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Viertes Kapitel.

Along the roofs sounds the low peal of Death
And Conscience trembles to the boding note;
She views his dim form floating o'er the aisles
She hears mysterious murmurs in the air
And voices, strange and potent, hint the crime
That dwells in thought, within her secret soul. Über den Dächern klingt das tiefe Läuten des Todes, und das Gewissen zittert vor dem bösen Ton; sie sieht seine dunkle Gestalt über die Gänge schweben, Sie hört geheimnisvolles Murmeln in der Luft und Stimmen, fremd und mächtig, deuten das Verbrechen an, das in Gedanken, in ihrer tiefsten Seele wohnt. – D.Hg.

Die Marquise verfügte sich der Verabredung gemäß nach der Kirche San Nicolo, wo sie ihren Leuten befahl, mit dem Wagen an einer Seitenthüre zu warten und nur von ihrer Kammerfrau begleitet, das Chor betrat.

Nach geendigter Vesper zögerte sie, bis beinahe alles das Chor verlassen hatte, und gieng dann durch die einsamen Kreuzgänge nach dem nördlichen Kloster. Ihr Herz war so schwer als ihr Schritt; denn können wohl Ruhe und böse Leidenschaften zusammen wohnen? Indem sie langsam durch die Gänge hinschlich, sah sie einen Mönch zwischen den Pfeilern vorübergehn; als er ihr näher kam, schlug er seine Kappe auf; es war Schedoni.

Er bemerkte sogleich die Bewegung ihres Gemüths, und daß sie mit sich selbst noch nicht so einig war, wie er gehofft hatte. Allein so sehr sich auch sein Inneres bewölkte, blieb doch sein Gesicht unverändert; es war ernsthaft und nachdenkend.

Die Marquise hieß ihre Kammerfrau bey Seite gehen, während sie mit ihrem Beichtvater sprach.

»Der unglückselige Knabe,« sagte sie, sobald ihre Begleiterin sich ein wenig entfernt hatte; »wie vieles Leiden legt seine Thorheit seiner Familie auf! Mein guter Vater, ich bedarf Ihres ganzen Rathes und Trostes. Meine Seele wird unaufhörlich von dem Gefühl meines Unglücks gequält; sie hat keinen Frieden. Wachend oder träumend verfolgt mich dieser undankbare Sohn! Die einzige Erleichterung, die mein Herz erhält, ist mit Ihnen zu sprechen, mein einziger Rathgeber, mein einziger uneigennütziger Freund.«

Der Beichtvater verneigte sich.

»Der Marquis ist ohne Zweifel eben so betrübt, als Sie,« sagte er; »allein er ist demohngeachtet weit besser im Stande, Ihnen in dieser bedenklichen Sache zu rathen, als ich.«

»Der Marquis hat Vorurtheile, wie Sie wohl wissen, mein Vater; er ist ein gescheuter Mann, aber er irrt sich oft und ist dann nicht wieder zurückzubringen. Er hat die Fehler eines Gemüths, das blos gut gesinnt ist; es fehlt ihm an Urtheil und an Energie, um groß zu seyn. Wenn die Umstände ein Betragen vorschreiben, das nur im Mindesten von den Regeln der Moralität abweicht, die er von Kindheit auf genährt hat, ohne sie zu untersuchen, so schrickt er zurück. Er vermag nicht die Umstände zu unterscheiden, welche dieselbe Handlung tugendhaft oder lasterhaft machen. Es läßt sich nicht vermuthen, daß er einen kühnen Schritt gut heissen würde.

»Das ist sehr wahr,« sagte der schlaue Schedoni mit einer Miene voll Bewunderung.

»Wir dürfen ihn daher nicht zu Rathe ziehen,« fuhr die Marquise fort, »sonst würde er Einwendungen machen, die wir uns nicht können gefallen lassen. Was in unsern Gesprächen verhandelt wird, mein Vater, ist heilig und darf nicht weiter verbreitet werden.«

»Heilig wie eine Beichte,« sagte Schedoni und machte ein Kreuz.

»Ich weiß nicht,« erwiederte die Marquise und stockte; »ich weiß nicht,« wiederholte sie mit noch leiserer Stimme, »wie man dieses Mädgen los werden kann, und das beunruhigt mein Gemüth.«

»Ich erstaune darüber,« sagte Schedoni. »Wie ist es bei so hellen Begriffen, bei einem so scharf sehenden und doch so kühnen Geiste, als Sie gezeigt haben, möglich, über das, was geschehen muß, unschlüssig zu seyn? Sie werden doch nicht zu den ohnmächtigen Deklamatoren gehören, die wohl stark denken, aber nicht so handeln können. In dem gegenwärtigen Falle bleibt Ihnen nur ein einziges Mittel übrig – dasselbe, auf welches Ihr größerer Scharfsinn fiel, und welches er mich billigen lehrte. Ich muß jetzt diejenige überreden, die mich überzeugt hat! Es giebt nur ein Mittel!«

»Ich habe lange darüber nachgedacht,« erwiederte die Marquise, »und – soll ich meine Schwachheit gestehn – ich kann mich noch nicht entschließen.«

»Ist es möglich, meine Tochter, daß es Ihnen so schwer werden kann, sich im Handeln über gemeine Vorurtheile hinweg zu schwingen, die Sie nach Ihren Grundsätzen verachten?« – sagte Schedoni, der, sobald er wahrnahm, daß er ihr zu Hülfe kommen mußte, um ihr schwankendes Gemüth zu bestimmen, die vorsichtige Zurückhaltung ablegte, hinter welche er sich geflüchtet hatte.

»Wenn dieses Geschöpf durch das Gesetz verurtheilt wäre,« fuhr er fort, »so würden Sie Ihr Urtheil für gerecht erklären, und doch wagen Sie es nicht – ich schäme mich, es zu wiederholen – Sie wagen es nicht, selbst die Stelle der Gerechtigkeit zu vertreten!«

Die Marquise sagte nach einigem Besinnen: »ich habe nicht das Schild der Gerechtigkeit, mich zu beschützen, mein Vater, und die kühnste Tugend mag wohl erzittern, wenn sie den äußersten Rand der Sicherheit erreicht.«

»Nimmer,« erwiederte der Beichtvater mit Wärme; »die Tugend zittert nie; es ist ihr Triumph, ihr erhabenstes Attribut, über die Gefahr hinaus zu seyn, sie zu verachten! Die besten Grundsätze verdienen nicht eher Tugend genannt zu werden, bis sie diese Höhe erreichen.«

Ein Philosoph würde vielleicht in Erstaunen gerathen seyn, zwei Personen in dem Augenblicke, wo sie das abscheulichste Verbrechen aussannen, so ernsthaft über die Gränzen der Tugend vernünfteln zu sehn; ein Weltmann würde es als bloße Heuchelei angesehn haben: allein wer nicht bloß die Sitten im Allgemeinen studierte, sondern sich eine tiefere Kenntniß des menschlichen Herzens erwarb, wird diese anscheinende Inconsequenz nicht unnatürlich finden.

Die Marquise blieb eine Zeitlang stumm und nachdenkend und wiederholte dann bedächtlich: »ich habe nicht das Schild des Gesetzes, mich zu beschützen.«

»Allein Sie haben das Schild der Kirche,« erwiederte Schedoni; »Sie sollen nicht nur Schutz, sondern auch Absolution haben.«

»Absolution! – Bedürfen Tugend – Gerechtigkeit einer Absolution, mein Vater!«

»Wenn ich einer Absolution für die Handlung erwähne, die Sie als gerecht und nothwendig erkennen,« erwiederte Schedoni, »so bequemte ich meine Sprache nach gemeinen Vorurtheilen und gemeiner Schwachheit. Und verzeihen Sie mir, meine Tochter, da Sie von Ihrer Höhe so weit herab fielen, das Schild des Gesetzes zu vermissen, so bemühte ich mich, Sie dadurch zu trösten, daß ich Ihnen ein Schild des Gewissens darboth. Allein genug hievon – lassen Sie uns auf Gründe zurückkommen. Dieses Mädchen wird außer Stand gesetzt, mehr Unheil zu begehen, die Ruhe und Würde einer erhabnen Familie zu kränken – sie wird vor der Zeit zum ewigen Schlafe geschickt – Was für ein Verbrechen, was für Uebel liegt darin? – Sie sehn im Gegentheil und haben mich überzeugt, daß es nur strenge Gerechtigkeit, nur Selbstvertheidigung ist.«

Die Marquise wurde aufmerksam, und der Beichtvater setzte hinzu – »Sie ist nicht unsterblich, und die wenigen Jahre mehr, die ihr vielleicht vergönnt gewesen wären, verdient sie zu verscherzen, weil sie solche nur angewandt haben würde, die Ehre eines erlauchten Hauses zu untergraben.«

»Sprechen Sie leise,« sagte die Marquise, obgleich er beinahe flüsterte – »dieser Gang scheint zwar einsam, allein es könnte doch Jemand hinter den Pfeilern lauschen. Rathen Sie mir, wie die Sache anzufangen ist; ich begreife die nähern Mittel nicht.«

»Ich gestehe, daß die Ausfahrung wohl mit einiger Gefahr verbunden seyn könnte,« erwiederte Schedoni – »ich weiß nicht, wem Sie sich anvertrauen könnten – die Menschen, die ein Gewerbe mit Menschenblut treiben –«

»Still,« sagte die Marquise, die sich rings in der Dämmerung umsah – »ich höre Jemand.« –

»Es ist jener Mönch, der aufs Chor geht,« erwiederte Schedoni.

Sie lauerten einige Augenblicke, worauf er wieder anfieng – »Miethlingen ist nicht zu trauen.«

»Und doch – wer anders als ein Miethling –« unterbrach die Marquise; sie hielt sogleich inne – allein die Frage, die in ihren Worten lag, war dem Beichtvater nicht entgangen.

»Halten Sie mir mein Erstaunen über die Inconsequenz Ihrer Meinungen, oder wie soll ich es sonst nennen, zu Gute,« sagte er. »Wie können Sie nach dem Scharfsinn, den Sie bisher gezeigt haben, zweifeln, daß man aus Grundsätzen diese Handlung begehen kann »that principle may both prompt and perform the deed«: ›dass Erwägung und Ausführung der Tat grundsätzlich gerechtfertigt sind‹. – D.Hg.? – Warum sollten wir Bedenken tragen, das zu thun, was wir für Recht erkennen?«

»Ach, ehrwürdiger Herr,« sagte die Marquise mit Bewegung – – »wo können wir Jemand finden, der Ihnen gleicht? der Ihren Scharfblick im Wahrnehmen, Ihre Energie im Handeln besitzt?«

Schedoni schwieg.

»Ein solcher Freund ist unschätzbar – aber wo sollen wir ihn suchen?«

»Tochter,« sagte der Mönch mit Nachdruck – »mein Eifer für Ihre Familie übersteigt alle Berechnung.«

»Guter Vater,« erwiederte die Marquise, die seine Meinung vollkommen begriff – »ich weiß nicht, wie ich Ihnen danken soll.«

»Schweigen ist oft Beredsamkeit,« erwiederte Schedoni bedeutend »emphatically«: ›mit Nachdruck‹. – D.Hg..

Die Marquise blieb stumm; denn auch ihr Gewissen war beredt. Sie suchte seine Stimme zu überwältigen; allein es wollte sich Gehör verschaffen, und zuweilen drangen solche Blitzstrahlen schrecklicher Ueberzeugung in ihre Seele, daß ihr zu Muthe war, wie Jemandem, der aus einem Traume erwacht, und die Augen nur öffnet, um die Tiefe des Abgrundes zu messen, an welchem er schwankt. In solchen Augenblicken erstaunte sie, daß sie sich nur einen Augenblick mit einem so schrecklichen Gedanken hatte beschäftigen können. Die Sophisterei des Beichtvaters, die Inconsequenzen, die er begangen hatte, und die der Bemerkung der Marquise nicht entgangen waren, obwohl sie sich ihrer eignen nicht bewußt war, wurden ihr nun immer einleuchtender, und sie beschloß beinahe, die arme Ellena leben zu lassen; allein die Leidenschaft kehrte gleich einer Welle, die, vom Ufer zurückgedrängt wird, mit verdoppelter Heftigkeit wieder, und schwemmte die Dämme, welche Vernunft und Gewissen zu errichten begonnen hatten, von ihrem schwachen Gemüthe fort.

»Das Vertrauen, womit Sie mich haben beehren wollen –« sagte endlich Schedoni und schwieg – »diese so wichtige Angelegenheit –«

»Ja diese Angelegenheit –« unterbrach ihn die Marquise eilfertig – »aber wann und wo, guter Vater? Da ich mich einmal überzeugt habe, so verlangt mich, die Sache in Ordnung zu sehn.«

»Die Umstände müssen es bestimmen,« erwiederte der Mönch nachdenkend – »Am Ufer des Adriatischen Meeres, in der Provinz Apulia, nicht weit von Manfredonia liegt ein Haus, das zu diesem Zwecke gut wäre. Es ist eine einsame Wohnung am Ufer und liegt zwischen den Wäldern, die sich viele Meilen längs der Küste hinbreiten, dem Reisenden verborgen.«

»Und die Leute dort –?« sagte die Marquise.

»Wer reiset wohl so weit bis Apulia? Es wird nur von einem armen Manne bewohnt der sein kümmerliches Leben vom Fischfang erhält. Ich kenne ihn und könnte wohl die Ursachen, warum er so einsam lebt, angeben – allein das thut nichts zur Sache – genug, daß ich ihn kenne

»Sie würden ihm also vertrauen?«

»Ja, das Leben dieses Mädchens – obwohl schwerlich mein eignes.«

»Wie, wenn es ein solcher Bösewicht ist, so darf man ihm nicht trauen – denken Sie doch weiter. Sie hatten ja Einwendungen gegen einen Miethling und doch ist dieses einer.«

»Meine Tochter, in einem solchen Falle wie dieser kann man ihm sicher trauen. Ich habe Gründe, mich auf ihn zu verlassen.«

»Sagen Sie mir diese Gründe, mein Vater.«

Der Beichtvater schwieg und sein Gesicht nahm einen sehr sonderbaren Ausdruck an; es war schrecklicher noch als gewöhnlich, und eine düstre, leichenähnliche Farbe von gemischtem Zorn und Schuldbewußtseyn überzog es. Die Marquise überfiel ein unwillkührlicher Schauder, als sie ihn bei dem Abendstrahl, der durch ein Fenster fiel, ansah – und zum erstenmale wünschte sie, sich nicht so gänzlich in seine Macht gegeben zu haben. Allein der Würfel war nun einmal geworfen; es war zu spät, um die Klugheit zu hören und sie fragte aufs neue nach seinen Gründen.

»Das thut nichts zur Sache,« erwiederte Schedoni mit erstickter Stimme – »genug sie stirbt!«

»Durch seine Hände?« fragte die Marquise mit starker Bewegung. »Bedenken Sie es noch einmal, Vater!«

Beide versanken aufs neue in Schweigen und Nachdenken. Endlich sagte die Marquise:

»Mein Vater, ich verlasse mich auf Ihre Redlichkeit und Klugheit« – sie legte einen besonders schmeichelhaften Ausdruck auf das Wort Redlichkeit! – »Aber ich beschwöre Sie, lassen Sie uns dieses Geschäft schnell zu Ende bringen; Ungewißheit ist für mich das Fegefeuer dieser Welt; vertrauen Sie es doch keinem Andern an.« Sie hielt inne und setzte dann hinzu: »Ich möchte nicht gern gegen einen Andern als Sie eine so große Schuld von Verbindlichkeit haben.«

»Ich kann Ihr Verlangen, dieses Geschäft keinem Andern anzuvertrauen, nicht zugestehen,« sagte Schedoni verdrießlich. »Können Sie sich einbilden, daß ich selbst –«

»Kann ich zweifeln, daß man diese Handlung aus Grundsatz betreiben und vollbringen kann?« unterbrach ihn die Marquise, die seine Meinung voraussah, indem sie seine eignen vorigen Worte anführte. »Warum sollten wir Bedenken tragen, zu thun was wir für Recht erkennen?«

Schedoni äußerte sein Mißfallen bloß durch Stillschweigen, welches die Marquise vollkommen verstand.

»Bedenken Sie doch, guter Vater,« setzte sie bedeutend »significantly«: ›bedeutungsvoll, bedeutsam‹. – D.Hg. hinzu, »wie peinlich es mir seyn müßte, einem Fremden oder irgend einem Andern, als einem so hoch geschätzten Freunde wie Sie, eine so unendlich große Verbindlichkeiten schuldig zu seyn.«

Während Schedoni sie errieth und sich selbst überredete, daß er die Schmeichelei verachtete, womit sie ihre Gedanken dünn verschleierte, wurde seine Selbstliebe unmerklich durch das Compliment besänftigt. Er verneigte sich mit dem Kopf zum Zeichen, daß er in ihren Wunsch willigte.

»Vermeiden Sie, wo möglich, Gewalt,« setzte sie hinzu, ihn sogleich begreifend, »aber lassen Sie sie schnell sterben! Die Strafe gebührt dem Verbrechen.«

Die Marquise warf bei diesen Worten zufällig die Augen auf die Inschrift über einem Beichtstuhl, wo mit schwarzer Schrift die schauderhaften Worte standen: » Gott hört dich.« Es glich einer furchtbaren Warnung. Ihr Gesicht veränderte sich; es hatte sie ins Herz getroffen. Schedoni war zu sehr mit seinen eignen Gedanken beschäftigt, um die ihrigen zu bemerken, oder ihr Stillschweigen zu verstehn. Sie erholte sich bald, und durch den Gedanken beruhigt, daß es nur eine gewöhnliche Inschrift auf Beichtstühlen wäre, achtete sie nicht weiter auf das, was sie anfangs als eine besondre Warnung ansah: doch verstrichen einige Augenblicke, ehe sie das Gespräch wieder anzuknüpfen im Stande war.

»Sie sprachen von einem Orte, Vater,« hub die Marquise an – »Sie erwähnten –«

»Ja,« murmelte der Beichtvater, noch immer nachsinnend, »in einem Zimmer dieses Hauses ist –«

»Was ist das für ein Geräusch?« sagte die Marquise, ihn unterbrechend. Sie horchten – einige tiefe Töne der Orgel schallten aus der Ferne und verstummten wiederum.

»Was ist das für Trauermusik,« sagte die Marquise mit stammelnder Stimme – »sie wurde von furchtsamer Hand gespielt. Die Vesper ist lange vorbei!«

»Tochter,« sagte Schedoni finster – »Sie sagten, Sie hätten den Muth eines Mannes – Ach, Sie haben nur eines Weibes Herz.«

»Entschuldigen Sie mich, mein Vater; ich weiß nicht, warum ich diese Bewegung fühle; allein ich will sie besiegen. Dieses Zimmer –«

»In diesem Zimmer,« fuhr der Beichtvater fort – »ist eine geheime Thüre, die vor langer Zeit eingerichtet wurde –«

»Und zu welchem Zweck eingerichtet?« sagte die furchtsame Marquise.

»Verzeihn Sie mir – genug, daß sie da ist; wir wollen einen guten Gebrauch davon machen. Durch diese Thüre – in der Nacht – wenn sie schläft –«

»Ich verstehe Sie,« sagte die Marquise, »ich verstehe Sie. Aber warum, freilich werden Sie Ihre Gründe haben, wozu braucht es eine geheime Thüre in einem Hause, das, wie Sie sagen, ganz einsam liegt und nur von einer Person bewohnt wird?«

»Ein Gang führt nach der See,« fuhr Schedoni fort, ohne auf die Frage zu antworten. »Dort, am Ufer, wenn die Dunkelheit es bedeckt – dort, zwischen die Wellen getaucht, soll kein Flecken verrathen –«

»Horch,« unterbrach die Marquise auffahrend – »wiederum dieser Ton!«

Die Orgel tönte schwach vom Chor und hielt inne wie zuvor. Gleich darauf hub ein tiefes Chor von Stimmen, das sich mit der anschwellenden Orgel mischte, eine feierliche Trauermusik an.

»Wer ist todt,« sagte die Marquise mit verändertem Gesicht – »es ist ein Requiem!«

»Friede mit dem Todten,« rief Schedoni aus und machte ein Kreutz. »Friede sey mit seiner Seele!«

»Hören Sie diesen Gesang,« sagte die Marquise mit zitternder Stimme; »es ist das erste Requiem Ein Requiem kann als Votivmesse auch bei Totenmessen anlässlich von Jahres- oder Gedenktagen für Verstorbene angewandt werden; insofern ist hier von ›einem ersten Requiem‹ die Rede. – D.Hg.: die Seele hat nur erst eben den Körper verlassen!«

Sie lauschten stillschweigend. Die Marquise war sehr bewegt; sie wechselte alle Augenblicke die Farbe; ihr Athem war kurz und unterbrochen; sie vergoß sogar einige Thränen, aber es waren mehr Thränen der Verzweiflung als des Kummers.

»Dieser Körper, der noch vor einer Stunde warm und beseelt war, ist jetzt kalt;« sagte sie zu sich selbst. »Diese schönen Sinne sind im Tode geschlossen. Und zu diesem Zustande wollte ich ein Wesen, das mir gleich ist, bringen! O unglückliche, unglückliche Mutter, wohin hat die Thorheit eines Sohnes dich gebracht!«

Sie wandte sich von dem Beichtvater ab, und gieng alleine in den Gang. Ihre Bewegung stieg: sie weinte ohne Zwang, denn ihr Schleier und die Abenddämmerung verbargen sie, und ihre Seufzer verloren sich unter der Musik des Chors.

Schedoni befand sich in nicht mindrer Unruhe; allein er fühlte nur Regungen von Besorgniß und Verachtung.

»Da sieht man, was Weiber sind,« sagte er zu sich selbst. »Die Sklaven ihrer Leidenschaft; das Spiel ihrer Sinne! Wenn Stolz und Rache in ihrer Brust sprechen, so biethet sie allen Hindernissen Trotz und lacht über Verbrechen. Bestürmt aber ihre Sinne, laßt nur Musik eine schwache Saite ihres Herzens berühren und in ihrer Phantasie wieder tönen, so verändern sich plötzlich alle ihre Begriffe: sie bebt vor der Handlung zurück, die sie noch einen Augenblick vorher für verdienstlich gehalten hatte; sie giebt neuen Bewegungen nach, und sinkt – das Schlachtopfer eines Tones! O schwaches, verächtliches Wesen!«

Die Marquise wenigstens schien seine Bemerkungen zu rechtfertigen. Die gewaltsamen Leidenschaften, welche jeder Vorstellung der Vernunft und Menschlichkeit widerstanden, konnten nur durch andre Leidenschaften überwunden werden; und da ihre Sinne durch die klagende Melodie der Musik gerührt, und ihre abergläubige Furcht durch das Zusammentreffen einer Todtenfeier in demselben Augenblick, wo sie einen Mord aussann, rege gemacht wurden, gab sie auf eine Weile dem vereinigten Einfluß von Mitleid und Schrecken nach. Ihre Bewegung verlor sich nicht, allein sie kehrte zu dem Beichtvater zurück.

»Wir wollen ein andresmal über die Sache sprechen,« sagte sie, »jetzt sind meine Lebensgeister zu sehr in Unordnung. Gute Nacht, Vater! erinnern Sie sich meiner in Ihren Gebeten.«

»Friede sey mit Ihnen, gnädige Frau,« sagte der Beichtvater sich ernsthaft verneigend.

»Ihrer soll nicht vergessen werden. Seyn Sie nur entschlossen und mit einem Worte: Sie selbst!«

Die Marquise winkte ihrer Kammerfrau näher zu kommen; sie hüllte sich dichter in ihren Schleier und verließ auf des Mädchens Arm gestützt, das Kloster. Schedoni blieb noch einen Augenblick auf derselben Stelle und sah ihr nach, bis ihre Gestalt sich in der Dunkelheit der langen Aussicht verlor – er gieng darauf mit nachdenkendem Schritt durch eine andre Thüre. In seiner Erwartung betrogen, verzweifelte er dennoch nicht.



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