Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

12. Von Schätzen und Glocken

Was ist denn aber aus den unermeßlich reichen Schätzen geworden, die in den versunkenen und zerstörten Schlössern und Burgen aufbewahrt wurden? Jeder von uns kennt den Reiz, den eine Burgruine oder die Wallspuren vorgeschichtlicher Besiedelung auf unsre Phantasie ausüben. Der Gebildete träumt davon, irgendein Überbleibsel aus dem Leben derer zu finden, die früher an der Stelle dort gehaust haben, und wäre es nur eine Topfscherbe oder ein Panzerring, ein Steinhammer oder ein vom Rost zerfressener Bronzedolch. Das Volk träumt herzhafter: große Kessel und ganze Tonnen voll Goldmünzen oder gar eine Wiege aus purem Gold, die der übermütigen Herrenfamilie gerade gut genug schien, ihre Kinder darin zu wiegen, warten, in unterirdischen Kellerräumen oder in der Erde verborgen, auf den Glücklichen, der sich einmal zur rechten Zeit und mit den rechten Dingen versehen daran macht, den Schatz zu heben. Und selbst das genügt der Volksphantasie noch nicht: solcher Untergangsstellen gibt es zu wenige; überall, im Keller des eigenen Hauses, auf Feldern und Wiesen und im Wald, kann der Glückliche auf Schätze stoßen, die dort in Kriegszeit oder aus Geiz und Menschenhaß von ihrem einstigen Besitzer verborgen sind. Zufällige Funde von vergrabenem oder eingemauertem Geld, wie sie von Zeit zu Zeit immer wieder vorkommen, oder die Aufdeckung eines alten Friedhofs, auf dessen Urnen und Totengaben der Pflüger unerwartet stieß, geben dem Wunschtraum immer wieder neuen Glanz und neues Leben.

 

Die so erregte Phantasie sucht nach irgendeinem Zeichen, das den Ort verriete, an dem ein Schatz verborgen ist; und was die Phantasie des Volkes sucht, das findet sie auch. Dieselben nächtlichen Lichterscheinungen, die wir im zweiten Kapitel als leidende Seelen gedeutet sahen und dort zu einem Teil aus dem Phosphorschein faulender und verwesender Dinge zu erklären versuchten, werden daneben auch für untrügliche Zeichen vergrabener Schätze gehalten: wo nachts auf dem Acker oder am Abhang des Weinbergs die blaue Flamme brennt, liegt Geld.

Die Beziehungen zwischen diesen »Geldfeuern« und den von ihnen bezeichneten Schätzen werden verschieden angegeben. Manchmal ist die Flamme wirklich nur ganz allgemein das Zeichen für einen unter ihr ruhenden Schatz; aber da sie nicht immer zu sehen ist, so hat ihr Erscheinen oft noch eine tiefere Bedeutung: ein Schatz ist nicht zu jeder beliebigen Zeit zu heben, sondern nur an einem bestimmten Tag im Jahr oder auch noch seltener, und wenn dieser Tag und die bestimmte Stunde wiederkommt, zeigt sich das Licht; es gilt darum sofort an der bezeichneten Stelle nachzugraben. Oder das Licht ist selber der Schatz, der sich am bestimmten Tag nach eigenem Gesetze aus der Erde hebt und »blüht«; wenn jemand eine solche »Schatzblüte« brennen sieht und stillschweigend herantritt und irgend etwas in die Flamme wirft, sein Messer oder einen Schuh, oder ein Tuch über die Flamme deckt, so ist der Schatz gebannt und kann nicht wieder in die Tiefe zurück; der Finder braucht ihn sich nur am andern Morgen abzuholen.

Geldfeuer. 1. Auf der großen Burgbreite bei Brunstein im Hannöverschen, unter dem Burggarten, brennt alle sieben Jahre nachts ein Feuer, wohl zwei Fuß hoch. Da, wo das Feuer brennt, liegt ein Schatz vergraben.

2. Unweit Dahle in der Grafschaft Mark auf einer kahlen Hochebene hat die Isenburg gelegen. Auf der wohnte vor Zeiten ein Graf, der die Gegend oft beraubte und, um nicht so leicht verfolgt zu werden, seinem Roß die Eisen verkehrt unterschlagen ließ. Jetzt ist die Stelle ganz wüste, aber in der Tiefe sollen große Schätze vergraben liegen, darunter auch eine goldene Wiege. Manchmal zeigt sich an der Oberfläche ein Feuer. Das ist das beste Zeichen, daß dort Geld verborgen liegt.

Das blaue Licht. Auf dem Wingertsberge bei Annweiler in Baden brannte früher nachts ein blaues Licht, das bald größer, bald kleiner wurde. Einmal kam ein Mann, der noch spät in der Nacht nach Hause fuhr, in die Nähe des Lichts. Da ging er schweigend hin und deckte seinen Mantel darauf. Am nächsten Morgen um fünf Uhr war er wieder auf dem Berg und als er seinen Mantel aufhob, lag ein Schatz Geld darunter, der gehörte ihm nun. Seit der Zeit hat man das blaue Licht dort nicht mehr gesehen.

Der tote Schimmel. Ein Mann sah auf dem Felde ein blaues Flämmchen spielen. Schnell warf er seinen Stiefel auf die Stelle und grub nach und stieß auf eine eiserne Kiste. Er konnte sie aber nicht allein fortbringen; darum ging er schnell nach Hause und bat seinen Nachbarn, er möge ihm sein stärkstes Paar Pferde leihen. Während er anspannte, sah er mehrere Bauern aufs Feld hinausgehen; da fürchtete er, sie würden die Kiste sehen und für sich behalten, und fuhr so schnell er konnte hin, und fand auch wirklich die Bauern, wie sie in weitem Kreise um den Platz standen. Unruhig sprang er ab. Aber da lag an dem Platz nicht eine Kiste, sondern ein toter Schimmel, der hatte statt des Schwanzes einen Stiefel. Das war des Teufels Werk, denn der wollte den Schatz nicht herausgeben und hatte ihn darum so verwandelt. Nur den Stiefel, den der Bauer in die Flamme geworfen hatte, hatte er nicht verwandeln können. Aber der Bauer ließ sich durch das Blendwerk nicht täuschen, er faßte zu und lud den toten Schimmel auf seinen Wagen. Er brachte ihn auch glücklich nach Haus und wurde ein steinreicher Mann. (Pommern.)

Die Schätze unterm Hexenbaum zu Kontern. In der alten Schloßwiese zu Kontern in Luxemburg stand vor etwa vierzig Jahren ein großer alter Birnbaum, unter dem lagen Schätze vergraben. – In der Zeit, als es noch keine Zündhölzchen gab, stand einmal eine Magd aus Henkeshaus von Kontern sehr früh auf, um Brot zu backen. Da fand sie zu ihrem Schrecken, daß der Feuersame, den sie sich des Abends in den Aschen verscharrt hatte, ganz erloschen war. In ihrer Verlegenheit nahm sie schnell eine Schaufel und wollte sich von einem Nachbar Feuer holen. Als sie aber die Hintertüre aufmachte, sah sie in der Schloßwiese unterm Hexenbaum ein hellblaues Feuer brennen. Sie glaubte, es sei von Hirten angezündet worden, und ging darauf zu. Da saßen drei schwarze Männer dran, die schürten schweigend das Feuer. Das Mädchen glaubte, es seien Hirten, und grüßte sie und sagte: »Erlaubt, daß ich mir einige Kohlen nehme, fürs Feuer.« Die Männer antworteten nicht. Da nahm das Mädchen sich eine Schaufel voll Kohlen und eilte damit ins Haus zurück. Sobald es aber die Kohlen auf den Herd geschüttet hatte, waren sie erloschen. Und ganz dasselbe wiederholte sich noch ein zweites Mal. Da sagte das Mädchen ärgerlich: »Das sind gewiß Eichenkohlen, die halten kein Feuer!« Sie kehrte ein drittes Mal zum Baum zurück und holte sich neue Kohlen. Aber diesmal ries einer der Männer ihr zornig zu: »Nun mach aber, daß du nicht noch einmal kommst. Du hast genug!« Da erschrak sie sehr und lief, was sie laufen konnte, ins Haus zurück. Aber auch diesmal nützte ihr alle Eile nichts. Die Kohlen waren erloschen, sobald sie auf dem Herd lagen. – Da lief die Magd verdrießlich zu einem Nachbar, Feuer holen, und als sie es nun endlich angezündet hatte, sah sie, daß ein Haufen Goldstücke auf dem Herde lag. – Das dumme Mädchen, meinten die Leute nachher, hätte sie nur einfach ins Feuer gespieen oder einen geweihten Rosenkranz hineingeworfen, so hätte sie den ganzen Schatz behalten können.

 

Diese Schatzhüter, oft wie hier Gespenster in Menschengestalt, noch öfter aber der Teufel selbst, spielen in den eigentlichen Schatzhebungssagen eine große Rolle. Sie wollen das von ihnen gehütete Geld nicht herausgeben und erschweren dem Schatzgräber seine Arbeit auf jede Weise. Wer einen Schatz heben will, hat ganz ähnliche Bedingungen zu erfüllen und ähnliche Schrecknisse zu bestehen wie der Erlöser der weißen Frau: er muß den Schatzhüter auf dem Rücken tragen, er darf sich nicht umsehen und muß lautlos schweigen, obgleich der tollste Spuk ihn zum Sprechen oder Lachen zu bringen versucht. Entfährt ihm endlich doch ein Lachen oder ein Schrei des Entsetzens, so sinkt der Schatz in die Tiefe und kann erst nach Ablauf einer bestimmten Frist aufs neue gehoben werden, ganz wie die Erlösung der weißen Frau, wenn sie einmal mißlang, auch erst in vielen Jahren wieder möglich wird.

Um sich gegen die Schrecken des Schatzhebens und gegen die Angriffe des Teufels zu wappnen, auch wohl, um den Teufel zitieren und über ihn gebieten zu können, versieht sich der Schatzgräber mit allerlei zauberischen Schutz- und Zwingmitteln, in deren Auswahl sich die Lust des Volkes an phantastisch unheimlichen Vorstellungen kaum genug tun kann: ein Sack voll Totenknochen, ein Totenschädel, drei Nägel aus einem Kirchhofskreuz, Fett vom Füßchen eines ungetauften Kindes, oder ein »Kreuzerfettmännchen«, d. h. ein Stückchen Talg, wie es unter dem Namen »Menschenfett« zu Heil- und Zauberzwecken in manchen Dorfkrämerläden noch vor kurzem um billiges Geld zu kaufen war, gehören zur unentbehrlichen Ausrüstung des Schatzgräbers. Dazu kommt noch das »Christoffelsbuch« mit seinen kräftigen Gebeten und Sprüchen und die »Wünschelrute«, deren geheimnisvoller Ausschlag die genaue Lage des erwünschten Schatzes angibt.

Der Schatz bei der Brunnenstube. Vor etwa fünfzig Jahren grub ein Bürger von Badisch-Laufenburg Steine, draußen vor dem Ort, bei der Brunnenstube, wo früher die Schanze war. Es war in der Fronfastenzeit. Als er so grub, stieß er mit der Schaufel den Deckel von einem Gefäß, da blinkten ihm eine Menge kleiner und großer Silbermünzen entgegen. Er wollte schon danach greifen, da hörte er es bei der Brunnenstube nießen und wandte sich um und rief: Helf Gott! Aber er konnte niemand sehen. Gleichzeitig hörte er einen dumpfen Ton, und wie er wieder in die Grube blickt, ist der Hafen und alles Silber verschwunden. Hätte er auf das Nießen geschwiegen, so hätte der Schatz ihm gehört. Nachher hat er noch oft dort gegraben, aber er hat nichts mehr zutage gebracht als ein paar rostige Säbelklingen. Das hat der Sohn des Mannes selber erzählt.

Das Lachen. Ein Bauer sah einst nachts auf dem Gamburger Feld (an der Tauber) ein Feuer und merkte gleich, daß da ein Schatz brannte. Um ihn zu gewinnen, ging er stillschweigend darauf zu. Da hörte er es auf einmal von fern her jubeln, und dann fuhr eine Kutsche schnell bei ihm vorüber. Nicht lange darauf, so kam einer in einer Schänze Besondere Korbart. mühsam herangerutscht und fragte ihn, ob die Kutsche schon weit voraus sei. Der Bauer hütete sich zu antworten. Aber als der andere dann sagte: »Oh, die will ich bald eingeholt haben!« und weiter rutschte, da mußte er lachen und da war im Augenblick das Feuer verschwunden.

Der Feuerschein. Unfern Breitenbach am Langenberg in Hessen liegt ein großer Schatz vergraben. Einmal hatten sie ihn schon so hoch, daß sie an den Kesselringen anpacken konnten; aber da fing auf einmal vor ihren Augen die Mühle am Langenberg lichterloh zu brennen an. Und da entfuhrs dem einen von den Männern und er rief: »Ach Gott, die Langenberger Mühle brennt!« – Da war der Schatz sofort verschwunden und die Mühle lag unversehrt in der Dunkelheit da, grade wie vorher.

Der mit dem roten Kleid. Einmal hatten mehrere Schatzgräber in Luxemburg mit einem sog. Grundspiegel eine Kiste Geld auf dem Titelberge entdeckt und wollten sie ausleeren. Aber um Mitternacht kamen plötzlich mehrere Männergestalten auf sie zu und errichteten neben ihnen einen Galgen, und dabei rief einer dem andern zu: »Welchen sollen wir zuerst holen?« – »Ich meine, den mit dem roten Kleid.« Der mit dem roten Kleid hieß Peter Kiefer; er hatte den Grundspiegel verfertigt. Nun ergriff ihn eine Höllenangst; er rannte eiligst davon und seine Kameraden folgten ihm. Am andern Tage war die Kiste verschwunden.

Der Mühlstein. Im Kloster Weißenborn in Thüringen war einmal ein Knecht, dem träumte, im Stall unter der Pastorwohnung liege ein großer Schatz, der sei ihm bestimmt und könne nur um Mitternacht gehoben werden. Aber den Traum vergaß er wieder. Da träumte er dasselbe zum zweitenmal und in der nächsten Nacht zum drittenmal. Da springt er aus dem Bett und hinunter in den Stall und sieht auch wirklich an dem bezeichnten Ort einen großen Topf mit blanken Goldstücken. Er will auch schon darnach greifen, da sieht er über sich einen großen Mühlstein an einem Zwirnsfaden hängen, der dreht sich ebenso schnell wie in einer Mühle, und daneben steht ein großer Mann, der mit seinem Kopf bis an die Decke reicht, und hat eine große Schere in der Hand und will jeden Augenblick den Faden durchschneiden. Das sieht der Knecht und springt zum Stall hinaus. Auf dem Hof draußen erholt er sich von seinem Schrecken und geht noch einmal in den Stall. Aber da war alles verschwunden.

 

Nur ganz selten erzählt das Volk davon, daß eine Schatzhebung gelungen sei. Es ist damit wie mit der Erlösung der weißen Frau: was das Märchen in seiner heiter-poetischen Weltstimmung als selbstverständlich verlangt, davor scheut die Sage zurück, weil es der nüchternen Wirklichkeit nicht entspricht. Die wenigen Fälle einer gelungenen Schatzhebung sind denn auch zum Teil in ihrem Reichtum an Motiven und Personen schon dem Märchen ähnlich; und in der viel erzählten Geschichte vom Schatz auf der Brücke ist das leitende Motiv nicht die Schatzgewinnung, sondern der weissagende Traum und etwa noch die Lehre: daß der Mensch oft erst weit fortreisen muß, um zu entdecken, daß er das Glück in der eigenen Heimat hat.

Der schwarz und weiße Bock. Ein reicher Bauer schickte einmal Sonntags alle seine Kinder und Leute aus dem Hause, teils in die Kirche, teils aufs Feld. Darauf grub er im Pferdestall ein Loch und setzte einen Koffer hinein und schüttete sein Geld muldenweise darin auf. Darnach verschloß er den Koffer, machte das Loch wieder zu und versiegelte es mit den Worten: »Na Düwel, nu verwahr dat so lank, bet se di en schwart un witten Sägenbock bringt.« – Ohne daß der Geizige es wußte, hatten aber seine Kinder einen armen alten Mann die Nacht beherbergt. Der hatte auf dem Heuboden geschlafen und stand gerade auf, wie der Bauer all sein Geld vergrub; und so hatte er alles mit angesehen. Der Teufel bemerkte ihn gleich und sagte: »Twe Ogen seht! schal'k de utpußen?« Der Bauer dachte aber, das könne nur eine Katze sein, und sagte: »Lat sehen, wat süht!« Der alte Mann verließ nachher in aller Stille das Haus. – Der Bauer starb, und seine Kinder übernahmen den Hof. Da kam nach einiger Zeit der alte Mann wieder dorthin und bat um Aufnahme. Zuerst wiesen sie ihn ab, aber als sie sich erinnerten, daß sie ihn schon einmal gegen den Willen ihres Vaters ausgenommen hatten, ließen sie ihn dableiben. Das Gespräch kam bald auf die schlechte Zeit, und die Kinder klagten. Der Alte fragte, ob ihnen der Vater denn nicht reichlich Geld hinterlassen hätte. »Ach nein,« sagten sie, »nichts als Schuld und Ungeduld.« Da versprach der Alte, ihnen genug Geld zu verschaffen, wenn sie ihn dafür lebenslänglich versorgen wollten; sie müßten ihm aber einen schwarz und weißen Ziegenbock schaffen. Die Leute warens zufrieden; aber den Ziegenbock zu finden, war gar nicht so leicht, denn damals waren die Ziegen hier im Lande noch viel seltener. Als man endlich einen fand, brachte der Sohn des Bauern ihn in den Pferdestall und sagte, wie der alte Mann es ihm vorgesagt hatte:

Dar, Düwel, dar hest din,
Nu gif du mi min.

Und sogleich zerriß der Teufel wütend den Bock, und die Leute holten sich den reichen Schatz, mit dem sich sonst der Teufel noch manche Seele erkauft hätte.

Noch eine Schatzhebung. Zur Hebung eines Schatzes in Kraftsdorf im Voigtland war ein schwarzer Bock erforderlich, der nicht ein einziges weißes Härchen haben und schon ein Jahr alt sein mußte und doch noch niemals auf Gottes Erdboden gekommen sein durfte; auch durfte er einzig nur mit Bierbrot gemästet sein. Ein Paar Liebesleute, die zu arm waren, sich zu heiraten, haben deshalb wirklich einmal ein solches Böcklein gleich von seiner Geburt an abwechselnd ein ganzes Jahr lang getragen und nach der Vorschrift gemästet, und dann sind sie in die Scheune ihres Herrn gegangen und haben dort den Schatz auch richtig gehoben, während der Teufel mit dem Böcklein in den Krallen oben zum Dach hinausgefahren ist.

Der Traum vom Schatz auf der Brücke. Vor einigen Jahren lebte im Busch bei Atteln im Paderbörnischen ein armer Mann, der hörte einmal im Traum eine Stimme:

Zu Prag auf der Brück,
Da wirst du finden dein Glück.

Anfangs wollte er nichts darauf geben, aber als der Traum sich in den beiden folgenden Nächten wiederholte, machte er sich nach Prag auf den Weg. Auf der Prager Brücke wurde er von einem Wanderer gefragt, wer er sei und was er wolle. Da erzählte er ihm seinen Traum. Da antwortete der Wanderer, er habe auch einen Traum gehabt, nämlich auf der heiligen Seele unter einer Linde, da sei ein Topf mit Gold vergraben; »aber Gott mag wissen, wo die heilige Seele ist!« – Als der arme Mann das hörte, freute er sich, denn die heilige Seele kannte er ganz gut. Die lag nur eine halbe Stunde von seiner Heimat. Er kehrte schnell heim und grub an der bezeichnten Stelle nach und fand den Schatz.

Den Schatzhebungssagen nahe verwandt sind die vielen Geschichten von versunkenen Glocken, die zu gewissen Stunden wieder emportauchen und dann von einem Menschen festgehalten und gewonnen werden können. Zahlreiche Seen und Teiche, besonders in Norddeutschland, beherbergen nach dem Volksglauben auf ihrem Grunde eine oder mehrere Glocken, die auf irgendeine Weise einmal in ihnen versunken sind. In den Mittwinternächten, wenn sich das junge Eis im klingenden Froste biegt und spaltet, an warmen Frühlingsabenden, wenn der klagende Unkenruf durch die Stille klingt, hört man tief aus dem Wassergrunde ihr dumpfes Läuten.

Wie sie dorthin gelangten, wird sehr verschieden erzählt. Am häufigsten gehören sie zu einer alten Stadt oder zu einem alten Kloster, die wegen des Frevels ihrer Bewohner vom Wasser verschlungen wurden; daneben heißt es aber auch, sie seien, ähnlich den vergrabenen Schätzen, von ihren Besitzern in Kriegsgefahr vor den Feinden ins Wasser versenkt und nachher nicht wiedergefunden worden; oder sie wurden von Feinden gestohlen und sind bei der Flucht über den See in dessen Tiefe gesunken. Manche hat auch der Teufel, der Glocken und Glockenklang begreiflicherweise haßt, aus ihrem Glockenstuhl gerissen und in den Teich geschleudert, als sie noch nicht getauft waren; denn bis zur Taufe hat er über sie Gewalt wie über ungetaufte Menschenkinder. Am geheimnisvollsten klingt es, wenn erzählt wird, die Glocke sei aus eigenem Antrieb und eigener Kraft einmal fortgeflogen und habe sich selber ins Wasser gestürzt.

Die Glocke im Kirchhof von Bant. Südlich vom Kirchspiel Neuende im Jeverland lag früher das Kirchspiel Bant, das in der großen Wasserflut von 1511 von der Jade verschlungen wurde. Als damals der Kirchturm von Bant einstürzte, versank eine von den Glocken in den Kirchhof, und darum ist der Kirchhof immer noch da und hat allen Angriffen des Wassers widerstehen können. In der Christnacht, wenn alle Glocken die Ankunft unseres Herrn Jesus Christus begrüßen, fängt auch die Glocke im Banter Kirchhof mit an zu läuten. Man kann sie an ihrem dumpfen, hohlen Ton gleich von den andern unterscheiden.

Der Glockenbrunnen. Eine Rotte Hussiten stahl einmal die Turmglocke von Pittersberg in der Oberpfalz und schleppte sie gegen Böhmen. Da verwandelte sich die Straße plötzlich in einen Sumpf, und Roß und Mann begann zu sinken. Da warfen die Hussiten die Glocke vom Wagen. Da ist sie viele Klafter tief in den Boden versunken und das ist der Glockenbrunnen. Wenn man in den Steine hineinwirft, so klingts noch immer herauf wie Glockenton.

Die Glocke im Femhuder See. Im Femhuder See in Schleswig liegt eine Glocke, die vor vielen Jahren von Feindes Hand aus der Kirche geraubt ist. Es war im Winter und der See war fest zugefroren. Da wollten sie die Glocke übers Eis ziehen; aber das Eis brach in der Mitte des Sees und die Glocke versank mitsamt den Räubern. Der Fischer hakt oft noch fest mit seinem Netz in dem Knebel, und an einem bestimmten Tag im Jahr läutets im See um Mitternacht. Das haben manche gehört, die noch am Leben sind. (1844.)

Ungetaufte Glocken. 1. Eine der drei Glocken zu Kirchhatten in Oldenburg war nicht getauft worden, und darum hatte der Teufel Gewalt über sie und schleuderte sie in einen Teich bei Klattenhof. Darin ist sie noch, und wenn sie die Glocken in Hatten läuten hört, fängt sie auch an zu läuten.

2. Als man die ersten Glocken im Turm zu Ankum aufhängte, hat man vergessen, sie zu kersten (taufen). Da sind sie beim ersten Läuten aus dem Schalloch hinaus und in den Bippenschen Grund geflogen und da hört man sie noch am Weihnachtstage klingen.

Die Glocke und ihre Pate. Es fuhr einmal eine Braut durch Enger in Westfalen ihrem Bräutigam entgegen. Eben läutete eine Glocke, bei der sie Pate gewesen war. Da rief sie in ihrem fröhlichen Mut: »Komm Pate, komm!« Die Glocke aber nahm die Einladung ernst und flog vom Turm herunter und setzte sich auf den Wagen hinter die Braut. Und da blieb sie, bis man gegen Westerenger kam, und dann flog sie in einen naheliegenden Abgrund, welcher der Raumpott heißt. Dort unten ist sie noch jetzt, und oft hört man in der Tiefe wie aus weiter Ferne ihr unterirdisches Läuten. – Seitdem ist es Sitte geworden, wenn eine Hochzeit durch Enger kommt, daß dann die Braut vorher absteigt und sich erst wieder aufsetzt, wenn sie durch Enger durch ist.

Die Glocke im Main. In der Pfarrkirche zu St. Agatha in Aschaffenburg hingen nebeneinander zwei Glocken, die eine hieß Marianne und die andre Susanne, die war von Silber. Im dreißigjährigen Kriege raubten die Schweden die silberne Glocke und luden sie in ein Schiff und wollten sie den Main hinabführen. Als sie an das Ende der Stadt kamen, nämlich an den Felsen, auf dem jetzt der Pavillon im schönen Tale steht, und wo früher die Stadtmauer gegen den Main zog, da sprang die Glocke aus dem Schiff in den Main und da liegt sie noch. So oft die Glocke Marianne geläutet wird, ruft sie:

Bimbam, bimbam,
Wo ist die Schwester Susann?

Und die feine Silberstimme der Glocke im Main antwortet:

Bimbam, bimbam,
Da bin ich, Schwester Mariann!

Diese Worte hören freilich nur die Golden-Sonntagskinder, die frommen Herzens und gläubigen Sinnes sind. Ein Liedchen von der Susanne singen aber noch alle kleinen Kinder:

Kling Klang Glorian
Unsre Schwester Susann
Liegt im Main
Am grauen Stein,
Kehrt nimmer heim.

Wenn nun die Menschen mit Booten und Netzen ausziehen, die Glocke vom Grunde emporzufischen, so ergibt sich eine ganz ähnliche Situation wie beim Schätzegraben, und auch der Verlauf des Glockenfangs ist dem der Schatzhebung parallel: die Glocke wird ergriffen und schon fast geborgen, da läßt ein unvorsichtiges Wort oder ein plötzlicher Schreck sie wieder versinken. Wie aber manche Schätze zu gewissen Zeiten aus ihrem Versteck heraufkommen und dann zu bannen sind, so schwimmen auch manche der Glocken zu gewissen Zeiten auf der Oberfläche des Wassers oder sie steigen ans Land, und wer dann ein Tuch über sie breitet, der hat sie in seiner Gewalt. Solche Bannungen von Glocken gelingen in unsern Sagen sehr viel öfter als die von Schätzen; denn es gehört zum Stolz und zur Zierde eines Dorfs, eine Glocke zu haben, die auf so geheimnisvolle Weise gewonnen wurde. – Doch ergeben sich auch nach der Bannung oft noch Schwierigkeiten. Die Glocke hat ihren eigenen Willen, und wer sie nach einem andern Ort schaffen oder zu einem andern Zweck benützen will, als sie es selber wünscht, der bringt sie mit sechzehn Pferden nicht von der Stelle.

Mißglückter Glockenfang. 1. In der Kretseldobbe bei Scharrel im Saterland liegt eine Glocke, die hatten Fischer schon einmal fast herausgezogen; aber da rief einer von ihnen: »Gottlob, jetzt haben wir sie!« – Da sank die Glocke auch schon wieder in die Tiefe.

2. Im Soll, einem kleinen Teiche bei Rohrberg in der Altmark liegen Glocken, die läuten alle Jahre dreimal. Einmal haben die Fischer sie schon in ihren Netzen gehabt und die eine hat voller Freude gerufen:

Anne Susanne,
Wi kommen to Lanne!

Aber das hörten die Fischer und ließen schnell das Netz fahren. Da hörten sie noch, wie die andere Glocke rief:

Christine Christin',
Wi mütten ewig in Brünne bli'n!

Die Dambecksche Glocke in Röbel. Die Dambecker Kirche, deren Mauern noch stehen, ist uralt und hat schon vor der Sündflut dagestanden. Der Turm mit den Glocken ist aber in den See gesunken, und da hat man denn vor alter Zeit die Glocken oft aus dem See hervorkommen und sich in der Mittagsstunde sonnen sehen. Mal hatten ein paar Kinder ihren Eltern das Mittagsbrot aufs Feld getragen, und als sie an den See kamen, setzten sie sich ans Ufer und wuschen ihre Tücher aus. Da sahen sie denn auch die Glocken dastehen und ein kleines Mädchen hing sein Tuch auf die eine, um es zu trocknen. Nach einer Weile setzten sich zwei von den Glocken in Marsch und stiegen wieder hinunter in den See; aber die dritte konnte nicht von der Stelle. Da liefen die Kinder eilig nach der Stadt und erzählten, was sie gesehen hatten. Da kam ganz Röbel heraus; und die Reichen, die die Glocke für sich haben wollten, spannten acht und sechzehn und noch mehr Pferde vor; aber sie konnten sie nicht vom Fleck bringen. Da kam ein armer Mann mit zwei Ochsen des Weges gefahren und sah, was da vorging; der spannte seine beiden Tiere vor und sagte:

Nu met God för arm un rike
All to glike!

und führte die Glocke ohne alle Mühe nach Röbel. Da hat man sie denn in der Neustädtischen Kirche aufgehängt und jedesmal, wenn ein Armer stirbt, dessen Hinterbliebene das Geläut mit den andern Glocken nicht zahlen können, wird sie geläutet, und ihr Ton geht immer noch: Dambeck, Dambeck.

 

Im seenärmeren Mittel- und Süddeutschland fehlt diese Form der Glockensagen fast ganz. Dort heißt es dafür an Orten, wo eine Stadt oder ein Kloster versunken ist, man höre die Glocken noch manchmal aus dem Erdinnern heraus läuten; und die Sage von der gewonnenen Glocke meldet dort gewöhnlich, eine Sau habe sie zufällig aus der Erde gewühlt. Gelegentlich findet sich auch dort die Angabe, daß die Glocke sich in heiliger Stunde gleich einem Schatz aus der Erde hebe.

Unterirdisches Geläute. Die Hirten von Schweischer in Siebenbürgen trieben einmal das Gestüt sehr schnell über den Koileberg; dabei haben einige von ihnen, die zurückgeblieben waren, das Geläute zweier oder mehrer Glocken in der Erde gehört. Später hat sich das bestätigt. Da gabs nämlich einmal ein sehr schweres Wetter mit Sturm und Donner und dabei hörte man ein ununterbrochenes Glockenläuten. Manche sind da dem Schall nachgegangen und kamen wirklich aus den Koileberg. Da klang das dumpfe Läuten grade unter ihren Füßen.

Die Heuckewalder Glocke. Im Wüstenrothig, einer Wüstung zwischen Hirschfeld und Pölzig im Voigtland, sah ein Hirt öfter eine seiner Sauen abseit gehen. Wie er ihr nachgeht, findet er eine große Glocke, die sie schon fast ganz herausgewühlt hatte. Da geben sich nun die Pölziger die größte Mühe, die Glocke wegzubringen, aber sie hängten zwei, vier, zehn, ja sogar zwölf Pferde dran und bekamen sie nicht vom Fleck. Zuletzt kamen die Heuckewalder mit einem einzigen blinden Schimmel. Mit dem schafften sie die Glocke ganz allein nach Heuckewalde. Da wurde sie umgegossen und hängt da noch auf dem Kirchturm.

Die Glocke von Bernhardsweiler. In das Kirchlein zu Berndsweiler in Baden stiftete vor Zeiten eine Gräfin eine Glocke, die viel Silber enthielt, und nannte sie nach ihrem eigenen Namen Anne Susanne. Im Schwedenkrieg flüchtete man die Glocke und vergrub sie im Wald, da wo jetzt das weiße Haus steht. Erst nach etwa hundert Jahren wurde sie von Wildschweinen aus dem Boden gewühlt und bald darauf von Leuten gefunden. Da niemand wußte, wohin sie gehörte, hängte man sie in den Kirchturm von Sinbronn, das der Stelle am nächsten lag. Aber so oft sie nun dort geläutet werden sollte, gab sie nur ein ganz schwaches Getön und sang:

Susanne,
Zu Berndsweiler an der Stangen
Will ich hangen!

Als man diese Worte verstand, hat man die Glocke in die Kirche von Berndsweiler gebracht und da hatte sie gleich beim ersten Läuten wieder ihren schönen, kräftigen Klang.

Die Heidin. In der uralten St. Oswaldkirche von Alpach in Tirol hängt eine uralte Glocke, die heißt die Heidin. Die ist auf eine ganz seltsame Weise dorthin gekommen. Es ist nämlich einmal ein Hüterbub in den Schrofen des Tierbergs herumgeklettert; da hört er plötzlich ganz in seiner Nähe ein Klingen wie Glockengeläute. Er ging dem Schalle nach und stand bald vor einer Felsgrotte, in der sah er zwei Glocken. Er ging hinein und faßte sich einen Mut und wälzte die kleinere Glocke mit vieler Mühe vor den Eingang. Weiter konnte er sie nicht bringen. Da lief er hinunter nach Alpach und holte sich Leute zur Hilfe. Aber als sie zusammen hinauf kamen, war die Felswand glatt und geschlossen und von der Höhle war nichts mehr zu sehen. Nur die herausgewälzte Glocke lag vor der Felswand, die andre, größere war nicht mehr aufzufinden. Da schafften die Alpacher die Glocke ins Dorf hinab und hängten sie in der Kirche auf und nannten sie die Heidin, weil sie aus der Heidenzeit stammte. Und da hängt sie noch und vertreibt den Alpachern das Wetter.

 

Aus der gleichen Neigung, einer alten Glocke eine wunderbare und erzählenswerte Herkunft anzudichten, erwuchs auch die Geschichte von einem beim Glockenguß begangenen Frevel, die wieder besonders in Norddeutschland zu Hause ist: nicht der Meister, sondern ein junger Gesell oder Lehrjunge hat die Glocke gegossen, dafür aber hat ihn der Meister, der des Jungen Begabung und Glück neben sich nicht ertragen konnte, mit eigener Hand erschlagen.

Der Glockenguß zu Bergen. In der Stadt Bergen auf Rügen lebte einmal ein Glockengießer, dem bisher sämtliche Glocken mißraten waren. Da machte sich einmal sein Lehrbursch an die Form und goß, und es gab eine ganz vortreffliche Glocke. Aus Neid darüber, daß der Guß so schön geraten war, erstach der Meister den Burschen und vergrub ihn unter dem Schweinskofen auf seinem Hof. Die Glocke gab er darauf für sein eigenes Werk aus und bekam viel Geld dafür. Als man sie aber aufhängte und sie zum ersten Male läutete, da sang sie:

Schade, schade,
dat de Jung dot is!
He liggt begrawen
unnern Swinskawen.
Schade, schade,
dat de Jung dot is!

Das klang so laut und deutlich, daß es jedermann verstand, aber keiner konnte den Sinn begreifen. »Wat förn Jung?« fragten die Leute. »Wat heet dat van wägen den Swinskawen, wur de Jung dot liggen sall?« Endlich kam man auf den Lehrburschen. »Dat möt he sin« sagten die Leute. »Wech is he kamen, man weet nich wurhen.« Da grub man unter dem Schweinskofen nach und fand die Leiche, und der Mörder erlitt die gerechte Strafe.


 << zurück weiter >>