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Dreizehntes Kapitel.
Wer steht fest?

 

Und eh du förder gehst,
so geh' in dich zurücke.

Paul Fleming

 

Florian war indessen sehr bald eingeschlafen.

Aber seine Seele, durch die Erlebnisse des Tages einmal aus dem Gleichgewicht gebracht, konnte auch im Schlafe die gewünschte Ruhe nicht mehr finden.

Er träumte lebhaft. Gar ernste Begebenheiten, welche er wirklich erlebt, waren es, die ihm, freilich mit traumhafter Beigabe, vorschwebten.

Er sah das Zigeunerlager wieder im Walde wie am Tage seiner Befreiung, er erlebte jene Schauerszene wieder, da ihn der Zigeunerhauptmann seiner Bande misshandelte, bis er, vor Schmerz verzweifelnd, zugesagt, während der Abenddämmerung in das Haus des Friedländers zu Küßüben zu schleichen, der folgenden Bande nachts die Türe zu öffnen und so einen Diebstahl verüben zu helfen; er sieht sich hierauf aus dem Walde treten, im Freien angelangt aber die Flucht ergreifen und vergebliche Versuche machen, von der menschlichen Gesellschaft aufgenommen zu werden: die Zigeuner sind in der Gegend verrufen, Florians wüster Anzug, sein sonnverbranntes und von Schmerz verstörtes Gesicht machen ihn eher verdächtig als anziehend, so wird er überall zurückgewiesen, ja bedroht und zuletzt in einem entlegenen Hofe mit Hunden davon gehetzt; sein Kopf wirbelt, sein Gemüt irrt ratlos, der Hunger lässt ihn, da es Spätherbst ist und die Äcker nicht einmal Rüben bieten, endlich nirgends mehr Hilfe sehen als bei den Zigeunern – und so erneuert der Traum dem Burschen wieder jenen Jammertag, an dem er Dieb unter den Dieben werden soll; – er denkt nicht mehr, er hört keine Stimme des Gewissens mehr, von dumpfer Wut getrieben, kommt er während der ersten Dämmerung in Küßüben an und schleicht in des Friedländers Haus und will in einer dunklen Ecke ruhig die Nacht abwarten – wird aber entdeckt und festgehalten, soll eben von den Knechten misshandelt und dem Schulzen ausgeliefert werden, als der Friedländer heimkommt, den Burschen näher besieht, sich ins Mittel legt, mit Florian eine Unterredung beginnt, aus den Augen, aus der Sprache des Burschen etwas ganz anderes als einen Taugenichts herausliest, ihn zu bleiben ersucht, ihm die Probe auferlegt, die Nacht in seinem Hause zu weilen und unbewacht die Diebe einzulassen oder sie abzuhalten; – und der Traum führt weiter aus, wie Florian die Kameraden irrezuführen weiß, wie er die Knechte weckt, ihm hilfreich zu sein, um die Diebe zu fangen oder doch zu verscheuchen; wie endlich der Tag anbricht und Florian allen im Hause ganz anders erscheint, wie er mit besseren Kleidern angetan, über das Gebirge an den Hallhöfer geschickt wird mit einem Empfehlungsbrieflein, ihn in Dienst zu nehmen oder ihm Dienst zu verschaffen, wie ihn der Hallhöfer erst als Hirten, dann als Knecht aufnimmt, wie der Friedländer Sorge trägt, dass Florian sonntags ohne Aufsehen Unterricht im Lesen und Schreiben wie in der Religion erhält, wie Florian sich wunderbar zu seinen Gunsten fort und fort entwickelt, beliebt wird, wie er dann der Wälser Marianne näher kommt, lebhaft von Liebe erfasst wird, am Striemer einen Nebenbuhler erhält, mit welchem er oft in die gefahrvollsten Verwicklungen gerät; – wie er endlich erleben muss, dass sich Marianne für den Striemer erklärt, wie er so den Kelch der Schmerzen bis auf den letzten Tropfen auskostet, wie er endlich auf lange Zeit in sich selber dumpf zusammensinkt, duldend und ergeben sich nach und nach wieder erholt, sich aufrichtet, ein neuer Mensch ersteht, sein Herz von weltlichen Wünschen wehvoll, aber gefasst loslöst, wie er endlich stiller und stiller geworden, nur noch einen Wunsch hegt und nährt, als redlicher, fleißiger Mensch da zu stehen und sozusagen eine unabhängige, geräuschlose Stellung in der Gesellschaft der Menschen zu erringen ... Der vakante Taubenschlag eröffnet ihm endlich diese letztere Aussicht, er mietet ihn, richtet sich daselbst ein und wäre hier wahrscheinlich langsam alt geworden und abgestorben, wäre nicht anderes über ihn in den Sternen beschlossen gewesen ... Dieses Stück Leben war es also, welches Florian mit traumhaften Sprüngen und Zusätzen heute vor Augen hatte; – von seinen Millionen träumte er nichts.

Desto lebendiger sollte er am Morgen und während der folgenden Tage daran erinnert werden.

Als Florian die Augen aufschlug, war sein erster Gedanke:

»Was heute anfangen?«

In eine Lage wie gestern wollte er sich um keinen Preis wieder bringen lassen; entfliehen und wie ein Wilder zwecklos durch Feld und Wald zu laufen, das wollte er an einem Tage, wo alles seinen Geschäften nachging, noch viel weniger; er beschloss also zu arbeite und so zu arbeiten, als wäre nicht die geringste Veränderung in seinem Leben vorgegangen.

Er stand auf, trat aus dem Taubenschlage, kam über die Treppe herunter und wollte durch das Tor über den Hof und Bach unter seinen Birnbaum gelangen – als er unter an der Leitertreppe an ein frisches Strohlager und einen menschlichen Körper stieß; er drückte das Tor ein wenig auf, um etwas Morgenlicht hereinzulassen – Und wen sah er da liegen und schlafen?

Den Hallhöfer!

Dieser hatte sich gegen Morgen, ermüdet vom Wachen, ein wenig hingestreckt und war, ohne es zu wollen, eingeschlafen.

Florian erschrak, obwohl er nicht ahnte, wie der Hallhöfer in diese Lage gekommen war. Dann schlüpfte er sachte durch das Tor und eilte unter seinen Baum, die freie, frische Morgenluft genießend, seine Andacht mit derselben Innigkeit, aber unruhiger als sonst verrichtend.

Diese wohltuende Einsamkeit währte indessen nicht lange.

Denn als Knechte und Mägde im Hause sichtbar wurden, die Kinder erwachten und der Hallhöfer selbst zum Vorschein kam, als endlich der Schlot des Hauses rauchte und Florian gesucht und mit Gewalt wieder in das Stübli zum Kaffee gezogen wurde, wo die Huldigungen des vorigen Tages von Vorne anfingen, da eröffnete sich dem armen Millionär die erschreckende Aussicht auf einen neuen stürmevollen Tag; – und sie bestätigte sich auch.

Florian setzte es zwar durch, dass man ihm wie gewöhnlich an die Arbeit zu gehen erlaubte, allein unbehelligt und still nachdenklich wie sonst zu arbeiten, dieses alte Glück war vorbei, dahin!

Wie quälte es ihn, dass ihm die Kinder Hallhöfers, Knechte und Mägde immer den leichteren Teil der Arbeit zuschanzen wollten, dass ihre artigen Aufmerksamkeiten nicht enden wollten, dass um alle Lippen ein süßes Lächeln spielte, während man sich versteckte Gewalttätigkeiten erlaubte, um Florians Nachbar bei der Arbeit zu werden; wie manche Wange glühte da hoffend und verlegen neben ihm –

Und erst die übrigen Bewohner des Dorfes!

Gestern waren sie ihm in Masse nahe gerückt, heute sollten einzeln und in kleinen Gruppen bei der Arbeit, auf dem Wege ins Feld oder daheim in die Nähe kommen!

Stotternd, schmeichelnd, zudringlich rückten ihm viele an die Seite und verwirrten und peinigten ihn mit schlecht verhüllten Erwartungen; viele sah er verlegen, bescheiden, errötend in der Ferne stehen und geheime Wünsche und Anliegen wehvoll niederkämpfen.

Mittags fühlte sich Florian gefoltert von der Fülle bewiesener Achtung und Liebe; – was er aber am folgenden Abend erlebte, das gab dem Rest seiner früheren Lebensanschauung fast den Todesstoß ...

Unter dem vielen, was Florian im Laufe des Tages huldigend und schmeichelnd zugeflüstert wurde, war auch ein paar ängstlicher Worte, welche Florian nicht wieder vergaß.

Man hatte ihn mit diesen Worten an einen Ort, »wo ihm jemand etwas Dringendes mitzuteilen habe!« bestellt.

Der Überbringer dieser Botschaft war der Jägerbursche und derjenige, welche das Dringliche mitzuteilen habe, war der Förster selbst.

Nun wissen wir von früher, welche Ehrfurcht Florian vor dem stattlichen Förster hatte, wie sehr er einst das schöne Försterhaus bewundert und so ein gesichert prächtiges Leben wie das des Försters zu seien höchsten Wünschen zählte.

Florian versäumte daher nicht, des Abends, als er endlich die Erlaubnis hatte, sich in seinen Taubenschlag zurückzuziehen, nach dem Jägerhause zu wandern, freilich verwundert und befangen genug.

Es war gerade elf, – im Försterhause herrschte tiefe Stille; alles war zu Bette, auch der Jägerbursch, der jeden Abend alle Türen abzuschließen hatte.

Nun aber erhob sich jemand wieder von seinem Lager, trat in Schlafrock und Pantoffeln leise aus der Wohnstube, schob den großen Riegel der Haustüre sachte zurück und verschwand in der anstoßenden Stube.

Die Gestalt war unser Förster selbst; er wartete auf Florian.

Dieser war dem Haus inzwischen nahe gekommen, trat an die Türe, versuchte die Klinke zu drücken, die Türe ging auf, er stand in der geräumigen Vorflur, hörte den Gesang der großen Wanduhren in den Zimmern, meinte Kaffee und allerlei würzige Sachen aus den Kästen zu riechen und gedachte der Hirschköpfe, die in der Dunkelheit wohl seltsam auf ihn nieder gucken mochten.

Da stand er also leibhaftig, dringend und höflichst hergeladen, wo er es früher kaum gewagt, nur seine Gedanken herumspähen zu lassen.

Aber nicht lange blieb er so mit seinen Betrachtungen allein.

Die Stubentüre ging auf, der Förster trat ernst, fast gebeugt heraus, ein Licht in der Hand.

»Guten Abend, Florian«, sagte er leise und ergriff Florians Hand; und ohne ein Wort weiter zu verlieren, führte er diesen, sachte auftretend, nach einem entlegenen Gartenstübchen, wo sie allein und unbehorcht reden konnten.

Hier angekommen, schloss der Förster die Türe hinter sich, ließ einen Fenstervorhang nieder, stellte das Licht auf den Tisch und zog den Florian sanft, beinahe zitternd neben sich auf ein schadhaftes Kanapee.

»Lieber Florian«, begann er, »hör' mich an!«

Florian bebte bei dieser neuen, unerwarteten Huldigung.

Er blickte sprachlos auf und wartete ergeben auf das, was folgen würde.

Der Förster fuhr fort:

»Florian – kann sein, du weißt noch nicht, was es heißt, ein Haus zu führen, große Familie zu haben, zu leben, standesgemäß zu leben; wenn du es noch nicht weißt, so sieh' an mir – an mir, Florian – hör' an, hör' an ... Du bist ein guter, herzlicher, bescheidener Mensch, Florian, ich vertrau dir heute etwas, das kein Mensch sonst weiß, ich muss dir das vertrauen, weil dir Gott Segen gegeben, weil du im Stande bist – zu helfen – ja zu helfen, Florian! ... Hör' ... Gelt, ich bewohn' da ein schönes Haus, ich hab' mein sicheres Einkommen, gelt, und wenn sich das von Weiten so ansieht, könnte der Mensch wohl glauben, es sei für eine Familie mehr als genug ... Florian, es kann auch sein, es ist genug; aber du weißt vielleicht nicht, wie das so hereinkommt und wieder fortgeht, wieso immer mehr fortgeht als hereinkommt – und dass ich es nur sage: meine Sache ist in einem Hohlweg verfahren, Vorspann, Hilfe Vorspann ist vonnöten!«

Florian bog sich unter der Last dieses Vertrauens, dieser Freundlichkeit.

Wo war die Majestät des Herrn Försters, den er sonst nur straff, gestiefelt und gewichst zu sehen bekommen?

Weg; unwiederbringlich weg war er; ein Freund, ein Vertrauter saß an seiner Seite.

Der Förster hatte den Kopf sinken lassen, hob ihn wieder und fuhr dann fort:

»Ich habe Wind bekommen; der Herr Graf ist unzufrieden. Es wird zu viel Waldung ausgeschlagen, die Herrschaft meint, es geh' zu wenig Geld ein ... Hör' Kann sein, die Herrschaft hat recht. Ich will's auch bessern, muss es bessern, aber einen Helfer braucht's, dass ich's bessern kann ... Florian, du bist im vollen Glück und Segen, dein guter Wille, wem kann er nicht helfen? Hör', Florian, – ich muss einige Leute los werden, du steh' mir bei, sie los zu werden ... Hör' ... Ich hab' zu meinem Einkommen stets hinzu gebraucht; die Handwerker, Tischler, Binder und Wagner haben das gewusst; sie sind gekommen und haben Geld geborgt zu niederen Interessen, wenn ich sie walten ließe, wenn ich im Revier ein Auge zudrücken wollte; ich hab das Geld genommen, hab es nehmen müssen ... Florian, seitdem verwüsten diese Raubvögel mir den Wald; ich muss zusehen, ich bin in ihrer Hand, ich könnte blutige Tränen weinen um den schönen Wald; aber ich muss sie lassen! ... Florian, und da ist es jetzt so weit, geht die Verwüstung im Revier fort, so verlier' ich Dienst und Brot – und mir ist nur zu helfen, wenn mir jemand an die Hand geht, mir so viel vorstreckt, dass ich den Raubvögeln ihr Handwerk leg', ihre Summen ihnen wiedergebe ... Und dieser Helfer und Freund sollst du mir sein; du kannst es und du wirst es; der Himmel hat dir so viel Segen zugeteilt, dass du leichtlich teilen kannst mit anderen, mir ein wenig Helfer werden kannst! Ja, willst du, wirst du?«

Florian saß wieder wie gestern vor dem Hallhöfer da, ein Stück schöner, verehrungswürder Welt war ihm abermals zertrümmert.

Also auch hier, auch hier hatte in unsichtbarer Feind den Grund eines Familienglückes untergraben, das dem Florian einst so glänzend, so beneidenswert erschienen!

Stotternd und verwirrt, dass schon wieder ein ansehnlicher Mann ihm gegenüber bittend erschienen, sagte Florian alles, alles zu und bat nur um die Erlaubnis, jetzt ins Freie – heim zu dürfen, es sei ihm nicht recht wohl, er habe Schwindel; – und als er von dem Förster freundlich geleitet vor die Haustüre trat, im Freien stand und endlich allein war, da wusste er kaum mehr, ob er wirklich gesehen oder nur geträumt, was er gesehen – er musste eilen, um den Hallhof, den Taubenschlag zu erreichen, um nicht auf dem Wege hilflos hinzusinken.

Kaum in seinem Bette angelangt, verfiel er einem Fieber, einem Delirium, das nicht lange darauf sogar Zeugen herbeilockte und Hilfe veranlasste.

Der Hallhöfer hatte die Klagelaute des Kranken bis in den Hof herab vernommen, war vor das Lager Florians geeilt und hatte sogleich die Gefahr erkannt; er weckte nun sogleich sein Haus, um alles aufzubieten, was dem Besten des Kranken dienen konnte; er schickte zum Arzt, zum Pfarrer, es musste allerlei gekocht und beigeschafft werden, wenn es auch überflüssig war – hatte doch Florian, jetzt ein reicher Herr, den Beistand nötig –

Ah, und wie kam der Herr Pfarrer, wie kam der Arzt geflogen!

Man ließ das halbe Dorf sogar aus seinen Betten treiben!

Und am nächsten Morgen – was war das für ein Drängen, Fragen, Klagen; als hätte das ganze Land einen Unfall erlitten, wurde überall von dem glücklichen Kranken oder dem unglücklichen Millionär gesprochen; Betten, Wohnungen, Hilfeleistungen aller Art wurden angeboten, und es bedurfte einiger Gewalt, das Gedränge dieser Sorgen und Freundschaften abzuwehren; der Nebenbau des Hallhofes musste endlich förmlich abgesperrt werden, damit der Kranke durch keinen Lärm gestört und erschreckt werde.

Zum Glücke war Florians Fieber nicht gefährlich und auch von keiner Dauer.

Gegen Abend des nächsten Tages war er wieder außer Bett; am zweiten Tage durfte er schon im nahen Obstgarten auf und nieder wandeln und »Audienz« geben; als er gegen Abend des dritten Tages sich im Garten gezeigt und dann in seinen Taubenschlag zurückgezogen hatte, wurde die »Kontinentalsperre« um den Hallhof beseitigt, und es summte noch lange von Teilnehmenden und Neugierigen in der Runde.

»Hätt' ich anstatt all der vielen Beileider meine arme Mutter hier, wie wäre mir besser geholfen!« dachte Florian, angekleidet auf dem Bette liegend. Er fühlte lebhaft, wie es ihm unmöglich sei, die ganze Nacht da wieder hinzuliegen und zu ruhen, wo er doch nicht müde, nicht mehr krank war. Auch argwöhnte er etwas von überflüssigem Doktern und beschloss einen Lauf ins Freie zu machen, ohne entdeckt zu werden.

Alsbald schlich er aus dem Taubenschlage, trat an die Leitertreppe, von der er wusste, dass sie wegzunehmen war, versuchte seine Stärke, die ihn schon Wunderbares hatte vollbringen lassen – und siehe! Die Krankheit hatte ihn kaum geschwächt. Er zog die Leiter, die oben nur leicht befestigt war, zu sich hinauf, dachte: »Jetzt mögen sie nachsehen, ob ich schlafe« – suchte dann eine Stelle am hinteren Gebälk des Baues, wo er behutsam, wenngleich unter Beschwerden hinabstieg, worauf er durch das Tor nach dem Garten ins Freie floh ...

Der Hallhöfer ersuchte für heute einen Knecht, in der Nähe des Nebenbaus zu wachen; er selbst bedurfte wieder einmal Ruhe, da er bereits drei Nächte schlaflos zugebracht.

Als Florian nach einer Stunde wieder kam und durch das Tor des Nebenbaues wollte, gewahrte er den bestellten Wächter vor demselben. Er machte daher rechtsum und schlüpfte zwischen zwei Brettern in den unteren Raum des Baues, um zur Leitertreppe zu gelangen; allein da fiel ihm ein, was er dort angerichtet!

Er hatte nicht nur den Leuten, sondern auch sich die Leiter zum Taubenschlage weggezogen.

Jetzt war guter Rat teuer. Im Finstern wieder hinaufzuklettern, wo er herabgekommen war, das schien unmöglich; den wachehaltenden Knecht wollte er nicht ins Mitleid ziehen – was war zu tun?

Da fiel dem armen Flüchtling ein, dass an der Rückwand des Baues ein Nussbaum stehe, dessen Äste sich dem Dach zuneigen, den Baum wollte er erklettern, auf dem Dache eine Stelle über dem Taubenschlag abdecken und durch die entstandene Öffnung in seine Wohnung steigen.

Gedacht, getan.

Also wieder durch die Bretterlücke in das Freie geschlüpft, im Freien den Nussbaum gesucht, auf das Dach geklettert, auf dem flachen Dache leise vorwärts geschlichen – endlich – nun? – Warum auf einmal hingekniet, den Atem angehalten, die Augen starr und nach und nach tränenvoll auf eine Punkt gerichtet?

Seltsamer, rührender Zufall.

Jene trauernde Taube, der graue, hagere Cassius des vertriebenen Federvölkleins saß wieder da, einige Schritte von Florian, stille hingekauert, ruhend und kummervoll schlummernd, den Kopf halb unter dem Gefieder des Flügels verbergend.

Florian blieb nun auch geräuschlos und in wehmütiger Betrachtung vor der Taube knien.

Waltete doch manche Ähnlichkeit zwischen ihnen beiden! Rührte doch der Anblick dieser einsam Klagenden immer gar viele Saiten in Florians Gemüte an – das Gedenken an Vater und Mutter – und was er trotz seiner Millionen mit Mariannen verloren!

In einem solchen Gegenüber hatte sich wohl nie ein Millionär und eine still kummernde Taube befunden ...



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