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But their way
Lies through the perplexed paths of this drear wood,
The nodding horror of whose shady brows
Threats the forlorn and wandering passenger.
Comus, V. 36-39:
Jedoch
Ihr Weg geht durch die wild verschlungnen Pfade
Des grausen Waldes, dessen schatt'ge Brauen
Mit Schreck dem einsam irren Wandrer drohn.
Übersetzung A. Böttger, aaO., S. 424. –
D.Hg.
Milton.
Als Schedoni Ellena verlassen hatte, rief sie sich alles zurück, was er von ihrer Familie ihr zu entdecken für gut gefunden hatte, und verglich es mit ihrer verstorbnen Tante Erzählungen, die vollkommen damit übereinstimmten. Nur wußte sie noch nicht genug von ihrer eignen Geschichte, um es sich zu erklären, warum Bianchi einige Umstände, die sie eben erfahren, ihr verschwiegen hatte. Von ihrer Tante hörte sie immer sagen, daß ihre Mutter mit einem Edelmann aus dem Herzogthume Mayland und aus dem Hause Marinelli verheirathet, aber unglücklich mit ihm gewesen sey, und daß man sie noch vor dem Tode der Gräfin der Sorgfalt ihrer Tante Bianchi, der einzigen Schwester dieser Dame, anvertraut hätte. Sie konnte sich weder dieses Umstandes, noch ihrer Mutter erinnern, denn Bianchis Güte hatte den Verlust und die Leiden ihrer frühern Kindheit ganz aus ihrer Seele ausgelöscht, und sie erinnerte sich nur des Zufalls, der ihr in Bianchis Kabinette das Miniaturgemählde und den Namen ihres Vaters entdeckte. So oft sie nach ihrem Vater fragte, antwortete ihr Bianchi, daß der herabgesunkne Zustand ihres Hauses Verschwiegenheit verlangte, und wenn sie noch weiter in sie drang, erzählte sie ihr, daß ihr Vater gestorben sey, als sie noch ein Kind war. Das Gemählde, welches Ellena entdeckte, hatte Bianchi unter den Kleinodien der verstorbnen Gräfin gefunden und es aufbewahrt, um es in einem spätern Zeitpunkt, wo man Ellenas Behutsamkeit die Kenntniß ihrer Familie besser anvertrauen könnte, ihr zu geben. Dies war alles, was Signora Bianchi zu erläutern nöthig fand; zwar schien es in ihrer letzten Stunde, als wenn sie mehr sagen wollte, allein es war schon zu spät.
Ohngeachtet Ellena fand, daß Schedonis und Signora Bianchis Erzählungen in vielen Punkten übereinstimmten, und daß sie sich in keinem Umstande außer dem von seinem Tode widersprachen, so konnte sie doch ihr Erstaunen über diese Entdeckung und selbst die Zweifel, die ihr zu Zeiten über die Wahrheit derselben aufstiegen, nicht unterdrücken. Schedoni im Gegentheil hatte nicht einmal überrascht geschienen, als sie ihm versicherte, sie hätte immer gehört, daß ihr Vater schon viele Jahre todt sey; nur als sie ihn fragte, ob auch ihre Mutter noch lebte, bestätigten sein Schmerz und seine Versicherungen Bianchis Erzählung.
So wie Ellenas Gemüth ruhiger wurde, fiel ihr aufs neue das Sonderbare von Schedonis Besuch in ihrem Zimmer um eine so heilige Stunde auf; ihre Gedanken kehrten unwillkührlich zu der Scene vom vorigen Abend am Seeufer zurück, und das Bild ihres Vaters erschien ihr in dem furchtbaren Lichte eines Werkzeugs der Marquise di Vivaldi. Doch verwarf sie voll Ungeduld den Verdacht, den sie vormals über seine Absichten gehegt hatte; denn es lag ihr jetzt weniger daran, die Wahrheit zu entdecken, als sich von einem verhaßten Argwohn los zu machen, und sie glaubte gern, daß Schedoni ihren Charakter mißkannt und nur die Absicht gehabt hätte, sie aus Vivaldis Händen zu bringen. Der Scharfsinn der Hoffnung gab ihr auch ein, daß er von ihren Führern oder von Spalatro einige Umstände ihrer Geschichte gehört haben, und dadurch auf eine Vermuthung der Verwandtschaft zwischen ihnen geleitet seyn könnte, daß er in der ersten Ungeduld väterlicher Empfindung, ohne auf die Stunde zu achten, in ihr Zimmer geeilt sey, ob es gleich Mitternacht war, um sich von der Wahrheit zu versichern.
Während sie sich mit dieser Erklärung eines Umstandes, der sie in große Verwundrung gesetzt hatte, beruhigte, nahm sie an der Thüre die Spitze eines Dolches wahr, der zwischen den Vorhängen hervorguckte! – Bewegungen von zu schrecklicher Art, um ertragen zu werden, folgten dieser Entdeckung – sie nahm das Werkzeug in die Hand und starrte es bleich und zitternd an, denn ein Argwohn von dem wahren Beweggrunde von Schedonis Besuch fuhr ihr durch die Seele. Allein er dauerte nur einen Augenblick; ein solcher Verdacht war zu schrecklich, um ihm willig Raum zu vergönnen; sie glaubte aufs neue, daß Spalatro allein auf ihren Untergang gedacht hätte, und dankte dem Beichtvater als ihrem Befreier, statt vor ihm als vor einem Mörder zurückzuschrecken. Sie vermuthete nun, daß Schedoni, als er des Mörders Absicht entdeckt hätte, in das Zimmer gedrungen sey, um eine Fremde von seinem mörderischen Dolche zu retten, und daß er, ohne es zu wissen, seine eigne Tochter befreit hätte, als das Gemählde an ihrem Busen ihn von der Wahrheit benachrichtigte. Bei dieser Ueberzeugung floßen Ellenas Augen von Dankbarkeit über, und ihr Herz wurde in Frieden gewiegt.
Schedoni hingegen, in sein Zimmer eingeschlossen, wurde von Empfindungen ganz andrer Art hin und her gerissen. Als ihr erstes Uebermaaß erschöpft und sein Gemüth ruhig genug geworden war, um nachzudenken, rührten ihn die Bilder, die sich darin spiegelten, mit feierlicher Verwunderung. Indem er auf das feierliche Anstiften der Marquise di Vivaldi Ellena verfolgte, schien er sein eignes Kind verfolgt zu haben, und indem er sich auf eine Verschwörung gegen den Unschuldigen einließ, hatte er in der That nur den Schuldigen gestraft und sich gerade durch den Gegenstand, dem er sein Gewissen aufgeopfert hatte, eine bittre Kränkung bereitet. Jeder Schritt, den er in der Absicht gethan hatte, seinen Ehrgeitz zu befriedigen, hatte gerade das Gegentheil bewirkt, und während er ruchloser Weise darauf dachte, sich selbst und der Marquise einen Dienst dadurch zu leisten, daß er Vivaldis und Ellenas Heirath verhinderte, hatte er geflissentlich gegen sein eignes Glück gearbeitet. Eine Verbindung mit dem erlauchten Hause Vivaldi überstieg seine kühnsten Hoffnungen, und diese Verbindung hätte er beinahe durch dieselben Mittel verhindert, die er auf Kosten jeder tugendhaften Rücksicht anwandte, eine geringere Beförderung zu erhalten. Auf solche Art waren durch eine sonderbare Vergeltung des Schicksals seine Verbrechen auf sein eignes Haupt zurückgefallen.
Schedoni sah wohl ein, wie viele Hindernisse noch zwischen ihm und seinen neu erwachten Hoffnungen lagen, und wie vieles noch zu überwinden war, ehe diese Heirath öffentlich vollzogen werden konnte, deren Beförderung ihm jetzt noch weit mehr am Herzen lag, als er kurz zuvor noch sie zu verhindern gesucht hatte. Die Einwilligung der Marquise war wenigstens wünschenswerth, denn sie hatte über ein großes Vermögen zu disponiren, und ohne diese Einwilligung konnte zwar seine Tochter wohl Vivaldis Gattin werden; allein ihm selbst erwuchs für jetzt kein andrer Vortheil daraus, als die Ehre der Verbindung. Er hatte besondre Gründe zu glauben, daß es möglich seyn würde, diese Einwilligung zu erhalten, und so gefährlich es auch war, die Hochzeitfeier zu verschieben, bis man einen solchen Versuch gemacht haben würde, so hielt er es doch für besser, als sie ganz zu übergehn. Sollte sie aber unerbittlich bleiben, so beschloß er, Ellenas Hand ohne ihr Wissen an Vivaldi zu geben, denn er wußte wohl, daß er wenig Gefahr dabei liefe, weil er Geheimnisse von ihr in Besitz hatte, die sie zwangen sich leidend zu verhalten »must awe her into a speedy neutrality«: ›sie umgehend zur Unparteilichkeit zwingen mußten‹. – D.Hg.. Um die Einwilligung des Marquis, an der er verzweifelte, dachte er sich nicht zu bemühn, und der Einfluß der Marquise war auch so groß, daß er sie entbehren zu können glaubte.
Vor allen Dingen aber mußte er darauf denken, Vivaldi aus den Händen der Inquisition zu befreien, in deren schreckliches Gefängniß er ihn gebracht hatte, ohne zu ahnden, daß er so bald seine Befreiung wünschen würde. Zwar war es ihm bekannt, daß, wenn vor diesem Gerichte der Angeber nicht gegen den Angeklagten erschiene, dieser auf freien Fuß gestellt würde; auch glaubte er Vivaldis Befreiung bewirken zu können, sobald er sich entschlöße, sich an einen Mann zu Neapel zu wenden, der mit dem heiligen Stuhl von Rom in Verbindung stand; allein man wird in der Folge sehn, wie sehr der Beichtvater sich durch seine Wünsche hatte irre führen lassen. Er ließ Vivaldi vorzüglich deswegen ins Gefängniß sperren, weil er die Entdeckung und Rache fürchtete, welche auf Ellenas Verlust folgen würde, wenn Vivaldi Freiheit behielt, sogleich eine Nachforschungen anzustellen, da hingegen, wie er glaubte, in wenig Wochen alle Spur von ihr verschwunden und selbst der Antheil, den Vivaldi an ihr nahm, durch das Leiden in den Gefängnissen der Inquisition geschwächt seyn würde. Allein ohngeachtet die Sorge für eine eigne Vertheidigung diesesmal Schedonis vornehmster Bewegungsgrund gewesen war, so wirkte doch gewiß die Begierde, den in der Kirche Spirito Santo erlittnen Schimpf und die nachfolgenden Kränkungen zu rächen, nicht minder, und sein schwarzer Haß und Durst nach Rache war so groß, daß er den Schmerz, welchen Vivaldi über Ellenas Verlust empfinden mußte, noch nicht für hinlängliche Vergeltung hielt.
Schedoni ergriff also diese außerordentliche Art der Strafe wahrscheinlich, theils weil er Vivaldi auf keinem andern Wege für die Zeit, wo es für seine eignen Pläne durchaus nothwendig war, in Verhaft zu halten wußte, und theils aus Begierde, ihn mit den Qualen der Angst und des Schreckens zu foltern. Auch glaubte er hier eine Gelegenheit entdeckt zu haben, der Marquise neue Verbindlichkeiten aufzulegen, denn er rechnete darauf, denselben Schritt, der einem rechtschaffnen Gemüth nachtheilig für ihn scheinen mußte, zu seinem Vortheil kehren, und die Sache so schlau einleiten zu können, daß die Marquise ihm in der That als dem Befreier ihres Sohnes danken müßte, statt ihn als Ankläger desselben zu entdecken und zu verwünschen: ein Plan, dem die ungerechte und grausame Regel dieses Tribunals, welches anonyme Angeber zuläßt, sehr zu Statten kam.
Um Vivaldi in Verhaft zu bringen, bedurfte es nichts weiter, als eine geschriebne Anklage ohne Namen mit Bezeichnung des Ortes, wo man den Angeklagten ergreifen könnte, einzuschicken; allein dieser Schritt zog gewöhnlich kein andres Leiden nach sich als die Folter, denn der Gefangne wurde, wenn sich der Angeber nicht weiter meldete, nach mehrern Verhören wieder auf freien Fuß gestellt, wofern er nicht unvorsichtigerweise sich selbst verdächtig machte. Schedoni rechnete also darauf, daß Vivaldi nach Verlauf einiger Zeit wieder in Freiheit würde gesetzt werden, und da er es für durchaus unmöglich hielt, daß er je seinen Angeber entdecken könnte, so beschloß der Beichtvater, sich sehr thätig und besorgt um seine Befreiung zu zeigen.
Diese Rolle eines Befreiers war er durch einen Mann, der vermöge seines Postens mit der Inquisition in Verbindung stand, und der bereits, ohne es zu wissen, seine Absichten befördert hatte, noch wirksamer durchzuführen im Stande. Schedoni hatte zufälligerweise in dem Zimmer dieses Mannes eine Verhaftsformel gegen eine Person, die der Ketzerei beargwöhnt wurde, gesehn, und dieser Anblick hatte ihn nicht nur auf den Plan, den er nachher ausführte, gebracht, sondern ihm auch gewissermaaßen zur Ausführung desselben geholfen. Er hatte die Rolle nur wenig Augenblicke gesehn; allein sein Blick war so scharf und sein Gedächtniß so treu, daß er im Stande war, sie wenigstens genau zu kopiren, um den Benedictiner-Mönch, der vielleicht nie ein Instrument dieser Art gesehn hatte, damit zu täuschen. Schedoni hatte sich dieses Kunstgriffs bedient, um Vivaldi unverzüglich in Sicherheit zu bringen, weil er fürchtete, daß er, während die Inquisitoren bedächtig über seine Verhaftung zu Rathe giengen, Celano verlassen und der Entdeckung entwischen möchte. Wenn der Betrug gelang, so wurde er dadurch in Stand gesetzt, sich auch Ellenas zu bemächtigen und Vivaldi wegen ihrer Bestimmung irre zu führen. Die Anklage, eine Nonne entführt zu haben, konnte durch manche Umstände Gewicht erhalten, und Schedoni würde wahrscheinlich diesen Punkt ergriffen haben, wenn er nicht vorausgesehn hätte, daß er dadurch in große Gefahr und Unruhe gerathen, und Ellena, da die Klage nicht erwiesen werden könnte, am Ende doch entwischen würde.
Bis jetzt war ihm sein Plan gelungen; einige von den Bravos, die er miethete, um Gerichtsdiener vorzustellen, hatten Vivaldi nach der Stadt gebracht, wohin die wahren Diener der Inquisition beschieden waren, um ihn in Empfang zu nehmen, während jene Ellena ans Ufer des Adriatischen Meeres brachten. Schedoni hatte sich viel auf seinen Scharfsinn zu Gute gethan, daß es ihm auf solche Art durch die falsch geschmiedete Anklage gelungen war, einen undurchdringlichen Schleier über Ellenas Schicksal zu werfen, und sich vor Vivaldis Verdacht und Ahndung zu sichern, da dieser aller Wahrscheinlichkeit nach immer glauben würde, daß sie gestorben, oder noch in den undurchsuchbaren Gefängnissen der Inquisition verborgen sey.
Auf solche Art hatte er sich selbst betrogen, indem er Vivaldi zu betrügen wünschte, dessen Befreiung er indeß leicht bewirken zu können hoffte: wie sehr in diesem Falle seine Politik mit seinem Scharfsinn davon gelaufen war, bleibt noch zu beweisen übrig.
Die nächste Verlegenheit für Schedoni war die Schwierigkeit, Ellena zurück nach Neapel zu bringen; da er es jetzt nicht für rathsam hielt, in dem Charakter ihres Vaters aufzutreten, so könnte er sie in eigner Person nicht wohl dahin begleiten, und eben so wenig war es der Klugheit gemäß, sie der Führung eines Andern anzuvertrauen. Doch war es durchaus nothwendig, einen schnellen Entschluß zu fassen; denn er konnte es eben so wenig ertragen, noch einen Tag an einem Orte zuzubringen, der ihm unaufhörlich die Schrecknisse der vergangnen Nacht zurückrufen mußte, als Elena dort verweilen zu lassen, und das Morgenlicht schimmerte bereits durch seine Fenster.
Nach reiferer Ueberlegung beschloß er endlich, selbst ihr Führer zu seyn, wenigstens durch die Wälder des Garganus, und in der ersten Stadt, wo Bequemlichkeiten zu haben wären, seinen Mönchshabit abzulegen, und sich in weltliche Kleider zu stecken, worin er sie bis Neapel begleiten wollte, bis er entweder ein sichres Mittel, sie nach dieser Stadt vorauszuschicken, oder eine kurze Zuflucht für sie in einem Kloster auf dem Wege fände.
Seine Seele wurde, nachdem er diesen Entschluß gefaßt hatte, nicht viel ruhiger als zuvor, und er machte auch nicht einmal einen Versuch, sich nur auf einen Augenblick zur Ruhe zu legen. Alle Ereignisse des vergangnen Tages belagerten unaufhörlich sein erschrocknes Gewissen, begleitet von der Besorgniß, daß Ellena die wahre Absicht seines mitternächtlichen Besuchs argwöhnen möchte; und er sann und verwarf abwechselnd scheinbare Unwahrheiten, die ihre Neugierde befriedigen und ihre Besorgnisse ablenken konnten.
Die Stunde kam indessen heran, wo er sich zur Abreise anschicken mußte, und fand ihn noch immer unschlüssig über die Erklärung, die er zu geben hatte.
So bald er Spalatro aus seinem Gefängniß befreiet und ihm Befehl ertheilt hatte, aus dem nächsten Dorfe unverzüglich Pferde und einen Wegweiser »guide«: Führer. – D.Hg. herbei zu holen, verfügte er sich in Ellenas Zimmer, um sie zu dieser schleunigen Abreise vorzubereiten. So wie er sich näherte, drang eine Erinnerung der Absicht, mit welcher er kurz zuvor diese nämlichen Gänge und Windeltreppe betreten hatte, so mächtig in seine Seele, daß er außer Stande war, weiter zu gehn und in sein eignes Zimmer zurückkehrte, um einige Herrschaft über sich wieder zu gewinnen. Wenige Augenblicke gaben ihm seine gewöhnliche Gewandtheit, wenn gleich nicht seine Ruhe wieder und er näherte sich aufs neue dem Zimmer, doch nahm er jetzt seinen Weg durch den Corridor. Seine Hand zitterte, als er die Thüre aufriegelte; so wie er aber ins Zimmer trat, hatten sein Gesicht und Wesen die gewöhnliche Feierlichkeit wieder angenommen und nur seine Stimme würde einem aufmerksamen Beobachter die Unruhe seiner Seele verrathen haben.
Ellena gerieth in große Bewegung, als sie ihn wieder sah, und er suchte mit argwöhnischem Auge in die Ursache ihrer Rührung zu dringen. Das Lächeln, womit sie ihm entgegen kam, war zärtlich, er sah es gleich den luftigen Farben, die einen Regenbogen erleuchten, von ihren Zügen weggleiten, und die Dunkelheit des Zweifels und der Besorgniß überzog sie aufs neue. So wie er näher kam, reichte er ihr die Hand entgegen, als er plötzlich den Dolch, den er in dem Zimmer zurückgelassen hatte, wahrnahm – er zog unwillkührlich die freundlich dargebotne Hand zurück, und sein Gesicht verwandelte sich. Ellena, deren Augen ihm bis zu dem Gegenstande, der sie auf sich zog, gefolgt waren, zeigte auf das Werkzeug, nahm es in die Hand und sagte, dem sie sich zu ihm näherte:
»Diesen Dolch fand ich vergangne Nacht in meinem Zimmer! o mein Vater! –«
»Diesen Dolch!« sagte Schedoni mit erkünstelter Verwundrung.
»Betrachten Sie ihn,« fuhr Ellena fort, dem sie ihn in die Höhe hielt. »Wissen Sie, wem er gehört, und wer ihn hieher brachte?«
»Was willst du damit sagen?« fragte Schedoni, den sein Gefühl verrieth.
»Wissen Sie auch, zu welchem Zwecke er hieher gebracht wurde?« fragte Ellena traurig.
Der Beichtvater antwortete nicht, versuchte aber unschlüssig, sich des Werkzeugs zu bemächtigen.
»Ach ich sehe, Sie kennen es nur zu gut,« fuhr Ellena fort, »hier mein Vater, während ich schlief« –
»Gieb mir den Dolch,« unterbrach sie Schedoni mit schrecklicher Stimme.
»Ja, mein Vater, ich will ihn Ihnen als ein Dankopfer geben,« erwiederte Ellena; als sie aber ihre mit Thränen gefüllten Augen aufschlug, erschreckte sie sein Blick und starre Stellung und sie setzte mit noch süßerer Zärtlichkeit hinzu: »Wollen Sie nicht den Dank Ihres Kindes annehmen, es vor dem Dolch eines Mörders geschützt zu haben?«
Schedonis Blicke wurden noch finstrer; er nahm schweigend den Dolch, und warf ihn mit Heftigkeit an das äußerste Ende des Zimmers, während seine Augen starr auf sie geheftet blieben. Das Gewaltsame dieser Handlung beunruhigte sie.
»Ja, es ist vergebens, daß Sie die Wahrheit zu verheelen suchen,« setzte sie hinzu und weinte unverhalten – »Ihre Güte ist umsonst; ich weiß alles. –«
Die letzten Worte rissen Schedoni aufs neue aus seinen Schranken; seine Züge zuckten krampfhaft und sein Blick wurde wüthend.
»Was weißt du?« fragte er mit einer unterdrückter Stimme, die bereit schien, in Donner auszubrechen.
»Alles, was ich Ihnen zu danken habe,« erwiederte Ellena – »vergangne Nacht, während ich, ohne zu argwöhnen, was man gegen mich im Schilde führte, auf dieser Madratze schlief, trat ein Mörder mit diesem Werkzeuge in der Hand in mein Zimmer und –«
Ein erstickter Seufzer von Schedoni hielt Ellena zurück; sie bemerkte seine rollenden Augen und zitterte, bis sie glaubte, daß seine Bewegung aus Unwillen gegen den Mörder entstände und fortfuhr:
»Warum halten Sie es für nöthig, die Gefahr zu verheelen, die mir gedroht hat, da ich Ihnen meine Befreiung davon zu danken habe! O mein Vater, verweigern Sie mir nicht die Freude, diese Thränen der Dankbarkeit zu vergießen – weisen den Dank nicht zurück, der Ihnen gebührt! – Während ich auf diesem Lager schlief – während ein Mörder sich zwischen meinen Schlummer schlich – waren Sie es, ja! kann ich je vergessen, mein Vater, daß Sie es waren, der mich von seinem Dolche befreite!«
Schedonis Leidenschaften waren verändert, allein sie waren nicht minder heftig; kaum konnte er sie bezwingen, während er mit zitternder Stimme sagte: »Es ist genug, sage nichts weiter –«
Er hub Ellena auf, wandte sich aber hinweg, ohne sie zu umarmen.
Seine, starke Bewegung, als er stillschweigend ans äußerste Ende des Zimmers gieng, erregte ihre Verwundrung; allein sie schrieb es einer Erinnrung an den gefahrvollen Augenblick zu, von welchem er sie errettet hatte.
Schedoni hingegen, dem ihr Dank ein Dolchstich war, suchte die Gewissensbisse, welche sein Herz zerrissen, zu überwinden, und war so sehr in seine eigne Welt vertieft, daß er sich alles dessen, was ihn umgab, lange unbewußt blieb. Er schritt in düsterm Stillschweigen das Zimmer auf und ab, bis Ellenas Stimme, die ihn bat, sich vielmehr zu freuen, daß es ihm vergönnt gewesen sey, sie zu erretten, als so tief über Gefahren zu brüten, die vorüber waren, aufs neue die Saite berührte, die in seinem Gewissen ansprach und ihn zum Gefühl seiner Lage zurückrief. Er hieß sie darauf sich unverzüglich zur Abreise anschicken und verließ schnell das Zimmer.
Vergebens hoffte er, wenn er von der Scene seines vorgehabten Verbrechens flohe, die Schärfe der Erinnerung und die quälenden Stacheln des Gewissens zu verlieren, und es lag ihm daher mehr als je am Herzen, diesen Ort zu verlassen. Allein Ellena begleitete ihn; ihre unschuldigen Blicke, ihr zärtlicher Dank legten ihm einen Schmerz auf, den er kaum zu ertragen vermochte. Zuweilen glaubte er, dass ihr Haß, oder was ihm noch kränkender seyn mußte, ihre Verachtung, leichter zu ertragen seyn würde, als diese Dankbarkeit, und war nahe entschlossen, sie aus ihrem Irrthum zu reissen; allein er stieß stets mit Grausen diesen Gedanken zurück, und beschloß endlich: sie wegen seines letzten seltsamen Besuchs bei der Erklärung, die sie sich selbst gemacht hatte, zu lassen.
Spalatro kam endlich mit Pferden aus dem Dorfe zurück, hatte aber keinen Führer bekommen können, um sie durch einen verwachsnen Strich der langen Wälder des Garganus zu leiten, die sie passiren mußten. Niemand hatte sich bereit finden wollen, ein so beschwerliches Geschäft zu übernehmen, und Spalatro, der mit allen Krümmungen des Weges wohl bekannt war, bot jetzt seine Dienste an.
Obgleich Schedoni die Gegenwart dieses Menschen kaum zu ertragen vermochte, so blieb ihm doch, da er den Führer, mit dem er gekommen war, fortgeschickt hatte, keine andre Wahl übrig. Persönliche Gewaltthätigkeit fürchtete Schedoni nicht, ohngeachtet er die Büberei dieses Menschen, den er zu seinem Gehülfen wählen wollte, nur zu gut kannte: denn er nahm sich vor, sich selbst gut zu bewaffnen, und darauf zu sehn, daß Spalatro keine Waffen mit sich führte: auch wußte er wohl, daß im Fall eines Kampfes seine körperliche Ueberlegenheit es ihm leicht machen würde, einen solchen Gegner zu besiegen.
So wie alles zur Abreise fertig war, wurde Ellena herbeigerufen und der Beichtvater führte sie in sein Zimmer, wo ein leichtes Frühstück bereit stand.
Ihre Lebensgeister waren bei diesen schnellen Anstalten zur Abreise wieder aufgelebt, und sie wollte ihm von neuen danken; allein er unterbrach sie ganz kurz und verbat jede weitere Erwähnung von Dankbarkeit.
Als Ellena in den Hof trat und Spalatro wahrnahm, erblaßte sie vor Schrecken und ergriff Schedonis Arm, als wollte sie ihn um Schutz bitten.
»Welche Erinnerungen regt der Anblick dieses Menschen in mir auf,« sagte sie; »kaum kann ich es wagen, mich selbst bei Ihnen sicher zu glauben, so lange er um uns ist.«
Schedoni antwortete nichts, bis sie ihre Bemerkung wiederholte.
»Du hast nichts von ihm zu fürchten,« murmelte er, indem er sie eilends fortführte, »und wir dürfen keine Zeit mit leeren Besorgnissen verlieren.«
»Wie,« rief Ellena, »ist er nicht der Mörder, von dem Sie mich erretteten! Ich kann nicht zweifeln, daß Sie ihn dafür erkennen, ohngeachtet Sie mir den Schmerz ersparen wollen, es zu glauben.«
»Gut, gut dann! laß es so seyn –« erwiederte der Beichtvater – »Spalatro führe die Pferde hieher.«
Die Gesellschaft war bald in Ordnung, und als sie dieses merkwürdige Haus und das Ufer des Adriatischen Meeres, wie Ellena hoffte, auf immer, verließen, betraten sie die dunkeln Wildnisse des Garganus. Sie wandte oft mit Regungen unaussprechlicher Ehrfurcht, Staunen und Dankbarkeit die Augen nach dem Hause zurück und staunte es an, so lange sie einen Schimmer seiner bethürmten Mauern durch die dunkeln Zweige erkennen konnte, die sich dicht über ihm zusammen bogen, und es endlich ihrem Blicke ganz verschlossen. Doch wurde die Freude dieser Abreise durch Spalatros Gegenwart sehr gemildert, und ihr furchtsamer Blick fragte Schedoni, warum er diesen Begleiter zuließe. Der Beichtvater war sehr ungeneigt, von einem Menschen zu sprechen, dessen Daseyn selbst er gerne zu vergessen gewünscht hätte.
Ellena führte ihr Pferd immer dichter neben Schedoni, enthielt sich aber, anders als durch Blicke zu fragen, und da sie keine Antwort erhielt, suchte sie ihre Besorgnisse durch die Betrachtungen zu beruhigen, daß er diesen Mann nicht zum Führer zulassen würde, wenn er nicht glaubte, daß man ihm trauen könnte. Diese Betrachtung verminderte zwar ihre Furcht, verwirrte sie aber noch mehr, wenn sie über Spalatros schreckliches Vorhaben nachdachte und erhöhte ihr Verwundrung, daß Schedoni, wenn er sich wirklich davon überzeugt hatte, dieses Bösewichts Gegenwart ertragen könnte. Bei jedem Blicke, den sie auf das finstre Gesicht dieses Menschen warf, das durch den Schatten der Bäume noch finstrer wurde, glaubte sie »Mörder« auf jedem Zuge desselben geschrieben zu sehn, und konnte kaum zweifeln, daß jener Dolch nicht von den Leuten, welche sie in dieses Gebäude geführt hatten, sondern von ihm in ihrem Zimmer zurückgelassen war. So oft sie rings durch die tiefen Schatten und auf die waldigten Gebürge blickte, die an jeder Seite die Scene schlossen, und alle freundlichen Wohnungen des Menschen abzuschneiden schienen, und dann wieder ihre Gefährten betrachtete, sank ihr das Herz, ohngeachtet sie Ursache hatte, sich unter dem Schutze eines Vaters sicher zu glauben. Ja, Schedonis Blicke selbst, die sie mehr als einmal an seine Erscheinung am Seeufer erinnerten, erneuerten die Eindrücke der Angst und des Schmerzes, welche sie dort empfunden hatte. In solchen Augenblicken war es ihr kaum möglich, ihn als ihren Vater zu betrachten, und trotz alles Anscheins, stiegen seltsame und unerklärliche Zweifel in ihrer Seele auf.
Schedoni hingegen, in Gedanken verloren, unterbrach auch nicht durch ein einziges Wort die tiefe Stille der Einöden, durch welche sie kamen. Spalatro war eben so stumm und eben so vertieft in seinem Nachdenken über die plötzliche Sinnesänderung, die mit Schedoni vorgegangen war; er begriff nicht, was für Ursachen ihn bewogen haben könnten, Ellena in Sicherheit von dem nämlichen Orte wegzuführen, wohin sie auf seinen ausdrücklichen Befehl, um den Tod zu finden, gebracht war. Doch war er nicht so ganz mit diesen Gedanken beschäftigt, um nicht an seine eigne Lage zu denken, oder eine Gelegenheit außer Acht zu lassen, seinen eignen Vortheil zu befördern, und an Schedoni die Behandlung zu rächen, die er vergangne Nacht von ihm erlitten hatte.
Unter den vielen Gegenständen, welche den Beichtvater beängstigten, war die Schwierigkeit, Ellenen in Neapel unterzubringen, ohne zu verrathen, daß sie ihm angehöre, nicht der geringste. Seine Furcht, daß dieser Umstand der Gesellschaft, unter welcher er lebte, zu früh bekannt werden möchte, war so stark, daß sie oft die heftigste Wirkung auf seinem Gesichte hervorbrachten, und vielleicht erinnerte in solchen Augenblicken der schreckliche Ausdruck desselben Ellena an die vergangne Scene am Ufer. In nicht geringerer Verlegenheit war er, sich bei der Marquise zu entschuldigen, warum er sein Versprechen nicht erfüllt hatte, und was für Mittel er anwenden sollte, sie zur Genehmigung der Heirath zu bewegen, ehe sie von der Familie dieses unglücklichen jungen Frauenzimmers unterrichtet sey. Er fühlte ganz die Nothwendigkeit, sich der Wahrscheinlichkeit einer solchen Einwilligung zu versichern, ehe er es wagte, ihre wahre Abkunft einzugestehn, und beschloß sich nicht eher zu entdecken, bis er überzeugt wäre, daß diese Entdeckung der Marquise angenehm seyn würde. Weil es aber doch unumgänglich nothwendig war, etwas von Ellenas Geburt zu erwähnen, so wollte er sagen, er hätte entdeckt, daß sie von Adel und in jeder Rücksicht einer Verbindung mit dem edeln Hause Vivaldi würdig sey.
Der Beichtvater wünschte und fürchtete zugleich eine Zusammenkunft mit der Marquise. Er schauderte bei der Erwartung, eine Frau wieder zu sehn, die ihn zur Ermordung seines eignen Kindes verleitet hatte; eine That, die er zwar glücklicher Weise verhinderte, die aber gewiß noch immer der Wunsch der Marquise war. Wie konnte er ihre Vorwürfe ertragen, wenn sie entdeckte, daß ihr Wille nicht vollzogen war! Wie sollte er den Unwillen eines Vaters verheelen, und alle mannigfaltigen Gefühle eines Vaters verbergen, wenn er zur Antwort auf solche Vorwürfe Entschuldigungen machen und eine Demuth erkünsteln mußte, vor der sich seine ganze Seele empörte! Nie war seine Verstellungskunst auf eine so harte Probe gesetzt worden, nicht einmal bei den letzten Scenen mit Ellena, nie war eine so harte Strafe auf ihn zurückgefallen, als ihn jetzt bei der Marquise erwartete. Ja es gab Augenblicke, wo selbst der kalte und weltkluge Schedoni mit solchem Schrecken vor ihrer Annäherung erbebte, daß er beinahe entschlossen war, sie auf alle Gefahr zu vermeiden und Vivaldi insgeheim mit Ellena zu verheirathen, ohne einmal die Einwilligung der Marquise zu suchen.
Doch hielt die Begierde nach einer baldigen Beförderung, worauf sein ganzer Ehrgeitz gerichtet war, diesen Plan stets zurück und machte ihn endlich geneigt, jedes rechtliche Gefühl niederzuwürgen, und sich lieber jeder noch so schimpflichen Niederträchtigkeit zu unterziehn, als den Lieblingsgegenstand seines falschen Stolzes aufzugeben. Niemals zeigte sich vielleicht die paradoxe Vereinigung von Stolz und Niederträchtigkeit stärker, als hier.
Wahrend die Reisenden so stillschweigend ihren Weg fortsetzten, kehrten Ellenas Gedanken oft zu Vivaldi zurück und sie dachte mit zitternder Angst an die Folgen, welche die letzte Entdeckung auf ihr und sein künftiges Leben haben konnte. Es dünkte sie, daß Schedoni eine Verbindung gut heißen müßte, die so schmeichelhaft für den Stolz eines Vaters war, ob er gleich aller Wahrscheinlichkeit nach seine Einwilligung zu einer geheimen Heirath verweigern würde. Und wenn sie ferner dachte, welche Verändrung die Bekanntschaft mit ihrer Familie in den Gesinnungen der Vivaldis hervorbringen würde, so schienen ihre Aussichten heller zu werden und ihre Sorgen fiengen an sich zu zerstreuen.
Da sie glaubte, daß Schedoni um Vivaldis gegenwärtige Lage wüßte, so war sie immer im Begriff, seiner zu erwähnen, wurde aber eben so oft durch Furchtsamkeit zurückgehalten; hätte sie aber gewußt, daß er ein Einwohner der Inquisition sey, so würden ihre Bedenklichkeiten vor einem unwiderstehlichen Triebe verschwunden seyn. So aber glaubte sie, daß er gleich ihr durch die verkleideten Diener der Marquise betrogen und wahrscheinlich jetzt auf Befehl seiner Mutter auf einem Landsitze der Familie eingesperrt sey. Als aber Schedoni, aus seiner Träumerei erwachend, plötzlich Vivaldis erwähnte, schlug ihr das Herz vor Ungeduld seine eigentliche Lage zu wissen, und sie wagte es, sich darnach zu erkundigen.
»Eure Liebe ist mir nicht unbekannt,« erwiederte Schedoni, indem er der Frage auswich; »allein ich wünschte von der Art ihres Anfangs näher unterrichtet zu seyn.«
Ellena wußte vor Verwirrung nicht, was sie antworten sollte; sie schwieg einen Augenblick und wiederholte dann ihre Frage.
»Wo saht ihr euch zuerst?« sagte der Beichtvater, ohne auf ihre Frage zu achten.
Ellena erzählte, daß sie Vivaldi zuerst gesehn hätte, als sie ihre Tante aus der Kirche San Lorenzo begleitete. Für diesmal wurde ihr die Verlegenheit einer nähern Erläuterung durch Spalatro erspart, der näher zu Schedoni ritt und ihm sagte, daß sie sich der Stadt Zanti näherten. Ellena blickte auf und sah nicht weit von ihnen Häuser zwischen den Bäumen hervorschimmern; gleich darauf hörte sie das erfreuliche Bellen eines Hundes, des sichern Herolds und treuen Dieners des Menschen!
Bald darauf ritten die Reisenden in Zanti ein; eine kleine von Waldung umgebne Stadt, wo die Armuth der Einwohner ihnen keinen längern Aufenthalt zu verstatten schien, als sie durchaus bedurften, um sich auszuruhn und eine kleine Erfrischung zu genießen. Spalatro führte sie in ein Haus, wo die wenigen Reisenden, die diesen Weg kamen, gewöhnlich bewirthet wurden. Das Ansehn der Leute im Hause war eben so wild, als ihr Land, und das Innre der Wohnung war so schmutzig und abschreckend, daß Schedoni es vorzog, sein Mahl in freier Luft zu verzehren, worauf man einen Tisch unter dem üppigen Schatten der Bäume bereitete. Hier, als der Wirth sich zurückgezogen hatte, und Spalatro fortgeschickt war, um nach Postpferden zu fragen und dem Beichtvater ein weltliches Kleid zu verschaffen, regte sich Ellena gegenüber, aufs neue etwas, gleich Gewissensbissen, in Schedonis Brust, und Ellena empfand, so oft ihre Augen auf ihn fielen, einen gewissen Schauder, der beinahe bis zum Entsetzen stieg. Er machte endlich diesem bedeutenden Stillschweigen ein Ende, und verlangte aufs neue von Ellenen, daß sie ihm die Geschichte ihrer Bekanntschaft mit Vivaldi erzählen sollte.
Sie wagte nicht es ihm zu verweigern, und gehorchte, aber so kurz als möglich, und Schedoni unterbrach sie auch nicht durch eine Bemerkung. So wünschenswerth ihm auch ihre Heirath jetzt schien, so enthielt er sich doch, einen Wink des Beifalls zu geben, bis er den Gegenstand ihrer Liebe aus seiner gefährlichen Lage würde gezogen haben. Ellena aber errieth aus diesem Stillschweigen gerade das, was er dadurch verheelen wollte, und aufgemuntert durch die Hoffnung, welche sie daraus schöpfte, wagte sie es noch einmal ihn zu fragen, ›auf wessen Befehl Vivaldi verhaftet sey, wohin man ihn gebracht hätte, und in welcher Lage er sich jetzt befände?‹
Zu klug, um sie mit seiner wirklichen Lage bekannt zu machen, ersparte ihr der Beichtvater den Schmerz, zu wissen, daß er ein Gefangner der Inquisition sey. Er stellte sich, als wenn er von dem letzten Vorgange in Celano nichts wüßte, wagte es aber zu glauben, daß sowohl Vivaldi als sie auf Befehl der Marquise gefangen genommen worden wären, die ihn, allem Vermuthen nach, auf kurze Zeit eingesperrt hielt; ein Schritt, den sie wahrscheinlich auch gegen Ellena hätte ins Werk richten wollen.
»Und Sie, mein Vater,« merkte Ellena an, »was brachte Sie in mein Gefängniß, wenn Sie nicht von den Absichten der Marquise unterrichtet waren? Welcher Zufall führte Sie gerade in dem Augenblick, wo Sie Ihr Kind retten konnten, in diese ferne Einöde?«
»Von den Absichten der Marquise unterrichtet!« sagte Schedoni verlegen und mißfällig – »Hast du dir je eingebildet, daß ich behülflich seyn könnte – daß ich einwilligen könne hülfreiche Hand zu leisten – ich meine, daß ich einwilligen könnte, ein Vertrauter solcher barbarischen –«
Verwirrt, verwildert »bewildered, confounded«: verwirrt, verlegen. [Oft sind die Dinge nicht das, was sie zu sein scheinen. (-;)] – D.Hg. und halb verrathen hielt Schedoni inne.
»Aber Sie sagten doch, die Marquise wäre nur Willens gewesen mich einzusperren!« merkte Ellena an. »War denn das ein so barbarisches Vorhaben? Ach! mein Vater, ich weiß nur zu gut, daß sie einen barbarischen Plan hatte! und da auch Sie nur zu viel Ursache hatten, dieses zu wissen, warum sagen Sie, daß man nur ein Gefängniß für mich bestimmt hätte? Allein Ihre Sorge für meine Ruhe verleitete Sie zu –«
»Was für besondre Mittel sollte ich haben,« unterbrach der argwöhnische Schedoni, »um die Plane der Marquise zu wissen? Ich wiederhole es, ich bin nicht ihr Vertrauter, woher sollte ich also wissen, daß sie weiter giengen als auf Gefangenschaft?«
»Erretteten Sie mich nicht von dem Arme des Mörders!« sagte Ellena zärtlich; »entwanden Sie nicht den Dolch selbst seinen Klauen!«
»O ich vergaß das, ich vergaß es –« sagte der Beichtvater noch mehr verlegen.
»Ja, gute Seelen sind immer geneigt, die Wohlthaten, die sie Andern erweisen, zu vergessen,« erwiederte Ellena. »Aber Sie sollen finden, mein Vater, daß ein dankbares Herz sie desto fester in seinem Gedächtnisse hält: es führt ein unauslöschliches Verzeichniß von jeder Handlung, die aus dem Gedächtnisse des Wohlthäters ausgestrichen ist.
»Sprich nicht mehr von Wohlthaten,« sagte Schedoni ungeduldig – »laß Stillschweigen über diesen Gegenstand mir in Zukunft beweisen, daß du mich zu verpflichten wünschest.«
Er stand auf und gieng zu dem Wirth, der vor der Thüre seiner Hütte stand. Schedoni wünschte Spalatro so bald als möglich los zu werden und erkundigte sich nach einem Führer, der sie durch den übrigen Theil des Waldes bringen könnte. In dieser armseligen Stadt konnte es nicht schwer halten, einen Menschen zu finden, der zu diesem Dienste willig war; doch gieng der Wirth einen Nachbar aufzusuchen, den er empfohlen hatte.
Spalatro kehrte indessen unverrichteter Sache zurück. Es wäre nicht möglich, eine weltliche Kleidung, die für Schedoni paßte, in so kurzer Zeit aufzutreiben, und er sah sich also genöthigt, wenigstens bis zur nächsten Stadt, in seinen eignen Kleidern zu bleiben; dieser Umstand konnte ihn nicht sehr beunruhigen, weil es nicht wahrscheinlich war, daß ihm in diesem abgesonderten Strich Landes ein Bekannter aufstoßen würde.
Der Wirth erschien sogleich mit seinem Nachbar, und da Schedoni befriedigende Antworten auf seine Fragen von ihm erhielt, nahm er ihn für den übrigen Theil des Weges im Walde an und schickte Spalatro fort. Der Bösewicht gieng mit mürrischem Widerstreben und sichtlicher Erbitterung – der Beichtvater bemerkte es kaum, weil er blos mit dem angenehmen Gefühl beschäftigt war, den schändlichen Gefährten seiner Barbarei aus dem Gesichte zu verlieren. Ellena aber bemerkte, als vor er ihr vorüber gieng, den boshaften Verdruß auf seinem Gesichte und ihre Dankbarkeit, seiner entledigt zu seyn, wurde dadurch erhöht.
Es wurde Nachmittag, ehe sie weiter reisten. Schedoni hatte berechnet, daß sie die Stadt leicht erreichen könnten, in welcher sie übernachten wollten, und hatte sich mit Fleiß nicht übereilt, um der Hitze des Tages zu entgehn. Ihr Weg gieng jetzt durch ein weniger wüstes, obwohl nicht viel weniger wildes Land, als sie des Morgens durchreist waren, und führte aus dem Innern nach dem Saume des Waldes: sie waren nicht länger von überhängenden Bergen eingeschlossen – die zurückweichenden Schatten waren dem Auge nicht länger undurchdringlich, sondern öffneten sich hie und da zu Blicken auf sonnigte Landschaften und blaue Fernen; und unmittelbar vor ihnen breitete manches grüne Plätzchen seinen Busen vor der Sonne aus. Doch nahm die Größe der Bäume nicht ab. Der Ahornbaum, die Eiche und Kastanie warfen ihr prächtiges Laub rings um diese lächelnden Gegenden und schienen die Bergströme zu begrüßen, die unter ihrem feierlichen Schatten herabstiegen.
Für Ellenas ermüdete Lebensgeister war die Verändrung der Scene erfrischend und ihr Kummer verschwand oft vor dem Einfluße der majestätischen Natur. Ueber Schedonis Düsterkeit hatte nie eine Gegend Gewalt; die Gestalt und Mahlerei äußrer Bilder gab seiner Phantasie weder Eindruck noch Farbe. Er verachtete die süßen Täuschungen, welchen andre Seelen sich hingeben, und die oft ein auserlesenes und nicht minder unschuldiges Vergnügen gewähren als alles, was die überlegende Vernunft schenken kann.
Er behielt dasselbe tiefsinnige Stillschweigen, worin er sich von Anfang der Reise an gehüllt hatte, unverbrüchlich bei, außer wenn er von Zeit zu Zeit eine Frage an den Führer that, der ihm für seine Stimmung stets zu geschwätzig antwortete. Diese Geschwätzigkeit war indessen nicht so leicht zu unterdrücken, und der Bauer hatte bereits einige schreckliche Geschichten von Mordthaten, die in diesen Wäldern an Leuten verübt waren, welche die Verwegenheit hatten, sich ohne Führer hinein zu wagen, erzählt, ehe der aufs neue abwesende Schedoni nur einmal bemerkte, daß er sprach. Obgleich Ellena nicht viel auf diese Erzählungen baute, wirkten sie doch einigermaaßen auf ihre Furcht, als sie bald nachher in die tiefen Schatten eines Theiles vom Walde kamen, der längs einem Hohlwege hinführte, wo jeder Schimmer der freundlichen Landschaft aufs neue von Gebürgen abgeschnitten wurde, die sich an jeder Seite thürmten.
Die Stille machte nicht weniger Wirkung als die Dunkelheit; denn man hörte keinen Laut, außer solchen, welche die Einsamkeit zu bezeichnen und ihre schauerliche Wirkung tiefer ins Herz einzuprägen schienen – sie vernahmen nur das dumpfe Rauschen der Ströme, die in der Ferne herabstürzten, und das tiefe Seufzen des Windes, wenn er zwischen Bäumen hinfuhr, ihre breiten Arme über die Klippen warfen und die höchsten Gipfel krönten. Vor sich hin erblickten sie durch die engen Krümmungen des Hohlweges keine lebendige Seele: als aber Ellena furchtsam zurück sah, glaubte sie eine menschliche Figur zu unterscheiden, die unter den dunkeln Schatten, welche die Aussicht schlossen, hervorgieng. Sie theilte Schedoni ihren Verdacht, obgleich nicht ihre Furcht mit und sie hielten einen Augenblick still, um näher zu beobachten. Der Gegenstand näherte sich langsam und sie entdeckten die Gestalt eines Mannes, der plötzlich still stand und dann hinter das Laub schlüpfte, welches die Aussicht schloß; Ellena glaubte Spalatros Gestalt zu erkennen, und fürchtete, daß nur ein desperates Vorhaben ihn könnte bewogen haben, ihnen in diesen Hohlweg zu folgen, statt, wie er vorgab, nach seiner Heimath zurückzukehren. Doch war es nicht wahrscheinlich, daß er allein geneigt seyn sollte, zwei bewaffnete Menschen anzugreifen; denn sowohl Schedoni als der Wegweiser führten Waffen zur Vertheidigung. Diese Betrachtung aber beruhigte sie doch nur für den Augenblick; denn es war möglich, daß er sich nicht allein befand, ob sie gleich nur eine Person zwischen den überhängenden Zweigen der Wälder gesehn hatten.
»Dünkt Ihnen nicht, daß er Spalatro glich,« sagte Ellena zu dem Beichtvater, »hatte er nicht dieselbe Statur und Ansehn? Sie sind gut bewaffnet, sonst würde ich eben so sehr für Sie fürchten als für mich.«
»Ich habe keine Aehnlichkeit bemerkt,« erwiederte Schedoni und warf einen Blick zurück, »aber wer es auch sey, du hast nichts von ihm zu fürchten, denn er ist verschwunden.«
»Um so schlimmer, Signor,« merkte der Wegweiser an, »um so schlimmer, wenn er uns Böses will; denn er kann sich längs den Felsen hinter diese Gesträuche schleichen und uns überfallen, ehe wir uns seiner versehn. Oder wenn er den Weg kennt, der zwischen jenen alten Eichen dort zur Linken hinläuft, so hat er uns beim Umdrehen um die nächste Klippe gewiß.«
»Sprich leise,« sagte Schedoni, »wenn du nicht willst, daß er deine Anweisungen benutzen soll.«
Obgleich der Beichtvater dieses ohne allen Verdacht einer üblen Absicht bei dem Wegweiser sagte, fieng dieser Mensch sogleich eine Rechtfertigung an und setzte hinzu:
»Ich will ihm aber doch einen Wink geben, was er zu erwarten hat, wenn er sich einfallen läßt, uns anzugreifen.«
Mit diesen Worten feuerte er sein Pistol in die Luft, wo jeder Felsen den Schall zurückwarf und der schwache und immer schwächere Donner sich murmelnd durch alle Krümmungen des Passes zurückzog. Diese eifrige Rechtfertigung des Führers brachte bei Schedoni eine ganz entgegengesetzte Wirkung hervor, und der Beichtvater, der ihn argwöhnisch beobachtete, bemerkte, daß er sein Gewehr nicht wieder lud, nachdem er abgefeuert hatte.
»Da Ihr dem Feinde einen hinlänglichen Wink gegeben habt, wo er uns finden kann,« sagte Schedoni, »so werdet ihr wohl thun, Euch auf seinen Empfang bereit zu machen; ladet wieder, Freund! ich führe auch Waffen und sie sind bereit.«
Während der Mann mürrisch gehorchte, sah sich Ellena, aufs neue beunruhigt, nach dem Fremden um; allein Niemand erschien unter dem Schatten, und kein Fußtritt unterbrach die Stille. Plötzlich, aber hörte sie ein Geräusch und sah sich nach dem angränzenden Gebüsch um, beinahe erwartend, Spalatro daraus hervorkommen zu sehn, als sie wahrnahm, daß es nur das rauschende Gefieder von Vögeln war, die, durch den Schall der Pistole aus ihren hohen Nestern zwischen den Klippen aufgeschreckt, sich vor der Gefahr hinweg schwangen.
Der Argwohn des Beichtvaters war nur vorübergehend gewesen; denn als Ellena ihn wieder anredete, hatte er sich wiederum in sich selbst zurückgezogen. Er dachte auf eine Entschuldigung gegen die Marquise, wodurch er zu gleicher Zeit ihren Verdruß mildern und ihre Neugierde ableiten könnte; allein es war ihm in diesem Augenblicke unmöglich, etwas auszusinnen, was sie besänftigen könnte, ohne Gefahr sein Geheimniß zu verrathen.
Die Dämmerung hatte die Dunkelheit der Felsen vertieft, ehe die Reisenden die Stadt erkannten, wo sie die Nacht hinzubringen dachten. Sie schloß den Paß und ihre graue Häuser waren kaum von dem Berge, an welchem sie hieng, oder von den Bäumen, die sie einfaßten, zu unterscheiden. Ein reißender Strom rollte unten, und über ihm führte eine Brücke die Reisenden zu dem kleinen Wirthshause, wo sie ihre Nachtlager aufschlagen wollten. Hier, friedlich gelagert, ließ Ellena für jetzt alle Furcht vor Spalatro fahren; allein sie glaubte noch immer ihn gesehn zu haben, und ihr Verdacht über den Bewegungsgrund seiner außerordentlichen Reise war nicht gehoben.
Da dieses eine Stadt war, wo man mehr Bequemlichkeiten haben konnte, als in der, welche sie verlassen hatten, so verschaffte sich Schedoni mit leichter Mühe ein weltliches Kleid, um sich auf der übrigen Reise zu verbergen, und Ellena erhielt Erlaubniß, den Nonnenschleier mit einem andern modigern »for one of a more general fashion«: ›für einen von üblicherer Mode«. – D.Hg. zu vertauschen; allein sie vergaß nicht, indem sie ihn ablegte, daß es Olivias Schleier gewesen war, und bewahrte ihn als eine heilige Reliquie ihrer geliebten Andächtigen »recluse«: Einsiedlerin. – D.Hg..
Diese Stadt lag nach der gewöhnlichen Art zu reisen, noch einige Tagreisen weit von Neapel entfernt; allein der gefährlichste Theil des Weges war nun überwunden, weil sie die Wälder zurückgelegt hatten, und als Schedoni den andern Morgen abreiste, wollte er den Wegweiser fortschicken; allein der Wirth versicherte ihn, daß er auf den offnen, aber wilden Wegen, die er zu machen hatte, einen Führer nicht entbehren könnte. Schedoni hatte nie ein ernstliches Mißtrauen in diesen Menschen gesetzt, und da der vorige Abend glücklich abgelaufen war, so schenkte er ihm sein Vertrauen so gänzlich wieder, daß er ihn für den gegenwärtigen Tag ohne Bedenken annahm. Ellena stimmte nicht ganz in dieses Vertrauen ein; sie hatte diesen Menschen beobachtet, als er auf Schedonis Geheiß das Pistol lud, und sein sichtliches Widerstreben hatte sie beinahe überzeugt, daß er mit Jemand, der sie anzugreifen dachte, in Verbindung stände; eine Vermuthung, die vielleicht um so leichter Eingang bei ihr fand, da ihre Seele mit der unangenehmen Vorstellung von Spalatro beschäftigt war. Sie wagte es jetzt, dem Beichtvater einen Wink von ihrem Mißtrauen zu geben; allein er achtete wenig darauf und erinnerte sie, daß sie hinlängliche Beweise von des Mannes Ehrlichkeit gehabt hätten, da er sie einen zum Raube so gelegnen Weg als den gestrigen ungehindert hatte zurücklegen lassen. Auf eine dem Anschein nach so vernünftige Antwort konnte Ellena nichts erwiedern, hätte sie auch das Gespräch weiter zu führen gewagt, und sie trat mit froheren Hoffnungen die Reise wieder an.
Ende des zweiten Bandes.
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