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Sechzehntes Kapitel.
Wandlungen

 

Sie spricht so ganz mit Kindersinne,
So fromm ist ihrer Augen Spiel;
Doch großer Dinge werd' ich inne;
Ich schau' in Tiefen ohne Ziel.
Ja; Wunder sind's der süßen Minne,
Die Minne hat der Wunder viel.

Uhland

 

In der rechten Fülle der Freude sind wir, eigentümlich genug, am wenigsten geeignet, in unserm Wesen die Lärmzeichen innerer Bewegung offen zur Schau zu tragen: eine Milde, nicht zu sagen, kommt über den Rauesten, wir fliehen unsere Umgebung nicht, aber wir sind auch nicht bei ihr; ein Lächeln, ein fast wehmütiges Freudeglüh'n des Auges, ein leichtes Rot der Wangen, das ist der ganze Aufwand, eine namenlose Glückseligkeit des Herzens aufzuzeigen – der Rest ist Schweigen.

So stand Liane Fribert schweigsam und bewegt, träumend ferne und doch bewusst zugegen am Fenster und blickte hinaus; sie feierte die wonnevollsten Augenblicke ihres Lebens.

Jetzt dacht sie an ihre Mutter; das war der Grund, warum sie endlich von dem Fenster weg in den Salon trat, um nach dem Zimmer ihrer Mutter zu gehen.

Ein freudiges Geständnis spielte um ihre Lippen.

An die Zimmertüre ihrer Mutter tretend, gewahrte sie aber, dass man drinnen rede

Die Rätin sprach mit der Hallhöferin, und zwar von Dingen, welche auch Lianen nahe berührten; leicht erblassend senkte sie die Augen und wurde nachdenklich.

Es war von den finanziellen Verhältnissen des Hauses die Rede, und Lianens Namen, obwohl höchst schonungsvoll, wurde von der Mutter zu wiederholten Malen genannt. Man hörte es der Stimme der Rätin an, wie schmerzlich ihr so manches Eingeständnis werde, aber es musste eben mancherlei gestanden werden.

Indessen erholte sich Liane von der flüchtigen Trübung ihres Herzens bald.

Ihre weihevolle Freude kehrte wieder, sie hörte das Gespräch mit Ruhe zu Ende und dachte lächelnd, dass sie eben komme, um zu verbessern, was sie früher hätte unterlassen sollen.

Nun rückten drinnen die Sessel; die Hallhöferin machte sich auf den Weg nach Hause.

Glühend vor Verlegenheit über ein Anliegen der Frau Rätin und wieder froh der Auszeichnung, welche ihr zuteilgeworden, trat sie in den Garten der Rätin und eilte durch das Pförtchen davon, durch welches sie gekommen.

Sie lächelte verlegen-dienstfertig vor sich hin, als befinde sie sich noch der Rätin gegenüber, und sagte:

»O ja! O freilich, warum denn nicht?«

Dann sah sie ernsthaft vor sich hin und dachte:

»So kann's auch solchen Leuten einmal fehlen, auch da von Zeit zu Zeit kein Geld?«

Sie war von der Frau Rätin ersucht worden, entweder selbst oder durch ihren Mann bei dem neuen Millionär ein namhaftes Darlehen zu ermöglichen; mit großer Aufrichtigkeit hatte ihr die Rätin die Gründe ihrer erschöpften Kasse dargelegt, und gerade dieses Vertrauen der vornehmen Frau war's, das die recht Wirkung tat.

Der Mann der Rätin war seit fünf Jahren nicht mehr am Leben; er hatte eine einflussreiche Beamtenbahn zurückgelegt und seine Tage als Hofrat beschlossen. Frühzeitig schon hatte er bedeutende diplomatische Fähigkeiten entwickelt, die man wohl zu schätzen wusste, weshalb man den brauchbaren Mann nicht selten über die Grenzen seiner Amtspflicht hinaus beschäftigte; dafür war nun aber zu Zeiten niemand weniger an den regelmäßigen Verlauf seiner gewöhnlichen Amtsgeschäfte gebunden, und er konnte auf diese Art einer leidenschaftlichen Liebhaberei viele Muße widmen, welche ihn schon frühe in Gedanken und später, als ihm ein hoher Gehalt und eine ansehnliche Rente der Frau die Mittel bot, in tatsächlicher Ausführung beschäftigte. Diese Liebhaberei bestand in dem Besitz und in der Pflege eines schönen Sommersitzes, fern von der Hauptstadt, in einer Gebirgsgegend, welche er von Jugend auf besucht und von ganzer Seele liebgewonnen hatte. Aus dem Tumulte der Residenz oder nach gelösten, höchst verdrießlichen diplomatischen Aufgaben urplötzlich in die idyllische Ruhe eines Sommeraufenthaltes sich zu flüchten, das war das Ideal seiner Wünsche gewesen, und er durfte sich sagen, dass die Wirklichkeit hinter seinen Vorstellungen kaum zurückblieb, nachdem sein Haus mit Garten- und Parkanlagen endlich einmal dastand und gedieh. Leider sollte diese Freude gar zu große Opfer kosten. Nicht nur, dass der Bau des schönen Landsitzes den größten Teil seines Vermögens verschlang, es wurde von nun an jeden Sommer eine doppelte Haushaltung nötig. Frau und Töchter konnten sich nicht immer entschließen, vier bis fünf Monate lang die geräuschvolle Hauptstadt mit dem stillen Aufenthalt im Gebirge zu vertauschen, und ließen sie sich doch herbei, so geschah es nicht, ohne sich einer Anzahl fröhlicher Gäste zu versichern. Solange der Hofrat lebte, ließen sich die Auslagen ziemlich rein bestreiten, allein der Hofrat starb, und es war nun sehr die Frage, wie sich künftig mit einer Pension, einer nur noch sehr mäßigen Kapitalsrente – und zwei heiratsfähigen Töchtern drücken und einrichten? Der ferne Landsitz im Gebirge ohne nutzbringenden Grund und Boden hatte für die Spekulation keinen Wert und war den reichen Liebhabern zu entlegen, er konnte also kaum wieder in ein verzinsliches Kapital verwandelt werden; der dauernde Aufenthalt in der Residenz ohne den früheren Aufwand schien den Damen auch betrübend und war dennoch wieder wegen der Zukunft der Töchter halb und halb zur Notwendigkeit gemacht, man entschloss sich also, auf eine Art mit dem Aufenthalt zu wechseln, dass bei dem geringsten Aufwande die Vorteile der Residenz und des Landsitzes gleichmäßig benützt werden konnten. Man ging schon im März auf das Land und kehrte erst im November in die Residenz zurück. Aber es zeigte sich bald, dass man ganz vergebens strebte, die Ausgaben mit den Einnahmen ins Gleichgewicht zu bringen. Die letzte Kapitalsrente schmolz und verschwand endlich mit dem Kapital; es blieb der unverwertbare Sommersitz und die Pension der Rätin. Jetzt musste ein durchgreifender Entschluss gefasst werden. Unter vielem Herzweh und reichlich geweinten Tränen zog die Rätin mit ihren – noch immer unverheirateten – Töchtern auf das Land, um da zu bleiben. Die Rätin hatte gehofft, bevor ihre Mittel zusammenschmelzen würden, wenigsten Lianen glücklich verheiratet zu sehen und dann mit der bescheidenen Gabriele sich in der Residenz genügsam behelfen zu können; das war nun auch nicht auszuführen, da Liane aus unbekannten Gründen, viele glaubten aus Mangel an Herz und aus Wohlgefallen an den täglichen Triumphen ihrer Schönheit, durch seine Bewerbung bisher zu gewinnen war. Ein Umstand kam hinzu, der die finanzielle Lage der Rätin immer bedenklicher machte. Liane wollte, da sie sich einmal zu dem stillen Landaufenthalt entschlossen hatte, wenigstens den letzten Luxus ihrer Umgebung nicht fallen lassen und wünschte den Landsitz wie zu den Zeiten des Vaters erhalten. Das Glashaus, der Blumengarten, die Parkanlage, selbst die Orangerie musste die vorige kostspielige Pflege erfahren, es schien, als ob Liane in königlichem Selbstgefühl sich künftig Entschädigungen noch reichlich zutraue. Die Mutter blieb diesem verwöhnten Kinde gegenüber schwach wie zu allen Zeiten und wagte es bei aller Wehmut nicht, in Lianens Gegenwart zu klagen und zu einer Partie zu drängen, denn sie fühlte wohl, dass ihr der rechte Herzstoß erst gegeben würde, wenn Lianens Heirat am Ende nicht zu ihrem Glück ausfiele. So weinte sie denn ihre stillen Tränen für sich, erleichterte ihr Herz in vertrauten Gesprächen mit ihrer zweiten Tochter Gabriele, die voll Liebe und bescheidener Selbstaufopferung gerne neben ihrer Schwester in Schatten trat und noch keine Ansprüche laut werden ließ; ihre ganze Sorgfalt ging vielmehr dahin, der Gartenkunst in kürzester Zeit so viel abzulernen, dass die Auslage für einen zweiten Gärtner erspart werden konnte, was ihr auch gelang. Aber die betrübendsten Finanzverlegenheiten waren nicht mehr abzuwehren. Es handelte sich nur noch darum, woher die Rätin die nötigen Gelder auftreiben solle. Den reichen Freunden in der Residenz waren ihre Verhältnisse zu bekannt, auch lebte sie ihnen schon zu lange außer ihren Kreisen, als dass sie sich geneigt finden sollten, kräftig genug nachzuhelfen; auf dem Lande wird der reiche Bauer seine blanke Münze sehr schwer auf die Garantie einer immer nicht reichenden Pension oder auf unnutzbringend Land hin wagen, und der Wucherer dünkte der Rätin an sich schon ein solches Ungeheuer, dass sie lieber ein Äußerstes, als dessen Hilfe gesucht hätte. In großer Bedrängnis gelangte die außerordentliche Kunde von Florians Erbschaft zu dem Ohr der Rätin, und da sie mit dem Hallhof in freundlicher Verbindung stand, so war ihr Entschluss gefasst, durch die Hallhöferin bei Florian ein Anlehen erwirken zu lassen. Deshalb war denn diese zur Räten gebeten worden, und die Begründung der Notwendigkeit eines Anlehens war der Inhalt des Gespräches gewesen, welches Liane zufällig an der Türe hatte führen hören.

Die Hallhöferin war kaum fort, als es an die Zimmertüre der Frau Rätin klopfte und Liane hereintrat.

Die Mutter lag etwas erschöpft und von Sorgen angegriffen in ihrem Lehnstuhle und hätte bei einem gewöhnlichen Besuche schwerlich ihre Lage verändert; als sie aber durch den gegenüber hängenden Spiegel gewahrte, das es ihre Tochter Liane sei, die hereintrat, da wirkte der Zauber dieser Erscheinung wie immer tröstend, die Rätin erhob sich, reichte Liane lächelnd die Hand und sagte:

»Was führt dich her, was willst du, liebes Kind?«

Liane behielt die Hand der Mutter in der Ihrigen und drückte sie mit Zärtlichkeit.

»Eine Stimmung«, sagte sie, »eine Laune, Mutter, führt mich her; ich kann nicht umhin, in dieser Stimmung zu kommen und mit dir zu reden.«

Sie zog ihre Mutter sanft in ihren Sessel zurück, setzte sich daneben und fuhr dann heiter fort:

»Bleib ruhig, liebe Mutter, ich bin diesmal da, dir eine gute Stunde zu bereiten, wenn du so gütig sein willst, mit zwei Augenblicke anzuhören.«

Sie neigte sich nach diesen Worten und küsste die Stirne der Mutter zärtlich; die Rätin blickte verwundert auf und fand kein Wort, um auszudrücken, wie ihr die Tochter so behage, ihr Auge nur füllte sich gemach mit Tränen.

Liane fuhr fort:

»Mutter, es will mir scheinen, dass es doch recht unbillig und wider unsere Verhältnisse gefordert ist, einen Aufwand in unserem Haushalt zu unterhalten, der uns nach und nach in arge Bedrängnis führen muss. Ich weiß recht wohl, wie gerne du allen meinen Wünschen entgegenkommst, und sehe leider spät genug ein, dass ich vieles gewünscht, das unüberlegt und gegen alle bescheidene Kindesrücksicht war. Ich hoffe, Mutter, du wirst mir diese Unbilligkeit nicht zu hoch angerechnet haben, und wünsche, es möge noch Zeit sein, meiner Fehler gut zu machen, Mutter, die Orangerie, das Gewächshaus mit den kostbaren Pflanzen, das sind Dinge, auf welche wir in unseren Verhältnissen wohl verzichten dürfen; auf meinen Wunsch hin sind sie nach des Vaters Tod geblieben und gepflegt worden, auf meinen Wunsch hin wirst du jetzt daraus lösen, was du kannst, gib sie jetzt hin für das Anerbieten des Grafen Ahnrode, die Summe wird uns vor mancher Sorge schützen. Das ist das eine, liebe Mutter. Zum andern will es mir scheinen, dass wir für eine ländliche Haushaltung unsere Gäste zu sehr auf großen Fuß bewirten; die Gäste erwarten es kaum, und wir brauchen es billigerweise nicht zu bieten. Weiß man doch wahrscheinlich gut genug, was unseren Aufenthalt in diesen Bergen veranlasst; lass uns also unser Leben hier einfacher Ländlichkeit anpassen ... Und nun ein Drittes, Mutter.«

»Ich bin gerührt und erfreut, mein Kind, dich solche Vorschläge machen zu hören – was willst du noch?« sagte die Rätin.

»Ich mag hinsehen, wo ich will«, fuhr Liane fort, »so begegnet mir die Natur rings herum, begegnen mir die Menschen in einfachem Schmuck, ich finge nirgends eine Aufmunterung zu Aufwand, nirgends einen Wettstreit im Putz, der mich reizen könnte, mein wertvolles Geschmeide der Welt hier unter die Augen zu halten; ich habe daher beschlossen, Mutter, dieses Überflüssige meiner Habe in bare Münze zu verwandeln und damit die Lücken unserer Einnahmen auszufüllen. Glaube ja nicht, dass es mir ein Opfer ist, dies auszuführen; verzeihe vielmehr, dass ich jetzt erst einen Schritt tue, welchen einfacher Sinn und Kindesliebe mir längst geraten haben. Ich bin nicht immer mit ganzer Seele bei dir gewesen, Mutter, meine Gedanken hatten zu oft in der Ferne zu tun, und so blieb gar manches unbeachtet. Ich bin nun wieder da, mit ganzem Herzen da, bin heimgekehrt mit offenen Augen und heiteren Gefühlen und alles Versäumte, Mutter, soll in Kürze nachgeholt werden. darum fort mit all dem Luxus um uns, wozu das Prangen mit Gold und Edelsteinen? Sind wir einfach und gefallen nicht, dann ist das Wohlgefallen um des Schmuckes willen ein falsches, ein erkauftes, das mit dem Glanz der Edelsteine wieder abgelegt wird. O, dass ich als Hirtin, unbekannt und unbenannt, im Linnenkleid und mit schlicht gekämmtem Haar dem begegnen könnte, den mein Herz erwählt, seine so errungene Neigung wäre wahr und ewig, sie müsste dauern bis ans Ende aller Tage!«

»Tochter! Tochter! Wie ist dir und wie redest du?«

»O, dass ich sagen könnte, wie mir ist! O, dass ich alles sagen könnte! Ich habe noch nicht gelebt und fange an zu leben, ich wusste noch kaum, was Freude ist, und beginne jetzt erst, was Wonne ist, einzusehen. O, Mutter, sage mir, was du wünschest, was dir Freude bereite, damit ich dir in Fülle vergüte, was ich in Jahren dir an Gram und Wehmut zugefügt! Waschen dir die Freudentränen des Kindes die Kummerspuren ab, o Mutter, dann lass mich weinen, weinen an deiner Brust, es sind selige Fluten, die strömen, die mich überwältigen!«

Sie kniete nieder und drückte ihr weinendes Angesicht ans Herz der Mutter.

Da flog die Türe auf, und Gabriele trat herein.

Sie glühte im ganzen Gesicht, und heiter glänzte ihr Auge.

Sie meldete die Ankunft Eschenburgs.

Die Rätin blickte auf, Ihre Überraschung schien ebenso groß als ihre Freude.

»Eschenburg? Eschenburg?« fragte sie wiederholt – »ist es denn möglich, dass er noch unser gedacht, dass wir ihm nicht so gut als verschollen sind? Bitte ihn, lass ihn kommen, ist er doch als guter Freund des Hauses gern gesehen!«

Liane stand auf und trat an ein Fenster, um vor ihrer Schwester ihre Bewegung zu verbergen; auch die Rätin erhob sich und vernahm die weitere Meldung Gabrielens, dass Eschenburg sich durchaus nicht entschließen könne, seinen Besuch sogleich abzustatten; es sei ihm zu früh am Morgen, schütze er vor, auch habe er vorher noch dringend mit jemand zu reden – in einer Stunde werde er wieder erscheinen ...

Drei Herzen waren hier durch die Nähe eines jungen Mannes auf das Lebendigste bewegt.

Liane hatte viel zu schaffen, um über die heftige Bewegung ihres Herzens den Schein äußerer Ruhe zu verbreiten; Gabriele wusste noch selber kaum, welche Folgen ihre Seele aus dem Ereignisse ableiten solle; die Rätin aber – glaubte die Veränderung Lianens mit der Nähe des eben gemeldeten Gastes in Verbindung bringen zu dürfen ... Jedenfalls konnte das Erscheinen Eschenburgs in ihrem Hause manches zu glücklicher Lösung bringen ...



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