Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Siebentes Kapitel

Champagnerräusche verfliegen leicht wieder, sagen Männer vom Fach; nun, da es immer hübsch ist, gewisse Ansichten durch Beispiele aus dem Leben bestätigen zu sehen, so gestehen wir auch gerne, dass die Baronin und Eleonora sich erstaunlich bald des Champagneräffchens entledigt hatten und ziemlich wohl aus ihrem melodienreichen Schlummern erwachten.

»Wo ist Minnele?« fragte die Baronin, noch etwas stier herum sehend, als ihr Bewusstsein die schwarze Binde des Schlafes von den Augen hatte.

»Nicht da – nicht dort – vielleicht auf ihrem Zimmer«, erwiderte die Baroness, nicht weniger ungewiss herumblickend.

»Ah!« fuhr die Baronin fort. »Ist hier des Guten zu viel geschehen? Sind wir lustig gewesen, Eleonora?«

»Sehr lustig, sehr lustig; wir sind unter der Last der Freude erlegen«, erwiderte Eleonora.

»Und Minnele?«

»Die wird ihr Äffchen schön säuberlich in ihr Zimmer verschleppt und an einen süßen Traum verhandelt haben.«

»Ha, ha, ha! So wäre ihr das erste Rippchen gebrochen. Sie hat einen schönen ersten Fall zu bereuen.«

»Betrunken ist sie gewesen, das habe ich gesehen«, fuhr die Baroness nach einer Pause leise fort, wie denn überhaupt diese Unterredung vorsichtig geführt wurde.

»Betrunken? Das will ich meinen. Ich habe sie sie eine Mohnblume im Winde wanken sehen.«

»Ich glaube ihr öfter zugerufen zu haben, sich besser an den Stuhl zu halten, denn es wäre ärgerlich genug, Seiner Exzellenz eine rote Stirn oder blaue Nase zu präsentieren.«

»Gut, gut. Aber, Eleonora, – der Champagner hätte eigentlich etwas bezwecken sollen – nicht bloß ein Räuschchen, Eleonora, – der Champagner hätte uns eigentlich nur in die Hitze und nicht zugleich in Betäubung versetzen sollen – alle Wetter! Jetzt besinne ich mich wieder – und wenn wir erst recht im Freudenfeuer waren, wollte Seine Exzellenz einen coup d'amour ausführen, wollte wie ein Bräutigam im Junggesellenstaate hier erscheinen, zum ersten Male Minneles grüne Seite kultivieren und« –

Sie stand plötzlich unruhig von ihrem Stuhle auf –

»Nun, ich glaube, es ist uns zum ersten Male eine Szene in unserem Intrigenstücke misslungen, oder wie wir zu meiner Zeit auf dem Theater zu sagen pflegten, geplatzt – nicht dass ich an Minneles Trunkenheit zweifelte – aber, Eleonora – Seine Exzellenz wird um zehn Jahre gealtert haben, dass er seine einstudierte Liebezeremonie nicht loswerden konnte!«

»Das ist schlimm. Wir müssen schwere Vorwürfe erwarten.«

»Die wir mit Anstand abschlagen werden«, erwiderte die Baronin, wieder gefasst und fest entschlossen.

Einen Blick auf den Tisch werfend, fuhr sie fort:

»Ich möchte aber nur wissen, ob uns jemand im Zustand unseres Mittagschläfchens gesehen hat? Wahrscheinlich hat man uns nicht stören wollen, sonst wären die Reste des Tisches entfernt; indessen soll mir das sogleich geschehen.«

Die Baronin läutete; bald darauf klopfte eine Aufwärterin des Hotels an die Türe; die Baronin rief: »Herein!« Aber weil die Türe abgeschlossen war, so musste wieder geklopft werden.

»Was ist denn das?« sagte die Baronin, verwundert auf die Türe losgehend und sie öffnend – »Eleonora, hast du oder habe ich die Türe abgeschlossen?«

»Ich kann mich nicht entsinnen«, erwiderte die Baroness, »aber ich glaube fest, ich habe geschlossen, als ich Minnele so entsetzlich auf ihrem Stuhle wanken sah«, fügte sie leise hinzu.

Mit der Aufwärterin trat beinahe zur gleichen Zeit der blaue Kammerdiener herein und überbrachte ein Billet seines Herrn.

Die Baronin empfing es mit hohem Anstande und winkte dem Überbringer, dass er wieder gehen könne.

»Ich werde meine Antwort, wenn eine nötig sein sollte, später Seiner Exzellenz hinüber senden«, sagte sie.

Der Kammerdiener entfernte sich.

»Diese Flasche Champagner nebst drei Gläsern stelle sie mir in das anstoßende Zimmer«, sagte die Baronin zur Aufwärterin und winkte gleich darauf der Baroness, ihr in der Richtung der hinausgetragenen Champagnerflasche zu folgen.

»Nun, Eleonora«, sagte sie im anstoßenden Zimmer, »hier hätte ich also die Depesche Seiner Exzellenz, wir wollen sehen, welchen Zorn des Herrn wir verschlafen haben!«

Sie öffnete das Billet, las es ohne Furcht und Zittern von Anfang bis zum Ende durch, worauf sie rief:

»Dass doch alle Donnerwetter! ... Eleonora, weißt Du eine große Neuigkeit? ... Wir beide sind betrunken gewesen – und Minnele ist dabei klar und nüchtern geblieben wie ein Glas Bergwasser; das schreibt mir Seine Exzellenz im höflichsten Ingrimm und mit der wütendsten Artigkeit: Der blaue Schelm, der Kammerdiener, ist bald nach Tische hier gewesen und ha seinem Herrn alles hinterbracht ... Hm, Minnele nüchtern gewesen, nüchtern ... Ich habe sie trinken und wanken gesehen, habe sie höchst wunderliche Lieder trillern gehört ... Hm. Es kann aber doch anders sein; das blaue Musterantlitz drüben hat wahrscheinlich besser gesehen ... Jetzt ist mir das Geheimnis der verschlossenen Türe erklärlich. Als der Blaue kam, war sie noch offen, als er fort war, hat Minnele – das klare, nüchterne Bergwässerlein – wahrscheinlich zugeschlossen, damit uns kein weiterer Zeuge überrasche. Solcher Zartheit ist das Wesen fähig; ja wahrhaftig! Ihre Engelsnatur nicht bezweifelnd, will ich ihr gerne diese kleine Tugend auch noch zugestehen.«

In diesem Augenblick unterbrach ein Schreckensruf aus Minneles Zimmer die Unterredung.

Man eilte hinüber und fand Minnele auf dem Sofa liegend und ihre Augen mit beiden Händen bedeckend.

»Was gibt es? Was ist Dir begegnet, Minnele?« fragte die Baronin.

Auch die Baroness wiederholte die Frage im Tone der Besorgnis.

Minnele brach in Tränen aus und fasste sich nach einer Weile erst so weit, dass sie gestehen konnte, was sie so im Tiefsten erschreckt und erschüttert habe.

Sie hatte sich vor einiger Zeit an das Fenster ihres Zimmers gesetzt und las, um sich zu zerstreuen, in einem Buche, welches ihr die Baronin mitgegeben hatte – die Geheimnisse von Paris grassierten gerade, und Minnele sollte nun auch in das Geheimnis dieser Geheimnisse eingeweiht werden – als ein Geräusch auf der Straße Minnele plötzlich im Lesen störte; aber indem sie nachsehen wollte, was das Geräusch bedeute, fielen ihre Blicke zufällig auf ein Fenster »zur Kaiserkrone« und entdeckten – das starre, hagere, marmorblasse Gesicht Seiner Exzellenz des Geister-Gouverneurs, wie es durch die wohlbekannte, goldene Lorgnette unverwandt herüber sah und Minnele betrachtete.

Der Anblick dieses Gesichtes, an und für sich schon peinlich genug, wurde für Minnele geradezu schreckhaft bei dem Gedanken, dass der Graf von Guttenhof und die Geister-Exzellenz eine und dieselbe Person sein könnten.

Nachdem nun die Baronin wiederholt gefragt, und Minnele sich etwas erholt hatte, erzählte Letztere, dass sie Seine Exzellenz schon zu wiederholten Malen gesehen habe und unter welchen Umständen; Minnele konnte und wollte dabei nicht verhehlen, dass etwas in diesem Gesichte liege, welches ihr vom ersten Augenblicke Schauder erweckt habe, dass sie bitten müsse, sie niemals in die Nähe dieses Mannes zu bringen, wenn sie nicht augenblicklich in ein hitziges Fieber verfallen solle.

Sie könne nichts dafür, fügte sie mit klagender Stimme hinzu, sie wisse wohl, einem braven Manne geschehe hier ein großes Unrecht, aber wofür man nicht könne, daran sei man auch nicht schuld!

Die Baronin und die Baroness sahen einander sehr betroffen an und fanden nicht sobald ein Wort der Erwiderung; darum fuhr Minnele fort und sagte:

»In unserer Dorfkirche stellt das Altarbild den heiligen Michael dar, wie er einem Ungetüm von Drachen seine Lanze in den Rachen stößt; – verzeihen Sie mir, Frau Baronin, den Vergleich, aber der Drache hat für seinen eigenen Kopf den Kopf eines hageren, langen, gelbbraunen Teufels – und diesem Gesichte, meine ich wahrhaft, sehe das Gesicht Seiner Exzellenz zum Sprechen ähnlich.«

Nun hatte die Baronin die Krisis ihres Erstaunens überstanden, nahm Minnele freundlich an der Hand und sagte lächelnd und vollkommen ruhig:

»Tröste Dich, mein Kind; hätte ich gleich anfangs gewusst, um was es sich eigentlich handle, so hättest Du in dieser schmerzlichen Spannung nicht so lange verharren dürfen. Tröste Dich, das Gesicht, welches Dich soeben erschreckt, gehört nicht Seiner Exzellenz, dem Grafen von Guttenhof, sondern einem gewissen Baron von Sachinardi, der eben bei dem Grafen auf Besuch ist.«

Mit dieser äußerst schlicht und bieder ausgesprochenen Haupt- und Staatslüge, half sich die Baronin über die Schwierigkeit ihrer Situation und Minnele über die große Pein eines Gedankens hinweg.

Minneles Geständnis war aber für die Baronin wichtig genug gewesen.

Sie sagte jetzt noch einige tröstliche Worte zu dem zitternden Kinde, befahl dann Eleonoren, eine Weile beruhigend bei Minnele zu bleiben, und entfernte sich dann.

Eiligen Fußes ging sie in ihr Zimmer, setzte sich an den Schreibtisch und schrieb sofort den folgenden Brief:

»Exzellenz!

In Erwiderung auf Ihre letzten Zeilen kann ich im Allgemeinen nur zugestehen, dass von meiner Seite ein Fehler geschehen ist, welcher Ihr Befremden erregen und Sie zu einer vorwurfsvollen Äußerung gegen mich veranlassen musste. Der Fehler, den ich beging, musste Ihnen gerade jetzt besonders empfindlich sein, weshalb ich auch gegen den Ton Ihres Vorwurfs keineswegs Appellation einlegen will. Sie wissen zu gut, Exzellenz, wie sorgfältig ich seit Monaten Ihres Herzens warme Angelegenheit zu leiten bestrebt gewesen bin, als ich nicht voraussetzen durfte: Ihre Alternation von Heute werde morgen der gewohnten Liebe und Dankbarkeit gegen mich zuverlässig Platz gemacht haben. Ich erlaube mir daher, in Ihrem wie in meinem Namen, Exzellenz, über den Vorfall und über Ihren Schmerz gemeinsam den Schleier zu werfen, wozu Sie umso lieber Ihre Einwilligung geben werden, als ein neues, unerwartetes Ereignis dieses Augenblicks unsere ganze Überraschung und Aufmerksamkeit auf sich ziehen muss. Exzellenz! Als Sie mit seltsamer Festigkeit den Plan entworfen und zur Durchführung vorgelegt hatten, dass Minneles Erholungsreise hierher in Verbindung gebracht werden solle mit allerlei Beziehungen zu Ihnen; als Sie für diesen Plan hauptsächlich geltend machten, dass auf diese Weise Minnele an die Erscheinung Ihrer Person gewöhnt, durch die Berichte Ihrer edelmütigen Handlungen gewonnen würde, und so die Entdeckung, dass Sie und der verstorbene Gemahl eine und dieselbe Person seien, vieles von ihrer erschreckenden Wirkung verlieren müsste; – Exzellenz, damals habe ich Sie ernsthaft aufmerksam gemacht, dass die ganz Intrige, durch welche wir das schöne Kind in unsere Hände gebracht haben, in keiner Weise, in gar keiner Weise, wiederhole ich, zu der Hoffnung berechtigen könne, Ihnen eines Mädchens Herz zu gewinnen, wie dieses Minnele ist; ich bat Sie damals, all und jede Gefühlsfahnderei auf dieses kleine Wesen aufzugeben und dafür Ihr Recht und Ihre Macht zu gebrauchen. Hätten Sie meinem Rate gefolgt, so wären Sie jedenfalls näher am Ziele, als Sie durch Ihren Eigensinn gegenwärtig sind. Denn hören Sie es nur: Ihre Besorgnis, die Sie mir einmal geäußert, dass Minnele eine Art instinktmäßigen Widerwillens gegen Sie fühle – diese Besorgnis, Exzellenz, habe ich eben schaudernd in Erfüllung gehen sehen, denn Minnele ist vielleicht nur durch die Festigkeit ihrer Nerven einer Ohnmacht entgangen, als sie Ihr Gesicht vorhin am Fenster erblickte; und bei alldem ahnt sie noch nicht, dass Sie auch noch ihr lebender Gatte sein sollen! Ich beschwöre Sie daher, von jetzt an Ihre Gefühlsschwelgereien an den Nagel zu hängen, den Kommandostab wie ein ganzer Tyrann zu ergreifen – und Ihr Hausrecht wie ein Mann zu benützen. Ich selber sehne mich sehr danach, dieser weißen Landrübe endlich einmal das Kraut abzudrehen ... So viel für diesen Augenblick. Ich sehe Sie heute noch, dann wird das Weitere besprochen werden. Auf jeden Fall muss von jetzt an rasch gehandelt werden; ich muss schon Minneles wegen bald von hier weg; reisen Sie daher noch früher, um dann in der Stadt ohne Verzug alles zum Abschluss zu bringen. Adieu, mein Teuerster; ich trinke jetzt ein Glas Ihres kostbaren Geschenkes auf Ihr Wohl! Hermine.«

Sie schloss und siegelte den Brief, stand auf, ließ den Pfropfen springen und trank nicht ein- sondern zwei schäumende Gläser der letzten Champagnerflasche, während zufällig die Spieluhr drüben die Melodie wieder anstimmte:

Reich' mir die Hand, mein Leben,
Komm in mein Schloss mit mir! ...

»Ja, dort sollst Du sie glücklich unterbringen und besitzen«, sagte die Baronin gleichsam auf den Text der Melodie antwortend, ging nach der Türe, zog die Glocke und übergab den Brief einem Kellner zur augenblicklichen Besorgung.


 << zurück weiter >>