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9. Geheimnisvolle Tiere

Die letzten dem Wasser entsteigenden Tiere, der Stier und der Hengst, sind für den Volksglauben nicht eigentlich Gestalten eines sonst menschenähnlichen Wassergeistes in dem Sinn, wie etwa das Huhn oder die Katze Verwandlungen des Koboldes sind; sie gehören nicht mehr in die Anthropologie, sondern richtiger in die Zoologie der Sage, zu den geheimnisvollen Tieren, wie z. B. auch schon der fliegende Drache. – In gewissen Naturerscheinungen glaubt der naive Beobachter von vornherein irgendein geisterhaftes Tier oder doch seine Spuren und sein Wirken zu erkennen: wenn die Halme des Kornfelds im Winde schwanken und wogen, sieht der Landmann den Kornwolf oder den Roggenhund durchs Korn laufen. »Die Wölfe jagen sich drin«, sagt er, oder »die Wetterkatzen sind drin«. Um Posen sieht man bisweilen einen schwarzen Hund durch das Getreide streichen, und das bedeutet eine gute Ernte. Kleine Kinder, die sich im hohen Ährenfeld verlaufen, fallen dem darin hausenden Geistertier zum Opfer; darum warnt man sie in Österreich: lauft nicht ins Korn, der »Troadhahn« sitzt drin und hackt euch die Augen aus. In Erntebräuchen und -spielen ist von diesen Korntieren die Rede; richtige Sagen werden kaum von ihnen erzählt.

Der Roggenwolf auf Rügen. Wenn das Korn reif ist zum Mähen und die Schnitter daran gehen, in einen Schlag einzuhauen, müssen sie sich vor dem Roggenwolf sehr in acht nehmen. Denn der spielt ihnen allerlei Schabernack und frißt ihnen besonders gern während der Arbeit ihr Frühstücks- und Vesperbrot weg. Erst wenn der ganze Schlag abgemäht ist, räumt der Roggenwolf das Feld; wo er aber dann bleibt, das weiß niemand. – Er ist so gefräßig, daß man sogar ein Sprichwort davon hat. Wenn jemand nämlich so recht gierig ißt, sagt man von ihm »he frett asn Roggenwulf«.

Daß der im Kornfeld hausende Geist dem Landvolk seit ältester Zeit in Tiergestalt und nicht in Menschengestalt erschien, ist leicht zu verstehn: noch heute wird die Phantasie eines Beobachters, der den Sommerwind in einzelnen Stößen über die Ähren hinlaufen sieht, in dem schnell forteilenden Biegen der Halme eher die Spur eines Tieres vermuten, wie er es überdies schon wirklich im Korn hat laufen sehen, als die irgendeines menschlich gestalteten Wesens nach Art der Zwerge oder Moosleute. – Die Schrecken einer wilden Natur haben sich wieder besonders im Hochgebirge zu phantastisch grausamen Tierungeheuern verkörpert.

Die Totenkopfspinne. In der Wildgfahrhöhle am Naturnser Sonnenberg lebt die Totenkopfspinne. Sie ist sehr groß und hat lange Füße und der Leib sieht ganz aus wie ein Totenkopf. Einmal hat sich ein Bauer in die Höhle gewagt; da ist die Spinne gleich auf ihn eingefahren und hat Fäden gesponnen, so stark und fest wie Pferdeschweifhaare. Der Bauer schlug drei Kreuze gegen sie, da mußte sie von ihm ablassen und er rannte zurück und stieß sich dabei so heftig an ein Felsstück an, daß er einen Purzelbaum schlug und eine gute Strecke abwärts kugelte. Der Schrecken fuhr ihm so in die Glieder, daß er lange wie zerschlagen war. All sein Lebtag ist er nicht wieder in die Höhle dort gegangen.

Der Blutschink. Der Blutschink wohnte in der Tiefe des Sees unterm Wiesberg im Patznaunertal unweit der Straße. Er hatte Bärengestalt und blutige Füße und durchwanderte nachts die benachbarten Täler, überfiel die schlafenden Menschen, würgte sie und schleppte sie in seinen See, wo er ihr Blut trank. Mancher hat im Vorübergehen winselnde Klagetöne am Ufer des Sees vernommen, und im Mondschein, zuweilen aber auch am hellen Tage, brodelten Blutwellen aus der Tiefe des Sees empor. Endlich verschwand der ganze See bei einem Erdbeben; der Blutschink soll sich aber nun in andern Seen und Gewässern verborgen halten, namentlich in den tiefsten Kesseln des Inn.

Der Rollibock. Im Aletsch hauste früher der Rollibock. Der sah aus wie ein Bock, mit großen Hörnern und feurigen Augen und sein ganzer Leib war statt mit Haaren mit Eisschollen behängt; wenn er dahergerannt kam, klirrten und klingelten sie, daß es nicht zum Anhören war. Erde, Steine und Tannen hat er mit seinen Hörnern aufgerissen und hoch in die Luft geschleudert. Wenn jemand ihn herausforderte und über ihn spottete, brach er plötzlich aus dem Aletsch hervor, und auch der Schnellste konnte ihm kaum entfliehen. Nur wer in eine Kapelle oder in ein Haus floh, in dem gesegnete Sachen aufbewahrt wurden, war gerettet; wer aber vorher von ihm eingeholt wurde, den zermalmte er wie den Staub an der Sonne.

 

Ein Tier sieht die Volksphantasie auch in dem wilden Gießbach, der aus den tiefsten Bergschlüften plötzlich verheerend hervorbricht; das ist der riesige Lindwurm oder Drache, der für gewöhnlich still verborgen in seiner Höhle liegt, bis er sich einmal zum Fraß hervorwälzt und alles Lebende vernichtet. Im Wallis hat sich eine ähnliche Vorstellung vom Drachen, der in den Bergen haust und ihre Goldadern zernagt, bis sie zuletzt herunterstürzen müssen, mit der vom fliegenden Drachen verbunden.

Das Drachenloch bei Rainrod. Zwischen Schotten und Nidda, da wo sich die Gemarkungen der Dörfer Rainrod und Eichelsdorf scheiden, sieht man eine in den Basalt eingehende Höhlung, deren Öffnung rund und von einem Fuß Durchmesser ist, bei einer Tiefe von etwa zehn bis zwölf Fuß. In uralten Zeiten wohnte ein Drache darin, der von Zeit zu Zeit hervorkroch und in der Nidda trank. Dabei zerstörte er gewöhnlich dem Müller der nahegelegenen Mühle das Wehr. Der Drache war so lang, daß während er in der Nidda trank, sein Schwanz noch in der Höhlung steckte, die fast eine Viertelstunde davon entfernt ist.

Der Drache bei Waltensburg. Auf einem Berg bei Waltensburg in Graubünden ist ein Sumpf, der soll grundlos sein. Es haust ein ungeheurer Drache darin; der wird einst heraufsteigen und bis zu dem Dorfe herabkommen und dann wird alles überschwemmt.

Der zerplatzte Lindwurm. Bei Battelsdorf in österreichisch Schlesien, in den Gruben auf dem Lindberg, hauste ein Lindwurm, der Hirten und Herden auffraß, ja selbst bis ins Dorf drang er hinein und holte sich von dort seine Opfer. Endlich nahm man einem frischgeschlachteten Kalb die Eingeweide heraus und tat dafür ungelöschten Kalk hinein und legte es so dem Lindwurm zum Fraß hin. Der Lindwurm fand es auch bald und verschlang es und dann kroch er an den Bach und trank. Da geriet der Kalk in Brand und das Ungeheuer zerplatzte.

Drei Drachen im Prättigau. Die Drachen nisten tief in den Felsen und zernagen dort die Goldadern der Berge. So haben in Saas drei Drachen den Berg zerfressen, und davon kam der große Bergsturz, von dem man noch heute die Spuren sieht. Die Drachen selber aber sind nicht mit umgekommen: der erste zog übers Tal ins Mittagshorn, die beiden andern flogen das Tal hinaus; der eine von ihnen blieb im Schilthorn bei Balen, der andre ist fortgeflogen, man weiß nicht wohin. Der im Mittagshorn und der im Schilt nagen noch immer und nagen fort und fort in den Adern dieser Berge. Darum müssen sie auch einst ins Tal hinunterstürzen.

 

Soweit sind die besprochenen Tiere reine Phantasiegebilde: in oder hinter irgendeiner Erscheinung der toten Natur wurde ein Tier vermutet. Wir kommen nun zu Sagen, die sich das Volk von wirklichen Tieren erzählt, deren Aussehen und Lebensweise es beobachtete und phantastisch ausgestaltete.

Da sind vor allem die Schlangen zu nennen. Ihre auffallende Form und lautlose Art, ihr verborgenes Wohnen in der Erde, ihr scheues Verschwinden, das sie genauerer Beobachtung meistens entzieht, ihr Zischen und Züngeln und der tötliche Biß mancher Schlangenart machte sie dem Volk von jeher unheimlich: eine Schlange ist nicht wie irgendein anderes Tier. Daß man sich die Seele früh in Schlangengestalt vorstellte, sahen wir schon; so konnte auch irgendeine Schlange, der man begegnete, eine Seele sein. – Die harmlose Ringelnatter, die gern unter den Häusern und in den Kellern lebt und zuweilen auch in die Stuben gekrochen kommt, galt für einen guten Hausgeist, gelegentlich auch wohl für die Seele irgendeines verstorbenen Familienmitgliedes, der Großeltern oder Eltern, und wird noch heute an manchen Orten als »Hausotter« bei jedem Melken mit einem Näpfchen voll Milch bedacht, das man ihr auf die Haustürschwelle oder neben die Stalltür stellt. An diese Fütterung erinnert die überall in Deutschland erzählte Sage vom Kind und der Schlange.

Die Hausotter. Nach dem Glauben des Volks in österreichisch Schlesien hat jedes Haus eine Hausotter. Sie wird als guter Geist angesehen, bewacht das Haus, bringt Glück hinein, vertreibt Krankheiten und hält allen Schaden fern. Dafür darf man sie aber auch nicht beunruhigen, sondern muß ihr von Zeit zu Zeit frisch gemolkene Milch an einen ruhigen Ort in der Nähe des Hauses hinstellen. Ihren Wohnsitz hat sie gewöhnlich unter der Gredel, dem freien, etwas erhöhten Platz zwischen dem Haus und der Traufrinne. Sie kommt nur ganz selten aus ihrem Versteck hervor und nur, um vor einem nahen Unglück zu warnen. Wenn sie beim Erscheinen pfeift, so stirbt in kurzem der Hausherr.

Das Kind und die Schlange. In Schwandorf bei Nagold gab eine Mutter ihrem Kind immer, wenn sie ins Feld mußte, einen ganzen Hafen voll Milch und Brot und ließ das Kind daheim allein im Garten. Und wenn sie zurückkam, war er jedesmal rein ausgegessen. Da verwunderte sich die Mutter darüber, aber das Kind sagte, es komme immer ein Vögelein, und das esse mit ihm. Darum paßte die Mutter eines Tages auf und sah, wie eine Schlange aus der Mauer hervorkroch und mitaß. Wenn das Kind einen Löffel voll genommen hatte, steckte die Schlange immer ihren Kopf in den Hafen und trank, und so ging das fort, eins ums andere. Einmal nahm das Kind sogar seinen Löffel und schlug die Schlange auf den Kopf und sagte: »Iß et no Ilch (Milch), iß au Ickle (Brickle)«, und die Schlange ließ sich das ruhig gefallen. Nach dem Essen legte sich die Schlange dem Kind in den Schoß und spielte mit ihm, und als die Mutter sah, daß sie ihm nichts zuleide tat, ließ sie sie gewähren und gab ihr auch später, als das Kind schon erwachsen war, noch lange Zeit täglich allein ihre Milch. – Solche Schlangen darf man nicht töten, sonst bringt es dem Kinde Unglück; es kann ihm sogar das Leben kosten.

Die dankbare Schlange. Vor alten Zeiten lebte zu Bützberg im Kanton Bern ein reicher Bauer, dessen Magd mußte alle Tage auf eine Matte hinaus, die etwa eine Viertelstunde entfernt war, und dort das Vieh melken. Da kam dann allemal eine große Schlange zu ihr auf die Matte und trank von der Milch. Nach einiger Zeit verheiratete sich die Magd. Und als sie beim Hochzeitsmahl saß, kam die Schlange langsam zur Tür herein und legte der Braut eine goldene Krone vor die Füße und dann machte sie eine Verbeugung und kroch wieder zur Tür hinaus.

 

Um die Schlangenkrone, die hier auf so einfache Weise von der Magd gewonnen wird, gibt es in andern Sagen einen erregten Kampf. Daß manche Schlange ein goldenes Krönlein auf dem Kopfe trägt, weiß das Volk wohl von unscharfen Beobachtungen der Ringelnatter her, von deren schwarzblauem Kopf sich die beiden goldgelben Flecken leuchtend abheben. Waren diese Flecken einmal als wertvolle Goldkrone aufgefaßt, so ergab es sich von selber, daß man darüber nachsann, wie man der Schlange wohl ihr Kleinod abgewinnen könne; und da gerade die Ringelnatter eine vorzügliche Schwimmerin ist und gerne ins Wasser geht, so kam man auf die Vermutung, sie lege vor dem Baden ihre Krone ab, um sie nicht im Wasser zu verlieren. Diesen Augenblick galt es also wahrzunehmen. – In dem auf den Diebstahl folgenden Schreckenserlebnissen zeigt sich die ganze haarsträubende Angst, die das Volk vor dem unheimlichen Schlangengetier empfindet.

Die Schießschlangen. Die Schießschlangen bei Rodingen in Luxemburg hausten im Wald und immer in der Nähe eines klaren Wassers, denn in dem badeten sie sich gerne. Im Rodinger Wald wurden sie oft gesehen, wie sie sich wuschen und ihre Sprünge machten, sich auf die Bäume schwangen und sich dann hinunterließen, um sich wieder hinaufzuschwingen. Sie hatten goldene Kronen auf dem Kopf, der übrige ganze Körper war mit schönen buntfarbigen Ringen bedeckt. Die Krone konnten sie auch ablegen; besonders beim Baden taten sie das. Dann legten sie die Kronen auf einen Stein und setzten sie nachher wieder auf. Wurde einer ihre Krone gestohlen, so trauerte sie drei Tage lang und lief wütend umher; aber am dritten Tage schlug sie ihren Kopf so lange an einen Stein oder an einen Baum, bis sie tot dalag.

Der Otterkönig. An einem schönen Sommertag fuhr ein Mühlknecht einen mit Mehl beladenen Karren nach Queienfeld in Sachsen-Meiningen, das keine Mühle hat, und kam unterwegs an einem Bach vorbei. Das war gerade am Mittag. Da sah er den Otterkönig kommen, der war schneeweiß und hatte eine goldene Krone auf dem Kopf. Er legte die Krone am Ufer ins Gras und stieg dann zum Bad ins Wasser. Der Mühlknecht fuhr weiter, aber jedesmal, wenn er um Mittag dort vorbeikam, sah er auch den Otterkönig wieder, und zuletzt wollte er doch gerne die Krone haben. Darum legte er eines Tages seinen weißen Kittel an der Stelle ins Gras, wo der Otterkönig immer seine Krone ablegte, und wartete dann auf ihn. Nach einer Weile kam der Otterkönig auch und legte seine Krone richtig auf den Kittel und stieg dann ins Wasser. Da machte sich der Mühlknecht hinzu und schlug den Kittel zusammen und legte ihn auf den Karren und fuhr fort. – Als er ein gutes Stück gefahren war, stieg der Otterkönig aus dem Bad und weil er seine Krone nicht fand, schnellte er hinter dem Wagen drein. Er schlang sich um die Pferde und kroch auf den Wagen und fuhr mit offenem Maul und zischend auf den Knecht los; aber der gab die Krone nicht her. Da tat der Otterkönig einen gellenden Pfiff und sofort kamen die Schlangen der ganzen Gegend an und krochen auf den Wagen und wühlten auf ihm herum und zerbissen alle Säcke, daß das ganze Korn auf die Erde fiel. Wie der Mühlknecht nun sah, daß sie ihm seine ganze Ladung verdarben und nun wohl auch bald über ihn herfallen würden, nahm er die Krone, die er an seiner Brust versteckt hatte, und warf sie auf die Erde. Da setzte sie der Otterkönig gleich wieder auf und kroch voraus und alle anderen Schlangen hinter ihm her, und dann waren sie in ein paar Augenblicken alle wieder weg.

 

Je stärker die Angst vor den Schlangen war, desto dringlicher suchte man nach einer wirksamen Abwehr und hat in früheren Jahrhunderten sicher oft auch zu übernatürlichen Mitteln gegriffen: wie dem Teufel und den spukenden Toten ging man dem giftigen Gewürm mit Bann und Zauber zu Leibe. Aber wie alles derartige, war auch die Schlangenbannung eine lebensgefährliche Kunst, und noch heute weiß man überall in den Alpen die Geschichte von dem Zauberer, dem sein Versuch, die Schlangen zu vernichten, den Tod brachte.

Der Otternbanner in Vergalda. Vor alter Zeit hats in Vergalda im Vorarlberg ungeheuer viel Ottern gegeben. Leute und Vieh haben davon zu leiden gehabt und man hat sie gern los sein wollen. Da kommt einmal ein fremdes Männle in die Alp, und wie das von den Ottern hört, fragt es, ob keine weißen darunter seien. Die Älpler sagen, sie haben nie eine weiße gesehen. »Ja dann«, sagts Männle, »will ich euch schon davon helfen.« Es macht auf dem Platz vor der Hütte ein Feuer an und murmelt so einen Spruch her, und da kommen wirklich aus allen Löchern und unter allen Steinen die Ottern haufenweise hervor und schießen alle auf das Feuer zu und verbrennen drin. Auf einmal aber hört man von der Höhe her so einen gellenden Pfiff, daß es einem durch Mark und Bein geht, und da schreit der Otternbanner: »Jetzt ist es aus. Jetzt bin ich hin!« und im selben Augenblick hat eine weiße Schlange das fremde unbekannte Männle durch und durch geschossen.

 

Unter den mancherlei Tieren, von deren geheimnisvoller Lebensweise und übernatürlichen Kräften das Volk unheimliche Dinge zu erzählen weiß, sei nur noch ein Vogel kurz erwähnt, um den sich eine ganze Reihe merkwürdiger Sagen gebildet haben: der Nachtrabe oder die Habergeiß. Mit diesem Namen bezeichnet die Volkssage in Nord- und Süddeutschland den sonst auch als Nachtschwalbe, Nachtschatten oder Ziegenmelker bekannten Nachtvogel, der durch seinen eulenleisen Flug, sein dumpfes Schnurren und spielendes Flügelklatschen, seine Zudringlichkeit gegen Mensch und Tier, nächtliche Wanderer und Hirten am Lagerfeuer recht wohl zum Gruseln bringen kann. Was man von ihm erzählt, ist zunächst die ins Grausige gesteigerte Beobachtung: er verfolge den Menschen mit seinem Flügelschlag und trinke dem Vieh in der Nacht die Euter leer. Dann aber geht es in rein phantastische Vorstellungen über: wer den Ruf der Habergeiß nachschreit, den straft sie ähnlich wie der wilde Jäger; sie schlüpft als Alp durchs Schlüsselloch und quält den Schläfer; in Steiermark und Tirol hat sie ihrem Namen entsprechend den Kopf oder auch den ganzen Leib einer Ziege und wird dann mit dem bocksgestaltigen Teufel, daneben auch mit dem feurigen Drachen für identisch gehalten.

Der Nachtrabe in Norddeutschland. Der Nachtrabe ist ein großer starker Vogel, der fliegt nur bei Nacht. Man nennt ihn auch den eisernen Vogel, weil er eiserne Flügel hat. Mit denen schlägt er die Leute tot, die ihm nachrufen. Seine Stimme ist wie die von einem Kolkraben, er ruft: har har! oder: wark wark! und dieser Ruf bedeutet Krieg. Er fliegt so schnell: wenn man ihn eben in der Nähe gehört hat, so hört man ihn im Augenblick darauf vielleicht schon eine Stunde weit weg. Ein Bauer hörte ihn bei Andershausen und im nächsten Augenblick schon bei Kohnsen und dann gleich bei Mark-Oldendorf. Einmal hat ihm ein Schäfer spottend nachgeschrien und sein Gekrächze nachgemacht. Da kam der Nachtrabe und schlug mit seinen eisernen Flügeln die Schäferkarre in tausend Stücke und den Schäfer schlug er tot.

Von einem unheimlichen Vogel in Luxemburg. Eines Abends gingen die Mädchen in Wintringen, wie es in alten Zeiten Brauch war, in ein Haus spinnen. Unterwegs hörten sie das Geschrei eines Vogels und ein Mädchen von ungefähr achtzehn Jahren ahmte das Geschrei nach. Kaum aber waren sie in der Stube, so kam ein gewaltig großer Vogel ans Fenster geflogen und hackte es entzwei und packte das Mädchen und flog mit ihm davon. Einige Zeit nachher fand man die Kleider des Mädchens im Walde.

Die Habergeiß in Steiermark.1. Ein mutwilliger Knabe ging eines Abends spät nach Hause. Um sich die Zeit zu vertreiben, schrie er allerhand, und dabei auch mäh! mäh! mäh! Da antwortete ihm der gleiche Ruf aus dem nahen Walde. Der Knabe hielt es für ein Echo und schrie wieder. Da kam auch die Antwort wieder aus dem Wald, und als er das dritte Mal schrie, da kam ein gespenstisches Tier mit einem riesigen Ziegenkopf und einem Vogelleib auf drei Füßen angehüpft und bearbeitete den Knaben, daß er halb tot heimkam. Das war die Habergeiß, und so macht sie es jedem, der sie verspottet.

2. Die Habergeiß macht in den Mondnächten den Hafer schwarz. Sie setzt sich dem nächtlichen Wanderer auf die Achsel und bläst ihm den Tod in die Ohren. Trotz ihres riesengroßen Kopfes kommt sie oft durch das Schlüsselloch und gespenstert in der Nacht im Hause umher und drückt die Schlafenden, indem sie ihnen den schweren Kopf auf die Brust legt.

3. In Schwanberg sah einmal ein Weinhüter um Mitternacht einen feurigen Schab fliegen. Er sah ihm nach und sah, daß er sich auf dem »Riadlhaus« niederließ. Halt, denkt er, da drinnen ist ja ein kleines Kind. Schnell läuft er, was er nur kann, hin, und wie er zum Fenster hineinschaut, hat sich der Schab in die Habergeiß verwandelt und hat schon das Kind an der Tür befestigt, um es mit seinen Hörnern zu Tode zu stoßen. Der Weinhüter klopft mit aller Kraft ans Fenster, an die Tür, an die Mauern und macht Lärm, um die Hausleute aufzuwecken, – vergeblich, denn alles liegt im tiefsten Schlaf, solange die Habergeiß da ist. Nun sieht er schon, wie die Habergeiß zurücktritt, um einen Anlauf zu nehmen, und sieht auch, wie sie springt. Da fällts ihm ein und er ruft: »In Gotts Nomen nebenfür!« Der erste Stoß ist fehl. Zum zweitenmal setzt die Habergeiß an, und er ruft wieder: »In Gotts Nomen nebenfür!« und der zweite Stoß ist fehl. Und ebenso gehts beim drittenmal. Mehr als dreimal darf aber die Habergeiß nicht stoßen. Wütend kommt jetzt der Böse heraus und auf den Hüter los. Aber der war gleich beim dritten Stoß, so schnell er konnte, zur Scheuer gelaufen; in der lagen Hanfstengel, und da hat er auch beim Eingang zwei Hanfstengel in Kreuzform hingelegt. Als der Böse nun zum Stadel kam, konnte er nicht hinein und blieb draußen, bis die Kirchenuhr Eins schlug. Da war das Kind gerettet. – Die Leute von Schwanberg kannten noch lange den Namen des Kindes, das die Habergeiß hatte stoßen wollen.

 

Über ganz Deutschland ist endlich noch eine Tiergeschichte verbreitet, die jede Grenze zwischen den gewöhnlichen Tieren und den Tiergeistern verwischt und die ganze Tierwelt in einem unheimlichen Licht erscheinen läßt: jemand fängt irgendein Tier, einen Hasen, einen Dachs, einen Fisch; da hört er plötzlich eine Stimme dieses Tier bei Namen rufen. Das gefangene Tier antwortet und entspringt, oder der Mensch läßt vor Schrecken seine Beute fahren. Was das nun eigentlich für ein Tier war? Das eine Mal liegt die Vorstellung zugrunde, daß die Tiere, wie die Gemsen-Kühe der Saligen, das Stallvieh von Geistern seien, der Jäger oder Fischer muß also seinen Eingriff in das Geisterreich mit dem tödlichen Schrecken bezahlen; anderwärts gehört das Gefangene zum wilden Heer, ist also gar kein leibhaftiges Tier, sondern nur ein tiergestaltiger Toter; oder es ist die Truggestalt irgendeines Zwerges oder Koboldes, der sich von dem Menschen zum Scheine fangen läßt und ihm dann spottend entspringt.

Der geheimnisvolle Ruf. 1. Bei Parchim in Mecklenburg liegt ein See, der ist von einem wunderschönen Buchenwald umgeben, und man erzählt, in ihm sei vor Zeiten eine Stadt Ninove versunken. Den Leuten in der Stadt ist es auch verboten, in dem See zu fischen. Nichtsdestoweniger brachten die Stadtfischer eines Abends auf Wagen ein Boot dahin und fingen in der Nacht an zu fischen. Als sie das Netz heraufzogen, war es so schwer, daß sie es kaum herausbrachten; und als sie hineinsahen, hatten sie einen großen Hecht gefangen, der wog wohl mehrere Zentner, so daß sie ihn nur mit Mühe in das Boot bringen konnten. – Nun fing es aber im See gewaltig an zu lärmen und zu toben, und sie hörten die Stimme eines Mädchens, das lockte mit den Worten: »Nutsche, nutsche!« die Schweine, und eine Mannsstimme fragte darauf: »Hast du sie nun alle beisammen?« worauf die erste wieder antwortete: »Ja, neunundneunzig habe ich, aber der einäugige Borch fehlt noch.« Und indem rief sie wieder: »Nutsche! nutsche!« Da sprang der Hecht mit einem gewaltigen Ruck aus dem Boot und rief: »Hier bin ich, hier bin ich!« und sogleich war aller Lärm verschwunden und alles totenstill.

2. Bei Voitmannsdorf in Oberfranken liegt ein kleiner Wald, das Ungetreuehäse. Als mal der Bote von Bamberg an das Ungetreuehäse kam, hörte er das wilde Heer, und wie er so geht, kommt ein Has auf ihn zugelaufen; denkt sich der Mann: du bist mir ein guter Braten, und fängt ihn und trägt ihn im Arm fort. Als er aber an den Kreuzweg kommt, hört er rufen: »Wo ist denn die einäuget Häse?« Der Mann sieht sich seine Häsin an und sieht, daß sie nur ein Aug hat und das kein schönes, und wirft sie weg. Da rief es ihm aus dem Ungetreuehäse zu: »Häst du mich nur über den Kreuzweg hinübergetragen, ich hätt dir den Hals gebrochen!« Das war der Gottseibeiuns.

3. In dem Tälchen zwischen Wehr und Hasel in Baden war ein Erdloch, in dem ein Mann einen Dachs vermutete. Er ließ seinen Hund hinein und hielt einen offenen Sack hart an das Loch. Nicht lange, so sprang etwas in den Sack und der Mann band ihn zu und nahm ihn auf den Rücken; aber plötzlich rief in der Nähe ein Erdmännlein: »Krachöhrle wo bist du?« – »Auf dem Buckel im Sack!« antwortete eine Stimme aus dem Sack. Da merkte der Mann, daß er keinen Dachs, sondern ein Erdmännlein gefangen hatte, und ließ es alsbald frei laufen.


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