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Thus sang th' unletterd awain to th' oaks and rills
While the still morn went forth with sandals gray.
And now the sun bad stretch'd out all the hills
And now was dropt into the western bay. –
So sang der seltsame Hirt den Eichen und Bächen;
Während der Morgen auf grauen Sandalen ging,
...
Jetzt breitet die Sonne sich hügelentlang,
Jetzt sank sie tief in die westliche Bucht.
Milton.
Von der Spitze eines Berges zeigte das Morgenlicht den Reisenden den fernen See Celano, der am Fuße der hohen Appenninen weit im Süden schimmerte. Vivaldi hielt es für rathsam, seinen Weg dahin zu nehmen: denn der See lag so weit entfernt von dem geraden Wege nach Neapel, und von der Gegend von San Stefano, daß seine Ufer eine sichre Zuflucht versprachen. Auch glaubte er, daß in den Klöstern, die an diesen entzückenden Ufern ausgestreut lagen, sich leicht ein Priester finden würde, um ihre Hochzeit zu feiern, wenn er Elena bewegen könnte, in eine unverzügliche Heirath zu willigen.
Die Reisenden stiegen zwischen Olivenwäldern herab, und ließen sich bald von einigen Bauern, die bei der Arbeit waren, einen Weg beschreiben, der von Aquila nach der Stadt Celano führt; einer von den sehr wenigen Wegen, der sich durch die wilden Gebürge schleicht, die an jeder Seite den See einfassen. So wie sie sich dem Thale näherten, kam ihnen der Duft von Orangenblüthen aus der Morgenluft entgegen, und die würzigte Myrthe schickte ihren Wohlgeruch aus den Klippen hervor, welche sie dicht belaubte. Schattigte Reihen von Citronen- und Orangenbäumen breiteten sich längs dem Thale hin und Vivaldi hoffte, in den freundlichen Hütten der Bauern Ruhe und Erfrischung für Ellena zu finden.
Allein die Hütten, in welchen Paulo anfragte, waren leer, weil die Besitzer alle zu ihrer Arbeit gegangen waren; die Reisenden stiegen weiter und fanden sich bald zwischen Bergen, welche Heerden bewohnten, und wo der Duft der Orangenblüthe sich mit dem aromatischen Wohlgeruch der Weiden vertauschte.
»Signor, tönt da nicht ein Schäferhorn in der Ferne? Vielleicht wäre es möglich, dort einige Erfrischungen für die Signora zu finden.«
Vivaldi horchte, und vernahm deutlicher eine Hoboye und ländliche Trommel.
Sie folgten dem Tone über den Rasen hin und erblickten eine Hütte, die durch ein Gebüsch von Mandelbäumen vor der Sonne geschützt war. Es war eine Milchhütte, die einigen Schäfern gehörte, welche nicht weit davon ihre Heerden bewachten und unter dem Schatten von Wallnusbäumen ausgestreckt, sich mit dem Spielen dieser ländlichen Instrumente ergötzten; eine Scene arkadischer Sitten, die bis auf diese Tage in den Gebürgen von Abruzzo nicht selten ist. Die Einfalt ihres Ansehns, das an Wildheit gränzte, war durch einen gastfreien Ausdruck gemildert. Ein ehrwürdiger Mann, der oberste Schäfer, kam ihnen entgegen, und sobald er ihr Bedürfniß hörte, führte er sie in seine kühle Hütte, wo Sahne, Käse, von Ziegenmilch gemacht, Honig, aus den süßen Kräutern der Berge gezogen, und getrocknete Feigen ihnen schnell aufgetragen wurden.
Ellena, mehr von ausgestandner Angst, als von der Reise angegriffen, legte sich nach dem Frühstück auf eine Stunde nieder; Vivaldi blieb auf der Bank vor der Hütte sitzen und Paulo, der Wache hielt, verdaute unter dem Schatten der Mandelbäume sein Frühstück und dachte über die Umstände nach, die sie zuletzt beunruhigt hatten.
Als Ellena wieder erschien, schlug Vivaldi vor, daß sie während der drückenden Hitze hier ruhen wollten, und da er sie jetzt für den Augenblick wenigstens in Sicherheit glaubte, wagte er es, den Gegenstand zu erneuern, der ihm am meisten am Herzen lag: er stellte ihr vor, welche Uebel sie noch verfolgen könnten, und drang auf eine unmittelbare Vollziehung ihrer Heirath.
Gedankenvoll und niedergeschlagen hörte Ellena Vivaldi's Gründen und Bitten eine Zeitlang stillschweigend zu. Sie sah insgeheim die Richtigkeit seiner Gründe ein; allein sie schrak mehr als je vor der Indelikatesse, vor der Herabwürdigung zurück, sich in seine Familie zu drängen; eine Familie, von der sie nicht nur Beweise einer großen Abneigung erhalten, sondern auch schreckliche Ungerechtigkeit erlitten hatte, und mit noch härterer Grausamkeit bedroht wurde. Doch entband gerade diese Behandlung sie von aller Verbindlichkeit, von allen Rücksichten der Delikatesse oder Großmuth gegen die Urheber ihres Leidens, und sie hatte nur ihre eigne und Vivaldi's Glückseligkeit in Betrachtung zu ziehen. Doch konnte sie sich nicht sogleich über einen Gegenstand bestimmen, von welchem das Schicksal ihres ganzen Lebens abhieng; und so zärtlich und dankbar sie auch Vivaldi liebte, konnte sie sich doch nicht enthalten, ihn an die Gründe zu erinnern, die ihre Entscheidung zurückhielten.
»Sagen Sie mir selbst, ob es mir geziemt, Ihnen meine Hand zu geben, so lange Ihre Familie, Ihre Mutter –«
Sie hielt inne und erröthete, und brach in Thränen aus.
»Verschonen Sie mich mit dem Anblick dieser Thränen,« sagte Vivaldi, »und eine Erinnerung an die Umstände, welche sie hervorgelockt haben. O! lassen Sie mich nicht daran denken, daß ihre Härte und Grausamkeit Sie zu ewigem Leiden bestimmt hatte!«
Vivaldis Züge zogen sich krampfhaft zusammen: er stand auf, gieng mit schnellen Schritten im Zimmer auf und ab, und verließ es dann, um in den Schatten der Bäume vor der Hütte zu gehen.
In wenig Augenblicken aber bekämpfte er seine Empfindung und kam zurück; er setzte sich auf die Bank neben Ellenen, ergriff ihre Hand und sagte feierlich mit einer Stimme, voll der höchsten Empfindung:
»Ellena, Sie haben lange gesehn, wie theuer Sie mir sind; Sie können nicht an meiner Liebe zweifeln – Sie haben lange versprochen, in der Gegenwart derjenigen, die nicht mehr ist, deren Geist aber vielleicht in diesem Augenblick auf uns herab blickt, im Beiseyn derjenigen, die Sie meiner zärtlichsten Sorge vermachte, feierlich versprochen, auf ewig die meinige zu seyn. Bei diesen geheiligten Wahrheiten, bei diesen rührenden Erinnerungen beschwöre ich Sie, überlassen Sie mich nicht der Verzweiflung: machen Sie nicht, daß ich in der Wuth einer gerechten Empfindlichkeit über der grausamen und irrigen Politik der Mutter den Sohn vergesse. Weder Sie noch ich können die Fallstricke voraus sehn, die man uns legen wird, sobald es heraus kommt, daß Sie San Stefano verlassen haben. Wenn wir zögern, unsre Gelübde auszuwechseln, so weiß ich und fühle es, daß Sie auf immer für mich verloren sind!«
Ellena war gerührt, und einige Augenblicke unvermögend zu antworten. Endlich trocknete sie ihre Thränen und sagte zärtlich:
»Empfindlichkeit kann keinen Einfluß auf mein Betragen gegen Sie haben; mich dünkt, ich fühle keine gegen die Marquise, denn sie ist Ihre Mutter. Aber Stolz, beleidigter Stolz hat das Recht und sollte immer unsre Handlungen bestimmen. Die Zeit ist vielleicht jetzt gekommen, wo ich Ihnen auf immer entsagen müßte, wenn ich meiner selbst würdig handeln wollte.«
»Mir entsagen!« unterbrach sie Vivaldi; »mir auf immer entsagen! Und ist es Ihnen also möglich, mir zu entsagen?« wiederholte er, seine Augen mit Heftigkeit und Bestürzung auf ihr Gesicht geheftet. »Sagen Sie mir mit einemmale, Ellena, ist es möglich?«
»Ich fürchte, nein!« erwiederte sie.
»Sie fürchten es! ach wenn Sie fürchten, so ist es nur zu möglich, und ich habe Sie bereits verloren! Sagen Sie mir nur, o! sagen Sie mir, daß Sie hoffen, es wäre nicht, dann will ich auch wiederum hoffen!«
Der Schmerz, womit er dies sagte, erweckte alle ihre Zärtlichkeit: sie vergaß die Zurückhaltung, die sie sich aufgelegt hatte, und sagte mit mit einem unaussprechlich süßen Lächeln:
»Ich will weder fürchten noch hoffen. Ich will den Eingebungen der Dankbarkeit, der Zärtlichkeit Gehör geben, und glauben, daß ich Ihnen nie entsagen kann, so lange Sie unverändert bleiben.«
»Glauben,« wiederholte Vivaldi, »nur glauben! Und warum diese Erwähnung von Dankbarkeit, diese unnöthige Zurückhaltung? Und selbst diese schwache Versicherung mußte ich erst erpressen? Sie sehen meinen Schmerz, und nur aus Mitleid, aus Dankbarkeit, nicht aus Zärtlichkeit wollen Sie ihn lindern! Nein, Ellena! Es ist nur zu gewiß, daß Sie mich nicht lieben. Meiner Mutter Grausamkeit hat Ihr Herz von mir entfremdet.«
»Wie falsch deuten Sie meine Worte!« sagte Ellena, »Sie haben bereits heilige Beweise meiner Achtung erhalten.« –
»Ach« unterbrach Vivaldi sie mit Heftigkeit; »das ist eben das Wort, das mich mehr als alles peinigt. Achtung! Dankbarkeit! welche kalte pflichtmäßige Erwiederungen meiner heißen Liebe!«
»Bei mir haben diese Worte eine andre Bedeutung,« sagte Ellena lächelnd. »Dankbarkeit enthält für mich alles was die Liebe nur Zärtliches und Großmüthiges hat; und das Pflichtmäßige, welches Sie hineinlegen, ist eines von den süßesten und heiligsten Gefühlen des menschlichen Herzens.«
»Ach Ellena, ich lasse mich nur zu gerne täuschen, um Ihre Erklärung strenge zu untersuchen; doch glaube ich, daß mehr Ihr Lächeln als die Bestimmtheit Ihrer Erklärung, mir ein Zutrauen in Ihre Liebe einflößt: ich will glauben, daß die Dankbarkeit, welche Sie fühlen, so zärtlich und viel umfassend ist, als Sie es sagen: aber ich bitte Sie, nennen Sie mir das Wort nicht mehr. Sein Ton ist mir wie die Berührung des Torpedo Krampffisch, bei dessen Berührung die Glieder einschlafen. [Zitterrochen. – D.Hg.]; ich fühle mein Vertrauen erstarren, sogar wenn ich es reibst ausspreche.«
Paulos Eintritt unterbrach das Gespräch; er näherte sich mit einem geheimnißvollen und ängstlichem Wesen, und sagte mit leiser Stimme:
»Signor, wen meinen Sie wohl, daß ich gesehen hätte, als ich dort unter den Mandelbäumen Wache hielt? wen sonst, als die zwei baarfüßigen Karmeliter, die uns in dem Paß von Chiari einholten! Ich verlor sie hinter dem Walde wieder aus dem Gesicht, allein ich will wohl dafür stehn, daß sie diesen Weg kommen: denn so bald sie diese Milchhütte entdecken, werden sie errathen, daß etwas Gutes hier zu haben ist: und die Schäfer würden glauben, alle ihre Heerden müßten sterben, wenn –«
»Ich sehe sie diesen Augenblick aus dem Walde kommen,« sagte Vivaldi, »jetzt verlassen sie die Landstraße und kommen quer übers Feld hieher. Wo ist unser Wirth, Paulo!«
»Er ist draußen, nicht weit von hier. Soll ich ihn rufen, Signor?«
»Ja,« erwiederte Vivaldi – »oder bleibe nur; ich will selbst gehn. Doch, wenn sie mich sehn!«
»Ja freilich, Signor; aber wenn sie mich sehen, so ist es dasselbe. Doch wir können uns jetzt nicht anders helfen. Wenn wir den Wirth rufen, so verrathen wir uns selbst; rufen wir ihn nicht, so wird er uns verrathen – sie werden uns also auf jeden Fall entdecken.«
»Stille, stille! laß mich einen Augenblick nachdenken,« sagte Vivaldi. –
Während Vivaldi nachdachte, sah sich Paulo nach einem Orte um, wo sie sich verstecken könnten, wenn es erfordert würde.
»Rufe sogleich unsern Wirth,« sagte Vivaldi; »ich muß mit ihm sprechen.«
»Da geht er vor dem Fenster vorbei,« sagte Ellena.
Paulo rief ihn, und der Schäfer kam sogleich in die Hütte.
»Mein lieber Freund,« sagte Vivaldi, »ich muß ihn bitten, jene Mönche, die dort her kommen, weder herein zu lassen, noch ihnen zu sagen, wer hier ist. Sie sind uns schon unterwegens sehr zur Last gefallen. Ich will ihm alles ersetzen, was er durch ihr schnelles Fortgehn verlieren könnte.«
»Was das betrifft,« sagte Paulo, »so ist es mit meines Herrn Erlaubniß, wohl nur ihr Besuch, der einen Verlust verursachen könnte; durch ihr Fortgehen hat wohl noch Niemand verloren. Ihm die Wahrheit zu sagen: denn mein Herr mag nicht so gerade heraus reden, wir mußten alle Augen offen haben, so lange sie uns Gesellschaft leisteten, sonst würden uns die Taschen viel leichter geworden seyn. Es sind Leute, die nichts Gutes im Sinne führen; das kann er mir auf mein Wort glauben, Freund! vielleicht sind es verkleidete Banditen. Die Kleidung von Karmelitermönchen wird ihnen in dieser Zeit der Pilgerschaften recht gut zu statten kommen. Sey er also nur brav grob gegen sie, wenn sie hier herein kommen wollen; und wenn sie fort gehn, so wird er wohlthun, Jemand hinter ihnen her zu schicken, um zu sehn, welchen Weg sie nehmen, und ob sie mit reiner Hand davon gehen, sonst könnte er vielleicht um ein Schaaf kommen.«
Der alte Schäfer schlug Augen und Hände gegen Himmel, und sagte:
»Da sieht man, wie die Welt geht! aber ich danke Ihnen für Ihre Warnung: sie sollen trotz ihres heiligen Ansehens nicht über meine Schwelle kommen; es ist freilich wohl das erstemal in meinem Leben, daß ich einem von ihrer heiligen Kleidung eine abschlägige Antwort gab, und mein Leben ist schon so ziemlich lang gewesen, wie Sie vielleicht aus meinem Gesichte schließen werden. Wie alt halten Sie mich wohl, mein Herr! Ich will wetten, daß Sie mich für jünger halten werden, als ich bin: wenn in diesen gähen Gebürgen –«
»Ich will rathen, sobald er die Fußgänger fortgeschickt haben wird, lieber Freund,« sagte Vivaldi – »gebe er ihnen in aller Geschwindigkeit eine kalte Erfrischung außen vor der Thüre, und schicke er sie fort. Sie müssen beinahe schon hier seyn. Eile er sich, Freund.«
»Wenn Sie ja über mich herfallen sollten, weil ich sie nicht hereinlassen will, so werden Sie doch herauskommen, um mir zu helfen, Signor! Meine Burschen sind etwas weit weg.«
Vivaldi versprach es ihm, und er verließ die Hütte. Paulo wagte es, einen Blick durchs Fenster zu thun, aber er konnte nichts von ihnen entdecken; er schlich auf den Zähen an die Thüre, hörte aber eben so wenig etwas.
»Gewiß sind es Spione aus den Kloster,« sagte Ellena zu Vivaldi; »sie folgen uns so dicht auf dem Fuße nach. Wären es Pilger, so ist es nicht wahrscheinlich, daß ihr Weg sie durch unbesuchte Gegend führen würde, und weniger, daß sie nicht in größerer Gesellschaft reisen sollten. Als man meine Abwesenheit merkte, wurden uns ganz gewiß diese Leute nachgeschickt, und da sie den Andächtigen begegneten, an denen wir vorübergiengen, so wurden sie dadurch in den Stand gesetzt, unserm Wege zu folgen.«
»Wir werden wohl thun, nach dieser Vermuthung zu handeln,« erwiederte Vivaldi; »allein ohngeachtet ich selbst geneigt bin, sie für Abgesandte von San Stefano zu halten, so ist es doch möglich, daß es nur Karmelitermönche sind, die nach einem Kloster am See Celano zurückkehren.«
Nach einer Weile kam der alte Schäfer wieder.
»Sie sind fortgegangen, Signor,« sagte er: »machen Sie nur die Thüre wieder auf.
»Welchen Weg nahmen sie?« fragte Vivaldi, als der Mann herein trat. –
»Das kann ich nicht sagen, Signor, weil ich sie gar nicht gesehn habe, und ich habe mich doch allenthalben umgesehn.«
»Wie, ich sah sie ja mit meinen eignen Augen dort vom Walde herkommen,« sagte Paulo.
»Und zwischen dem Walde und der Hütte,« sagte Vivaldi, »ist nichts, was sie unserm Blick verbergen konnte. Was sollten sie wohl mit sich angefangen haben, Freund?«
»Was das betrifft, vielleicht sind sie wieder in den Wald gegangen,« sagte der Schäfer.
Paulo gab seinem Herrn einen bedeutenden Blick und setzte hinzu: »Das ist wahrscheinlich genug, Freund, und er kann sich darauf verlassen, daß sie in keiner guten Absicht hier umher schnöbern. Er würde wohl thun, wenn er Jemand hinschickte, um sich nach ihnen umzusehn; seine Heerden könnten sonst darunter leiden. Verlasse er sich darauf, daß sie nichts Gutes im Schilde führen.«
»Wir sind in unsern Gegenden solcher Art Leute nicht gewohnt,« antwortete der Schäfer; »wenn sie uns aber irgend etwas zu Schaden thun wollten, so sollen sie erfahren, daß wir uns zu helfen wissen.«
Mit diesen Worten nahm er ein Horn von der Wand und blies so hell hinein, daß die Berge wiederhallten: sogleich sah man die jungen Schäfer von verschiedenen Seiten nach der Hütte zu laufen.
»Beunruhige er sich nicht, Freund,« sagte Vivaldi; »diese Reisenden haben gewiß nichts Böses gegen euch, guten Leute, im Sinn, was für Absichten sie auch auf uns haben mögen. Weil ich sie aber für verdächtige Personen halte, und nicht gerne unterwegens ihre Gesellschaft haben möchte, so würde er mir einen Gefallen thun, wenn er einen von seinen Burschen ein Streckchen auf den Weg nach Celano schicken wollte, um zu sehn, ob sie noch da herum schleichen.«
Der alte Mann war es zufrieden, und als die Schäfer heran kamen, gab Vivaldi einem von ihnen seine Aufträge.
»Und laß dir nur nicht einfallen zurück zu kommen, bis du sie gefunden hast,« setzte Paulo hinzu.
»Nein gewiß nicht, Herr!« versetzte der Bursch – »ihr könnt euch darauf verlassen, daß ich sie sicher hieher bringen werde.«
»Wenn du das thust, Freund, so wird dir der Hals für deine Mühe gebrochen. Du sollst bloß ausfindig machen, wo sie sind, und Acht geben, wohin sie gehen,« sagte Paulo.
Vivaldi machte dem Burschen endlich begreiflich, was man von ihm verlange, und er gieng, während der alte Schäfer außen Wache hielt.
Der Schäferjunge kam weit früher zurück, als sie erwartet hatten; allein er brachte keine Nachricht von den Mönchen mit.
»Ich sah mich im Walde und in dem Hohlwege dort, allenthalben nach ihnen um,« sagte der Bursch, »und stieg auf den Berg herauf; aber es war keine Seele weder nahe noch ferne zu erblicken außer unsern Ziegen, und die laufen zuweilen weit genug herum, und verleiten mich zu einem schönen Tanze. Zuweilen sind sie bis zum Monte Nuvola geirrt, und auf die Spitze bis zwischen den Wolken geklettert; die Schelme schienen es ordentlich zu wissen, daß ich sie nicht fangen konnte; denn sobald sie mich kommen sahen, standen sie still und sahen so schalkhaft von ihren Klippen herunter, als wollten sie mich auslachen und sagen: Fange uns wenn du kannst.«
Vivaldi, der, während des letzten Theils dieser Rede, mit Ellena zu Rathe gegangen war, ob sie ohne Verzug ihren Weg fortsetzen wollten, legte dem Burschen noch einige Fragen über die Karmeliter vor, und da er überzeugt wurde, daß sie entweder den Weg nach Celano gar nicht genommen hatten, oder doch wenigstens schon weit entfernt waren, so war er der Meinung, daß sie sich aufmachen und gemächlich weiter reisen wollten: »denn ich fürchte jetzt weniger von diesen Leuten,« setzte er hinzu, »als daß die Nacht uns überfallen konnte, ehe wir den Ort unsrer Bestimmung erreichen; der Weg ist bergicht und wild, und wir kennen ihn nicht genau.«
Ellena war es zufrieden, und sie nahmen Abschied von dem guten Schäfer, der sich kaum bewegen ließ, eine Vergeltung für seine Mühe von ihnen anzunehmen: er beschrieb ihnen den Weg so gut er konnte, und ihre Reise wurde noch lange durch den Schall der Trommel und durch den süßen Schall der Flöte, der über die Wildniß wehte, belebt.
Als sie an den Hohlweg im Walde kamen, dessen der Knabe erwähnt hatte, schickte Ellena manchen ängstlichen Blick durch die tiefen Schatten hin; Paulo, der oft still war, oft laut sang und pfif, als wollte er seine Furcht übertäuben, guckte unter jeden Ast, der über den Weg hieng und erwartete, seine Freunde die Karmeliter in der Dunkelheit lauschen zu sehn.
»Ach Signor,« rief Paulo, »was ist hier für eine Aussicht! Es erinnert mich an unsre Heimath; es ist beinahe so schön hier, als am Hafen von Neapel: doch würde sie mir nie so lieb seyn, wenn sie auch hundertmal schöner wäre.«
Die Reisenden standen still, um die Scene zu bewundern und ihren Pferden einige Ruhe zu vergönnen. Die Abendsonne, die quer über eine unabsehbare Fläche von klarem Wasser strahlte, beleuchtete alle Städte und Dörfer, alle Zinnen der Schlösser und spitzen Thürme der Klöster, welche die hohen Ufer bereicherten, stellte alle die mannigfaltigen Farben der bebauten Felder ins Licht und färbte mit strahlendem Purpur die Berge, die an jeder Seite den majestätischen Hintergrund der Landschaft bildeten. Vivaldi zeigte Ellenen den gigantischen Velino im Norden, einen Gränzberg zwischen dem Gebieth von Rom Gemeint ist der ›Kirchenstaat‹, das weltliche Herrschaftsgebiet des Papstes in Italien, das sich bis Ferrara im Norden erstreckte. – D.Hg. und Neapel. Sein vorragendes Haupt thürmte sich hoch über jeden benachbarten Gipfel, und seine weißen, mit Schnee gekrönten Vorgebürge standen der grünen Spitzen des Majella gegen über. Westwärts nahe an waldigten Hügeln, und unmittelbar aus dem See aufsteigend, erschien der Monte Salviano, mit wildem Salbey bedeckt, und einst mit Kastanienwäldern prangend; ein Zweig von den Apenninen streckte sich aus, um ihn zu begrüßen.
»Sieh,« sagte Vivaldi, »wie der Monte Corno gleich einem Strassenräuber, breit, narbigt, drohend und schrecklich da steht! und wie südwärts der finstre San Nicolo, kahl und felsigt empor schießt! Wie von da andre überhängende Klippen der mächtigen Apenninen den Horizont weit im Osten hin verdunkeln und einen Kreis schließen, um sich im Norden dem Velino zu nähern!«
»Bemerken Sie auch,« sagte Ellena, »wie sanft die Ufer und durchwässerten Wiesen am Fuße der Berge ruhn: welch ein Bild von Schönheit und Anmuth sie der schauderlichen Größe, welche sie überragt und bewacht, entgegen stellen! Sehn Sie auch, wie so manche reizende Thäler, die sich vom See öffnen, ihren Reiß und ihre von Mandelnwäldchen beschatteten Felder weit zwischen den schlängelnden Hügeln hinwinden – wie fröhlich Weinberge und Olivenbäume abwechselnd die Anhöhen besetzen und wie anmuthig die hohen Palmen sich über die höhern Klippen hinneigen.«
»Ja, Signora,« rief Paulo, »und haben Sie die Güte zu bemerken, wie ähnlich die Fischerboote, die auf das Dörfchen dort unten zu rudern, den Kähnen sehn, die man im Hafen von Neapel sieht. Sie sind so viel werth, als die ganze übrige Aussicht, diesen schönen Strich Wasser, der beinahe so gut ist als der Hafen, und den Berg dort mit seinem scharfen Haupte ausgenommen, der dem Vesuv nahe kömmt, wenn er nur auch Feuer speyen wollte!«
»Wir dürfen wohl nicht hoffen,« sagte Vivaldi, über diesen Nationalzug lächelnd, »in dieser Gegend einen Berg zu finden, der so gut wäre, Feuer zu speyen – ohngeachtet vielleicht manche, die wir jetzt sehn, einmal Vulkane gewesen sind.«
»Ich ehre sie deswegen, Signor, und sehe sie mit doppeltem Vergnügen an: aber unser Berg ist der einzige Berg in der Welt. O! ihn in dunkler Nacht zu sehn! welche Flammen er von sich wirft, und bis zu welcher Höhe! und wie er die See erleuchtet! Das kann kein andrer Berg! Es ist, als wenn alle Wellen in Feuer wären. Ich habe den Wiederschein bis Capri gesehn, wie er über den ganzen Meerbusen hinzitterte, und jedes Schiff so hell als am Mittag zeigte – ja, sogar jeden Matrosen auf dem Verdeck. Sie müssen nie so etwas gesehn haben, Signor! –«
»Du scheinst vergessen zu haben, daß ich es jemals sah, Paulo, so wie auch, daß ein Vulkan schreckliches Unheil stiften kann. Aber lassen Sie uns zu der Scene vor uns zurückkehren, Ellena. Dort, eine oder zwei Meilen innerhalb des Ufers liegt die Stadt Celano, wohin wir gehen.«
Die Klarheit einer italienischen Atmosphäre ließ ihn die kleinsten, obwohl sehr fernen Umrisse der Landschaft unterscheiden. Auf einer Anhöhe, die sich weit aus der tiefen Ebne nach Westen hin erhob, zeigte er ihr das neue Alba, mit den Ruinen seines alten Schlosses gekrönt, die noch immer im Glanze des Horizonts sichtbar waren; das Gefängniß und Grab manches Fürsten, der, von seiner Hoheit herabgesunken, von dem gebieterischen Rom hieher geschickt wurde, um den traurigen Umsturz seiner Tage zu endigen – um von den Gittern seines Thurms auf Einöden hin zu staunen, wo Schönheit oder Größe ihm, dessen Leben zwischen den Intriguen der Welt und den fieberhaften Kämpfen getäuschten Ehrgeitzes hingebracht war; ihm, den das Nachdenken nur Gewissensbisse, der Blick in die Zukunft nur Verzweiflung mitbrachte, keine Gefühle des Trostes einhauchen konnten.
»Und zu einem Anblick, wie dieser,« sagte Vivaldi, »kam ein römischer Kaiser nur, um ein barbarisches Schauspiel anzusehn, um dem wildesten Vergnügen nachzuhängen! – Hier feyerte Claudius Vollendung seines kühnen Werkes, eine Wasserleitung, um das überfließende Wasser des Celano nach Rom zu führen, durch ein Seetreffen, worin Hunderte unglücklicher Sklaven für sein Vergnügen umkamen! Diese reine, glatte Oberfläche wurde mit Menschenblut befleckt, und durch die hineingeworfnen Körper der Erschlagnen uneben gemacht, während die vergoldeten Galleeren des Kaisers fröhlich umher schwammen, und die schönen Ufer ein lautes Beifallsgeschrei wiederhallten, das der Furien In der Vorlage: »Ferien«. – D.Hg. würdig gewesen wäre!«
»Signor,« rief Paulo, »ich denke, während wir hier mit solcher Gemächlichkeit die Luft einschlürfen, dürften vielleicht diese Karmeliter uns aus einer Höhle oder Winkel ausspähen, ohne daß wir etwas davon ahndeten, und plötzlich auf uns eindringen, ehe wir uns helfen können. Wäre es nicht besser, wenn wir weiter giengen?«
Sie stiegen den Berg herab und Ellena überließ sich still und niedergeschlagen, ihren Betrachtungen. Sie fühlte das Mißliche ihrer gegenwärtigen Lage zu sehr und empfand zu gut, welchen Einfluß ihr Entschluß auf ihr ganzes zukünftiges Leben haben mußte, als daß sie hätte froh seyn können, ob sie gleich dem Gefängniß von San Stefano entwischt und in der Gegenwart ihres geliebten Befreyers und Beschützers Vivaldi war. Er bemerkte mit Betrübniß ihre Niedergeschlagenheit, und da er die zarten Bedenklichkeiten, welche sie quälten, nicht kannte, deutete er ihre Zurückhaltung als Gleichgültigkeit gegen sich. Doch enthielt er sich, sie durch die Aeußerung seiner Besorgnisse zu beunruhigen, und nahm sich vor, nicht eher auf die Erfüllung seiner Bitten zu dringen, bis er sie an einen sichern Zufluchtsort gebracht hätte, wo sie sich in gänzlicher Freiheit befände, seinen Vorschlag anzunehmen oder zu verwerfen. Durch dieses feine Betragen ergriff er, ohne es zu wissen, das sicherste Mittel, ihre Achtung und Dankbarkeit zu erhöhn, und verdiente sie um so mehr, da er befürchten mußte, sie durch diese Verzögerung ihrer Hochzeitsfeier zu verlieren.
Sie erreichten die Stadt Celano, ehe es Abend wurde, und Ellena bat Vivaldi, sich nach einem Kloster zu erkundigen, wo sie die Nacht bleiben könnte. Er ließ sie mit Paulo in dem Gasthofe und machte sich auf den Weg. Das erste Thor, an welches er klopfte, gehörte zu einem Karmeliterkloster. Wahrscheinlich waren die Pilger, die ihnen so viel Unruhe verursacht hatten, ehrliche Brüder aus diesem Hause; da sie aber auch Abgesandte der Aebtissin von San Stefano seyn konnten, die, wie er vermuthete, wenn sie nach Celano kämen, lieber bei einer Gesellschaft ihres eignen Ordens als an einem andern Orte logiren würden, so hielt er es für besser, nicht hinein zu gehen. Er eilte daher weiter, und kam bald an ein Dominikanerkloster, wo er erfuhr, daß nur zwei Nonnenklöster in Celano wären, und daß diese keine andre als bleibende Kostgängerinnen annähmen.
Vivaldi kam mit dieser Nachricht zu Ellena zurück, die sich in die Nothwendigkeit, zu bleiben, wo sie war, zu ergeben suchte; allein Paulo, stets thätig und eifrig, brachte die Nachricht, daß in einer kleinen Fischerstadt, am Ufer des Sees, ein Ursulinerkloster liege, das wegen seiner Gastfreiheit gegen Fremde berühmt sey. Die Verborgenheit eines so entlegenen Ortes war noch eine Ursache mehr, es Celano vorzuziehen, und Vivaldi schlug vor, sich dahin zu begeben, wenn Ellena nicht zu müde wäre, um noch weiter zu reisen. Sie nahm es mit Freuden an, und sie begaben sich sogleich auf den Weg.
»Es ist heute eine schöne Nacht,« sagte Paulo, als sie Celano verließen, »und ich glaube, Signor, wir können nicht gut unsern Weg verfehlen; es soll auch überdies nur einen Weg geben. Die Stadt liegt am Rande des Sees etwan eine Meile von hier. Mich dünkt, ich sehe schon einen grauen Thurm zur Rechten des Waldes, wo das Wasser so glänzt.«
»Nein, Paulo,« erwiederte Vivaldi, nachdem er aufmerksam hingesehen hatte: »ich merke wohl, was du meinst, aber das sind nicht Thurmspitzen, sondern nur die Häupter einiger schlanken Cypressen.«
»Diese kühle, balsamische Luft erfrischt mich,« sagte Ellena, »und welch ein süßer Schatten liegt auf dieser Gegend! Wie sanft und doch wie deutlich ist jeder nahe Gegenstand; welches süße Zwielicht hüllt die entfernteren ein – während die Berge jenseits sich erhaben auf den noch immer glänzenden Horizont auszeichnen.«
»Bemerken Sie auch,« sagte Vivaldi, »wie ihre gebrochenen Gipfel, getaucht in die Strahlen, welche zu unsrer niedrigern Region herabgeschickt sind, wie Thürme und Schlösser und mit Zinnen prangende Mauern dastehn, welche bestimmt schienen, sie gegen die Feinde zu schützen, die von den Wolken auf sie herab kommen könnten.«
»Ja,« erwiederte Ellena, »die Berge selbst stellen eine Erhabenheit dar, die für eine höhere Welt zu gehören scheint; sie können nur von Geistern der Luft, nicht von Bewohnern dieser Erde angegriffen werden.«
»Von nichts anderm, Signora,« sagte Paulo, »denn nichts auf dieser Erde kann sie erreichen – sie haben auch die Eigenschaften der Geister: sehen Sie, wie sie ihre Gestalt und Farben verändern, so wie die Sonnenstrahlen sinken. Wie grau und trübe sie jetzt werden! wie schnell sie verschwinden!«
»Alles ruht,« sagte Vivaldi, »wer wollte auch wohl am Tage reisen, wenn Italien solche Nächte hat!«
»Signor, das ist die Stadt vor uns,« sagte Paulo; »denn jetzt kann ich deutlich genug die Thürme des Klosters unter scheiden dort geht ein Licht! – Hah und da höre ich auch eine Glocke. Die Mönche gehn zur Messe. Ich wollte, wir giengen zum Abendessen, Signor!«
»Diese Glocke ist näher, als der Ort, den du gezeigt hast, Paulo, und ich zweifle, ob sie von daher kommt.«
»Hören Sie, Signor, der Wind weht den Schall herbei, jetzt ist er wieder verschwunden.«
»Ja ich. glaube, du hast Recht, Paulo, und wir werden nicht mehr weit zu gehen brauchen.«
Sie giengen den Hügel herab nach dem Ufer zu, und Paulo rief bald darauf: »Sehn Sie, Signor, da gleitet noch ein andres Licht hin; es strahlt auf dem See wieder.«
»Ich höre das schwache Schlagen der Wellen und auch fernes Geräusch von Rudern,« sagte Ellena. »Aber sieh, Paulo, das Licht ist nicht in der Stadt, es ist in dem Boot, das sich dort bewegt.«
»Jetzt weicht es zurück und zittert in verlängerter Linie auf dem Wasser,« sagte Vivaldi. »Wir haben zu eilfertig geglaubt, was wir wünschen, es liegt noch ein weiter Weg vor uns.«
Das Ufer, dem sie sich näherten, bildete einen geräumigen Hafen für den unten liegenden See. Dunkle Wälder schienen sich längs den Ufern auszubreiten und zwischen den bebauten Hügeln hinauf zu steigen. Innerhalb des Hafens wurde die Stadt allmählich sichtbar; Lichter schimmerten zwischen den Bäumen und verschwanden gleich den Gestirnen einer dunkeln Nacht, und endlich hörten sie den traurigen »melancholy song«. – D.Hg. Gesang der Bootsleute, die am Ufer fischten.
Bald aber drangen andre Töne in ihr Ohr!
»O welche fröhliche Töne,« rief Paulo aus: »das Herz hüpft mir dabei. Sehn Sie, Signor, da ist eine Gruppe, die zwischen den Bäumen dort hinhüpft. Ach wie oft habe ich nach dieser Musik mich in den schönen Nächten an dem Ufer von Neapel eben so fröhlich gedreht!«
Sie betraten jetzt die Stadt, die aus einer Straße bestand, welche sich längs dem Ufer des Sees hinstreckte, und als sie nach dem Ursulinerkloster fragten, zeigte man ihnen die Thore desselben. Die Thürsteherin erschien sogleich, wie sie die Glocke zogen, und brachte ihre Bestellung an die Aebtissin, die eben so schnell eine Einladung an Ellena zurückschickte. Sie gieng herauf und folgte der Thürsteherin in das Sprachzimmer, während Vivaldi am Thore wartete, um zu hören, ob ihr das neue Nachtquartier gefiele. Eine zweite Einladung rief ihn ebenfalls hinauf; man ließ ihn am Gitter zu, und both ihm Erfrischungen an, die er aber ablehnte, weil er noch ein Logis für die Nacht suchen müßte. Als die Aebtissin dieses hörte, empfahl sie ihm sehr höflich ein benachbartes Benedictinerkloster und bat ihn, dem Abt ihren Namen zu sagen.
Vivaldi nahm darauf Abschied von Ellena, und ob gleich nur auf wenige Stunden, verließ er sie doch mit einer Niedergeschlagenheit und mit Besorgnissen, die er nicht überwinden konnte, ohngeachtet die Umstände sie gar nicht zu rechtfertigen schienen. Sie theilte seine Niedergeschlagenheit, aber nicht seine Furcht, als die Thüre sich hinter ihm zuschloß, und sie sich wiederum unter Fremden sah. Die Höflichkeit der Aebtissin konnte das Gefühl ihrer verlaßnen Lage nicht ganz überwinden, und in den Blicken einiger Schwestern lag ein Grad von Neugier, ja von Erforschung sogar, mehr als sonst eine Fremde zu erregen pflegt. Sie war froh, dieser Untersuchung zu entwischen und dem für sie bestimmten Zimmer und der ihr so lange entzognen Ruhe zuzueilen.
Vivaldi hatte indeß eine gastfreie Aufnahme bei den Benedictinern gefunden, deren abgesonderte Lage ihnen den Besuch eines Fremden sehr neu und angenehm machte. Im Feuer des Gesprächs, bei dem Vergnügen, welches die Seele darin findet, Ideen in Umlauf zu bringen, die lange in trüber Unthätigkeit schlummerten, und sie mit neuen zu bereichern, blieben der Abt In der Vorlage: »die Aebtissin«. – D.Hg. und einige von den Brüdern bis tief in die Nacht bei Vivaldi sitzen. Als man endlich den Reisenden fortgehn ließ, beschäftigten ganz andre Gegenstände, als seinen Wirth interessirt hatten, seine Gedanken, und er sann über die Mittel nach, dem Elend, welches ihm bei einer ernstlichen Trennung von Ellena drohte, vorzubeugen. Jetzt, da sie in einem anständigen Schutzorte aufgenommen war, fiel jeder Grund zum Stillschweigen über diesen Gegenstand weg. Er beschloß daher, am folgenden Morgen mit allen Gründen und Bitten auf eine unverzügliche Heirath zu dringen, und zweifelte nicht, daß er einen von den Benedictinern bewegen würde, die Trauung zu vollziehen, welche, wie er hoffte, sein Glück und Ellenas Frieden vor dem Einfluß aller hämischen Möglichkeiten sichern würde.