Beg summte leise in jener unangenehmen monotonen Sangesweise der griechischen und orientalischen Stämme den Sang vor sich hin, der den Zug des Czernojewitsch Owo zum Dogen des großen Venedigs und die Hochzeit des falschen Stanischa, des schönen Wojwoden von Dulcigno, Obronowo Djuro, mit der Tochter der Inselstadt meldet. Grivas dagegen träumte von der schrecklichen Szene, der er entronnen. Vor seinen geschlossenen Augen stand mit dem flammenden, verächtlichen, rachesprühenden Blick die Wölfin von Skadar. Dagegen kehrte in seine Erinnerung das schwelgende Bild ihres Reizes zurück, und er beugte, im Innern vernichtet und von widerstreitenden Gefühlen ergriffen, das schöne Haupt.

Die zweistündige Wache mochte zu Ende sein, – die Sonne war bereits aufgegangen, und ihre Strahlen brachen durch die Schluchten der im Osten sich erstreckenden Bergkämme, als Hassan den Hellenen aus seinem Hinbrüten weckte und ihm einen Wink gab, sich umzuschauen ... »Schau' hin, mein griechischer Bruder, nach der Seite, wo die Sonne sich ins Meer senkt, und sage mir, was du über den leichten Nebeln siehst, die dort noch das Ufer verhüllen. Der junge Falke der Maina hat scharfe Augen!« – Grivas schaute angestrengt nach der Stelle ... »Das ist sicherlich dunkler Rauch, der sich über die Nebel bewegt. Sollten wir so nah' einer der Inseln sein und dort Beistand finden?« – »Mein Bruder täuscht sich. Siehst du nicht, daß der Rauch sich bewegt?« – »Was habt ihr? Nach was späht ihr aus?« unterbrach sie der Beg. – »Birschik jok! Es ist nichts. wir werden nur verfolgt,« entgegnete gleichmütig der Arnaut. »Der Bey hat jenes höllische Schiff uns nachgesandt, das der Teufel erfunden und das allein läuft, ohne Segel und Ruder.« – »Du meinst ein Dampfschiff?« – »Ne apalum? Was kann ich tun? Der Bey hat von den Franken seit dem Kriege ein Schiff bauen lassen, und er hat Leute, die es führen.«

In der Tat war in dem letzten Kriege die Notwendigkeit rascher Verkehrsmittel immer dringender an den Tag getreten, und die türkische Regierung hatte auf die Vorstellungen Omer Paschas eines der kleinen eisernen Lustdampfboote, die zwischen dem Bosporus und Konstantinopel fahren, nach Dulcigno gesandt, wo es von französischen Maschinisten auseinander genommen und die Bajana aufwärts bis Scutari transportiert, dort aber wieder zusammengesetzt worden war. Den Czernagorzen war zwar die Beschaffenheit und Schnelle der Dampfschiffe nicht mehr unbekannt, da sie von der Höhe ihrer Berge fast täglich dieselben die schöne Adria durchziehen sehen können, doch war eben der türkische Dampfer auf dem nördlichen Teil des Sees noch zu wenig benutzt worden, um ihnen weitere Besorgnis einzuflößen, und der Grieche hatte bei der aufgeregten Stimmung seines Gemüts wenig oder gar nicht auf die Anwesenheit des Schiffes zwischen den Festungswerken von Scutari geachtet. Jetzt wurde ihm jedoch die Gefahr, die sie bedrohte, im Augenblick klar und er setzte sie dem alten Krieger deutlich und rasch auseinander.

Während Gabriel und Stephana, die Arm in Arm im Vorderteil des Bootes schliefen, und der junge Martinowitsch geweckt wurden, verzogen sich die letzten Nebel und man erblickte deutlich den Dampfer in Entfernung von kaum noch einer Meile in südwestlicher Richtung hinter den Flüchtigen, doch offenbar seinen Kurs am westlichen Ufer entlang haltend, mit voller Kraft fahrend. Die Richtung, die er hielt, zeigte die Absicht, die Flüchtigen, wenn sie sich nach der Czernitza Nahia gewandt haben sollten, vorher zu erreichen, oder im entgegengesetzten Falle sie von diesem näher belegenen Ufer Montenegros abzuschneiden und nach der anderen Seite, dem türkischen Gebiet, zu drängen.

Offenbar konnte man in dieser Entfernung noch nicht das kleine Boot bemerkt haben, und es galt, dies womöglich zu verhindern. Eine kurze Beratung folgte, ob man das leicht verratende Segel einziehen und sich nur auf die Kraft der Ruder verlassen, oder den noch immer günstigen Morgenwind benutzen sollte. Beides war gefährlich, denn kaum die Hälfte des Weges war zurückgelegt. Der Beg entschied für die weitere Benutzung des Segels, da ohnehin die erste der zu Montenegro gehörenden Inseln, Stavena, bereits vor ihnen lag und man hoffen durfte, an ihrer Wetterseite der Beobachtung des Feindes zu entgehen. Alle halfen an den Rudern, und bald schoß das Boot unter den Felsenufern der Insel dahin. Der Beg wandte das Steuer noch mehr nach Osten, und so gelang es ihnen, anscheinend unbemerkt, nach weiteren zwei Stunden, während der Morgenwind erstorben war und man das Segel eingezogen hatte, die zweite der Inseln, Sankt Nikolaus, jetzt noch ungefährdet, zu erreichen. Das Dampfschiff war unterdessen weit heraufgekommen und hatte den Fahrstrich des Bootes bereits überholt, hielt sich aber immer noch am jenseitigen Ufer. Hier, unfern der nördlichen Spitze der Insel, in einer kleinen, ziemlich geschützten Felsbucht, beschloß der Beg, Halt zu machen und den Tag zu verbringen; denn da sich über die Insel hinaus die See bedeutend verengt, wäre es nicht möglich gewesen, der Aufmerksamkeit der Verfolger ferner zu entgehen, während, wenn diese, wie zu erwarten stand, ihren Weg fortsetzten, die Flüchtlinge ganz ungestört hier sich verborgen halten und das schützende Dunkel der Nacht abwarten konnten.

Das Boot lag gesichert in der Felsenbucht, in seinem Innern ruhten die Männer von der Anstrengung des Morgens und der sich steigernden Hitze des Tages, und mehrere Stunden vergingen, ohne daß sie belästigt wurden ... Bogdan, zuerst als Späher auf eine der Felsspitzen geschickt, hatte berichtet, daß das Dampfboot hinter der letzten der Felseninseln, Morakowitsch, verschwunden sei. Das hohe Ufer hinderte ihn zu bemerken, daß der Dampfer, nachdem er einer Barke begegnet war, von der er die Kunde erhielt, daß kein Boot auf dieser Seite des Sees entkommen sein konnte, an der letzten Insel hielt und Bewaffnete aussetzte, um dieselbe nach den Flüchtigen zu durchspähen.

Gabriel hatte jetzt die Wache und war ans Ufer gestiegen; die Gesellschaft saß nach ihrem einfachen Mahl, aus der trockenen Castradina und Maiskuchen bestehend, noch immer im Kahn, um jeden Augenblick bereit zu sein. Nur der alte Beg hatte seltsamerweise den Anteil an der Speise von sich gewiesen, er saß still in sich gekehrt, mit starrem Blick, gleich als habe er ein zweites Gesicht, und summte wieder leise die Sänge seines Stammes vor sich hin, deren so manche die Taten seiner eigenen Jugend feierten ... Plötzlich fuhren alle empor bei dem nahen Knalle eines Schusses. Wenige Augenblicke darauf stürzte in kühnen Sprüngen von Fels zu Fels Gabriel bleich und blutend zur Bucht, noch ehe seine Stimme sie erreichen konnte, zur Flucht winkend ... Im Nu war alles in Bewegung, das Boot abgestoßen und dem Eingang zugetrieben. Hier, wo die Ufer zusammentraten, sprang Gabriel in das Fahrzeug ... »Fort, fort! Um aller Märtyrer willen, die Ungläubigen sind uns auf der Spur. Sie sind zurückgekehrt und durchsuchen die Insel; ein Trupp hat mich entdeckt, als ich nach dem Schiffe spähte.« – Mit erneuter Kraft warfen sich alle auf die Ruder, auch Gabriel, dem die Kugel nur leicht die linke Hüfte gestreift hatte. Das Boot flog in die freien Gewässer, aber ein wildes Jauchzen, der Knall vieler Gewehre verkündete ihnen, daß auch sie bereits entdeckt worden.

Während der rasenden Arbeit sich umschauend, erblickte Grivas auf der Höhe der Felsen die Verfolger, drohend die Gewehre durch die Luft schwingend, deren Kugeln die Flüchtlinge nicht mehr erreichen konnten; unter den Gestalten der Männer den wehenden Feredschi einer Frau. Ihr ausgestreckter Arm deutete nach der Küste, ihre Befehle jagten die Arnauten nach allen Seiten ... Fatinitza, die Wölfin von Skadar, Fatinitza, die Rächerin, war auf ihrer Spur!

Die Lage der Verfolgten war noch immer keine so verzweifelte, als sie im ersten Augenblicke geschienen hatte. Durch den Zeitverlust, den ihre Gegner notwendig beim Wiedereinschiffen auf den Dampfer und durch das Herumbringen desselben um die Ausbuchtungen der Insel erleiden mußten, war ihnen ein bedeutender Vorsprung gesichert. Überdies ist dieser Teil des Sees wegen der vielen aus dem Grunde sich erhebenden Felsen und Klippen schwieriger für größere Schiffe zu befahren. So gelang es den Verfolgten denn wirklich, die Ostseite der dritten Insel zu erreichen, während die Türken, denen die Schwierigkeiten des Fahrwassers gleichsam bekannt waren, an der Westseite des langgestreckten Eilands hineinfuhren, um an dessen Spitze im freien Wasser den Czernagorzen den Weg zu verlegen ... Über die Felsen der Insel hin konnten die Verfolgten die Rauchsäule des Schiffes bereits in gleicher Linie mit ihrem Boote streichen sehen, als der alte Glawre das Steuer wandte und quer über den Seearm nach einem Vorgebirge des östlichen Ufers abhielt. Auf seinen Wink strengten alle ihre Kräfte an den Rudern aufs neue an, und das Boot flog über die Wellen. Die Entfernung der Insel vom Ufer betrug hier eine starke halbe Meile. Während das Dampfboot etwa in gleicher Entfernung um die Nordspitze der Insel bog und die weitere Flucht nach der noch anderthalb Meilen entfernten Mündung des Czernajowitsch – dem sichernden Ufer der Rietschka Nahia – versperrte, war das Boot der Czernagorzen bereits auf Büchsenschußweite am Ufer und näherte sich einer Einbuchtung.

Plötzlich kräuselten aus dem Gestein des Ufers leichte Rauchwolken empor, und Schüsse blitzten ihnen entgegen. Zwischen den Felsen zeigten sich die weißen Pferde der Albanesen, Posten erschienen auf den Vorsprüngen ... »Das Segel auf!« befahl der Beg, dessen eines Auge in dieser von Minute zu Minute sich mehrenden Gefahr wieder kühn und fest umherblitzte ... »Gelingt es uns, das Vorgebirge zu umfahren, ehe jenes dem Teufel verschriebene Schiff herankommt, so gewinnen wir das Ufer. Diese Kinder des schwarzen Hundes sollen die freien Söhne der Berge nicht fangen, denn um auf jene Seite des Vorsprungs zu gelangen, brauchen sie Zeit.«

Die Moslems auf dem Dampfschiffe begriffen zwar das Manöver der Flüchtlinge, doch war es ihnen nicht möglich, vor diesen das Gebirge zu erreichen, und nach einer rasenden Anstrengung von etwa zehn Minuten schoß das Boot gesichert zwischen den Klippen der nördlichen Seite hin, um eine bequeme Landungsstelle zu suchen, während ohne Resultat mehrere Kanonenschüsse vom Bord des Dampfers nach ihnen abgefeuert wurden. Als das Boot das Ufer berührte, das noch von keiner Wache des Feindes besetzt war, sprangen alle eilig heraus, das Fahrzeug seinem Schicksale überlassend, und eilten nun, ihre Waffen mit sich nehmend, in die Schluchten der Zenta ... Jowan, dem diese Gegend von früheren Fischerfahrten bekannt war, machte hier den Führer. Sie waren ungefähr eine Viertelstunde diesseits der kleinen Feste Zabljak gelandet, die in den Kriegen zwischen Montenegro und den Türken von Alters her eine so bedeutende Rolle gespielt und auch zu Anfang des letzten Krieges von den Czernagorzen wieder genommen und beim Abzug am 25. Dezember zerstört worden war. Von der nächsten Höhe, die sie gewonnen, erkannten sie, daß das Dampfschiff jetzt seinen Lauf hierher genommen und sie beinahe erreicht hatte. Es galt, sich tiefer in das Gebirge zu werfen, um auf dem Umwege das von Zabljak noch eine starke Meile entfernte Gebiet von Montenegro nach Überschreitung der Ziewna zu gewinnen.

Es war bereits hoch am Nachmittag, als sie hier die Fortsetzung ihrer Flucht begannen und in die Berge östlich von Zabljak drangen, soviel als möglich die Richtung nach Norden beibehaltend, um sich ihrem Ziel zu nähern. Aber ihre Vorsicht und ihr Mut waren vergeblich, denn die Furie, die auf ihren Fersen war, verstand zu wohl ihren Vorteil, um ihnen Zeit und Raum zum Durchbruch zu gönnen, und fand in einer vor wenigen Tagen von Podgoritza her in die kleine Feste eingerückten Reiterabteilung neue Hilfe. Der Offizier ihres Vaters, der mit einem Haufen wilder Albanesen sie auf dem Dampfer begleitet hatte, war ihrem Willen blindlings gehorsam, und ehe eine Viertelstunde nach der Landung vergangen war, flogen ihre Boten bereits nach den Reiterposten, welche durch die schnellen Sendboten des Paschas von Skadar her entlang der ganzen Küste des Sees noch während der Nacht und des Morgens zum Fange der Flüchtigen aufgeboten worden waren. Zugleich brach ein starker Haufe aus der Festung auf, um das Ufer der Ziewna und Moratscha zu besetzen und so den Flüchtigen den Weg abzuschneiden ... Die Folgen zeigten sich bald. Als der kleine Trupp der Czernagorzen gegen Abend, von dem Beg geführt, aus den Bergen brach, um den ersten Fluß zu überschreiten, wurden sie vom Ufer her mit Flintenschüssen empfangen, und selbst die tollkühne Tapferkeit des greisen Führers mußte die Übermacht der Gegner anerkennen und ihr weichen ... Unter einer alten Steineiche sammelten sich die sieben und hielten Beratung, während immer drohender das Netz der Verfolger sich um sie zusammenzog.

»Die Stunde ist gekommen,« sprach feierlich der alte Glawre, »da wir Bog, dem großen Würger, gehorchen müssen. Wir wollen kämpfen und sterben, wie unsere Väter getan. Das Haus Iwos wird untergehen in diesen Bergen.« – »Du redest wahr und recht, Vater,« sagte Gabriel, »aber bedenke, ob es nicht möglich ist, uns hier auf irgend einem festen Punkt zu halten, bis uns Hilfe käme von unseren Stammverwandten. Der erste Flintenschuß eines Moslems weckt hundertmal das Echo an den schwarzen Felsen von Czernagora.« – Der Alte schwieg brütend. – »Weiter hinauf im Gebirg,« sprach Jowan, »steht die Kula, die früher einem Gliede der Gradjani gehörte, das ins Niederland gezogen war. Wenn wir sie erreichen, können wir einem Angriff widerstehen. Nur den Boten gilt es, zu unseren Brüdern zu finden.« – Der Greis blickte ihn finster an ... »Willst du den Glawren der Martinowitsch lehren, was er auf diesem Felde zu tun habe, das sein Fuß hundert Male im Kampfe durchmessen, ehe du deinen Namen lallen konntest? Was geschehen soll, ist beschlossen. Höret!«

Alle drängten sich um ihn. Der Einäugige nahm den schrecklichen Mumienkopf von seinem Halse und betrachtete ihn ... »Namik Halil, mein Todfeind, ich sende dich jetzt, um das Blut derjenigen zu retten, die du im Leben gehaßt und verfolgt hast, denn unversöhnlich ist die Rache der Martinowitsch. – Gabriel, mein Sohn durch den Leib meiner Tochter, nimm Abschied von deinem Weibe, denn sie und das Kind« – er deutete auf Bogdan – »werden den Gang wagen, um die Krieger der Rietschka zu wecken mit der Botschaft ihres alten Führers.« – »Vater!« baten Stephana und der Jüngling erschrocken. – »Still! Die Kinder der schwarzen Berge wissen zu gehorchen, wenn der Glawre ihres Hauses spricht. Ihr beide werdet euch hier unter dem Felsen verbergen, bis der Schatten der Nacht hereinbricht. Dann werden die Feinde fern sein auf unserer Spur, und ihr könnt ungehindert davonschleichen. Du, Bogdan, eilst zu den Kulas der Lubotini und Kozieri und rufst sie zu den Waffen; du, Stephana, bringst dies Haupt zu den Wohnungen unserer Brüder, den Gradjanen an den Ufern des Czernojewitsch, und sagst ihnen, Iwo Martinowitsch sende es zum Zeichen, daß er des Knalls ihrer Flinten benötigt sei in der Stunde der Gefahr. Die Frauen wandeln frei durch diese Berge, selbst der Moslem ehrt ihr Recht, und die Gefahr ist gering für dich. Sagt den Männern der schwarzen Berge, in der verlassenen Kula des Popowitsch Gradjani würden sie uns finden. Wenn ihr euch eilt, kann die Hilfe zur Stelle sein, ehe die Sonne ihren Strahl über die Berge der Zenta auf die grünen Wellen des Sees wirft. Ich habe gesprochen! Die Wilas mögen euch und uns gnädig sein!«

Stephana warf sich an die Brust des eben erst wieder gewonnenen Gatten und schien sich kaum von ihm losreißen zu können. Aber die drängende Gefahr gewährte hier keine Zeit, und die Czernagorzenfrau wußte den Wert derselben zu schätzen. Noch im Arm ihres Mannes reichte sie dem Griechen die Hand und bat ihn, den Geliebten nicht zu verlassen. Dann verschwand sie rasch mit dem Bruder in eine ginsterbedeckte Felsenspalte, während die Männer dem Beg nacheilten. Schweigend setzten diese einige Zeit ihren Weg fort, absichtlich an einer geeigneten Stelle sich einem im Tale unten bemerkten Posten und Verfolger zeigend, was von diesem mit einigen nutzlosen Schüssen beantwortet wurde. Nach einer weiteren halben Stunde gelangten sie auf eine, sich in leichter Abdachung nach Süden senkende Bergebene, zum Teil mit Gebüsch und wilden Kastanienbäumen besetzt, auf der, an eine schützende hohe Felswand gelehnt, die halbzerstörte Kula stand, die sie zu ihrem Zufluchtsort erwählt hatten: ein viereckiges, turmhohes Gemäuer von Kalksteinen, in der Hauptmauer noch wohl erhalten. Kein Feind war zu sehen, und rasch nahmen sie von der Ruine Besitz, häuften Schutt und Balken vor den Zugang und machten die schmalen Fensteröffnungen in den dicken Mauern für die Verteidigung frei. Während sie nach rasch vollendeter Arbeit sich um den Häuptling am Boden lagerten und nochmals ihre Waffen untersuchten, hielt Jowan an einer der Schießscharten scharfen Auges Wache über die Umgebung.

Die Sonne begann bereits hinter den jenseitigen Bergspitzen zu verschwinden, als der Czernagorze das Zeichen gab, daß die Feinde nahten. Im Augenblick waren alle fünf auf ihrem Posten, alle mit den langen Flinten des Hochlands bewaffnet, Gabriel mit derjenigen Bogdans. Ein ziemlich starker Trupp berittener Arnauten sprengte die Bergebene herauf und machte etwa zwei Büchsenschüsse von dem Gemäuer Halt. Offenbar glaubten die Türken, daß sie auf der Spur ihrer Gegner seien, denn sie prüften sorgfältig die ganze Fläche, jedes Gesträuch, jedes Felsenversteck durchspähend, und bald nahte ein kleiner Haufe den Ruinen der Kula, mißtrauisch die Verrammelung des Zugangs betrachtend, die Waffen zum augenblicklichen Gebrauch in Händen ... Der greise Beg ließ sie bis auf etwa sechzig Schritt herankommen, dann stieß er mit seiner donnernden Stimme den gefürchteten Schlachtruf seiner Familie aus und gab Feuer. Gabriel, Grivas, Jowan und auch der Arnaut Hassan folgten seinem Beispiele, und drei Reiter stürzten von den Pferden, während die anderen erschrocken Kehrt machten und davon sprengten, der eine gleichfalls verwundet im Sattel schwankend. In wenigen Augenblicken waren unter dem tobenden Allahruf die Türken außerhalb Schußweite unter den Kastanienbäumen versammelt, die Pferde wurden gekoppelt und angebunden, während zwei der Reiter mit der Kunde davonjagten, daß die Flüchtigen gefunden seien. Der Führer der Schar verteilte seine Leute über die Fläche, von allen Seiten das Gebäude im weiten Halbkreise umgebend ... Während die kurze Dämmerung, die im Süden Tag und Nacht scheidet, hereinbrach, begann das Gefecht, und die Schüsse der Plänkler knatterten munter gegen die Öffnungen des Gemäuers, aus dem hin und wieder ein Schuß aus den langen Flinten der Czernagorzen antwortete, wenn einer oder der andere der Moslems unvorsichtig sich zu weit vorwagte.

Plötzlich übertönte ein wilder Jubelschrei der zurückgebliebenen Türken das einzelne Knallen der Flinten. An der Spitze eines zweiten Trupps heran jagte eine Frau, im weiten, weiß durch die Nachtluft flatternden Mantel, den Schleier um das Haupt, im Gürtel Pistolen und Handjar – vor dem weißen Araber her in mächtigen Sprüngen mit gesträubtem Haar der Wolf, ihr Begleiter. Um das Pferd der kühnen Reiterin sammelte sich die Schar, Befehle flogen von ihren Lippen nach rechts und links, in drei Haufen teilte sich der wohl an fünfzig Mann starke Trupp, und langsam, lautlos rückten sie jetzt von drei Seiten gegen den Turm.

»Bei Allah!« sagte Hassan zu den Kampfgefährten, »wir werden einen schweren Stand haben. Kennt Ihr den Teufel in Weibergestalt, der sie zum Angriff führt? es ist Fatinitza, die Wölfin von Skadar, von der das Volk erzählt, daß sie das Blut ihrer Feinde trinkt. Es ist unser Schicksal, hier zu sterben.« ... Der alte Beg grinste in teuflischem Hohnlachen ... »Ist es die Wölfin von Skadar, so will ich sie fällen, wie das Tier, dessen Namen sie führt.« – Die Flinte lag an seiner Wange, der Finger berührte den Drücker, doch vergebens schnappte der Hahn auf die Pfanne, das Gewehr versagte, – zum ersten Male seit langen Jahren. Der Greis setzte es erstaunt und abergläubisch zu Boden ... »Bei Bog, dem großen Würger! sie ist gefeit.« – »Ich sagte es Euch vorher, Beg Iwo! Sie hat den bösen Blick, und keine Menschenhand kann sie verletzen ... Aber zur Wehr, Männer; die Krieger des Halbmondes sind über Euch, und Allah will es, daß ich gegen die eigenen Brüder fechten soll.«

Der Moslem erfüllte wacker die Pflicht des Gastfreundes. Seine Flinte war die erste, welche knallte und einen seiner früheren Kameraden zu Boden streckte. Der Einäugige, Nikolas, Gabriel und Jowan empfingen die auf ein Zeichen der schönen Megäre gegen den Bau Heranstürzenden mit einer Salve. Jede Kugel fand ihren Mann. Aber über die Leiber der Fallenden sprangen mit wildem Geschrei die Albanesen vorwärts, und das Handgemenge begann an jeder Öffnung der Mauer. Pistolenschüsse, die Hiebe der Yatagans und der Säbel klangen hin und her; an den engen Öffnungen der Fenster mit leichter Mühe von Jowan und dem Lektisch-Khan zurückgeschlagen, drängte sich der Hauptangriff zur weitklaffenden Öffnung der ehemaligen Tür. Über die Balken, Steine und Brandtrümmer versuchten die blutigen Arnauten in das Innere zu dringen, in ihrer Mitte, allen voran, keine Gefahr scheuend, Fatinitza, während das Geheul des Wolfes grimmig durch das Toben des Gemenges scholl.

»Sve Oslobod!« klang der Kampfruf des Alten, dessen gewichtige Hiebe, wo sie niederfielen, Tod und Verderben brachten, da – als seine Faust mit der schweren Waffe wieder erhoben, warf sich das Mädchen ihm entgegen, ihr dämonisches Auge traf das seine und ihr Handjarhieb seine Stirn, daß er blutig zurücktaumelte ... »Maschallah! Der Sieg ist unser!« – Aber eine Hand erfaßte ihren Arm, als sie hineinspringen wollte in den verteidigten Raum – eine zweite umschlang ihren Leib, Auge blitzte in Auge, der funkelnde Blick des Weibes und das finstere Auge des Mannes, mit dem sie ihr Lager geteilt, – und weit hin mit gewaltigem Stoß schleuderte er über die Trümmer hinweg die Geliebte, daß ihr Körper den Boden maß und heulend der Wolf sich auf die Gefallene stürzte.

Die rasche Tat des Griechen entschied den Sieg; die Arnauten ließen bestürzt ab von dem Sturm und eilten zu der Gebieterin, die sie forttrugen; die Schüsse der Czernagorzen, die Luft und Zeit gewannen, jagten die letzten davon ... Eine Pause schien auf den blutigen Kampf zu folgen. Alle Verteidiger des Turmes, mit Ausnahme des Moslems, waren verwundet und verbanden jetzt die leichten Verletzungen, so gut es gehen wollte, sich der auf den Charakter und die Sitte ihrer Gegner gegründeten Hoffnung hingebend, daß das Mißlingen des ersten Anlaufs ihnen für lange Zeit Ruhe schaffen würde, in der die Hilfe erscheinen konnte. Auch drüben unter dem über Schußweite entfernten Haufen der Verfolger war es still, man sah nur, wie sie Holz an verschiedenen Stellen zusammenschleppten, um Feuer ringsum anzuzünden, damit bei dem frühen Untergang des Mondes im Schatten der Nacht ihre Beute nicht entwischen, oder im blutigen Überfall ihnen unbemerkt nahen könne.

Der alte Beg, die treue Flinte zwischen den Beinen, saß auf einem Stein; das Mondlicht, durch eine der Öffnungen hereinbrechend, überstrahlte das narbenbedeckte wilde Antlitz. Der Hieb Fatinitzas war durch den dicken Bund des Turbans gebrochen worden und hatte nur schräg seine Stirn getroffen, von der unter der umgelegten Binde dicke Blutstropfen hervorquollen. Sein eines Auge, von dem überstandenen Kampfe entflammt, blitzte feurig umher ... »Bei den Gebeinen der heiligen Märtyrer von Ostrog, wir haben diese Hunde zurückgejagt, wie unsere Väter am Berge Perjnick Czarew Laz (des Kaisers Abhang), wo 1712 ein Heer von 50 000 Mann unter Achmed-Pascha von den Kriegern der schwarzen Berge fast gänzlich vernichtet wurde. den stolzen Seraskier jagten drei Sonnen lang. Die Wilas würden uns sicher zum Ziel verhelfen, wenn der böse Geist nicht das Weib unter sie geführt hätte mit dem schlimmen Blick. Mir ahnet Böses, Khan Hassan Lekitsch!« – »Ich spucke auf diese Weiber!« sagte der Moslem verächtlich. »Möge das Grab ihrer Mütter besudelt werden, sie haben einem Manne noch nie gutes gebracht. Es ist unser Schicksal, Beg.« – »Du irrst, Khan,« meinte der Glawre, »nur die Frauen mit dem bösen Blick bringen Unheil, die guten haben uns die Wilas zum Segen gegeben, und wir ehren die Mütter unserer Kinder ... Reiche mir das Horn, Zagartschane, das meine ist leer, und die Waffen müssen bereit sein.« – »Was meinst du, Vater?« – »Das Horn, das große Horn mit dem Pulver, das Bogdan dir gegeben, der es trug,« sagte der Alte ungeduldig. – »Um Gott! Bogdan hat mir nichts gegeben; ich habe das Horn nicht!«

Der Greis sprang empor. – »Das Horn! Das Horn!« rief er wild. »Unser Leben hängt von dem Pulver ab!« Alle suchten ängstlich umher und befragten sich gegenseitig ... das Stierhorn mit dem Pulvervorrat des Alten fehlte ... Bogdan, der es getragen, hatte in der Eile des Auseinandergehens vergessen, es mit der Flinte an Gabriel zu geben. Die Männer, die noch vor wenigen Minuten dem wilden Feinde kühn in das Weiße des Auges geschaut, sahen sich erbleichend an – es ist etwas Furchtbares selbst für den Tapfersten, in der Stunde der Gefahr sich der Waffe beraubt zu sehen ... »Wieviel Pulver haben wir noch?« – Man sah nach – zwei der Flinten, die Gabriels und Jowans, waren noch geladen, auch ein Pistol enthielt noch den Schuß – die Pulverflaschen des Griechen und des Moslems waren leer.

Der Beg stützte finster das Haupt in die Hand ... »Mein eigen Blut ist mein Verderben. Der greise Adler der schwarzen Berge hat die Krallen verloren. Er ist ein Kind in der Hand seiner Feinde!« Und wie antwortend hoch über ihnen klang ein Rabenschrei durch die Luft, und das Echo der Wälder trug ihn nieder ... Der Beg und Gabriel richteten sich empor, ihre Augen schienen das Dunkel durchbohren zu wollen, die Nerven ihres Gehörs gespannt, wie sie, dem Wilde gleich, das den Jäger wittert, durch die Nacht lauschten ... Und wieder – aber leiser und näher klang der Schrei des Raben.

Gabriel warf sich an die Brust des Freundes, der alte Primore Benennung aller serbischen Stämme der Küstenländer. schwang jubelnd die Flinte um das Haupt ... »Stephana! das ist Stephana – das treue Weib! sie haben unsere Not erraten; sie bringt uns das Pulver!« Da krachte in der Nähe ein Schuß – wildes Geschrei auf beiden Seiten – über die Berghalde flog eine weiße Gestalt in rasendem Lauf nach den Schatten des Turmes zu – an dem Eingange harrten die Freunde und rissen mit blutenden Fingern Balken und Steine zur Seite ... »Stephana!« – »Gabriel!« – Aber aus den Schatten rings umher, gleich Gespenstern, tauchten die dunklen Gestalten der Albanesen auf allen Seiten empor, zwischen ihr und den rettenden Mauern, – ein wilder, verzweifelter Schrei; und in den rohen Armen der Männer wand sich die treue Czernagorzenfrau ... »Hinaus! Rettet mein Weib!« – Über die eigene Verschanzung empor kletterten die Verfolgten. Ihnen entgegen donnerte eine Salve der Türken – weit aus breitete der wackere Hassan Lekitsch die Arme und drehte sich rund um sich selbst, ehe er zu Boden stürzte ... »Kismet! – Lebt wohl, – Ihr Brüder – die Huris des Paradieses winken mir!« So starb er.

Der Beg riß Gabriel und den Griechen zurück ... »Ein Weib für fünf Männer – und ob es der eigene Samen ist, das Hochland bedarf seiner Krieger!« Er warf sich vor die Öffnung, die anderen zurückwehrend. Gabriel verhüllte das Gesicht, vor Schmerz wild aufstöhnend ... Stephana, das treue Weib, das den Freunden das zurückgelassene Pulver bringen wollte und das Dunkel des untergehenden Mondes abgelauert hatte, wurde auf den Armen der Moslems zurückgeschleppt zu den Füßen der Wölfin von Skadar. In ihrem Gewande fand man das Pulverhorn, das sie in die Hände der Feinde geliefert ... »Wer bist du, Weib?« – »Stephana Zagartschana, des Mannes Frau, den Ihr schmählich gefesselt hieltet in Skadar.« – »So bist du das Weib des Flüchtigen, der meinem Vater entronnen?« – »Du sagst es, blutige Bula Türkenfrau.. Der Mund einer Czernagorzenfrau redet nimmer Lüge.« – »Und dein Mann befindet sich in jenem Turm mit dem Schändlichen, dessen Verrat ihn befreit hat?« – »Geh' hin und frage selbst.« – »Spiele nicht mit der Wölfin von Skadar, Weib, denn wisse, dein Blut wird büßen für das, was jene getan. Keiner darf atmen, der sagen mag, er hätte Fatinitzas Schmach gesehen. Was wolltest du bei den Verlorenen?« – »Die Tochter des Iwo Martinowitsch, des großen Beg der Rietschka, fürchtet den Tod nicht. Sie gehört zum Gatten und Vater in der Stunde der Gefahr.«

Ein wilder Jubelruf brach im Kreise der Arnauten aus, als sie hörten, daß der berühmte Krieger des Hochlandes in ihrer Gewalt sei. Trotz der furchtbaren Lage, in der sie sich befand, schwellte Stolz die Brust der edlen Czernagorzenfrau, als sie diese Anerkennung für den Ruf ihres Vaters vernahm. Einer der Albanesen zeigte das Pulverhorn, das man bei der Gefangenen gefunden ... »Bei dem Propheten, Herrin! ich glaube, daß diese Tochter eines Hundes den Männern Pulver bringen sollte, woran es den unreinen Tieren von jeher gefehlt hat. Allah allein weiß es.« – »Geht und schaut in die Mündung der Flinten meiner Tapferen, sie werden euch Antwort geben,« entgegnete die Czernagorzin kühn. »Aber eilt euch, denn die Söhne der schwarzen Berge nahen, um ihren großen Beg zu suchen, und hörten seinen Ruf nach den Kriegern.«

Die finstere Falte zwischen den Brauen des Türkenmädchens zog sich dunkler und drohender ... »Dann ist es Zeit, daß dein Schicksal erfüllet werde. Bindet das Weib!« – Mehrere Arnauten warfen sich auf die Unglückliche und schnürten ihr die Arme zusammen ... »Mein Pferd!« – Der Schimmel stampfte unter dem Druck von Fatinitzas Schenkeln. Am Sattel sprang lechzend der Wolf in die Höhe ... »Zu den Waffen, Tapfere von Skadar! Nehmt die Brände, daß sie leuchten zu dem Fest, das wir den schwarzen Hunden bereiten wollen, auf daß man erzählen möge von Fatinitzas Rache, so lange die schwarzen Berge stehen. Bringt das Weib!«

Fatinitza voran, nahte sich der Zug der Kula, aus der vier Männer ihm bleich und finster entgegenstarrten. Etwa sechzig bis siebenzig Schritte von dem Turm entfernt stand ein junger, weitästiger Kastanienbaum. Vor ihm befahl die Türkin die mitgebrachten Brände zusammenzuwerfen, daß die Flammen hoch aufloderten und einen weiten Lichtschein umherwarfen, in denen den Männern im Turme keine Einzelheit der furchtbaren Szene entgehen konnte ... »Schnürt sie an den Baum, das Antlitz den Rebellen zu!« – Der Befehl ward vollzogen ... »Reißt ihr die Kleider ab, – geschändet soll sie vor euch stehen! – Wie ich vor jenen!« setzte die zuckende Lippe leise hinzu.

»Barmherzigkeit, du bist ein Weib!« Es war die einzige Bitte, die dem Munde der unglücklichen Frau sich entwand ... Barmherzigkeit? – Bei dem Löwen der Wüste, bei dem Tiger der Dschungeln suche Barmherzigkeit, nicht bei den Männern Albaniens! Gleich Bestien warfen sie sich auf die Czernagorzin und rissen und schnitten die Gewänder herunter, daß der keusche Leib unverhüllt vor den rohen, höhnenden Blicken der Männer stand. Die Wölfin von Skadar führte das Pferd bis dicht zu der entehrten, unglücklichen Frau und schaute mit finsterem Blick auf sie nieder. Dann streckte sie drohend die Hand nach der Kula ... Da blitzte und krachte ein Schuß aus dem dunklen Gemäuer. – – –

In der Kula standen die Männer starren Auges, den Blick unverwandt auf den herankommenden Zug gerichtet, die Faust um die treue Flinte geklammert, als wollten die Finger sich in das Eisen krampfen. Nur das tiefe Stöhnen des unglücklichen Gatten unterbrach die unheimliche Stille ... »Das Pulver! Das Pulver!« murmelte der Greis vor sich hin ... Man sah Stephana an den Baum schnüren; die Flamme zu ihren Füßen ließ deutlich jeden ihrer Züge erkennen, fast den Strahl ihres Auges, wie er Hilfe suchte bei den nahen Freunden. Jetzt warfen sich die Arnauten auf ihr Opfer ... »Sie morden sie – hinaus, ihr zu Hilfe!« raste der Zagartschane; doch nochmals riß die Hand des Greises ihn zurück ... »Noch nicht – sie schänden nur das Blut der Martinowitsch.« Seine Stimme war hohl, fast klanglos.

Gabriel taumelte ... »Verdammnis über den Teufel in Weibergestalt! Fahre zur Hölle!« Seine Flinte lag an der Wange, der Schuß knallte, doch noch schneller als sein Finger war die Hand des Griechen, der den Lauf in die Höhe schlug ... »Halt ein, du tötest sie!« – Die Kugel schrillte hoch durch die Luft ... War es Stephana, war es Fatinitza, die Nikolas Grivas mit den Worten und der Tat meinte, – nur Gott weiß es!

»Fluch dir, und ihr Blut über dich! Zerrissen sei das Band des unsern!« ... Gabriel warf die Flinte zu Boden und wandte sich mit einer Gebärde der Verachtung von dem bisherigen Freunde ... Nur ein Schuß noch blieb in der Hand der Verfolgten. Der alte Beg streckte die Hand nach der Flinte aus, die Jowan hielt: »Gib!«

*

Die Arnauten waren auseinandergestoben bei dem Schuß der waffenlos Geglaubten. Nur Fatinitza hielt stand mit eherner Ruhe ... »Seit wann haben die Tapferen von Skadar Furcht vor dem Blei der schwarzen Hunde? ... Hierher, Abdallah!« – Der Mohr, den sie gerufen, nahte dem Pferde. Er fletschte in teuflischer Bosheit die tierischen Zähne, indem er langsam das Messer aus seinem Gürtel zog und zu der Gefesselten trat, deren Auge zum Himmel erhoben war ... »Dschidelim! Eile Dich! ...« Ein wilder Schmerzensschrei rang sich trotz der heldenmütigen Entschlossenheit von den Lippen der Ärmsten – –

»Vater! – Sie martern mein Weib zu Tode!« Der Alte schauerte. Sein Auge starrte wie in einer Vision, die seinen Geist zu umnachten begann ... »Die Engel im Himmel werden dem Blute Iwos beistehen in seinem Märtyrertum.« – »Es ist ein Weib ... laß mich hinaus, Vater!« – »Zurück, Knabe, und vernimm das Totenlied der Martinowitsch!« Und mit lauter, eintöniger Stimme begann der Greis das Heldenlied: Sve Oslobod. –

*

»Giftige Nattern säugte der Busen des Czernagorzenweibes, so möge er weiter die Bestien der Wildnis nähren! Drauf, Scheitan!« Der schwarze Henker warf das blutrauchende Fleisch der abgeschnittenen Brust dem blutlechzenden Wolfe hin und senkte mit teuflischem Vergnügen das Messer zum zweiten Male in den Leib der Märtyrerin ... »Vater! Gabriel! Um der ewigen Barmherzigkeit willen den Tod!« Und wieder krachte ein Schuß, – der letzte der Czernagorzen – aber diesmal taumelte der schwarze Mörder zu Boden, und das Haupt der Gemarterten sank auf die Schulter nieder – im Tode brechend dankte ihr Auge hinüber nach der Kula: Dieselbe Kugel hatte Henker und Opfer durchbohrt! –

Auf das Bollwerk des Turmzuganges sprang die riesige Gestalt des einäugigen Greises, wahnwitzig schwang seine Hand die noch rauchende Flinte um das Haupt ... »Hierher! Blutige Mörder von Skadar! Hierher! Feige Söhne des falschen Propheten! Die Männer der schwarzen Berge rufen nach euch!« Und Fatinitza warf ihr Roß gegen die Kula ... »Zum Kampf! Allah il Allah! Zum Kampf!«

Von allen Seiten klang das furchtbare Angriffsgeschrei, und die Schar stürmte gegen die kleine Heldenzahl. Schüsse knallten, Waffen blitzten, Stöhnen der Wut und des Schmerzes, über die Steine und Balken klommen die Albanesen; hinein ins dichteste Gewühl stürzte sich der Zagartschane – wie sein Schatten hinter ihm drein Nikolas Grivas, während am Eingang des Turmes der grimmige Beg und Jowan Martinowitsch den Helden- und Todeskampf kämpften und, von unzähligen Wunden durchbohrt, sterbend noch mit dem Blick voll unauslöschlichen Hasses den siegenden Feind bedrohten. Zweimal hatte Grivas sich vor den zürnenden Freund geworfen und den Todesstreich von ihm abgewehrt, jedesmal wandte sich der Zagartschane nach einer anderen Seite, beide die Mörderin zu erreichen strebend. Mit wildem Jubel schwangen die Albanesen schon in ihrem Rücken das abgeschnittene Haupt des Beg auf einer Flintenspitze, unwillkürlich wich das trotzige Weib vor den wütenden Rächern zurück, den Zügel des Rosses anziehend; an Grivas' Hals warf sich die Wölfin, aber ein Handjarstoß zerschnitt ihr den blutigen Rachen und die Kehle, – da durchbohrte aus nächster Nähe ein Schuß die Brust Gabriels, daß ein dunkler Blutstrom mit dem Atemzug aus seinem Munde quoll ... Über dem Stürzenden schwang Nikolas den blitzenden Stahl: »Diesmal, Blutbruder, löse ich den Eid!« und sein Hieb spaltete den Schädel eines Arnauten, der sich auf den sterbenden Freund warf ... »Lebendig, lebendig fangt ihn!« kreischte die Stimme Fatinitzas, und ihre Gebärde jagte die Zaudernden dem Kämpfer entgegen.

Da krachten neue Schüsse in geringer Entfernung. Durch die Nebel des Morgengrauens brachen von der Bergseite her dunkle Gestalten, – die Czernagorzen, die Junaks der Rietschka Nahia, – eine kräftige, militärische Figur im grauen russischen Capot in ihrer Mitte erteilte Befehle – Oberst Berger, den Bogdan in der nächsten Gemeinde mit mehreren Begleitern umherstreifend gefunden ... »Vater Iwo! Gabriel! die Kinder der schwarzen Berge kommen!« tönte ermutigend die Stimme des Jünglings durch das Kampfgewühl und das wüste Geschrei der von allen Seiten flüchtenden Albanesen ... Zu spät! Ein schwerer Kolbenschlag traf von hinten des Griechen Haupt und warf ihn, aus zehn Wunden blutend, zu Boden über den toten Freund ... Das Blut der beiden Blutbrüder vermischte sich – der heilige Eid war gesühnt – sein brechendes Auge traf die Mörderin ... »Das Kreuz! Das Kreuz! – Gabriel – Vater – Stephana, wo seid ihr?«

Die Wölfin von Skadar sprang vom Roß. Mit übermenschlicher Kraft hob sie den blutenden Körper quer auf den Sattelknopf des Pferdes und schwang sich wieder hinauf. Im Druck der spitzen Steigbügel hob sich der Renner mit der doppelten Last zum Sprunge, und seine Hufe warfen die Flüchtenden zur Seite. Weit aus griff der Schimmel. Von den Schüssen der Czernagorzen umdonnert, den blutigen Körper des seiner Liebe Verfallenen auf Sattel und Arm, sprengte das Türkenmädchen durch den Pulverdampf. In den wallenden Nebeln des Morgenlichts verschwand der flatternde Mantel ... Hinter ihr aber hielt der Tod seine reiche, rächende Ernte!


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