Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

8. Wassermann und Nixe

Wenn am Abend die weißen Nebel aus Fluß und Weiher steigen und sich über das Schilf und die Wiesen am Ufer breiten, oder leise wallend um die Stämme der alten Weiden schwanken, als hingen sie in ihren Zweigen, dann sieht das geistersichtige Auge köstliche Leinenwäsche im Grase bleichen oder zum Trocknen aufgehängt; wie kommt sie dorthin und wem gehört sie? – Im Rauschen des Baches, der über die Steine springt, oder des Flusses, auf dessen Grunde die runden Kiesel rollen, hört das geöffnete Ohr des einsamen Lauschers eine leise, geheime Musik in schlichten Tönen auf- und niedersteigen; wer ist es, der da im Wasser singt? – Wer tötet den Menschen, wenn er ins Wasser stürzt? wer zieht ihn so unwiderstehlich in die Tiefe? – Alle diese Fragen führen zu der einen Antwort, daß auch im Wasser »jemand« lebe: Ströme und Bäche, die kleinsten Weiher, Quellen und Brunnen, die Seen und das große Meer, alle beherbergen geisterhafte Wesen, Wassermänner und Seefräulein, den Nix und die Nixe, die in der Wassertiefe, für gewöhnlich unsichtbar, ihre prächtige Wohnung haben.

Ihre Gestalten sind oft rein menschlich und wohlgebildet, nur der nasse niemals trocknende Saum ihres Gewandes verrät dann ihre Herkunft; oft erscheint der Wassergeist aber auch als Tier: als Fisch oder Kröte oder als Wasservogel, oder in großer Nebelspukgestalt nach Art eines »Dorftiers«, als Roß, Stier oder Pudel; von den weiblichen Nixen ist die Vorstellung weit verbreitet, ihr Leib sei nur zur Hälfte menschlich gebildet, unten aber gehe er in einen Fischschwanz aus, und darum tauchen sie auch meistens nur mit dem Oberkörper aus dem Wasser auf. Einzelheiten ihrer Erscheinung: die grünen Zähne und das grüne Kleid, den Schilfgürtel, die Schwimmhäute zwischen den Zehen und die weit hervorquellenden Augen entnahm die Volksphantasie der Pflanzen- und Tierwelt der Gewässer; in den gelben Seegrassträhnen, die der Sturm vom Meeresgründe losriß und die nun auf den runden Wellen auftauchen und verschwinden, sieht der Schiffer der Ostsee das lange gelbe Haar einer Seejungfrau, die in den Wogen spielt und von Zeit zu Zeit lockend zu ihm emporwinkt.

Der Nix in Sachsen. Der Nix erscheint gewöhnlich als ein kleiner freundlicher Knabe in grünem oder rotem Röckchen, mit hellfunkelnden Augen und oft mit langem grünem Haar und grünen Zähnen. Bisweilen sieht er aber auch aus wie ein erwachsener Mann, hat ein altes tückisches Gesicht und Krallen an den Händen. Er wohnt mit Frau und Kindern auf dem Grund der Flüsse und Seen; einzelne Nixe hausen auch in Brunnen. An den Weiden, die am Ufer der Saale und der Elster stehen, trocknen die Nixen bei heiterem Wetter ihre Wäsche. Sie setzen sich dann in den Wipfel der Weide, breiten die Hemden und Röcke an den Zweigen rings um sich aus, und wenn alles trocken ist, nehmen sie es ab und steigen wieder damit ins Wasser. – Am Zörnitzberg bei Wettin halten die Nixe manchmal bei Nacht einen Tanz. Da hört man eine helle fröhliche Musik und sieht viele kleine Männer und Frauen aus der Saale steigen, die fassen sich bei den Händen und führen mit zierlichen kleinen Schritten und Sprüngen ihren Reigen auf. Und von Zeit zu Zeit springen einige ins Wasser und andere kehren dann an ihre Stelle zurück.

Von den Seejungfern auf Rügen. Was es mit den Seejungfern eigentlich ist, das weiß kein Mensch so recht genau zu sagen; es ist auch schädlich, darüber zu sprechen. Auch hat sie noch niemand ganz nahebei gesehen, weil ihr Nebelkleid sie meistens verhüllt. Und das ist ein wahres Glück; denn wer einmal eine Seejungfrau ganz in der Nähe gesehen hat, der ist ihr unwiderruflich verfallen und wird von ihr in den See oder ins Meer hinabgezogen.

Das Seeweibchen. Einmal wollte ein Matrose ein »Seewiefken« fangen, das nicht weit vom Schiff auf dem Wasser trieb und sehr schön sang. Er fuhr mit einem kleinen Boote hin; aber als er so nahe war, daß er schon meinte, nun könne er das Seewiefken ins Boot ziehen, da erhob es sich plötzlich aus dem Wasser und umschlang den Matrosen mit beiden Armen und riß ihn mit sich in die Flut.

Der Hakenmann. In Einbeck und Dassel sagt man, der Hakenmann sitze am Ufer der Flüsse und andrer Gewässer, sogar an den Stadtgräben; er wohnt gern in Strudeln, wo das Wasser Blasen aufwirft oder mit Geräusch in die Tiefe gezogen wird. Hier singt er – das Geräusch im Wasser ist sein Singen – und lockt die Kinder zu sich und faßt sie dann mit einem eisernen Haken und zieht sie ins Wasser. Das tut er, weil er an den Fischen, die alle seine Kinder sind, nicht genug hat und auch Menschenkinder haben will.

Der Wassermann unter der Gamburger Brücke. In der Tauber bei Gamburg wohnt ein Wassermann, den hört man besonders oft unter einem Bogen der Brücke plätschern. Er trägt einen langen Haken in der Hand, wie ihn die Fischer haben. Damit greift er nach den Kindern, die sich zu nahe an die gefährlichen Stellen des Flusses wagen, und zieht sie ins Wasser und behält ihre Seelen bei sich. Damit sie ihm nicht entfliehen können, läßt er sie unter die alten Häfen ducken, die von den Leuten als unbrauchbar ins Wasser geworfen werden. Nur am Samstag zwischen zwölf und ein Uhr mittags dürfen sie hervor und miteinander spielen. Aber er hält strenge Wacht dabei, und sowie sich jemand am Ufer zeigt, – husch! werden die armen Kinderseelen wieder unter die Häfen getrieben.

Damit der räuberische Wassergeist sich nicht an den Menschen vergreift, hat man ihm in früheren Zeiten alljährlich an bestimmten Tagen Ersatzopfer gebracht. Die Erinnerung an solche alten Opferbräuche ist noch überall in Deutschland lebendig; in manchen Gegenden werden sie sogar noch heute geübt. Als Opfer nahm man meistens etwas Lebendiges, ein Lamm, eine Katze, ein Huhn, doch wird daneben auch von einem Brotopfer erzählt. Daß es sich dabei tatsächlich um einen Ersatz handelt, darauf scheinen die überall in Deutschland wiederkehrenden Sagen zu deuten, in denen ein Fluß oder ein See alle Jahre an einem bestimmten Tage einen Menschen verlangt und ihn, wenn er ausbleibt, mit magischem Zwange zu sich zieht.

Der schwarze Hahn. In Thale mußten sie vor Zeiten alljährlich an einem bestimmten Tag einen schwarzen Hahn in die Bode werfen. Wenn sie das nicht taten, ertrank sicher einer in dem Jahr. Einmal hatten sie es unterlassen und da ist auch gleich am andern Tag ein Mensch ertrunken.

Die Stunde ist da. 1. Noch immer, ehe eins in der Lahn bei Gießen ertrunken ist, hat sie gerufen, und das haben die Müller und Bleicher, die an dem Wasser sind, schon oft gehört. Es geschieht jedesmal mittags zwischen elf und zwölf Uhr. Da rauscht die Lahn auf und schlägt starke Wellen und dann ruft es mit lautem Schrei aus dem aufgeregten Wasser:

Die Zeit ist da!
Die Stunde ist da!
Wär nur der Mensch da!

Nun hört man mit heimlichem Schauder erzählen: die Lahn hat gerufen, es ertrinkt bald wieder eins. Und das ist auch allemal eingetroffen; es ist bald darauf wirklich eins in der Lahn ertrunken.

2. Als einst einige Leute am Brokteich in Oldenburg in der Nähe von Punken Brake arbeiteten, hörten sie aus der Brake eine Stimme rufen: »De Tid is verflaten un de Mann is nich da!« Gleich darauf kam ein Reiter angesprengt und wollte sich in die Brake stürzen; aber die Arbeiter hielten das Pferd an. Da bat er um einen Schluck Wasser. Die Arbeiter nahmen einen Becher und füllten ihn aus der Brake und reichten ihn dem Reiter. Aber kaum hatte der einen Trunk getan, so fiel er tot vom Pferde.

 

Hat sich der Wassergeist einmal ein Opfer ausersehen, so ist keine Rettung mehr. Ebenso entgeht auch keiner seinem Schicksal, der ihn beleidigt; und was ihm einer einmal in der Not versprochen hat, das fordert er zu seiner Zeit trotz Beten und Flehen unerbittlich ein.

Das gefangene Seeweibchen. An der holländischen Küste hat ehemals ein Ort gelegen, der hieß Schouwen. Da hat man einmal ein Seeweibchen gefangen, das hat gefleht und gebeten, man solle es doch wieder frei lassen; aber die Leute haben es nicht getan. Da hat es auf eine Gelegenheit gewartet und ist ihnen entsprungen und wieder in die See geschlüpft. Und dann hat es sich noch einmal aus der Brandung erhoben und hat gerufen:

O Schouwen, Schouwen,
Dat sall di rouwen!

Am andern Tag ist eine große Flut gekommen und hat ganz Schouwen in den Wellen begraben.

Nixenrache. 1. In einem Graben in der Nähe von Pritsche bei Brandenburg sitzt ein Wassernix. Da war einmal ein Knecht draußen, der hatte dort in der Nähe zu tun. Da kommt auf einmal der Wassernix hervor, um sich zu sonnen, und er hatte ein rotes Käppchen auf. Wie der Knecht ihn sieht, wirft er ihn mit Steinen, und da ist der Wassernix wieder untergetaucht. Aber dem Knecht ist es schlecht bekommen: im folgenden Jahr arbeitete er wieder an der gleichen Stelle und da ist er jämmerlich ertrunken. Der Wassernix hat ihn hinuntergezogen.

2. Zu Ottmachau in Schlesien ist immer ein Wasserweib zum Fleischer gekommen und hat Fleisch eingekauft. Sie hat immer eine nasse Borte unten am Rock rum gehabt. Nie hat sie gesprochen, sondern immer bloß mit dem Finger auf das Stück Fleisch »gezeigt«, das sie haben wollte. Den Fleischer hat das verdrossen, denn er wollte nicht, daß jemand das Fleisch anrührte; und er sagte zu den Leuten: »Ich hacke ihr noch einmal den Finger ab, wenn sies wieder macht.« Und richtig, das nächste Mal hackt er ihr ein Fingerglied ab. Da hebt sie den blutigen Finger und droht ihm und spricht: »Na wart, das will ich dir gedenken!« – Nun hatte es einmal geregnet und auf der Straße war eine Wasserlache stehen geblieben. Der Fleischer mußte gerade zufällig über Land, und da ist er in dieser Wasserlache ertrunken. Da sagten die Leute, das hätte das Wasserweib gemacht.

Der Fischer und der Wassermann. Ein Fischer saß am Ufer der Oder und hatte schon lange nichts mehr geangelt. Da kam ein kleiner Mann zu ihm, dessen Kleid war unten am Saum ganz naß; der sagte zum Fischer: »Wenn du mir gibst, was du zu Hause nicht kennst, dann sollst du soviel Fische fangen, als du nur immer willst.« Der Fischer konnte bei allem Nachdenken sich nicht besinnen, was ihm in seinem Haus wohl unbekannt sein könnte, und ging auf den Handel ein. Aber als er dann mit seinem reichen Fang heimkam, hatte ihm seine Frau eben ein Knäblein geboren. Da bekam er große Angst und betete ohne Unterlaß, um das böse Geschick von seinem Söhnchen abzuwenden; aber es half nichts. Als der Knabe schon ziemlich herangewachsen war, ging er einmal mit seinem Vater über Feld und kniete unterwegs an einer Quelle nieder, um zu trinken; da hat ihn der kleine Mann zu sich hinabgezogen.

 

In der Sage vom Nix in Sachsen lernten wir den Tanz der Wassergeister kennen, der wie das Spiel der armen Kinderseelen am Tauberufer wohl auf die durcheinander wallenden Nebel über dem Wasser zurückzuführen ist. So gelten allenthalben in Deutschland die weiblichen Nixen und Seejungfern für gute Tänzerinnen und man erzählt sich gerne, sie hätten früher auch zuweilen an den Tänzen der Menschen teilgenommen. Gewöhnlich endet dieser Verkehr für sie mit dem Tod; denn wenn sie sich einmal über die erlaubte Zeit verspäten, so werden sie von ihrem erzürnten Vater, dem grausamen Wassermann, zur Strafe getötet. Sie haben auch Liebschaften mit den Burschen des Dorfs und nehmen sie mit hinunter in ihr Wasserreich zu einer Ehe, die jedoch meistens nur so lange währt, bis der Mensch aus Sehnsucht nach der Menschenwelt seine Nixe verläßt und dafür von der Betrogenen grausam bestraft wird.

Das Wasserweibel. Vor vielen Jahren gingen einmal junge Burschen mit ihren Mädchen aus Johnsbach bei Wartha in das benachbarte Frankenberg zum Tanzvergnügen. Als sie an die Neißebrücke kamen, machten sie einen der Burschen, der alleine mitgegangen war, darauf aufmerksam, daß an der Brücke ein hübsch angezogenes Mädel lehnte. Er forderte sie auf, mit ihm zum Tanz zu gehen, und das Mädel ging auch mit, aber sie sprach kein Wort dabei. Dann tanzten sie zusammen und das Mädchen war eine gute Tänzerin, nur bei jedem Schritt hinterließ sie einen feinen Wasserstreifen. Und es dauerte nicht lange, da sagte sie zum Burschen: »Nun führe mich wieder dahin, wo du mich hergenommen hast.« Der Bursche tat das; als sie aber an der Brücke angekommen waren, da richtete sich das Mädchen hoch auf und schrie ihn drohend an: »Daß du dich nicht noch einmal unterstehst, mich hier wegzuführen! Das würdest du büßen müssen!« Und während der Bursche sie noch ganz erschrocken ansah, brach plötzlich die ganze Gestalt in sich zusammen und verschwand. Zu seinen Füßen war eine große Wasserpfütze. Da merkte er, daß er mit einem Wasserweibel getanzt hatte, und es kam ein solcher Schreck über ihn, daß er sich kaum bis nach Hause schleppen konnte. Viele Wochen hat er dann schwer krank gelegen, und hat sich nur langsam wieder erholt.

Des Wassermanns strenges Gericht. In das sogenannte Schenkhaus im Oberdorfe in Wigstadtl in österreichisch Schlesien, wo in früheren Zeiten jeden Sonntag Tanzmusik war, kamen sehr häufig auch zwei von den Töchtern des Wassermanns. Sie tanzten und unterhielten sich mit den Burschen; aber kurz vor zehn verschwanden sie jedesmal. Da nahmen sich zwei von den Burschen eines Sonntags vor, sie diesmal nicht fortzulassen, sondern sie mit List oder Gewalt über zehn Uhr hinaus festzuhalten. Sie tanzten den ganzen Abend mit ihnen, und als sie dann wie gewöhnlich gegen zehn Uhr Weggehen wollten, ließen sie sie nicht fort und all ihr Bitten und Flehen half ihnen nichts. Die eine von den beiden fügte sich scheinbar in ihr Schicksal und erspähte einen geeigneten Augenblick und entkam noch rechtzeitig; der andern war das nicht möglich. Gegen zwölf Uhr bat sie dann den einen Burschen, mit dem sie am meisten getanzt hatte, sie heimzubegleiten. Und als sie dann am Teiche ankamen, sagte sie traurig zu ihrem Begleiter: »Nun hast du mir den Tod gebracht und weißt es selber nicht. Mein Vater schlägt mir gewiß den Kopf ab, weil ich nicht zur bestimmten Stunde nach Hause gekommen bin. Sobald du drei Blutstropfen aus dem Wasser aufsteigen siehst, bin ich tot.« Darauf zog sie ein Rütlein hervor und schlug damit dreimal aufs Wasser. Da teilte es sich und die junge Nixe ging auf einer breiten Stiege in den Teich hinab. Über ihr schloß sich das Wasser wieder. Kurze Zeit darnach stiegen drei Blutstropfen auf: der Wassermann hatte sein Kind gerichtet. Da ging der Bursch betrübt nach Hause. Ins Schenkhaus ist seitdem von den Wassermannstöchtern keine mehr gekommen.

Nixenehe. Ein Schäfer hatte sich in eine Nixe verliebt und wohnte lange Zeit mit ihr auf dem Grunde eines Sees. Da begann er sich nach seinen Verwandten und Freunden zu sehnen und bat seine Frau um die Erlaubnis, noch einmal auf die Erde zurückzukehren. Er mußte ihr versprechen, wieder in den See zu kommen, und die Nixe schwur ihm, sie werde sich rächen, wenn er sein Wort nicht halte. Dem Schäfer gefiel es aber zu gut auf der schönen Welt; er mochte lieber wieder seine Schafe hüten und kam nicht wieder zu seiner Nixe zurück. Doch nahm er sich in acht, daß er keinem Fluß oder See oder Brunnen zu nahe kam, und so konnte sie sich lange nicht rächen. Aber eines Tages, als es sehr heiß war, und er wieder seine Schafe hütete, hatte er einen Durst, daß er es gar nicht mehr aushalten konnte. Da sah er eine kleine Lache am Weg und lief hin und dachte: da kann sie dir nichts anhaben. Und bückte sich hinunter, um zu trinken. Aber kaum hatten seine Lippen das Wasser berührt, da fühlte er einen Druck im Genick und hörte ein heiseres Kichern. Da wußte er, daß die Nixe über ihm war. Sein Gesicht wurde fest in die Lache gedrückt, und so klein sie war, er mußte drin ertrinken.

 

Es folgen wieder einige Sagen, deren Motive wir schon aus früheren Kapiteln kennen; die letzte, vom Wassermann in der Mühle, ist am besten mit dem nächtlichen Mühlenbesuch der Hexen zusammenzustellen.

Der Wechselbalg. Der Nickert sitzt im Wasser und ist ein kleines graues Männchen, das stiehlt die Menschenkinder, solange sie noch nicht getauft sind. Statt ihrer schiebt er seine eigenen unter, die sind sehr klein und haben große, breite Köpfe. Sie sind aber auch sehr stark und haben oft mehr Kraft als drei starke Männer zusammengenommen. So ist mal in Zühlichendorf in der Mark ein großes Nickerkind gewesen, das war ganz verwahrlost und verunreinigte sich und war fast wie ein Tier. Da kommt einmal ein Knecht mit einem schwer beladenen Wagen voll Getreide nach Hause und fährt so stark gegen die Torpfosten, daß er nicht wieder loskommen kann. Das Nickerkind saß in der Stube am Fenster und sah zu und auf einmal fragte es: »Soll ich helfen?« Aber der Knecht antwortete ärgerlich: »Ach du dummes Quack, das sollte dir wohl schwer werden.« Da kommt das Nickerkind heraus und schiebt mit einem Ruck den Wagen wieder in die Richte. Aber nach drei Tagen war es auch verschwunden.

Kindstaufe im See. In dem kleinen See, der etwa drei Viertelstunden von Hutzenbach in Baden in einem Seitentale liegt, wohnte früher ein Seemännlein und ein Seeweiblein. Sie hatten auch zwei Töchter, die kleideten sich schneeweiß und kamen gewöhnlich nur einmal im Jahr, wenn Kirchweih war, nach Hutzenbach zum Tanz. Einmal war eine Bäurin aus Hutzenbach mit ihrer Magd auf dem Feld und arbeitete. Da sah sie ganz nah eine große Kröte und sagte zur Magd: »Schlag doch die wüste Krott tot!« Die Magd aber sagte: »Nein, das tu ich nicht; bei der steh ich wohl noch einmal Gevatter.« Und richtig, es dauerte nicht lange, da wurde die Magd abgeholt, um Gevatter zu stehen, wie sie es der Kröte versprochen hatte. Sie ging auch mit und man sagt, sie sei in den See geführt worden und sei dort Gevatter gestanden. Darnach sprach die Krott, die jetzt eine Frau war: »Nimm diesen Gürtel mit und bind ihn deiner Herrin um den Leib. Dir aber schenke ich dies Büschel Stroh.« Die Magd nahm beides und ging fort. Unterwegs aber band sie den Gürtel um einen Baum, um ihn sich besser anzusehen: da wurde der Baum in tausend Stücke zusammengerissen. Diese Strafe hätte also ihre Herrin treffen sollen, weil sie die Krott hatte totschlagen wollen, denn die war niemand anders gewesen als das Seeweible. – Das Büschel Stroh hatte die Magd weggeworfen. Nur einige Halme waren ihr am Kleid hangen geblieben, und als sie sie daheim abnehmen wollte, waren sie reines Gold.

Selberjedan. Da war einmal ein Schiffer, der hatte sich in der Havel bei Deetz vor den Wind gelegt und setzte sich in den Kahn und wollte sich Fische fangen. Als er nun so eine ganze Zeit geangelt hatte und genug hatte, da ging er wieder in sein Schiff und kriegte seine Pfanne her und wollte sich die Fische braten. Da saß er nun so beim Feuer, da kommt auf einmal aus der Havel ein Wassernix auf sein Schiff, der war so groß wie ein kleiner Hahn und hatte ne rote Kappe auf dem Kopf und stellt sich bei ihm hin und fragt ihn, wie er heißt. »Wo ik heten do?« sagt der Schiffer, »ik het Selberjedan, wenn de't weten wist.« – »Na Selberjedan,« sagt der Wassernix und kann knapp reden, weil er das ganze Maul voll Padden Frösche. hatte: »Selberjedan, ik bedrippe di.« – »Ja, dat sast du mal don,« sagt der Schiffer. »Denn nem ik'n Stock un schla di damet or de Rügge, datte janz krumm un sches waren sast.« Aber der Wassermann kehrt sich da nichts dran und sagt nochmal: »Ik bedrippe di,« und ehe sich mein Schiffer das versieht, spuckt er ihm alle Padden in die Pfanne. Da kriegt der Schiffer seinen Stock her und haut aus den Wassernix ganz barbarisch los, daß er gottsjämmerlich an zu schreien fängt und alle Wassernixe zusammenkamen und ihn fragten, wer ihm denn was getan hätte. Da schrie der Wassernix: »Selberjedan!« Und als das die andern Wassernixe hörten, sagten sie: »Heft du't selber jedan, so is di nich to helpene,« und gingen wieder ab, und der Geschlagene sprang auch wieder in die Havel und hat keinen Schiffer wieder »bedrippt«.

Der Wassermann in der Mühle. In Steenholt war mal ein Müller, der hatte das Unglück, daß ihm alle sieben Jahr seine Mühle abbrannte, immer am gleichen Tag, und dann wurden auch alle Leute umgebracht, die in der Mühle waren. Nun kam mal ein Müllergeselle dahin, der wollte gern Arbeit haben. Da sagte der Müller: nein, er kann ihm keine Arbeit geben; übermorgen sind grad sieben Jahr herum, daß seine Mühle abgebrannt ist, da brennt sie wieder ab. Der Müllergesell sagt: er soll ihm die Mühle schenken, dann soll sie nicht abbrennen. Der Herr sagt: »Dat könnt wi versöken. Wenn em de Möl nich upbrennt, so will ik se em schenken, un min Dochter sall he darto hebben.« – Wie nun die Nacht kam, blieb der Müllergesell ganz allein in der Mühle und macht Fenster und Türen fest zu. Schlag zehn klopft was an die Tür. Der Müllergesell will niemand einlassen und sagt: »Hier wart hüt Nacht allens umbrächt, wat in de Möl is; blif du man buten.« Der Mann sagt: »Lat he mi man in; kann sin, ik kann hüt Nacht sin Retter warren.« Er läßt ihn also ein und nötigt ihn zu Tisch. Und wie er Licht macht, sitzt da ein Kerl, der hat einen großen Bären. – Nun schlägts zwölf. Da kommt der »Waterkärl« in die Mühle, splitternackt, und schmeißt zwei große Fische auf den Tisch, die sollen sie kochen und er will sie essen. Sie kriegen die Fische also zu Feuer und fangen an, sie zu kochen. Wie sie gar sind, sagt der Mann mit dem Bären: »Nu mütt ik min Gesellen da ok mit to nödigen«; und nimmt dem Bären den Maulkorb ab. Der Bär will nun mit dem Wassermann essen; aber der Wassermann will das nicht haben. Der Bär fängt an sich mit ihm zu beißen und zu kratzen und wird ihm über, so daß der Wassermann zuletzt wieder zum Fenster heraus muß und blutet. – In der Nacht brannte die Mühle nicht ab. Der Müllergesell heiratete die Müllerstochter und bekam die Mühle dazu. – Als nun die sieben Jahre wieder um sind, geht der Müllerknecht mal an seinem Mühlteich spazieren. Da steckt der »Waterkärl« den Kopf aus dem Wasser und sagt: »Heft du de grote Katt noch, de für säwen Jor bi di weer?« Da sagt der Müller: »Ja, de liggt ünnen Arven Ofen. un hett säwen Junge.« Da sagt der Wassermann: »So will ik in minen ganzen Läwen nich werrerkamen.«

 

Von Tiergestalten der Wassergeister haben wir in den Sagen bisher nur die Kröte kennen gelernt. Daß man in dem plumpen Untier, das mit seinen großen Glotzaugen am Teichrand sitzt und beim Nahen des Menschen platschend ins Wasser springt, einen Wassergeist vermutet, ist leicht verständlich. Der »große Adler« mit seiner roten Zipfelmütze in dem nun folgenden schlesischen Bericht ist wohl ein harmloses Wasserhuhn gewesen, das die watenden Kinder um so leichter erschrecken konnte, als sie sich auf verbotenen Wegen wußten. Die andern Tiere, die das Volk dem See entsteigen sieht, sind aus dem gleichen Stoff wie die vielen Tiergestalten der spukenden Toten:

Der Wassermann als Vogel. Vor dreißig Jahren, als ich noch ein Kind war, wateten wir zu unserm Vergnügen in den Dorfteich. Plötzlich erhob sich aus dem Wasser eine Gestalt, das war der Wassermann. Er sah aus wie ein großer Adler und hatte eine rote Zipfelmütze auf dem Kopf und stand auf den Beinen. Er flatterte mit den Flügeln und schlug um sich, und als wir fortliefen, verschwand er lachend im Wasser. (Schlesien.)

Der Fisch im Altshauser Bach. In gewissen heiligen Zeiten wie z. B. in der Fasten fängt ein Fisch im Altshauser Bach in Württemberg sein unheimliches Wesen an. Er schwimmt den Bach herab bis an die Brücke, die zur Fabrik führt, und zwar in aufrechter Stellung, wie ein Mensch, und ist gerade so groß. Er ist auch schon aus dem Wasser herausgekommen und hat sich auf dem Land sehen lassen in wirklicher Menschengestalt.

Der Seebulle. 1. Bei Scheuen in Hannover liegt ein Sumpfloch, die Düpe, gewöhnlich das Stierloch genannt. Daraus steigt zu gewissen Zeiten ein wilder Stier hervor und begattet sich mit den Kühen der Herde. Auch mißt er sich mit dem Stier der Herde und bleibt immer Sieger.

2. Im Balksee (Amt Neuhaus an der Oste) ist eine Stadt durch den Übermut ihrer Bewohner untergegangen. Auf dem Grunde dieses Sees wohnt ein riesenhafter Stier, der Seebulle. Den größten Teil des Jahres, solang das Wasser offen ist, hält er sich still; man merkt nur an den aufsteigenden Blasen und Wasserperlen, wo er liegt und Atem holt, oder am aufquellenden Grundwasser, wenn er sich rührt. Im Winter aber, sobald sich das Wasser mit Eis bedeckt, wird er unruhig, denn dann entgeht ihm die Luft. Dann steigt er nach oben und sprengt durch sein heftiges, weithin hörbares, donnerähnliches Gebrüll die Eisdecke, daß sich lange Borsten darin bilden. Je stärker der Frost ist, desto heftiger wird sein Brüllen und Toben unter dem Eise. Er stößt auch nachts mit seinen Hörnern Löcher hinein oder taut es mit seinem Atem auf, so daß es immer gefährlich ist, auf dem Eis über den See zu gehen.

Der schwarze Hengst. Vor vielen Jahren, als auch die Frauensleute noch mit Pferden arbeiteten, waren einmal die Butziner Mägde beim Schwisseler See in Mecklenburg beim Eggen. Da kommt plötzlich ein großer kohlschwarzer Hengst bei ihnen angegangen. Die eine hatte ein altes schlechtes Pferd, und sie sagt zu den andern: »Ik glöw, ik spann mi den swarten Hingst för min oll leg = leidig, schlecht. Mähr vör de Eg.« Die andern sagen: »Dat dau du man.« Sie spannt also ihre alte Mähre ab und tut dem fremden Hengst die Sielen auf und spannt ihn vor die Egge. Er läßt auch alles ganz geduldig mit sich machen. Nun fängt sie an, auf und nieder zu eggen, und der Hengst geht ganz geduldig. Wie sie dann aber anfängt, quer zu eggen und die Eggfurchen sich kreuzen, da wird der Hengst plötzlich scheu und reißt sich los und fährt wie wütend mit Geschirr und Egge in den See und verschwindet in ihm. Am Johannistag in der Mittagsstunde soll die Egge noch jetzt dort im See »baben upt Water fleeten«.

Der grundlose See. Einst wollte einer den Schrecksee am Kugelhorn im Allgäu ergründen. Er band einen Stein an eine Schnur und wollte ihn gerade in die Tiefe hinabsenken. Da tauchte aus dem Wasser ein schreckliches Ungeheuer empor, das sah aus wie ein geschundenes Roß und schnaubte und rief zornig:

Ergründst du mich,
So freß ich dich!

Da ließ der Mann vor Entsetzen los und floh, so schnell er konnte, und hat seitdem den See nie mehr ergründen wollen.


 << zurück weiter >>