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Achtes Kapitel

Man war aus dem Bade nach der Hauptstadt zurückgekehrt.

»Minnele«, sagte die Baronin von Seltern am ersten Morgen nach der Heimkehr und legte einen Pack Papiere vor sich auf den Tisch – »Minnele, das Testament des Onkels ist eröffnet, die Hinterlassenschaft desselben ist bekannt zu geben – wir beide sind seine Erben ...«

Minnele, welche der Baronin gegenüber saß, faltete die Hände, legte sie auf ihren Schoß und sah still vor sich nieder.

Die Baronin fuhr fort:

»Dir ist außer der Summe von sechzigtausend Gulden, welche der Ehekontrakt festgesetzt hat, noch die Villa Seiner Exzellenz mit aller beweglichen und unbeweglichen Habe darin vermacht, und zur Instandhaltung des Hauses, des Mobiliars und des Parkes noch besonders eine Summe von fünfundzwanzigtausend Gulden vermacht worden. Als Witwe des verstorbenen Onkels wirst Du also diese Erbschaft in aller Form Rechtens in Besitz nehmen und damit nach Deinem Gutdünken frei schalten und walten.«

Minnele sah mit einem Blick zur Baronin auf, der flehentlich zu sagen schien:

»Helfet mir den schrecklichen Reichtum halten und verwalten, ich bin ein Kind nur gegenüber solchen Dingen.«

Die Baronin wehte mit den Spitzen ihres Battistsacktuches leichthin über ihr schwarzes Seidenkleid und fuhr fort, ohne auf Minneles Mienen acht zu haben:

»Von allem, was der Onkel sonst noch hinterlassen, bin ich die alleinige Erbin – doch das nebenbei ... Minnele, etwas anderes und Bedeutsames hab ich Dir mitzuteilen. In Kürze ist es Folgendes. Unter den Gütern, die ich vom seligen Onkel ererbt, befinden sich Schlösser, Landgüter, verzinsliche Papiere aller Art. Die Personen, die Anstalten, die Häuser und der Grund und Boden, auf denen meine ererbtes Vermögen haftet, befinden sich mehr oder weniger weit von hier, ich werde daher, einesteils um überall meinen Besitz zu sichern, andererseits um persönlich, wo es nottut, mich zu zeigen, von hier abreisen und Dich für einige Zeit allein – oder wenigstens ohne meine Gesellschaft lassen.«

Hier blätterte die Baronin etwas befangen in den Papieren auf dem Tisch, wahrscheinlich nicht ganz unempfindlich gegen das Erblassen Minneles, und so fuhr sie fort:

»Ohnehin, liebes Minnele, wird es ja von nun an also werden müssen, dass Du aus dem Verhältnis eines Kindes in das Verhältnis einer jungen Witwe des Grafen von Lohenstein übergehst, Dein Leben also von meinem trennst und ganz nach Deinen eigenen Wünschen ordnest – versteh' mich recht, ich meine, dass Du selbständig wirst in allem und jedem, ohne natürlich später meinen Umgang oder mein Haus deshalb aufzugeben oder zu vermeiden.«

Hier blätterte die Baronin, selber etwas blässer geworden, schneller in den Papieren.

Minneles Lippen zuckten, das Weinen stand ihr nahe.

Alle Schwächen, welche sie bisher an der Baronin gesehen, waren nicht im Stande gewesen, ihre Dankbarkeit und Neigung für die zweite Mutter zu schwächen, welche sie einst mit kräftigen Händen aus der verzagtesten Lebenslage heraus in so üppige Glücksverhältnisse emporgehoben. Minnele war also bei dem Gedanken an plötzliche Trennung auf das Allerschmerzlichste ergriffen.

Die Baronin legte die geöffneten Papiere nach einer ziemlich langen Pause wieder zusammen, sah von denselben auf, trocknete flüchtig ihre Stirne und sagte weiter, indem sie ihr großes, unruhiges Auge auf ein Bild an der Wand statt auf Minnele richtete:

»Ich meine also, Minnele, Du übersiedelst ohne Verzug von meinem Hause hier nach Deiner Villa, ordnest dort, was Dir nicht genehm und bequem ist ganz nach Deinem Behagen, nimmst Dir Dienerschaft, so viel Du brauchst und wählest die Gesellschaft, die dir ansteht. Da ich vor übermorgen keinesfalls von hier abreisen kann, so werde ich Dir heute und morgen noch mit Rat und Tat in allem an die Hand gehen, was die Verwaltung Deines Vermögens, die Bequemlichkeit Deiner Umgebung und Deine geselligen Verbindungen anbelangt. Um dies alles schneller und für Dich unbeschwerlicher zu vollbringen, will ich heute mir Dir nach der Villa fahren und dort in Gemeinschaft mit Dir die nötigen häuslichen Anordnungen treffen; ich bleibe dann gleich nebst Eleonoren und Sabinen über Nacht bei Dir in der Villa, fahre dann morgen mit Dir bei meinen besten Freundinnen in der Stadt vor, Du sollst sie kennen lernen, um Dir daraus Deine künftigen Vertrauten zu wählen; übermorgen reise ich dann ab und hoffe, wenn ich wiederkomme, werde sich mein liebes, braves Kind als junge, blühende, unabhängige Witwe bereits so zurecht gefunden haben, dass es ohne Wehmut an die Tage denken kann, welche wir in meinem Hause zusammen erlebt haben. Und jetzt – weine nicht, Du gutes, närrisches Ding – jetzt komme, der Wagen steht bereit, Deine Sachen sind bereits nach dem Landhause gebracht worden – komm', in Dingen, die nicht zu ändern sind, muss man lernen, schnell und kaltblütig zu verfahren, sonst kommt man niemals über jene Wehmut hinaus, die beständig bemüht ist, uns als Tränensack an alles Beschwerliche zu hängen.«

Beide brachen wirklich ohne Verweilen auf und fuhren nach der Villa des Grafen.

Im Parke wurden sie bereits von der Baroness mit Sabinen empfangen – und der blaue Kammerdiener bot, an den Säulen des Tores stehend, seine Dienste der schönen Gräfin-Witwe an.

Die Baronin erlaubte sich statt Minnele Rede und Antwort zu geben, nahm die dargebotenen Dienste des Kammerdieners ohne Weiteres an, gab ihm sofort ein halbes Dutzend Befehle zu vollziehen und führte dann Minnele in jenen Flügel der Villa, welcher von dem, wo sich das »Vermählungszimmer« befand, der entgegengesetzten war.

An der Hand der Baronin in ein prachtvolles Schlafgemach eintretend, erblickte Minnele auf einem Stuhl – ihr schneeweißes Reisebündelchen mit dem einfachen, ärmliche Dorfanzuge, den Minnele ablegte, als sie in das Haus der Baronin kam.

Mit einer Empfindung, die sich nicht beschreiben lässt, fiel Minnele vor dem Stuhl auf die Knie, umfasste mit beiden Armen das Bündelchen, drückte ihr glühendes Gesicht darauf, stieß Töne der wundersamsten Freude aus, als ob sie ihre beste Freundin, die sie schon gestorben wähnte, plötzlich lebend und jubelnd wieder vor Augen hätte.

Die Baronin ließ sie ruhig gewähren und sagte dann ernst und mit großem Nachdruck:

»Minnele! ... Ein Blick auf dieses Bündelchen und auf Deine jetzige Umgebung mag Dich erinnern, Du werdest das Andenken an den vortrefflichen Gründer Deines Glückes in Deinem Herzen pflegen wie ein dankbares Kind. Du werdest Dein Gemüt in mancher nachdenklichen Stunde mit dankbaren Gefühlen beschäftigen für den Mann, welcher Dir für das einfach Reichen Deiner Hand am Sterbebette, das Werk zweier Minuten, eine Reihe sorgenloser Lebensjahre bereitet hat. Mein Kind, nicht jede gute Tat belohnt im Leben so schnell und so verschwenderisch; Du hast es an Dir selbst erfahren, wie gut und wie kümmerlich zugleich der Mensch auf Erden leben kann; täglich sehen wir auch, welche Opfer, welche Schmerzen, welche Sorgen, ja Schrecken das Leben denen als Beigabe auf den Weg mitgibt, welchen es einmal die Wohltaten des Reichtums zugeteilt hat; – Dir, mein Kind, scheint ein liebevolles Schicksal diese Schmerzen neben der Freude erspart zu haben. Ich sage, es scheint so; erschrecke nicht, dass ich annehmen, Dir könne aus Deinem Reichtum noch Unangenehmes erwachsen – ich wüsste nicht, wieso das kommen sollte; aber gesetzt, eine oder die andere Prüfung stünde Dir bevor, für diesen Fall, mein Kind, setze alles ein, Freude, Hoffnung, Wünsche, selbst Ruhe und Frieden, ja Dein Leben selbst – bevor Du das Andenken, den vermutlichen Wunsch und Willen dessen, der Dich in dieses Glück versetzt hat, durch Mienen, Worte, Klagen oder gar durch eine undankbare Handlung entweihst. Kurz, mein Kind – Du bist durch ein heiliges Sakrament der Kirche – die Gemahlin meines Onkels, Deines Wohltäters – und danach richte Dich so in allen Gedanken, Worten und Handlungen – als ob er noch lebte und als ob Du das Glück und die Ehre desselben allein durch Deine Liebe und Treue zu machen und zu erhalten hättest. ... So. Das sind meine letzten Worte, welche ich Dir belehrend, ermunternd auf den Weg Deiner Zukunft mitgebe. Amen  ...«

Nun küsste die Baronin Minnele mit Hast, löste deren Arme schnell von ihrem Halse und zeigte auf die Baroness, die, von einigen Freundinnen begleitet, eben hereintrat.

»Hier«, sagte die Baronin, »hier kommen Deine aufmerksamen Freundinnen, welche Dich mit dem Innern der Villa bekannt machen und Dich zerstreuen werden, solange ich mit Anordnungen in Deinem Namen zu tun habe.«

Der blaue Kammerdiener meldete, ob sich Gärtner, Kutscher und das übrige Dienstpersonal der neuen, gnädigen Gebieterin vorstelle und empfehlen dürften.

»Jetzt nicht«, erwiderte die Baronin – »später – indessen mögen sie alle getrost sein, ihre Stellen bleiben ihnen gesichert – nicht wahr, Minnele?«

Minnele war froh, dass überhaupt nur für sie geantwortet wurde und sagte umso lieber »Ja«, als es sich um das Brot dienender Menschen handelte.

Nun entfernte sich die Baronin, und Minnele wurde lärmend umringt von den jungen Damen.

Man zog sie aus einem Gemache in das andere, durch Hallen, Säle, Korridore, treppauf und treppab.

Überall gab es zu loben, zu bewundern, zu beneiden, zu beglückwünschen; Minnele wurde von Liebkosungen fast erdrückt und mit Titulaturen dumpf und stumpf geredet.

Hier und dort ließ sich die scheinbar sehr geschäftige Baronin in einem Gemache der Villa überraschen und rief gewöhnlich:

»Nun, Minnele, was meinst Du? Da habe ich nun manches neu arrangiert, die Fauteuils, Tische, Stühle so und so statt so und so herumrücken lassen; bist Du einverstanden?«

Aber bevor Schön-Minnele noch ihre Meinung sagen konnte, klatschten ihre Begleiterinnen schon entzückt in die Hände, riefen ihre Bewunderung über den vortrefflichen Geschmack der Baronin aus, flogen mit wehenden Kleidern lachend und schäkernd auf Sofas, in Fauteuils und Lehnstühle und gaben in losen Worten ihr breites Behagen kund.

So ging es fort

Um zwölf Uhr wurde ein gemeinsames Gabelfrühstück, um vier Uhr ein ausgesuchtes Mittagessen und um acht Uhr der The ebenfalls gemeinsam eingenommen.

Es fehlte wenig, dass man sich nicht so weit vergaß, ein heiteres Tänzchen auszuführen. Minneles Ernst und die Wachsamkeit der Baronin wehrten dieser Frivolität im Hause der Nachtrauer.

Dagegen wurde ein kostbares Pianoforte, das in einem der großen Mittelzimmer stand, mit vierhändigen Partien aus Robert dem Teufel fast in Trümmer gehauen.

Es schien, als riefen Landhaus und Park erleichterten Herzens: »Gott sei Dank, dass ihr geht!« als um halb zehn Uhr abends Eleonorens Freundinnen aufbrachen, Abschied nahmen und sich entfernten.

»Bringt morgen eure neuangekommen Baroness vom Lande mit«, sagte die Baronin noch am Tor des Parkes zu ihnen.

Sie erklärte Minnele die Aufforderung, indem sie bemerkte, dass die Tochter einer lange nicht mehr gesehenen Bekannten, die in etwas gedrückten Verhältnissen auf dem Lande lebe, gegenwärtig in der Stadt sei, »es würde die Mutter der jungen Baroness«, setzte sie hinzu, »wahrscheinlich sehr freuen, wenn sie von einer freundlichen Aufnahme ihres Kindes meinerseits hörte; lasse Dir morgen und während meiner Abwesenheit das – wie ich höre – sonst lustige Kind empfohlen sein ...«

Minnele konnte sich durchaus nicht entschließen, die erste Nacht in ihrem prachtvollen Schlafgemache allein zuzubringen, daher musste Eleonora die Nacht mit ihr das Zimmer teilen.

Um elf Uhr war Minnele eben im süßen Entschlummern, als ihr zwischen Traum und Wachen die Melodie der Spieluhr aus dem anderen Flügel der Villa ins Ohr tönte:

Reich' mir die Hand, mein Leben,
Komm' in mein Schloss mit mir;
Es hilft kein Widerstreben,
Zwei Schritt' nur ist's von hier!


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