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Fünfzehntes Kapitel.
Ein Morgengruß

 

Ich tret' in deinen Garten;
Wo, Süße, weilst du heut?
Nur Schmetterlinge flattern
Durch diese Einsamkeit.

Uhland

 

Das Pförtchen ging auf. Ein Fremder trat in den Garten der Frau Rätin Fribert. Kaum eingetreten, blieb er einige Augenblicke betrachtend stehen, trat dann zwischen dem Gesträuche ganz hervor, ein schöner, schlanker, geschmackvoll gekleideter junger Mann.

Der feine, schwarzglänzende Hut und der sorgfältig gepflegte dunkle Bart um Wangen und Kinn hoben die leichte Blässe des schönen männlichen Angesichtes bedeutsam hervor; die gemessene Haltung und der gewählte schwarze Anzug ließen auf einen feierlichen Anstandsbesuch schließen.

Aber in dem Auge des jungen Mannes lag mehr.

Dieses große, dunkelbraune, seltsam leuchtende Auge widersprach der Förmlichkeit eines bloßen Anstandsbesuches. So ruhig der junge Mann nach einigen Schritten zwischen den Blumenbeeten auch wieder stehen blieb, so regsam suchte und forschte sein Auge durch den Garten und um das Haus. Von den Bewohnern des Hauses war aber niemand zu sehen und zu hören; dagegen gab es ringsumher ein buntes, holdes Leben der Natur.

Es war gegen Ende Mai.

Der Garten der Frau Rätin war der Anlage wie der Pflege nach musterhaft gehalten; ein Geist der höchsten Reinlichkeit und Ordnung mutete von allen Seiten der Beschauer an.

Der Frühling hatte trefflich auf den jungen Trieben der Erde gewirkt; die Pflanzenwelt war in vollster Entfaltung. Hyazinthen, Tulpen, Narzissen und Rosen, Flieder und Nachtviolen wie Aloe und Kaktus blühten und erquickten rings das Auge. Mit der Jahreszeit war die Arbeit vorgerückt, und Astern, Balsaminen, Levkojen und andere Sommerblumen waren ausgepflanzt und Samen einer künftigen Blumenwelt, in Töpfe und Land gesät, trieben ihre Keime.

Der Fremde lächelte.

Der hold-lenkende Geist dieses Raumes war ihm bekannt genug. Er wollte ihn suchen, auf frischer Tat ertappen und ging vom Blumen- nach dem Baumgarten.

Wie war auch hier geordnet und gesorgt! Exotische Bäume und Sträucher waren ausgesät und versetzt, die Wege gereinigt und gefegt, das Gras gemäht und gewalzt, auf den Rasenplätzen die Blumenbeete mit neuen Blumen besetzt.

Ein Heer von Bienen und Schmetterlingen, lebens- und liebesfroh, schwärmte von Beet zu Beet, von Blume zu Blume, von Strauch zu Strauch.

Von Behagen und stiller Freudigkeit schwoll dem Fremden das Herz; mit wachsendem Eifer suchte sein Auge nach jemand im Garten – und siehe da – nun schien er, was er suchte, zu entdecken.

Dort auf einer Bank, unter einem jungen Kastanienbaume, sah er einen Sonnenschirm, einen Shawl, ein aufgeschlagenes Buch liegen, und nicht weit davon geschäftelte eine gar holde Gärtnerin an einem Beete und verschaffte einer Gruppe Spindelnelken weiße Stäbe. Aus einem offenen Käfige, der an einer jungen Trauerweide hing, war ein zahmer Kanarienvogel geflogen und klammerte sich flatternd an die untersten Spitzen der hängenden Zweige, um der lieben Gärtnerin, die das Tierchen zu necken schien, unter dem breiten Strohhut ins Gesicht zu sehen oder vielmehr mit dem Schnäbelchen das Futterkorn zu erreichen, welches die Herrin mi schelmischer Ruhe zwischen den Lippen hielt.

Es wollte nicht gelingen.

Nun flog das Tierchen auf den Strohhut selber, kletterte mit ängstlich ausgebreiteten Flügeln bis zum Rande des Schirmes hinunter, klammerte sich hier fest und ließ sich hängend so tief hinab, dass es mit dem Schnabel das Fruchtkorn im Munde der Herrin erreichen konnte.

Der Fremde sah dem holden Spiele eine Weile stille zu, klatschte dann in die Hände und rief, als der kleine Räuber das Korn erbeutet hatte und lustig die Flucht ergriff:

»Bravo! Bravissimo! Das muss ich sagen, Fräulein Gabriele, Sie geben mir gleich einen hübschen Auftritt zum Besten! Schönsten Gruß und Dank dafür!«

Gabriele blickte um, ließ die Stäbe fallen, sprang empor und rief mit glühenden Wangen:

»Eschenburg! Eschenburg! Sie denken noch unser? Sie kommen uns besuche?«

Und mit der ganzen Freudigkeit, mit welcher sich gute Freunde begrüßen, kam Gabriele auf den Fremden zu, der sich wieder erhoben hatte, fasste leuchtenden Auges wie ein Kind die beiden Hände desselben und sagte:

»Wie freue ich mich, Sie zu sehen! Wie froh werden Sie meine Mutter und Schwester machen!«

Dieser hörte kaum, was Gabriele sprach, er hielt nur seinerseits ihre Hände fest und blickte stumm und in Gedanken verloren in die kindlich-guten blauen Augen der Freundin.

Diese aber ließ ihm nicht viel Zeit, sich mit ihren Augen zu beschäftigen –

»O kommen Sie! Kommen Sie«, rief sie dringend, »ich wüsste droben keine größere Freude zu bereiten, als indem ich Sie melde und bringe, Eschen burg!«

Dieser ließ die eine Hand Gebrielens los und führte sie an der anderen auf den Sandweg weiter, ernst und nachdenklich sagte er nach einer Pause:

»Es ist für einen Besuch noch zu früh am Morgen, ich bin auch nur hier, um mich melden zu lasen für eine spätere Stunde des Vormittags.

»Aber melden, Eschenburg, melden will ich Sie doch zuvor«, erwiderte Gabriele, »ich kann eine so angenehme Nachricht der Mutter und Schwester nicht vorenthalten, auch sind wir gewohnt, auf dem Lande die Besuche um ein Gutes früher zu empfangen!«

»Dies auch zugegeben«, sagte Eschenburg, »ist es doch ein zu wohliges Gefühl, in bekannten Räumen, lange nicht gesehenen Lieben nahe, unbemerkt zu weilen und an dem, was man erwartet, wie den dem, woran man sich erinnert, mit Behagen zu hängen. Gönnen Sie mir diesen Zustand einige Augenblicke, habe ich doch gleich an Ihnen so vieles, was mir zu denken gibt und mich an so vieles erinnert; bleiben Sie also nur da und helfen Sie mir erzählend, Vergangenes und Gegenwärtiges verbinden.«

Gabriele gab dem freundlichen Drängen des willkommenen Gastes also nach und folgte ihm von Freude und Bewegung zerstreut eine Weile durch den Garten, indes das Pförtchen, durch welches Eschenburg gekommen war, wieder aufging und eine Bauersfrau hereintrat.

Die Hallhöferin war es, welche kam.

Sie blickte befangen in dem schönen Garten herum und schien lebhaft zu wünschen, dass ihr der Gärtner begegnen möchte.

Der Gärtner war indessen nicht zu sehen, und so musste sie schon allein zurechtkommen.

Indem sie nun den nächsten Weg nach dem Hause ging und in der Küche fürzusprechen gedachte, um jemand zu finden, der sie droben melde, blickte sie zufällig am linken Flügel des Hauses empor und sah ein lebendiges Bild in einem der Fenster, wie es weder zu beschreiben noch zu malen ist.

Liane stand oben zwischen dem Rahmen des offenen Fensters und blickte unbeweglich in die Freie nach der Richtung hin, wo Eschenburg mit Gebrielen durch den Garten ging.

Die Hallhöferin machte einen verlegenen Knix, sagte »guten Morgen« und eilte vorüber, indem sie dachte:

»Jesu, Gott, du lieber Gott, kann ein Engel schöner sein als das schöne Fräulein da droben?«

Liane bemerkte weder die Hallhöferin, noch hörte sie ihren Gruß. Sie schien unbeweglich wie jene klingende Säule, innerlich voll lieblich tönender Gedanken und Gefühle.

So blickte Liane vor sich hin, gebannt und lächelnd, süßbange und gerührt, im Zweifel, ob sie träume oder wache und doch so zuverlässig sehend, was sie sah ...

Er war also endlich, endlich wieder da, dennoch wieder erschienen – der Stolze, Unbezwingliche, Verschlossene, Grausame und in tiefster Seelenstille so heiß Verehrte, Angebetete!

Er war da! Und warum wieder gekommen?

Warum sonst – als dass er endlich seinen Stolz verleugne, sich bezwungen erkläre und seine Verschlossenheit endlich durch Geständnisse gutmachen wolle? ...

Süßer Augenblick, wo unsere Seele allen holden Wahn der Hoffnung entfaltet und uns hinausführt über uns selbst und über alle Seligkeiten dieser Erde! Wir stammeln das glückselige »Endlich« und erfassen mit ganzer Seele schon den vollen Lohn unserer langen, stillen Duldung und Erwartung, den Lohn für endlose, stille Seufzer und gar bitterliche Tränen ...



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