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Erstes Kapitel.
Ein stiller Abendgang

 

Wann im letzten Abendstrahl
Goldne Wolkenberge steigen
Und wie Alpen sich erzeigen,
Frag' ich oft mit Tränen:
Liegt wohl zwischen jenen
Mein ersehntes Ruhetal?

Uhland

 

Die Sonne war im Untergehen; da kam auch der Florian wieder, sich das hehre Schauspiel anzusehen.

Die Lederkappe in der Hand und perlende Tropfen auf der Stirne, kam er hinterm Dorfe her und hielt nicht eher stille, als bis er auf dem Hügel den rechten Punkt erhastet hatte, von wo aus die Wunder des Himmels sich im vollsten Glanze zeigten.

Hier blieb er stehen, faltete die Hände und blickte unverwandten Auges in den Glanz der Abendwolken.

Sein Herz war bewegt, sein ganzes Wesen hing an dem weihevollen Anblick, er vergaß auf Augenblicke alles um sich her und ließ das Unnennbare auf sich wirken.

Die Sonne trat hinter das westliche Gebirge, einzelne oder in Garben vereinigte Lichtfäden durchbrachen das duftige Blau des fernen Tannenwaldes, über dessen Wipfeln ein Verklärungsschimmer schwebte; aber bald zerfloss der heilige Schimmer, die goldenen Fäden rissen, die Dämmerung der Täler wurde rege und hob sich mählig zu den Höhen und den Bergeshäuptern.

Florians Angesicht war verklärt, er bebte von der Trunkenheit eines reinen, weihevoll durchschütterten Gemüts.

Er kannte diesen Zustand wohl; er suchte ihn auch, sooft die Plage einer Woche es erlaubte auf und kehrte immer reich an innerem Segen wieder heim.

In diesem Zustand begann er dann eine Wanderung durch das Dorf, um hie und da behilflich zu sein oder jemand eine Freude zu machen; es war dann immer, als ginge eine stille Weihe von ihm aus, wenn er hellen Auges herzliche Worte sprach oder lächelnd im Vorübergehen grüßte.

Heute ging Florian etwas langsamer den Hügel herab; ein Zeichen, dass der Untergang der Sonne ausnehmend schön und sein Gemüt in seltener Bewegung war.

Im Dorfe rief und hastete noch alles, um vor nachts den Rest der Wochenarbeit zu bezwingen; es wurde gewaschen und gescheuert, es wurde der nötige Vorrat an Futter gehäuft; dort sprang ein Knecht noch geschwinde um den Mehlsack in die Mühle, hier mähte eine Magd in der Dämmerung frisches Gras zum Aufstecken während des Melkens; dazwischen dort und hier mahnende Stimmen der Väter, lockende Rufe der Mütter, jubelnde Kinderstimmen, die der Dämmerung zum Trotz vom Spiel nicht lassen wollten; hier und dort auch schon ein leises Feierabendlied.

Wer im Besitze eines Hofes oder verdingter Hausgenosse war, der konnte bis zur Stunde wenig von Ruhe und weihevoll gesammelter Stimmung sagen.

Florian schien seine Ausnahmestellung freudig zu empfinden, nicht der Ruhe wegen, die ihm schon gegönnt war, sondern der Muße wegen, welche ihm erlaubte, dem großen Hausvater Himmels und der Erde zuzusehen, wie er sein herrlich Tagewerk vollendet, die große Leuchte der Welt von der Himmelswölbung niederzieht, um sie mit frischem Öl zu füllen; wie er die Vöglein scharenweise in die Nester treibt, den Blumen Tauwein in die Kelche gießt, um sie fröhlich einzuschläfern und sie väterlich im Schlaf zu nähren.

Was der Weltenvater an wunden Menschenseelen abendlich verrichtet, das war ein eigenen Punkt, den Florian besonders freudig und gerührt bedachte; er hätte darüber Dinge sagen können – Dinge, die ihn selbst betrafen – doch das war für niemand als nur für sein eigenes Gemüt in Stunden still geheimer Weihe ... Vorbei, vorbei an solchen Dingen!

Als Florian dem Dorfe näher kam, war es hier schon feierabendlicher; die Arbeit vor den Häusern war vollbracht, der Lärm der Kinderspiele war zu Ende, die Lerchen waren lautlos aus der Luft gesunken, und die Vogelchöre der Gärten verstummt; die Menschen saßen in den Häusern um den Abendtisch oder knieten schon beim Nachtgebet.

Florian zog am ersten Haus die Mütze, blieb unbemerkt am Zaune stehen und hielt sein Nachtgebet mit denen in dem Haus.

So tat er oft an warmen Abenden, er dachte:

»So braucht der Vater oben, der so viel zu denken hat, mir nicht alleine Audienz zu geben, ich schick' mein Herz in aller Stille mit den andern in die Höhe!«

Es war beinahe Nacht geworden. Florian setzte seine Kappe wieder auf und ging im Dorfe weiter.

Ein vergessenes Kind spielte vor dem zweiten Hause noch im Freien; es hatte sich an den Bach gesetzt und tauchte vorgebeugt die Hände in die Wellen, es konnte jeden Augenblick ins plaudernde Gewässer fallen.

Florian sprang hin und enthob es der Gefahr.

Anfangs wehrte sich das Kind und schrie ganz übermäßig, Florian aber wusste lieb zu tun und so freundliche Worte zu reden, dass es bald das Wehren und Schreien aufgab, dem Florian ins treuherzige Auge sah und ihm lächelnd ins Gesicht griff; es wollte zuletzt gar nicht mehr von ihm, als die Hagenbacherin erschrocken kam und nach dem Kinde fragte.

Mit der Mutter bis vors nächste Haus hin wandernd, bot Florian endlich »gute Nacht« und legte dem Kinde noch einmal die Hände um die Wangen, herzlich sagend:

»B'hüt' Gott und geh' jetzt schön mit deiner Mutter; schlaf' gut und mach' ihr morgen Freude. Aber gelt, es ist nichts an dem Wasser für die Kinder, du gehst nicht wieder an das Wasser?«

Die Mutter dankte für den Zuspruch und ging dem Hause zu.

Das Kind sah ihr über die Schulter, es wollte den Florian nicht aus den Augen lassen.

Ein wehmütiger Schatten lief über Florians Gesicht, als er die schöne Mutter mit dem schönen Kinde in das schöne Haus eingehen sah.

»Se haben alles«, rief es schütternd durch sein Herz; er verlor sich eine Weile in Gedanken.

Allein die rüstige Übung seiner Seele kam ihm bald zu Hilfe; sie wandelte die trübe Klage rasch in helle Freude.

Das schöne Kind hatte ihm nachgesehen, die schöne Mutter hatte ihm herzlich gedankt, und der Herr des schönen Hauses, der Hagenbacher, hatte ihm schon oft so liebevolle Worte aus dem Fenster zugerufen, dass dies wohl auch als erfreulich zu erwägen war.

Florian tat es auch; er sagte sich, alles Schöne und Liebe könne nicht ein jeder besitzen, aber von allem Schönen etwas Liebes zu erfahren, das sei ja auch Besitz, dran wolle er sich erfreuen; wirklich ging er fröhlich weiter.

Eine Schar Enten, die noch im Freien war, trieb Florian in aller Stille dem nächsten Hause zu und sperrte sie dem Eigentümer leise in den Stall, dass niemand seinen Freundesdienst entdecke.

Derlei stille Taten liebte Florian vor allen.

Er hatte sie dem Dorfe auf und ab schon oft erwiesen, und das Bewusstsein dessen setzte seinem Herzen selige Schwingen an.

Der Mond ging auf.

Florian hielt einen Augenblick stille und blickte ihn mit Lächeln an.

»Kommst du?« sagte er, »o, du kommst mir recht! Ja, komm, o meine Lampe, leuchte, leuchte, sei mein Freund. Du weißt, mein Weg ist steil und schwer im Stiefelmaß zu halten!«

Er ging weiter.

Im großen Hofraum des letzten Hauses drehte er sich einem geräumigen Nebenbaue zu, zog ein Brettertor behutsam auf, trat herein, erkletterte eine Leitertreppe und hielt zuletzt vor einer kleinen Türe.

Er langte ein blankes Schlüsselchen, das zwischen den Dachschindeln stak, mit leuchtenden Blicken herab, ließ es wie ein Kind, das sich am Schein ergötzt, im Silberlicht des Mondes spielen und schloss dann auf.

Indem er vor der offenen Türe stand, erschien der Vollmond gerade gegenüber in der Wandöffnung.

Beide sahen sich eine Weile lächelnd an.

»Steig herein«, sagte Florian heiter, »es hat noch immer einer Platz da neben mir!«

Der Mond schien sich die Wangen runder zu lächeln, schwieg aber und rückte langsam weiter.

»Ja, ja, du hast noch einen weiten Weg«, sagte Florian, »so reise glücklich, lieber Freund und gute Nacht!«

Er trat in seine Stube – ihr gütigen Himmelsmächte!

Welch' ein Raum! Welch' eine engumzäunte Stelle für ein Ebenbild des Höchsten!

Und dennoch –

»Mein Haus und Hof«, dachte Florian fröhlich, »mein Gut und Obdach, meine Residenz, mein Hauptgeneralstaatsquartier!«

Er war zufrieden. ...



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