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5.

Es war am Morgen nach jenem Dreifaltigkeits-Sonntage. – Auf einem Hügel oberhalb Nesseldorf hatten sich Männer, Weiber und Kinder gesammelt, die voll Neugierde und Schauder nach dem Buchenwalde sahen, hinter dem alle Viertelminute ein Kanonenschlag die Luft erschütterte; es war seit Menschengedenken wieder ein Manöver dort, und wer nicht Zeit oder Lust hatte, dabei zu sein, horchte wenigstens in der Ferne dem menschenmörderischen Donner der Geschütze.

Es war ein Moment, wo der Stern des Ansehens alter Männer wieder leuchtete, die es erlebt hatten, wie zur Zeit der Napoleonischen Kriege einmal auch wie heute hinter jenem Walde Kanonendonner rollte und plötzlich, nachdem die Unseren nach dem Grundsatze: »Der Gescheitere gibt nach« – sich zurückgezogen hatten, am Waldesrande eine blaue Linie sich bildet, die breiter und breiter wird und endlich, wie ein Ameisenhaufen rührig bis ins Tal herab und in die Ortschaften reicht, so dass man nichts mehr sieht als Himmel und Franzosen! ...

»Hinten haben wir noch einmal angepackt«, erzählte der blattersteppige Lixl-Thomas, damals Grenadier gewesen, »aber vorne sind sie uns durchgewischt und herunter da in die Dörfer und festgenistet darin, und eh' man sich's versah, war alles ausgefegt und gebrandschatzt!«

»General Wurmbrandt ist zu spät gekommen, der hätt's verhüten können«, sagte der alte Stadl-Hannes mit dem eirunden Gewächs am Ohr. »Ja, das ewige Verspäten, das ist unser Unglück immer!« riefen mehrere verdrießlich.

»Grad' vierzehn Tage früher ist der General Pranislavotitsch hier durchgekommen mit dem Befehle, die Franzosen aufzuhalten, koste es, was es wolle!« erzählte einer voll Ärger. »›Lassen sie sich denn halten?‹ ruft er, da man ihm sagt, es wär' mit einem Schnellmarsche um den Wald herum getan, dort lägen die Franzosen und könnten weggefangen werden wie räudige Schafe! ›So was lässt sich morgen besser machen‹, sagt er, ›heute halt' ich sie nur fest im Auge‹– und macht Rasttag in Altmarkt! – Anderen Tages hat niemand mehr gewusst, wo die Franzosen bei Nacht und Nebel hingekommen!«

»Darum hat ihn auch Erzherzog Karl schneller abgesetzt, als er jemals einen Marsch genommen!« sagte der alte Sägemüller und fasste eine tüchtige Prise zwischen die Finger.

»Ja, Erzherzog Karl! Wenn's nach dem gegangen wäre, der hat's recht im Sinne gehabt! Wo der war, ist's auch zusammengegangen!« rief der alte Garnen-Weber ... »Wir sind eben trotz Krieg und Kriegeszeiten damals auch im Gäu herum – verdienen hat man müssen! – Wie wir nach Dambach kommen, heißt's: Erzherzog Karl ist da mit seinem Hauptquartier; er führt was ganz Apartes im Sinn, bald werden wir's erleben! – Wir das hören – unsere War' einstellen – kost' es, was es wolle – hin! ... Ihr lieben Leute – so was stellt sich keine Menschenseele vor! – Was war das für ein Trubel, ein Kommen und Gehen, Reiten und Fahren! Couriere und Adjutanten! Generale, Offiziere, Ordonanzen – Alles nach- und durcheinander – es ist zugegangen…«

»Wie bei Muckerls Taubenzauber«, fiel ihm einer in die Rede.

»Grad' so, beim Himmel!« fuhr der Weber fort und blickte unwillkürlich nach dem Dorfe hinab, wo man über dem Dache Grösslhubers ein unruhiges Hin– und Herfliegen zahlloser Tauben sehen konnte.

»Dort geht's heute nicht gar lustig zu«, sagte jetzt ein kleiner, alter Mann, der als Bereiter des Prisil-Tabaks berühmt war ... »der Grösslhuber ist heut zum ersten Male kritisch gegen den Muckerl; er ist gestern fort mit seinen zwei ›Inspektorinnen‹ – und heute noch nicht zurück gekommen!«

»Da muss ihm was passiert sein«, sagte der Sägemüller, »so was lässt sich der Muckerl nicht so leicht nachsagen!« Er blickte auch nach dem Grösslhofe und fügte hinzu: »Aber was kommt denn der Bohmann so angestiegen, als wär' er gehetzt und nicht richtig in der Spurweite?«

In der Tat war es auffallend, in welchem Zustande der Genannte die Richtung vom Grösslhofe herkam, denn sein Gang war rasch und doch unsicher; er agitierte vor sich hin mit den Händen und sprach auch laut, und endlich konnte man die Totenblässe merken, die sein Gesicht bedeckte.

»Was ist denn vorgefallen?« fragt der Garnen-Weber, einige Schritte entgegengehend.

»Ihr lieben Leute – schrecklich! Bekreuzigt euch und die Welt, dass so etwas unserm Nachbarn, unserem Dorfe passieren konnte!« erwiderte Bohmann nach wiederholtem Stocken.

»Was denn aber – was?« riefen Mehrere.

»Sie haben ihn gefunden…«

»Wen?«

»Den Muckerl!«

»Nun, was ist's mit ihm?«

»Aus ist's – ganz aus mit ihm, hier und im Jenseits…«

»So sagt doch, wie?«

»Sie haben ihn gefunden ... Auf dem Häckselboden – halb im Stroh – beinahe kniend – die Rebschnur um den Hals ...«

»Doch nicht – um Gottes Jesu willen! ...«

»Ja ... Schon ohne Leben ... kalt – und wie sie ihn abgeschnitten, ist er ihnen in die Arme gefallen, wie einer, der keine Knochen im Leibe hat!«

Ein Ausruf des höchsten Schreckens und Grauens lief von Munde zu Munde. Man wollte nicht glauben, was man hörte; und doch wollte man wieder die Ursache des Unglaublichen erfahren – vergebens ... Man eilte in das Dorf hinab, um dort zu sehen und zu hören, was geschehen war – und erfuhr nur vorläufig, dass Muckerl wirklich nicht mehr unter den Lebenden sei ... Warum? In welchem Zustande er sich – oder jemand ihm – den schrecklichen Tod gegeben hatte – darüber wurde man erst einige Stunden später aufgeklärt, als Muckerl bereits zwischen vier ungehobelten Brettern auf dem Häckselboden lag, um bei einbrechender Dämmerung, begleitet von Entsetzen und Grauen des Dorfes, nach einer ungeweihten Ecke des Kirchhofes getragen und dort – mit Einwilligung des Pfarrers – verscharrt zu werden! ...


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