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Call up up the Spirit of the ocean, bid
Him raise the storm! The waves begin to heave.
To curl, to foam; the white surges run far
Upon the darkning waters, and mighty
Sounds of strife are heard. Wrapt in the midnight
Of the clouds, sits Terrour, meditating
Woe. Her doubtful form appears and fades
Like the shadow of Death, when he mingles
With the gloom of the sepulchre and broods
In lonely silence. Her spirits are abroad!
They do her bidding! Hark, to that shriek!
The echoes of the shore have heard!
Rufe den Geist des Ozeans herbei, bitte ihn den Sturm aufziehen zu lassen! Die Wellen beginnen sich zu heben, sich zu kräuseln, zu schäumen; die weißen Wogen laufen weit fort auf den dunklen Wassern, und mächtige Töne von Kampf sind zu hören. Eingehüllt in die Wolken der Mitternacht sitzt der Schrecken und sinnt auf Weh. Seine zweifelhafte Gestalt erscheint und vergeht wie der Schatten des Todes, wenn er sich mit der Finsternis des Grabes mischt und in einsamer Stille grübelt. Seine Geister sind unterwegs! Sie tun, was er will! Horch auf jenen Schrei! Die Echos des Ufers haben ihn gehört! –
D.Hg.
Ellena wurde indessen, als man sie aus der Kapelle San Sebastian geschleppt hatte, auf ein Pferd, welches außen bereit stand, gesetzt, und trat unter Bewachung der beiden Leute, die sie ergriffen hatten, eine Reise an, welche beinahe ununterbrochen zwei Tage und zwei Nächte dauerte. Sie konnte aus keinem Umstande schließen, wohin es gieng, und horchte mit vergeblicher Erwartung auf den Fußtritt von Pferden und auf Vivaldis Stimme, der, wie man ihr gesagt hatte, auf demselben Wege folgte.
Die Fußtritte von Reisenden unterbrachen nur selten die Stille dieser Regionen, und sie stießen unterwegens nur auf einige Marktleute, die in eine benachbarte Stadt giengen, oder hie und da auf einen Winzer oder Arbeiter in den Olivengründen, so daß sie die weiten Ebnen von Apulia erreichte, ohne von ihrer Lage etwas zu wissen. Ein Lager, nicht von Kriegern, sondern von Schäfern, die ihre Heerden nach den Abruzzischen Gebürgen führten, belebte einen kleinen Strich dieser Flächen, die von Norden und Osten durch die Bergkette des Garganus beschattet wurden, die sich von den Apenninischen Gebürgen weit bis ins Adriatische Meer erstreckte.
Die Schäfer hatten beinahe ein eben so wildes und barbarisches Ansehn als die Menschen, die Ellena führten; doch verkündigten ihre ländlichen Instrumente feinere Gefühle, wenn sie süß über die Wüste tönten. Die Wache ruhte und erfrischte sich mit Ziegenmilch, Gerstenkuchen und Mandeln, und das Betragen dieser Schäfer, so wie derjenigen, die sie zuvor auf den Gebürgen angetroffen hatte, war gastfreier, als ihre Miene es versprach.
Nachdem Ellena dieses ländliche Leger verlassen hatte, erschien viele Meilen weit keine Spur einer menschlichen Wohnung, außer hie und da die Thürme einer verfallnen Festung, an den hohen Felsen hängend, denen sie sich näherten, und halb in den Wäldern verborgen. Der Abend des zweiten Tages brach an, als ihre Wache näher nach dem Walde einlenkte, den sie lange in der Ferne beobachtet hatte, wie er sich über den vielfach aufsteigenden Stufen des Garganus ausbreitete. Sie traten durch eine Spur herein, einen Weg konnte man es nicht nennen, die zwischen Eichen und gigantischen Wallnusbäumen hinführte, das Wachsthum von Jahrhunderten und so dick verflochten, daß ihre Zweige einen Thronhimmel bildeten, welcher selten den Himmel zuließ. Die Dunkelheit, welche sie ringsum verbreiteten, und die Gebüsche, welche unter dem Schatten blühten, gaben der Scene ein Gepräge furchtbarer Wildheit.
Als sie einen Hügel erreicht hatten, wo die Bäume dünner ausgestreut waren, nahm Ellena wahr, daß sich die Wälder nach allen Seiten zwischen Hügeln und Thälern ausbreiteten und bis zum Adriatischen Meere herabstiegen, welches die Ferne begränzte. Die Küste, die sich in einen Meerbusen herabsenkte, war felsicht und kühn. Hohe Spitzen, bis zu den Gipfeln mit Wald gekrönt, stiegen über dem Ufer auf, und Kuppen von nacktem Marmor, von so gigantischer Form, daß sie selbst in der Ferne Schauder erregten, drängten sich tief in die Wellen, und trotzten ihrer ewigen Wuth. Jenseits dem Rande der Küste, so weit das Auge reichen konnte, erschienen spitzige Berge, von Wäldern verdunkelt, die Kette über Kette in vielen Reihen aufstiegen. Wenn Ellena diese Wildniß übersah, war es ihr als gienge sie in ewige Verbannung von der menschlichen Gesellschaft. Sie war ruhig; allein es war die Ruhe des erschöpften Schmerzes, nicht der Ergebung, und mit einer Art von ausgeathmeter Verzweiflung blickte sie auf die Vergangenheit zurück und erwartete die Zukunft.
Sie war einige Meilen weit durch den Wald gereist, während ihre Wächter nur von Zeit zu Zeit eine Frage oder eine Bemerkung über die Veränderungen, die seit ihrer letzten Durchreise hier in der Gegend vorgegangen waren, äußerten, als die Nacht sie zu überfallen begann.
Ellena bemerkte nur durch das Murmeln der Wellen an der felsichten Küste, daß sie der See nahe kamen, bis sie eine Anhöhe erreicht hatten, die im Grunde nichts anders war, als der Fuß zweier waldichter Berge, die sich dicht über ihr thürmten, und sie nun dunkel ihre graue Oberfläche sich in dem Meerbusen unten ausbreiten sah. Sie wagte es jetzt zu fragen, wohin man sie führte, und ob man sie an Bord eines der kleinen Fahrzeuge, die sie für Fischerkähne hielt, und die vor Anker zu liegen schienen, bringen wollte.
»Sie haben nicht weit mehr zu reisen,« erwiederte einer der Wächter mürrisch; »Sie werden bald am Ende Ihrer Reise und zur Ruhe seyn!«
Sie stiegen ans Ufer herab und kamen sogleich in eine einsame Wohnung, die so nahe am Rande der See stand, daß sie beinahe von den Wellen bespült zu werden schien. Man sah kein Licht durch die Fenster und nach der Stille, die inwendig herrschte, zu urtheilen, schien sie unbewohnt zu seyn. Die Wache hatte wahrscheinlich Ursache es besser zu wissen, denn sie hielten an der Thüre und schrieen aus allen Kräften. Keine Stimme aber antwortete auf ihren Ruf, und während sie alles anwandten, um die Einwohner aufzuwecken, untersuchte Ellena sorgfältig das Gebäude, so gut die Dämmerung es zuließ. Es war von alter und sonderbarer Bauart, und ob es gleich für ein Landhaus nicht groß genug war, so war es doch augenscheinlich nie zum Aufenthalt für Bauern bestimmt worden.
Die Mauern von unbehauenem Marmor waren hoch und durch Bastionen verstärkt; das Gebäude hatte bethürmte Winkel, die mit dem auf Schwibbogen ruhenden Eingange, und dem schräge herabgehenden Dache an vielen Orten verfallen waren. Das ganze Haus mit seinen dunkeln Fenstern und tonlosen Zugängen hatte ein auffallend verlaßnes und einsames Ansehn. Eine hohe Mauer umgab den kleinen Hof, in welchem es stand, und hatte ihm wahrscheinlich einmal zur Vertheidigung gedient; allein die Thore, welche gegen allen fremden Einbruch hätten verschlossen seyn sollen, konnten ihren Dienst nicht länger verrichten; eine von den Flügelthüren war aus ihren Angeln gefallen und lag auf der Erde, in einem tiefen Beete von Unkraut beinahe versteckt, und die andre krachte an ihren Schwingen jedem Windsturm entgegen und schien jeden Augenblick bereit, dem Schicksal ihrer Gefährtin zu folgen.
Das wiederholte Rufen der Wache wurde endlich von einer rauhen Stimme inwendig beantwortet; die Thüre des Eingangs träge aufgeriegelt und von einem Manne geöffnet, dessen Gesicht so vom Elend gestempelt war, daß Ellena es nicht ohne Empfindung anblicken konnte, so tief sie auch in eignes Elend versenkt war. Die Lampe, die er in der Hand trug, warf einen Schimmer darauf, und zeigte die gierige Barbarei des Hungers, dem der Schatten seiner tiefen Augen eine schreckliche Wildheit gab. Ellena fuhr zurück, indem sie ihn ansah. Nie hatte sie Verworfenheit und Leiden so stark auf demselben Gesichte gemahlt gesehn, und sie betrachtete ihn mit einer peinlichen Neugierde, die für einen Augenblick alles Bewußtseyn der Uebel, die sie von ihm zu besorgen hatte, unterdrückte.
Es war sichtlich, daß sein Haus nicht für ihn gebaut war, und sie schloß, daß er der Diener eines grausamen Werkzeugs der Marquise di Vivaldi sey.
Aus dem Schwibbogengange folgten sie ihm in einen alten, verfallnen und von allem Geräth entblößten Saal. Er war nicht groß von Umfang, aber hoch: denn er schien sich bis zur Decke des Gebäudes hinauf zu strecken und die Zimmer oben waren ringsumher im Cirkel gebaut und führten in eine runde Gallerie.
Einige halb mürrische Grüße wurden zwischen der Wache und dem Fremden, den sie Spalatro nannten, gewechselt, als sie in ein Zimmer giengen, wo er auf einer Madratze in einem Winkel geschlafen zu haben schien. Alle andre Möblirung des Ortes bestand aus zwei oder drei zerbrochnen Stühlen und einem Tisch. Er sah Ellena mit finstrer, zusammengezogner Stirne an, und gab dann der Wache einen bedeutenden Blick, schwieg aber, bis er sie endlich nöthigte, sich sämmtlich niederzusetzen, indem et hinzufügte, daß er einen Fisch zum Abendessen für sie zurechte machen wollte. Ellena schloß, daß er der Herr des Orts wäre, auch schien er der einzige Bewohner desselben zu seyn, und als die Wache ihr bald nachher sagte, daß ihre Reise hier geendigt sey, fühlte sie ihre schlimmsten Besorgnisse bestätigt. Die Gewalt, die sie sich anthat, ihre Lebensgeister aufrecht zu halten, war bald erschöpft. Es schien, daß sie von Mördern nach einem einsamen Hause am Seeufer gebracht war, welches von einem Menschen bewohnt wurde, dem der Schurke auf jedem Zuge seines Gesichtes eingegraben stand, um das Schlachtopfer unerbittlichen Stolzes und unersättlicher Rachgierde zu werden. So wie sie diese Umstände, und die Worte, die man ihr eben gesagt hatte, daß ihre Reise geendigt sey, überlegt hatte, drang die Ueberzeugung wie ein Lichtstrahl in ihr Herz – sie glaubte, daß sie hieher gebracht sey, um ermordet zu werden. Grausen durchbebte ihren ganzen Körper und ihre Sinne verließen sie.
Als sie sich wieder erholte, fand sie sich von der Wache und dem Fremden umgeben und würde ihr Mitleid angefleht haben, hätte sie nicht gefürchtet, sie dadurch aufzubringen, daß sie ihren Argwohn verriethe. Sie klagte über Ermüdung und bat, sie in ihr Zimmer zu führen. Die Leute sahen einander an, besannen sich und baten sie dann, von dem Fische, der zurecht gemacht wurde, mit zu essen. Als aber Ellena die Einladung mit so guter Art als möglich ablehnte, erlaubten sie ihr, sich zurückzuziehn. Spalatro nahm die Lampe und leuchtete ihr durch den Saal nach dem Gange oben, wo er die Thüre eines Zimmers aufmachte, in welchem sie schlafen sollte.
»Wo ist mein Bette?« sagte die betrübte Ellena, indem sie sich furchtsam umsah.
»Dort auf der Erde,« antwortete Spalatro und zeigte auf eine elende Madratze, über welcher die zerrißnen Vorhänge eines ehmaligen Himmelbettes hiengen. »Wenn Sie die Lampe braucht,« setzte er hinzu, »so will ich sie da lassen, und um ein kleines Weilchen darnach wieder kommen.«
»Will er mir nicht auf die Nacht eine Lampe lassen,« sagte sie mit bittender, furchtsamer Stimme.
»Auf die Nacht!« wiederholte er mürrisch. »Was? um das Haus anzustecken.«
Ellena bat ihn noch immer, daß er ihr den Trost eines Lichtes gewähren möchte.
»Ja ja,« erwiederte Spalatro mit einem Blicke, den sie nicht zu erklären wußte, »es würde wahrhaftig ein großer Trost für sie seyn. Sie weiß nicht, was Sie verlangt.«
»Was meint Er,« sagte Ellena mit Heftigkeit. »Ich beschwöre ihn bei unserm heiligen Glauben, mir zu sagen –«
Spalatro trat plötzlich zurück und sah sie mit Erstaunen an, ohne aber ein Wort zusagen.
»Erbarmt Euch meiner,« sagte Ellena äußerst erschrocken über sein Benehmen: »ich bin hülflos und ohne Freunde.«
»Was fürchtet Sie?« sagte der Mann, indem er sich faßte, und setzte dann, ohne ihre Antwort abzuwarten, hinzu: »ist es so etwas unbarmherziges, eine Lampe wegzunehmen?«
Ellena, die sich aufs neue fürchtete, den ganzen Umfang ihres Verdachtes zu verrathen, antwortete nur, daß es sehr barmherzig seyn würde, sie ihr zu lassen; denn ihre Lebensgeister wären sehr niedergeschlagen, und sie hätte ein Licht zu ihrer Aufheiterung nöthig.
»Wir geben uns hier nicht mit solchen Grillen ab,« erwiederte Spalatro, »denn wir haben andre Dinge zu bedenken. Zudem ist es die einzige Lampe hier im Hause, und die Leute unten sind im Dunkeln, während ich hier meine Zeit verliere. Ich will sie Ihr auf ein paar Minuten da lassen, aber nicht länger.«
Ellena machte ihm ein Zeichen, die Lampe nieder zu setzen, und als er das Zimmer verließ, hörte sie die Thüre hinter sich zuriegeln.
Sie wandte diese zwei Minuten an, das Zimmer zu untersuchen, um zu sehn, ob eine Möglichkeit zu entfliehn vorhanden wäre. Es war ein großes Zimmer, ohne Möbeln und mit dem Spinnewebe vieler Jahre verziert. Sie sah nur die einzige Thüre, durch die sie herein gekommen war, und das einzige Fenster im Zimmer war vergittert. Solche Vorkehrungen, um eine Flucht zu verhindern, schienen anzudeuten, wie viel Ursach zum Entfliehn vorhanden seyn möchte.
Nachdem sie das Zimmer untersucht hatte, ohne irgend eine Hoffnung vor sich zu sehn, versuchte sie die Stärke der Riegel, die sie nicht bewegen konnte; vergebens sah sie sich nach einer inwendigen Befestigung für ihre Thüre um; sie stellte die Lampe daneben und erwartete Spalatros Zurückkunft. Er kam wenig Augenblicke darauf und both ihr einen Becher mit sauerm Wein und ein Stückchen Brod an, welches sie, durch seine Aufmerksamkeit ein wenig getröstet, nicht für gut fand, auszuschlagen.
Spalatro verließ darauf das Zimmer und die Thüre wurde wieder verriegelt. Noch einmal allein gelassen, versuchte sie ihre Angst durch Gebet zu überwinden; und nachdem sie ihre Abendandacht mit heissem Herzen hinauf geschickt hatte, fühlte sie sich ruhiger und gefaßter.
Allein es war unmöglich, die Gefahr ihrer Lage so sehr zu vergessen, um, so müde sie auch war, den Schlaf zu suchen, so lange die Thüre ihres Zimmers vor dem Einbruch der Leute unten nicht gesichert war, und da sie kein Mittel hatte, sie zu befestigen, beschloß sie, die ganze Nacht durch zu wachen. So der Einsamkeit und Finsterniß überlassen, setzte sie sich auf die Madratze, um die Zurückkehr des Morgens zu erwarten und verlor sich bald in traurigen Betrachtungen: sie gieng jeden kleinen Umstand vom vergangnen Tage und vom Betragen ihrer Wächter durch, und wenn sie die Umstände ihrer gegenwärtigen Lage damit zusammen hielt, blieb ihr kaum ein Zweifel über das ihr bestimmte Schicksal. Es dünkte sie sehr unwahrscheinlich, daß die Marquise di Vivaldi sie blos zur Verwahrung sollte hieher geschickt haben, da man sie mit weit weniger Beschwerde in einem Kloster hätte einsperren können, und noch mehr, wenn sie an den Charakter der Marquise dachte, so wie sie ihn bereits hatte kennen lernen. Das Ansehn dieses Hauses und des Mannes, der es bewohnte, mit dem Umstande, daß kein Frauenzimmer hier wohnte, zusammengenommen; alles dieses deutete an, daß sie nicht zu langer Gefangenschaft, sondern zum Tode hieher gebracht war. Alles Streben nach Stärke und Fassung konnte das kalte Zittern, das Erkranken des Herzens, die Ermattung und das Grausen, das ihren ganzen Körper durchlief, nicht überwinden. Wie oft rief sie mit Thränen der Angst und des Schmerzes Vivaldi an – Vivaldi, ach der weit entfernt war, rief sie an, sie zu retten. Wie oft rief sie im Schmerze aus, daß sie ihn nie, nie wieder sehn würde!
Doch war ihr der schreckliche Gedanke benommen, daß er sich in den Händen der Inquisition befände. Sobald sie den Betrug, den man ihr gespielt hatte, entdeckte, und überzeugt war, daß sie sich weder auf dem Wege nach dem heiligen Gericht befände, noch von Personen geführt würde, die zu demselben gehörten, schloß sie, daß Vivaldis ganzer Verhaft von der Marquise angelegt sey, blos um einen Vorwand zu haben, ihn in Verhaft zu behalten, bis sie außer Möglichkeit gesetzt wäre, Hülfe von ihm zu erhalten. Sie hoffte daher, daß man ihn nur nach irgend einem geheimen Orte, der seiner Familie gehörte, geschickt hätte, und daß er, sobald ihr Schicksal entschieden wäre, befreit werden und sie das einzige Opfer seyn würde. Dieser Gedanke allein gewährte ihr einige Linderung in ihrem Leiden.
Die Leute unten saßen bis tief in die Nacht beisammen. Sie horchte oft auf ihre fernen Stimmen, so wie sie bei den Pausen der Wellen, die laut und dumpf ans Ufer schlugen, sie unterscheiden konnte, und so oft die knarrenden Schwingen an ihrer Thüre sich bewegten, fürchtete sie, daß sie zu ihr kämen.
Endlich schien es, daß sie das Zimmer verlassen hatten, oder eingeschlafen waren, denn eine tiefe Stille herrschte, so oft das Geräusch der Wellen sich legte. Sie blieb nicht lange in Zweifel: denn während sie noch horchte, hörte sie Fußtritte den Gang heraufkommen. Sie näherten sich ihrem Zimmer und standen an der Thüre still; auch hörte sie das leise Flüstern ihrer Stimmen, wie sie berathschlagten, was zu thun wäre, und wagte vor Aufmerksamkeit kaum Athem zu schöpfen. Doch hörte sie kein deutliches Wort, bis als der Eine fortgieng, ein Andrer halb flüsternd ihm zurief: »Es liegt unten auf dem Tische in meinem Gürtel; eilt doch.« Der Mann kam zurück und sagte etwas mit leiser Stimme, worauf der Andre antwortete: »sie schläft.« Er gieng darauf die Treppen herunter und wenig Minuten nachher merkte sie, daß sein Kamerade ebenfalls von der Thüre weggieng: sie horchte auf seine Schritte, bis sie statt ihrer nur das Brüllen der See noch vernahm.
Ellenas Beruhigung dauerte nur einen Augenblick. Wenn sie den Sinn seiner Worte überlegte, so schien es ihr, daß der Mann heruntergegangen war, um den Dolch des Andern zu holen, weil man ein solches Instrument gewöhnlich im Gürtel trägt, und aus der Versicherung »sie schläft,« schien es, daß er gefürchtet hatte, von Ellena gehört worden zu seyn; sie horchte aufs neue auf ihre Schritte, allein sie kamen nicht wieder.
Zum Glück für Ellenas Ruhe wußte sie nicht, daß ihr Zimmer eine Thüre hatte, die so eingerichtet war, daß sie sich ohne Lärm öffnete, und durch welche ein Mörder unbeargwohnt zu jeder Stunde der Nacht herein kommen konnte. Da sie glaubte, daß die Einwohner dieses Hauses sich nunmehr zur Ruhe gelegt hätten, lebte ihr Muth und ihre Hoffnung wieder auf, doch blieb sie schlaflos und wachsam. Sie maaß mit ungleichen Schritten das Zimmer und fuhr oft zurück, wenn die alten Dielen schüttelten und dröhnten; oft wieder stand sie still, um zu horchen, ob noch alles im Gange ruhig sey. Der Schimmer, welchen der aufsteigende Mond zwischen die Gitter ihres Fensters warf, zeigte jetzt manche Gegenstände im Schattenlicht, die sie sich mit der Lampe nicht bemerkt zu haben erinnerte. Mehr als einmal bildete sie sich ein, etwas nach dem Orte hinschlüpfen zu sehn, wo die Madratze ausgebreitet lag, und eben so oft, von Schrecken beinahe erstarrt, stand sie still, um es zu beobachten. Allein ihre Täuschung, wenn es anders Täuschung war, verschwand, wie das Mondlicht erblich, und selbst ihre Furcht konnte ihm über dasselbe hinaus keine Gestalt geben.
Hätte sie nicht gewußt, daß ihre Kammerthüre stark verriegelt war, so würde sie geglaubt haben, es sey ein Mörder, der sich zu dem Bette schliche, wo man vermuthete, daß sie schliefe. Selbst jetzt fiel ihr der Gedanke ein, und so wenig wahrscheinliches er auch hatte, traf es doch ihr Herz beinahe wie ein Todesstreich, wenn sie bedachte, daß ihre gegenwärtige Lage beinahe eben so gefährlich war, als die, welche sie sich einbildete. Sie horchte wieder und wagte kaum Athem zu schöpfen; allein nicht der leiseste Ton drang in die Pausen des Windes und sie hielt sich überzeugt, daß außer ihr Niemand im Zimmer sey. Dennoch fühlte sie ein geheimes Sträuben sich der Madratze zu nähern, so lange sie noch in Schatten gehüllt war.
Außer Stand, ihr Widerstreben zu überwinden, nahm sie ihren Platz am Fenster, bis die sich verstärkenden Strahlen ihr einen hellern Blick auf das Zimmer vergönnen und ihr einige Zuversicht einflößen würden: sie betrachtete die Gegend außen, so wie sie nach und nach sichtbar ward. Der Mond der über dem Ozean aufstieg, zeigte dessen rastlose Oberfläche, sich in dem weiten Horizont ausbreitend, und die Wellen, welche sich schäumend an der Felsenbank unten brachen, wichen in langen weissen Linien weit auf dem Wasser zurück. Sie horchte auf ihren abgemeßnen, feierlichen Ton, und eingewiegt durch die einsame Größe des Anblicks, blieb sie am Fenster, bis der Mond hoch am Himmel aufgestiegen war, ja selbst bis der Morgen auf der See zu dämmern, und die östlichen Wolken in Purpur zu kleiden begann.
Erheitert durch das Licht, das nun ihr Zimmer durchdrang, kehrte sie zu der Madratze zurück, wo die Unruhe endlich der Müdigkeit wich, und sie eine kurze Ruhe genoß.