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Dreizehntes Kapitel

Die Baronin und Seine Exzellenz waren indessen der Villa ziemlich nahe gekommen.

Sie gingen äußerst sachte, Ohr und Auge immer vorsichtig auf der Lauer, ob sich nichts hören oder sehen ließe, was ihrer Wanderung ein Hindernis bereiten könne.

Oberhalb dem Springbrunnen an der Blumenterrasse war es, wo sie durch ein leises Geräusch aufmerksam gemacht, stehen blieben und: »Horch, horch!« sagend, die Richtung und Ursache des Geräusches auszumitteln suchten.

Anfangs deuchte es sie, das Geräusch habe sich im unteren Teile des Parkes, in der Gegend des großen Nussbaumes an der Mauer hören lassen; dann aber vernahmen sie deutlicher als zuvor ein Rauschen, das im oberen Teile des Parks, nicht weit vom Wohnhause, hörbar war.

Doch wurde es alsbald wieder stille.

»Mein Gärtner und Diener wahrscheinlich, welche zu wachen haben«, sagte Seine Exzellenz leise zur Baronin.

Sie gingen weiter.

»... Ach, sie wird schlafen – schlafen« – fügte Deine Exzellenz nach einer Weile hinzu, nach den Fenstern von Minneles Schlafzimmer aufblickend, »schlafen, schlafen, vielleicht auch träumen ...«

Die Baronin fiel ihm in das Wort und deklamierte mit Pathos und etwas lallender Zunge:

»Träumen – ha! Da liegt's, das ist der Punkt, sagt Hamlet; denn was für Träume – Träume – wie geht's weiter? – Träume voll Stacheln – und besser im Gemüte ...«

»Schau, sieh', Hermine«, unterbrach sie Seine Exzellenz, »hast du gesehen? Was war das für ein Schimmer, welcher über die Fenster in Minneles Schlafzimmer fiel?«

»Lass ihn fallen. Strauchelt nicht der beste Mensch im Tage siebenundsiebzig Male? Ein Schimmer ist nichts Gutes und nichts Böses; er fällt: Wer fragt danach?«

»Nein, Hermine. Das geliebte Wesen ist erwacht. Derselbe Engel, der es vor dem Champagnerrausche vor dem Schlaftrunk behütet hat, stört dessen Schlummer jetzt und sagt ihm in das Ohr: Minnele, schlaf nicht mehr, wache auf, dir droht Gefahr, du sollst nicht schlafen mehr!«

»Du sollst nicht schlafen – Macbeth soll nicht schlafen mehr«, deklamierte die Baronin wieder – »O! o! o! Warum wollte mir das Amen nicht aus der Kehle? ... Fort, zu Bett, zu Bett ... Nun, pflegt sie so zu sein?«

»Schau, sieh' Hermine!...«

»Schau, sieh'! Da kommt es wieder!« fuhr die Baronin fort, ihr Schauspielertalent in großem Maßstabe gelten zu lassen: »Schau! Sieh! Da kommt es wieder! Sei ein Gespenst der Hölle oder bringe Himmelsdüfte, einladende Gestalt von meinem Vater – sprich! sprich! sprich! Was bringst du mir?«

»Scherze nicht, Hermine, ein abermaliger leichter Lichtschimmer – sieh' hin! – liegt auf den Scheiben ihres Fensters – sieh' hin – er bleicht, er zuckt, er schwindet ...«

»'s ist da! 's ist da! 's ist weg!« erwiderte die Baronin in der vorigen Weise.

Ein Lichtschimmer, welcher in der Tat über die Fenster von Minneles Schlafzimmer flüchtig hingezuckt, war nun gänzlich wieder weggeschwunden.

»Lass uns sitzen und etwas verziehen, Hermine. Schön-Liebchen hat das Lichtlein ausgetan, ich hoffe, es wird nun wieder schlummern.«

»Ja, lasst uns sitzen, Horatio«, fuhr die Baronin in ihrer angenommenen Weise fort, »und lasst uns von dem balkenfaulen Dänemark erzählen – tu' auch das Licht – tu' aus diese Licht – O Desdemona!...«

»Hermine!«

»Nun was, mein Kind?«

»Rede vernünftig, Hermine, und schone dein Organ, denn wir haben allen Grund, leise und vorsichtig aufzutreten – Engel, ach! haben ein leises Gehör.«

»Nun denn sage deinem Engel, wir seien nicht gewohnt, uns Fesseln anzulegen – Eine Katze, eine Maus, ein Hund soll Leben haben – und wir sollen stille sein wie die Leichen in der Gruft? Vorwärts! Ans Werk – was macht ihr da, ihr alten Betteln? – Ein Werk der Hölle ...«

»Gut, Hermine, wir wollen also in das Haus. Was meinst du, schläft sie wieder?«

»Und wenn sie nicht schläft, so wollen wir an ihre Kammertüre trommeln wie der Tambour des Jüngsten Gerichts ...«

»Hermine!«

»Nun denn, es sei; meine Rolle ist ausgespielt ... dort ist die Türe, geh' hinein!«

»Nicht doch, willst du allein hier bleiben?«

»Ja, und selbst wenn mir ein ganzes Heer von Geistern ...«

»Gut, so bleib hier auf den Stufen der Terrasse – ich geh' hinein ...«

Die Baronin setzte sich, plötzlich etwas abgespannt, auf eine Stufe der Terrasse, und Seine Exzellenz verschwand unter den Säulen des Hauses.

Er hatte ein Blendlaternchen herausgenommen und ließ, indem er die große Marmortreppe hinaufging, von Zeit zu Zeit einen Schimmer auf die Stufen fallen, um seine Füße vor einem Fehltritt zu bewahren, welcher unliebsames Geräusch hätte verursachen können.

So erreichte er die obersten Stufen der Treppe, hielt aufatmend stille, streckte den Kopf etwas vor und horchte; dann, als er keinen Laut ringsum vernahm, wandte er sich rechts nach einem Gange, zog einen Schlüssel aus der Tasche, den er äußerst vorsichtig und in der Tat geräuschlos in ein Schloss steckte, umdreht – worauf eine Türe aufging, die zu einem geheimen Raum zwischen zwei Zimmern führte.

Hier hatte er links Minneles Schlafzimmer und rechts den Eingang zu einem anderen Gelass.

Zu Minneles Schlafzimmer schien keine Türe zu führen.

Seine Exzellenz blieb hier wieder eine Weile horchend stehen, leuchtete dann, in einer gewissen Richtung suchend, gegen die Schlafzimmerwand, entdeckte einen kleinen Drücker, auf den er die Finger seiner linken Hand legte, indem er das Laternchen wieder schloss.

Eine Pause – und einem leichtem Drucke wich eine Tapetentüre nach Schön-Minneles Schlafgemach.

Seine Exzellenz ließ die Türe hinter sich offen und horchte wieder

Leichte Atemzüge – sonst ringsum Stille – Minnele schien also wieder zu schlummern.

Ah!

Dort – da – musste Minnele also schlummern ... auf den Zehen schlich Seine Exzellenz nun einen – zwei – drei Schritte nach der Richtung, wo er wusste, dass das Bett stand – ein vierter Schritt – und er hob das Blendlaternchen bis zur Höhe seiner Brust und ließ einen breiten Strom von Schimmer auf das Bett hinfallen –

Aber mit Entsetzen schlug er die Laterne wieder zu und wankte betäubt zurück.

Denn da stand, schnurgerade vor das Bett hingepflanzt – ein riesiger Grenadier, sein Gewehr vorhaltend, den Helm gespannt, und starrte Seine Exzellenz ernst und schweigend an.

Jetzt wurde auf einmal das Zimmer von mehreren Lichtern erhellt.

Zu gleicher Zeit traten rechts und links aus der Tiefe des Zimmers ein Polizeibeamter, ein Unteroffizier und zwei Mann Wache hervor.

»Sie sind unser Gefangener, Graf von Severin«, sagte der Kommissär, einen Verhaftsbefehl emporhaltend – »Hier, wenn es Ihnen noch nicht klar sein sollte, der Grund dieses Befehls!«

Seine Exzellenz, schon vor der Erscheinung des Grenadiers mit Entsetzen zurückbebend, ließ nun das Laternchen fallen und sagte nach einer Pause der Erstarrung:

»Ich, ich Ihr Gefangener, mein Herr?«

»So ist es!«

In diesem Augenblick hört man draußen vor der Villa heftig Hilfe rufen.

Ein dumpfes Lärmen folgte

»Sie haben die Güte, und alsogleich und ohne Widerstreben zu folgen, Exzellenz«, sagte der Kommissär, und den Soldaten einen Wink gebend, fuhr er fort: »Nehmt ihn in eure Mitte!«

Nach diesen Worten trat der Kommissär an ein Fenster des Schlafgemaches, öffnete es und sah hinunter.

Man hörte Männerstimmen drunten, und die Stimmer der Baronin deklamierte eben heftig gegen die »Ungebühr«, welche man ihr antun wolle, indem man sie gefangen nahm.

»Führt sie zuerst hinweg«, rief der Beamte aus dem Fenster in den Park hinab, »wir werden später folgen.«

Die Baronin deklamierte nun auch gegen das Fenster herauf, aus welchem der Beamte gesprochen hatte; aber aus den gleich mäßigen Schritten und Tritten, die sich drunten nun entfernten, ließ sich erkennen, dass die Baronin unter Bedeckung den Park hinunter geführt werde ... Fackelschein floss um die Wände der Villa und erhellte grell aufflackernd die Finsternis der Nacht ...


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