Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
I am settled, end bend up
Each corporal agent to this terrible feat.
Shakespeare, Macbeth I, 7: Ich bin fest; gespannt zu dieser Schreckenstat ist jeder Nerv. –
D.Hg.
Schedoni war in einer Unruhe, welche selbst der Herrschaft seines eignen strengen Willens widerstand, vom Ufer nach dem Hause zurückgekehrt. Er begegnete unterwegens Spalatro, den er zu Ellena schickte und ihm strenge anbefahl, sich nicht eher seinem Zimmer zu nähern; bis er ihn rufen würde.
So wie er sein Zimmer erreicht hatte, verschloß er die Thüre, ohngeachtet er wohl wußte, daß Niemand außer ihm im Hause war, und Niemand erwartet wurde, als Menschen, die es nicht wagen durften, ihn zu stören. Wäre es möglich gewesen, alles Bewußtseyn seiner selbst ebenfalls aus der Thüre zu schließen, wie gerne hätte er es gethan! Er warf sich in einen Stuhl und blieb lange ohne Bewegung und in Gedanken verloren, – doch waren die Bewegungen seiner Seele heftig und widersprechend. In demselben Augenblick, wo sein Herz ihm das Verbrechen, womit er umgieng, vorwarf, bejammerte er die Aussichten des Ehrgeitzes, die er fahren lassen mußte, wenn er es nicht vollführte, und betrachtete sich selbst mit einer gewissen Verachtung, daß er bisher unentschlossen hatte seyn können. Er las mit Befremdung in seinem eignen Charakter; denn die Umstände hatten Züge hervorgebracht, wovon er bis jetzt nichts geahndet hatte. Er wußte nicht, nach welchem System er die Inconsequenzen und Widersprüche, die er in sich erfuhr, erklären sollte, und vielleicht war es keiner der geringsten, daß in diesen Augenblicken harter und kämpfender Leidenschaften seine Vernunft noch im Stande war, auf ihre Wirkungen zu achten und ihn zu einer kalten Untersuchung seiner eignen Natur zu leiten.
Doch war die Selbstliebe schlau genug seinem Verstande zu entschlüpfen, und es blieb ihm selbst in diesem Augenblicke der Selbstprüfung und kritischen Beleuchtung verborgen, daß Stolz die Haupttriebfeder seiner Seele war. Schon bei der frühsten Entwickelung seines Charakters hatte diese Leidenschaft ihr Uebergewicht gezeigt, so oft die Gelegenheit es zuließ, und ihr Einfluß hatte einige der Hauptbegebenheiten seines Lebens herbeigeführt.
Der Graf di Marinelli, denn dieses war ehemals der Titel des Beichtvaters, war der jüngere Sohn einer alten Familie, die im Herzogthume Mayland nahe am Fuße der Tyroler Alpen auf den Gütern ihrer Vorfahren wohnte, welche die italiänischen Kriege des vorigen Jahrhunderts Italien war von 1701 bis 1748 Kriegsschauplatz der europäischen Erbfolgekriege. – D.Hg. ihnen übrig gelassen hatten. Das Erbtheil, welches er bei seines Vaters Tode erhielt, war nicht groß, und Schedoni war nicht von der Gemüthsart, es durch Fleiß und Arbeitsamkeit zu vergrößern, oder sich der Einschränkung und Demüthigung zu unterwerfen, welche seine geringen Finanzen ihm hätten auflegen sollen. Er war nicht geneigt, an Aufwande hinter Personen zurück zu bleiben, denen er sich am Stande gleich dünkte, und den Seelenadel, welcher der Ehrgeitz der wahren Größe ist, kannte er nicht. Es war ihm genug, mit Vergnügungen und Ansehn zu prahlen, und ohne an die Folgen einer zerstreuten Lebensart zu denken, genoß er das Vergnügen des Augenblicks, bis sein erschöpftes Vermögen ihn inne zu halten und nachzudenken zwang. Er wurde zu spät für seinen Vortheil gewahr, daß es nothwendig sey, einen Theil seiner Güter zu verkaufen und sich auf die Einkünfte der übrigen zu beschränken. Unfähig, sich dieser Einschränkung, welche seine Thorheit nothwendig machte, mit guter Art zu unterwerfen, suchte er sich durch List den fernern Genuß des Wohlstandes zu verschaffen, worin er sich zu erhalten nicht Klugheit genug gehabt hatte. Doch zog er sich von den Augen seiner Nachbarn zurück, weil er es nicht ertragen konnte, die Veränderung seiner Umstände ihrer Bewertung auszusetzen.
Von diesem Zeitpunkt an, wußte man mehrere Jahre hindurch nichts von seinem Leben, und erst in der Spirito Santo zu Neapel entdeckte man ihn wieder als Mönch und unter dem angenommenen Namen Schedoni. Sein Gesicht und ganzes Ansehn waren so sehr verändert als seine ganze Art zu leben: seine Blicke waren finster und strenge, und der Stolz, der sonst durch die Lebhaftigkeit ihres Ausdrucks hervorblickte, zeigte sich jetzt nur unter der Hülle der Demuth, häufiger aber durch strenges Stillschweigen und barbarische Bußübungen.
Die Person, welche Schedoni entdeckte, würde ihn nicht erkannt haben, wenn nicht sein merkwürdiges Auge ihr aufgefallen wäre und eine Erinnerung erweckt hätte. Als diese Person seine Züge näher untersuchte, spürte sie eine schwache Aehnlichkeit mit dem auf, was Marinelli sonst war, und redete ihn an »made himself known«: ›gab sich selbst zu erkennen‹. – D.Hg..
Der Beichtvater stellte sich, als hätte er seinen alten Bekannten vergessen und versicherte ihm, daß er sich irre, bis der Fremde so scharf in ihn drang, daß er sich nicht länger verstellen konnte. Er gieng in sichtlicher Unruhe mit ihm bei Seite und was auch der Inhalt ihres Gesprächs gewesen seyn mochte, so preßte er ihm, ehe er das Kloster verließ, ein schreckliches Gelübde ab, seine Bekanntschaft mit Schedonis Familie der Brüderschaft zu verschweigen und nie außerhalb dieser Mauern zu verrathen, daß er ihn gesehn hätte. Er hatte diese Bitte auf eine Art vorgetragen, die den Fremden überraschte und schreckte; die zu gleicher Zeit verrieth, wie sehr Schedoni eine Entdeckung fürchtete, und den Fremden vor den Folgen eines Ungehorsams zittern ließ. Den ersten Theil des Versprechens erfüllte er mit pünktlicher Strenge, ob er es mit dem andern eben so hielt, steht dahin; so viel ist gewiß, daß man nach dieser Zeit zu Neapel nie wieder etwas von ihm hörte oder sah.
Schedoni, der immer nach Auszeichnung trachtete, paßte sein Betragen den Absichten und Vorurtheilen der Gesellschaft an, bei welcher er lebte; er wurde einer der strengsten Beobachter ihrer äußern Formen und beinahe ein Wunder von Selbstverleugnung und strenger Disciplin. Die Väter des Klosters stellten ihn den jüngern Brüdern als ein großes Beispiel vor, das man jedoch mehr mit ehrfurchtsvoller Bewunderung, als mit der Hoffnung, seine erhabnen Tugenden nachzuahmen, anblickte.
Allein mit diesen Lobeserhebungen war auch ihre Freundschaft für Schedoni zu Ende. Sie fanden es bequem, die Strenge zu loben, welche sie auszuüben ablehnten; es verschaffte ihnen ein Ansehn von Heiligkeit und befreite sie von der Nothwendigkeit, sie durch eigne Kreutzigungen des Fleisches zu ärndten: allein insgeheim fürchteten und haßten sie Schedoni wegen seines Stolzes und seiner finstern Strenge zu sehr, um seinen Ehrgeitz durch mehr als leeres Lob zu kitzeln.
Er hatte mehrere Jahre in der Gesellschaft gelebt, ohne beträchtliche Beförderung zu erhalten und die Kränkung gehabt, Personen, die nie seine Strenge nachgeahmt hatten, zu hohen Ehrenstellen in der Kirche gelangen zu sehn. Zu spät entdeckte er, daß er keine wesentliche Begünstigung von der Brüderschaft zu erwarten hatte, und nun erst suchte sein rastloser und gekränkter Stolz auf andern Wegen Beförderung.
Er war seit einigen Jahren Beichtvater der Marquise di Vivaldi gewesen, als die Aufführung ihres Sohnes seine Hoffnung erweckte und ihn ahnden ließ, daß er sich ihr durch seine Rathschläge nicht nur nützlich, sondern nothwendig machen könnte. Er hatte die Gewohnheit, die Charaktere derer, die um ihn waren, zu studieren, um sie zu seinen Zwecken zu nützen, und die genauere Bekanntschaft der Marquise munterte diese Hoffnungen auf. Er sah, daß sie bei starken Leidenschaften ein schwaches Urtheil besaß, und fühlte, daß sein Glück gemacht seyn würde, sobald er Gelegenheit fände, diesen Leidenschaften nützlich zu seyn.
Mit der Zeit wußte er sich so ganz in ihr Vertrauen einzuschleichen und sich ihr so nothwendig zu machen, daß er im Stande war, ihr Bedingungen vorzuschreiben, und er ermangelte nicht, dieses mit alle der erkünstelten Delikatesse und Feinheit zu thun, die seine Lage zu erfordern schien. Eine hohe Würde in der Kirche, die längst schon vergebens seinen Ehrgeitz gereitzt hatte, wurde ihm von der Marquise versprochen, die Einfluß genug besaß, sie ihm zu verschaffen: ihre Bedingung war, daß er die Ehre ihres Hauses – wie sie mit vieler Delikatesse es nannte, – aufrecht halten sollte, und sie trug Sorge, ihm zu verstehn zu geben, daß diese nur durch Ellenas Tod gesichert werden konnte. Er war mit der Marquise einverstanden, daß der Tod dieses gefährlichen jungen Mädchens das einzige Mittel sey, diese Ehre zu retten, weil man, so lange sie lebte, alles Mögliche von Vivaldis Charakter und seiner Leidenschaft zu erwarten hätte; er würde sie gewiß an jedem Orte, wohin man sie brächte, so verborgen oder versperrt er auch seyn möchte, zu entdecken und zu befreien wissen.
Wir haben schon gesehn, wie lange und mit welchem Feuer der Beichtvater darnach gestrebt hatte, sich der Marquise angenehm zu machen. Die letzte Scene war nunmehr gekommen und er stand auf dem Punkt, die barbarische That zu begehn, welche den Stolz ihres Hauses sichern und zugleich seinen Ehrgeitz und Durst nach Rache befriedigen sollte – als eine neue und ihm fremde Regung seinen Arm zurückhielt und seinen Entschluß zum Wanken brachte. Allein diese Regung war nur vorübergehend; sie verschwand beinahe mit dem Gegenstande, der sie erweckt hatte, und er fand jetzt in der Stille und Einsamkeit seines Zimmers Muße genug, seine Gedanken zu sammeln, seine Pläne aufs neue zu mustern, seinen Entschluß neu zu beleben und sich über das Mitleid zu verwundern, das ihn beinahe von seinem Zweck abgeleitet hätte. Die herrschende Leidenschaft seiner Natur brach noch einmal mit aller Gewalt wieder hervor, und er war fest entschlossen, die Ehre zu ärndten, welche die Marquise für ihn bereit hielt.
Nach reiflicher Ueberlegung beschloß er, daß Ellena diese Nacht im Schlafe ermordet und nachher durch einen Gang fortgeschafft werden sollte, der vom Hause zur See führte, in welche man den Körper werfen und mit ihrer traurigen Geschichte in den Wellen begraben wollte. Er hätte um sein selbst willen gerne die Gefahr vermieden, Blut zu vergießen; allein er hatte zu viel Ursache zu vermuthen, daß sie eine Vergiftung argwöhnte, um einen zweiten Versuch der Art zu wagen; er fühlte aufs neue Unwillen über sich selbst, daß er einem augenblicklichen Mitleid nachgegeben und dadurch die Gelegenheit verloren hatte, sie ohne Widerstand in die Fluth zu stürzen.
Spalatro war ein ehmaliger Vertrauter des Beichtvaters, der aus Erfahrung nur zu gut wußte, daß man ihm trauen konnte, und ihn daher aufgebothen hatte, ihm bei dieser Gelegenheit beizustehen. Den Händen dieses Menschen vertraute er das Schicksal der unglücklichen Ellena, weil er selbst einen Abscheu hatte, die schreckliche That, die sein Werk war, zu vollführen, und durch diesen Schritt Spalatro tiefer in der Schuld zu verstricken und sein Geheimniß noch sichrer zu stellen glaubte.
Die Nacht war schon weit herangerückt, ehe Schedoni seinen letzten Entschluß gefaßt hatte, und Spalatro herbei rief, um ihn in seinem Geschäft zu unterrichten. Er verriegelte die Thüre hinter ihm, als vergäße er, daß sie beide die einzigen Personen im Hause waren, die arme Ellena ausgenommen, die, ohne zu ahnden, was gegen sie verschworen wurde, und mit ermüdeten Lebensgeistern, friedlich auf ihrer Madratze schlief. Schedoni schlich leise von der verriegelten Thüre fort, winkte Spalatro näher zu treten und sprach mit so leiser Stimme, als fürchtete er behorcht zu werden:
»Hast du nicht gehört, ob sich etwas in ihrem Zimmer rührt? Denkst du, daß sie schläft?«
»Seit dieser letzten Stunde wenigstens hat sich Niemand gerührt,« erwiederte Spalatro: »ich habe bis diesen Augenblick im Gange gelauert und müßte es gehört haben, wenn sie sich bewegt hätte: der alte Fußboden wird von jedem Schritt erschüttert.«
»So höre mich denn, Spalatro,« sagte der Beichtvater. »Ich habe dich geprüft und treu befunden, sonst würde ich mich dir in einem solchen Geschäft, wie dieses, nicht anvertraut haben. Besinne dich wohl auf alles, was ich dir diesen Morgen sagte, und sey behende und entschlossen, wie ich dich immer gefunden habe.«
Spalatro hörte mit düstrer Aufmerksamkeit zu, und der Mönch fuhr fort:
»Es ist spät, gehe in ihr Zimmer und überzeuge dich, daß sie schläft. Nimm dies« – setzte er hinzu – »und dieses« – er gab ihm einen Dolch und einen großen Mantel – »du weißt, was du damit machen sollst.«
Er hielt inne und heftete seinen durchdringenden Blick auf Spalatro, der den Dolch stillschweigend in die Höhe hielt, den Griff untersuchte und mit einem leeren Blick, als wäre er sich nicht bewußt, was er thäte, darauf hinstarrte.
»Du weißt, was du zu thun hast,« erwiederte Schedoni gebietherisch; »eile, die Zeit verläuft und ich muß mich in aller Frühe davon machen.«
Der Mann gab keine Antwort.
»Der Morgen dämmert bereits,« sagte der Beichtvater noch dringender. »Schwankst du, zitterst du? Kenne ich dich nicht mehr?«
Spalatro steckte den Dolch in den Busen, ohne zu sprechen, warf den Mantel über den Arm und gieng mit zögerndem Schritt nach der Thüre.
»Eile doch!« wiederholte der Beichtvater, »warum zögerst du?«
»Ich kann nicht sagen, daß mir dies Geschäft gefällt, Signor,« sagte Spalatro mürrisch. »Ich weiß nicht, warum ich immer die Hauptsache thun und doch am schlechtesten bezahlt werden soll?«
»Du eigennütziger Schurke,« rief Schedoni; »du bist also noch nicht zufrieden?«
»Nicht mehr Schurke, Signor, als Sie selbst‚« erwiederte der Mann, und warf den Mantel von sich; »ich verrichte nur Ihr Geschäft, und Sie verdienen eigennützig zu heißen, denn Sie möchten gern alle Belohnung nehmen und ich wollte nur, was einem armen Mann zukömmt. Bringt die Sache Ihnen größern Vortheil oder mir?«
»Stille!« sagte Schedoni. »Hüte dich, mir solche Beleidigungen noch einmal zu sagen. Bildest du dir ein, daß ich mich verkauft habe? Ich will, daß sie sterben soll, das ist genug; und was dich betrifft, so ist dir ja der Lohn, den du fodertest, gewährt.«
»Es ist zu gering,« erwiederte Spalatro, »und zudem gefällt mir die Sache nicht. Was hat sie mir zu Leide gethan?«
»Seit wann fällt es dir denn ein, den Moralisten zu spielen,« erwiederte der Beichtvater, »und wie lange sollen diese feigen Bedenklichkeiten dauern? Dies ist nicht das Erstemal, daß ich dich brauche, und was hat es dir denn geschadet! Du vergissest, daß ich dich kenne; du vergissest das Vergangne.«
»Nein, Signor, ich erinnere mich dessen nur zu gut; ich wollte, daß ich es vergessen könnte; allein mein Gedächtniß ist nur zu getreu – ich habe seitdem keine Ruhe gekannt. Die blutige Hand steht immer vor mir! und oft des Nachts, wenn die See brüllt und der Sturm das Haus erschüttert, sind sie gekommen, ganz blutig wie ich sie verließ, und haben sich vor mein Bett gestellt: dann bin ich aufgestanden und ans Ufer gerannt, um Sicherheit zu finden!«
»Still!« erwiederte der Beichtvater; »wozu soll diese wahnsinnige Furcht dienen? wohin sollen diese mit Blut gemahlten Träumereien führen? Ich glaubte mit einem Manne zu sprechen, allein ich finde, daß es nur ein Knabe ist, dem Ammenträume im Kopfe spucken. Doch ich verstehe dich – du – du sollst befriedigt werden.«
Schedoni verstand diesen Mann doch einmal unrecht ›… hatte … missverstanden‹. – D.Hg., wenn er nicht glauben konnte, daß es ihm wirklich zuwider wäre, auszuführen, was er unternommen hatte. Ob Ellenas Schönheit und Unschuld sein Hertz gerührt hatten, oder ob sein Gewissen ihn wegen seiner vorigen Thaten quälte, genug, er beharrte auf der Weigerung, sie zu ermorden. Sein Gewissen oder sein Mitleid war indeß von ganz besondrer Art: denn ob er sich gleich weigerte, die That selbst zu begehn, willigte er doch ein, am Fuße einer schwarzen Wendeltreppe, die an Ellenas Zimmer stieß, zu warten, während Schedoni seinen Vorsatz ausführte, und nachher den Körper ans Ufer tragen zu helfen: »Das ist ein Vergleich »compromise«. – D.Hg. zwischen Gewissen und Schuld, der eines Teufels würdig ist,« murmelte Schedoni, der zu vergessen schien, daß er kaum vor einer Stunde denselben Vergleich mit sich gemacht hatte, und dessen außerordentliche Abneigung, in diesem Augenblicke selbst mit eigner Hand zu begehn, was er willig für einen Andern bestimmt hatte, ihn an diesen Vergleich des Lasters und des Gewissens hätte erinnern sollen.
Von dem unmittelbaren Handwerk eines Scharfrichters erlöst, ertrug Spalatro stillschweigend den Unwillen des Beichtvaters, der ihn bat, sich zu erinnern, daß, ob er gleich jetzt vor der thätigen Ausführung dieses Geschäftes zurückschräke, er doch nicht immer bei Diensten ähnlicher Art eine gleiche Gewissenhaftigkeit gezeigt hätte; und daß nicht nur sein Unterhalt, sondern sein Leben selbst in des Beichtvaters Händen stände. Spalatro gestand es ein, daß es so wäre, und Schedoni kannte die Lage dieses Bösewichtes zu gut, um eine Verrätherei von ihm zu fürchten.
»So gieb mir denn den Dolch,« sagte der Beichtvater nach einer langen Pause; »nimm den Mantel und folge mir an die Treppe. Laß sehn, ob deine Tapferkeit dich so weit führen wird.«
Spalatro gab den Dolch hin und warf den Mantel wieder über den Arm. Der Beichtvater stand an der Thüre still und rief erschrocken, als er sie öffnen wollte: »sie ist befestigt – es muß Jemand ins Haus gekommen seyn, die Thüre ist zu!«
»Das kann wohl seyn, Signor,« erwiederte Spalatro ruhig: »denn ich sah, daß Sie selbst sie verriegelten, als ich ins Zimmer kam.«
»Es ist wahr,« sagte Schedoni, der wieder zu sich selbst kam; »es ist wahr!«
Er öffnete sie und gieng längs den stillen Gängen nach der geheimen Treppe; oft stand er still, um zu horchen, und dann schritt er wieder leise fort. Der schreckliche Schedoni fürchtete in diesem Augenblick des selbstbewußten Verbrechens sogar die schwache Ellena. Am Fuße der Treppe stand er aufs neue still, um zu lauschen.
»Horst du etwas?« sagte er flüsternd.
»Ich höre nur die See,« erwiederte Spalatro.
»Still! es ist etwas mehr,« sagte Schedoni – »es ist das Murmeln von Stimmen!«
Sie schwiegen. – Nach einer langen Pause sagte Spalatro spöttisch: »es ist vielleicht die Stimme der Geister, wovon ich Ihnen sagte, Signor.«
»Gieb nur den Dolch,« rief Schedoni.
Statt Statt zu gehorchen, ergriff Spalatro den Beichtvater beim Arm, der, als er ihn befremdet ansah, noch mehr erschrak; da er die Blässe und das Entsetzen auf seinem Gesicht bemerkte. Seine starren Augen schienen einen Gegenstand durch den Gang hin zu verfolgen, und Schedoni, der mit ihm zu fühlen anfieng, sah auf, um zu entdecken, was dieses Schrecken verursachte, konnte aber nichts wahrnehmen.
»Was fürchtest du denn?« sagte er endlich.
Spalatros Augen bewegten sich noch immer voll Entsetzen.
»Seht Ihr nichts?« sagte er, mit dem Finger zeigend.
Schedoni blickte wieder auf, erkannte aber keinen Gegenstand in dem fernen Dunkel des Ganges, wohin Spalatros Blick jetzt gerichtet war.
»Komm, komm,« sagte er, über seine eigne Schwäche beschämt; »dieß ist nicht der Augenblick zu solchen Grillen. Erwache aus diesem leeren Traum.«
Spalatro zog seine Augen zurück; allein sie behielten alle ihre Wildheit.
»Es war kein Traum,« sagte er mit der Stimme eines Mannes, der von Schmerz erschöpft, wieder etwas freier zu athmen anfängt. »Ich sah es so deutlich, als ich Sie jetzt sehe.«
»Du Träumer, was sahest du denn,« erwiederte der Beichtvater.
»Es kam mir in einem Augenblick vor die Augen und zeigte sich deutlich und ausgebreitet.«
»Was zeigte sich?« wiederholte Schedoni.
»Und dann winkte es, ja es winkte mir mit dem Blut befleckten Finger! und glitt, immer winkend, den Gang hinab, bis es sich im Dunkeln verlor.«
»Das ist wahrer Wahnsinn,« sagte Schedoni in äußerster Unruhe. »Nimm dich zusammen und sey ein Mann!«
»Wahnsinn! Wollte Gott! es wäre es, Signor. Ich sah die schreckliche Hand; ich sehe sie jetzt – dort ist sie wieder! – dort! –«
Schedoni, erschrocken, verwirrt und von Spalatros seltsamer Bewegung mit ergriffen, sah wieder auf und erwartete einen schrecklichen Gegenstand zu erblicken; allein er konnte noch immer nichts entdecken und erholte sich bald genug, um die Grillen dieses vom Gewissen getroffnen Bösewichts zu bekämpfen. Allein Spalatro war unempfindlich gegen alle seine Gründe und der Beichtvater, welcher fürchtete, daß seine Stimme, so schwach und erstickt sie auch war, Ellena aufwecken könnte, suchte ihn von dem Orte, wo sie standen, weg, in das Zimmer, welches sie verlassen hatten, zu bringen.
»Der ganze Reichthum von San Loretto Basilika vom Heiligen Haus in Loreto, eine Wallfahrtskirche bei Ancona an der Adria; sie ist berühmt wegen der figurenreichen Renaissanceverkleidung und machte Loreto zum zweitwichtigsten Wallfahrtsort in Italien. – D.Hg. würde mich nicht vermögen, diesen Weg zu gehn, Signor,« erwiederte er schaudernd – »das war der Weg, den es winkte, es verschwand auf dem Wege!«
Jede andre Bewegung wich nun bei Schedoni der Besorgniß, daß Ellena, wenn sie erwachte, sein Geschäft durch ihr Sträuben noch mehr erschweren würde, und seine Verlegenheit stieg mit jedem Augenblicke; denn weder Befehle, noch Drohungen oder Bitten konnten Spalatro bewegen fortzugehn, bis der Mönch sich glücklicherweise auf eine Thüre über der Treppe besann, die sie durch einen andern Weg nach der entgegengesetzten Seite des Hauses führen würde. Spalatro bequemte sich, ihm zu folgen; Schedoni schloß eine Reihe Zimmer auf, von welchen er immer die Schlüssel verwahrt hatte, und sie giengen schweigend durch eine Reihe der Zimmer, bis sie das eine erreichten, das sie kürzlich verlassen hatten.
Hier, von seiner Angst wegen Ellenens befreit, redete der Beichtvater freier mit Spalatro; allein weder Gründe noch Drohungen richteten etwas aus, und er beharrte auf seiner Weigerung nach der Treppe zurückzukehren, ohngeachtet er zu gleicher Zeit betheuerte, daß er in keinem Winkel des Hauses allein bleiben möchte, bis der Wein, womit der Beichtvater ihn reichlich versorgte, die Schreckbilder seiner Einbildungskraft zu überwinden begann. Endlich wurde sein Muth so weit wieder belebt, daß er einwilligte, seinen Platz wieder einzunehmen, und am Fuße der Treppe die Vollführung von Schedonis schrecklichem Geschäft abzuwarten. Mit dieser Verabredung kehrten sie durch denselben Weg, den sie kurz vorher gekommen waren, dahin zurück. Der Wein, wodurch auch Schedoni seinen eignen Entschluß zu stärken nothwendig gefunden hatte, schützte ihn nicht vor einer gewaltsamen Bewegung, als er sich aufs neue neben Ellena befand: er that sich Gewalt an, sein Gefühl zu überwinden, als er Spalatros Dolch begehrte.
»Sie haben ihn schon, Signor,« erwiederte der Mann.
»Es ist wahr,« sagte der Mönch; »steige leise herauf, sonst möchten deine Schritte sie aufwecken.«
»Sie wollten ja, daß ich am Fuße der Treppe warten sollte, während Sie Signor –«
»Gut! gut! gut!« murmelte der Beichtvater, und war schon einige Stuffen hinauf gestiegen, als sein Begleiter ihn still stehn hieß.
»Sie gehn im Finstern, Signor, Sie haben die Lampe vergessen – Hier ist eine andre.«
Schedoni ergriff sie mit Heftigkeit, ohne zu sprechen, und wollte weiter gehn, als er sich besann und noch einmal still stand:
»Oer Schimmer wird sie beunruhigen,« dachte er, »es ist besser im Finstern zu gehn. – Doch –«
Er bedachte, daß er ohne Licht den Streich nicht mit Zuverläßigkeit würde führen können, und behielt die Lampe; doch kam er noch einmal zurück, um Spalatro aufzutragen, sich nicht von der Stelle zu rühren, bis er rief, um auf den ersten Wink ins Zimmer herauf zu kommen.
»Ich will Ihnen gehorchen, Signor, wenn Sie mir Ihrer Seits versprechen, das Signal nicht eher zu geben, bis alles vorbei ist.«
»Ich verspreche es,« erwiederte Schedoni. – »Nichts weiter!«
Er stieg wieder hinauf und stand nicht eher still, bis er Ellenas Thüre erreichte, wo er nach einem Laute horchte; allein alles war still, als wenn der Tod bereits in dem Zimmer herrschte. Diese Thüre war so lange nicht gebraucht, daß sie schwer zu öffnen war; unter andern Umständen würde sie ohne Geräusch nachgegeben haben, allein jetzt fürchtete Schedoni ein Geräusch von jedem Versuch, den er machte, sie zu bewegen. Nach einigem Bemühen gab sie indeß doch nach, und er schloß aus der Stille, die im Zimmer herrschte, daß er Ellena nicht gestört hatte. Er beschattete die Lampe einen Augenblick mit der Thüre, während er einen forschenden Blick ins Zimmer warf, und als er sich weiter wagte, hielt er einen Theil seines dunkeln Gewandes vor das Licht, um zu verhindern, daß die Strahlen sich nicht durchs Zimmer verbreiteten.
Als er sich dem Bette näherte, sagte ihm ihr leiser Athemzug, daß sie noch schliefe und er befand sich sogleich an ihrer Seite. Sie lag in tiefem, friedlichem Schlummer, und schien sich, vom Schmerz ermattet, auf ihre Madratze geworfen zu haben: denn obgleich der Schlaf schwer auf ihren Augen lag, waren doch ihre Augenlieder. noch feucht von Thränen.
Während Schedoni einen Augenblick ihr unschuldiges Gesicht anstaunte, schlich sich ein schwaches Lächeln darüber hin. Er trat zurück.
»Sie lächelt ihren Mörder an,« sagte er schaudernd, »ich muß eilen.«
Er suchte nach dem Dolche und es dauerte einige Zeit, ehe seine zitternde Hand ihn aus den Falten seines Gewandes losmachen konnte – als er ihn endlich hatte, trat er wieder näher, bereit den Streich zu führen. Ihr Kleid war ihm im Wege – er fürchtete, daß es den Streich aufhalten würde und bückte sich, um zu untersuchen, ob er es bei Seite schieben könnte, ohne sie aufzuwecken. So wie das Licht ihr ins Gesicht schien, sah er, daß das Lächeln verschwunden war – die Bilder ihres Traums hatten sich verändert: Thränen schlichen sich unter ihren Augenwimpern hervor und auf ihren Zügen zuckte ein Krampf. Sie sprach! Schedoni, besorgt, daß das Licht sie beunruhigt hätte, zog sich schnell zurück, und aufs neue unentschlossen, beschattete er die Lampe und verbarg sich lauschend hinter dem Vorhang. Allein ihre Worte waren in sich gekehrt und undeutlich und überzeugten ihn, daß sie noch schlummerte.
Seine Unruhe, und sein Widerstreben, den Streich zu führen, wuchs mit jedem Augenblick des Zögerns, und so oft er sich anschickte, ihr den Dolch in den Busen zu stoßen, riß ihn ein Schauder zurück. Erstaunt über seine eignen Gefühle und unwillig über das, was er feige Schwäche nannte, fand er es nothwendig, sich selbst Vorstellungen zu machen, und seine schnellen Gedanken sagten:
»Bin ich nicht von der Nothwendigkeit dieser Handlung überzeugt? Hängt nicht alles, was mir theurer ist als das Daseyn, hängt nicht meine ganze Wichtigkeit von der Ausführung ab? Wird sie nicht auch von dem jungen Vivaldi geliebt? Habe ich die Kirche Spirito Santo schon vergessen?«
Dieser Gedanke belebte ihn wieder; die Rache stählte seinen Arm; er schob das Gewand von ihrer Brust zurück und richtete sich noch einmal in die Höhe, um den Streich zu fällen: als er sie aber einen Augenblick angesehn hatte, schien ein neues Entsetzen seinen ganzen Körper zu ergreifen, und er stand einige Augenblicke bleich und ohne Bewegung wie eine Bildsäule. Sein Athem war kurz und schwer; kalte Tropfen standen auf seiner Stirne, und alle seine Fähigkeiten schienen vernichtet. Als er wieder zu sich selbst kam, bückte er sich, um das Miniaturgemählde noch einmal zu untersuchen, welches ihn in solche Bewegung gesetzt hatte, und welches vorher unter dem Kleide, das er zurückschob, verborgen lag. Die schreckliche Gewißheit war beinahe bestätigt, er vergaß über seiner Ungeduld, die Wahrheit zu wissen, wie unbesonnen es sey, sich Ellenen um diese Stunde in der Nacht und mit einem Dolche zu seinen Füßen zu entdecken, und rief laut:
»Erwache! erwache! Sage, wie heißest du? Sprich, sprich; geschwind!«
Ellena, durch eines Mannes Stimme aufgeweckt, fuhr von ihrer Madratze auf; als sie Schedoni und bei dem bleichen Schimmer der Lampe sein geistermäßiges Gesicht wahrnahm, schrie sie und sank auf das Kissen zurück; doch behielt sie ihr Bewußtseyn, und da sie glaubte, daß er käme, um sie zu ermorden, bot sie ihre Kräfte auf, um sein Mitleid zu erflehn.
Die Gewalt ihrer Empfindungen setzte sie in Stand aufzustehn und sich zu seinen Füßen zu werfen. »Haben Sie Barmherzigkeit, Vater, Barmherzigkeit!« rief sie mit zitternder Stimme.
»Vater,« unterbrach sie Schedoni mit Feuer – und dann sich zurückhaltend, setzte er mit ungekünstelter Verwundrung hinzu: »warum sind Sie so erschrocken?« denn er hatte in neuen Regungen und Gefühlen alles Bewußtseyn seiner übeln Absichten und seiner seltsamen Lage verloren. »Was fürchten Sie?« wiederholte er.
»Erbarmen Sie sich meiner, ehrwürdiger Vater,« rief Ellena in schrecklicher Angst.
»Warum sagen Sie mir nicht, wessen Gemählde dies ist?« fragte er und vergaß, daß er diese Frage noch nicht an sie gethan hatte.
»Wessen Gemählde ist dieß?« wiederholte der Beichtvater mit lauter Stimme.
»Wessen Gemählde?« – sagte Ellena mit äußerster Verwundrung.
»Ja, wie kamen Sie dazu? – Geschwind – wessen Bild ist dies?«
»Warum verlangen Sie das zu wissen?« sagte Ellena.
»Beantworten Sie meine Frage,« wiederholte Schedoni mit zunehmendem Ernst.
»Ich kann mich nicht davon trennen, ehrwürdiger Herr,« rief Ellena und drückte es an ihren Busen. »Sie verlangen doch nicht, daß ich mich davon trennen soll?«
»Ist es unmöglich, eine Antwort auf meine Frage zu erhalten,« sagte er mit äußerster Bewegung, und wandte sich von ihr. »Hat die Furcht Sie ganz betäubt!«
Er gieng wieder auf sie zu, faßte sie um den Leib und wiederholte die Frage mit einem Tone der Verzweiflung.
»Ach! er ist todt! sonst würde es mir nicht an einem Beschützer fehlen,« antwortete Ellena, die sich von ihm losmachte, und in Thränen ausbrach!
»Sie suchen Ausflüchte,« sagte Schedoni mit einem schrecklichen Blick; »ich verlange noch einmal eine Antwort – wessen Gemählde?«
Ellena hob es auf, starrte es einen Augenblick an und sagte, es an ihre Lippen drückend: »Dies war mein Vater!«
»Ihr Vater!« wiederholte er mit in sich gekehrter Stimme. »Ihr Vater!« und wandte sich schaudernd hinweg.
Ellena sah ihn mit Verwundrung an.
»Ich habe nie eines Vaters Sorgfalt Fürsorge (care). – D.Hg. gekannt,« sagte sie, »auch habe ich bis seit kurzem sie nie entbehrt. – Aber jetzt! –«
»Sein Name?« unterbrach der Beichtvater.
»Aber jetzt,« fuhr Ellena fort. »Wenn Sie nicht als Vater gegen mich handeln, von wem kann ich denn Schutz erwarten?«
»Sein Name?« wiederholte Schedoni mit stärkerm Nachdruck.
»Er ist heilig,« antwortete Ellena, denn er war unglücklich!«
»Sein Name?« fragte der Beichtvater wüthend.
»Ich habe versprochen, ihn zu verschweigen.«
»Bei Ihrem Leben, ich fordre Sie auf, ihn zu sagen; bedenken Sie wohl, bei Ihrem Leben!«
Ellena zitterte, schwieg und flehte ihn mit beweglichen Blicken, von dieser Frage abzustehn; allein er drang noch gewaltsamer in sie.
»Nun dann,« sagte sie – »sein Name war Marinelli.«
Schedoni ächzte laut und wandte sich hinweg; in wenig Sekunden aber kehrte er, die Empfindung, die seine ganze Gestalt erschütterte, wieder bekämpfend, zu Ellena zurück, und hob sie von ihren Knieen auf, denn sie war zur Erde gesunken, um sein Mitleid zu erflehn.
»Der Ort seines Aufenthalts?« sagte der Mönch.
»War weit von hier,« antwortete sie; allein er foderte eine unzweideutige Antwort und sie ertheilte sie widerstrebend.
Schedoni wandte sich ab, wie zuvor, stieß ängstliche Seufzer aus und schritt, ohne zu sprechen, im Zimmer auf und ab, während Ellena ihrer Seits nach der Ursache seiner Fragen und der Bewegung fragte, worin sie ihn sah. Er schien auf ihre Reden gar nicht zu achten; ganz in seinen Gefühlen verloren, beobachtete er ein unverbrüchliches Stillschweigen, und gieng mit abgemeßnen Schritten, das Gesicht halb von seiner Kaputze beschattet und zur Erde gesenkt, im Zimmer auf und ab.
Ellenas Furcht machte dem Erstaunen Platz, und diese Bewegung stieg, als Schedoni sich näherte, und sie Thränen in seinen fest auf sie gehefteten Augen aufsteigen und sein Gesicht von der wilden Unruhe, die darauf gewühlt hatte, zu einem sanftern Ausdruck übergehn sah. Er war noch immer unvermögend zu sprechen. Endlich gab er seinem vollen Herzen nach, und Schedoni, der strenge Schedoni weinte und seufzte. Er setzte sich auf die Madratze neben Ellena, ergriff sie bei der Hand, die sie erschrocken zurückziehn wollte, und sagte, sobald er über seine Stimme Herr ward:
»Unglückliches Kind! sieh deinen noch unglücklichern Vater!«
Bei diesen Worten wurde seine Stimme von Schluchzen überwältigt, und er zog die Kaputze ganz übers Gesicht.
»Mein Vater!« – rief Ellena voll Erstaunen und Zweifel – »mein Vater!« und heftete ihre Augen auf ihn.
Er antwortete nicht; als er aber den Augenblick darauf den Kopf in die Höhe hob, sagte der schuldbewußte Schedoni: »warum diese Blicke voll Vorwürfe!«
»Vorwürfe gegen Sie, gegen meinen Vater!« wiederholte Ellena mit einer in Zärtlichkeit übergehenden Stimme; »warum sollte ich meinem Vater Vorwürfe machen?«
»Warum?« rief Schedoni, von seinem Sitze auffahrend, »Großer Gott!«
Indem er aufstand, strauchelte er über den Dolch zu seinen Füssen – in diesem Augenblicke war es, als träfe er ihn selbst ins Herz. Er schob ihn schnell zurück. Ellena hatte den Dolch nicht bemerkt; allein sie bemerkte seine arbeitende Brust, seine wilden Blicke und schnellen Schritt, als er im Zimmer auf und ab lief, und fragte ihn mit dem süßesten Tone des Mitleids und Blicken ängstlicher Bekümmerniß, ›was ihn so quälte, und ob sie nicht sein Leiden lindern könnte?‹ Es schien sich mit jedem Wunsche zu vergrößern, den sie äußerte, es zu lindern: einen Augenblick stand er still, um sie anzustaunen, den andern verließ er sie mit wahnsinnigem Zusammenfahren.
»Warum sehn Sie mich so mitleidig an, mein Vater,« sagte Ellena, »warum sind Sie unglücklich? Sagen Sie es mir, damit ich Sie trösten kann.«
Diese Auffoderung erneuerte alle Heftigkeit des Schmerzens und der Gewissensvorwürfe; er drückte sie an seinen Busen und benetzte ihre Wange mit seinen Thränen. Ellena weinte, ihn weinen zu sehn, bis endlich Zweifel sie beunruhigten. Worin auch die Beweise zu bestehen mochten, die Schedoni von der Verwandtschaft zwischen ihnen überzeugt hatten, so hatte er sie ihr doch nicht erläutert, und so stark auch die Beredsamkeit der Natur war, welche sie mit ansah, war es doch nicht genug, ein gänzliches Vertrauen in seine Aeußerung zu rechtfertigen, oder sie ohne Zittern seine Liebkosungen annehmen zu lassen. Sie fuhr zurück und suchte sich loszumachen, als er sie sogleich verstand und sagte: »Kannst du an der Ursache dieser Bewegung, an diesen Zeichen väterlicher Liebe zweifeln?«
»Habe ich nicht Ursache zu zweifeln,« antwortete Ellena furchtsam, »da ich sie vorher noch nie erfuhr?«
Er zog seine Arme zurück, heftete seine Blicke mit ernsterm Ausdruck auf sie und betrachtete sie einige Augenblicke mit ausdrucksvollem Stillschweigen:
»Arme Unschuldige,« sagte er endlich, »du weißt nicht, wie viel in deinen Worten liegt! Es ist nur zu wahr, du hast bis jetzt nie eines Vaters Zärtlichkeit gekannt!«
Sein Gesicht verfinsterte sich, wie er sprach, und er stand aufs neue von seinem Stuhle auf. Ellena, voll Erstaunen, voll Schrecken und von mannigfaltigen Regungen hin und her getrieben, hatte nicht die Kraft, ihm irgend eine Frage vorzulegen; allein sie nahm ihre Zuflucht zu dem Gemählde und bemühte sich ihre Zweifel dadurch aufzuklären, daß sie eine Aehnlichkeit zwischen diesen Zügen und Schedoni aufzuspüren suchte. Beide Gesichter waren eben so verschieden an Ausdruck als an Jahren. Das Miniaturgemählde stellte einen beinahe schönen jungen Mann von froher und lächelnder Gesichtsbildung dar; doch verrieth das Lächeln mehr Frohlocken als Sanftheit und in seiner ganzen Miene lag ein Bewußtseyn von Uebergewicht, das an Stolz gränzte.
Schedoni im Gegentheil, an Jahren vorgerückt, hatte eine strenge Physiognomie, auf welcher das Nachdenken nicht weniger als die Zeit tiefe Furchen gezogen hatten, und die durch das gewohnte Nachhängen finstrer Leidenschaften verdüstert war. Er sah aus, als hätte er nie gelächelt, seit das Gemählde gezeichnet war, und es schien, als wenn der Mahler, Schedonis künftige Stimmung im Geiste vorausgesehn und dies Lächeln ergriffen und dem Gemählde einverleibt hätte, um in der Folge zu beweisen, daß einst Heiterkeit um seine Züge gespielt hatte.
So verschieden auch der Ausdruck auf Schedonis ehemaligem Gesicht und seinem jetzigen war, so lag doch derselbe Ausdruck von hoffärtigem Stolze auf beiden; Ellena spürte auch eine gewisse Aehnlichkeit in dem kühnen Umriß der Züge auf, die aber doch nicht hinreichte, sie ohne weitern Beweis zu überzeugen, daß beide einer Person gehörten, und daß der Beichtvater jemals der junge Kavalier auf dem Portrait gewesen sey. Im ersten Aufruhr ihrer Gedanken hatte sie nicht Muße darüber nachzudenken, wie sonderbar es sey, daß Schedoni sie in dieser tiefen Stunde der Nacht besuche, oder andre als sehr unbestimmte Fragen über die Richtigkeit ihrer Verwandtschaft mit ihm zu thun. Jetzt aber, da sie sich etwas gesammelt hatte, und da seine Blicke weniger schrecklich waren, wagte sie es, eine vollständigere Erläuterung dieser Umstände und die Gründe seiner letzten sonderbaren Behauptung zu fodern.
»Es ist weit nach Mitternacht, mein Vater,« sagte Ellena, »Sie können also leicht denken, wie sehr mir daran liegt zu wissen, was Sie in dieser einsamen Stunde in mein Zimmer führte?«
Schedoni gab keine Antwort.
»Kamen Sie, um mich vor einer Gefahr warnen?« fuhr sie fort; »hatten Sie Spalatros grausames Vorhaben entdeckt? Ach! als ich diesen Abend am Ufer Sie um Mitleid flehte, dachten Sie wohl nicht, welche Gefahren mich umgaben »sonst würden Sie –«
»Gewiß« – unterbrach er sie eilfertig – »aber erwähne diese Sache nicht mehr. Warum willst du durchaus immer darauf zurückkommen?«
Seine Worte befremdeten Ellena, die bis jetzt nicht einmal von fern diesen Gegenstand berührt hatte; allein die zurückkehrende Wildheit seines Blicks machte sie so furchtsam, daß sie es nicht einmal wagte, ihn auf seinen Irrthum aufmerksam zu machen.
Es erfolgte eine andre lange Pause, während welcher Schedoni fortfuhr, im Zimmer auf- und abzugehen. Oft stand er einen Augenblick still, heftete seine Augen mit einem Ausdruck, der an Wahnsinn zu gränzen schien, auf Ellena, zog dann finster seine Blicke ab und seufzte schwer, indem er sich nach einem fernen Winkel des Zimmers wandte. Sie hingegen, voll Erstaunen über sein Betragen, und voll Unruhe über ihre eigne Lage, fürchtete sich ihn durch Fragen zu beleidigen, und suchte doch Muth zu fassen, ihn um die Erklärung zu bitten, die für ihre Ruhe so nothwendig war.
Endlich fragte sie ihn, ob sie es wagen dürfte, an diese für sie so überraschende Entdeckung zu glauben, und ihn zu erinnern, daß er ihr seine Gründe, sie als wahr anzunehmen, noch nicht entdeckt hätte.
Die Gefühle des Beichtvaters sprachen eine beredte Antwort, und als sie ihm endlich erlaubten, zusammenhängend zu reden, erwähnte er einiger Umstände von Ellenas Familie, die wenigstens eine sehr vertraute Bekanntschaft voraussetzten und worunter manches war, wovon sie geglaubt hatte, daß außer ihr und ihrer Tante Niemand darum wüßte.
Allein diese Augenblicke waren zu voll von Gewissensbissen, Schrecknissen und den ersten schmerzhaften Regungen väterlicher Zärtlichkeit, als daß er eine lange Unterredung hätte aushalten können: seine Seele bedurfte tiefer Einsamkeit. Er sehnte sich nach einem Orte, wo kein Auge seine Bewegungen zurückhielt, oder die überströmende Angst seines Herzens beobachtete. Sobald er sich davon, daß Ellena in der That sein Kind sey, hinlänglich überzeugt und sie versichert hatte, daß sie den folgenden Tag aus diesem Hause weg und wieder nach ihrer Heimath gebracht werden sollte, verließ er schnell das Zimmer.
Als er die Windeltreppe hinunter gieng, trat Spalatro mit dem Mantel, der bestimmt gewesen war, Ellenas ermordeten Körper einzuhüllen, um ihn ans Ufer zu tragen, hervor.
»Ist es gethan?« sagte der Mörder mit erstickter Stimme – »ich bin bereit« – und er breitete den Mantel hervor und wollte die Treppe herauf steigen.
»Halt Schurke, halt!« sagte Schedoni, und richtete zum Erstenmale den Kopf empor »wage es, dieses Zimmer zu betreten, und du sollst mit deinem Leben dafür büssen.«
»Was!« –« rief der Mann und fuhr voll Erstaunen zurück, – »haben Sie an ihrem Leben noch nicht genug?«
Er zitterte für die Folgen von dem, was er gesagt hatte, als er den Beichtvater das Gesicht verändern sah. Allein Schedoni antwortete nicht; der Aufruhr in seiner Brust war zu groß, um Worte zuzulassen, und er drängte sich eilends fort. Spalatro folgte ihm.
»Seyn Sie so gut mir zu sagen, was ich thun soll,« rief er und hielt wieder den Mantel vor.
»Hebe dich weg,« rief Schedoni und wandte sich trotzig zu ihm; »verlaß mich.«
»Wie!« sagte der Mann, dessen Lebensgeister nun aufgeregt waren – »hat Sie der Muth auch verlassen, Signor? Wenn das ist, so will ich Ihnen beweisen, daß ich kein Feiger bin, ohngeachtet Sie mich dafür gescholten haben. Ich will die That selbst übernehmen.«
»Nichtswürdiger! Schurke!« rief Schedoni und packte den Mörder mit einem Griff, der ihn vernichten zu sollen schien, bei der Kehle; bis er sich besann, daß der Kerl nur der Anweisung folgte, die er selbst ihm kurz zuvor gegeben hatte – andre Regungen verdrängten nun die der Wuth – er ließ ihn langsam los und hieß ihn in gebrochnen, gemilderten Tönen sich zur Ruhe legen.
»Morgen,« setzte er hinzu, »will ich weiter mit dir reden – Für diese Nacht habe ich meine Absicht geändert. Geh nur!«
Spalatro war im Begriff, dem Unwillen Luft zu machen, den Erstaunen und Furcht bisher überwältigt hatten; allein sein Gebieter wiederholte mit einer Stimme des Donners seinen Befehl und machte die Thüre seines Zimmers mit Heftigkeit zu, als er einen Menschen hinaussperrte, dessen Anblick ihm verhaßt geworden war. Er fühlte sich durch seine Entfernung erleichtert und athmete freier, bis er sich besann, daß dieser Mitschuldige sich eben gerühmt hatte, daß er kein Feiger sey; er fürchtete nun, daß er, um diese Behauptung zu beweisen, einen Versuch machen würde, das Verbrechen zu begehn, vor welchem er noch kurz zuvor zurück geschrocken war.
Zitternd bei dem Gedanken an diese Möglichkeit und voll Angst, daß sie schon Wirklichkeit könnte geworden seyn, stürzte er aus dem Zimmer und fand Spalatro in dem Gange, der zu der geheimen Treppe führte; seine Stellung und Blicke waren beunruhigend genug, was auch seine Absicht seyn mochte. Bei Schedonis Annäherung wandte er sein mürrisches und boßhaftes Gesicht nach ihm hin, ohne seinen Zuruf oder die Frage, was er dort suche, zu beantworten – und mit langsamen Schritten gehorchte er dem Befehl seines Herrn, sich in sein Zimmer zu begeben. Schedoni folgte ihm und nachdem er ihn darin eingeschlossen hatte, verfügte er sich nach Ellenens Zimmer, das er vor allem möglichen Ueberfall verwahrte. Er gieng darauf in das seinige zurück, nicht um zu schlafen, sondern sich der Qual der Gewissensbisse und des Entsetzens zu überlassen. Es schauderte ihm, gleich einem, der so eben von dem Rande eines Abgrunds zurückgewichen ist, aber noch mit seinem Auge den Schlund misset.