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7. Die wilden Waldleute

In den Sagen vom Klabautermann hieß es, die Seele eines Kindes könne unter gewissen Bedingungen in einen Baum übergehen: solange der Baum nun wächst und blüht, lebt sie in ihm; wird er gefällt, so bleibt sie in seinem Holze wohnen. Diese auf den ersten Blick befremdliche Vorstellung gehört in den großen Mythenkreis von den Geistern der Bäume und des Waldes und findet in ihm viele Entsprechungen. Wie das Haus und das Bergwerk, so erscheint dem kindlich beobachtenden Menschen auch der Wald mit seinem lebendigen Rauschen und Brausen, seinem Knarren und Ächzen, mit seinen flüchtigen Sonnenlichtern und seiner nächtlichen Finsternis, von geisterhaften Wesen belebt, die in den Bäumen wohnen und all das Unheimliche bewirken, was dem einsamen Holzschläger und Wanderer im Wald begegnet. Das Verhältnis dieser Baumgeister zu den Menschenseelen ist nicht immer so klar wie beim Klabautermann; man weiß oft nicht recht, was eigentlich die Meinung ist: wohnt der Geist, nur eine Zeitlang und gewissermaßen zufällig, im Baum wie in einem Hause, oder hat auch der Baum seine eigene Seele, durch die er lebt und empfindet wie ein Mensch?

Wie die Geister des Waldes den Baumfrevler schreckten. In einer Winternacht, um ein Uhr, ging ein Mann von Schlossau in Baden in den fürstlichen Wald des Rotenbergs und wollte sich einen Stamm zu Fackeln holen. Eben setzte er die Axt an eine junge Buche, als plötzlich um ihn her ein so fürchterliches Jagdgetöse ausbrach, daß er erschrocken innehielt und umherschaute. Nichts war zu sehen; allmählich entfernte sich der Lärm und verhallte. Nun wollte der Mann zum zweitenmal zuhauen, aber da toste es wieder und erschreckte ihn; und zum drittenmal ging es ganz ebenso. Da merkte er endlich, daß er den Frevel unterlassen sollte und ging schnell nach Hause.

Die Stimme aus dem Baum. Aus einem Kirschbäumchen, das bei der Barbarakirche bei Langensteinbach in Baden stand, wollte sich ein Bauer eine Flegelrute machen; aber als er den ersten Schnitt tat, rief es: »Au weh!« und ebenso beim zweiten. Da machte sich der Bauer, der weit und breit niemanden sah, mit Grauen davon. Als er am folgenden Tage wieder nach dem Bäumchen schaute, war es verschwunden.

Der Baumgeist als Kobold. Einmal ging ein Mann vom Holzgau im Allgäu in einen Wald, um Holz zu hauen. Als er einen Baum gefällt hatte, hörte er es weinen, ohne daß er etwas sehen konnte, und eine Stimme rief: »Du hast mir meine Wohnung genommen.« Da sagte der Mann: »Dann kannst du in meinem Hause unter der Stiege wohnen; aber du darfst mir keinen Schaden tun!« Als der Mann abends heim kam, lief ihm sein Weib schon entgegen und meldete ihm, es sei ein Unfug im Hause: Schüsseln und Teller würden hin und her und herausgeworfen. Der Mann sagte, das mache nichts, er werde schon Ruhe schaffen. Da ging er hin und schlug den Raum unter der Stiege mit Brettern zu. Seit der Zeit war Ruhe, und vom Geist war weiter nichts zu sehen oder zu hören.

Der Irrfleck. Vom Streitberg im Striegauer Kreise in Schlesien erzählte man früher, es sei dort im Walde ein Fleck, von dem man nicht mehr weg finde. Einmal war ein Junge dorthin geraten. Dem wurde totenangst und er schrie ganz erbärmlich, weil er nicht heraus konnte. Da schrie ihm eine Stimme zu: »Schieß doch nen Purzelbock!« und der Junge tat das und kam nun gleich hinaus von dem Fleck.

Das Hojemännl. Vor kurzem sahen einige kleine Buben von Stoffen am Lech auf dem Heimweg gegen Abend ganz nah bei ihnen ein buttawinzigs Bübl, grün angetan, springend und lustig johlend. Allweg Purzelbäum schlagend verschwand es mit den Blättern, die der Wind dem Wald zugelauberlt. Ganz verhofft, aber mehr erfreut als erschreckt liefen sie die Rissen hinauf, wo sie den Pitzlinger Hüter trafen, dem erzählten sie hastig, was sie gesehen hatten. Aber er sagte ruhig: »O das war ein Hojemännl, die tun niemand etwas zuleide. Ich hab schon viele gesehen.«

 

Diese Geister der Bäume und des Waldes sind hauptsächlich im Gebiet der mitteldeutschen Waldgebirge und in den Alpen zu fester umrissenen selbständigen Gestalten geworden. – Die meist weiblich gedachten Holz- und Moosleute Mitteldeutschlands haben wir auf ihrer Flucht vor dem wilden Jäger schon kennen gelernt. Sie sind ein kleines zierliches Volk, das für gewöhnlich tief im Wald ein verborgenes Leben führt und dem Menschen nur selten begegnet. Ihr Aussehn ist, wie es das ungewisse Dämmerlicht des Wälderdickichts schuf: grün und grau; ihr Gesicht ist mit Moos bedeckt. »Sie waschen es mit dem Tau, der sich am Morgen in den Frauenmäntelchen findet; den Leib ziehen sie durch den Tau der Wiese. Mit Wollmoos trocknen sie sich ab, oder mit alten Fetzen, die ihnen die Leute schenken.« Ihr Kleid ist aus grünem Moos oder aus dem grauen Baumbart, den sie auf kunstreiche Art von den Zweigen der alten Tannen herunterzuspinnen verstehen. Dieser Baumbart ist auch das wunderbare, nimmer endende Garn, an dem sie stricken, und das sie in manchen Sagen ihren Wohltätern schenken.

Das Holzweiblein. Der Fischmatz zu Naab in der Oberpfalz arbeitete einst im Felde, nahe am Wald. Da fing er ein Holzweiblein, das war so groß wie ein Mädchen von fünf Jahren; ihre Kleidchen waren von Mais (Baummoos), welches sie von den Bäumen weg mit einer Spindel spinnen. Sie war sehr zart und bleich von Angesicht und hüpfte wunderschnell von einem Baum zum andern, wie ein Eichkätzchen.

Strickende Holzweibel. 1. Von einem Kuhmädel bei Reichenfels in Thüringen fiel es auf, daß sie immer so viel Brot mit in den Wald nahm und daß sie bei ihrer Rückkunft immer so viel gestrickt hatte. Da entdeckte mans: sie gab einem Holzweibel von ihrem Brot und dieses strickte ihr dafür.

2. Noch im Jahre 1830 will ein junger Mann in der Schlee in Thüringen zwei jungen Holzweibeln begegnet sein. Soviel er in der Dämmerung hat sehen können, hatten beide ganz bemooste Gesichter und trugen Körbe von ungeschälten Weiden auf dem Rücken. Eins von ihnen strickte an einem grünlichen Strumpf. Schweigend zogen sie aneinander vorüber.

Das Wunderknäuel. Einem Mädchen, das einem Holzweibel Brot gegeben hatte, gab dieses einen Knaul Garn zum Dank und sagte ihr, sie möge den Knaul nur in ihre Lade legen, daß der Faden zum Schlüsselloch heraushänge, so könne sie davon spinnen ihr Lebelang. Der Knaul nahm wirklich nicht ab, soviel auch schon davon gesponnen war. Als das Mädchen aber einmal einer Freundin davon erzählte und ihr erlaubte, auch davon zu spinnen, da hatten sie gleich das Ende in der Hand. (Voigtland.)

 

Das Leben der Waldleute ist eng mit dem Leben des Waldes und seiner Bäume verbunden. Wenn jemand einen jungen Baum auf dem Stamme driebt, d. h. ihn solange herumdreht, bis die Rinde abspringt, also ihn tötet, so muß jedesmal ein Waldweiblein sterben, sagt man. Darum ist auch das ausdrückliche Verbot eines derartigen Baumfrevels ein wichtiger Bestandteil der guten Lehren, die das Thüringer Waldweibchen den Menschen gibt.

Der Spruch des Waldweibchens. In einem Bauernhause zu Wilhelmsdorf hatte sich ein Waldweibchen eingetan, das war fleißig und leistete in der Wirtschaft mehr als die beste Magd. Abends nach der Arbeit saß es immer auf seinem Platz hinterm Ofen und gab von da aus den Leuten gute Lehren und Ratschläge. So sagte es z. B. öfters:

Pip kein Brot, »Pipen«, das Einzeichnen der Brote mit den Fingerspitzen vorm Einschieben in den Ofen.
Schäl keinen Baum,
Erzähl keinen Traum,
Back keinen Kümmel ins Brot, Stark riechende Kräuter: Thymian, Dill, Kümmel, Lauch und Baldrian, vertreiben Geister und Hexen.
So hilft Dir Gott in aller Not.

Aber neben seinen Diensten tat es auch allerlei, was der Bäurin zuwider war; es holte sich die Klöße aus dem Topf und das Brot aus dem Ofen und alles Schelten und Zanken half da nichts. Da meinte die Bäurin zuletzt, sie wollte dem Waldweiblein einmal einen rechten Possen spielen, buk Kümmel in die Brote und pipte sie recht vom ersten an bis zur vollen Mandel fort. Sie hätte es lieber bleiben lassen sollen. Denn sobald nun das Waldweiblein von dem neuen Brote gekostet hatte, wurde es zornig und lief aus dem Hause fort, zurück in den Wald, und schrie dabei:

Sie haben mir gebacken Kümmelbrot,
Das bringt diesem Hause lauter Not!

Die Familie ist nachher auch bald ganz arm geworden.

 

Da die Holzweiblein tagaus, tagein im Walde leben, so kennen sie alle Kräuter und Blumen in ihm besser als irgendein Mensch. Für alle Krankheiten wissen sie die Heilmittel und haben schon manches mitleidig an die Menschen verraten; doch haben sie auch noch ihre Geheimnisse, die sie niemandem mitteilen und über deren Wahrung sie eifersüchtig wachen.

Die Blume Nimmerweh. In Königstein in der Oberpfalz war eine Taglöhnersfrau schwanger und auf freiem Felde der Entbindung nahe. Da schrie sie vor Angst und Schmerzen. Das hörte ein Waldfräulein und kam und reichte ihr eine schöne blaue Blume, die mußte sie geschwind essen. Da war Angst und Schmerz gleich vorbei und die Schwangere rief freudig: »Nimmer weh!« und hat auch sogleich glücklich entbunden. Seitdem heißt die Blume »Nimmerweh«.

Ein Mittel gegen die Pest. Als einst in Staffelbach in Oberfranken und in der dortigen Gegend die Pest regierte, kamen die Holzfräulein aus dem Walde und riefen den Leuten zu:

Eßt Bimellen und Baldrian,
So geht euch die Pest nicht an!

und als die Leute den Rat befolgten, ist die Pest vergangen.

Das Geheimnis der Waldleute. 1. Die beiden Wildeweibchen beim Rodenstein haben allerlei prophezeit und besonders mehrmals gesagt: »Wenn die Bauern wüßten, zu was die wilden weißen Haiden und die wilden weißen Selben (Salbei) gut sind, dann könnten sie mit silbernen Karsten hacken.« Einmal wurde eins von den Bauern gefangen, da rief ihm das andere nach: »Sag alles, sag alles, nur nicht, wozu die wilden weißen Haiden und die wilden weißen Selben gut sind!«

2. Der Wirt von Moderwitz im Orlagau hütete einmal in der Nähe eines Gehölzes seine Herde. Während er sein Frühstück aß, kommt ein Moosweibchen zu ihm und bittet ihn um etwas Brot. Der Hirt sagt: »Wenn du mir ein Mittel für kranke Schafe lehren willst, sollst du Brot bekommen.« Bereitwillig teilte ihm das Moosweibchen eine Menge Heilmittel für krankes Schafvieh mit. Als der Hirt genug gehört zu haben glaubte, sagte er: »Nun ists gut; deine Heilmittel kenne ich. Sieh du nun zu, wer dir das Brot gibt.« Da fing das Moosweibchen laut zu lachen an und lief nach dem Gehölz zu und rief: »Das Beste weißt du doch nicht; was gegen den Bettel hilft!« – Wenige Tage nachher erkrankten die sämtlichen Schafe des Hirten am Bettel und starben.

 

Was sonst noch von dem kleinen Volk des Waldes erzählt wird: sie flüchten vor dem wilden Jäger und nur das Kreuzzeichen schützt sie vor seiner Wut, sie schenken unscheinbare Dinge, die nachher zu Gold werden, sie dienen den Menschen, bis das Kleidergeschenk sie vertreibt – das kennen wir entweder schon, oder es sind einfache Parallelen zu den Zwergensagen:

Der wilde Jäger und das Holzweibchen. Als einst in Breitenfeld im Vogtland einer auf seinem Feld beim Eggen war, kam ein Holzweibchen zu ihm und bat, daß es sich unter seine Egge verstecken dürfe: es werde vom wilden Jäger verfolgt. Der Bauer hob die Egge auf und das Weibchen versteckte sich darunter. Bald darauf kam der wilde Jäger und fragte den Bauer, ob er das Holzweibchen gesehen habe. Der Bauer sagte nein und der wilde Jäger zog ab. Als dann das Holzweibchen wieder unter der Egge hervorkam, steckte es dem Bauer die Taschen voll Birkenlaub, das wurde nachher zu lauter Gold. Die Egge schützt das Holzweibchen vor dem wilden Jäger, weil ihre Stäbe kreuzweis übereinander gehn.

Waldweibleins Wiege. Auf dem Hungersberg bei Wilhelmsdorf im Vogtland hörte einmal eine Holzleserin etwas wimmern. Sie ging den Tönen nach und fand ein niedliches kleines Kind, das lag in einer Baumrinde. Sie glaubte, die Mutter des Kindes sei gleich ihr im Walde und reichte ihm die Brust, denn sie hatte selbst einen Säugling daheim. Es war aber das Kind eines Waldweibleins und das kam darüber herzu und schenkte der Bäurin zum Dank die Rindenwiege. Die Bäurin meinte nun zwar, sie habe bereits Holz genug gelesen, doch brach sie sich ein Stück von der Rinde ab, warfs auf das übrige und ging heim. Aber nachher hat sichs am mitgenommenen Stück gezeigt: die Wiege des Waldweibleins war aus purem Golde gewesen.

Bestrafte Eitelkeit. Der Schafknecht in Knau in Thüringen hatte einmal eine Liebschaft mit einem Holzweibl und dabei stand sich niemand besser als seine Herde; denn das Holzweibl schüttete der ganzen Herde aus seiner Schürze das Futter vor. Da ließ der Bauer seiner Geliebten aus Eitelkeit einen neuen Rock machen und – weg war sie. »Schämst du dich meiner, schäm ich mich deiner,« sagte sie.

 

Die beiden letzten Sagen endlich, die von Neckereien und Handgreiflichkeiten zwischen Menschen und Waldleuten erzählen, zeigen den Charakter der im Grunde gutmütigen Waldleute noch einmal im rechten Licht. Es kommt zwar zu Drohungen, für Grausamkeiten aber, wie wir sie aus den Zwergensagen kennen, ist in den Sagen von den Holzmännlein und Holzweiblein nicht der rechte Platz.

Das geschlagene Holzweibel. Allerlei Mutwillen verüben die Holzweibel, besonders beim Heumachen. Da war eins auf der Talwiese beim Buchaer Galgenbuschholz im Orlagau, das zerstörte dem Bauern immer wieder lachend die Heuschober, wenn sie eben fertig waren, und wollte trotz aller Ermahnung nicht davon ablassen. Endlich versetzte ihm der Bauer ärgerlich eins mit dem Rechenstiel. Da schrie das Holzweibel laut auf und aus dem Walde kam das Waldmännchen angelaufen und fragte zornig: »Was hast du mit meiner Frau?« Der Bauer zeigte den umgestürzten Heuschober und erzählte alles, wie es gewesen war. Da sagte das Männchen zu dem Holzweibel:

Wie du getan,
Nimm den Lohn.
Hätt er dich umsonst geschla'n,
Wärs um ihn geschehn.

Das erschrockene Wichtel. Eine Bauersfrau aus Gössitz a. d. Saale war eben daran, auf ihrer Holzwiese im Schlingengrund den letzten Heuschober auszubreiten; da sah sie zu ihrem Schrecken oben auf dem Schober ein ganz kleines Männchen sitzen, das war nicht größer als eine aufrecht sitzende Katze. Es wandte ihr den Rücken zu. Die Frau wagte nicht, das Männchen anzureden, sondern zupfte vorsichtig von hinten mit dem Rechen etwas Heu unten vom Schober weg, und immer mehr, und solange, bis der ganze Schober endlich zusammenbrach und das Männchen mit einem Schrei herunterpurzelte. Da kam aus dem Schwarzholz ein ganzer Haufe von ebensolchen Männchen herausgelaufen, die fragten mit drohender Gebärde:

Sag an, sag an,
Eckele, hat er dir was getan?

Das Wichtel aber krappelte sich mühsam aus dem Heuhaufen hervor und schaute verwundert den eingestürzten Haufen an. Dann schüttelte es den Kopf und sagte:

Ei, ei!
Das Ding fiel nur so ein,
Ich purzelte hintendrein,
Da möchte eins nicht schrein.
Ei, ei!
Das ist mir lieb,
Daß ich nicht drunter stecken blieb.

Und dann lief er, was er nur laufen konnte, mit seinen Kameraden in den Wald hinein, ohne auf die Bauersfrau weiter zu achten.

 

Diese harmlose Gutmütigkeit der kleinen Waldbewohner entspricht so recht dem freundlichen Charakter des deutschen Mittelgebirges mit seinen sanftwelligen Waldhügeln, deren Wälder bis in ihre Tiefen durchforstet und gelichtet und damit ihrer Unheimlichkeit entkleidet sind. In früheren Jahrhunderten, als diese Wälder noch mehr Schrecken in sich bargen, mag auch der Charakter ihrer mythischen Bewohner noch anders gewesen sein; doch hat sich von diesen älteren Erinnerungen in Mitteldeutschland nur ganz weniges erhalten. So schwankt z. B. in hessischen Sagen die Vorstellung von den wilden Leuten im Bernhardswald am linken Kinzigufer seltsam zwischen Riesengröße und Zwergenkleinheit; es heißt von ihnen: »Am vergnügtesten sind die wilden Männer, wenn der Sturmwind tobt und der Blitz aus den Wolken fährt; dann gehen sie hoch oben über die Berge und rütteln an den Wipfeln der Bäume. Aber sie freuen sich auch, wenn die Aaronspflanze gedeihlich emporwächst und wenn sie zwischen den Schachtelhalmen dahergehen können. Ihre großen schönen Frauen steigen in den Mondnächten auf in die Lüfte, ihre Kinder sind so groß wie der größte Mann. Sie lehren die Menschen Heilkräuter kennen, aber böse Menschen werden von ihnen zuweilen mit Ohrfeigen begrüßt.«

Dagegen sind die wilden Wälder des Hochgebirges mit ihrer meilenweiten unberührten Einsamkeit, mit ihren modernden Riesenstämmen und wildgetürmten Felsentrümmern, über die sich die trügerische Moosdecke breitet, und die im Frühjahr mit den Wildwassern zu Tal fahren, noch heute die rechte Heimat für ein Geschlecht riesiger Unholde. Besonders in den entlegenen Tälern Tirols hat sich die Erinnerung an die wilden Männer erhalten, die »so groß waren wie Riesen und ganz mit zottigen Haaren überwachsen«, und die einen ausgerissenen Baum als Wanderstab auf den Weg mitnahmen, ganz wie es die Wappen mancher Geschlechter und mancher Stadt noch heute zeigen. Noch unheimlicher fast in ihrer unberührten Wildheit werden ihre Frauen, die Fanggen, geschildert:

Die Fanggen in Tirol. Die Fanggen sind riesengroß und am ganzen Körper behaart oder besser geborstet; ihr Gesicht ist verzerrt: der Mund reicht von einem Ohr bis zum andern. Ihr schwarzes Haar hängt voll Baumbart; ihre Stimme ist wie die eines Mannes, rauh und ungefüge. Sie sind in Felle und Baumrinde gekleidet. Sie sind alleweil hungrig, absonderlich nach dem Fleisch der Menschenkinder, die holen sie sich, wie es nur gehen will. Darum dürfen die Kinder am Abend nicht über die Türschwelle. – Im Wald zwischen Nassereit und Stra hauste eine Fangg, die war so groß wie ein mittlerer Baum. Sie lauerte stets auf Menschen, und wenn sie kleine Buben zu fassen bekam, so schnupfte sie sie in ihre Nase wie Doppelmops oder Saint-Omer, oder sie rieb sie an alten, dürren Bäumen, bis sie zu Staub geraspelt waren.

Neben diesen grausigen Ungestalten sind aber gerade in den Wäldern Tirols auch die »seligen Fräulein« oder » Saligen« zu Hause, die, zwar von stattlichem Wuchs, aber durchaus menschlich gebildet, die Frauen der Bauern an Schönheit und Liebreiz weit übertreffen. Ihre langen schwarzen Haare werden in vielen Sagen gepriesen. Sie kommen aus ihren Wäldern ins Dorf hinunter und verdingen sich dort als Mägde und bringen dem Hof, der sie beherbergt, Glück und Gedeihen. – In der Schweiz nähern sich die Waldbewohner, die »Waldfänken«, » Fänkenmannli« oder »Wildmannli« wieder mehr den Zwergen, nur die Riesenkraft haben sie noch mit ihren Tiroler Namensvettern gemeinsam; immerhin ist der Ton ihrer Sagen noch wilder oder zum mindesten herber als der in den mitteldeutschen Sagen der Holz- und Moosleute.

Die geheimnisvolle Todesbotschaft. Zwischen Landeck und Ladis am rechten Ufer des Inn liegt der berüchtigte Fanggen-Urwald im Urgental. Ein Hirt von der Fisseralm suchte einmal dort ein verlorenes Stück Vieh und fand dabei ein ganz behaartes Kind, ein Madl. Er nahm es mit heim und zog es auf und nahm es später zur Magd. Es lernte zwar sprechen, wollte aber nie etwas von religiösen Dingen hören und war am liebsten im Wald. – Einmal gingen zwei Männer von Urgen am Fanggenwalde hin. Da hörten sie aus dem Tannenwald eine rauhe und gebieterische Stimme: »Saget der Stutzfärche (Föhre), die Rohrinde sei gefället und tot!« Die Männer staunten und wußten sich die Worte nicht zu deuten, aber sie liefen schnell nach Hause. Einer von ihnen war ein Freund von dem Bauern, bei dem das gefundene Mädchen diente, der erzählte es seinem Freund, und zwar so laut, daß es das Mädchen in der Kammer nebenan hören konnte. Da fängt sie an zu schreien und zu heulen und zu jammern und lauft eilig der Urgenwildnis zu und ist nie mehr gesehen worden. Man hatte damals gerade einige Urbäume zum Straßenbau gefällt und will den Tod der Rohrinde mit dem Baum in Verbindung bringen. Später wurde der Wald gänzlich niedergehauen und damit waren alle Fangginnen verschwunden.

Die wilden Lütli bei Lüen. Im sogenannten Glassauer Walde in Graubünden waren seinerzeit auch viele wilde Lütli, die hatten aber mit den Bauern keinen Verkehr, sondern taten ihnen Schaden, wo sie nur konnten. Einmal war ein Mann von Pagig im Glassauer Wald, um für einen Zaun Latten zu spalten. Da kam bald ein neugieriges Holzmueterli herangeschlichen, um zu sehen, was es gäbe. Der Pagiger merkte es wohl, ließ sich aber in seiner Arbeit nicht stören. Das Weiblein lachte und höhnte ihn aus, aber der Mann ließ sie ruhig gewähren; bis er wieder daran war. eine neue Latte zu spalten. Da rief er sie herbei, daß sie ihm die Latte auseinander halte. Sie tat das auch; aber nun zog der Bauer den Keil heraus und klemmte sie so ein. Da stieß sie ein solches Geschrei aus, daß alle Fänggen im Glassauer Wald und im Glassauer Tobel herbeiliefen und den Bauern verfolgten. Und sie hatten ihn beinahe erreicht, da läutete es in St. Peter zu Mittag und auf das hin eilten die Fänggen wütend in den Wald zurück, denn das Glockengeläute können sie nicht vertragen.

Saltton. Ein Bauer von Arzl im Oberinntal ging einmal in den Wald, um Kienholz zu machen. Dabei fand er einen so harten Zundernstock, daß es ihm viele Mühe machte, ihn zu klieben. Während er nun bei dieser Arbeit war, kam eine Fangga daher und fragte ihn: »Wie heißt du?« Da sagte er: Saltton. Selbtan Da freute sich die Fangga und sagte: »Jetzt bekomm ich einmal Menschenfleisch; das soll mir schmecken!« Der Bauer war aber ein pfiffiger Kauz und sagte: »Du wirst mich doch nicht roh fressen? Wenn das Fleisch schmecken soll, muß es gebraten sein!« Da fragte die Fangga: »Wie geht denn das?« Und der Bauer sagte: »Da mußt du zuerst diesen Zundernstamm klieben und dann ihn anzünden und dann kannst mich am Feuer braten. Fahr nur nein mit deinen starken Händen und reiß den Stock auseinander!« Da griff die Fangga in den Spalt und der Bauer zog den Keil heraus, da war sie eingeklemmt und fing an zu schreien und um Hilfe zu rufen. Da kam der Waldmann so herabgetümmelt, daß der Ort noch heute Timmels heißt, und rief: »Wer hat dir ein Leides getan?« Da antwortete die Fangga: »Saltton!« Als der Waldmann das hörte, wurde er unwillig und rief: »Salt ton, salt g'litten« und lief weg und ließ die Fangga in der Klemme. So kam der Bauer mit heiler Haut nach Hause, aber er wagte sich nie wieder so hoch in den Wald hinauf.

 

Von den Fanggen und Saligen Tirols wird mancherlei erzählt, was wir schon von den Seelensagen her kennen: sie rauben Wöchnerinnen und Kinder, sie hocken auf wie der Alp und gehen mit den Menschen eine Ehe ein, die in ihrem jähen Abschluß an die Mahrtenehen erinnert: ein Schlag, ein Scheltwort, die Nennung ihres Namens oder auch die bloße Frage nach ihrer Herkunft vertreibt sie. Handelt es sich jedoch nicht um eine richtige Ehe, sondern nur um eine Liebschaft mit einem schon verheirateten Bauern, so macht meistens das Dazwischentreten der Bäurin dem Sagenerlebnis ein plötzliches Ende.

Die Wöchnerin. In Patznaun hatte sich eine Bäurin nach dem Wochenbett auf den Weg zur Kirche gemacht, um sich dort vorsegnen zu lassen. Weil sie aber nichts Geweihtes am Leibe trug und auch gegen allen Brauch keine Begleitung mitgenommen hatte, wurde sie von einer Fangga aufgegriffen und entführt, oder wie die meisten sagen: zerrissen. Inzwischen war ihr kleines Töchterlein in die Küche gegangen, um Wasser zu trinken. Da kam es auf einmal in die Wohnstube gelaufen und rief: »Vater! komm doch in die Küche und sieh, was für einen großen Bart heut die Mutter hat!« Der Vater ging in die Küche, da sah er statt der Mutter ein häßliches Weibsbild mit struppigem Bart, eine leibhaftige Fangga beim Herde sitzen; die blickte ihn stier an. Aber dann stand sie auf und schritt eilends durch den Hausgang bei der Tür hinaus und verschwand. Alles Suchen nach der Bäurin war vergebens; man hat nie mehr eine Spur von ihr gefunden.

Der Knabe bei den wilden Frauen. Die wilden Frauen im Untersberg haben einmal bei der Kugelmühle einen Knaben mitgenommen, der draußen das Vieh hütete. Diesen Knaben sahen die Holzknechte übers Jahr in einem grünen Kleid auf einem Baumstock am Berge sitzen. Am andern Tag nahmen sie seine Eltern mit und wollten ihn suchen; aber sie gingen alle umsonst: der Knabe kam nicht mehr zum Vorschein.

Die wilden Fräulein in Martell. 1. Wenn die Bauern von Martell am Ortler im Winter mit ihrem Schlitten ums Heu auf die Bergwiesen fuhren, merkten sie oft, wie plötzlich ihr Schlitten ganz schwer wurde. Dann setzten sich nämlich immer die wilden Fräulein darauf und ließen sich von ihnen fahren. Und wenn die Bauern sie nicht verjagten, setzten sich immer mehr darauf, bis endlich der Schlitten gar nimmer weiter wollte. Sie zu verjagen, war aber gar nicht leicht. Umschauen und Schelten und Brummen half nichts; denn dann liefen sie vielleicht im ersten Schreck davon, aber im nächsten Augenblick waren sie schon wieder da und saßen auf dem Schlitten. Aber wenn der Bauer dann einen Baumast nahm und mit dem nach rückwärts über den Schlitten schlug, so blieben sie ein wenig länger aus. Nach einer Weile kehrten sie freilich auch dann alle wieder um und setzten sich wieder auf den Schlitten, und dann mußte der Bauer wieder seinen Ast nehmen. Gewöhnlich tat man das aber nur, wenn man den Schlitten wirklich nimmer anders weiterbrachte. Solange nur zwei oder drei drauf saßen, machte man sich nichts daraus und zog sie geduldig fort. Denn die Bauern meinten, an den wilden Fräulein eine gute Gesellschaft zu haben.

2. Eine solche wilde Frau war einmal mit einem Bauern vermählt, der schon von einer ersten Frau mehrere Kinder hatte. Sie verschwieg aber ihren Namen und nicht einmal ihr Mann erfuhr, wie sie hieß. Aber einmal, als sie gerade ihre Kinder kämmte, ging da ein anderes wildes Fräulein vorbei. Die sah ihr eine Weile zu und sagte dann in wehmütigem Ton:

O meine liebe Gertraud,
Wie fressen die Würmer dein Kraut!

Da hatten die Leute, die dabei waren, ihren Namen gehört und darum verschwand sie und kam von da an nur alle Sonn- und Feierabende, um die Kinder zu kämmen.

Saligen-Ehe. 1. Auf dem Oberkofler Hof im Ultental hatte ein Bauer eine Salige ins Haus und zur Ehe genommen. Sie hatte ihm dreizehn Kinder geboren, aber ihm gleich anfangs verboten, sie je zu fragen, woher sie stamme. Fast waren die zwei nun schon mitsammen alt geworden, da plagte den Bauern doch endlich die Neugier und er fragte sie halb im Scherz, wo sie denn her sei – ob sie aus dem Kindleinsbrunnen stamme? Da rief die Saligfrau unter Tränen:

Fragst du,
So klagst du!

Und in wenigen Augenblicken war sie fort und mit ihr all die dreizehn Kinder; und keins von ihnen ist je zum Bauern zurückgekommen.

2. Ganz zu hinterst im Kalsertal an einem steilen Abhang des Großglockners liegt das Bauernhaus »zur Spöttling«. In dem hatten sie ein Mädchen als Dirn, die war schön und groß und stark und war auch sehr fleißig und geschickt zu allen Arbeiten und immer lustig und guter Dinge; aber niemand wußte, wer sie war oder woher sie kam. Dem Bauern, der noch keine Frau hatte, gefiel die fleißige Dirn so gut, daß er sie zuletzt heiraten wollte. Sie sagte aber, da müsse sie eine Bedingung machen: er dürfe sie nämlich nie schlagen, zum mindesten nicht mit der geballten Faust. Der Bauer meinte, das werde er schon nicht tun, und so kam die Heirat zustande. Sie bekamen auch zwei Kinder, zwei Mädchen. Aber eines Abends ging der Bauer etwas benebelt vom Wirtshaus heim und dachte darüber nach, was denn wohl geschehen würde, wenn er sein Weib schlüge. Und als er nach Hause kam, wollte er Streit mit ihr anfangen; und weil sie ihm auszuweichen suchte, wurde er zornig und gab ihr einen derben Schlag mit der Faust in den Rücken. Da hüllte sie ihr Gesicht in die Schürze und ging fort. Als der Bauer des andern Tags seinen Rausch ausgeschlafen hatte, suchte er sie überall und fand sie nirgends. – Am nächsten Samstag aber, als man schon Feierabend machte, gingen die beiden Töchterlein, die erst vier bis fünf Jahre alt waren, in den nahen Wald hinaus. Am Abend kamen sie wieder zurück und waren sauber gewaschen und gekämmt und ihre Haare in Zöpfe geflochten. Als man sie fragte, wer sie denn gewaschen und gezopft habe, sagten sie: die Mutter, draußen im Walde. Und so geschah es alle Samstage, bis die Kinder erwachsen waren und sich selber waschen und zopfen konnten. Der Bauer aber bekam seitdem das Stottern, und das ging auf alle späteren Besitzer des Hauses über. Die Frau ist sicher eine Salige gewesen.

Die schönen Haare. Ein Bauer unweit Ampfelwang in Oberösterreich sah, wenn er abends vom Felde heimging, öfters eine schöne Frau durch die Wiesen wandern. Da schlich er ihr einmal neugierig nach und sah, wo sie schlafen ging; und sie war mit ihren langen Haaren so wunderschön, daß er sich in sie verliebte. Und bald gewöhnte er sich daran, des Nachts, wenn alles schlief, heimlich aus seinem Hause zu schleichen und die schöne Frau zu besuchen. Sie fragte ihn zwar öfters, ob er denn nicht verheiratet sei, aber der Bauer sagte immer nein. Zuletzt merkte aber auch die Bäurin, daß er jede Nacht fortging; da schlich sie ihm heimlich nach und traf ihn in den Armen der Bergfrau. Aber sie war eine gutmütige Seele und sagte nur: »Ei du mein Gott; er hat sich halt in ihre schönen Haare verliebt!« – Da schalt ihn die Bergfrau, daß er sie und sein eheliches Weib betrogen habe, und sagte weiter, wenn die Bäurin zornig geworden wäre, so hätte sie ihn zerreißen müssen. So aber gab sie ihm einen Schuh voll Dukaten: er möge damit gut wirtschaften und fortan seinem Weibe treu bleiben.

 

Als Herrinnen der Bergwälder und der steilen Felsgebirge haben die Fanggen und Saligen das Wild der Berge, die Gemsen, in ihrer Hut; sie halten sie wohl gar wie Haustiere in unterirdischen Ställen und treten darum Jägern und Wilderern drohend in den Weg. Wie ihre mitteldeutschen Verwandten sind endlich die Saligen, Fänken und Wildmannli auch im Besitz geheimer Kenntnisse und Künste: sie kennen das Mittel gegen die Pest, sie wissen das Wetter voraus und können aus dem unbrauchbaren Milchrest, der beim Käsen übrig bleibt, Gold machen. Aber nur selten und nur ihren Lieblingen teilen sie von diesen Künsten mit; gewöhnlich muß man sie ihnen mit List entlocken. Versucht man das jedoch, so setzen sie gerne List gegen List und verkünden ihren Bedrängern mit tiefsinniger Miene irgendeine nutzlose Weisheit.

Der Gemsenjäger. Auf die Sennhütte »Seßladtal« bei Patznaun kam einmal ein Jäger, müde von der Jagd, spät abends und blieb da über Nacht. Die Gemse, die er geschossen hatte, legte er auf das Dach, damit sie frisch blieb, und dann machte er sich drinnen ein Feuer auf. Er saß aber noch nicht lange daran, da hörte er draußen eine weibliche Stimme jammern: »Ach unsere Kuh, da liegt sie! Unsere Kuh ist tot!« und dann kam eine Weibsperson zu ihm in die Hütte, die war weiß gekleidet, aber sie sah wild und schrecklich aus. Sie sagte zu ihm: »Du hast uns eine Kuh getötet; dafür will ich dich in Stücke reißen.« Der Jäger aber sagte trotzig: »und ich erschieße dich!« und faßte nach seinem Stutzen. Da hob das Wildfräulein die Hand und der Jäger war fest gefroren. Er fing darum an zu bitten und sagte, er habe ja gar keine Kuh geschossen. Da sagte das Wildfräulein schließlich: »Diesmal solls dir noch geschenkt sein. Aber wehe dir, wenn du uns noch einmal eine Kuh schießt! Und nun komm mit; ich will dir etwas zeigen.« Da ging sie mit dem Jäger eine Strecke weit bergauf und dann traten sie in eine unterirdische Höhle, in der waren lauter Krippen und an den Krippen hingen Gemsen. Nur an einer Krippe war der Platz leer. Dahin zeigte das Wildfräulein und sagte: »Siehst du? Da hast du uns eine Kuh hinausgeschossen. Jetzt geh nach Hause und tu unsern Kühen nie wieder etwas zu Leide.« – Der Jäger ging. Aber weil er ohne Jagd nicht leben konnte, ist er bald vor Gram gestorben.

Die Wetterprophetin. Die wilden Fräulein in der Gamslecke oberhalb Sölden verstanden sich vorzüglich aufs Wetter. Sie wußten voraus, ob das kommende Jahr gut oder schlecht wurde; sie sagten den Bauern auch, was sie säen sollten und wann sie die Ernte einzufechsen hätten. Einmal im Herbst, als der Roggen noch fast grün auf dem Acker stand, sagte ein Fräulein zu einem Bauern: »Schneide deinen Roggen.« Der Bauer schnitt den Roggen und fuhr ihn in die Scheuer. Die andern Bauern lachten ihn aus und foppten ihn, so oft sie ihm begegneten. Aber ehe man es vermutet, fing es an zu schneien, so daß der Roggen auf den Feldern ganz verdarb. Da ist den Leuten ihr Foppen vergangen.

Die Kunst, lange Teuchel zu bohren. In alten Zeiten, als man noch nicht so witzig war wie heute, bohrte man die Holzteuchel Wasserleitungsröhren aus Föhrenstämmen. nur von der einen Seite und da wurden sie natürlich nur so lang, als der Bohrer war. Manchmal kamen dann die wilden Mannli zu den Arbeitern und lachten und kicherten, daß ihre Teuchel nur so kurz wären. Aber wie mans besser machen könnte, wollten sie nicht verraten. Endlich verfielen die Holzhauer und Teuchelbohrer auf eine List. Das war im Furnerwald in Graubünden; da sagte einmal ein Teuchelbohrer zu einem Fänggenmannli: »Heut sollst du mich nicht mehr auslachen; jetzt weiß ich auch, wie man die Teuchel länger macht. Einer von euch hats meinem Vetter gesagt, von dem weiß ichs.« Da lachte das Mannli gutmütig: »Ja gelt, du kehrst das Holz um und bohrst auch von der anderen Seite.« Damit hatte der Teuchelbohrer den Pfiff heraus und seitdem werden die Teuchel doppelt so lang als der Bohrer.

Das Pestmittel. Als der schwarze Tod in Graubünden war und man in vielen Gemeinden keinen Platz mehr auf den Friedhöfen hatte, um die Toten zu begraben, merkte man, daß von den wilden Männlein und Weiblein gar niemand starb. Also mußten sie ein Geheimmittel gegen die Pest wissen; aber niemand konnte erfahren, was für eins, denn sie wollten es durchaus nicht sagen. Da fiel einem Manne eine List ein. Es war da ein wildes Männlein, das hütete den Bauern das Vieh und holte sich sein bißchen Essen immer von einem bestimmten Stein weg. Nun füllte der Mann ein Loch, das in dem Stein war, mit Wein und versteckte sich dann in der Nähe. Da sah er, wie das Männlein zur gewöhnlichen Stunde kam und den Wein bis auf den letzten Tropfen austrank. Nach einer kleinen Weile kam er aus seinem Versteck heraus und fragte das Männlein, was gegen die Pest gut sei. Da sagte das Männlein: »Ich weiß es wohl: Eberwürza und Bibernella; aber das säg i dir no lang nit.« Der Mann war darüber so erfreut, daß er ganz vergaß noch nach anderem zu fragen. Das Männlein hätte ihm in diesem Zustand gewiß noch mehr verraten. Aber der Mann lief nach Hause und machte das Mittel bekannt, und darauf sind dort keine Menschen mehr an der Pest gestorben.

Ein recht guter Rat. 1. Bei Conters in Graubünden hütete einst ein Waldfänk einen ganzen Sommer lang die Ziegen des Dorfes. Jeden Morgen kam er bis nahe an die Häuser, um sie abzuholen, und jeden Abend führte er sie bis zu der gleichen Stelle und kehrte dann wieder in den Wald zurück. Ein entwurzelter Tannenbaum war sein Hirtenstab. – Die Burschen von Conters versuchten oft, ihn zu fangen, aber es wollte ihnen nie gelingen. Zuletzt füllten sie ihm zwei Brunnentröge, aus denen er zu trinken pflegte, den einen mit rotem Wein, den andern mit Branntwein. Der Waldfänke kostete zuerst den roten Wein und rief: »Röteli, du verführst mi net!« und dann trank er den Trog mit Branntwein leer. Und als er davon einen rechten Rausch bekam, knebelten sie ihn und wollten ihn nicht eher freigeben, als bis er ihnen irgendeine geheime Kunst verriete. Denn es war ihnen eine alte Sage bekannt, die Fänken wüßten aus der entziegerten Molke Gold oder das Lebenselixier zu bereiten. Der Fänk versprach ihnen, wenn sie ihn losbänden, einen recht guten Rat. Da banden sie ihn los, und dann gab er ihnen den Rat:

Ists Wetter gut, so nimm de Tschopa mit,
Ists aber laid, chanst tuen wi d' witt!«

oder wie andere sagen: »Wenn du Fleisch ißt, so tue es der Länge nach zerschneiden und nit der Breite nach, sus könntist dran ersticken.«

2. In der Gemeinde Tenna in Graubünden fing man einmal einen großen Bären, der den Herden schon vielen Schaden getan hatte. Dafür wollte man ihn nun recht grausam bestrafen und beriet grade darüber, wie man ihn am besten martern könnte. Da trat ein wildes Mannli unter die Versammlung und sagte: »'s grusigscht ist: lant e hürota!« – Dieser Spruch des wilden Mannlis wurde von da an zum allgemeinen Sprichwort.


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