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Neuntes Kapitel.
Die Eröffnung

 

Nun sitz' ich hier, zugleich erhoben und gebückt,
Unschuldig und gestraft, unschuldig und beglückt.

Goethe

 

Es war nicht möglich, den ersten Andrang des Volkes abzuwehren. Trotzdem der Hallhöfer die Haustür hinter sich schloss, wusste man doch auf dem Umweg durch die Stalltür nach der großen Stube zu gelangen; andere schwangen sich, ohne zu fragen, den Nächstbesten auf die Schultern und stiegen durch die offenen Fenster ins Haus; endlich schob einer der Eindringlinge den Riegel der Haustür zurück, und nach der Vorhalle und großen Stube drang nun ungehindert, soweit es Raum gab, der Strom der Neugierigen.

Als hätte eben eine feierliche Handlung begonnen, wurde nach und nach im Hause alles still, manche zogen sogar die Kappen; man horchte nach der Kammertüre hin.

Dahinter befand sich also jetzt der Anderthalbmillionär und wurde durch den Hallhöfer eben von seinem Glücke in Kenntnis gesetzt.

Die Kammertüre war geschlossen, hier war jedem weiteren Vordringen gewehrt; um aber doch etwas, einen Laut, ein feierliches Husten, das Knarrender Stüblitüre zu hören, legten die Vordersten ihr Ohr an die Kammertür und meinten zu vernehmen, wie der Hallhöfer drinnen auf und ab ging, dann und wann stehen blieb und mit äußerst feierlicher, manchmal bewegte Stimme sprach.

In eine eigentümliche Lage war durch den unerwartet schnellen Zudrang des Volkes die Hallhöferin geraten. Sie hatte sich nicht bei Zeiten aus der Küche nach der Kammer begeben, indem sie den eben fertig gewordenen Kaffee nicht im Stiche lassen wollte; sie sah sich jetzt umringt, zurückgedrängt und wehrlos allen Blicken preisgegeben. Und Letzteres wollt nicht wenig sagen. Die zwei Töpfe, welche sie in Händen hielt, waren als Kaffeetöpfe durch ihr Aussehen wie durch ihren Geruch verraten; die Hallhöferin konnte sie nicht wohl fallen lassen, auch nicht verbergen, sondern musste sie über die Köpfe retten und zuletzt auf ein Wandbrett neben der Kammertüre stellen, wo sie denn als Prediger der Wahrheit jedem, der es wissen wollte, verrieten, dass die Meisterin doch heimlich Kaffe trinke, was sie oft geleugnet.

Unter allen Zuschauern am glücklichsten hatten sich Hallhöfers erwachsene Kinder und das Gesinde zu stellen gewusst; sie waren durch eine kleine Türe des Futterbodens auf den Hausboden und von da nach der Kammertüre gelangt, auf deren Stufen sie sich in eine Gruppe sammelten, atemlos nach dem Stüble schauend und horchen, wo der Hallhöfer dem Millionär eben sein übermäßiges Glück eröffnete.

Die Türe zum Stübli war offen; so konnte man also von der Treppe her die ganze Feierlichkeit bequemlich sehen und hören.

Der Hallhöfer ging bald auf und nieder, bald setzte er sich dem Florian gegenüber, mit einer gewissen Weitläufigkeit als Einleitung erzählend, was er von Florians Abkunft und Schicksal wusste.

Sonderbar genug wurde Hallhöfer nicht selten gerade bei gleichgültigeren Stellen von Bewegung unterbrochen, was wohl daher kommen mochte, dass seine Gedanken den langsamen Worten der Erzählung immer voraneilten, so dass er einmal sogar in grübelndes Nachdenken versank und den Faden der Geschichte ganz zu verlieren schien; doch musste der Vortrag endlich zum Abschlus gebracht werden, und er sagte nach ziemlich überflüssigem Vorbericht:

»Und nun, Florian, nun hast du mehr Vermögen als zehn schöne Ortschaften wert sind mit Häusern, Feldern, Vieh und Wald.«

Florian saß noch immer da wie ein Übeltäter, der sein Todesurteil vernimmt. Er hörte kaum, was ihm von zehn schönen Ortschaften mitgeteilt wurde, und erwartete bebend, wie es nun heißen werde:

»Schade aber, du erbst so viel Vermögen und wirst es doch nie haben, weil du deine Jugend mit Landstreichereien verbracht und, wie man sagt, viel Übles verschuldet hast. Du kommst ins Loch oder wirst des Landes verwiesen – ertrag's, sei still, ertrag's!«

So klang's in seinem Ohr, davon wiederhallte seine erschreckte Seele.

In Folge dessen änderte sich auf einmal seine ganze Erscheinung.

Sein gebeugtes Haupt erhob sich, ein heftiges Rot ergoss sich in seine Wangen, seine Stirne legte sich in düstere Falten, und ein unheimlich leidenschaftliches Feuer glühte in seinem Blick; so erhob er sich straff und groß wie einer, der aufs Äußerste gefasst und kampfbereit seine Umgebung miss, um ihr, koste es, was es wolle, zu entgehen.

Ein wilder Natursohn, der von tausend kleinen Peinigungen des Lebens rasend gemacht, um jeden Preis, sei es auch nur auf einen Tag und sei es auch mit Wunden bedeckt, seine Freiheit wieder gewinnen will, so schien sich Florian verzweifelnd durch Freund und Feind schlagen und wenigstens im freien Feld, in ferner Kluft des Waldes als tödlich gehetztes Wild verenden zu wollen.

Zum Glück, sei es zufällig oder weil er ahnte, was in Florian vorging, sprach der Hallhöfer noch im rechten Augenblick das Zauberwort, welches die Leidenschaft und die Fluchtgedanken Florians mit einem wieder aus dem Felde schlugen, er sagte:

»Und was dein Leben mit den Zigeunern anbelangt, so ist das alles zu deinen Gunsten abgetan, du bist so rein wie ein Kind befunden und kannst in Ruhe bei uns bleiben!«

Wenn uns plötzlich Erschütterndes von entgegengesetzter Naru gemeldet wird, so ist die erste Empfindung gewöhnlich nur ein dumpfes Starren; erst nach und nach kommen die Zeichen innerer Erholung zum Vorschein in unserer äußeren Haltung, in der hellen Farbe der Wangen, im Leuchten des eben noch gebrochenen Blickes.

Bei Florian dauerte die Zeit des inneren Umschwunges schon darum etwas länger, als sich in die Freude über seine gesetzliche Aufnahme in die menschliche Gesellschaft der Gedanke an Vater und Mutter mengte, die nun, wie er jetzt ausdrücklich wusste, nicht mehr zu den Lebenden gehörten.

Er saß also hin und neigte sein Haupt und bedeckte es mit beiden Händen; es war ein frohes Weh und eine wehvolle Freude, die ihn fassten, er hatte keinen eigenen Gedanken in dieser merkwürdigsten Lage seines Lebens, wohl aber schien er jene überirdisch-weihevolle Stimme wieder über sich zu hören, welche ihm so oft schon zugerufen hatte:

»Florian, sei still, ertrag's, sei stille, Florian!«



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