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Neunzehntes Kapitel.
Einst und Jetzt – ein Abschluss.

 

O Wunderlieb', o Liebeswonne!
Ist diese Zeit ein Schlummer mir,
So träum' ich sehnlich nur von dir;
Und ein Erwachen wird es geben,
Da werd' ich ganz in dich verschweben,
Ein Glutstrahl in die große Sonne.

Uhland

 

Gegen zehn Uhr morgens öffnete sich das Pförtchen an der Rückseite des Fribert'schen Gartens, und Eschenburg trat ein.

Er war in Gedanken, unruhig, angegriffen.

Als wünsche er beim Eintritt in den Garten nicht sogleich bemerkt zu werden, drückte er sachte das Pförtchen hinter sich zu und ging einen breiten, durch Gebüsch verdeckten Sandweg, rechts nach der Tiefe des Garten.

Heute vor drei Jahren ...

Ja, da war es; die Stürme seines Herzens hatten ihre ganze Gewalt entfaltet, die Zerstörung seines Friedens, seiner Kraft, ja, seines Lebens hatte begonnen – ohne Einhalt wäre es mit Eschenburg zu Ende gegangen, wenn jenes Tages nicht ein holder Zwischenfall sich seiner erbarmt, zu seiner Rettung sich ins Mittel gelegt hätte ...

Eschenburg war jetzt voll des Angedenkens; vor seinem Geiste lebte Tag und Stunde ganz wie gegenwärtig; er schritt durch die Wohnung des Hofrats – die Rätin hatte, bevor der Sommer ihre Freunde und Bekannte nach allen Richtungen zerstreute, noch einmal alle um sich versammelt, und es waren Stunden der Vergnügens für viele – fast für alle; – Eschenburg betreffend, so konnte er von guter Stimmung nicht wohl sagen; denn die Liebe zu Lianen durchwühlte noch mit aller Pein sein Wesen.

Er durfte an jenem Abend im Hause der Hofrätin nicht fehlen; er konnte auch nicht fehlen, denn zur Vollendung seiner Qual musste er immer um die sein, die sein ganzer Jammer war. So kam er denn an jenem Abend auch, alle Seligkeiten und alle Dolche der Liebe im Herzen – aber den Schein der Ruhe, des Friedens, des geselligen Behagens über seinem äußeren Wesen.

Was sollte er auch scheinen und erraten lassen, dass er Lienen liebe? Ließen das doch ihrer genug erraten, ohne andern Erfolg, als dass man sah und lächelte, was man sah.

Nein. Den Schwarm wortreicher oder schmachtender Anbeter wollte Eschenburg nicht vermehren, wenigstens dem Scheine nach nicht. Er liebte und schwieg, kämpfte und schwieg, verzweifelte und schwieg – doch wollte er lieber das Herz von Leidenschaft zerfleischen als erraten lassen, dass er liebe.

Liane konnte entweder nicht lieben – oder liebte bereits; – wen sie wirklich liebe – wer konnte das erraten, da sie wie eine Göttin nur Huldigungen rings entgegennahm. Und war sie nicht an jenem Abend wieder der Mittelpunkt und das Ziel der heißesten Sehnsucht, der Vergötterung aller?

»Nein – hinweg mit Zeichen und Geständnissen, hinweg mit dem leisesten Schein einer Liebe, die nicht hoffen darf«, dachte Eschenburg – »eine Liebe, die nicht hoffen darf, ist besser bekämpft mit Gefahr des Lebens, als gestanden und erfolglos heimgeschickt!«

Darum wollte Eschenburg nicht sehen, was er sah und wollte die Dolche nicht fühlen, die er fühlte; sein Herz war zerrissen, und er lächelte, sein Friede war in Stücke, und die Heiterkeit des Weltmannes ruhte auf seiner Stirn.

So äußerlich gefasst und innerlich zerrüttet, sah Eschenburg Lianens Schwester plötzlich vor sich stehen und ihm freundlich Erfrischungen bieten.

Sie machte die aufmerksame Wirtin, war der Mutter behilflich oder ersetzte deren Gegenwart, wo es nötig war. Bescheiden neben der hervorragenden Erscheinung ihrer Schwester, bewegte sie sich im elterlichen Hause wie ein liebevoller Geist, der nur genießt im Genusse der anderen, erfreut ist in der Freude der anderen.

So stand sie auch mit ihren von freundlichem Eifer leuchtenden Augen vor Eschenburg und bat ihn lächelnd, die Last ihrer Erfrischungen zu erleichtern, trotz seiner inneren Bewegung, ja gerade ihretwillen, weil er einen Schein von ruhiger Unterhaltung brauchte, erwiderte Eschenburg die freundliche Ansprache herzlich, nahm scherzend, statt von den Erfrischungen zu wählen, Gabrielen ganz die Platte ab und sagte:

»Sie sollen vor lauter Eifer für das allgemeine Wohl nicht vergessen, dass Sie zur Gesellschaft gehören, dass Sie nicht bloß Speise und Trank anzubieten haben, sondern auch einige frohe Augenblicke, einige heitere Worte Ihren Gästen schuldig sind.«

Und er bat sie neben sich auf ein Sofa nieder und wurde so gesprächig, so wohlwollend-angenehm, dass Gabriele kaum wusste, wie ihr geschah.

Nur nicht zu sehen, wie immer ein Dutzend Verehreraugen auf Lianens marmorweißer Stirne ruhten, ergriff er Gabrielens Hand und rühmte deren kleine, allerliebste Form; um Lianens großes, dunkles Auge zu vergessen, ließ er seine Blicke still betrachtend auf den holden, blauen Augen Gebrielens haften, und um für einen Augenblick zu vergessen, wie wonnig Lianens Stimme töne, verleitete er Gabrielen, viel und lebhaft zu reden – und siehe da – Gebriele sprach anmutig, sprach so schlicht und seelenvoll, das ihr Eschenburg bald aufmerksam und mit Teilnahme zuhörte; sie sprach über das Nächste und die Nächsten so klar und verständig, so wohlwollend und angenehm, dass Eschenburg immer nachdenklicher wurde und kein Auge von der Sprecherin verwandte.

Fern von aller Sentimentalität, erschien ihm Gabriele als die holde Gesundheit an Leib und Seele; – und diese Augen – dieser Mund – diese Lippen – wie wurde ihm doch? War es doch lange her, dass er Gabrielen sah und kannte; in diesem Augenblicke aber sagte er selbst:

»Ich habe sie noch nicht gesehen, sie noch nicht gekannt!«

In stilles Anschauen versunken, fragte er verwundert, wie es denn möglich war, so wundersame Holdseligkeit so lange unbeachtet zu lassen. Er wollte Gabrielens Hände nicht mehr lassen, vergaß, verwirrte sich ganz in die blaue Tiefe ihrer Augen – er hörte endlich nicht mehr, was sie sprach, aber der Klang ihrer Stimme, diese perlenklaren Worte waren seinem Ohre, seinem Herzen so wohltuend, seiner Seelenwunde so lindernd, dass er es kaum dulden wollte, als Gabriele ihrer Pflichten denkend, aufstand und sich lächelnd schnell entfernte.

Von Sehnsucht getrieben, sich die wohltätige Stimmung zu erhalten, folgte Eschenburg Gebrielen eine Weile durch den Schwarm der Gäste und floh dann gänzlich aus den hellen Zimmern, dem geselligen Gedränge ...

Es war Nacht geworden, beinahe Mitternacht, als er ins Freie kam; – o Wunder, süße Wunder eines blauen Augenpaares, der Sprache zweier unschuldiger Lippen! – Eschenburg konnte lange nicht zur Ruhe gehen; traute er auch der Stimmung, welche ihn erfüllte, nicht schon Dauer und Stärke für die Folge zu, so erfreute ihn doch die Wahrnehmung, dass er neuer Eindrücke fähig sei, eine neue Richtung seiner Seele die frühere vielleicht überbieten, bezwingen könne; und so beschloss er zu lieben, mit aller Macht Gabrielen zu lieben, ja er überredete sich bereits, Gabrielen über Lianen zu stellen, und weinte Tränen der Freude über diese Entdeckung – waren sie ihm doch wohltätiger Frühlingsregen einer neu aufsprossenden Periode seines Lebens.

Von jenem Tage an besuchte Eschenburg das Fribert'sche Haus mit jener Selbsttäuschung, die ihm rettend und heilsam schien. Er behandelte Lianen musterhaft wie immer, zu Gebrielen aber flüchtete sein ganzes Herz.

Aber gerade in jene Zeit fiel die große Erschütterung des Fribert'schen Hauses; – der Hofrat starb.

Auch Eschenburg, der noch als Offizier in Dienste stand, wurde fast zu gleicher Zeit mit seinem Regimente aus der Hauptstadt nach einer fernen Grenze des Reiches abgerufen; – so blieb denn vieles, ja für Eschenburg noch alles unentschieden.

Im Ganzen war ihm seine Entfernung willkommen.

So hatte er Muße, Lianens Bild in seiner Erinnerung nach und nach erblassen zu lassen, während Gabrielens Erscheinung täglich schöner aufzufrischen und zur herrschenden seines Herzens zu erheben hoffte.

Zwei Jahre waren in diesem Bestreben hingegangen, als Eschenburgs reicher Oheim starb und ihm ein bedeutendes Vermögen hinterließ. Alsogleich vertauschte Eschenburg sein Kommando über Menschen mit einem Kommando über Maschinen, weil er überzeugt war, dass er do viel nützlicher für die Welt und einiger mit seinen Grundsätzen leben könne.

Unter Studien, Versuchen und Erfahrungen für sein neues Wirken war indessen auch ein drittes Jahr dahingegangen, eh' er ein Erneuern seiner Besuche im Fribert'schen Hause wagte; – denn so sehr er sich auch überredete, wie stark sein Herz für Gabrielen schlage, so wuchs seine Unruhe doch im selben Maße, als die Zeit des wiederaufzunehmenden Versuches kam. Über die Schicksale der Familie Fribert war er wohl unterrichtet, aber was sein Schicksal in derselben werden solle, blieb noch sehr in Frage.

Und Liane? ...

Liane liebte Eschenburg.

Er war ihre Wahl, ihre Sehnsucht, seitdem sie ihn kannte.

Durch Eschenburgs Betragen über seine Neigung nicht sowohl ungewiss gelassen als verstimmt und einem etwas schroffen Stolze in die Arme getrieben, ging sie offenbar wieder zu weit in ihrer Art, Eschenburg wie jeden anderen Gast – nicht etwas unfreundlich, leider eben auch nur freundlich zu behandel. Während er wirklich nicht wusste, welcher Neigung er sich bei Lianen zu versehen habe, hatte ihr Auge schärfer gesehen und seine brennende Neigung doch herausgefunden; wo er also nur zurückhaltend war, um die Schar hoffnungsloser Trabanten Lianens nicht zu vermehren, da war Liane schon aus Verstimmung zu stolz, ihr wahres Herz durch ein erfreuliches Zeichen zu verraten. Sie sah in Eschenburgs Betragen die herausfordernde Zumutung, dass von ihr das erste Entgegenkommen, die erste Zärtlichkeit, die erste entscheidende Hingabe, ja Unterwerfung ausgehen müsse. Einer solchen Zumutung nachzukommen, war sie weder gewohnt noch gesonnen. Gerade weil sie fühlte, wie sehr dieser Mann schon Sieger über ihr Herz geworden, dachte sie wenigstens den Schein der Unüberwindlichkeit gegen ihn noch eine Weile behaupten zu dürfen. Weinend gestand sie sich, wenn sie allein war, dass sie diesem teuern, teuern Manne gegenüber die Schwächere war, aber sie nahm ihre ganze Selbstbeherrschung und Würde zusammen, wenn sie öffentlich erschien, um zu zeigen, wie wenig der Sieger sich des Sieges rühmen dürfe.

So schwankte der heiße und doch kaum sichtbare Kampf auf beiden Seiten und vermehrte schuldig und unschuldig die Verwirrung.

Manchmal scherzte Eschenburg, leider nicht wissend, wie tief er verwunde, über die hohe, ruhige Güte Lianens, mit welcher sie die zahllosen Huldigungen entgegennehme; Liane, sagte er, gemahne ihn an ein überirdisches Wesen, das seiner Schönheit gewahr geworden, der Erdenbestimmung entsagt und beschlossen haben, aus heiliger Ferne durch huldvolles Winken und Lächeln zu beglücken. Darum erschienen vor ihr bewundernd und anbetend nicht nur junge Männer, sondern auch Kranke und Lahme, um wenigstens für Augenblicke, alles Irdische vergessend, froh und glücklich zu sein.

Diese Anspielung fiel schon in die allerletzte Zeit des Aufenthaltes in der Residenz. Sie bezog sich auf den jungen, aber höchst hinfälligen Grafen von Tannen, der um jene Zeit, von manchem beärgert, von den meisten belächelt, die Anbetung Lianens auffallend trieb. Wie die Gemüter der Liebenden einmal erhitzt waren, konnte es nicht fehlen, dass gerade in Folge dieser Äußerung der Graf von Tannen von nun an eine besonders sorgfältige Behandlung Lianens erfuhr.

Die Mutter Lianens hatte als besorgte und wachsame Zuschauerin aus diesem Zweikampfe manche Hoffnung gezogen, da sie nicht zweifelte, dass sich über kurz oder lang der streitenden Teile werde überwunden geben. Höchst wahrscheinlich hätte endlich, vielleicht gar bald eine glückliche Stunde die Lösung herbeigeführt, wenn nicht der Tod des Hofrates und die Entfernung Eschenburgs als Hindernisse unerwartet dazwischen getreten wären.

Eines hatte in der Folge bei der Rätin den Glauben an Eschenburgs Liebe wieder wankend gemacht, ja ihn gründlich erschüttert, sein langes Stillschweigen, sein scheinbares Vergessen in der Ferne.

Nun freilich – nun, wo er wieder erschienen war, derselbe im Betragen, der Ruhig-Heitere, besonders Zuvorkommende gegen Lianen – nun hegte sie keinen Zweifel mehr, dass die glückliche Lösung vor der Türe sei, dass alles eine gute, ersehnte Wendung nehmen werde ...

Eschenburg hatte bereits einmal seinen Besuch in der Villa gemacht und war, wie er als Hausfreund voraussehen konnte, von der Rätin und Gebrielen auf das Herzlichste empfangen worden; er kam heute wieder, um auch Lianen zu sehen, die, von einem plötzlichen Unwohlsein befallen, das erste Mal grüßend und bedauernd sich hatte entschuldigen lassen.

Eschenburg hatte bei seinem ersten Erscheinen seinen Besuch der Gegend dadurch zu erklären gesucht, dass er eine große Glasfabrik im holzreichen Gebirge zu errichten gedenke, und diese Absicht lag ihm in der Tat am Herzen; nur hätte er hinzufügen sollen, dass er außerdem gekommen sei, sich im Hause der Rätin seine künftige Lebensgefährtin zu holen.

Für die Rätin war das zweite Geständnis gar nicht nötig, da sie etwas Ähnliches in der Stille aus der ersten Mitteilung schon abzuleiten sich erlaubte; sie war sogar in Bezug auf die Wahl der Gastes – vorausgesetzt, dass es wirklich so weit kommen sollte – weniger im Zweifel als Herr Eschenburg selbst.

Denn auch nach dem ersten Besuche noch, der ihm Gabriele wieder anziehend genug vor Augen geführt, war Eschenburg fest in dem Entschlusse, diese zu seiner Hausfrau zu erkiesen, die Villa von der Rätin anzukaufen und den Sommer hier, den Winter in der Hauptstadt ein glückliches Leben zu führen.

Als er denn heute wieder in der Villa erschien, war für's Erste beschlossen, den Kauf der Villa um jeden Preis abzuschließen und dann – mit der Rätin unter vier Augen seine Herzens- oder vielmehr Heiratsangelegenheit zur Sprache zu bringen; um diese rasch und ohne großen Kampf abzumachen, auch seiner Wahl jeden Rückzug abzuschneiden, wollte er sich bei der Rätin zu einer besonderen Unterredung melden lassen und um Gabrielen werben, bevor Lianen wieder gesehen ...

Wirklich ging dem Gaste, wenn auch unter eigentümlicher Befangenheit, vorerst noch alles nach Wunsch.

Er erhielt mit Vergnügen die Gelegenheit, die Rätin allein zu sprechen; dann erlebte er die Freude, dass sein Antrag auf den Kauf der Villa mit Tränen des Dankes angenommen wurde, und als er endlich im Vorgefühle, dass auch sein Heiratsantrag auf guten Boden fallen werde, die nötigen Andeutungen von eigenem Herd und der Unentbehrlichkeit einer Hausfrau fallen ließ, sah er die Rätin doppelt glücklich und doppelt bewegt ... Schon wollte er mit seinem Anliegen deutlicher hervorrücken und den Namen – Gabriele mit Bestimmtheit, wenn auch mit vielem Herzklopfen aussprechen, als Gabriele, von so vertraulicher Unterredung nichts ahnend, in das Zimmer trat und nach artiger Begrüßung Eschenburgs eine eigentümliche Neuigkeit mitteilte.

Der Gärtner hatte nämlich eben die Stelle des nächtlichen Zweikampfes näher durchforscht und eine Brieftasche gefunden, die schon ihrer schönen Außenseite wegen auf einen wertvollen Inhalt schließen ließ und wahrscheinlich dem unbekannten Besieger des Sängers zugehörte.

Gabriele wollte eben die Mutter fragen, ob man die Brieftasche untersuchen und den Eigentümer zum Zweck der Rückgabe erforschen solle, als Eschenburg errötend aufstand – und selbst nach der Brieftasche langte.

»Ich vermisse sie«, sagte er zögernd, »seit gestern – vorgestern – mit einigen Sorgen, da sie einige meiner wichtigsten Papiere enthält!«

Verwundert sahen die Frauen zu dem Betroffenen auf, der ihnen zwar als Besitzer der Brieftasche unzweifelhaft erschien – aber als eifersüchtiger Gegner des Sängers immerhin in überraschendem Lichte dastand.

Konnte er angesichts des sprechenden Zeichens seiner Eifersucht, die Lianens Verehrer überwunden, auch nur versuchen, jetzt um die Hand Gabrielens anzuhalten? Und konnte er vorgeben, den Sänger zum Zweikampf gefordert zu haben? Kam je doch Lianens und nicht Gabrielens Name in den Liedern des Ständchenbringers vor! ...

Eschenburg wollte eben eine plausible Erklärung zusammensuchen, wie und wann er seine Brieftasche vor dem Landhause verloren haben – als die Türe des Zimmers wieder aufging – und Liane hereintrat ... Wo waren auf einmal alle Gedanken, alle Hoffnungen und Wünsche, die sich nicht auf die überwältigende Erscheinung Lianens bezogen? Eschenburg ließ die Hand mit der Brieftasche sinken und atmetet tief auf; denn eine Sonne voll Wäre und Licht trieb die Nebel einer langen und selbstverschuldeten Verirrung von seinem Herzen und machte ein Paradies von Freude und Genügen emporsprießen.

Mit tiefer, rührender Freude ging er Lianen entgegen, und als er in ihren Blicken gelesen hatte, dass er doch sehr – sehr willkommen sein in diesem Hause – hob er langsam Lianens unvergleichliche Hand an seine Lippen und drückte einen langen, warmen Kuss darauf.

»Dass ich Sie endlich, endlich wieder sehe, Liane!« sagte er mit weicher Stimme und mit einem Blick, der um Vergebung für seine langjährige Unart bat.

»Sie hätten wissen sollen, Eschenburg, dass wir uns von Ihnen ja immer gerne finden ließen«, sagte Liane mit unbeschreiblicher Anmut.

Eschenburg behielt Lianens Hand in der Linken und reichte die Rechte der Mutter hin:

»Zeigen Sie jetzt«, sagte er mit kaum unterdrücktem Jubel, »dass Ihr mütterliches Auge uns längst besser durchschaut hat, als wir uns selbst, und ermessen Sie aus diesem holden Gruße die Fülle wortlosen Glückes für uns beide!«

Und mit feierlicher Rührung ließ er sich auf die Knie nieder, um noch einen zweiten Kuss auf Lianens Hand zu drücken ... er schloss seine Lippen, um auf diese Weise mehr zu sagen, als Worte zu sagen im Stande waren ...



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