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Sechzehntes Kapitel

Bald nach der Heimkehr der Fähringer-Toni aus der Hauptstadt ein Auftrag an das Bezirksgericht, es solle Tatbestand erhoben werden, ob ein Mädchen, namens Minnele Büchler, in der jüngsten Zeit aus der Hauptstadt in ihr Heimatdorf zurückgekehrt sei; in diesem Falle nun sein das genannte Mädchen zu genauen und allen Aussagen zu bewegen, welche es über seine Erlebnisse in der Hauptstadt, von seiner Ankunft bis zu seiner Abreise, namentlich über sein Leben im Hause einer gewissen Baronin von Seltern zu machen habe.

Um das Gericht im Allgemeinen auf die Wichtigkeit des Gegenstandes und auf den Nachdruck aufmerksam zu machen, welchen die Behörde der Hauptstadt auf die Untersuchung der Sache lege, wurde mitgeteilt, dass hier, abgesehen von den gewöhnlichen Verlockungen zu üblem Lebenswandel noch besonders der Fall eines frechen Missbrauches der Gesetzte und kirchlicher Handlungen vorliege.

Bei den vielen Vorfällen ähnlicher Art in der Hauptstadt sei es das ernste Bestreben der Behörde, einmal ein abschreckendes Exempel zu statuieren und hierzu solle der vorliegende Prozess die Gelegenheit geben.

Hierauf ging der amtliche Bericht auf eine kurze Erzählung der bekannt gewordenen Erlebnisse Minneles im Hause der Baronin ein, woraus ersichtlich wurde, dass die Behörde der Hauptstadt bereits umfassende Geständnisse von den eingezogenen Personen erhalten habe; unter den Personen, welche bei diesem Prozesse endlich ihre Sünden auf den Markt zu tragen hatten, fanden sich, außer den Häuptern, Seine Exzellenz und der Frau Baronin, auch der Advokatenschreiber, als Priester, und der Chef desselben, der Anwalt nebst Frau Gemahlin, ferner der Doktor mit der »weithinschattenden« Todeslanze, auch der blaue Kammerdiener als Zwilling in einer Person; natürlich fehlten auch die Baroness Eleonora, einst Mamsel Nähmädchen, die viel französische Romane gelesen – und Sabinchen, das Zöfchen »mit Pantalons und Sporen« nicht.

Da Minnele im Fieber lag und zu einer Aussage nicht veranlasst werden konnte, so begab sich Justus Erdlein, als vollwichtiger Augen- und Ohrenzeuge zum Bezirksgericht und gab treu und wahrhaftig zu Protokoll, was er wusste.

Mit dieser Aussage begnügte sich die heimatliche Behörde und sendete dieselbe nach der Hauptstadt ein, wo der Prozess indessen einen sehr erfolgreichen Fortgang hatte, da namentlich die Hauptpersonen sich durch treffliche Behandlung zu bestimmten Eröffnungen hatten bringen lassen.

Was uns von letzteren Personen und Aussagen noch einiger Maßen interessieren kann, sei hier flüchtig aufgenommen.

Von Seiner Exzellenz, dem Grafen von Severin, hatten die Protokolle in Kürze festgesetzt, dass er, von Jugend auf im Besitze ungeheurer Reichtümer, frühzeitig angefangen habe, die Macht seiner großen Mittel zu einem raffinierten Leben zu missbrauchen, so dass seine wachsende Leidenschaft der öffentlichen Sicherheit gefährlich wurde. Viele Fälle wurden angeführt zum Beweise, wie dringend nötig es sei, einer so gefährlich verirrten Natur endlich Zaum und Zügel anzulegen.

In Bezug auf das Verhältnis zu Minnele Büchler enthielten die Protokolle außer dem Bekannten nur noch das als bemerkenswert, wie Seine Exzellenz von dem ersten zufälligen Augenblicke an, wo er das schöne Kind auf der Landstraße erblickt und gesprochen, seine Netze auszuwerfen anfing, um desselben habhaft zu werden.

Seine Exzellenz war nämlich nicht sobald in der Hauptstadt angekommen, als er seinen Kutscher, der Schön-Minnele während der Reise auch gesehen, zum Wachposten an jenes Tor der Hauptstadt bestimmte, durch welches Minnele und der übrige Trupp am folgenden Tage einwandern mussten.

Der Kutscher hatte den Auftrag, dem schönen Kinde ohne Aufsehen bis zum Nachtquartier zu folgen und dann sofort seinem Herrn Bericht zu erstatten. Zugleich waren schon in dem von Blaumeisle bezeichneten Arbeiterquartiere Leute bestellt, die sich über Minneles nächste Absichten und Wege in der Stadt nach ihrer Ankunft unterrichten sollten.

Da nun aber Minnele indessen durch die Verschwörung der Toni Fähringer von den übrigen getrennt worden war, entstand Bestürzung und Verwirrung; die »Baronin von Seltern« war es, welche auf den Einfall kam, einen Versuch bei Antonia Barbara Eulalia Zeltl, der Dienstzubringerin, zu machen, um Schön-Minnele aufzufinden, was denn auch gelang.

Mehr und Seltsameres sollte die Untersuchung über die Person und über die Verhältnisse der »Baronin von Seltern« zu Tage bringen; hierbei wollen wir uns nur erlauben, zu dem Berichte der Behörden noch manches hinzuzufügen, was außer strafrechtlichem noch ein, unserer Geschichte ergänzendes Interesse hat.

Über die Baronin von Seltern stellte sich fest, dass sie fürs Erste weder eine geborene noch eine gewordene Baronin von Seltern sei.

Ihr Name sei ganz einfach bürgerlicher Art, und ihre Abstammung schreibe sich von sehr armen, aber ehrbaren Eltern her, welche ihr Leben durch Taglöhnerarbeit in einer Provinzstadt gefristet. Hermine war von vielen Geschwistern allein am Leben geblieben und hatte zur Freude der Eltern und zum Staunen ihrer Lehrer ein ausgezeichnetes Talent in jeder Beziehung frühzeitig entwickelt. Als sie eines Abends der Theatervorstellung einer wandernden Truppe in ihrer heimatlichen Provinzstadt beiwohnte, da erwachte in ihrem Herzen ein fanatischer Drang für das Leben der Bühne, in Folge dessen sie den Eltern mit kaum sechzehn Jahren entfloh, bei einem stehenden Theater unentgeltlichen Unterricht in der Schauspielkunst, und nach Verlauf von einigen Jahren wurde sie zu den besten tragischen Schauspielerinnen gezählt. Zwei folgende Jahre lang war sie nun der Stolz und der Schmuck eines bedeutenden Theaters und vollendete sich hier in ihrer Kunst. Aber in demselben Maße als ihr Genie die Freude und Bewunderung des Publikums wurde, fing ihr Charakter an, ins Große zu entarten, so dass sie endlich mit Gewalt aus der Stadt geschafft werden musste. Ihr Schauspielergenie und ihr Charakter schlossen von jetzt an einen Bund, um ein gottloses Spiel mit Personen und Verhältnissen des Lebens zu beginnen. Dazu gehörte aber ein großer Schauplatz, und den gewährte ihr die Bühne des Lebens in der Hauptstadt.

Dahin zog sie denn.

Schon als Schauspielerin eine Freundin des Grafen von Severin, schloss sie sich nun an diesen und an dessen furchtbare Millionen inniger an, wodurch jene Vereinigung entstand, welche den biblischen Fall von Engeln um eine ansehnliche Zahl neuer Opfer vermehrte.

Aber einige Jahre fein und vorsichtig genug, wussten diese beiden ihr Werk des Teufels den Gesetzen gegenüber so unerreichbar zu führen, dass ihnen höchstens mit Verwarnungen und kleinen Geldbußen beizukommen war.

Indessen gehört es zu den Eigentümlichkeiten des Lasters, dass es bei dauerndem Glück und zunehmender Frechheit unvermerkt auch alt und lässig zu werden beginnt.

Neben der wachsenden Kühnheit der sogenannten Baronin von Seltern ging zuletzt ihre Unvorsichtigkeit, ja ihr genialer Leichtsinn Hand in Hand, und ihr größter Feind wurde endlich – eine widerwärtige Trunksucht.

Nun war es fein und eigentümlich genug, wie der Untersuchungsrichter gleich nach der Gefangennahme diese Schwäche an dem sonst so genialen Weibe zu benützen verstand, um dessen Geheimnisse mit seltener Unverholenheit zu erfahren.

Nachdem man sie nämlich einen Tag und eine Nacht außer aller Bequemlichkeit, in einem düsteren Winkel mit kahlen Wänden, bei schlechter Kost und bloßem Wasser zum Trinken belassen hatte, kündigte man ihr einfach an, der Graf und die übrigen Delinquenten hätten alle ihre Vergehen haarklein erzählt, sie würde durch Leugnen daher ihre Sache nicht besser, wohl aber schlimmer machen; jedenfalls, solange sie nichts gestehe, werde ihre Untersuchungshaft in dieser unangenehmen Weise fortdauern müssen wie sie angefangen.

»Altes Juristengewäsch – packt euch und lasst mich dann, wo ich bin«, rief die Baronin aufspringend, und ging mit großen Schritten auf und nieder.

Man erzählte ihr nun, was man von der Vermählung Schön-Minneles mit dem Grafen und von der Vermittlerrolle, welche sie dabei gespielt habe, wusste; daraus musste sie nun ersehen, dass ihr Leugnen in der Tat ohne Zweck und ohne Erfolg sein müsse. Man sagte ihr fast Wort für Wort, was die Baronin im Kabinetchen über dem Ballsaal mit Seiner Exzellenz verhandelt, was sie mit dem Doktor, mit dem Anwalt, mit dem verkappten Priester abgemacht – und was sie in der letzten Nach in der Laube dem Grafen für Zwangratschläge gegeben habe, um Minnele zu verderben – es half nichts, sie musste sich den Gesetzen gegenüber verloren sehen.

Nach diesen Mitteilungen fragte man sie nicht weiter, was sie tun oder was sie lassen wolle, sondern ging und ließ sie abermals einen Tag und eine Nacht in ihrer großen Unbehaglichkeit über ihre Lage nachsinnen.

Nach Ablauf dieser Frist fragte der Untersuchungsrichter wieder an, ob sie nun vielleicht gesonnen sei, irgendwelche Eröffnungen zu machen. Diese Eröffnungen wären zwar, fuhr er fort, zu einem gerechten Abschlusse des Prozesses nicht unumgänglich nötig, da man Aussagen und Beweise genug in Händen habe – aber wünschenswert hielte man es doch, aus der Frau Baronin Munde eine Art – Beleuchtung der Angelegenheit zu erhalten. Wolle die »Frau Baronin« nun zu dieser Beleuchtung der Sache sich die Mühe nehmen, so stünde eine komfortable Wohnung für die Zeit der Mitteilung bereit, und es verstünde sich von selbst – dass man Sorge tragen würde, der Frau Baronin ihren Vortrag bestens zu erleichtern und ihr diejenigen Genüsse der Herz- und Seelenstärkung dabei zu verabreichen, welche ihrer bisherigen Lebensweise entsprächen.

Die Baronin ging während dieses Antrags mit großen Schritten auf und ab, schoss nur dann und wann einen verächtlichen Blick auf ihren pfiffigen Richter, blieb dann vor ihm stehen, fuhr ihm lächelnd mit den Spitzen ihres Schnupftuches über das Gesicht, lachte laut auf und endlich so gewaltig, dass ihr ganzer Körper schütterte; auf einmal hieb sie mit dem Schnupftuche heftig durch die Luft, stand da wie aus Marmor gehauen und starrte den Richter mit durchbohrenden Blicken an.

»Wenn Sie ein Mann von Wort sind – wenn Sie mir, sei es auf meine eigenen Kosten, noch eine Zeit lang mein gewohntes Behagen verschaffen – ja, mein Herr, so will ich Ihnen nicht nur sagen, was Sie wissen wollen, sondern auch noch zum Besten geben, was Sie nicht vermuten. Um Sie übrigens in diesem Falle über die Glaubwürdigkeit meiner Aussagen im Voraus zu beruhigen, will ich Ihnen nur gestehen, dass ich an meinem Sturze nicht zweifle und – mich am Schlusse meiner Laufbahn freue, noch eine Gelegenheit zu haben, mein Leben zu beleuchten.«

Nach diesen Worten wendete sie sich hinweg.

Aber sie besann sich alsbald wieder und fuhr fort:

»Was nun aber Ihre Feinheit, mich bei einer Schwäche zu fassen, anbelangt, Herr Richter, so verachte ich sie als ein ganz ordinäres Gewächs von juridischer Klugheit und kann nur sagen, dass solche Pfiffe in meinem Gehirne wild wie Wegerich wachsen.«

Sie schritt vom Richter hinweg und schien sich vor der Hand gehörig expektoriert zu haben.

Der Richter legte die von Ihrer Herrlichkeit eben empfangene Nase ruhig auf den Altar seiner Amtspflicht nieder und opferte sie zum allgemeinen Besten ohne Anspruch auf Schadenersatz.

Mit rühmlicher Fassung fragte er nur noch, wann die Frau Baronin in ihrem eigenen Wagen nach der bereitstehenden Wohnung zu fahren wünsche.

»Je eher, je lieber«, erwiderte sie, auf und ab gehend.

»Gut. Der Wagen wird in einer Stunde vor dem Hause stehen – haben Sie noch etwas zu bemerken?«

Die Baronin blieb stehen und erwiderte kurz angebunden:

»Allerdings. Es werde mir von meiner Wäsche das Feinste und von meinen Kleidern das Kostbarste hierher gebracht, denn ohne gewohnte Eleganz werde ich weder dieses Gefängnis verlassen noch irgendeine Eröffnung machen.«

Der Beamte ging, und nachdem sich die Baronin in den üppigsten Staat geworfen, setzte sie sich in ihren geschlossenen Wagen und fuhr, von dem Beamten des Gerichts begleitet, nach einer äußerst vornehm eingerichteten Wohnung.

Als die Baronin hier eintrat und die Seiden-Damastvorhänge mit Spitzengrund an den Fenstern, die Sofas, Fauteuils, Statuen und Teppiche erblicke, legte sie ihre rechte Hand aufs Herz, atmete tief auf und sagte:

»Jetzt vor allem einen Schluck Champagner, dass ich auch die staubige Erinnerung an diese jüngst so miserabel verlorenen Stunden meines Lebens wegschwemmen kann – ah, ich fange wieder an zu existieren!«

Man reichte ihr ein Glas Champagner, sie trank es, atmete, wie in allen Pulsen neu erquickt, auf, verlangte noch ein Glas, welches ihr mit dem Bemerken gereicht wurde, für jetzt müsse dies geringer Maß eingehalten werden.

Die Baronin erwiderte: »Gut«, trank das Blas bis auf den Grund aus und warf es mit leuchtenden Augen in einen Winkel des Zimmers.

»Da liegen die Scherben, sagt das venetianische Vieh von einem Prinzen im Fiesko«, rief die Baronin lachend, und setzte sich an einen Tisch in der Mitte des Zimmers, wo für eine Person gedeckt war.

»Das ist wohl für mich gedeckt«, fuhr sie fort, »darum mache ich auch meine Rechte ohne Zögern geltend.«

Der Beamte setzte sich ihr gegenüber und erwiderte:

»Die Karte neben Ihnen gewährt Ihnen Auswahl von Speisen und Getränken, welche um diese Stunde im besten Hotel der Straße zu haben sind.«

Die Baronin fing sofort mit großem Geschmack und reichlich zu wählen an, so dass zwei Diener viel zu holen und zu servieren hatten.

Bezüglich des Getränkes blieb sie beim Champagner, nur insofern eingeschränkt, als sie vor der Hand nur »für den Durst«, später, wenn die Eröffnungen gemacht wären, für das besondere Vergnügen trinken könne.

Als nun Hunger und Durst fürs Erste gestillt waren und die Baronin neu auflebend alle ihre Geister »zum Spielen« gebracht, stand sie auf und sagte lächelnd zu dem Beamten:

»Vor allem, mein Herr, muss ich mir erlauben, der weißköpfigen Gerechtigkeit das Haar hinter die Ohren streichen«, ging nach der Tiefe des Zimmers und zog zwei weiße Vorhänge zurück, welche ein Bett zu verbergen schienen. Zwei Schreiber, die an einem Tische saßen und die Federn schon eingetunkt hatten, um aufzuschreiben, was die Baronin aussagen würde, wurden sichtbar und blickten etwas verlegen drein.

»Dacht' ich's doch«, fuhr die Baronin fort, »sie würde hinter ihren weißen Seidenlocken zwei ordentliche Eselsohren beherbergen!«

Der Beamte winkte den Schreibern, die Beleidigung zu ignorieren und sagte ernst zu der Baronin:

»Sie werden wohl tun, ohne weiteren Zeitverlust und ohne Missbrauch einer dargebotenen Gunst nun zu sagen, was Sie uns zu eröffnen haben.«

Die Baronin setzte sich, begehrte dringend noch ein Glas Champagner, trank es und sagte:

»Hätten wir ein öffentliches Gerichtsverfahren, so wollte ich Euch und dem Publikum eine Rede halten, wie Euch allen noch keine ums Ohr geschlagen worden ist; so aber will ich mich begnügen (mit einem Blick auf eine etwas offene Nebentüre), eine Art Monolog vor einem kleine, aber ausgewählten Publikum zu halten.«

Und nun begann sie eine Darstellung ihres Lebens (ihre Herkunft, Krankheit, Eltern und früheste Verhältnisse erwähnte sie nicht) von ihrem ersten Auftreten auf dem Theater bis zur verhängnisvollen Nacht ihrer Gefangennahme – eine Darstellung, welche an Frische und Offenheit, aber auch an Reichhaltigkeit und Verruchtheit alles übertraf, was der Beamte sowohl – als eine Anzahl »höherer Zuhörer« im Nebenzimmer jemals gehört oder gelesen hatten.

Mit einem Namen- und Titelmörderischen Humore wählte sie unter Verhältnissen herum warf sie Geheimnisse aus dem kriminalistischen Schutt der jüngsten Vergangenheit empor, deckte sie wohlweislich verhüllte Abenteuer auf und zeigte sie kunstvoll versteckte Trümmer einer Kette, an welche gewisse Begebenheiten von zarter Natur durch alle Stände merkwürdig zusammenhingen.

Mancher Vierundzwanzigpfünder von Vorwurf spielte dabei erbarmungslos nach der etwas geöffneten Nebentüre und schlug sein schweres Geschoß »durch Latten ins Herz«, dass in Zeit von einer halben Stunde eine Anzahl »wohlansehnlicher Herren« im Nebenzimmer zerstreut in Fauteuils hingestreckt lagen, als wären sie zu Tode getroffen.

Das Verhältnis der Baronin zu Seiner Geister-Exzellenz wurde unter solchen Umständen zu einer Art geringfügiger Episode herabgedrückt, bei welcher sie sich nur beteiligte, um sich eines gewissen Einkommens für ihr Alter zu versichern; der Mann selbst, Graf von Severin, wurde abgetan wie ein larmoyanter, alter Schmachtlappen, dessen sentimentales Hinziehen der Geschichte mit Schön-Minnele schuld sei an der miserablen Komödie, welche man ihr und ihm und sonst noch einer Anzahl »braver« Leute – »Ehre« und »Freiheit« und vor allem leider »Genuss und Gehagen« rauben werde! ...

Als die Baronin zur großen Freude des entsetzten und verwirrten Beamten endlich ihre Eröffnungen in Bezug auf Minnele rund weg und ohne Rückhalt gemacht hatte, wollte sie aufspringen und mit höllischem Vergnügen die Häupter ihrer Opfer im Nebenzimmer zählen; allein da sprangen der Beamte und die Schreiber gleichzeitig von ihren Stühlen und verhinderten es.

Sie tröstete sich darüber und sagte nur, sich ruhig wieder setzend:

»Schon gut, schon gut; ich kenne ihre Gesichter, wie sie bei Champagner und Punsch aussehen; ich kann mir auch ihre Fratzen vorstellen, mit denen sie, wenn auch unangefochten, in den Spiegel ihrer Schurkenstreiche blicken ... Aber genug ... Ich bin fertig!«

Sie hielt ihr leeres Glas empor und verlangte jetzt so viel zu trinken, als ihr Behagen begehrte.

Man stellte ihr eine Flasche hin und gab ihr eine halbe Stunde Zeit, sie zu leeren.

»Das ist also vor der Hand die letzte schöne halbe Stunde meines Lebens. Nun denn – gut. Da ich einmal fallen musste, bin ich doch nicht ohne – Eklat gefallen!«

Sie trank mit gewohnter Übung ein Glas nach dem anderen und blieb eine lange Pause seltsam schweigend, indem sie düster grübelnd vor sich auf den Tisch hinstarrte.

Endlich richtete sie ihre großen, schwarzen Augen auf den Beamten und fragte:

»Was wird nun meine Strafe werden, mein Herr?«

Der Beamte zuckte mit den Schultern und erwiderte ausweichend: »Das wird nun erst zu bestimmen sein.«

Die Baronin schwieg und starrte vor sich hin; dann trank sie ein wenig von ihrem letzten vollen Champagnerglase und fragte wieder:

»Könnte ich nicht, meinethalben mit Hinterlassung alles Vermögens, des Landes auf ewige Zeiten verwiesen werden?«

Der Beamte schüttelte den Kopf und erwiderte: »Nein.«

Wieder eine Pause wie oben; wieder ein leichter Schluck und dann mit gast verstörter, grimmiger Miene die Frage:

»Wird in meinem Urteil das unaussprechlich elende Wort Zuchthaus vorkommen, mein Herr?«

Der Beamte schwieg eine Weile; dann sagte er:

»Es gibt auch Besserungsanstalten, der Name klingt feiner, Madame; indessen soll das noch nicht sagen, was in Ihrem Urteile stehen wird.«

Eine viel längere Pause; die Delinquentin wiegte sich unter tiefen, peinvollen inneren Kämpfen auf ihrem Stuhle und klammerte ihre Hände krampfhaft an den Rand des Tisches, als wolle sie sich durch keine Gewalt von der Stelle bringen lassen.

Endlich schien sie sich etwas zu fassen, sie löste die Finger vom Rande des Tisches, ergriff das letzte Glas, hob es empor, sah den aufsteigenden Perlen eine Weile zu und sagte hierauf:

»Ja, mein Herr ... Sie haben recht ... Wir wollen das, was kommen wird, noch nicht bestimmt benennen ... Begnügen wir uns mit dem Troste, dass noch fünf Minuten des reizenden Daseins unser sind, und ein Schluck, den ich nun über bittere Jahre versüßend will dahingleiten lassen!«

Sie stand auf, hob das Glas zum Munde und trank es langsam mit vor Bewegung zitternden Lippen aus; aber schnell wieder gefasst, stieß sie das leere Glas auf den Tisch und sagte:

»So ... meine Zeit ist um, und Sie wissen noch etwas mehr, als Sie wissen wollten, mein Herr ... Hätten Sie mir ein gewisses Fläschchen Gift nicht genommen, so wäre ich wahrscheinlich jetzt vergifte; hätten Sie mir einen gewissen Theaterdolch gelassen, so hätte ich mich wahrscheinlich erstochen; da ich aber alle anderen Todesarten verachte, so machen Sie jetzt mit mir, was Sie wollen ... Nur noch eines, mein Herr – wenn ich jetzt einen Wunsch äußern dürfte – so würde ich weder wünschen, so rein zu sein wie Eure Gerechtigkeit, noch so erhaben wie Eure Personen, die dem Gesetz entgehen, noch so reich wie Eure ungedeckten Säckel ... Ich würde mir wünschen«, und sie wendete sich von dem Beamten mit tiefer Erschütterung ab – »würde mir wünschen: – so rein zu sein, wie jenes Minnele Büchler, das ich zu verderben suchte – und so reich zu sein wie ihr Gemüt ... Wären alle Mädchen, deren Fall ich mit verschulden half, wie dieses Minnle rein und herrlich gewesen, ich hätte nicht sie vom Wege der Tugend abgeführt, sondern sie hätten wahrscheinlich mich wieder auf den Weg der Tugend zurückgebracht ... Darum, mein Herr, wenn Sie Töchter haben, lehren Sie sie eine Tugend, welche nicht entschuldigend von der unwiderstehlichen Gewalt böser Umstände frühzeitig reden lernt; keine Gewalt ist mächtiger über unser Herz, wen wir selber die Macht über dasselbe nicht schon verloren haben! ...«


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