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Das Birkengräflein

1.

Da steht das Land.

Der Stauffer hat's vorhergesagt. »Da droben wird es stehn«, hat er gesagt, »mitten in deinem besten Feld, Ruhländer«: – es steht nun droben in seinem besten Feld. »Es wird das schönste Haus im Zirkel von zwei Meilen sein, wird hellgrüne Fensterläden und neumodische Spiegelfenster haben«, hat er gesagt: – man sucht in Wahrheit umsonst nach einem schönern Haus, es hat ein Stockwerk, Ober- und Unterwohnung, ist blank wie eine Grafenkapelle und hat seine hellgrünen Läden und seine Spiegelfenster, durch die man heraus- und nicht hineinsieht.

Damals hat der Stauffer auch noch gesagt: »Hinter dem Haus werden zwei Tannenbäum' stehen, vor dem Haus zwei Linden und um das Ganze herum lass' ich eine Ziegelmauer führen, schön weiß angestrichen.« Es ist damals viel gelacht worden. Jetzt lacht niemand mehr; denn das Haus, die Tannenbäum', die Linden sind da, und der Stauffer liegt morgens, mittags und abends im Fenster und beguckt sich das Geriss ums tägliche Brot da unten im Dorf. Väter, Mütter, Söhne, Töchter, Knecht' und Mägde, Ross und Stier müssen ins Zeug fahren, und damit es nicht zu spät geschieht, kräht vor Tagesanbruch der Hahn, und damit es nicht zu fahrlässig geschieht, ist man nie vor Mangel und schlechtem Wetter sicher. Der Stauffer kann schmunzeln zu demallen und er tut es auch. Er hat Aktien, Staatspapiere, Verschreibungen auf sichere Häuser und so lebt er in Gottes Namen seine Tage als gemachter Mann dahin. Und dieser gemachte Mann war einst nicht mehr noch weniger als ein ausgemachter – Birkenreiszusammenordner, müssen wir sagen, da er's hören könnte – unter uns gesagt: Besenbinder!

Es ist merkwürdig, aber wahr und etwa zehn bis elf Jahre her.

Damals lebte der Stauffer noch als unterster Mensch, versteht sich nur der Wohnung und dem Vermögen nach gerechnet. Denn unterhalb der Mühle steht ein Häuschen, arm wie eine Kirchenmaus, schlecht gewandet wie ein Flüchtling mit durchlöchertem Hut und Mantel. Da drinnen lebte der Stauffer, damals mit seinem Weib und seinen fünf Kindern, lauter Mädchen. Das Weib ist ihm bald gestorben, sie hat die Reise ins andere Leben nicht allein antreten können, sie hat sich eins der Kinder mitgenommen; das Vorjüngste hat sie sich gewählt. Denn man sagt, wenn das Weh einer sterbenden Mutter so groß ist, dass ein Schluchzen des Erbarmens durch die Scharen der Engel bis an den Thron des Herrn gelangt, so lässt der Herr einen Seraph kommen und ein Kindlein, welches sich die sterbende Mutter wählt, in das Reich der Seligen bringen. Darum, will man auch behaupten, sterben manchmal Mütter und Kinder so eilig nach einander. Der Staufferin mochte es nun Wohlergehen im andern Leben, dem Stauffer erging es eine Weile noch nicht besser auf dieser Welt. Es war eine brennende Armut, an der er litt. Aber das muss man sagen: er war ein Mann! Seinen Kindern gab er alles, es war nicht viel, aber alles. Fast schien es, er lebe von der Luft, damit seine »Waiselen« keinen Mangel leiden. Immer glaubte man, der erste beste Wind, der erste beste Regen müsse seinem Anzug ein Ende machen, er ließ es regnen und stürmen und besserte unverzagt die Wetterrisse aus, aber seine »Waiselen« mussten in guten, reinlichen Kleidchen gehen. Einmal wurde ihm eins derselben von einem rotköpfigen Buben geschlagen, da hätte er bald das Dorf in Brand' gesteckt und zwei Männer ermordet, weil sie seinen Zorn nicht begreifen wollten. Sonst war er still, gern einsam, zweimal in der Woche zog er Birkenreis nach Hause, die anderen Tage schaffte er unablässig, sie zu binden.

Eines Tages, es war sehr schwül, schleppt er eine arge Last Birkenreis die »Hauslusthöhe« herauf. Oben muss er Halt machen, den Atem kühlen und den Schweiß von der Stirne trocknen. Man kann nicht sagen, dass er gerade übel gelaunt gewesen. Ruhländer zieht auf seinem Acker eben eine Furche, und wie er ihn bemerkt, hält er ebenfalls inne.

»Nun, Stauffer«, sagte er, »du ziehst längere Furchen als ich, dein Feld reicht vom Birkenwald bis zur Mühle. Du säest Stiefelnägel und bloße Füß' gehn dir auf. Wie oft musst du hin und wieder mähnen fuhrwerken, bis es dir ein Stück Brot abwirft?«

Diese Worte waren gewiss schlimmer gesagt als gemeint.

Aber sage man das einem Menschen, dem sie bereits durchs Herz gefahren sind! Es ist gefehlt, jemand mitten in der Qual seines Lebens lächelnd an sein fruchtloses Leben zu erinnern; es heißt Feuer auf eine Brandwunde legen.

Stauffer erblasste; es zuckte ihm durch alle Glieder. Doch mählig wich die Blässe wieder, Stauffers Auge blickte milder und sagte lächelnd:

»Ruhländer, wie teuer gibst du dieses Mittelstück deines Feldes? Ich wüsste einen Käufer, der dir's bar bezahlte.«

Ruhländer erwidert scherzend: »Wenn du der Käufer bist, sollst du's um die Hälfte haben!«

»Und wie viel ist die Hälfte, wenn ich fragen darf?«

»Achthundert Gulden unter Brüdern.«

Stauffer sieht ihn an und sagt mit ernster Stimme: »Wie lange hast du dir die Dinge in der Schule gemerkt?«

»Ein Tänzel Rutenhieb auf die flache Hand vierzehn Tage, das Lineal im Kreuz drei Wochen und das Einmaleins, das weiß ich heute noch.«

»Dann ist Hoffnung, dass du dein eigenes Kopfstück heut, alle vier Wochen in der Sonntagsschul' wiederholt, im Angedenken hältst, bis ich den Handel mache. Ich kauf' das Mittelstück des Feldes. Ich bau' mir ein Haus her, das schönste auf zwei Meilen, soll hellgrüne Fensterläden und neumodische Spiegelfenster haben, hinten zwei Tannenbäum', vorn zwei Linden und um alles herum eine Ziegelmauer, schön weiß angestrichen.«

Ruhländer lachte laut auf und sagte: »Dazu will ich dir zwanzig Fuhren umsonst machen und einen Stand Ochsen stell' ich dir als Präsent in den Stall.

Er zog die Furche weiter.

»Abgemacht«, sagte der Stauffer, hob sein Reis auf und schleppte es schnellschreitend heim.

Es arbeitete gewaltig in ihm. Seine Seele war an vielen Stellen wund, sein Herz fieberte. Er hatte etwas gesagt, von dem er kaum wusste, wie es ihm auf die Zunge gekommen. Er blickte einmal um in dem Glauben, es folge ihm jemand, der ihm noch ganz andere Dinge ins Ohr sage. Zu Hause fand er die Kinder spielend und nach Brot verlangend. Es war nicht viel da, er verteilte es; dann stellte er sich in eine Ecke und schluchzte. Damit aber die Kinder nichts merkten, spielte er mit den Fingern an der Fensterscheibe. Dann setzte er sich vor das Haus und fing zu schaffen an und schaffte bis in die Nacht hinein, der Mond leuchtete seinem Eifer und hob noch einmal eine heiße, bittere Flut aus seiner Brust. Bevor er schlafen ging, stellte er sich vor das Kammerfenster, pfiff ein heiteres Lied, damit die Kinder, wenn sie etwa noch wach wären, glaubten, er sei zu Hause und habe gar keine Sorgen; dann ging er im Sturmschritt zum Dorfe hinaus und stand nach einer Weile auf der Hauslufthöhe an derselben Stelle, wo er heute das Gespräch mit dem Ruhländer geführt ... Am Himmel war's ruhig; der Mond sah kühl und klar aus dessen endloser Tiefe, die Sterne nickten und wankten, in den Lüften kein leises Regen und so auch nicht im Dorfe: die Mühle nur schickte ein leises Rauschen bis herauf ... Was in Stauffer vorging, muss wohl großenteils Geheimnis bleiben. Gewaltig und bunt genug sah es aus. Sein Auge hob er nur einmal flüchtig zu den Sternen, dann ließ er es unbeweglich auf dem schlummernden Dorfe ruhen. Er konnte nicht sagen, dass er da unten von Jugend auf gerade schlimm behandelt und je mit Vorsatz hart gestoßen worden wäre; allein genug, da unten hatten ihn die Sorgen eines langen Lebens ohne Unterlass wund geschlagen, und heute hatte eine ungeschickte Hand daran gegriffen: jetzt flammte der Schmerz in wildem Feuer von allen Seiten auf. Stauffer wähnte sich von allen Menschen da unten schnöde behandelt. Jeder, meinte er, denke wie der Ruhländer, wenn auch nicht jeder so rede. Daher hatte er auch nur einen Wunsch, und diesen ließ er unnatürlich wachsen: den Triumph wünschte er zu erleben, eines Tages, er wusste noch nicht auf welche Weise, als gemachter Mann zwischen hellgrünen Fensterläden von hier aus feiernd und behaglich auf die Plagen des Dorfes niederschauen und die vielgehetzten Menschen belächeln zu können. Mit diesem Wunsche ging er heim und legte sich schlafen.

So ist das Schicksal.

Oft wird mit Kanonen gesprochen, Himmel und Erde erbeben, das Schicksal schüttelt den Kopf und will nicht hören. Ein andermal geht uns ein Gedanke auf den Zehen durch die Seele, das Schicksal hört ihn, fasst ihn, erfüllt ihn, ja übertrifft ihn häufig, so dass wir unruhig werden über die geheimnisvolle Hand, die mitten in unser Seelenleben greift. An Stauffer hat sich das auffallend gezeigt. Vierzig Jahre hat der Mann mit Sorgen gerungen, zu tausendmalen gingen ihm unwirsche Gedanken durch den Sinn, lärmten über die Lippen; aber da war nichts, niemand, kein Schicksal, welches hören und helfen wollte: da wirft er eines Tages einem Nachbar mehr im Übermut als mit Absicht, einige Worte hin, geht darauf in stiller Nacht hinaus, denkt seinen Worten lautlos weiter nach, kniet nicht einmal mit gehobenen Händen bittend hin, blickt nicht einmal rechtschaffen gegen Himmel – und jetzt hat er sein schönes Haus mit hellgrünen Fensterläden und Spiegelfenstern, hinter demselben die zwei Tannenbäum', vor demselben die zwei Linden und rund herum die schöne weiße Mauer; über sein Vermögen laufen erstaunliche Gerüchte um .

Und das alles ist nicht einmal ungewöhnlich zugegangen.


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