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4.

Es war am Dreifaltigkeits-Sonntag; die »Frühmesser« waren aus der Kirche heimgekehrt, die zum Hochamte Trachtenden waren erst unterwegs dahin ...

Muckerl hatte sein Teil Gottesdienst in Sicherheit gebracht, stand um acht Uhr im Hofraum des Nachbarn und lockte und fütterte sein buntes, auserlesenes Taubenvölklein; es ging zu wie immer, lustig und lebhaft, aber es dauerte nicht so lange. Muckerl hatte etwas Besonderes vor, hatte Eile; – er zog sich auch langsam gegen den Stall und an der Mauer hin nach dem Häckselboden zurück, leiser und leiser pfeifend – endlich mit einem kaum mehr hörbaren Triller schließend ...

Wir hatten ihm aus dem Nachbargarten zugesehen und eilten nun auf den Boden des Elternhauses, um durch die Dachluke dem weiteren Verlaufe der Dinge zuzusehen; denn wir wussten aus früheren Beobachtungen, was Muckerl in solchen Fällen vorhatte; – und richtig! Wir hatten uns kaum in unserem Observatorium aufgestellt, als aus der rückwärtigen Dachseite des Nachbarhofes ein Kopf auftauchte, Muckerls Kopf, und in eigentümlich veränderten Tönen sein Pfeifen wieder begann. Der hechtgraue Tauber mit den glänzenden Federn am Halse und den schwarzen Flügelrändern war der erste auf dem Platz; er musste überall dabei sein und postierte sich beobachtend auf der höchsten Kante des Daches. Ihm folgte ein Paar schneeweißer Tauben, dann ein Paar blassblauer – und nun kamen die beiden mit den Spitzenmantillen und den Spitzentüchlein um den Kopf. – Auf diese hatte es Muckerl abgesehen, das merkten wir gleich; gegen sie hin richtete er sein Locken und Pfeifen besonders, und ihnen entgegen warf er auch die Körner, die auf dem flachen Dache ruhig liegen blieben. Das »Spitzenpaar« ermangelte nicht, die Aufmerksamkeit wohlgefällig zu vermerken, und es kam vertraulich dem Spender der Körner entgegen bis gegen die Dachluke zu, endlich bis an den Rand derselben und blickte, den Kopf rechts und links wendend, neugierig nach dem dunklen Bodenraume hinab, wohin sich Muckerl langsam zurückgezogen hatte. Als aber das leise Pfeifen und Locken noch nicht endete, schwang sich plötzlich das Paar ebenfalls in den Bodenraum hinab – und war dort bald in liebevolle Gefangenschaft geraten, man hörte kaum etwas von flatterndem Widerstande ...

Damit war für unsere Neugierde ein neuer, wichtiger Moment gekommen.

Wir eilten vom Dachboden herunter, durch den Hofraum nach dem Fahrwege oberhalb der Häuser – und brauchten gar nicht lange zu warten, als Muckerl, hastig ausschreitend und strahlend vor Vergnügen, erschien; er hatte über die Zipfelmütze den Sonntagshut gesetzt und trug unter der Jacke an der linken Brust, sachte gehalten und sorgsam verwahrt – das wahrhaft vergötterte Taubenpaar – »Inspektorinnen von hinten!« wie es bereits vom ganzen Dorfe genannt war ...

Muckerl hatte Winke erhalten, dass es heimlich im Anschlage sei, ihm das kostbarste Paar seiner Tauben wegzufangen; – das war aber nicht der alleinige Grund, weshalb sich heute Muckerl auf den Weg machte, das Taubenpaar in Sicherheit zu bringen. – Unserem Forscherauge war es nicht entgangen, dass sich im Verbande des Taubenpaares ein Familienereignis vorbereite, und in solchen Fällen pflegte Muckerl – natürlich nur mit Berücksichtigung seiner besonderen Lieblinge – das Ehepaar zu seiner alten Mutter in Losheim zu bringen, die wie Muckerl selbst, eine rührende Pietät und Schutzfreudigkeit während des Brütens entfaltete ... Muckerl pflegte dann, sooft er konnte, und wenn es auch nur für kurze Augenblicke war, nach Losheim zu eilen, sich um die Fortschritte des freudigen Ereignisses zu erkundigen und den glücklichen Abschluss der Dinge am nächsten Sonntage mit einem kleinen Festessen zu feiern ... Das Mütterchen hatte nur zwei Dinge, die sie in ihren alten Tagen noch freuten: ihren Sohn und die Tauben, die er ihr zur Pflege überbrachte, und Muckerl hatte ebenfalls nur zwei Dinge, die ihm über alles gingen: sein Mütterchen und seine Tauben, besonders jene, die er seinem Mütterchen zur Pflege übergab.

Bei dem Freudenfeste, das sie immer nur ganz allein feierten, ging es keineswegs geräuschvoll zu. Das Mütterchen, das vor Alter mit dem Kopfe wackelte, sah zwischen dem Essen schweigend und selig nach seinem Sohne und nach der glücklichen Taubenfamilie, und Muckerl sah zwischen jedem Bissen, den er aß, und jedem Trunke, den er tat, mit dem ganzen Gesicht lächelnd, auf die alte Mutter und auf das glücklich vollbrachte Werk der Täubchenwerdung – und wenn die Zeit des Abschieds kam, reichten sie sich an der Haustüre freundlich die Hand; das Mütterchen blieb an dem Türpfosten lehnen und sah ihrem Muckerl kopfschüttelnd nach, und Muckerl, je schärfer er losschritt, um rechtzeitig seinen Diensthof zu erreichen, desto lebhafter trachteten seine Gedanken zurück zur Mutter und zur jungen Familie seiner Neuvermählten – wie die Kerzenflamme um so schärfer zurückschlägt, je schneller die Kerze fortgetragen wird ...

Und so eilte Muckerl auch an jenem Morgen wie mit Siebenmeilenstiefeln zu dem Mütterchen, um ihr die kostbarsten Lieblinge zur Pflege und Wartung zu überbringen; – wir haben ihn niemals rascher und glücklicher von dannen eilen sehen ... Aber ... war's möglich, muss ich noch heute fragen – dass so etwas kommen konnte – kommen durfte, Muckerl?

Hast wahrhaftig recht, wenn du heute noch zusammenzuckst und mit der umgekehrten Hand über die brechenden Augen fährst! ...


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