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4. Die Toten im Wind

Wenn nach weitverbreitetem Glauben die Toten nicht im Grab und nicht in Bergen ihre Ruhe finden, sondern als wilder Heerhaufe friedlos im Sturmwind über die Erde brausen, so sieht es auf den ersten Blick so aus, als könne diese Vorstellung erst aus dem Seelenglauben erwachsen sein, dem die Seele des Toten als bewegte Luft, als Hauch, als Rauch oder als Wölklein erschienen war. Doch belehrt uns genaueres Hinsehn auf die von den Toten im Wind erzählten Sagen, daß auch in ihnen zum mindesten nicht reiner Seelenglaube vorliegt: wo einzelne aus der wilden Schar geschildert werden, da sind es nicht aus dem Körper geschlüpfte »Seelen«, sondern was da im wilden Heere fährt, das sind die gespenstisch körperhaften Toten, die wir aus den vorigen Kapiteln kennen. Wir werden also den Glauben an das Totenheer im Wind nicht etwa als ein logisches Weiterdenken von Seelenvorstellungen auffassen dürfen, sondern besser tun, von Erlebnissen auszugehn, deren nüchtern natürliche Erklärung dem Volk unmöglich schien, in erster Linie von dem Erlebnis des Sturms.

Wie der plötzlich auftauchende und ebenso plötzlich wieder verschwundene tanzende Wirbelwind volkstümlichem Erleben als etwas Unnatürliches und Geisterhaftes erscheint, so auch der Sturm: er kann einen Grad der Wildheit erreichen, der alles natürliche Maß zu übersteigen scheint, er kann in der Bergschlucht oder zwischen den Häuserreihen der Stadt mit so unheimlich heulender Musik daherfahren, daß es dem einsam Lauschenden graust: das ist kein gewöhnlicher Wind oder Sturm! Beim jungen Geschlecht, das nichts versteht und an nichts mehr glaubt, mag es so heißen; die Alten, die das Wesen der Dinge kennen, Wissens besser: in diesem Gebraus und Geheul mit Schreien und Toben fahren die Toten! Sie nennens »das wütige Heer«, das »Muetisheer«, »die wilde Jagd«, »das Nachtgload« (Nachtgeleit) oder »die wilde Fahr«; und ganz Deutschland ist voll von Erzählungen, wie es dem oder dem ergangen ist, als ihm das Heer der Toten begegnete.

Wir beginnen mit einfachen Beschreibungen dieses übernatürlichen Totensturms und mit Berichten über einzelne Gestalten aus dem wilden Zug, aus denen uns die Art der darin lebendigen Totenvorstellung deutlich erkennbar wird.

Burg Klingenstein. Zur alten Burgruine über Klingenstein bei Ulm zieht nachts von Zeit zu Zeit ein wilder Heerhausen mit grausigem Toben. Dann hört man im Schloßhof Pferdegewieher und Hufschlag weit in die Nacht hinaus. Es geht an ein Turnieren und wildes Durcheinanderjagen, Wasserkufen werden hin- und hergeschleppt und viele Brunnen fangen zu laufen an. Kieselsteine an die Tausende werden in die Höhe, an Fenster und Läden geschleudert, große Massen Sand in die Luft geworfen. Wer sich erfrechen wollte, hinauszuschauen, dem ginge es übel. – Nach Mitternacht setzt sich der Zug wieder, so wie er kam, durch die verschlossenen Tore in Bewegung. Am Morgen ist alles still; kein Brunnen, keine Kieselsteine, kein Sandhaufen weit und breit.

Die wilde Jagd in der Oberpfalz. Ehe die wilde Jagd kommt, meldet sie sich an. Dann hört man im Tannenrieder Wald ein Getöse, als wenn einer mit einem Hammer auf leere Fässer schlägt. Allmählich wird der Wind zum Sturm; die Bäume fangen an zu krachen, der Sand am Weg wird in Wirbeln aufgedreht. Und dann kommt die Jagd: ein wahres Treibjagen, so schreit und pfeift und klappert es, dazu bellen und winseln und heulen junge und alte Hunde in Menge, und allerlei Vögel mischen sich mit fürchterlichem Gequäkse in das Getöse. Das Schreien der Treiber, das Hallo der Jäger und Knallen der Peitschen, dazu klagende Stimmen von Frauen, Hörnergetön und andre schöne Musik – das alles wird übertönt vom Heulen des Sturms. Es ist, wie wenn jeder Jäger mit einem Stecken an jeden Baum anschlüge. – Sie zieht nicht hoch über der Erde hin; denn die niedrigen Sträucher und Büsche geben Wind und rauschen von der Eile, mit der sie durchreißt.

Wer fährt im wilden Heer? 1. Im Wallis haben schon manche den Zug der wandernden Toten gesehen. Sie laufen in den Kleidern, in denen man sie zu Grabe trug, oder noch häufiger in den Kleidern, die man zu ihrem Trost den Wächtern oder den Armen ausgeteilt hat. Darum soll man ja einen vollständigen Anzug vom Verstorbenen herschenken. Wo das nicht geschieht, da fehlt dem Toten nachher irgendein Stück. Einer mußte z. B. barfuß laufen und sich dafür mit zwei Joppen schleppen, weil man bei seinem Begräbnis statt der Schuhe eine Joppe hergegeben hatte. Und ein Weibsbild trug einen Butterballen auf dem bloßen Kopf, da habe man statt des Hutes Butter hergegeben. In Visperterminen hat einmal einer den Totenzug gesehen, da lief zuletzt einer, der hatte keinen Gürtel zu seinem weißen Kleid; er mußte das Kleid immer mit den Händen hoch halten und konnte den anderen gar nimmer Nachkommen. Da hat ihm der andere seine Halsbinde geschenkt und ihm noch geholfen, sie um den Leib zu schlagen, und der Tote hat ihm gedankt und gesagt, nun könne er den Zug erst auf dem neunundneunzigsten Friedhof wieder einholen. Dann ist er den andern nach.

2. Eine Bauerntochter war jung und schön und reich, dabei aber so stolz, daß sie alle Menschen verachtete und alle Freier mit Hohn abwies; und als sie starb, wollte sie sogar ihre neuen Schuhe mit ins Grab haben. Nun war einmal einer nachts unterwegs, einer aus ihrem Ort, der sie bei Lebzeiten gut gekannt hatte, und das Nachtgload kam, und da sah er das Mädchen mit im Zuge, und ihre Schuhe waren ganz zerrissen. Das erzählte er ihren Eltern. Da ließ man das Grab öffnen und die neuen Schuhe waren wirklich zerrissen und waren ihr bis an die Waden hinaufgeschoben.

Die Schilderung des Oberpfälzer Bauern erwähnt unter den verschiedenen Stimmen und Geräuschen, die das kundige Ohr aus dem Gebrause des Sturms heraushört, auch Hörnerblasen und andre schöne Musik. Von dieser Musik des Totenzuges weiß man besonders viel in Südwestdeutschland zu erzählen, in der Schweiz und in Schwaben: sie übertrifft alle irdische Musik an lieblichem Wohllaut. Darum sagt man von einem Musikanten, der seine Kunst besser versteht als andere, er sei bei den Toten selber in die Lehre gegangen. Wer es aber wagt, nach ihrer Musik oder gar mit ihnen zu tanzen, der merkt bald, daß mit den Toten nicht zu spaßen ist.

Die Musikstunde. Es war einmal ein Montavoner, der stellte sich in der Kreuzgasse zu Tschagguns auf, als eben das Nachtvolk mit herrlicher Musik herunterfuhr, und bat einen aus dem schwarzen Zuge, er möchte ihn die Schwegelpfeife blasen lehren. Da faßte der seinen Daumen und drückte ihn mit solcher Gewalt in die Mündung der Pfeife, daß ihm das Blut unter dem Nagel hervorspritzte. Der Montavoner hatte auf das hin keine Lust mehr, die Schwegelpfeife zu blasen und warf sie weit fort. Als er später einmal zufällig wieder eine in die Hände bekam und zu blasen versuchte, da konnte er sie so lieblich blasen, wie er es sein Lebtag noch von keinem gehört hatte.

Des wilden Heers Musik. In Wurmlingen gingen mal die Buben, an die zehn mögens gewesen sein, vom Tanze heim und suchten noch nach ihren Liebsten. Wie sie da johlend die Gasse hinaufziehen, hörten sie auf einmal eine wunderschöne Musik in den Höhen wie von tausend Instrumenten. Die zog über den Weilenberg, über Wurmlingen hin der Tannhalde zu und weiter. Man hörte die Musik noch weit. Die Buben wollten erst darnach tanzen, dann aber waren sie doch klug genug und ließen es bleiben. Es wäre ihnen auch sicher schlecht bekommen.

Der Tanz mit dem Nachtvolk. Im Wallis hat man einmal erlebt, wie es ist, wenn man mit den Toten tanzt. Da war einmal die Savieser Jugend aus dem Berge Prabee nahe der Margaretenkapelle beim heimlichen Tanzen. Und als die Ausgelassenheit so recht auf der Höhe war und das Jauchzen von den Bergen widerhallte, da gesellte sich plötzlich eine große Schar von unbekannten Tänzern und Tänzerinnen zu ihnen und der Tanzboden war bald überfüllt. Den Saviesern wurde es zuletzt unheimlich; sie rissen aus und flohen den Berg hinunter. Aber die Fremden jagten hinter ihnen her. Da schlossen sie sich in eine alte Scheuer ein. Die Fremden machten sich schon daran, Türen und Wände einzuschlagen; da wußte zum Glück einer von den Eingeschlossenen das Evangelium des heiligen Johannes und begann das mit lauter Stimme vorzubeten. Die andern stimmten alle ein. Da wurde es draußen immer stiller und endlich rief ihnen noch eine Stimme zum Schlüsselloch herein: »Hattet ihr nicht dies Gebet gebetet, wir hätten euch zerhackt wie Gartengemüse!« Damit verschwanden die Angreifer in feurigen Flammen in den Wald zurück.

 

Wer dem Zug der Toten begegnet, muß sich mit dem Gesicht auf den Toten werfen, so gehen sie über ihn hin. Versäumt er das, so nehmen sie ihn mit und setzen ihn irgendwo in fremden Landen ab, und mancher, dem es so erging, ist schon ein Jahr und länger gewandert, bis er wieder in seine Heimat kam.

Bericht des Luzerner Stadtschreibers Nenward Lysat über Hans Buchmanns Luftfahrt mit dem wilden Heer. Anno 1572, den 15ten Tag Novembris, ward ein Landmann Hans Buchmann oder Krißbühler genannt, von Römerschwyl aus dem Rottenburger Amt, damalen bei 50 Jahr alt, mir gar wohl bekannt, unversehens verloren, daraus viel Wesens entstund, machte auch der Obrigkeit viel Geschäftes. – Vier Wochen darnach kommt gewisser Bescheid von dem Verlornen, er sei zu Mailand. Letztlich, um Lichtmeß (2. Februar) des folgenden 1573sten Jahres, kommt er heim, ohne Haar, ohne Bart und Augenbrauen, mit geschwollenem, gesprengtem Angesicht und Kopf. Sobald die Obrigkeit das vernimmt, läßt sie ihn fänglich einziehen und, dabei ich selbst gewesen, ausfragen. Darüber war sein Bescheid: nämlich, er hätte bei 16 Gulden Münze zu sich genommen des Tags, als er verloren, in der Absicht, sie einem, dem er sie schuldig, zu bringen, den er aber nicht gefunden. Er sei also gen Sempach gangen, Geschäften halb, allda er sich gesäumt bis gegen Abend. Er habe zwar etwas, jedoch nicht zu viel getrunken. – Als er nun heim wollen und zu angehnder Nacht in den Wald kommen sei, bei der Walstatt, da die Sempacher Schlacht geschehen, da sei jählings ein seltsam Getös und Sausen geschehen, anfangs einem ganzen Imbd oder Bienenschwarm gleich, darnach aber, als käme allerlei Saitenspiel gegen ihn her, welches ihm ein Grausen und Beängstigung gemacht, also daß er nicht gewußt, wo er gewesen sei oder wie ihm geschehen wolle. Doch habe er ein Herz gefaßt, seine Wehr gezückt und um sich gehauen. Da sei er von Stund an von der Vernunft, von Wehr, Mantel, Hut und Handschuh gekommen und gleich damit in Lüften hinweg in ein fremd Land getragen worden, da er nicht bei sich selber gewesen. Er habe wohl des Schmerzes und Geschwulst des Angesichts und Kopfes, auch der Haar- und Bartlosigkeit empfunden. Letztlich, als vierzehn Tage nach seinem Verfahren verschienen waren, habe er sich in der Stadt Mailand befunden, wo ein deutscher Gwardiknecht (Söldner) sich seiner angenommen.

Der Tamische. Zwischen Lengenfeld und Stoffen am Lech liegt eine wilde weite Öde auf einer hohen Ebene. Darüber zieht das wilde Gejäg immer am wütendsten und haust dort immer am längsten. Darüber hin ging vor geraumer Zeit ein Mann aus Hofstetten. Es dunkelte schon, da vernahm er aus der Weite ein Heulen und Sausen, als wollte sich ein furchtbarer Sturm erheben. Wie er da stillstand und sich umsah, kam das wilde Gejäg ob seiner in den Lüften daher, und als er verstarrt vor Schrecken vergaß, sich auf den Boden zu werfen, hob es ihn leicht auf ab der Erden und riß ihn im Zuge mit dahin. Sechs lange Wochen war der Mann der Erde entrückt; kein Mensch wußte, wohin er gekommen war, und die Seinigen waren in Kümmernis um ihn als um einen Toten. Da auf einmal kam er zurück, er wußte selbst nit wie und wo, und war noch ganz tamisch in seinem Sinn. Es schwindelte ihm allweg, wenn er nur daran dachte, und allen, die davon hörten, geschwindelte es mit. Der Mann lebt noch heute, verhält sich aber stets geruhig und still, hat zu nichts mehr weder Leid noch Freud, hat nur noch ein Kuchelleben. (1855.)

Was uns hier aus dem sechzehnten wie aus dem neunzehnten Jahrhundert mit dem gleichen Ernst und der gleichen Lebhaftigkeit berichtet wird, brauchen wir als tatsächliches Erlebnis nicht anzuzweifeln: der Römerschwyler wie der Hofstettener haben ihre Reise in der Tat gemacht, allerdings nicht mit dem wilden Heer und nicht durch die Luft, sondern als ganz typisch verlaufene Reisen im epileptischen Dämmerzustand mit voraufgehenden Gehörs- und Gesichtshalluzinationen und nachfolgender Erinnerungslosigkeit für die Zeit ihrer Wanderung. Das Volk und schon der Erlebende selber legt sich das ihm rätselhafte psychopathische Erlebnis mit Hilfe seiner Glaubensvorstellungen zurecht, und findet die Erklärung im Bereich der Sagen vom wilden Heer.

Vielfach wird auch erzählt, daß die Begegnung mit dem wilden Heer dem Menschen gewisse Krankheiten einträgt, vor allem eine Lähmung, die rätselhaft plötzlich erscheint und ebenso plötzlich wieder verschwindet; anderen löscht es für eine Zeit das Augenlicht; und wie das Volk überhaupt des Glaubens ist, daß ein »böser Wind« einem den Kopf anschwellen kann, so erzählt es sich das auch vom Wind des Totenheeres.

Die Totenstraße Im Natersberge(Oberwallis) steht ein Alphäuschen gerade am Rand einer Totenstraße. Eines Abends ließ der Hausvater dort ein großes Stück Brennholz in der Straße liegen, weil er sich zum Aufspalten verspätet hatte. Da klopfte es um Mitternacht kräftig an die Haustür und ihm ward ernstlich geboten, wenn er sein Häuschen noch retten wolle, müsse er gleich die Straße öffnen: der Totenzug rücke heran. Der Mann lief sofort hinaus, und als der erste Tote anlangte, hatte er den Totz eben fortgeschafft. Nur sein Fuß war noch auf der Straße und wurde vom Zuge noch gerade an der Ferse erreicht und ist davon lahm geworden.

Die Hacke. An einem Hof in Stilfs zog immer die wilde Fahrt vorbei. Da legte einmal ein Knecht einen Baumstamm quer über den Weg, um zu sehen, was nun geschehen würde. Als es Nacht wurde, kam wirklich die wilde Fahrt. Der Knecht lag im Bett und horchte; da hörte er eine Stimme, die sagte: »In diesen Baum schlage ich meine Hacke hinein.« Und von demselben Augenblick an konnte der Knecht nicht mehr gehen und hatte arge Schmerzen am Fuß und niemand konnte ihm helfen. Als er nun diese Schmerzen ein Jahr lang gelitten hatte, kam die wilde Fahrt wieder, und er hörte dieselbe Stimme sagen: »Hier habe ich voriges Jahr eine Hacke hineingeschlagen; die will ich nun wieder mitnehmen.« Und von dem Augenblick an war der Knecht wieder gesund.

Der bucklige Spielmann. An einem Sylvesterabend hatte einmal ein Spielmann in einem Dorfe bei Templin zum Tanze aufgespielt und ging um Mitternacht nach Hause. Wie er in den Wald kam, hörte er die wilde Jagd daherbrausen und versteckte sich vor ihr hinter einen Eichstamm. Das half ihm aber nichts, denn die wilde Jagd zog an der Erde hin und kam immer näher und einer der Jäger stürzte auf den Baum los und rief: »Hier will ich mein Beil einhauen!« Im selben Augenblick bekam der Spielmann einen gewaltigen Schlag auf den Rücken und es war ihm, als lege sich eine schwere Last darauf; da ist er eiligst und in Angst davongelaufen und hielt nicht eher an, als bis er zu Hause war. Dort merkte er dann mit Schrecken, daß er einen großen Buckel bekommen hatte. Da war er nun traurig; und am andern Morgen lief die ganze Nachbarschaft zusammen, um das Wunder zu sehen. Zuletzt kam auch einer, der riet ihm, er solle sich übers Jahr um die gleiche Stunde wieder hinter denselben Eichbaum stellen, da werde ihm geholfen sein. – Der Spielmann konnte nun die Zeit kaum mehr erwarten. Endlich war es wieder Sylvester, da ging er zu derselben Eiche und um Mitternacht kam auch wieder die wilde Jagd und derselbe Jäger stürzte auf den Baum zu und rief: »Hier habe ich vor einem Jahr mein Beil hineingehauen, hier will ichs auch wieder herausziehn,« und im selben Augenblick gibt es im Rücken des Spielmanns einen gewaltigen Ruck – und fort war der Buckel.

Eine Blendung. Durch das Dorf Thieringen in Württemberg kam sonst alljährlich das Mutesheer mit Saus und Braus und zog namentlich immer durch ein bestimmtes Haus durch. In dem mußte man deshalb immer Türen und Fenster aufmachen, sobald man es kommen hörte. Da dachte einmal der Hausherr: er wolle doch mal aufbleiben und zusehen, was es denn eigentlich sei mit dem Mutesheer. Und als es wieder durchfuhr, blieb er in der Stube sitzen. Da rief aber eine Stimme: »Streich dem da die Spältle zu!« und alsbald war es dem Mann, als ob ihm jemand mit dem Finger um die Augen herumfahre, und dann war er plötzlich blind, und alle Mittel, die er versuchte, halfen nichts. – Da gab ihm jemand den Rat, er solle sich doch das nächstemal wieder ins Zimmer setzen; schaden werde es auf keinen Fall. Diesem Rate folgte der Mann, und als das Heer im folgenden Jahre wieder kam, rief eine Stimme: »Streich dem da auch die Spältle wieder auf!« Da fuhr es ihm wieder um seine Augen herum, und mit einem Mal konnte er wieder sehen. Da sah er auch das ganze Mutesheer: das war eine Schar von ganz verschiedenen Menschen, von alten und jungen, von Männern und Weibern, und die machten einen wilden Lärm.

 

In einigen der letzten Geschichten löst sich aus dem Durcheinander-Lärmen und Schreien der vermeintlichen Stimmen schon eine einzelne heraus: das Schreckerlebnis wird von Worten angekündigt. Andere glaubten aus dem vielstimmigen Lärm heraus ihren Namen rufen zu hören; wieder andern formte sich das Gebraus zu Stimmen der Warnung, wie sie der eigenen Angst entsprachen.

Der Warner. 1. Einmal stand ein Mann beim Mondschein an einem Grattobel und schaute dem Nachtvolk zu, das gerade durch das Tobel herab gefahren kam. Wie er da so schaute und schaute, kam unversehens einer aus dem Nachtvolk auf ihn zu und sagte: »Götti, gang witer uffi!« Da fuhr aber ein Grausen in den Mann und er lief davon.

2. Durch das Fronatobel, das die Gemeinden Außer- und Innerbartholomätag in Montavon scheidet, fuhr auch vor Zeiten das Nachtvolk mit zierlicher Musik auf und ab, und wenn man in die Nähe kam, so rief es aus dem Volke: »Notnagel, oba Weeg, oba Weeg, oder met!« und wäre man dann nicht immer ob den Weg gegangen, so hätte man ohne Widerrede mitfahren müssen.

Das rechte Wort. Früher hat man das Mutesheer oft in der Umgegend von Nagold gehört. Eine Stimme rief vor dem Zuge her:

Außem Weg!
Daß niemer was g'scheh!

Einmal ist ein Handwerksbursche ihm begegnet, der wich nicht aus und warf sich auch nicht mit dem Gesicht auf die Erde, und deshalb wollten sie ihn mitnehmen. Der Handwerksbursch aber begann ein Gespräch mit dem Anführer und wußte dem so gut zu antworten, daß er keine Macht über ihn bekam. Dabei kam es namentlich auf ein einziges Wort an, das wußte der Handwerksbursch und sagte es auch, und da zog das Heer weiter. Was das aber für ein Wort war, oder was sie sonst miteinander gesprochen haben, weiß man nicht mehr.

 

Von der Stimme dieses Einzelnen, der gelegentlich als Sprecher oder als Warner aus dem wilden Haufen heraustritt, ist es nur noch ein Schritt zu der Vorstellung, daß die wilde Jagd ständig einem Einzelnen als ihrem Führer folge. In einigen Gegenden Tirols hat Frau Berchtl diese Führerschaft übernommen und dort ist sie es nun, die den lähmenden Axthieb mit den uns schon bekannten Worten begleitet; im Mansfeldischen zog einst dem wütenden Heer ein weißbärtiger Alter, der »treue Eckart« voran und scheuchte die Begegnenden warnend aus dem Wege; in Nord- und Mitteldeutschland finden wir den Glauben an einen Totenführer, den wilden Jäger, so üppig entwickelt, daß an manchen Orten von dem ganzen Heer nur noch der Führer übrig blieb; aber auch hier ruft er noch den Ruf des Warners: Holl den Middelweg!

Über den wilden Jäger ist viel geschrieben worden. Man stellt seinen norddeutschen Namen »Wode« und auch das schwäbische »Wuotes Heer« mit dem Namen des alten Gottes Wodan, Wuotan zusammen und sieht in den heutigen Sagen vom wilden Jäger gern die verdunkelten Reste alter heidnischer Göttersage. – Einige der heidnischen deutschen Stämme sahen und hörten in der Tat ihren Wodan als übermächtigen Kriegs- und Jagdherrn an der Spitze des Totenhaufens im Sturmwind dahinbrausen und es wäre darum möglich, daß dieser Gott in der christlichen Zeit zu dem immer noch unheimlichen aber doch sehr viel machtloseren Dämon wurde, der unser Volk noch heute erschreckt. Ob aber die Geschichten, die man sich heute vom wilden Jäger erzählt und die besser zum Dämon als zum Gotte passen, ähnlich einst schon von Wodan berichtet wurden, können wir nicht entscheiden; dazu ist uns von den Göttervorstellungen unserer Vorfahren und besonders von dem, was sie sich von ihren Göttern wirklich erzählt haben, zu wenig überliefert.

Heute erzählt man sich vom wilden Jäger, dem Nacht- oder Helljäger, vom Wode und Hackelberg vor allem, daß er jage, entweder an der Spitze eines lärmenden Jagdgefolges oder auch allein, nur von seinen kläffenden Hunden begleitet. Er jagt zu allen Tages- und Jahreszeiten, vor allem aber im Winter, zur Zeit der Winterstürme; und wie die nächtlichen Spukerlebnisse sich nach dem natürlichen Gesetz epischer Stilisierung aus die Mitternachtsstunde konzentrieren, so braust der wilde Jäger am liebsten zur Mittwinterszeit übers Land, in den zwölf heiligen Nächten vom Weihnachts- bis zum Dreikönigstag.

Der Nachtjäger auf Rügen. Auf Rügen ist der Nachtjäger in manchen Gegenden allnächtlich unterwegs. Von einem großen Gefolge umgeben, mit lautem Hallo, mit Kreischen und Pfeifen und Hundegebell, mit Peitschenknallen und Pferdegetrappel reitet er durch die Lüfte. Dem einsamen Wanderer ruft er zu:

Hallo, Hallo!
Holl den Middelweg!
Holl den Middelweg!

Doch sieht man ihn niemals ganz in der Nähe; gewöhnlich ist er nur in einiger Entfernung zu sehen und dann auch nur wie in Nebel gehüllt. Wer ihn nachts auf einsamer Landstraße kommen hört, muß sich vor allen Dingen hüten zu pfeifen. Denn dadurch wird der Nachtjäger angelockt und glaubt, der Wanderer wolle mit. Ferner muß man sich hüten, die Vorder- und Hintertür des Wohnhauses offen zu lassen; sonst kommt der Nachtjäger, fliegt zu der einen Tür hinein und zur anderen wieder heraus und was er dabei im Fluge erhascht, führt er mit fort. Besonders gerne nimmt er ungetaufte Kinder mit, das ist seine liebste Beute.

Der Wode im Fürstentum Lauenburg. Den Wode haben viele Leute in den Zwölften und namentlich am Weihnachtsabend ziehen sehen. Er reitet ein großes weißes Pferd, ein Jäger zu Fuß und vierundzwanzig wilde Hunde folgen ihm. Wo er durchzieht, da stürzen die Zäune krachend zusammen und der Weg ebnet sich ihm; gegen Morgen richten sie sich aber alle wieder auf. – In der Weihnachtsnacht darf man keine Wäsche draußen lassen, weil seine wilden Hunde sie sonst zerreißen. Man darf dann auch nicht backen, denn sonst wird eine wilde Jagd daraus. Alle müssen still zu Hause sein; läßt man die Tür auf, so zieht der Wode hindurch und seine Hunde verzehren alles, was im Hause ist, besonders den Brotteig, wenn gebacken wird. – Einige behaupten auch, das Pferd des Wode habe nur drei Beine.

Der alte Au. In der Probstei in Holstein weiß Jung und Alt viel von dem alten Jäger Au, Aug oder Auf zu erzählen. Zwar treibt er in unseren Tagen sein Spiel nicht mehr so vor sichtlichen Augen, aber man weiß noch viele Stellen, wo er mit seinem wilden Gefolge in alten Zeiten gehaust hat. Er hatte beständig viele Hunde bei sich, gewöhnlich ganz kleine, auf deren Schwanz ein Licht brannte. Viele alte Leute erzählen davon und versichern, daß der alte Jäger ihnen nichts getan habe, wenn sie sich ganz ruhig verhielten und allenfalls den Segen, das Vaterunser oder ein anderes Gebet gesprochen hätten. – Einer alten Frau aus Brodersdorf, die noch nicht lange tot ist, ist der alte Aug einmal nachts zwischen Lutterbeck und Brodersdorf begegnet mit seiner ganzen Jagd. Nichts als Lichter und Lichter brannten bei ihr herum und dabei lärmte und schrie und schoß und heulte es, daß ihr Hören und Sehen verging. Denn sie geriet gerade mitten ins Gedränge. Das hat die alte Frau häufig erzählt und sie log nicht.

 

Wer so unablässig jagt, der hat natürlich auch irgendein Wild, das er verfolgt, und so mancher Bauernbursche ist dereinst gewiß einmal hinausgegangen, ob es ihm nicht vielleicht glücke, die ganze wilde Jagd zu schauen, Wild und Jäger. Zweierlei hat er da gesehen: entweder traf er den wilden Jäger nachts auf offenem Feld, weißschimmernde Nebel flohen vor ihm her und trugen in den Augen des erschrockenen Burschen undeutlich die Umrisse eines weißen Weibes; oder er sah im dämmernden Wald die niederen Büsche und Farnkräuter im reißenden Winde wehen, die dürren Blätter jagten im Wirbel zwischen ihnen durch – das waren die zwerghaft kleinen Moos- oder Holzweiblein auf ihrer Flucht vor dem hinterdrein rasenden Verfolger.

Der wilde Jäger und die weiße Frau. 1. Ein Bäckermeister aus Königsberg in der Neumark war einmal über Land gegangen und kehrte erst spät abends nach Hause zurück. Als er in die Gegend von Bernickow kam, hörte er plötzlich in einem nahen Holz ein gewaltiges Hallo und Hundegebell, und als er dorthin blickte, sah er eine Frau mit langen wallenden Haaren aus dem Walde hervorstürzen. Hinter ihr her der wilde Jäger mit seiner ganzen Schar. Nur wenige Sekunden konnte ers sehen, dann war alles wieder im nächsten Holze verschwunden; nur aus der Ferne hörte er noch Toben und Hundegebell.

2. Noch ehe die Franzosen in Pommern hausten, ging einmal der Schullehrer von Hohenholtz abends nach Stettin, um Einkäufe zum Kindelbier zu machen. Da hörte er plötzlich die wilde Jagd herankommen, mit Hundegebell und Jägergeschrei, und ehe er sich noch von seinem Schrecken erholen konnte, kam eine schneeweiße Taube auf ihn zugeflogen, die bat ihn, mit seinem Kreuzdornstock einen Kreis um sich zu schlagen und ihn mit drei Kreuzen zu weihen. Der Lehrer tat das; da flog die Taube in den Kreis und verwandelte sich dort in eine weißgekleidete Jungfrau. Sofort kam auch der wilde Jäger auf seinem Roß an und schrie dem Lehrer zu: »Öffne den Kreis und stoß die weiße Frau heraus!« Die flehte ihn an, es nicht zu tun; er brauche keine Angst zu haben, die wilde Jagd könne ihm in seinem Kreis nichts tun. Aber der Lehrer öffnete in seiner Angst den Kreis doch. Da war die Jungfrau im Nu daraus entschlüpft und der wilde Jäger wieder hinter ihr her. Nach kurzer Zeit aber sah der Lehrer ihn zurückkommen; da hatte er die getötete Jungfrau vor sich auf dem Pferde liegen, so daß ihre langen schwarzen Haare auf dem Boden schleiften.

Das Waldweibel auf der Karrendeichsel. In Wöhldorf in Thüringen war ein Schafknecht, der trieb seine Herde gewöhnlich nach dem Brandholz bei Ranis. Dort beim Pferch hatte er auch seinen kleinen Karren, in dem hielt er seine Mittagsrast und blieb auch manchmal über Nacht darin. Zu diesem Schäfer kam oft ein Wald- oder Holzweibel und klagte ihm vor, wie es mit seinen Verwandten vom wilden Jäger gejagt werde, und erzählte ihm auch, daß nur die Holzstöcke, in die drei Kreuze in einem Zwickel eingehauen seien, ihnen vor ihrem Verfolger Sicherheit gäben. Da schnitt der Schafknecht aus Mitleid mit seinem Taschenmesser drei tiefe Kreuze in die Deichsel seiner Hütte, damit das kleine Weibel darauf Ruhe hätte. Das Mittel half. Denn sobald nun im nahen Walde die wilde Jagd zu lärmen begann, flüchtete das Weibel heraus auf die schützende Deichsel. Zum Dank dafür schenkte sie dem Knecht einen Garnknaul, der nie ein Ende nehmen sollte, auch wenn er sein ganzes Leben lang daran strickte. Die Leute aus der Umgegend haben die beiden oft gesehen, wie sie miteinander redeten; dann schaukelte sich das Waldweibchen vergnügt auf der Deichsel und der Schäfer saß daneben und strickte von seinem Knaul. – Zuletzt aber war es mit dem behaglichen Plaudern doch einmal zu Ende. Denn eines Nachts kam der wilde Jäger mit dem ganzen wütenden Heer herangebraust, und weil er das Waldweibel nicht von den drei Kreuzen herunterbringen konnte, brach er die ganze Karrendeichsel ab und nahm Deichsel und Weibchen mit sich fort. – Von dem Knaul strickte der Knecht noch viele Jahre und erzählte auch jedem, der es hören wollte, wie er dazu gekommen war. Einmal stritt er mit einem Bekannten darüber, der die Sache nicht glauben wollte, und rief in seinem Eifer: »Ei so wickle doch davon ab, so viel du willst und behalte es für dich; ich sage dir, der Knaul geht nicht zu Ende.« Als aber der andere das nun tat, da war der Knaul sofort zu Ende. Über den Garnknaul des Waldweibleins vgl. S. 178.

 

Es ist ein immer wiederkehrender Zug im Volksglauben, daß man das »Heilige«, die Geister, nicht nachahmen darf. Wer das dem wilden Jäger antut, indem er seinen Ruf nachschreit oder sich sonst irgendwie an seiner Jagd beteiligt, dem schleudert er ein Stück von seiner Jagdbeute aus der Luft herunter, ein Holzweibleinsviertel oder – was auf andere Vorstellungen von dem gejagten Wilde weist – eine Menschen- oder Pferdelende. Wenn dieses Wurfstück dem Rufer am Rücken klebt und nicht weicht, bis er es eine Strecke weit geschleppt hat, so erinnert es an den Buckel des Spielmanns und an die Aufhockegeister, diese Materialisierungen des Angsterlebnisses. Andere Geschichten erzählen nur von dem jähen Fall, der den Rufer erschreckte, und welch seltsame Mittel man anwenden mutzte, um das unwillkommene Geschenk wieder anzubringen. – Es kann dem spöttischen Rufer aber auch noch viel schlimmer gehen: der wilde Jäger hetzt seine Hunde auf ihn und die gehn über ihn weg, daß keine Spur mehr von ihm übrig bleibt und man sich nur noch fragen kann, ob sie ihn mitgenommen oder zunichte getreten, oder ob sie ihn gar aufgefressen haben.

Die Menschenlende. Der General Sparr in Prenden ist bei seinen Lebzeiten ein großer Zauberer gewesen und kaum war er tot, da ließ sich um Prenden unaufhörlich die wilde Jagd hören und ließ den Leuten fast keine Nacht Ruhe. Da hat auch einmal ein Bauer das Hallo und Jagdgeschrei gehört und in seinem Übermut mit eingestimmt. Aber sofort war es ganz still und eine Stimme rief:

Hast du helfen jagen,
Sollst du auch helfen tragen!

und sogleich flog ihm eine Menschenlende auf den Rücken, an deren Fuß noch ein Schuh mit einer Schnalle saß, und auf der Schnalle war der Name noch zu lesen, wem er gehört hatte. Schnell warf der Bauer seine Last ab, aber das half nichts, sie saß ihm gleich wieder im Rücken, und so viel er sich auch mühte, er konnte sie nicht los werden. Da riet ihm einer, er solle sie doch nach dem Wildkeller des Sparrschen Schlosses tragen. Das tat er und wurde sie auf diese Weise glücklich los.

Mitgejagt – mitgenagt. Bei Wettin zieht der wilde Jäger oft durch den Grund, der die Pfaffenmatt heißt. Da geht es »kläff, kläff! hede, hede, hede!«. Einst lag ein Hirt in seiner Hürde und hörte das Bellen und Hetzen; da fragte er, ob er nicht mitjagen dürfe. »Nur zu« rief der wilde Jäger und der Hirt jagte mit. Als die Jagd zu Ende war, bekam er als Anteil an der Beute eine Pferdekeule, die sollte er essen. Und weil er das nicht wollte, tanzte die Keule drei Nächte hintereinander auf der Weide rings um die Schafe und mitten durch sie hindurch, so daß die Tiere ganz scheu wurden. Da wandte sich der Hirt an den Prediger und klagte ihm seine Not. Der Prediger zitierte den wilden Jäger und gebot ihm, die Keule zurückzunehmen. Aber der wilde Jäger sagte, das sei alter Brauch bei ihm und seinen Jägersleuten: wer mit jage, der müsse auch mit essen. Daher komme noch das alte Sprichwort:

Hast du geholfen jagen,
Mußt du auch helfen nagen.

Da mußte sich der Hirt bequemen, ein kleines Stück von der Keule zu essen, und dann war sie gleich verschwunden.

Wie die Holzhetzer ihr Geschenk wieder abholen mußten. Ein Knecht hatte einmal Halm geschnitten auf dem Futterboden, und das war im Winter, abends. Plötzlich hörte er, wie die Holzhetzer durch den Garten jagten. Verwegen ist er gewesen und schreit hinaus »Holzhetzer, hetzt mir auch mein Teil!« Kaum hat er das gesagt, kommt ein Trumm eiskaltes Fleisch zum Fenster hereingeflogen, das blieb immer bei ihm, so oft ers auch wieder hinauswarf. – Nun konnte er auch in kein Bett mehr gehen; er mußte sich auf die Ofenbank setzen und da die Nacht lang sitzen bleiben. Einige Tage darauf kam ein altes Vettelweib und blieb über Nacht. Der Knecht wollte ihr erst nicht sagen, warum er nicht ins Bett gehe. Aber das Bettelweib meinte, eine Alte wisse auch manchmal einen guten Rat. Da erzählte er ihr sein Unglück. – »Dummer Kerl, wirfs hinaus, wenn die Holzhetzer wieder kommen, und ruf dazu: Wenn ich kein Salz dazu bekomm, kann ichs nicht brauchen!« – Der Knecht tat es und wurde auf diese Weise frei. Es war aber das Fleisch von einem Holzweibchen gewesen. Das war von den Hetzern in der Luft zerrissen worden. (Oberpfalz.)

Die wilden Hunde. Zwei Burschen gingen abends von Bergkirchen in Westfalen durch den Wald, ihre Bräute zu besuchen. Da hörten sie über sich in der Luft wildes Hundegebell und eine Stimme rief dazwischen: »hoto! hoto!« Das war Hackelblock, der wilde Jäger, mit seiner Jagd. Einer von den Burschen rief ihm in seiner Frechheit nach: »hoto! hoto!« Da kam Hackelblock mit seinen Hunden und hetzte die ganze Meute über den Burschen. Von dem ist hernach auch nicht eine Spur mehr gefunden worden.

 

Wenn der Sturm der wilden Jagd durch ein Bauernhaus geht, so wird die Asche vom offenen Herd emporgewirbelt; die nächsten Tage pfeift und winselt der Wind noch im Kamin, er steigt darin herunter und wühlt in der Herdasche – da hat der wilde Jäger einen seiner Hunde in dem Haus zurückgelassen. Der liegt nun auf oder unter dem Herd, nährt sich von der Flugasche und stört die Hausbewohner in der Nacht mit seinem Gewinsel. Ist die Zeit der Winterstürme vorbei, so wird der unheimliche Gast allmählich stiller, ohne daß er doch jemals ganz verschwände; im nächsten Spätherbst aber meldet er sich aufs neue mit Heulen und Unruhe: da wittert er das Herannahen seines Herrn, der ihn dann nach Ablauf eines Jahres wieder mitnimmt.

Der Hund des wilden Jägers. 1. In den Zwölften, so erzählte ein altes Mütterchen in Woltringhausen bei Uchte, indem sie ihre Pfeife ansteckte, da jagt Roods oder Herodis »met sine Hünne«. Da muß man gleich nach Sonnenuntergang alles fest zuschließen, denn sonst jagt er durchs Haus und läßt einen seiner Hunde darin. So ists mal einem Bauern namens Plate in Kirchdorf ergangen. Der Hund hat ein ganzes Jahr lang dort gelegen, hat nichts als Flugasche gefressen und ist doch dick und fett geworden. Von Farbe ist er gris gewesen und dabei so groß wie ein tüchtiger Kettenhund. Als nun aber das Jahr rund war und es wieder in die Zwölften kam, da hat man den Herodis wieder heranziehen hören, und als er dicht am Hause gewesen ist, hat er gerufen: »Alke, wiltu met?« Und kaum hat der Hund das gehört, da ist er schnell aufgesprungen und ist mit der wilden Jagd davongegangen.

2. In Strukhausen haben sie mal einem solchen Hund alle Abend einen Napf voll Fressen an den Herd gesetzt. Den Tag über hat er still und ohne sich zu regen auf dem Herd gelegen, aber über Nacht muß er doch lebendig geworden sein, denn am Morgen ist der Futternapf immer leergefressen gewesen. So hat das fast ein Jahr gedauert. Wie nun die Zwölften heranrücken, wird der Hund unruhig; er geht hinaus vor die Niedentür, hält seine Nase hoch in die Luft und schnuppert; dann kehrt er wieder an den Herd zurück und streckt sich hin. So geht es fort, bis das Jahr gerade voll rund ist, da tritt ein großer Mann in die Niedentür, der bedankt sich schön bei den Leuten, daß sie den Hund so gut gefüttert haben; und sofort springt der Hund auf und geht nun mit seinem Herrn wieder davon. Das Jahr darauf ist in dem Hause aber so viel Milch und Butter gewesen, daß der Bauer einer der reichsten in der ganzen Gegend geworden ist.

In dieser letzten Geschichte hat sich die Vorstellung vom zurückgelassenen Hunde des wilden Jägers mit der Erinnerung an den alten Brauch verbunden, daß man dem Winde zu bestimmten Zeiten ein Opfer brachte. In einigen Gegenden des südlichen Deutschlands wird dieser Brauch noch heute geübt. Im österreichischen Schlesien wirft man bei einem großen Sturm eine Handvoll Mehl, Spreu oder Federn zum Fenster hinaus und ruft dem Winde zu: »Da hast du, hör auf!« und es ist noch gar nicht so lange her, daß man in Oberösterreich alljährlich zu Fastnacht drei ungebackene, aber geformte Brotlaibchen für den Wind auf Zaunpfähle steckte und dazu sagte:

Säh, Wind, da hast du das dein,
Laß ma du a das mein!

Heute heißt dieser Brauch, wo er noch geübt wird, »den Wind (oder die Windin) füttern«; der Wind wird also ohne eine recht plastische Vorstellung als lebendes Wesen gedacht. Ursprünglich galt das Opfer den Toten im Wind, in Norddeutschland dem wilden Jäger oder seinen Hunden.

Brot für den Joejäger. In der Gegend von Basum im Osnabrückischen hat einmal ein Bauer Christabends die große Tür an der Diele offen gelassen; da hat sich die ganze Joejagd davorgelegt und der Joejäger hat gesagt, er werde nicht eher fortgehen, als bis man ihm ein Brot herausbringe. Und das hat man denn auch tun müssen, um ihn nur los zu werden. Aber damit ist es noch nicht zu Ende gewesen; denn er hat sich auch noch ausbedungen, daß man ihm alle Jahre um dieselbe Zeit an eine gewisse Stelle im Holz ein Brot hinlege, und das ist viele Jahre lang geschehen.

In früheren Jahrhunderten war der wilde Jäger mit so geringen Gaben nicht zufrieden. Er forderte alljährlich eine Kuh oder zum mindesten ein jähriges Kalb. Wenigstens scheinen einige norddeutsche Sagen an ein solches Jahresopfer zu erinnern, und auch die kärntische Sage von der Geisterkuh werden wir wohl als eine allerdings schon sehr verdunkelte derartige Erinnerung aufzufassen haben:

Der wilde Jäger fordert ein Rind. 1. Zeller Thesing zu Oythe in Oldenburg muß alle Jahre ein Kalb nach Thesings Busch liefern, auf einen Platz, wo drei Bäume stehen; sonst stirbt ihm die beste Kuh im Stall.

2. Ein Bauer zu Hogenbögen im Großherzogtum Oldenburg ging eines Abends in den Zwölften spät nach Hause. Er war schon ziemlich nahe daran, da kamen seine Kinder mit der Schiebkarre und hatten Feuerung geholt. Da bekam er einen großen Schrecken, denn in den Zwölften darf doch nichts rundum gehen, kein Wagenrad, kein Spinnrad, nicht einmal ein Dreschflegel, weil dann ja der Weltjäger umgeht. Der Bauer fing also gleich an zu rufen und zu schreien und die Kinder mußten auf der Stelle abwerfen. Dann nahm er die Karre auf die Schulter, hielt das Rad fest, damit es ja nicht etwa noch einmal rundlaufe, und trug sie so nach Hause, und da haben sie sie sorgsam eingeschlossen. Aber seine Frau fing an zu weinen und sagte, nun werde es ihnen gewiß schlecht gehen; die beste Kuh müßten sie schon gewiß verlieren, aber es sei auch noch Schlimmeres zu fürchten. Da wurde ihnen geraten, sie sollten schnell den höllischen Hunden ein Futter bringen. Deshalb nahmen sie ein jähriges Kalb, banden es an einen Strick und zwei Mann brachten es noch denselben Abend weit vom Hause in die offene Heide und ließen es da laufen. Auf diese Weise hatten sie die Kuh gerettet; aber nun hatten sie die Hunde an das Futter gewöhnt und mußten die Fütterung alljährlich wiederholen, sonst hätte sie es doch noch die beste Kuh gekostet. Noch viele Jahre ist es bei diesem Bauern Brauch gewesen, alle Winter im Anfange der Zwölften ein jähriges Kalb hinauszubringen, und oft ist das Kalb vorher noch besonders darauf gefüttert worden, damit die Hunde besseres Fleisch bekämen. Und niemals ist von den hinausgebrachten Kälbern eins wiedergekommen oder etwa an anderer Stelle aufgefunden worden.

Die Geisterkuh. In einer mondhellen Nacht ließ sich im Lesachtal in Kärnten die wilde Jagd mit dem gewöhnlichen Jauchzen vernehmen und kam lärmend auf das Dorf zu. Voran ritten drei große Männer, die hielten jeder eine Stange in die Höhe und an der Stange war oben eine Leiche angebunden. Hinterher kamen eine Menge Leute mit wilden Gesichtern. Am Dorfplatz lagerten sie sich, machten Feuer und führten aus dem nächsten Stalle einen Ochsen heraus. Den schlachteten sie und brieten und aßen ihn. Dann legten sie die Knochen alle zusammen wieder in die Haut und peitschten mit Ruten darauf. Da wurde der Ochse wieder lebendig. Sie führten ihn in den Stall zurück und jagten dann mit gräßlichem Lärmen weiter. Aber während des nächsten Tages verdorrte der Ochse.

 

Warum jagt denn nun der wilde Jäger eigentlich? – Wo die Toten alle ohne Ausnahme im großen Heere fahren, ist für eine solche Frage kaum ein Anlaß; da gehört es einfach zu ihrem gespenstischen Wesen, daß sie im Sturmwind über die Erde ziehn. Wo aber der wilde Jäger allein übrig blieb und so als einzelner zu anderen Wesen in Gegensatz trat, da forderte sein immer wiederholtes, also im Grunde doch zweckloses Jagen eine Erklärung. – Fast überall, wo wir heute einer solchen Erklärung begegnen, heißt es, der ewige Jäger sei ein Wiedergänger, ein Verdammter, sein Jagen eine Strafe für einst begangene Freveltat. Wir treffen also auf die gleichen christlichen Vorstellungen von einer Vergeltung nach dem Tode, wie wir sie schon vom vorigen Kapitel her kennen. Und wie dort Frevel und Strafe oft miteinander in engem Zusammenhang standen, so gab die Phantasie des Volks auch hier dem wilden Jäger eine seiner Strafe entsprechende Vorgeschichte: er ist ein so unersättlicher Jäger gewesen, daß er selbst den Sonntag mit seinem Jagen entheiligte, oder er hat als Fürst das Jagd- und Forstrecht in seiner blutigsten Grausamkeit verwaltet. Im Harz und Solling dagegen weiß die Vorgeschichte des wilden Jägers Hackelberg nichts von einem solchen Frevel; da finden wir den seltsamen Bericht von seinem Tod durch den Zahn des gefällten Ebers, der in den Motivkreis vom weissagenden Traume gehört. Warum aber aus dem ehemaligen Forstmeister nachher der wilde Jäger geworden ist, wird dort nicht erklärt.

Der wilde Jäger in Westfalen. Es war einmal ein böser Graf, der fürchtete sich auch gar nicht vor dem lieben Gott, denn er ging fast jeden Sonntag auf die Jagd. So kam er denn auch gar nicht mehr in die Kirche und bald jagte er die ganze Woche, Sonntag und Werktag, und je mehr er jagte, je größere Lust hatte er daran. Da ritt er denn den Leuten durch Korn und Gerste und Hafer, und wenn sie zusammenkamen und sich beschwerten, daß er ihnen ihr Getreide zertrat, dann schlug er sie mit der Hundepeitsche. Dann setzte er sich wieder auf sein Pferd, die Jäger und die Hunde hinter ihm her, durch Wald und Feld und Berg und Tal, immer gejagt und immer gejagt. Die Hirsche und die Rehe und die Hasen, die er sah, die mußte er auch haben, eher hatte er keine Ruhe. – Nun wars aber einmal am Sonntag, da waren die Leute alle in der Kirche; nur der böse Graf war wieder auf der Jagd mit allen seinen Hunden und Jägern. Da sah er einen schönen Hirsch und gleich gings hinter ihm her, aber so sehr sie sich auch mühten, sie konnten nicht an ihn kommen; bis endlich der schöne Hirsch stehen blieb. Da sah der Graf zwischen seinem Geweih ein schönes goldenes Kreuz. Der Hirsch war nämlich Christus und der sagte jetzt zum Grafen: »Nun sollst du jagen bis an den jüngsten Tag.« Und das ist auch geschehen; denn der Graf ist der wilde Jäger.

Der wilde Jäger auf Rügen. Vor langen Jahren war im Sachsenland ein großer Fürst, der hatte viele Burgen und Schlösser und Dörfer und Forsten. Er mochte am liebsten nur immer jagen und lebte mehr in den Wäldern als auf seinen Schlössern, und dabei war er ein rechter Wüterich. – Einmal hatte ein Hirtenknabe in seinem Wald einen jungen Baum abgeschält und sich aus der Rinde eine Schalmei gemacht. Dem hat er den Bauch aufgeschnitten und das Ende des Gedärms um einen Baum gewunden, und nun hat er den Knaben solange um den Baum hetzen lassen, bis ihm das ganze Gedärm aus dem Leibe gewunden war und der Knabe tot hinfiel, und dazu hat er gerufen: »Das ist die Schalmei, worauf du blasen sollst; das hast du für dein Pfeifen!« – Einen Bauern, der auf einen Hirsch schoß, weil er ihm sein Korn abweidete, hat er auf den Hirsch festschmieden lassen und die beiden so in den Wald gejagt. Da ist der Hirsch mit dem Mann weggelaufen und hat ihn solange an die Bäume und Sträucher angeschlagen, bis der Mann tot war, und dann ist der Hirsch zuletzt auch selber umgekommen. – Zur Strafe für all das hat sich der Fürst aber auch endlich mal beim Jagen den Hals gebrochen; denn da ist ihm sein Pferd durchgegangen und ist mit ihm gegen eine Buche gerannt, daß er mit dem Kopf gegen den Baum schlug und ihm das Gehirn in tausend Stücke zerstob. Und das ist nun seine Strafe nach dem Tode, daß er auch im Grabe noch keine Ruhe hat, sondern die ganze Nacht durch jagen muß. Das muß er jede Nacht, Winter und Sommer, von Mitternacht bis eine Stunde vor Sonnenaufgang, und dann hören die Leute ihn oft: »Wod! Wod! Hoho! hallo! hallo!« schreien. Sein gewöhnlicher Ruf ist aber: »Wod! Wod!« und davon wird er selbst an manchen Orten der Wode genannt.

Hackelbergs Ebertraum. Auf dem ganzen Solling erzählt man, auf dem Mosberge bei Neuhaus liege der Hackelberg begraben. Der war nämlich ein großer Jäger; und einmal träumte ihm, er würde durch einen Kempen (Eber) seinen Tod finden. Da nun am andern Tag eine große Jagd war, bat ihn seine Frau, er möge doch nicht mit ausziehen, und da ließ er es dann auch. Als aber die Jäger dann abends nach Hause kamen, hatten sie einen großen Eber geschossen und wie der so auf der Diele liegt, tritt der Hackelberg heran und sagt: »Na, du wirst mir auch nichts mehr tun!« und dabei faßt er mit dem Finger in den Rüssel und hebt den Kopf in die Höhe. Der gleitet ihm aus der Hand und der eine Hauer fährt ihm ins Bein. Hackelberg achtete nicht weiter darauf, aber die Wunde wurde so schlimm, daß der kalte Brand dazu kam und er daran starb. – Vor seinem Tode hatte er noch bestimmt, man solle ihn ungewaschen, wie er sei, in einen Sarg legen und ihn da bestatten, wohin ihn sein Schimmel ziehen würde. Als es nun aber zur Bestattung kam, wollte man ihn doch nach Stolzenhagen bringen, wo früher die Einwohner von Neuhaus begraben wurden; aber vier Pferde, die man vorspannte, brachten ihn nicht von der Stelle. Da wurde denn endlich sein Schimmel vor den Wagen gespannt und der ging sogleich mit ihm den Mosberg hinauf und stand erst auf der obersten Spitze still. An der Stelle hat man ihn dann begraben; aber heute weiß kein Mensch mehr das Grab zu finden. Und nur zufällig trifft einer hin und wieder im Walde darauf. – So fand einmal ein Schäfer das Grab. Der steckte seinen Schäferstab darauf mit seinem Hut, um es nachher wieder aufzufinden; aber er fand es nicht wieder. Ein anderer Mann, der es auch einmal zufällig gefunden hatte, brach einer daneben stehenden Tanne den Wipfel ab, um es wieder zu finden. Aber als er es dann wieder suchte, waren da vielen Tannen die Wipfel abgebrochen, und da konnte er es nicht wiederfinden. Überhaupt, wer mit der Absicht hingeht, es zu suchen, findet es nie, nur wer plötzlich einmal darauf stößt.

 

Damit haben wir die wichtigsten Sagen vom Totenheer und vom wilden Jäger zusammengestellt. Es bleibt nur noch eine Vorstellung kurz zu erwähnen, die wohl überall in Deutschland neben den bisher besprochenen hergeht: das wilde Heer fährt nicht nur zu Fuß und zu Roß durch die Luft, sondern auch als gespenstische Reisegesellschaft in einer feurigen oder schwarzen Kutsche. Und auch wenn der wilde Jäger allein jagt, lenkt er zuweilen ein Viergespann von Schimmeln oder Rappen.

Der schwere Wagen in Ungarn. »Hiatz schlofts Kinda, da schwari Wagn wird glei vabei farn!« sagt man bei Preßburg; und eine Bäurin fügte erklärend hinzu: »Da schwari Wagn kumt nea (nur) in da Nacht, wan neamst (niemand) auf da Gaßn is. Da färt a, daß am Hörn und Segn vageet und daß alli Fensta scheppern. Wia no di alte Reesl in Windgassel glebt hat – mei seligi Muoda hats no kent – bei der irn Haus is a allimal steen blibn.«

Das Mutesheer als Kutsche. In Mittelstadt am Neckar sagt man, das Mutesheer sei ein gewaltig großer Wagen, der ist so gedrängt voll, daß man nichts als Köpfe darin sieht; und er fährt so rauschend und rasselnd durch die Luft, als obs der Teufel mit seinen Heerscharen selber wäre. Eine Stimme ruft vor dem Wagen her:

Außem Weg, außem Weg!
Daß niemand beschädigt werd!

Wer diesen Ruf hört, muß sich nur gleich mit dem Gesicht zur Erde werfen und sich am Boden festhalten, und wär es nur an einem Grashalm, dann kann ihm nichts geschehen. Eine andere Stimme aber, von einem, der nicht mit im Wagen sitzt, schreit hinter dem Zug beständig her:

Wer i au gschirrt und g'gürt,
So kam i au dernah!

Andere haben das Mutesheer auch noch anders gesehen: da zogen vier Schimmel einen Wagen, und in dem Wagen stand ein einziger großer Mann. – Man sagt, es komme ein gutes Jahr, wenn man das Mutesheer recht sausen hört.

Der Spatzentann-Jäger. Bei Gmünd im Remstal hörte man sonst in den Adventsnächten den Spatzentann-Jäger; der kam aus dem Walde Spatzentann bei Muthlangen mit vier Schimmeln vor die Stadt gefahren, indem er beständig knallte. Auch mehrere bellende Hunde begleiteten den Wagen. Am Tore schellte er jedesmal; wenn dann aber jemand aufmachte, war er schon um die Stadt herumgefahren und zog an dem andern Tore. Man hörte ihn auch oftmals seine Hunde locken, indem er rief: »Hu dax dax dax! hu dax!«

Der Wauld und sein Wagen. Auf Poel ging mal ein Mann spät abends von einem Dorf zum andern. Das Wetter war stürmisch. Unterwegs hörte er vor sich eine sehr grobe Stimme und ein furchtbares Gebell von Hunden, großen und kleinen. Wie er näher kommt, sieht er mitten im Weg einen Wagen mit schwarzen Pferden halten, um den herum bellen die Hunde. Da geht er heran und auf dem Wagen sitzt ein Mann, der ihn bittet, er soll ihm doch die Deichsel heil machen. Der andere ist ein Rademacher gewesen. Er besinnt sich denn nicht lange und macht sich ans Schnitzen. Als die Deichsel wieder heil ist, sagt der auf dem Wagen, er hätte nun gar nichts, was er ihm geben könnte, nur die abgefallenen Holzspäne. Da wird's dem Rademacher aber unheimlich; er steckt rasch ein paar Späne in die Tasche und läuft nach Hause. Da legt er die Späne auf den Herd und geht schlafen. Und am andern Morgen sind all die Späne »Zweidrittel« gewesen (altmecklenburgisches Geld). Da ist er rasch hingelaufen und will sich die anderen Späne auch noch holen, aber die sind alle schon weg.

 

Mit zwei Geschichten, die uns noch einmal zeigen sollen, wie lebendig der wilde Jäger und seine Jagd unserem Volke noch heute ist, nehmen wir von den Toten, die im Winde fahren, Abschied:

Eine wahre Geschichte aus Pommern. Zu Anfang der 70er Jahre verabredeten sich einmal die Tagelöhner in Zeitlitz (Kreis Regenwalde), sie wollten einen Abend im Reckower See zusammen fischen; den Fang wollten sie dann teilen. Aber ein paar von ihnen beschlossen heimlich, den andern zuvorzukommen und den Zug allein zu machen. Als nun die anderen Tagelöhner an dem Abend merkten, daß sie zurückgelassen waren, sannen sie aus Rache. Sie holten sich einen Wagen und nahmen eine Peitsche mit und Feuerstahl und Schwamm und machten sich so auf den Weg. Der Abend war dunkel. Als sie auf einem ziemlich steilen Berge an der Nordseite des Sees angelangt waren, setzte sich einer von ihnen auf den Wagen und knallte mit der Peitsche, was er konnte, und die andern schlugen mit Stein und Stahl Feuer und schwenkten den glimmenden Schwamm in der Luft. So ging's den Berg hinunter, in rasender Fahrt, und gerade auf die Tagelöhner drunten los, die eben beim Herausziehen des Netzes waren. Da haben die einen Todesschrecken bekommen und haben geschrien: »Die wilde Jagd! Die wilde Jagd!« und haben Netz und Fische fahren lassen.

Der Haßjäger. Der alte Bahnwärter Möker in Nauen (Braunschweig) erzählte um 1890: Früher, als die Leute noch mehr draußen waren zur Nachtzeit, haben sie auch viel mehr gehört und gesehen als heutzutage. Besonders als wir noch nachts die Pferde hüten mußten im Walde, haben wir manchmal den Haßjäger gehört; aber jetzt ist nichts mehr los. Wir haben manche Nacht im Tüttel Der Tüttel ist ein Wald bei Lutter am Barenberge. gelegen und sein: Gah tau! Huff Huff! und Jiff jaff! gehört. Es ging so durch die ganze Feldmark. Dann kam es durch die Luft auf uns zu wie ein Sturmwind, daß wir uns die Mützen festhalten mußten. – Einmal ging mein Bruder nach der Wiese zum Heumachen. Als er hinkommt, ist es noch viel zu früh. Er legt sich also in einen Heuhaufen und schläft darüber ein. Mit einem Male hört er ein furchtbares Schallen, der Heuhaufen geht in der Luft herum, und er kann sich kaum noch festhalten. Das war der Haßjäger, der über ihn wegzog. – Seitdem es mit dem Nachtlager draußen vorbei ist, seitdem ist es mit dem Haßjäger vorbei. Wenn man es heute erzählt, dann lachen die Leute und sagen: Das sind Märchen und Großvatergeschichten!


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