Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Sechstes Kapitel.

»It earliest Greece to thee, with partial choice
The grief-full muse, address'd her infant tongue;
The maids and matrons on her awful voice
Silent and pale, in wild amazement hung.« Aus William Collins, Ode to Fear (1746): Im frühesten Griechenland hat sich die trauernde Muse voller Parteilichkeit an Dich ihr kindliches Wort gerichtet; die Mädchen und die alten Weiber lauschten stumm und bleich in wilder Verwunderung auf ihre furchtbare Stimme. – D.Hg.

Collin's Ode to Fear.

Vidaldis und seines Dieners Wunden wurden von dem Benedictiner, der sie untersucht und verbunden hatte, nicht tödtlich befunden, aber mit einem von den Helfershelfern, die sie niedergeworfen hatten, stand es sehr gefährlich. Einige Wenige von den Brüdern zeigten viel Mitleid und Güte gegen die Gefangnen, die Meisten aber schienen sich zu fürchten, irgend Theilnahme gegen Personen blicken zu lassen, die unter die heilige Inquisition gefallen waren, und hielten sich sogar von dem Zimmer fern, wo man sie eingesperrt hatte. Sie blieben indeß diesem Zwange nicht lange unterworfen; denn Vivaldi und Paulo wurden gezwungen, ihre Reise wiederum anzutreten, sobald sie sich durch eine kurze Ruhe einigermaßen wieder erholt hatten. Man setzte sie in einen Wagen; allein die Gegenwart zweier Gerichtsdiener hinderten sie, sich Vermuthungen über Ellenas Bestimmung und über die unmittelbare Ursache ihres Unglücks mitzutheilen. Paulo zwar wagte von Zeit zu Zeit ein Wort und trug kein Bedenken zu behaupten, daß die Aebtissin von San Stefano ihre Hauptfeindin sey, daß die Carmeliter-Mönche, die sie unterwegens einholten, ihre Gehülfen wären, die ihren Weg nachgespürt und Kundschaft gegeben hätten, wo man Vivaldi und Ellenen finden könnte.«

»Ich habe es mir wohl eingebildet, daß wir dieser Aebtissin nie entwischen würden,« sagte Paulo, »obgleich ich Sie und die arme Signora Ellena nicht damit betrüben wollte; die Aebtissinnen sind so listig als ein Inquisitor, und haben eine solche Sucht zu regieren, daß sie, gleich der Inquisition, lieber einen ehrlichen Menschen zum Teufel schicken, als ihn nirgends hinschicken würden.«

Vivaldi gab Paulo'n einen bedeutenden Blick, um seine unbesonnene Geschwätzigkeit zu unterdrücken, und versank dann wieder in Stillschweigen und Abgezogenheit Versunkenheit. eines tiefen Schmerzes. Die Gerichtsdiener sprachen kein Wort, merkten aber auf alles, was Paulo sagte, der Ihre Aufmerksamkeit wohl wahrnahm, sie aber zu sehr verachtete, um sich ihretwegen Zwang aufzulegen; ja er setzte sogar einen Stolz darin, seine Schmähungen zu übertreiben, und die Wuth dieser Menschen aufs äußerste zu treiben. Wenn Vivaldi durch eine kühne Schmähung aus seinem Tiefsinn gerissen, seinen Unverstand zurück zu halten versuchte, so begnügte sich Paulo zu sagen:

»Es ist ihre eigne Schuld; warum haben sie sich in meine Gesellschaft begeben wollen? Laßt sie nun genug daran haben, und wenn sie mich vor ihre ehrwürdigen Herren führen, so sollen die auch genug bekommen. Ich will ein Lied vor der Inquisition anstimmen, wie sie es nicht alle Tage hören; ich will alle Schellen an ihren Narrenkappen schütteln, und ihnen ehrlich die Wahrheit sagen; wenn sie mich auch noch so sehr dafür büßen lassen.«

Vivaldi erhub sich noch einmal, und ernstlich besorgt für die Folgen, welche der ehrliche Paulo sich zuziehen könnte, befahl er ihm durchaus zu schweigen und fand Gehorsam.

Sie reisten die ganze Nacht durch und hielten nur an, um Pferde zu wechseln. Bei jedem Posthause sah sich Vivaldi nach einem Wagen um, der vielleicht Ellena einschlösse; allein er entdeckte keinen, und kein Geräusch von Rädern verrieth ihm ihre Nähe.

Mit der Morgendämmerung wurde er den Dom St. Petri gewahr, der schwach über die Ebnen, welche Rom umgeben, hervorragte; und er erfuhr zum erstenmal, daß er nach den Gefängnissen der Inquisition in dieser Stadt gebracht würde.

Nachdem sie einige Stunden in einer kleinen Stadt geruht hatten, bemerkte Vivaldi, daß die Wache verändert war, und daß nur der Gerichtsdiener, der bei ihm im Zimmer geblieben war, unter den neuen Gesichtern erschien, welche ihn umgaben. Die Kleidung und das ganze Aeußre dieser Menschen war sehr verschieden von ihren Vorgängern. Ihr Betragen war gemäßigter; allein ihr Gesicht verrieth mehr finstre Grausamkeit mit einer schlauen Boßheit und feierlichen Selbstwichtigkeit vermischt, welche sie auf den ersten Blick, als zur Inquisition gehörig, verrieth. Sie beobachteten ein beinahe unverbrüchliches Stillschweigen und wenn sie jemals sprachen, so waren es nur kurze Sentenzen. Auf Paulo's überfließende Fragen und die wenigen ernstlichen Bitten seines Herrn, ihm von Ellenas Aufenthalte Nachricht zu geben, antworteten sie nichts, und alle geistreichen Ausfälle seines Bedienten gegen Inquisitoren und gegen das heilige Amt hörten sie mit dem tiefsten Ernste.

Vivaldin fiel die Veränderung der Wache und noch mehr das Ansehn der Personen, aus welchem sie jetzt bestand, sehr auf. Wenn er das Betragen der erstern mit dem der jetzigen verglich, so glaubte er bei jenen blos die Barbarei von gedungnen Mördern, bei den letztern aber die Grundsätze von List und Grausamkeit zu erkennen, welche besonders die Inquisitoren bezeichnen; er war geneigt zu glauben, daß man ihn durch List gefangen hätte, und daß er erst jetzt wirklich in der Gewahrsam des furchtbaren Gerichtes wäre.

Es war beinahe Mitternacht, als die Gefangnen das Porto del Popolo betraten und sich mitten im Carnival zu Rom befanden. Der Corso, durch welchen sie passiren mußten, war gedrängt von bunten Equipagen und Masken, von Prozessionen der Musikanten, Mönche und Bänkelsänger; erleuchtet von unzähligen Fackeln und wiedertönend von dem Gerassel der Räder, der sanften Melodie der Serenaden und dem Scherz und Gelächter der Nachtschwärmer, die muthwillig ihre Zuckerkerner umher warfen. Die drückende Hitze machte es nothwendig, die Fenster der Kutsche zu öffnen, und die Gefangnen sahen folglich alles, was außen vorgieng. Es war eine Scene, die mit Vivaldis Gefühl und Lage grausam abstach: fortgerissen von derjenigen, die er aufs zärtlichste liebte, in schrecklicher Ungewißheit über ihr Schicksal, und vor ein Tribunal geschleppt, dessen geheimnißvolles, furchtbares Verfahren selbst den beherztesten Geist erbeben macht.

Vivaldis Herz erkrankte, wenn er auf die glänzende Menge sah, durch welche der Wagen langsam sich seinen Weg bahnte; aber Paulo erinnerte sich dabei an den Corso von Neapel zur Zeit, des Carnevals und fand, bei der Vergleichung der gegenwärtigen Scene mit der seiner Vaterstadt, Fehler an allem, was er sah. Die Kleider waren nicht geschmackvoll, die Equipagen nicht glänzend, das Volk nicht munter genug; doch war der Hang seines Herzens, mit allem Fröhlichen zu sympathisiren, so groß, ihn auf einige Augenblicke vergessen zu lassen, daß er ein Gefangner auf dem Wege nach der Inquisition, ja sogar daß er ein Neapolitaner war; während er gegen das Abgeschmackte eines römischen Carnevals zu Felde zog, würde er aus dem Wagenfenster gesprungen seyn, um an der Fröhlichkeit Theil zu nehmen, wenn nicht seine Fesseln und Wunden ihn verhindert hätten. Ein tiefer Seufzer von Vivaldi rief seine schwärmende Einbildungskraft zurück, und wenn er den Kummer in seines Herrn Gesicht bemerkte, so flohen alle seine leichten fröhlichen Geister!

»Mein Herr! mein theuerster Herr! –« sagte er, und wußte nicht, wie er hervorbringen sollte, was er auszudrücken wünschte.

In diesem Augenblick giengen sie vor dem Theater San Carlo vorüber, vor dessen Thüren sich Equipagen drängten, wo römische Damen in ihren Galakleidern, Höflinge in phantastischem Anzuge und Masken aller Art, nach der Opera eilten. Mitten auf dieses fröhliche Gewühl, wo der Wagen nicht fortdringen konnte, blickten die Diener der Inquisition mit mürrischem Stillschweigen herab; kein Muskel ihres Gesichts erweichte sich zur Theilnahme, keine Runzel des Selbstdünkels, der ihre Stirne zusammenzog, glättete sich; und während sie mit geheimer Verachtung auf diejenigen herabsahen, die sich so leicht amüsiren konnten, betrachtete das vielleicht klügere Volk seiner Seits wiederum mit Verachtung den stolzen Murrsinn, der es ausschlug, an unschuldigen Vergnügungen Theil zu nehmen, weil sie geringfügig waren, und schrack vor Gesichtern zurück, auf welchen finstre Grausamkeit tiefe Furchen gezogen hatte. Sobald man aber ihren Stand erkannte, wich ein Theil der Menge erschrocken vom Wagen zurück, während ein andrer sich neugierig vordrängte.

Aus dem Corso fuhren sie einige Meilen weit durch dunkle, verödete Strassen, wo nur hie und da eine Lampe, hoch vor dem Bilde eines Heiligen hängend, ihr schimmerndes Licht ausgoß, und wo ein melancholisches, allgemeines Stillschweigen herrschte. Von Zeit zu Zeit zeigte wohl der Mond, wenn die Wolken hinweg schwanden, auf einen Augenblick einige dieser mächtigen Denkmähler von Roms unsterblichem Namen; diese geheiligten Ruinen, diese gigantischen Skelette, welche einst eine Seele einschlossen, deren Kraft eine Welt regierte! Selbst Vivaldi konnte nicht gleichgültig die Größe dieser Reliquien ansehn, wenn der Mondstrahl auf die grau bewachsnen Mauern und Säulen fiel, oder zwischen diesen Scenen der alten Geschichte hingleiten, ohne einen melancholischen Schauder, eine heilige Begeisterung zu fühlen die ihn von sich selbst abzog. Allein die Täuschung war nur vorübergehend; sein eignes Unglück lag zu schwer auf ihm, um lange ungefühlt zu bleiben, und seine Begeisterung verschwand wie das Mondlicht.

Ein wiederkehrender Strahl beleuchtete bald darauf den großen und wüsten Platz, über welchen der Wagen hinfuhr. Nach seiner Verödung und den längs den Seiten fern von einander zerstreuten Ruinen zu urtheilen, schien es ein Theil der Stadt zu seyn, den die neuern Einwohner ganz als Reliquie ihrer vorigen Größe verlassen hatten. Nicht einmal der Schatten eines menschlichen Wesens kreuzte über die Wüste, eben so wenig war irgend ein Gebäude zu sehen, welches ihm hätte Schutz geben können.

Doch kündigte der tiefe Ton einer Glocke, der durch die stumme Nacht hinrollte, an, daß nicht weit davon menschliche Wohnungen seyn müßten; und Vivaldi sah wirklich in der Ferne einen Umfang von hohen Mauern und Thürmen, die, so weit das Auge durch die Dunkelheit dringen konnte, den Horizont begränzten. Er hielt dieses für die Gefängnisse der Inquisition. Paulo machte ihn in demselben Augenblick darauf aufmerksam.

»Ach Signor,« sagte er niedergeschlagen, »das ist der Ort! welche starke Befestigung! Wenn unser gnädiger Herr, der Marquis, nur sehn sollte, wohin wir gebracht werden. Ach! –«

Er schloß mit einem tiefen Seufzer und versank wieder in den Zustand stummer Angst und Erwartung, den er, seit sie den Corso verließen, erlitt.

Als der Wagen die Mauern erreicht hatte, folgte er ihren Krümmungen bis zu einer beträchtlichen Ferne. Diese Mauern von unermeßlicher Höhe und verstärkt durch unzählige massive Bollwerke, zeigten weder Fenster noch Gitter, sondern eine weite, öde Leere – nur hie und da unterbrach ein kleiner runder Thurm, auf den Spitzen schwebend, die Einförmigkeit.

Sie kamen durch den Haupteingang: denn dafür hielten sie es nach der Größe des Portals und der gigantischen Höhe der Thürme, die über ihm aufstiegen, und bald darauf hielt der Wagen an einem stark vergitterten Schwibbogen-Wege still. Einer von ihren Begleitern stieg aus, und nachdem er an das Gitter geklopft hatte, öffnete sich sogleich eine Flügelthüre und ein Mann mit einer Fackel, grimmig von Blick und trübe wie die Verzweiflung, erschien hinter dem Gitter.

Es wurde kein Wort zwischen ihm und der Wache gewechselt; sobald er aber sah, wer außen war, öffnete er das eiserne Thor; die Gefangnen stiegen aus und giengen mit den beiden Gerichtsdienern unter den Schwibbogen; die Wache folgte mit einer Fackel. Sie stiegen einige breite Stufen hinab, an deren Fuße ein andres eisernes Thor sie in eine Art von Halle einließ; so schien es wenigstens Vivaldi zuerst, als seine Augen durch die dunkle Fläche hinblickten, die nur schwach von einer Lampe beleuchtet war, welche von der Mitte der Decke herunter hieng. Kein menschliches Wesen erschien und es herrschte eine todtengleiche Stille; weder die Gerichtsdiener noch die Wache sprachen, und auch kein Ton in der Ferne widerlegte den Gedanken, daß sie durch Wohnungen der Todten giengen. Vivaldi fiel es ein, daß dies eines der Leichengewölbe der Schlachtopfer wäre, welche in der Inquisition litten und sein ganzer Körper bebte von Schauer. Verschiedne Gänge, die von diesem Zimmer ausliefen, schienen zu fernen Wohnungen dieses unermeßlichen Gebäudes zu führen; allein noch immer flüsterte kein Fußtritt längs dem Fußboden, keine Stimme rauschte durch die gewölbten Dächer, die es als Wohnung der Lebendigen verrathen hätte.

Nachdem sie einen von den Gängen betreten hatten, bemerkte Vivaldi eine schwarz gekleidete Person, die mit einer brennenden Fackel in der Hand schweigend in der fernen Aussicht gieng, und erkannte nur zu gut aus seiner Kleidung, daß es ein Mitglied dieses furchtbaren Tribunals war.

Das Geräusch ihrer Fußtritte schien den Fremden zu erreichen; er drehte sich um und stand still, während die Gerichtsdiener heran nahten. Sie machten einige Zeichen gegen einander, und wechselten einige Worte, die weder Vivaldi noch sein Bedienter verstehen konnten, worauf der Fremde mit seiner Fackel auf einen andern Weg zeigte und verschwand. Vivaldi folgte ihm mit den Augen, bis eine Thüre am äußersten Ende des Ganges sich öffnete und er den Inquisitor in ein Zimmer treten sah, aus welchem ein großes Licht hervorgieng, und wo verschiedne andre Figuren, wie er gekleidet, auf ihn zu warten schienen. Die Thüre wurde sogleich verschlossen, und es sey nun, daß Vivaldis Einbildungskraft in Unordnung gebracht war, oder daß er wirklich diese Töne hörte, er glaubte, als die Thüre sich zuthat, ein halb ersticktes Winseln als von einer Person in letzten Zügen zu vernehmen.

Der Gang, durch welchen die Gefangnen giengen, führte endlich in ein Zimmer, finster wie das erste, aber noch weit größer. Die Decke wurde von Schwibbogen und langen Säulenreihen getragen, die von jeder Seite des Zimmers als von einem Centralpunkt ausliefen und sich in der Dunkelheit verloren, welche die Strahlen der düstern zwischen jedem Bogen hängenden Lampen nur schwach durchdrangen.

Hier blieben sie, und bald nachher trat ein Mann auf sie zu, den sie für den Kerkermeister hielten, und dessen Händen Vivaldi und Paulo überliefert wurden. Nachdem sie einige wenige geheimnißvolle Worte gewechselt hatten, gieng einer von den Gerichtsdienern durch den Saal und stieg eine breite Treppe herauf, während der Kerkermeister und die Wache unten blieben, als erwarteten sie seine Zurückkunft.

Es verstrich eine lange Zwischenzeit, und die Stille wurde nur zuweilen durch das Zumachen einer Thüre und dann wieder durch undeutliche Töne unterbrochen, welche Vivaldi noch immer wie Klagen und abgepreßtes Winseln schienen. Inquisitoren in ihren langen schwarzen Mänteln kamen von Zeit zu Zeit aus den Gängen hervor und giengen durch den Saal. Sie sahen die Gefangnen mit Neugier, aber ohne Mitleid, an. Ihre Gesichter, wenige ausgenommen, schienen mit teuflischer Schrift gestempelt. Vivaldi konnte die kalte Grausamkeit oder barbarische Ungeduld auf ihren Gesichtern nicht anblicken, ohne das Unglück eines Nebengeschöpfes darin zu lesen, das Schicksal, welches zu bestätigen sie selbst in diesem Augenblick beschäftigt schienen: wie sie mit tonlosem Schritt vor ihm vorüber giengen, schrak er vor ihrem Anblick zurück, als hätten selbst ihre Blicke eine übernatürliche Kraft und könnten den Tod geben. Doch folgte er ihren dahin gleitenden Gestalten, als sie zu ihrem Werke des Schreckens fortschritten, bis der letzte schimmernde Strahl in Dunkelheit schwand und erwartete, andre Thüren von andern Zimmern sich aufthun zu sehn, um sie zu empfangen. Während er über diese Greuel nachdachte, verlor sich jede eigennützige Betrachtung in Erstaunen und Unwillen über die Leiden, welche die wahnsinnige Ruchlosigkeit des Menschen, der selbst in dem Augenblick, wo er sie auflegt, seines Schlachtopfers durch die Versicherung, daß ein solches Verfahren gerecht und nothwendig sey, spottet, seinem Nebenmenschen bereitet.

»Ist es möglich,« sagte Vivaldi zu sich selbst – »kann dieses in der menschlichen Natur liegen! Kann eine solche schreckliche Verdrehung des Rechts erlaubt seyn! Kann der Mensch, der sich mit Vernunft begabt, und unermeßlich weit über jedem andern geschaffnen Wesen dünkt, sich selbst zur Begehung einer so schrecklichen Thorheit, einer solchen eingefleischten Grausamkeit bereden, die alle Handlungen des unvernünftigsten, wilden Thieres übersteigt! Thiere schlachten nicht mit Ueberlegung ihr eignes Geschlecht: nur dem Menschen, ihm allein, der stolz auf seinen Vorzug der Vernunft ist und sich seines Gefühls von Gerechtigkeit rühmt, bleibt es vorbehalten, die schrecklichsten Gränzen der Thorheit und Gottlosigkeit zu vereinigen!«

Vivaldi war das Daseyn dieses Tribunals nicht unbekannt gewesen; er hatte lange die Art dieser Stiftung Institution. gekannt und oft die Gewohnheiten und Gesetze desselben beschreiben hören; allein ob er gleich immer daran geglaubt hatte, schien sich doch erst jetzt die Ueberzeugung seinem Verstande aufzudringen. Eine neue Ansicht der menschlichen Natur schien auf einmal in seine Seele einzugehn, und sein Erstaunen hätte nicht größer seyn können, wenn man ihn in diesem Augenblick zum erstenmal von der ganzen Stiftung unterrichtet hätte. Wenn er aber an Ellena dachte, daß sie in der Macht dieses Gerichtes war, und daß sie sich wahrscheinlich diesen Augenblick in denselben schrecklichen Mauern befände, so trieben Schmerz, Unwillen und Verzweiflung ihn beinahe zum Wahnsinn. Er schien plötzlich mit übernatürlicher Stärke belebt und bereit, Unmöglichkeiten für ihre Befreiung zu unternehmen. Er mußte alle Herrschaft über sich selbst aufbiethen, um nicht die Bande zu zerreissen, die ihn umschlossen hielten, und einen verzweifelten Versuch zu machen, sie im weiten Umfange dieser Gefängnisse aufzusuchen.

Das Nachdenken hatte ihn indeß nicht so ganz verlassen, daß er nicht die Unmöglichkeit eines solchen Unternehmens in dem Augenblick, wo er es faßte, hätte einsehen sollen, und er enthielt sich, in das lichte Verderben sich zu stürzen, wohin es ihn geführt haben müßte. Seine so zurückgehaltnen Leidenschaften schienen Tugenden zu werden und sich in der Energie seines Muthes und seiner Fassung zu zeigen. Seine Seele wurde finster und stark in der Verzweiflung, und sein Gesicht und Wesen nahm eine ruhige Würde an, welche selbst seinen Wächtern eine gewisse Ehrfurcht aufzulegen schien. Er fühlte den Schmerz seiner Wunden nicht länger; es schien, als hätte die Stärke seiner geistigen Fähigkeiten die Schwachheiten des Körpers selbst überwunden, und vielleicht hätte er in diesem exaltirten Zustande die Qualen der Folter sogar ohne Beben ertragen.

Paulo beobachtete indessen stumm und ernsthaft alles, was vorgieng; er bemerkte die Revolution in seines Herrn Gemüthe anfangs mit Schmerz und dann mit Erstaunen; allein er konnte seine erhabne Stärke und Festigkeit nicht nachahmen. Wenn er die Dunkelheit und Macht, die ihn umgab, und die Gesichter der vorübergehenden Inquisitoren ansah, so wandelte ihn eine Reue an, daß er seine Meinung über dieses Gericht in Gegenwart seiner Agenten so frei gesagt hatte, und er fieng an zu ahnden, daß, wenn er den Ton, womit er gedroht hatte, wirklich anstimmte, es allem Vermuthen nach der letzte seyn würde, den man ihm je in dieser Welt hervorzubringen erlaubte.

Endlich gieng der Hauptanführer die Treppe herunter, und befahl Vivaldi, ihm sogleich zu folgen. Paulo wollte seinen Herrn begleiten, wurde aber von der Wache zurückgehalten, die ihm sagte, daß man eine andre Verfügung mit ihm treffen würde. Dies war der Augenblick seiner schwersten Prüfung: er erklärte, daß er sich nimmermehr von seinem Herrn würde trennen lassen.

»Warum hätte ich sonst verlangt, hieher gebracht zu werden, wenn ich nicht alles Ungemach mit dem Signor theilen wollte? Ich denke, dies ist kein Ort, den man zum Vergnügen besucht, und ich kann Ihnen wohl sagen, meine Herren, daß ich Ihnen nicht um hundert Meilen zu nahe gekommen seyn würde, wäre es nicht um meines Herrn willen geschehen.«

Die Wache unterbrach ihn unfreundlich, und wollte ihn hinweg führen, als Vivaldis gebietende Stimme sie zurückhielt. Er kam zurück, um einige Worte des Trostes mit seinem treuen Diener zu sprechen, und Abschied von ihm zu nehmen, da sie getrennt werden sollten.

Paulo umfaßte seine Knie und erklärte weinend, mit einer von Thränen beinahe erstickten Stimme, daß keine Gewalt ihn von seinem Herrn reissen sollte, so lange ein Lebensfunken in ihm wäre; er forderte zu wiederholtenmalen die Wache mit den Worten auf:

»Warum verlangte ich wohl hieher gebracht zu werden? Ist wohl jemals ein Mensch zum Vergnügen hieher gekommen? Welches Recht haben Sie, mich zu verhindern, daß ich meines Herrn Leiden theile?«

»Dies Vergnügen sind wir euch keinesweges zu entziehen gesonnen,« erwiederte einer von der Wache.

»Wirklich nicht? Dafür segne euch der Himmel!« rief Paulo, indem er von seinen Knieen aufsprang, und dem Manne mit einer Heftigkeit, die einem weniger robusten Menschen beinahe die Schulter würde verrenket haben, die Hand drückte.

»So kommt mit uns,« fuhr die Wache fort, und riß ihn von Vivaldi. Paulo wurde nun wüthend, riß sich mit Gewalt von der Wache los, und fiel seinem Herrn aufs neue zu Füßen, der ihn aufhob und umarmte und ihn zu bewegen suchte, sich ruhig dem, was unvermeidlich wäre, zu unterwerfen, und das Beste zu hoffen.

»Ich lebe der Zuversicht, daß unsre Trennung nur kurz seyn wird,« sagte Vivaldi, »und daß wir uns glücklicher wieder sehn werden. Meine Unschuld muß bald an den Tag kommen.«

»Nie, nie werden wir uns in dieser Welt wieder sehn, Signor mio,« sagte Paulo heftig schluchzend – »machen Sie mir nur doch keine Hoffnung. Die alte Aebtissin weiß zu gut, was sie thut, als daß sie uns so davon lassen sollte; warum sollte sie uns sonst mit solcher List eingefangen haben? Was hilft die Unschuld! Ach, wenn nur der gnädige Herr Marquis wüßte, wo wir sind!«

Vivaldi unterbrach ihn und wandte sich zu der Wache.

»Ich empfehle meinen treuem Diener euerm Mitleid,« sagte er; »er ist unschuldig. Vielleicht kommt eine Zeit, wo es in meiner Macht seyn wird, euch für alle Nachsicht, die ihr gegen ihn haben werdet, zu belohnen, und ich werde sie tausendmal höher schätzen, als alles, was ihr mir selbst erweisen könntet. Lebe wohl, Paulo – lebe wohl! Gerichtsdiener, ich bin bereit.«

»O bleiben Sie, Signor! bleiben Sie nur noch einen Augenblick,« sagte Paulo.

»Wir können nicht länger warten,« sagte die Wache, und riß Paulo fort, der sich kläglich nach Vivaldi umsah, und zu wiederholtenmalen abwechselnd ausrief: »Leben Sie wohl, bester Herr! leben Sie wohl! – und: Warum verlangte ich doch hieher gebracht zu werden? – Wozu das, wenn ich nicht, meines Herrn Schicksal theilen sollte?« bis Vivaldi ihm weit aus dem Gesicht und Gehör war.

Vivaldi folgte seinem Führer die Treppe hinauf durch eine Gallerie in ein Vorzimmer, wo er ihn einigen Leuten, die dort warteten, in Verwahrung lieferte und hinter einer Flügelthüre verschwand, die zu den innern Zimmern führte. Ueber dieser Thüre stand eine Inschrift in Hebräischen Buchstaben, mit Blutfarbe geschrieben. Dantes Inschrift beim Eingange in die höllischen Regionen würde einem Orte angemessener gewesen seyn, wo jeder Umstand und Zug laut auszurufen schien: » Hoffnung, die du alle Menschen besuchest, komm nicht hieher!«

Vivaldi vermuthete, daß man in diesem Zimmer die Werkzeuge für ihn bereitete, womit man ein Geständniß erpressen wollte: und so wenig er auch von dem regelmäßigen Verfahren dieses Tribunals wußte, hatte er doch immer gehört, daß man den Angeklagten auf die Folter spannte, bis er das Verbrechen, dessen er angeschuldigt war, bekannte. Durch ein solches Verfahren mußte unfehlbar der Unschuldige länger als der Schuldige leiden: denn da er nichts zu bekennen hatte, beharrte natürlich der Inquisitor, der Unschuld für Hartnäckigkeit mißdeutete, bei seinen aufgelegten Strafen und es geschah häufig, daß er Unschuldige zwang, Verbrecher zu werden, und eine Falschheit zu behaupten, um sich nur von der Qual zu befreien, die sie nicht länger ertragen konnten. Vivaldi überlegte diesen Umstand mit Unerschrockenheit: jede Kraft seiner Seele wurde zu Festigkeit und Ausdauer aufgerufen. Er glaubte einzusehn, daß die Klage, die gegen ihn vorgebracht wurde, in ihrem ganzen Umfang eben so falsch war, als eine scheinbare Bestätigung derselben sowohl für ihn als Ellena schreckliche Folgen nach sich ziehn müßte. Doch wußte er, daß man jeden Kunstgriff aufbiethen würde, ihn zu dem Geständniß zu bringen, eine Nonne entführt zu haben; auch wußte er, da der Kläger und die Zeugen bei schweren Anklagen nie mit dem Gefangnen zusammen verhört werden, ja, da man ihre Namen sogar vor ihm verbirgt, daß es ihm kaum möglich seyn würde, seine Unschuld zu beweisen. Doch stand er nicht einen Augenblick an, sich für Ellena aufzuopfern, entschlossen, lieber unter den unbarmherzigen Streichen der Inquisition umzukommen, als eine Falschheit auszusagen, die sie ins Verderben stürzen könnte.

Der Gerichtsdiener erschien endlich und winkte Vivaldi, hervor zu treten und Haupt und Arme zu entblößen. Er führte ihn darauf durch die Flügelthüre in das Zimmer, zog sich auf der Stelle zurück und die Thüre, welche die Hoffnung ausschloß, that sich nach ihm zu.

Vivaldi fand sich in einem geräumigen Zimmer, wo er nur zwei Personen sah, die an einem langen Tische, der die Mitte des Zimmers einnahm, saßen. Sie waren beide schwarz gekleidet; der eine, der, nach seinem durchdringenden Blick und außerordentlicher Gesichtsbildung zu urtheilen, ein Inquisitor schien, trug eine Art von schwarzem Turban auf dem Kopfe, der die natürliche Strenge seines Gesichtes erhöhte; der andre war unbedeckt, und seine Arme bis an den Ellbogen aufgestreift. Ein Buch, nebst einigen sonderbar aussehenden Instrumenten lag vor ihm. Rings um den Tisch standen verschiedne leere Stühle, auf deren Lehne man bildliche Zeichen sah; am obern Ende des Zimmers streckte sich ein riemenförmiges Kreuz beinahe bis an die gewölbte Decke empor und am andern Ende hieng von einem Bogen in der Wand ein dunkler Vorhang herab; ob er aber ein Fenster verhüllte, oder einen zu des Inquisitors Absichten nothwendigen Gegenstand oder Person verbarg ließ sich nicht beurtheilen.

Der Inquisitor rief Vivaldi näher heran zu kommen, und als er den Tisch erreicht hatte, gab er ihm ein Buch in die Hand und hieß ihn schwören, daß er die Wahrheit aussagen und für immer geheim halten wollte, was er in diesem Zimmer hörte oder sähe.

Vivaldi besann sich, einem so unberufnen Befehl zu gehorchen. Der Inquisitor erinnerte ihn durch einen Blick, nicht zu vergessen, daß er unumschränkt hier geböthe; allein Vivaldi besann sich noch immer.

»Soll ich in meine eigne Verdammniß einwilligen?« sagte er zu sich selbst. »Die Bosheit von Teufeln wie diese kann die unschuldigsten Umstände zu Anklagen für mein Verderben verdrehn, und ich muß alle Fragen beantworten, die sie vorzulegen gut finden. Und soll ich auch schwören, zu verheelen, was ich in diesem Zimmer mit ansehen werde, da ich weiß, daß man die teufelmäßigsten Grausamkeiten stündlich hier ausübt?«

Der Inquisitor befahl ihm noch einmal mit einer Stimme, vor der ein weniger standhaftes Herz würde erbebt seyn, zu schwören, und machte zu gleicher Zeit der Person, die am andern Ende des Tisches saß und ein Unterbedienter zu seyn schien, ein Zeichen.

Vivaldi schwieg noch, aber er fieng an zu überlegen, daß man ihn unmöglich auf die Folter bringen könnte, da er sich keines Verbrechens bewußt war, und daß bei allem, was er mit ansehen würde, sein Eid der Verschwiegenheit ihn an keinem Guten verhindern könne, weil seine strengste Anklage doch nichts gegen die höchste Gewalt dieses Gerichts auszurichten vermöchte. Da er also nicht einsah, daß aus der Verweigerung seines Eides etwas Gutes entstehn könnte, während er von Widersetzlichkeit alles zu fürchten hatte, so willigte er ein, ihn abzulegen. Demohngeachtet, als er das Buch an seine Lippen brachte und den schrecklichen Eid, den man ihm vorschrieb, aussprechen wollte, kehrten Unentschlossenheit und Widerwillen aufs neue in seine Seele zurück und eine Eiskälte drang an sein Herz. Er war in solcher Bewegung, daß die dem Anschein nach geringfügigsten Umstände in diesem Augenblick Gewalt über seine Einbildungskraft hatten.

Als er zufällig die Augen auf den Vorhang warf, den er zuvor ohne besondre Empfindung bemerkt hatte, schien es ihm, daß er sich bewegte, und es überlief ihn ein Schauer, indem er beinahe erwartete, eine Person, einen Inquisitor vielleicht, so schrecklich als der vor ihm, oder einen Ankläger, so boshaft als Schedoni, sich dahinter hervorschleichen zu sehn.

Nachdem der Inquisitor den Eid vorgelegt, und der Beisitzer ihn in sein Buch eingetragen hatte, begann die Untersuchung. Zuerst wurde, wie gewöhnlich, nach dem Namen und Titel von Vivaldi und seiner Familie, und nach dem Orte des Aufenthalts gefragt, worauf er vollständig antwortete, und alsdann befragte ihn der Inquisitor, ob er die Art der Anklage kennte, um derentwillen man ihn in Verhaft genommen hätte.

»Der Verhaftsbefehl unterrichtete mich,« erwiederte Vivaldi.

»Bedenken Sie wohl, was Sie sagen, und erinnern Sie sich Ihres Eids. Was war der Grund der Anklage?«

»Ich verstand,« sagte Vivaldi, »daß man mich anklagte, eine Nonne aus ihrem heiligen Schutzorte entführt zu haben.«

Ein schwacher Ausdruck von Ueberraschung erschien auf der Stirne des Inquisitors.

»Sie gestehen es also ein?« sagte er nach der Pause eines Augenblicks, indem er dem Secretair ein Zeichen gab, der sogleich Vivaldis Worte aufschrieb.

»Ich leugne es feierlich,« erwiederte Vivaldi; »die Anklage ist falsch und boshaft.«

»Erinnern Sie sich des Eides, den Sie geschworen haben!« wiederhohlte der Inquisitor, »und wissen Sie zugleich, daß solchen, die ein volles Geständniß ablegen, Barmherzigkeit wiederfährt, daß aber denjenigen, welche so thöricht und halsstarrig sind, die Wahrheit zu verheelen, die Folter bevorsteht.«

»Wenn Sie mich foltern wollen, bis ich die Richtigkeit dieser Anklage eingestehe,« sagte Vivaldi, »so muß ich unter Ihren Streichen umkommen; denn wie soll ein Leiden mich dahin bringen, eine Falschheit auszusagen? Es ist nicht die Wahrheit, was Sie suchen; nicht der Schuldige, den Sie strafen; die Unschuldigen, die keine Verbrechen zu bekennen haben, sind die Schlachtopfer Ihrer Grausamkeit, oder müssen Verbrecher werden und eine Lüge sagen, um ihr zu entwischen.«

»Besinnen Sie sich,« sagte der Inquisitor finster; »Sie sind nicht hieher gebracht, um anzuklagen, sondern um Anklagen zu beantworten. Sie sagen, daß Sie unschuldig sind, und doch gestehn Sie, mit dem Gegenstand der Anklage gegen Sie bekannt zu seyn! Wie könnten Sie ihn wissen, ausser die Stimme des Gewissens!«

»Aus den Worten ihres eignen Befehls, und aus den Worten Ihrer Diener, die mich in Verhaft nahmen.«

»Wie!« rief der Inquisitor, »notiren Sie das,« auf den Secretair zeigend – »er sagte, aus den Worten unsres Befehls; und wir wissen, daß Sie diesen Befehl nie gelesen haben. Auch sagt er, aus den Worten unsrer Diener – er weiß also nicht, daß eine solche Verletzung der Verschwiegenheit augenblicklich mit dem Tode würde gestraft werden?«

»Es ist wahr, daß ich den Befehl nicht gelesen habe;« erwiederte Vivaldi, »und eben so wahr, daß ich es nie behauptete: der Mönch, der ihn las, sagte mir, welche Anklage er enthielte, und Ihre Diener bestätigten es.«

»Nichts weiter von diesen Ausflüchten,« sagte der Inquisitor, »sprechen Sie nur was zur Sache gehört.«

»Ich will meine Aussagen nicht verdrehen, noch meine Worte gegen mich selbst kehren lassen,« erwiederte Vivaldi. »Ich habe geschworen, nur die Wahrheit zu reden; wenn Sie also glauben, ich verletze meinen Eid, und an meinen geraden, und einfachen Worten zweifeln, so will ich nichts weiter reden.«

Der Inquisitor erhub sich halb von seinem Stuhle, und sein Gesicht würde bleicher.

»Verwegner Ketzer,« sagte er, »wollt Ihr die Befehle unsers allerheiligsten Tribunals bestreiten, schmähen und Euch ihnen entziehen! Ihr sollt die Folgen Eurer verzweifelten Ruchlosigkeit lernen. Auf die Folter mit ihm!«

Ein finstres Lächeln schwebte auf Vivaldis Zügen; seine Augen waren ruhig auf den Inquisitor geheftet, und seine Stellung blieb unerschrocken und fest. Sein Muth und die kalte Verachtung, welche seine Blicke verriethen, schienen Eindruck auf seinen Examinator zu machen, der gewahr zu werden schien, daß er mit keiner gemeinen Seele zu thun hatte. Er ließ daher fürs erste, alle schreckliche Maasregeln fahren, nahm sein gewöhnliches Wesen wieder an und fuhr in der Untersuchung fort.

»Wo wurden Sie verhaftet?«

»In der Kapelle San Stefano, am See Celano.«

»Wissen Sie das gewiß?« fragte der Inquisitor. »Wissen Sie gewiß, daß es nicht im Dorfe Legano, auf der Landstraße zwischen Celano und Rom war?«

Vivaldi bestätigte seine Aussage, erinnerte sich aber doch mit Befremdung, daß Legano der Ort war, wo man die Wache wechselte, und erwähnte dieses Umstandes. Der Inquisitor fuhr in seinem Fragen fort, ohne daß er Notiz davon zu nehmen schien:

»Wurde noch Jemand mit Ihnen verhaftet?«

»Es kann Ihnen ja nicht unbekannt seyn,« erwiederte Vivaldi, »daß Ellena di Rosalba, zu eben der Zeit auf die falsche Anklage, eine Nonne zu seyn, die ihre Gelübde gebrochen hätte, und aus dem Kloster entwischt sey, ergriffen wurde; noch daß Paulo Mendrico, mein treuer Diener, ebenfalls zum Gefangnen gemacht ward, ohwohl ich nicht weiß unter welchem Vorwand.«

Der Inquisitor blieb einige Augenblicke in nachdenkendem Stillschweigen und fragte dann obenhin nach Ellenas Familie und ihrem gewöhnlichen Aufenthalt. Vivaldi, der sich scheute, irgend etwas auszusagen, das ihr zum Nachtheil gereichen könnte, verwies ihn an sie selbst; allein die Frage wurde wiederholt.

»Sie ist jetzt in diesen Mauern,« erwiederte Vivaldi, der aus dem Benehmen seines Befragers zu erfahren hoffte, ob seine Furcht gegründet sey, »und kann diese Fragen besser beantworten als ich.«

Der Inquisitor befahl blos dem Notarius, ihren Namen aufzuschreiben und blieb noch einige Augenblicke nachdenkend. Endlich sagte er: »Wissen Sie denn, wo Sie sind?«

Vivaldi lächelte über die Frage und antwortete: »ich erfahre, daß ich im Gefängniß der Inquisition zu Rom bin.«

»Wissen Sie auch, von welcher Art die Verbrechen sind, welche Personen unter die Erkenntniß des heiligen Amtes bringen?«

Vivaldi schwieg.

»Ihr Gewissen sagt es Ihnen, und Ihr Schweigen bestätigt es. Lassen Sie mich Sie noch einmal ermahnen, ein volles Geständniß Ihrer Schuld abzulegen; erinnern Sie sich, daß dieses ein barmherziges Gericht ist, welches denjenigen Gnade wiederfahren läßt, die ihre Verbrechen bekennen.«

Vivaldi lächelte, der Inquisitor aber fuhr fort:

»Es gleicht nicht einigen strengen, wiewohl gerechten Gerichtshöfen, wo unmittelbare Hinrichtung auf das Geständniß eines Verbrechens folgt. Nein, es ist barmherzig, und obgleich es die Schuld straft, bedient es sich doch nie der Folter, außer in dringenden Fällen, wo das hartnäckige Schweigen des Gefangnen einen solchen Schritt fodert. Sie sehen also, was Sie zu vermeiden und zu erwarten haben.«

»Aber wenn der Gefangne nichts zu bekennen hat,« sagte Vivaldi – »können Ihre Foltern ihn schuldig machen? – Vielleicht können Sie ein schwaches Gemüth zwingen, eine Unwahrheit auszusagen; um sich dem gegenwärtigen Schmerz zu entziehn, wird sich vielleicht ein Unbesonnener zum Tode verdammen. Sie werden finden, daß ich kein solcher Thor bin.«

»Junger Mann,« erwiederte der Inquisitor, »Sie werden nur zu bald lernen, daß wir nie anders als auf sichre Autorität, zu Werke gehn, und werden zu spät wünschen, ein aufrichtiges Geständniß abgelegt zu haben. Ihr Schweigen kann uns die Wissenschaft Ihrer Vergehungen nicht nehmen; wir haben Thatsachen in Händen, und Ihre Hartnäckigkeit kann uns weder die Wahrheit aus den Händen winden, noch sie verdrehen. Ihre geheimsten Verbrechen sind bereits in den Büchern der heiligen Inquisition eingetragen; Ihr Gewissen selbst kann sie Ihnen nicht genauer vorspiegeln. Zittern Sie also und verehren Sie! Aber vernehmen Sie, daß, obgleich wir hinlängliche Beweise Ihrer Schuld haben, wir dennoch Ihr Geständniß fordern; und daß die Strafe der Halsstarrigkeit eben so unfehlbar ist, als die jedes andern Vergehens.«

Vivaldi gab keine Antwort, und der Inquisitor setzte nach dem Stillschweigen eines Augenblicks hinzu: »Waren Sie jemals in der Kirche Spirito Santo zu Neapel?«

»Ehe ich diese Frage beantworte,« erwiederte Vivaldi, »fodre ich den Namen meines Anklägers.«

»Sie müssen sich erinnern, daß Sie kein Recht haben, an diesem Orte irgend etwas zu fodern,« merkte der Inquisitor an; »eben so wenig kann es Ihnen unbekannt seyn, daß man den Namen des Angebers stets vor dem Angeklagten verborgen hält. Wer würde es wagen, seine Pflicht zu thun, wenn sein Name willkührlich der Rache des Verbrechers, gegen den er aussagt, Preis gegeben werden sollte? Nur bei einem Privatprozeß wird der Ankläger genannt.«

»Aber die Namen der Zeugen?« – fragte Vivaldi.

»Dieselbe Gerechtigkeit verbirgt auch diese vor der Kenntniß des Angeklagten,« erwiederte der Inquisitor.

»Und wird dem Angeklagten gar keine Gerechtigkeit vergönnt?« sagte Vivaldi. »Wird er verhört und verurtheilt, ohne weiter mit seinem Verfolger, noch mit den Zeugen zusammengestellt zu werden?«

»Sie fragen zu viel,« sagte der Inquisitor, »und antworten zu wenig. Der Angeber ist nicht der Verfolger zugleich; das heilige Gericht, vor welchem die Angabe niedergelegt wird, ist der Verfolger und Ausspender der Gerechtigkeit; sein öffentlicher Ankläger legt die Umstände und Aussagen der Zeugen dem Gerichte vor. Allein schon zu viel davon!«

»Wie,« erwiederte Vivaldi, »ist dieses Gericht zugleich der Verfolger, Zeuge und Richter! Was kann wohl geheime Bosheit bessers wünschen, als solch einen Gerichtshof, vor welchem sie ihren Feind anfallen kann? Der Dolch des Banditen ist nicht so sicher, noch so verderblich für die Unschuld. Ich begreife jetzt wohl, daß es mir zu nichts helfen kann, schuldlos zu seyn; ein einziger Feind ist genug, mich ins Verderben zu stürzen!«

»Sie haben also einen Feind!« merkte der Inquisitor an.

Vivaldi wußte nur zu gut, daß er einen Feind hatte; allein es war kein hinlänglicher Beweis über die Person dieses Feindes vorhanden, um seine Aussage, daß es Schedoni sey, zu rechtfertigen. Der Umstand, daß auch Ellena verhaftet war, würde ihm den Argwohn aufgedrungen haben, daß noch eine andre Person den Absichten des Beichtvaters wenigstens hülfreiche Hand gebothen hätte; wäre nicht seine gutmüthige Leichtgläubigkeit erschrocken vor dem Verdachte zurückgeschaudert, daß einer Mutter Rache ihren eignen Sohn in die Gefängnisse der Inquisition verrathen könnte, wenn gleich seine Mutter eine gewissenlose Grausamkeit gegen eine Fremde zu begehen im Stande war, die ihren Absichten mit ihrem Sohne im Wege stand.

»Sie haben also einen Feind?« wiederhohlte der Inquisitor.

»Daß ich hier bin, ist ein hinlänglicher Beweis davon,« erwiederte Vivaldi; »allein ich bin so wenig irgend eines Menschen Feind, daß ich nicht weiß, wen ich den meinigen nennen soll?«

»Es liegt also am Tage,« merkte der schlaue Inquisitor an, »daß Sie keinen Feind haben, und daß diese Anklage von einem, der die Wahrheit ehrt, und dem das Beste der Römischen Kirche am Herzen liegt, gegen Sie angebracht ist.«

Es erregte Vivaldis Unwillen, die Heiterkeit zu sehen, womit man ihm eine dem Scheine nach so unschuldige Erklärung abgelockt und sie mit solcher schlauen Gewandtheit gegen ihn selbst gekehrt hatte. Ein stolzes und verächtliches Stillschweigen war alles, was er der Verrätherei seines Examinators entgegen setzte, auf dessen Gesicht ein Lächeln des Triumphs und Frohlockens erschien; denn das Leben eines Mitgeschöpfes kam nach seiner Meinung in keinen Betracht gegen den Selbstbeifall der schlauen Kunst – der Kunst zumal, worauf er sich das Meiste zu Gute that – der Kunst seines Standes.

Der Inquisitor fuhr fort: »Sie beharren also darauf, die Wahrheit zu verheelen?«

Er schwieg; weil aber Vivaldi keine Antwort gab, fuhr er fort:

»Da es aus Ihrer eignen Erklärung erhellet, daß Sie keinen Feind haben, den Privatrache hätte bewegen können, Sie anzuklagen, so wie andre Umstände in Ihrem Betragen beweisen, daß Sie sich größerer Schuld bewußt sind, als Sie eingestanden haben, so scheint es, daß die gegen Sie eingegebne Anklage keine boshafte Verläumdung ist. Ich ermahne Sie daher noch einmal, und beschwöre Sie bei unsrer heiligen Religion, ein offenherziges Geständniß Ihrer Vergehungen abzulegen, und sich die Mittel zu ersparen, die man nothwendig anwenden müßte, ein Geständniß von Ihnen herauszubringen. Auch gebe ich Ihnen noch einmal zu bedenken, daß Sie nur durch ein solches offnes Betragen Barmherzigkeit erlangen können, um die Gerechtigkeit dieses allerstrengsten Gerichtes zu besänftigen.«

Da Vivaldi einsah, daß es jetzt höchst nothwendig für ihn war, zu antworten, betheuerte er nochmals feierlich seine Unschuld an dem in dem Verhaftsbefehl gegen ihn angeführten Verbrechen, und sein Bewußtseyn irgend einer Handlung, die ihn der gesetzlichen Ahndung der heiligen Inquisition unterwerfen konnte.

Der Inquisitor fragte ihn noch einmal, worin das angeführte Verbrechen bestände, und als Vivaldi die Anklage wiederhohlt hatte, befahl er dem Secretair aufs neue, sie niederzuschreiben; Vivaldi glaubte dabei eine gewisse Schadenfreude, die er nicht zu erklären wußte, auf seinem Gesichte zu bemerken. Sobald der Secretair fertig war, mußte Vivaldi seinen Nahmen und Stand unter die Aussage setzen.

Der Inquisitor ermahnte ihn, die erhaltne Warnung noch einmal zu erwägen und sich morgen entweder zum Bekenntniß anzuschicken, oder sich der Folter zu unterziehn. Er gab darauf ein Zeichen und die Gerichtsdiener, die Vivaldi ins Zimmer geführt hatten, erschienen sogleich.

»Ihr wißt eure Befehle,« sagte der Inquisitor: »nehmt euren Gefangnen in Empfang und sorgt, daß sie befolgt werden.«

Der Gerichtsdiener verneigte sich und Vivaldi folgte ihm in traurigem Stillschweigen aus dem Zimmer.



 << zurück weiter >>