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Zwölftes Kapitel.
Luft! Neue Freunde, neue Liebe?

 

O Gott, ich schicke Geld, dich zu befrei'n!

Shakespeare.

 

Als Florian die Haustüre hinter sich hatte und freie Luft atmete, da war es ihm, als fiele ein Alp von seiner Brust, er erwachte aus einem wüsten, fieberhaften Traum.

Schlafen? Jetzt schlafen?

Nein! Hinweg! Über Feld und Wiese! Wie ein fliehendes Wild ohne Rast und Ziel ins Weite!

Das war Florians erster jubelnder Gedanke, den er ausführte, indem er ihn dachte.

So brach er denn hindurch und war in Kurzem auf dem breiten Feldweg hinter dem Hallhof und genoss mit stürmischem Entzücken seine gewohnte Einsamkeit, Freiheit und Bewegung!

Er war also Millionär.

Er hatte keinen Begriff, kein Verständnis dafür! Nur so viel hatte ihn der heutige Tag gelehrt, er sei das Wunder und das Ziel aller Augen; eine Ahnung, dass er noch tiefere Blicke in das scheinbare Glück vieler Menschen werde werfen müssen, durchschauerte ihn.

»Ach! Wie ist doch diese Welt?« dachte er, »auch ein so festes, ansehnliches Hauswesen wie des Hallhöfers kann ohne Halt und Stütze sein?«

Er meinte schon das Äußerste erlebt zu haben und musste bald genug gewahren, dass es erst der Anfang des Anfanges sei.

Lange eilte Florian im Freien hin und wieder; die Nacht bedeckte und beschützte ihn vor dem Zudrang der Menschen, die flimmernden Sternlein ergötzten sein oft nach oben dringendes Auge, der frische Strom der Luft erquickte seine Brust, und so lenkte er endlich, durchaus gestärkt, aber schlafbedürftig wieder nach Hause – seinem Taubenschlage zu ...

Leider war ihm seine luftige Residenz nicht gleich zugänglich.

Er vernahm in der Ferne Musik, und als er, aufmerksam horchend, näher kam, erkannte er bald, dass die Musik aus dem Hallhofe klang.

Schrecken durchrieselte ihn; das konnte Nachtmusik, die man ihm zu Ehren aufführte, sein.

Mit pochendem Herzen schlich er näher und näher, und es blieb kein Zweifel, die Musikanten spielten knapp unterm Taubenschlage, und eine Menge Menschen bewegte sich summend um den Nebenbau.

Schmerzlich betroffen hielt Florian inne. Der Gedanke, dass ihm plötzlich Menschen, die er alle viel besser, glücklicher und reicher gewähnt, so auffallende Huldigungen zuteilwerden ließen, ergriff und verwirrte ihn mächtig; er hätte jeden umarmen, aber auch jeden mit Tränen beschwören mögen, ihn nicht länger mit so großer Freude zu peinigen.

»Wenn das so fort geht«, dachte er, »so werde ich bald viel elender sein als zuvor. Ich habe Millionen, sagen sie, aber dafür auch keine rechte Heimat mehr! Wo soll ich heute schlafen, was werde ich morgen tun?«

Er horchte wieder.

Die Musik spielte heiter zu, und mitten drin erscholl's wie lebhafter Jubel.

Florian ging nun näher, um auch zu hören, was gesprochen werde; das Dunkel der Nacht schützte ihn vor Entdeckung, und so stand er bald ungesehen unter dem Birnbaum jenseits des Baches.

Florians Glück uns Wesen waren der Inhalt aller Gespräche; nur zu deutlich klang aus den lauten Lobeserhebungen die Absicht heraus, dem Glücklichen im Taubenschlage »zu Gehör zu reden«.

Man schien bisher vorausgesetzt zu haben, Florian befinde sich oben in seinem Taubenschlag; da er aber noch immer kein Lebenszeichen gab, so knarrte endlich das Tor des Nebenbaus und einige drangen die Leitertreppe hinauf, um nachzusehen. Sie kamen aber mit der Nachricht zurück, die Türe des Taubenschlages sei offen und Florian fort.

Der Sprecher gab einem anderen ein volles Bierglas zurück und setzte hinzu:

»So habe ich ihm's nicht bringen können!«

Der Empfänger des Glases, der einem Räuschchen glücklich den Weg abgelaufen, hielt das Glas in die Höhe und sagte lallend:

»Nun, so wird er ja hören, dass wir dagewesen sind; ich bring' ihm's, er lebe hoch, der schöne und brave Florian! Da, Musikanten, sauft auf sein Wohl! Ich bezahl's! Ich! Er soll es wissen und soll seine Freunde kennen lernen!«

Wie ein Stein fiel es Florian vom Herzen, als endlich der Volksredner mit den Musikanten und dem ganzen Nachtschwarm von dannen rauschte.

Langsam, gebeugt, von den wunderlichsten Empfindungen bewegt, stieg endlich Florian seine Leitertreppe hinauf, stand vor der zertrümmerten Türe des Taubenschlages, trat hinein und warf sich erschöpft, mit tränenschweren Augen, auf sein Lager.

Was hatte er erlebt! Was war das für ein Tag gewesen!

War er glücklicher als Millionär auf seinem Lager als früher bei aller Armut und Verlassenheit?

Zum Glücke war ihm nicht bekannt, dass ein gar ansehnlicher Wächter seine Sicherheit und Ruhe behüte, er hätte gewiss nicht schlafen können.

Der Hallhöfer ging nämlich mit rührender Sorgfalt drunten auf und nieder, denselben armen Florian bewachend, den er einst in seinem Hause kaum gewahrt ...

Indessen war' im Dorfe wieder stille, ganz stille geworden.

Ein Bursch, der diese Ruhe abgewartet hatte, trat jetzt aus der Türe seines Hauses und ging Fürwalders Hause zu; vor demselben blieb er eine Weile stehen, horchte, ob sich niemand hören lasse, stieg dann behände den hölzernen Balkon hinauf, trat vor ein Fensterlein und klopfte – es blieb stille drinnen.

Er klopfte wieder, etwas stärker als zuvor – doch drinnen blieb es stille.

Nun hielt der Bursch eine Weile nachdenklich inne.

Hm. Sonst war kaum ein leises Rühren an die Scheiben nötig, um sein Lieb ans Fensterlein zu locken; das Knistern der Balken, das Schleichen seiner Füße, wenn er kam, hatte sie geweckt – heute hatte er geklopft, ungewöhnlich stark geklopft, er klopfte noch einmal und rief sein Lieb sogar bei Namen – umsonst, vergebens; der Vorhang blieb herabgelassen, es regte und rührte sich nichts.

Krank war Cilli nicht, er hatte sie noch bei Nachtmusik gesehen, sie war frisch und gesund und sehr wohlauf gewesen – warum war sie ihm schon dort so ausgewichen? Warum gab sie jetzt kein Zeichen, dass sie wach sei, ans Fenster kommen wolle, dass sie ihm noch treu wie sonst sei?

Ein seltsamer Argwohn ergriff ihn; es fiel ihm ein, wie Cilli einst Vertraute der Marianne gewesen, dass sie oft zwischen dieser und Florian hin und hergegangen, Botschaften getragen habe, bis Marianne den Striemer endlich vorgezogen – wie nun? – Florian war auf einmal reicher als ein Graf, er war noch immer ein hübscher Bursch, es konnte nicht fehlen, dass er manchem Mädchen jetzt viel hübscher, anziehend wie eine hohe Respektsperson erschien – Wie, wenn Cilli ihre Bekanntschaft jetzt erneuern, wärmer pflegen, ja für Heiratspläne ausnützen wollte?

Der Bursch stand tief betroffen da; er rief und klopfte heute nicht mehr. Bebend stieg er den Balkon hinunter, stand unten einen Augenblick stille, atmete tief, blickte zu den paar wehmütigen Sternen auf, welche sichtbar waren; dann ging er und verlor sich im Dunkel der Nacht – der Vorhang droben war und blieb herabgelassen ...

Um die Mitternachtsstunde öffnete sich wieder eine Haustüre, und ein anderer Wanderer trat ins Freie.

Es war der Nachtwächter Strander.

Er fühlte Schwindel, sein Atem ging schwer, er musste sich auf seine Hellebarde stützen.

Nach einer Weile rief er die zwölfte Stunde; es fiel erträglich aus.

Dann ging er weiter, den Ruf von Zeit zu Zeit wiederholend.

Beim Weilerhause ließ er sich zum letzten Male hören, da war es auch, wo seine Haltung plötzlich eine grasse Änderung erlitt.

Eine gewisse Ruhe, die er bisher in Haltung, Gang und Stimme beobachtet, machte plötzlich einer fieberhaften Wildheit Platz; die gesenkte Stirne war sich hoch empor, sein lasser Blick wurde groß und leuchtend, dann lehnte er seine Hellebarde weg, zog seine Füße sachte aus den Schuhen, und wie von Erinnyen gehetzt, sprang er in Sätzen gegen das Weilerhaus, verschwand hinter einem Holunderbusch, kam hierauf wieder, aber sachte und horchend zum Vorschein und erreichte die westliche Seite des Hauses.

Mit zuckender Hast nahm er allerlei aus den Taschen und legte es unter einen Haufen Reisig, das neben einer Holzschichte an der hölzernen Wand lag; dann griff er wieder in die Tasche, nahm Feuerzeug heraus, strich ein Hölzchen über eine raue Fläche, es fing, rauchte und glühte auf und sollte eben unter das Stroh und Reisig gelegt werden – als ein Rauschen und Husten in der Nähe hörbar wurde.

Das Zündholz fiel ins feuchte Gras und erlosch; der Strander entfloh; nach einer Weile erschien der Diener des sogenannten Engländers mit einer Blendlaterne, suchte an der Stelle, welche Strander eben verlassen und entdeckte, das Zündholz und das hingelegte Stroh.

Nun ging das nächste Fenster auf, und zwei Männer blickten heraus, indem sie fragten:

»Was hat er vorgehabt?«

Der Diener zeigte das Gefundene, der sogenannte Engländer, sagte zu seinem Nebenmanne:

»Also Feuer wollte er legen, zum Mord und Kindesraub noch Brandstiftung! Bring' diese Beweisstücke herein. Genug! Seine freien Tage sind gezählt!«

Der Diener blies die Laterne aus und trat ins Haus zurück; die Fenster schlossen wieder, und nach einiger Zeit vernahm man aus der Ferne den Ruf des Nachtwächters nochmals:

Ihr Herren, lasst euch sagen,
Es hat die zwölfte Stund' geschlagen,
Die zwölfte Stund' um Mitternacht,
Das Auge Gottes wacht ...



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