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Viertes Kapitel.
Von einem Fremden, und was der Hagenbacher von ihm wissen will.

 

Ich liebe mir den heitern Mann
Am meisten unter meinen Gästen:
Wer sich nicht selbe zu Besten haben kann,
Der ist gewiss nicht von den Besten.

*

Als wenn ich auf den Maskenball käme
Und gleich die Larve vom Angesicht nähme.

Goethe

 

Seit einigen Tagen lebte ein seltsamer Fremder im Dorf.

Er war das Ziel aller Augen, aber nur selten und flüchtig gesehen; er war die stehende Frage aller Lippen, aber keine zwei Lippen konnten sich rühmen, eine Auskunft über ihn zu wissen.

Der Fremde bewohnte das Weilerhaus.

Es stand mitten im Dorf, war ziemlich neu, stand frei und luftig da, hatte nach allen Richtungen Fenster, war vor einem Jahre noch Gemeindegut gewesen und wurde dann von einem jungen Händler gekauft, vom Keller bis zu Dache ausgebessert und hierauf von ihm und seinem Weibe bewohnt.

Da erschien vor einigen Tagen ein reitender Bote; er sprengte, mit Staub bedeckt wie ein feindlicher Vorposten ins Dorf, blickte mit Adleraugen prüfend umher, spornte sein Pferd vor die Türe des Weilerhauses, sprang ab, und indem er die Zügel des Pferdes mit der Linken hielt, pochte er mit der Rechten an die Türe des Hauses.

Das Weib des Händlers trat vor die Türe.

Sie wurde gefragt, ob das Haus für einige Monate zu mieten sei.

Sie erwiderte, das sei es nicht.

Sie wurde weiter gefragt, ob das Haus auch gegen sehr gutes Geld nicht zu mieten sei.

Die Händlerin erwiderte, ihr Mann sei in Geschäften abwesend, und sie getraue sich nicht ohne seinen Willen das Haus zu vermieten.

Jetzt nannte der Bote eine solche Summe für die Miete, dass das Weib des Händlers vor Freude und Schrecken blass und rot wurde, das Drangeld, welches der Bote in blankem Silber reichte, war mehr, als sie für die Miete eines Jahres zu verlangen gewagt hätte.

Da war ihr Widerstand gebrochen.

»Ja, wenn es doch sein soll und nicht anders ist«, sagte sie beklommen, »dann will ich's halt machen, dass es auch sein kann.«

Das viele Drangeld brannte sie in der Hand; sie wollte die Hälfte zurückgeben, weil das Haus noch gar nicht geräumt sei; aber der Bote schien keine Zeit verlieren zu wollen. Er nahm das Geld nicht zurück, sagte nur: »Da Haus reinigen, lüften, sonst lassen, wie es ist, in drei Tagen sind wir da.«

Und somit jagte er wieder von dannen.

Es lässt sich denken, dass ein unerhörter Fall wie dieser nicht geringes Aufsehen machte.

Am dritten Tag sammelten sich von Stunde zu Stunde neugierige Gruppen vor dem Weilerhause, die Ankunft des Fremden zu erwarten.

Der Fremde kam auch wirklich, aber in einem geschlossenen Reisewagen und zur Zeit der Abenddämmerung. Die sich alle Hoffnung gemacht, den Fremden von Angesicht zu Angesicht zu sehen, täuschten sich gar sehr. Denn er ließ den Wagen knapp bis an die Türe fahren und schlüpfte mit solcher Behändigkeit in die Türe, dass ihn auch nicht ein Auge zu sehen bekam!

Nun, da war er also – und kein Mensch wusste oder ahnte, wie oder was.

Die ganze Wucht neugieriger Erwartung warf sich daher auf den Schulzen, der doch vermöge seines Amtes herausbringen musste, was hinter dem Fremden für eine Person und hinter der Person für ein Geheimnis stecke.

Aber ein Herr, welchen Adjutanten zum Quartiermachen sendet, welcher dann im eigenen Reisewagen kommt und sich mit fürstlichen Manieren sozusagen bis in die Vorgemächer fahren lässt – ein Mann endlich, der statt eines Mietschillings für drei Monate eine Summe bietet, welche beinahe das Jahreseinkommen des ganzen Hauses übersteigt, ein solcher Mann war nicht so gerade mit gewöhnlicher Amtsart und Weise zu behandeln.

Der Schulze wollte sich eben krank stellen und den ältesten Gemeinderat bitten lassen, dass er heute ihn vertrete, als ihm der Fremde zuvorkam und ihn bitten ließ, zu ihm zu kommen.

Das war was anderes.

Krankheit und Stellvertretung hatten jetzt keinen Sinn mehr, und so ging der Schulze mit einiger Zuversicht und großen Schritten dem Weilerhause zu. Ihm folgten Männer, Weiber und Kinder. Man blieb erwartungsvoll draußen vor der Türe stehen, um, wenn der Schulze wieder herauskäme, das Allerneueste aus erster Hand zu empfangen.

Der Schulze kam auch bald wieder heraus. Er bemühte sich heiter zu sein und zu lächeln, war aber doch sehr blass und ernst dabei.

»Nun?« fragte ein Dutzend Lippen auf einmal.

»Ja, nun«, erwiderte der Schulze – »ein reicher Herr, ein Engländer ist's, er kommt aus Karlsbad, sagt, er werde drei Monate hier verweilen und mit einem anderen Engländer, der noch im Karlsbad ist, Zwickmühlfahren – so etwas wie Zwickmühlfahren, er hat es Schach genannt. Alle Tage, die Gott schickt, schickt er auch seinen Zug auf die Post, desgleichen tut der andere im Karlsbad wieder. Sie haben um dreißigtausend Gulden gewettet, und wer den andern überwindet, steckt eben die dreißigtausend Gulden ein ... Drum kommt jetzt weg da, der Fremde will seine Ruh' jetzt haben!«

Einige waren nicht abgeneigt, den Worten des Schulzen Glauben beizumessen, da bei Engländern alles möglich ist; andere schüttelten den Kopf und wollten dadurch zeigen, dass die Eröffnung des Schulzen ihnen nur deshalb unglaublich sei, weil sie ihnen nicht unglaublich genug erschien.

»G'scheitinger«, erlaubte sich eine vorwitzige Stimme zu bemerken, »wird da nicht aber mit uns Zwickmühlgefahren?«

Alles lacht und zerstreute sich.

Vom nächsten Tag an kam und ging der Postbote regelmäßig jeden Tag, so dass es mit der Aussage des Schulzen seine Richtigkeit zu haben schien; – aber warum ließ sich dieser englische »Zwickmühlfahrer« nie und nirgends bei Tage erblicken? Warum ging er abends höchstens eine Viertelstunde unter alten Birnbäumen auf und nieder?

Die Engländer sollen so überaus gerne sich dem Fischfang ergeben. Warum fischte er nicht?

Viele Engländer sollen so ungeheuerlich-seltsame Launen haben. Warum hatte er das Dorf noch nicht in Brand gesetzt und keine Kinder aus dem Fenster erschossen?

Überhaupt, warum hockte sein Diener vom Morgen bis zum Abend unterm Vordach vor dem Hause? Und sollte man ohne Grund verbreitet haben, dass allnächtlich um die zwölfte Stunde geheimnisvolle Gestalten bei ihm aus – und eingingen?

Der Hagenbacher musste gefasst sein, am heutigen Sonntagnachmittag den auf seinem Anger versammelten Männern Rede und Antwort zu geben; denn er war in allen auffallenden Dingen stets am besten unterrichtet oder wusste doch immer durch Erklärungen sich zu helfen, die Hand und Fuß hatten.

Die Männer waren gegen fünf Uhr in gehöriger Zahl versammelt; es wurde viel geredet und noch mehr geraucht; und was nichtfehlen konnte; der Fremde wurde bald der ausschließliche Gegenstand des Gesprächs, und man erwähnte ohne Umstände des Gerüchtes, unter den geheimnisvolle Gestalten, welche um Mitternacht bei dem Fremden aus- und eingeschlichen, habe man auch den Schulzen und den Hagenbacher bemerkt.

Der Hagenbacher wollte eben Anstalt treffen, über den Herrn aus England einige Aufklärungen zu geben, als er den Strander vom Nachbarhofe daherkommen sah; der kam ihm aber gerade recht, den wollte er unter seinen Zuhörern haben, wenn er seine Erklärungen abgab.

Er stand also auf, sagte: »Mit Verlaub, ihr Männer, ich will erst meinen Schecken ins Freie lassen«, und ging dem Stalle zu. Dadurch gewann er Zeit, den Strander herankommen zu lassen, der auch bald die im Grase sitzende Versammlung erreichte und nach leichtem Gruß beinahe unbeachtet Platz nahm.

Der Strander war von mittlerer Größe, ziemlich umfangreich und von ungesundem Fett. Sein Kopf war, wie sich das beim Lüften der Mütze aus. Die Stirne musste einst unter dem Haarwuchs eine kleine, schmale Fläche gebildet haben; jetzt konnte sie den ganzen Kopf zu ihrem Bereiche zählen, da alle Haarumrandung aufgehört hatte. Alt mochte der Strander nahe an sechzig Jahre sein; und wie er dasaß in dunkelbraun gefärbten Leinenkleidern, die Füße in Holzschuhen, war auch an seiner bitterlichen Armut nicht zu zweifeln.

Nun kam der Hagenbacher mit seinem Schecken, einem Prachtstück, aus dem Saale zurück. Er führte das Tier nicht ohne Stolz an den Männern vorüber bis zu den Mühlbach, wo er sagte:

»Nun Hans, mach's gnädig und fang mir keine Händel an!«

Dabei ließ er die Mähne los, versetzt dem Tier einen Schlag und trat zur Seite.

Hans spitzte die Ohren, warf den Kopf in die Höhe, als wolle er sehen, ob es mit der Freiheit Ernst oder Scherz sei, bäumte sich und setzte brausend durchs Gewässer des Baches.

Lächelnd blickte der Hagenbacher dem schönen Tier nach und nahm dann seinen vorigen Platz unter den Männern wieder ein.

Schon wollte es scheinen, die Frage über den Fremden sei inzwischen in den Hintergrund getreten; auch dem Hagenbacher schien es keinen Pfahl ins Fleisch zu stoßen, wenn er um eine Erklärung nicht weiter angegangen würde, aber der Neugierde war bereits zu hart auf die Hühneraugen getreten worden, und so meldete sich die Erinnerung an den Fremden gar bald wieder.

Der Hagenbache blies drei Wolken Rauches vor sich hin; es waren drei stumme, aber sichtbare Trompetenstöße, welche andeuten sollten: »Ihr wollt es haben – und den, die Folgen über Euch und Eure Kinder!«

Wieder ein blauer Trompetenstoß, dann sagte er:

»Dass der Fremde ein Engländer ist, das wisst Ihr alle ...«

»Es hat da kürzlich in den Zeitungen gestanden (der Posthalter von Seilern hat mir's augenscheinlich vorgelesen), hat also dagestanden: ein Tierbändiger ist herumgezogen mit allerlei Vieh, wahrhaften Wüsteneien von Tieren, Rinds- und Katzenbestien, wievon in den Schulbüchern steht, als da sind: Löwen, Tiger, Bären, Wölfe, Schlangen und mehr von derlei blutgierigem Gefräß. Man erfasst gar nicht, wie es ein guter Gott hat erschaffen und in der Arche hinter Schloss und Riegel für die Nachwelt hat erhalten mögen. Gut aber, sie sind einmal da, nicht mehr bei uns, Gott sei Dank, in Asien und Afrika, hinter Eisengittern. Ein Dutzend von diesen armen Würmlein hat also derjenige Tierbändiger herumgeführt in Deutschland, Frankreich und England, und man hat sie sehen können fressen, hören können brüllen; ihrem Herrn und Meister, sein Name ist mir aus der Acht gekommen, haben sie gehorcht wie Kinder, grausenhaft zu sehen. Da – in England ist's gewesen; da schaut zwischen anderen Engländern eines Tages auch ein besonderer Engländer zu, wie der Tierbändiger eins der Tiere nach dem anderen nimmt und einen wahren Graus damit verführt. Die Schlange muss sich ihm rings um den Leib her winden und ihm gar die Wange küssen, sie fiebert zwar vor Gift und Galle, was hilft es aber, sie muss doch folgen; dem Tiger stellt er sich mit einem Fuß auf das Kreuz und mit dem anderen Fuß und den Händen schwindelt er in der Luft herum, bis der Tiger ganz winnig wird und ihm die Zähne an die Wade setzt, aber nicht beißt; der Löwe muss aufspringen und brüllen, wenn der Meister zu ihm kommt, muss auf ihn zu, mit den Vorderfüßen seine Brust, mit dem Höllenrachen sein Gesicht bedrohen, aber der Meister steckt ihm geruhsam Hand und Kopf in den Rachen, gibt ihm geruhsam ein paar Ohrfeigen, und der Löwe nimmt den Herrn für genossen an und ist dankbar für das Frühstück, das der Meister ihm dafür in Winkel stellt –

So geht es fort mit all den wilden Tieren; jedes muss sein Geduldstück liefern.

Das weckt dem einen Engländer viel Bedenken. Er sagt: der Herr und Meister wird eines Tages von seinem Tiger gefressen!

»Heiliger Gott!« ruft einer, der das hört, »Ihr glaubt das wirklich?«

Der Engländer nimmt sich gar nicht die Mühe, seinem Nebenmanne einen Blick zu schenken, er sagt nur noch einmal: »Der Herr und Meister wird eines Tages von seinem Tiger gefressen!«

Von da an geht der Engländer alle Tage ins Tiertheater, bleibt da von Anfang bis zum Ende und will dabei sein, wenn der Herr gefressen wird. Als der Tierbändiger seine Wüstenei von Bestien zusammen nimmt, damit nach Deutschland zieht, in Deutschland von Hamburg nach Berlin, von Berlin nach Wien, von Wien nach München und Frankfurt – zieht der Engländer nach!

Von Frankfurt geht's nach Frankreich und in Frankreich wieder von Stadt zu Stadt – der Engländer nach!

Von Frankreich geht's nach Spanien, von Spanien ins Wälsche weiter und von da übers Wasser nach Amerika, von Land zu Land, von Ort zu Ort – der Engländernach, er will den Herrn von seinem Tiger fressen seh'n!

Hier machte der Hagenbacher eine Pause und tat einen langen Zug aus dem Pfeifenrohre; dann fuhr er fort:

»Ja denn; – da war's, da geschah es endlich – der Tiger hatten Kreuzschmerzen an jenem Tage oder war nicht sonderlich bei Laune, kurz, wie der Meister kommt und will sich wieder auf ihn stellen, stellt er selber seinen Mann, erfasst den Herrn wie's Donnerwetter hier und hier, und eh derselbe bitten kann, lass mich wenigstens das Zeichen des heiligen Kreuzes machen, hat ihn das Tier schon kreuzweis in dem Magen ...«

Der Hagenbacher blies wieder blaue Wolken aus der Pfeife und sah jetzt ruhig vor sich hin; der Weber dachte:

»Da bläst er's ja naus, was es ist, blauer Dunst, was er uns zum Besten gibt!«

Die anderen Männer aber vermochten sich eines stillen Grausens nicht zu erwehren, mit Aufmerksamkeit horchten sie, was Hagenbacher, der merkwürdig genug dreinsah, noch weiter sagen würde – dieser fuhr auch fort:

»Wie der Engländer das gesehen hat, ist er zufrieden gewesen und hat eine Erholungsreise angetreten. Er ist wieder von Land zu Land, von Ort zu Ort und hat sich nicht wenig eingebildet, dass er einmal ein so guter Prophet gewesen. So ist er auch wieder nach Frankreich gekommen. Wie er da in einer Stadt geruhig auf- und abgeht, sieht er einen Turm, der hat Sprünge, und wie die Wolken drüber hinzieh'n, scheint's ihm, dass er wackle.

»Der Turm fällt nächstens ein«, sagt er, er fällt ein! So gut ein Tierbändiger gefressen worden ist, kann auch ein solcher Turm sich nächstens seine Urständ suchen – er mietet sich ein Haus, nicht weit und auch nicht nah bei jenem Turm und richtet sein Augenmerk unausgesetzt darauf; wenn er schläft, muss der Diener wachen, wenn er wacht, so darf der Diener schlafen.

Um Gottes Christi willen, die Einwohner hören diese Prophezeiung kaum, so flieht auch alles über Hals und Kopf hinweg, und niemand will mehr in der Nähe wohnen.

Aber doch – was half's? Einmal sitzt der Engländer bei dem Essen und denkt: von jetzt an kann es jede Stunde geschehen – da – krach! – und es bricht und donnert wie aus den Wolken nieder – und der Turm liegt da, in ganzer Eselslänge da!

Der Engländer hat das kaum gesehen – so lässt er sein Essen stehen, hopst einmal lustig auf und nieder – packt ein, reist ab und ist von ganzer Seele froh, dass wieder ein so schönes Unglück auf den Tag beinahe eingetroffen ist! ...

»Da ist ja ein grausenhafter Mensch, der Engländer«, dachte der Weber, »es ist wirklich gut, dass er so weit in Frankreich sich die finstere Zeit vertreibt!«

Der Hagenbacher schien die Männer jetzt ganz außer Acht zu lassen und fuhr wie in Gedanken fort:

»Kurze Zeit darauf tut der Engländer eine Reise nach der wälschen Grenze und kommt so in ein Dorf. Es ist sonst nichts Bemerkenswertes in dem Ort, als dass in einem Haus ein groß Geschrei und Schlagen ist und dass zwei junge Männer eben aus demselben kommen, ganz noch erhitzt und ganz noch voller Zorn.

Der Engländer guckt sie um einander an, lässt den Wagen halten, steigt heraus, fragt, wer die jungen Männer sind und erhält zur Auskunft: Brüder, die das schöne Haus besitzen, die aber fort und fort im Unfrieden leben und alle Tage, die Gott schickt, in wilde Händel geraten.

Der Engländer lässt den Postwagen fahren, nimmt im Ort Quartier, dem Haus der Brüder gerade gegenüber und verbleibt auf Weiteres da. Alle Tage sieht er dem Streit der wilden Burschen zu und denkt: jetzt geb' ich ihnen acht bis vierzehn Tag noch Zeit, bis dahin geschieht's – und ich wette, der Jüngere ist's, der seinem Bruder den Todesstreich versetzt!

Wahrhaftig – der achte Tag ist nicht vorüber, so verfangen sich die Wildlinge in einen solchen Streit, dass sie erst mit Fäusten, dann mit Knütteln, dann mit Messern schlagen und stoßen – und der Ältere ist's, der auf dem Platze bleibt. Der Engländer ist zufrieden – packt ein und macht sich weiter auf den Weg und denkt zufrieden: ist mir wieder ein rechter Blick gelungen, 's ist doch etwas Schönes um einen sicheren Unglücksblick!«

Nun konnte auch der Weben sich eines Grauens nicht erwehren.

»Alles in einem, Nachbarn«, fuhr der Hagenbacher fort, »kurz und gut, der absondere Engländer hat von da an das Prophezeien nicht mehr aufgegeben und das Reisen. In Tirol hat er einen Bergfall angesagt; ich weiß nicht, wo, einen großen Brand; hat er von einem Mordfall wo gehört, so ist er hin, hat sich die Menschen angesehen und hat sich seinen Mann – den Schuldigen – nur so herausgeguckt, dann ist er geblieben, bis es die Gerichte schwarz auf weiß erwiesen haben: Der Ausgeguckte ist der Mörder!«

»Was soll ich euch noch weiter sagen? Der Mann, der Engländer – ist jetzt hier; es ist der Fremde.«

»Ich weiß nicht, was er bei und sucht, auf was er wartet. Er hat das Weilerhaus in Miete genommen, es muss auf die Art in Kurzem was geschehen, Gewöhnliches auf keine Weise – denk ein jeder stille nach, was ihm geschehen könnte – sonst behüt' uns Gott das Leben, Weib und Kind und Haus und Habe!«

Ein gewaltig langer Wolkenzug aus Hagenbachers Pfeife beschloss jetzt die Erzählung. Durch eine zufällige Handbewegung nach dem Kopfe hatte sich die Spitze seiner Zipfelmütze aufgesteift und sah einer Schellenkappe ziemlich ähnlich.

»Das ist ja entsetzlich«, dachte der Weber, »mein Haus ist baufällig, er wird doch nicht auf seinen Einsturz warten?«

»Mein Weib ist krank«, dachte der Gruber, »wird sie sterben? Wartet er auf den Tod?«

»Am Ende kann's auch eine Feuersbrunst sein, die er sehen möchte«, dachte der Blendlmeier, »man soll sich schier mit allem Licht verfeinden!«

So dachte sich jeder ein Übel, das ihm nahe lag, während mancher Blick mit der Erwartung an Hagenbachers Gesicht hing, dass er jetzt und jetzt durch ein Lächeln bekenne werde: »Im Übrigen bin ich selbst der Letzte, der alles glaubt!«

Der Hagenbacher aber lächelte nicht, er schien vielmehr wie jeder andere zu denken, was denn ihm Besonderes begegnen könne. Dabei leuchtete sein Blick einmal blitzähnlich und fragend über Stranders Angesicht hin.

Der Strander hielt seinen Arm auf das Knie gestützt und den Kopf in die hohle Hand; so blickte er vor sich hin auf den Boden.

Er dachte nichts, er wagte nichts zu denken; mit der linken Hand, welche schlaff ins junge Gras niederhing, pflückte er von Zeit zu Zeit die Spitze eines Hälmleins ab. Das einzige, was einem aufmerksamen Beobachter an ihm auffallen musste, war die Behändigkeit, mit der er sich erhob, als die Männer jetzt erinnerten, dass es Zeit sei, die Versammlung zu verlassen.

Strander ging auf geradem Wege seiner Wohnung zu.

Diese bestand aus einer geräumigen Stube und Kammer, die durch verjährten Schmutz an Fenstern und Wänden, auf dem Boden und in den Winkeln verwahrlost genug aussahen. Die Luft, durch Öffnen der Fenster nie gereinigt, legt sich beschwerend auf die Brust des Eintretenden.

Aber Gewohnheit oder Stumpfsinn – oder ungewöhnliche Aufregung ließen den Strander in diesem Augenblick nichts von diesen Außendingen gewähren; sein Argwohn war mit tausend Augen nach innen gerichtet, wo jetzt ein Gedanke, als wäre er lange begraben gewesen, leichenblass und bebend aus dem schwärzesten Winkel der Seele hervorschlich und dastehend zwischen anderen Gedankengeschwistern seufzte:

»Bin ich verraten? Sind sie mir auf der Spur? Ist jener Fremde meinetwegen hergekommen?«

Lange stand Strander wie versteinert in seiner Stube da, bis er auch das wenige Licht der Stube für zu hell erachtete für seine Mienen; er ging nach der Kammer, wo er einen dunklen Lappen vor die Öffnung der Wand zog, nur in Nach und Schwermut einsam hinzusitzen ...



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