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That lawn conceals her beauty
As the thin cloud, just silver'd by the rays,
The trembling moon: think ye 'tis stranded from
The curious eye?
Der Rasen verbirgt ihre Schönheit ebenso wie die dünne Wolke, die gerade von den Strahlen des zitternden Mondes versilbert wird: Glaubt ihr, er ist gescheitert am neugierigen Auge? [Liebeskind hat dieses Motto - wie alle folgenden - nicht selbst übersetzt. –
D.Hg.]
In Olivias Schleier gehüllt, gieng Ellena in den Concertsaal herunter und mischte sich unter die Nonnen, die innerhalb des Gitters versammelt waren. Unter den Mönchen und Pilgern im Sprachzimmer, befanden sich einige Fremde in der gewöhnlichen Tracht des Landes; allein sie wurde niemand unter ihnen gewahr, der Vivaldi glich. Sie überlegte, daß, wenn er auch gegenwärtig wäre, er es doch nicht wagen würde, sich zu entdecken, weil ihr Nonnenschleier sie eben so gut vor ihm, als vor der Aebtissin verbarg und hielt es daher für nothwendig, eine Gelegenheit zu suchen, den Schleier einen Augenblick am Gitter aufzuschlagen. damit man sie bemerken könne.
Bei dem Eintritt der Aebtissin machte Ellenas Furcht, erkannt zu werden, sie für alles andre unempfindlich; sie bildete sich ein, daß die Augen der Priorin besonders auf sie gerichtet wären. Der Schleier schien ihr kein hinreichender Schutz vor ihrem durchdringenden Blick und sie erlag beinahe der Furcht, mit jedem Augenblick entdeckt zu werden.
Die Aebtissin gieng indessen vorüber, und nahm nach einem kurzen Gespräch mit dem Abte und einigen Gästen von Rang ihren Platz ein. Das Concert wurde sogleich mit einer von den feierlichen und ausdrucksvollen Arien eröffnet, welche die italienischen Nonnen mit so viel Geschmack und Lieblichkeit vorzutragen wissen. Ellena vergaß sogar einen Augenblick das Gefühl ihrer Gefahr, und überließ sich ganz dem Eindruck der Scene um sie her, die ein auffallendes, großes Gemählde darstellte. In einem großen gewölbten Zimmer, von unzähligen Fackeln erleuchtet, wo sogar die Zierrathe, so prächtig sie auch waren, etwas von dem feierlichen Charakter der Stiftung »institution«: hier s.v.w. ›Veranstaltung‹. annahmen, waren ohngefähr funfzig Nonnen versammlet, die in dem interessanten Habit ihres Ordens mit angenehmer Simplizität erschienen. Ihr feiner Anstand und ihre durch den Schleier, der einen dünnen Nebel um sie zog, gemilderte Schönheit, machte einen Contrast mit der strengen Majestät der Aebtissin, die auf einem erhöhten Stuhl, von der Audienz abgesondert sitzend, die Königin des Festes zu seyn schien, und mit den ehrwürdigen Figuren des Abtes und der ihn begleitenden Mönche, die ausserhalb des Schirmes von geflochtenem Drathe saßen, der sich durch die ganze Breite des Zimmers, welches das Gitter genannt wird, hinstreckte.
Neben dem hochwürdigen Vater saßen die Fremden von Rang, in ihrer prächtigen neapolitanischen Kleidung, deren bunte Farben und leichte Zierlichkeit sehr gegen die dunkle Tuchkleidung der Mönche abstach; ihre Federhüte ragten hoch über die halb in Kaputzen gehüllten Häupter und grauen Locken der Mönche hervor. Auch war der Unterschied der Gesichter nicht weniger auffallend. Das Ernsthafte, Strenge, Feierliche und Finstre, mit dem Leichten, Blühenden und Leutseligen vermischt, drückte alle die verschiednen Gemüthsbeschaffenheiten aus, die das Leben zu einem Segen oder zu einer Bürde machen, und wie durch die Berührung einer Zauberruthe, die Welt in ein irrdisches Paradies, oder in ein Fegefeuer verwandeln.
Im Hintergrunde standen einige Pilger, mit weniger fröhlichem und einem gezwungnern Ansehn als den Tag zuvor: unter ihnen befanden sich einige Layenbrüder und zum Kloster Gehörige. Ellena richtete ihre Aufmerksamkeit sehr häufig nach dieser Gegend des Zimmers, konnte aber Vivaldi nicht erkennen; und ohngeachtet sie ihren Platz nahe beim Gitter genommen hatte, fehlte es ihr doch an Muth, ihren Schleier vor so vielen Fremden unanständiger Weise zurückzuschlagen. Es ließ sich also wohl nicht vermuthen, daß er es wagen würde hervorzutreten, wenn er auch im Zimmer wäre.
Das Concert gieng zu Ende, ohne daß Ellena ihn entdeckt hatte; und sie zog sich in das Zimmer zurück, wo die Mahlzeit aufgetragen war, und wo bald nachher die Aebtissin und ihre Gäste erschienen. Sogleich sah sie einen Fremden in Pilgerkleidung sich ans Gitter stellen: sein Gesicht war zum Theil in seinen Mantel gehüllt, und er schien mehr ein Zuschauer als Theilnehmer des Festes zu seyn.
Ellena, die ihn für Vivaldi hielt, wartete auf eine Gelegenheit, sich von der Aebtissin unbemerkt, dem Orte, wo er seinen Platz genommen hatte, zu nähern. Im Gespräch mit den Frauenzimmern beschäftigt, begünstigte die Aebtissin Ellenas Wunsch, und sie wagte, sobald sie das Gitter erreicht hatte, den Schleier einen Augenblick aufzuheben. Der Fremde ließ den Mantel fallen, um ihr mit den Augen für ihre Herablassung zu danken, und sie entdeckte, daß es nicht Vivaldi war! Gekränkt durch die Deutung sowohl, die man einem so anscheinend unschicklichen Betragen geben konnte, als durch die betrogne Erwartung, Vivaldi zu sehn, wollte sie eilends fortgehn, als ein andrer Fremder, den sie sogleich an seinem hohen und schönen Anstande für Vivaldi erkannte, sich mit schnellen Schritten dem Gitter näherte. Um sich aber nicht zum zweitenmale einem Mißverständnisse auszusetzen, beschloß sie noch ein andres Zeichen, daß er es selbst sey, abzuwarten, ehe sie sich entdeckte. Seine Augen waren einige Augenblicke mit ernster Aufmerksamkeit auf sie gerichtet, ehe er den Mantel vom Gesicht zog. Bald aber that er es und sie sah – Vivaldi selbst.
Da Ellena merkte, daß sie erkannt war, schlug sie den Schleier nicht auf, trat aber dem Gitter einige Schritte näher. Vivaldi legte ein kleines zusammengefaltetes Papier hin, und ehe sie es wagen konnte, ihr eignes Billet abzugeben, hatte er sich unter die Menge zurückgezogen. Als sie hinzugehen wollte, um seinen Brief in Sicherheit zu bringen, sah sie, daß eine Nonne sich schnell dem Orte, wohin er es gelegt hatte, näherte, und stand still. Das Kleid der Nonne wehte es von der Stelle herunter, wo es halb verborgen gelegen hatte, und als Ellena merkte, daß die Nonne mit dem Fuße auf dem Papiere stand, konnte sie kaum ihre Angst verbergen.
Ein Mönch, der von der andern Seite des Gitters die Schwester anredete, schien ihr sehr angelegentlich, aber doch mit einer gewissen Heimlichkeit, eine wichtige Nachricht mitzutheilen. Ellenas Furcht gab ihr ein, daß er Vivaldis Handlung bemerkt hätte und seinen Verdacht mittheilte; sie erwartete jeden Augenblick die Nonne das Papier aufheben und der Aebtissin bringen zu sehn.
Sie wurde von dieser Furcht bald befreit, als die Schwester es sachte bei Seite schob, ohne es zu untersuchen; ein Umstand, der sie nicht weniger in Verwunderung setzte, als er ihre Angst erleichterte. Als aber die Conferenz aufbrach »when the conference broke up«: ›als das Gespräch beendet war‹. – D.Hg. und der Mönch sich eilends unter die Menge zurückzog und aus dem Zimmer verschwand, und die Nonne sich der Priorin näherte, und ihr ins Ohr flüsterte, erneuerte sich alle ihre Angst. Sie zweifelte kaum, daß Vivaldi entdeckt sey, und daß man das Papier absichtlich liegen ließe, um sie anzulocken, sich selbst zu verrathen. Zitternd, niedergeschlagen, und vor Angst beinahe umsinkend, beobachtete sie das Gesicht der Aebtissin, als die Nonne mit ihr sprach, und glaubte ihr eignes Schicksal auf der gerunzelten Stirne zu lesen.
Was aber auch die Absichten oder Anweisungen der Aebtissin seyn mochten, so schritt man doch für jetzt zu keinen thätigen Mitteln: die Nonne gieng, nachdem sie eine Antwort erhalten hatte, ruhig wieder zu den Schwestern und die Aebtissin nahm ihr gewöhnliches Wesen wieder an. Indeß getraute sich Ellena, welche beobachtet zu werden fürchtete, noch immer nicht, das Papier aufzunehmen, ob sie gleich glaubte, daß es Nachrichten von Wichtigkeit enthielte, und die Zeit verstreichen zu sehn fürchtete, welche ihre Befreiung erleichtern könnte. So oft sie es wagte, sich umzusehn, schien es ihr, als wenn die Augen der Aebtissin auf sie gerichtet wären, und sie schloß aus der Stellung der Nonne, denn der Schleier verbarg ihr Gesicht, daß sie ebenfalls aufmerksam von ihr beobachtet würde.
Ueber eine Stunde war in dieser ängstlichen Ungewißheit verstrichen, als die Mahlzeit geendigt war und die Gesellschaft aus einander gieng; während des allgemeinen Gewühls wagte Ellena sich ans Gitter und brachte das Papier in Sicherheit. Als sie es in ihrem Kleide versteckte, wagte sie kaum durch einen schnellen Blick zu forschen, ob man sie beobachte, und würde sich gerne sogleich fortbegeben haben, um den Inhalt zu untersuchen, hätte sie nicht in demselben Augenblick die Aebtissin das Zimmer verlassen sehn. Als sie sich nach der Nonne umsah, entdeckte sie, daß auch diese fort war.
Ellena folgte sogleich in der Aebtissin Zuge, und als sie Olivien näher kam, gab sie ihr ein Zeichen und gieng nach ihrer Zelle. Sobald sie sich hier alleine sah, und die Thüre verriegelt hatte, setzte sie sich nieder, um Vivaldis Billet zu lesen: sie bemühte sich, ihre Ungeduld zu besiegen und die Zeilen zu entziffern, über welche ihr Blick schnell hinfuhr, als in ihrem Eifer, die Lampe über das Papier zu halten, sie ihr aus der zitternden Hand fiel und verlosch. Ihr Schmerz gränzte beinahe an Verzweiflung. Nach einem Licht ins Kloster zu gehn, war unmöglich, weil sie dadurch würde verrathen haben, daß sie nicht mehr gefangen saß, und weil Olivia nicht nur durch Entdeckung der Freiheit, die sie ihr gewährt hatte, leiden, sondern sie selbst auch sogleich eingesperrt zu werden, erwarten mußte. Ihre einzige Hoffnung ruhte auf Olivias Ankunft, ehe es zu spät seyn würde, Vivaldis Anweisungen zu folgen, wenn sie überhaupt ausführbar waren; sie horchte mit innerer Angst auf die Annährung eines Fußtrittes, während sie über seinen Inhalt ungewiß, das Billet, welches wahrscheinlich ihr Schicksal entscheiden mußte, noch immer in der Hand hielt. Tausendmahl drehte sie das wichtige Papier um, suchte mit den Fingern über die Zeilen zu fahren und ihren geheimnißvollen Inhalt zu errathen; sie empfand eine unbeschreibliche Qual, in ihrer eignen Hand die Nachricht zu halten, von deren Entdeckung zu rechter Zeit ihr Leben vielleicht abhieng, ohne sie lesen zu können.
Bald darauf hörte sie Schritte herankommen, und sah ein Licht aus dem Gange schimmern – sie überlegte, daß es vielleicht eine andre als Olivia seyn könnte, und daß es der Klugheit gemäß sey, ihr Billet zu verbergen. Die Betrachtung aber kam zu spät; denn ehe sie das rauschende Papier beigesteckt hatte, trat eine Person in die Zelle, und Ellena sah ihre Freundin! Bleich, zitternd und stumm, nahm sie der Nonne die Lampe ab, überlief eilig Vivaldi's Brief, und erfuhr, daß zu eben der Zeit, wo er geschrieben wurde, Bruder Jeronimo außer dem Thore von dem Nonnengarten wartete, wo Vivaldi sogleich zu ihm kommen, und sie durch einen geheimen Weg aus den Mauern führen wollte. Er setzte hinzu, daß Pferde am Fuße des Berges wateten, um sie zu bringen, wohin sie es für gut fände: er beschwor sie, zu eilen, weil manche Umstände außer der allgemeinen Geschäftigkeit der Nonnen, einer Flucht in diesem Augenblicke besonders günstig wären.
Ellena, niedergeschlagen und erblassend, gab Olivien das Papier und bat sie, es eilends zu lesen und ihr zu rathen, was sie thun sollte. Es waren nun anderthalb Stunden, seit Vivaldi gesagt hatte, daß der Erfolg von ihrer Schnelligkeit abhienge, und seit er wahrscheinlich an dem bestimmten Orte gewartet hatte; wie viele Umstände konnten indeß eingetreten seyn, um alle Möglichkeit einer Flucht zu vernichten, welche jetzt durch der Aebtissin und der Schwestern Beschäftigung nicht mehr begünstigt wurde.
Die großmüthige Olivia nahm an allem Schmerz ihrer jungen Freundin Theil und war eben so bereit, als Ellena begierig war, sich für die Möglichkeit einer Befreiung, jeder Gefahr auszusetzen.
Ellena konnte für eine solche Güte selbst in diesem Augenblick der peinlichsten Angst nur Dankbarkeit fühlen. Nach einer Pause tiefen Nachdenkens sagte Olivia:
»Wir laufen jetzt in jedem Gange des Klosters Gefahr, einige von den Nonnen zu treffen; aber mein Schleier, so dünn er auch ist, hat Sie ja bisher geschützt, und wir müssen hoffen, daß er Ihrer Absicht noch ferner behilflich seyn wird. Doch müssen wir durch das Refektorium gehen, wo diejenigen Schwestern, die nicht an der Collation Theil nahmen, beim Abendessen versammlet sind, und wo sie bleiben werden, bis die erste Frühglocke sie in die Kapelle ruft. Wenn wir so lange warten, so fürchte ich, wird es überhaupt vergebens seyn, zu gehen.«
Ellenas Furcht kam ganz – mit Oliviens überein; sie drang darauf, keinen Augenblick mehr zu verlieren, und sie verließen die Zelle, um nach dem Nonnengarten zu gehen.
Verschiedene Nonnen giengen an ihnen vorbey, als sie ins Refektorium herunter stiegen, ohne aber Ellena besonders zu bemerken, die, so wie sie diesem ängstlichen »alarming«: ›besorgniserregenden‹. – D.Hg. Zimmer näher kamen, sich dichter in ihren Schleier hüllte, und sich mit schwererem Druck an den Arm ihrer treuen Freundin hieng. An der Thüre begegneten sie der Aebtissin, die beim Abendessen die Nonnen überzählt und Olivien vermißt hatte. Ellena trat zurück, um sich der Beobachtung zu entziehen und die Aebtissin vorüber zu lassen: Olivia aber mußte stehen bleiben und der Aebtissin, die nach ihr fragte, antworten. Sobald sie sich aber entschleiert hatte, ließ man sie ungehindert gehen und Ellena, die sich unter das Gedränge, das die Aebtissin umgab, gemischt hatte, und unentdeckt geblieben war, folgte Olivien mit bebendem Schritt durch das Refektorium. Die Nonnen waren glücklicher Weise zu sehr mit dem Gastmahl beschäftigt, um sich in diesem Augenblick umzusehn, und die Flüchtlinge erreichten unbemerkt die andre Thüre.
In dem Vorsaal, zu welchem sie herabstiegen, begegnete ihnen häufig das Gesinde, das Schüsseln aus dem Refektorio in die Küche trug; und in dem Augenblick, wo sie die Thüre öffneten, die nach dem Garten führte, fragte eine Schwester, die sie bemerkt hatte, ob sie schon die Frühglocke gehört hätten, weil sie nach der Kapelle zugiengen.
Ueber diese gefährliche Unterbrechung erschrocken, drückte Ellena Oliviens Arm zum Zeichen des Stillschweigens und wollte weiter eilen, als Olivia bedachtsamer still stand und die Frage ruhig beantwortete, worauf man sie gehen ließ.
Als sie durch den Garten nach dem Thore giengen, stieg Ellenas Angst, daß Vivaldi es vielleicht hätte verlassen müssen, so hoch, daß sie kaum den Muth hatte, weiter zu schreiten.
»O wenn mir die Kräfte gebrächen, ehe ich es erreichte,« sagte sie leise zu Olivien; »oder wenn ich es zu spät erreichte!«
Olivia suchte sie aufzurichten und zeigte ihr das Thor, auf welches das Mondlicht fiel: »Am Ende dieses Gangs nur,« sagte sie – »sehn Sie, wo die Schatten der Bäume sich öffnen, ist unser Kerker.«
Dieser Anblick gab Ellenen neue Kräfte und sie eilte mit leichtern Schritten den Gang hinab; allein das Thor schien ihrer zu spotten und vor ihr zurückzuweichen. Die Müdigkeit überwältigte sie in diesem langen Gange; ehe sie den so ängstlich gesuchten Ort erreichen konnte, mußte sie athemlos und erschöpft noch einmal still stehn und rief noch einmal in tödtlicher Angst:
»O wenn mir die Kräfte gebrächen, ehe ich es erreichte! O wenn ich in der Nähe dieses Thores selbst umsänke!«
Die Ruhe eines Augenblicks setzte sie in Stand weiter zu gehen, und sie stand nicht eher still, bis sie das Thor erreicht hatten, wo Olivia den klugen Rath gab, daß sie sich erst Gewißheit, wer außen sey, verschaffen, und eine Antwort auf das Signal abwarten wollten, welches Vivaldi vorgeschlagen hatte, ehe sie es wagten, sich kund zu geben. Sie that also einen Schlag an das Holz und bei der ängstlichen Pause, die darauf folgte, hörten sie ganz genau Stimmen außen flüstern, aber kein Signal beantwortete das ihrige.
»Wir sind verrathen,« sagte Ellena leise, »aber wenigstens will ich das Aergste auf einmal wissen,« und sie wiederholte das Signal, welches zu ihrer unaussprechlichen Freude durch drey schnelle Schläge ans Thor beantwortet wurde. Olivia wollte mißtrauischer, die plötzliche Hoffnung ihrer Freundin dämpfen, bis sie mehr Beweise hätten, daß es wirklich Vivaldi sey; allein ihre Vorsicht kam zu spät; ein Schlüssel knarrte bereits im Schlosse; die Thüre öffnete sich und zwey vermummte Personen erschienen. Ellena wollte sich eilends zurückziehen, als eine wohlbekannte Stimme sie zurückrief, und sie bei dem Licht einer halb bedeckten Laterne, die Jeronimo hielt, Vivaldi erkannte.
»O Himmel«, rief er mit einer Stimme, die vor Freuden zitterte, als er sie bei der Hand ergriff – »ist es möglich, daß Sie wieder mein sind! Wüßten Sie nur, was ich in dieser letzten Stunde gelitten habe! –«
Er bemerkte Olivien und trat schnell zurück, bis Ellena ihm ihre tiefe Verpflichtung gegen die Nonne äußerte.
»Wir haben keine Zeit zu verlieren,« sagte Geronimo mürrisch. »Sie werden vielleicht gewahr werden, daß wir bereits zu lange gezögert haben.«
»So leben Sie denn wohl, theuerste Ellena,« rief Olivia, »möge der Schutz des Himmels Sie nie verlassen!«
Ellenas Furcht wich nunmehr dem zärtlichsten Kummer, als sie am Busen der Nonne weinend, ihr sagte:
»Leben Sie wohl! o leben Sie wohl, meine Geliebte, zärtliche Freundin! Ich darf Sie nie, nie wieder sehen, aber ich werde Sie nie vergessen; und Sie haben versprochen, daß ich Nachricht von Ihnen haben soll: erinnern Sie sich an das Kloster della Pieta!«
»Sie hätten das alles inwendig ausmachen sollen,« sagte Jeronimo; »wir haben schon zwei Stunden hier gewartet.«
»Ach Ellena,« sagte Vivaldi, indem er sie sanft von der Nonne losmachte, »besitze ich denn nur den zweiten Platz in Ihrem Herzen?«
Ellena trocknete sich die Thränen ab und antwortete mit einem Lächeln, das beredter war, als Worte; nachdem sie Olivien noch einmal und noch einmal Lebewohl gesagt hatte, reichte sie ihm die Hand und verließ das Thor.
»Es ist Mondenlicht,« merkte Vivaldi gegen Jeronimo an, »Ihre Leuchte ist unnütz und könnte uns verrathen.«
»In der Kirche werden wir sie brauchen,« versetzte Jeronimo, »so wie auch in einigen krummen Gängen, durch die wir gehen müssen: denn Sie wissen wohl, Signor, daß ich es nicht wagen darf, Sie durch das große Thor zu führen.«
»So führen Sie uns denn,« erwiederte Vivaldi – und sie erreichten einen von den Cypressengängen, die nach der Kirche führten; ehe sie aber hinein traten stand Ellena still und sah nach der Gartenthüre zurück, um Olivien noch einmal zu sehn. Die Nonne war noch da, und Ellena sah sie schwach im Mondenlichte zum Zeichen des letzten Lebewohls mit der Hand winken. Ellenas Herz war voll; sie weinte und zögerte und erwiederte das Zeichen, bis Vivaldi sie mit sanfter Gewalt fortriß.
»Ich beneide Ihrer Freundin diese Thränen und bin eifersüchtig auf die Zärtlichkeit, welche sie hervorlockt. Weinen Sie nicht mehr, meine Ellena.«
»Wenn Sie ihren Werth, und die Verbindlichkeit, welche ich ihr schuldig bin, kennten!« sagte Ellena schluchzend. Ihre Stimme zerschmolz in einem Seufzer und Vivaldi drückte nur stillschweigend ihre Hand.
Als sie durch den dunkeln Gang giengen, der nach der Kirche führte, sagte Vivaldi: »Sind Sie auch überzeugt, Vater, daß keiner von den Brüdern an den Schreinen auf unserm Wege Buße thut?«
»An einem Feste Buße thun, Signor! weit wahrscheinlicher ist es, daß sie um diese Zeit die Zierrathe abnehmen.«
»Das wäre eben so unglücklich für uns,« sagte Vivaldi, »können wir die Kirche nicht vermeiden?«
Jeronimo versicherte ihn, daß dies unmöglich wäre; sie traten sogleich in einen von den einsamen Gängen, wo er seine Laterne hervor nahm; denn die Fackeln, welche früh Morgens den unzähligen Schreinen einen Glanz ertheilten, waren erloschen; ausgenommen die am Hochaltar, welche so weit entfernt waren, dass ihre Strahlen lange vorher, ehe sie den Theil der Kirche, wo die Flüchtlinge sich befanden, erreichten, in Dämmerung erblaßten. Hie und da warf zwar noch eine sterbende Lampe einen zitternden Schein auf das Bild unter ihr und verschwand wieder; dieser matte Schimmer diente vielmehr, die Entfernungen in der langen Perspektive von Schwibbogen zu bezeichnen, als die dunkle Einsamkeit zu erhellen; kein Laut, nicht einmal ein Flüstern, schlich sich längs dem Pflaster hin.
Sie giengen quer durch die Kirche nach einer Seitenthüre, die nach dem Hofe und nach dem Felsen führte, der das Bild Unsrer Frau vom Berge Carmel einfaßte. Hier beunruhigte der plötzliche Schein von Fackeln, die aus der Höhle hervorgiengen, die Flüchtlinge, die sich schon zurückziehen wollten, als Jeronimo, der voraus gieng, um den Ort zu untersuchen, sie versicherte, daß keine Spur von einem menschlichen Wesen zu sehn wäre, und daß die Lichter Tag und Nacht um das Bild brennten.
Durch diese Erklärung beruhigt, folgten sie in die Höhle, wo ihr Führer eine Stelle des Gitterwerks um die Heilige zurückbog, und sie an das äußerste Ende des Gewölbes führte, wo sie tief eingesenkt eine kleine Thüre sahen. Während Ellena vor Angst zitterte, schloß Jeronimo auf und sie entdeckten hinter der Thüre einen schmalen Gang, der sich durch den Felsen wand. Der Mönch gieng voraus, aber Vivaldi, der Ellenas Argwohn theilte, stand beym Eingang still und fragte, wohin er sie führte.
»Nach dem Orte Ihrer Bestimmung,« erwiederte der Mönch mit dumpfer Stimme; eine Antwort, die Ellena beunruhigte und Vivaldi nicht befriedigte.
»Ich habe mich Ihrer Führung hingegeben,« sagte er, »und Ihnen anvertraut, was mir theurer als das Daseyn ist. Ihr Leben,« er zeigte auf das kurze Schwerdt, das er unter seinem Pilgerwamms verborgen hatte; »Ihr Leben – verlassen Sie sich auf mein Wort – soll mir für Ihre Verrätherei stehn. Wenn Sie eine böse Absicht haben, so stehen Sie einen Augenblick still und bereuen, oder Sie sollen nicht lebendig aus diesem Gange kommen.«
»Wollen Sie mir drohen?« erwiederte der Mönch mit finsterm Gesicht. »Wozu würde mein Tod Ihnen helfen? Wissen Sie nicht, daß jeder Bruder im Kloster auftreten würde, ihn zu rächen?«
»Ich weiß nur, daß ich einen Verräther, wenn es einer ist,« sagte Vivaldi, »in Sicherheit bringe, und dieses Frauenzimmer gegen Ihre Schaar von Mönchen vertheidigen will!«
In diesem Augenblick fiel Ellenen ein, daß dieser Gang wahrscheinlich nach der Gefängnißkammer führte, welche, nach Oliviens Beschreibung, in einer tiefen Höhle des Klosters lag, und daß Jeronimo sie gewiß betrogen hätte. Sie weigerte sich weiter zu gehen.
»Wenn Sie eine ehrliche Absicht haben,« sagte sie, »warum führen Sie uns denn nicht geraden Wegs durch ein Thor des Klosters; warum werden wir in diese unterirrdischen Labyrinthe gebracht?«
»Es giebt keinen geraden Weg, außer durch das Portal,« antwortete Jeronimo, »und dies ist der einzige andre Gang, der aus den Mauern führt.« –
»Und warum können wir nicht durch das Portal herausgehen?« fragte Vivaldi.
»Weil es mit Pilgern und Layenbrüdern besetzt ist,« erwiederte Jeronimo, »und wenn Sie auch sicher hindurch kämen, was sollte aus der Dame werden? Aber Sie wußten ja das alles vorher, Signor, und waren bereitwillig genug, mir zu trauen. Der Gang hier führt in einiger Entfernung nach den Klippen. Ich habe mich schon mehr als zu vieler Gefahr ausgesetzt und mag nicht noch mehr Zeit verlieren: wenn es Ihnen also nicht gefällig ist, weiter zu gehen, so will ich Sie verlassen und Sie mögen thun was ihnen beliebt.«
Er beschloß diese Worte mit einem spöttischen Lachen, und wollte die Thüre wieder verschließen; allein Vivaldi, für die wahrscheinliche Folge seiner Empfindlichkeit besorgt, und durch die anscheinende Gleichgültigkeit des Mönchs einigermaßen beruhigt, bemühte sich, ihn zu besänftigen, und Ellenen Muth einzusprechen; beides gelang ihm.
Doch waren seine Zweifel nicht so ganz überwunden, daß er sich nicht bei seinem stillschweigenden Folgen durch den dunkeln Gang auf einen Angriff hätte gefaßt machen sollen; mit der einen Hand führte er Ellena und in der andern hielt er seinen Degen.
Der Gang war von beträchtlicher Länge, und ehe sie das Ende erreichten, hörten sie in der Ferne Musik zwischen den Felsen.
»Horch!« rief Ellena, »woher kommen diese Töne?«
»Aus der Höhle, die wir verlassen haben,« erwiederte Jeronimo. »es ist ein Zeichen, das es Mitternacht ist; es ist der letzte Gesang der Pilger am Schrein unsrer Dame. Machen Sie geschwind, Signor! man wird mich rufen.«
Die Flüchtlinge wurden nun inne, daß ihnen aller Rückweg abgeschnitten war, und daß, wenn sie noch einige Augenblicke in der Höhle gezögert hätten, sie von diesen Andächtigen würden überrascht worden seyn; es war ohnehin möglich, daß es einigen einfiel, in diesen Gang zu kommen, und daß sie ihre Flucht noch jetzt hinderten. Als Vivaldi diese Besorgnisse äußerte, versicherte Jeronimo mit einem hämischen Lächeln: »das hätte keine Gefahr, denn der Gang,« setzte er hinzu, »ist nur den Brüdern des Klosters bekannt.«
Vivaldis Zweifel verschwanden, als er ferner vernahm, daß der Gang nur von den Klippen außen nach der Hohle führte, und zu dem Zweck gebraucht würde, solche Dinge, als man für nöthig hielt, um die abergläubische Verwunderung der Andächtigen zu erregen, insgeheim nach dem Schreine zu bringen.
Während er in nachdenkendem Stillschweigen fortschritt, tönte eine ferne Glocke dumpf durch die Wände des Felsens.
»Die Frühglocke läutet!« sagte Jeronimo mit anscheinender Unruhe; »meine Gegenwart wird erfordert. Signora beschleunigen Sie Ihren Schritt!«
Eine unnöthige Forderung: denn Ellena gieng bereits mit äußerster Schnelligkeit; sie freute sich jetzt, eine Thüre in einer Krümmung des Ganges wahrzunehmen, die, wie sie hoffte, sie aus dem Kloster führen würde. Doch sah sie bald, daß der Gang sich noch weiter erstreckte, und die Thüre, die ein klein wenig offen stand, ließ einen Blick in eine dunkel erleuchtete Kammer im Felsen thun.
Vivaldi, den das Licht beunruhigte, fragte, als er vorüber war, ob jemand in der Kammer wäre? und erhielt eine zweideutige Antwort von Jeronimo, der ihnen jedoch bald ein gewölbtes Thor zeigte, welches den Gang beschloß. Sie giengen mit leichterm Schritte fort, denn Hoffnung belebte jetzt ihre Herzen, und als sie das Thor erreichten, verschwand alle Besorgniß. Jeronimo gab die Lampe an Vivaldi, während er sich bemühte, die Thüre aufzuriegeln und aufzuschließen, und Vivaldi schickte sich an, den Bruder für seine Treue zu belohnen, als sie wahrnahmen, daß die Thüre nicht nachgeben wollte. Eine schreckliche Vorstellung bemächtigte sich Vivaldi's.
Jeronimo drehte sich um, und sagte kalt: »ich fürchte, wir sind verrathen; das zweite Schloß ist verschlossen! ich habe nur den Schlüssel zum ersten.«
»Wir sind verrathen,« sagte Vivaldi mit entschlossenem Tone; »allein bilden Sie sich nicht ein, daß Ihre Verstellung Sie verbirgt. Ich merke wohl, wer uns verrathen hat. Erinnern Sie sich meiner Versicherung und überlegen Sie noch einmal, ob es Ihr Vortheil ist, uns zu hindern.«
»Signor,« erwiederte Jeronimo, »ich betheure Ihnen bei unserm Schutzheiligen, daß ich an dem Verschließen dieser Thüre nicht Schuld bin, und daß ich sie gerne öffnen würde, wenn ich könnte. Das Schloß hier war vor einer Stunde noch nicht verschlossen. Ich bin um so mehr darüber erstaunt, weil dieser Ort selbst von den heiligsten Fußtritten selten besucht wird; ich fürchte, wer jetzt hier gewesen ist, muß durch Argwohn hergebracht seyn und will Ihre Flucht hintertreiben.«
»Ihre schlaue Erklärung, Bruder, mag Ihnen vielleicht bei einer geringern Gelegenheit durchhelfen, aber nicht bei dieser,« erwiederte Vivaldi; »schließen Sie entweder das Thor auf, oder machen Sie sich auf das Aergste gefaßt. Sie sollen erfahren, daß, so geringe ich auch mein eigenes Leben achte, ich dieses Frauenzimmer nie den Schrecknissen überlassen will, die Ihre Genossenschaft ihr vielleicht schon bereitet hat.«
Ellena rief ihre fliehenden Lebensgeister zurück, um Vivaldi's Unwillen zu besänftigen und sowohl die Folge seines Verdachtes zu verhindern, als Jeronimo zu bewegen, ihnen das Thor zu öffnen. Ihre Bemühungen aber brachten nichts als einen langen Streit hervor; endlich aber wurde Vivaldi durch die Kunst oder die Unschuld des Bruders besänftigt, er bemühte sich nun, das Thor zu sprengen, während Jeronimo ihm vergebens die Stärke desselben und das gewisse Verderben vorstellte, das über ihn selbst kommen müßte, wenn man entdeckte, daß er dazu behilflich gewesen wäre.
Das Thor blieb unbeweglich; weil aber Vivaldi keine andre Möglichkeit der Flucht sah, ließ er sich nicht so leicht von dem Versuche abbringen; alle Möglichkeit, sich zurückzuziehen, war ohnehin verschwunden, da die Kirche und Höhle jetzt mit Andächtigen, die der Frühmesse beiwohnten, angefüllt war.
Doch schien Jeronimo nicht ganz an der Möglichkeit ihrer Rettung zu verzweifeln; nur gab er zu, daß sie wahrscheinlich die ganze Nacht und vielleicht auch den folgenden Tag in diesem finstern Gange würden verborgen bleiben müssen. Endlich wurde beschlossen, daß er nach der Kirche zurückgehen sollte, um zu untersuchen, ob noch eine Möglichkeit vorhanden wäre, daß die Flüchtlinge unbemerkt das große Portal erreichen könnten; er führte sie in die Kammer, auf die sie im Vorübergehen einen flüchtigen Blick geworfen hatten, und gieng nach dem Schreine.
Eine ziemlich lange Zeit nach seinem Fortgehn gaben sie die Hoffnung nicht auf; allein ihr Vertrauen verminderte sich, je länger er ausblieb und ihre Ungewißheit wurde endlich fürchterlich. Nur um Vivaldi's willen, dem Ellena sorgfältig alles verheelte, was sie von dem Schicksal, welches im Kloster unausbleiblich auf sie warten mußte, fürchtete, schien Ellena es mit Ruhe zu ertragen. Ohngeachtet Jeronimo's anscheinender Redlichkeit kehrte doch ein Argwohn seiner Verrätherei in ihre Seele zurück. Die kalte, dumpfe Luft dieser Kammer glich der Luft des Grabes, und als sie sich darin umsah, schien sie ihr genau mit der Beschreibung überein zu stimmen, die Olivia ihr von dem Gefängnisse gemacht hatte, in welchem die Nonne verschmachtete und starb.
Es war mit dem Felsen gemauert und gewölbt, hatte nur eine kleine vergitterte Spalte im Dach, um Luft einzulassen und enthielt keine Meubeln, außer einem Tisch, einer Bank und der Lampe, welche es dunkel erleuchtete. Es setzt sie immer mehr in Verwunderung, daß an einem so entlegenen und einsamen Orte eine Lampe brannte, wenn sie an Jeronimos Versicherung dachte, daß selbst heilige Schritte selten dieses Weges kämen, und sich erinnerte, daß er gar keine Verwunderung über eine nach seiner eigenen Aussage so ungewöhnliche Erscheinung geäußert hatte. Es schien ihr aufs neue, daß sie durch Verrätherey in eben das Gefängniß gelockt war, welches die Aebtissin ihr bestimmt hatte und ihr Schrecken bei dieser Vermuthung war so groß, daß sie auf dem Punkte stand, es Vivaldi zu entdecken; allein die Besorgniß vor dem Unheil, worin sein verzweifelter Muth ihn stürzen würde, hielt sie zurück.
Während diese Betrachtungen Ellena beschäftigten und jede Gewißheit ihr erträglicher schien, als dieser Zweifel, sah sie sich oft im Zimmer umher, um einen Gegenstand zu entdecken, der ihren Verdacht, daß dieses die Sterbekammer der unglücklichen Nonne gewesen sey, entweder bestätigen oder widerlegen könnte. Sie sah nichts; aber als ihre Augen mit beinahe wahnsinniger Heftigkeit umher blickten entdeckte sie etwas Schattigtes in einem fernen Winkel auf der Erde; als sie näher hinzu gieng, fand sie – was ihr eine schreckliche Hieroglyphe zu seyn schien, eine Madratze von Stroh, in welcher sie das Todtenbette der elenden Abgeschiedenen zu sehn glaubte: ja noch mehr, sie bildete sich ein, daß ihr Körper den Druck zurückgelassen hätte, der noch immer darauf zu sehn war.
Indem Vivaldi sie bat, ihm die Ursache des Entsetzens, das sie verrieth, zu sagen, wurde Beider Aufmerksamkeit durch einen hohlen Seufzer, der neben ihnen aufstieg, erregt. Ellena ergriff unwillkührlich Vivaldi's Arm und horchte leichenblaß auf eine Erneuerung des Lauts; allein alles blieb still.
»Das war gewiß nicht Einbildung,« sagte Vivaldi nach einer langen Pause; »Sie hörten es also auch?«
»Ja wohl!« erwiederte Ellena.
»Es war ein Seufzer, nicht wahr?« setzte er hinzu.
»O ja, und welch ein Seufzer!«
»Es ist jemand neben uns verborgen,« sagte Vivaldi, und sah sich rund um: »aber fürchten Sie nichts, Ellena, ich habe einen Degen.«
»Einen Degen! ach Sie wissen nicht – aber hören Sie, schon wieder!«
»Das war sehr nahe bei uns,« sagte Vivaldi; »diese Lampe brennt so kümmerlich!« – Er hielt sie hoch in die Höhe, um die fernste Dunkelheit der Kammer zu durchdringen – »Ha, wer geht da?« rief er, und sprang plötzlich vorwärts; aber Niemand erschien und eine Stille, wie vom Grabe, kehrte wieder.
»Wenn du ein Leidender bist, so sprich,« sagte Vivaldi endlich, »bei Gefährten deines Leidens wirst du Mitgefühl finden. Wenn deine Absichten böse sind, so zittre, denn du wirst sehen, daß die Verzweiflung alles vermag.«
Es erfolgte noch immer keine Antwort, und er gieng mit der Lampe nach dem andern Ende der Kammer, wo er eine kleine Thüre im Felsen entdeckte. In demselben Augenblick hörte er inwendig einen tiefen, zitternden Ton, als von einer Person in Gebet oder im Todeskampfe. Er drückte gegen die Thüre, die, zu seiner Verwunderung, sogleich aufgieng, und entdeckte eine Person, die mit so ganz hingegebner Andacht vor einem Crucifix kniete, daß sie die Gegenwart eines Fremden nicht bemerkte, bis Vivaldi sprach. Die Person stand nun von den Knien auf und zeigte ihm die versilberten Schläfen und bleichen Züge eines alten Mönches. Der milde und kummervolle Ausdruck des Gesichts und der sanfte Glanz von Augen, die noch immer etwas vom Feuer des Genies zu haben schienen, rührte Vivaldi und machte Ellenen Muth.
Eine unerkünstelte Verwunderung erschien auf dem Gesichte des Mönches; allein Vivaldi scheute sich doch, ohngeachtet der einnehmenden Güte auf des Mönches Gesicht, seine Fragen zu beantworten, bis der Alte ihm zu verstehen gab, daß eine Erklärung selbst zu seiner eignen Sicherheit nothwendig wäre. Mehr durch das Wesen des Mönchs aufgemuntert, als durch diesen Wink furchtsam gemacht, und von dem Verzweifelten seiner Lage überzeugt, vertraute Vivaldi ihm einen Theil seiner Verlegenheit an.
Der Vater hörte ihm mit tiefer Aufmerksamkeit zu, und sah abwechselnd ihn und Ellena mitleidig an: etwas Fremdartiges in ihm schien gegen das Mitleid zu kämpfen, das ihn aufrief, den Fremden beizustehn. Er fragte, wie lange Jeronimo schon weg sey, und schüttelte bedeutend den Kopf, als er hörte, daß das Thor des Ganges mit einem doppelten Schlosse befestigt gewesen wäre.
»Sie sind verrathen, meine Kinder,« sagte er; »Sie haben mit der Einfalt der Jugend vertraut und die List des Alters hat Sie betrogen.«
Diese schreckliche Ueberzeugung rührte Ellena bis zu Thränen, und Vivaldi, der kaum im Stande war, den Unwillen zu unterdrücken, den die Vorstellung einer solchen Verrätherei in ihm erregte, war unfähig ihr einigen Trost anzubieten.
»Ich erinnre mich, Sie, meine Tochter diesen Morgen in der Kirche gesehen zu haben,« bemerkte der Mönch. »Ich erinnre mich auch, daß Sie gegen die Gelübde protestirten, die Sie dort versiegeln sollten. Ach mein Kind! dachten Sie wohl an die Folgen eines solchen Schrittes?«
»Ich hatte nur die Wahl zwischen Uebeln,« antwortete Ellena.
»Ehrwürdiger Vater,« sagte Vivaldi, »ich will nicht glauben, daß Sie einer von denjenigen sind, die zur Verfolgung der Unschuld behülflich waren, oder sie billigten. Kennten Sie das unglückliche Schicksal dieses Frauenzimmers, so würden Sie ihr Mitleid schenken und sie erretten; aber es ist jetzt nicht Zeit zu Erläuterungen, und ich kann Sie nur bei allem, was heilig ist, beschwören, ihr behilflich zu seyn, aus den Kloster zu kommen! Hätte ich Zeit Ihnen zu erzählen, welcher ungerechten Mittel man sich bedient hat, sie in diese Mauern zu bringen – wenn Sie wüßten, daß sie als eine elternlose Waise um Mitternacht aus ihrer Heimath gerissen wurde, daß bewaffnete Räuber sie hieher brachten, und zwar auf Befehl von Fremden, denn sie hat keinen einzigen Verwandten am Leben, der ihr Recht der Unabhängigkeit behaupten, oder sie von ihren Verfolgern zurückfordern könnten. – O ehrwürdiger Vater, wenn Sie das alles wüßten!« –
Er war nicht im Stande, weiter zu reden.
Der Mönch betrachtete Ellena aufs neue voll Mitleid, aber noch immer mit nachdenkendem Stillschweigen.
»Das alles mag sehr wahr seyn,« sagte er endlich; »aber« – er stockte.
»Ich verstehe Sie, ehrwürdiger Herr,« sagte Vivaldi; »Sie verlangen Beweise, aber wie kann ich hier Beweise herbeischaffen? Sie müssen sich auf die Ehre meines Wortes verlassen. Und wenn Sie geneigt sind, uns beizustehn, so müssen Sie es gleich thun; während Sie sich besinnen, sind wir verloren. Mich dünkt, ich höre schon jetzt Jeronimo's Schritt.«
Er schlich leise an die Thüre des Zimmers, aber es war noch alles still. Der Mönch horchte ebenfalls, aber er überlegte auch, während Ellena mit zusammengeschlagnen Händen und einem Blick voll inständigen Flehens und Entsetzens seine Entscheidung erwartete.
»Es kommt Niemand,« sagte Vivaldi; »noch ist es nicht zu spät! – Guter Vater, wenn Sie uns dienen wollen, so thun Sie es schnell.«
»Arme Unschuldige!« sagte der Mönch halb zu sich selbst – »in diesem Zimmer! an diesem unglücklichen Orte!«
»In diesem Zimmer!« rief Ellena, die seine Meinung ahndete; »in diesem Zimmer also ließ man eine Nonne verschmachten, und ich bin ohne Zweifel hieher gebracht, um ein gleiches Schicksal zu leiden!«
»In diesem Zimmer!« wiederholte Vivaldi mit der Stimme der Verzweiflung. »O – heiliger Mann, wenn Sie wirklich geneigt sind uns beizustehn, so lassen Sie uns diesen Augenblick handeln: im nächsten kommen vielleicht Ihre besten Absichten zu spät!«
Der Mönch, der Ellena, als sie der Nonne erwähnte, mit der äußersten Verwundrung betrachtet hatte, zog jetzt seinen Blick von ihr ab: ein Paar Thränen fielen auf seine Wange, aber er trocknete sie schnell und schien einen Schmerz bekämpfen zu wollen, der tief in seinem Herzen lag.
Da Vivaldi fand, daß Bitten keine Kraft hatten, seinen Entschluß zu beschleunigen, und da er jeden Augenblick Jeronimo's Zurückkunft erwartete, gieng er mit tödtlicher Angst das Zimmer auf und ab; noch einmal stand er an der Thüre still, um zu horchen, und rief dann, beinahe hoffnungslos, die Menschlichkeit des Mönchs wieder an. Ellena, die sich mit schauderndem Schrecken rings im Zimmer umsah, rief zu wiederholten malen:
»An diesem nämlichen Orte! in dieser Kammer! O von welchen Leiden sind diese Mauern Zeuge gewesen! Von welchen werden sie es noch seyn!«
Vivaldi bemühte sich nun, Ellena zu trösten, und drang aufs neue in den Mönch, diesen kritischen Augenblick zu ihrer Rettung anzuwenden.
»O Himmel,« rief er, »wenn sie jetzt entdeckt wird, so ist ihr Schicksal entschieden!«
»Ich darf nicht sagen,« unterbrach ihn der Mönch, »was für ein Schicksal das seyn würde; oder was mein eignes seyn würde, wenn ich einwilligte, Ihnen beizustehn; allein so alt ich auch bin, habe ich doch noch nicht ganz für Andre zu fühlen vergessen! Mögen sie die wenigen übrigen Jahre meines Lebens unterdrücken, allein die blühenden Tage der Jugend sollen nicht schmachtend vergehn; sie sollen blühen, meine Kinder, wenn es in meiner Kraft ist, Ihnen zu helfen. Folgen Sie mir ans Thor; wir wollen sehn, ob nicht mein Schlüssel alle Schlösser, die es versperren, öffnen kann.«
Vivaldi und Ellena folgten sogleich den wankenden Schritten des alten Mannes, der oft still stand, um zu horchen, ob Jeronimo, oder einer von den Brüdern, dem er Ellenas Lage vielleicht verrathen hätte, sich näherte: allein kein Echo schlich sich durch den einsamen Gang; als sie aber das Thor erreichten, hörten sie ferne Fußtritte auf dem Erdboden wiederhallen.
»Sie nähern sich, Vater,« flüsterte Ellena. »O wenn der Schlüssel diese Schlösser nicht augenblicklich öffnet, so sind wir verloren. Horch! jetzt höre ich ihre Stimmen; sie rufen mich beim Namen! Es ist bereits entdeckt, daß wir die Kammer verlassen haben.«
Während der Mönch mit zitternder Hand den Schlüssel einsteckte, gab Vivaldi sich in gleicher Zeit Mühe, ihm beizustehn, und Ellena aufzumuntern.
Die Schlösser wichen und das Thor öffnete sich mit einem male auf die vom Mondlicht beleuchteten Berge. Ellena hörte noch einmal mit dem Freudengefühle der Freyheit das Nachtlüftchen zwischen den herabhängenden Zweigen der Palmen hinstreifen, die ein grob gearbeitetes flaches Dach vor dem Thore hoch überschatteten.
»Es ist jetzt keine Zeit zum Danken, meine Kinder,« sagte der Mönch, als er merkte, daß sie reden wollten. »Ich will das Thor befestigen und mich bemühn, Ihre Verfolger aufzuhalten, damit Sie Zeit bekommen zu entwischen. Mein Segen begleite Sie!«
Ellena und Vivaldi behielten kaum einen Augenblick übrig, um ihm Lebewohl zu sagen, ehe er die Thüre zumachte, und Vivaldi wollte sie eilends nach dem Orte führen, wohin er Paulo mit den Pferden bestellt hatte, als sie um einen Winkel der Klostermauer sich drehend, einen langen Zug von Pilgern nicht weit von ihnen aus dem Portal hervorgehn sahen.
Vivaldi zog sich zurück; weil er aber mit jedem Augenblick, den er in der Nähe des Klosters zögerte, Jeronimo's oder andrer Personen Stimme aus dem Gange zu hören fürchtete, so war er zuweilen geneigt, auf alle Gefahr weiter zu gehen; allein der einzige gangbare Weg, der nach dem Fuße des Berges führte, war jetzt mit diesen Andächtigen angefüllt, und sich unter sie zu mischen, hieß beinahe dem gewissen Verderben entgegen eilen. Ein helles Mondenlicht zeigte ihnen deutlich jede Figur, die sich auf der Scene bewegte, und die Flüchtlinge hielten sich im Schatten der Mauern auf, bis sie, durch einen herannahenden Fußtritt gewarnt, an den Fuß der Klippen schlichen, die über einigen mit Palmen bepflanzten Hügeln zur Rechten aufstiegen, und deren dunkle Klüfte ihnen wenigstens für den Augenblick eine Zuflucht versprachen. Die Ruhe der Landschaft unten, als sie mit leisen Schritten längs den krummen Felsen hinschlichen, machte einen rührenden Contrast mit dem Tumult und Aufruhr ihrer Seelen.
Da sie sich nun in einiger Entfernung vom Kloster befanden, ruhten sie unter dem Schatten der Klippen, bis die Prozession, die sie zwischen den Klüften und Gebüschen des Berges herabsteigen sahn, fern genug seyn würde. Oft sahen sie nach dem Kloster zurück, und erwarteten Lichter aus dem Gange oder aus dem Portal hervorkommen zu sehn; sie horchten in stummer Angst nach dem dumpfen Geräusch der Verfolgung, aber das Lüftchen trug keinen Laut herbei; und keine schimmernde Lampe verrieth die Schritte eines Ausspähers.
Endlich ließ Ellenas Angst ein wenig nach, und sie hörte auf die Morgenhymne der Pilger, die durch die stille Nacht drang und zum wolkenlosen Himmel hinauf stieg. Nicht ein fremder Laut mischte sich in den heiligen Gesang und selbst in den abgemessenen Pausen der Stimmen hörte sie nur das Säuseln des Laubes über sich. Die Wechselchöre, die in der Entfernung leiser wurden, und dann wieder mit dem Lüftchen heran schwollen, glichen einer Musik von Engeln, die Nachts auf den Spitzen der Berge wachen und sich mit himmlischen Melodien antworten, wenn sie in ihrer hohen Gränze umher schreiten und die schlafende Welt übersehn.
»Ach Ellena,« sagte Vivaldi, »wie oft bin ich sonst in dieser Stunde um Ihre Wohnung geschlichen, getröstet durch das Bewußtseyn Ihrer Nähe! In diesen Mauern ruht sie, sagte ich, sie schließen meine ganze Welt ein, alles außer ihr ist für mich eine Wüste. Jetzt bin ich in Ihrer Gegenwart! O Ellena! jetzt, da Sie mir noch einmal wieder gegeben sind, lassen Sie nicht den Eigensinn der Möglichkeit uns wieder trennen! Lassen Sie mich Sie zu dem ersten Altare führen, der unsre Gelübde bestätigen kann.«
Vivaldi vergaß in dem Drange eines stärkern Gefühls das zarte Stillschweigen, das er sich aufzulegen beschlossen hatte, bis Ellena an einem Orte der Sicherheit seyn würde.
»Dies ist nicht der Augenblick, um über einen solchen Gegenstand zu reden,« antwortete sie zögernd: »unsre Lage ist noch gefährlich, wir zittern am eigentlichen Rande der Gefahr.«
Vivaldi stand sogleich auf.
»In welche Gefahr,« sagte er, »hätte meine eigennützige Thorheit Sie beinahe gestürzt! Wir verweilen in dieser gefahrvollen Nachbarschaft, da der schwache Gesang der Pilger uns anzeigt, daß sie weit genug entfernt sind, um uns auf den Weg zu machen!«
Mit diesen Worten giengen sie vorsichtig zwischen den Klippen herab und sahen sich oft nach dem Kloster um, wo aber kein andres Licht erschien, als was der Mond über die Thürme und langen Fenster der Kathedralkirche verbreitete. Einen Augenblick bildete sich Ellena ein, auf ihrem Lieblingsthurme eine Fackel zu sehen, und der Gedanke, daß die Nonnen, vielleicht die Aebtissin selbst, sie dort aufsuchten, erneuerte ihre Angst und ihre Eile. Allein es waren nur die Strahlen des Mondes, die durch die einander gegenüber liegenden Fenster des Zimmers streiften, und die Flüchtlinge erreichten den Fuß des Berges, wo Paulo mit Pferden bereit stand, ohne weitere Unruhe.
»Ach! Signor mio!« sagte der Bediente, »wie freue ich mich, Sie lebendig und munter zu sehn; da Sie so lange ausblieben, fürchtete ich schon, daß die Mönche Sie aufgegriffen hätten, um lebenslang Buße zu thun. Wie froh bin ich, daß Sie da sind!«
»Ich freue mich nicht weniger, dich zu sehn, guter Paulo. Aber wo ist der Pilgermantel, für den ich dich zu sorgen bat?«
Paulo gab ihn her, und sobald Vivaldi Ellenen hineingehüllt, und sie aufs Pferd gesetzt hatte, nahmen sie den Weg nach Neapel; denn Ellena hatte die Absicht, in dem Kloster della Pieta Zuflucht zu suchen. Weil aber Vivaldi fürchtete, daß ihre Feinde sie auf diesem Wege aufsuchen würden, so schlug er vor, ihn sobald als möglich zu verlassen und einen Umweg nach der Villa Altieri zu nehmen.
Sie erreichten bald den schrecklichen Paß, durch welchen Ellena nach dem Kloster gekommen war, und der in dieser dunkeln Stunde noch weit fürchterlich erschien: denn das Mondlicht fiel nur stellenweis auf die tiefen Schranken des Abgrundes, und oft wurde das Vorgebürge, an dessen Stirne der Weg hieng, gänzlich von andern Klippen und waldigten Spitzen, die über ihm aufstiegen, beschattet. Paulo aber, auf dessen Geist der Ort selten Einfluß hatte, hüpfte freudig fort, wünschte oft sich selbst und seinem Freunde zu ihrer Entkommung Glück, und schrie fröhlich in das Echo der Felsen, bis Vivaldi, der die Folge dieser lauten Fröhlichkeit fürchtete, ihm Einhalt that.
»Ach Signor, ich muß Ihnen gehorchen,« sagte er, »aber mein Herz war noch nie in meinem Leben so voll, und ich möchte gerne singen, um es eines Theils seiner Freude zu entladen. Die Falle, worin wir dort in dem Kerker, denn das ist der rechte Name des Ortes, geriethen, war arg genug. Aber was ist das dort am Himmel, Signor? Es sieht einer Brücke gewaltig gleich; nur hängt es so hoch, daß man nicht begreift, wie Jemand darauf kommen kann, eine Brücke an solch einem abgelegenen Orte zu bauen, es müßte denn seyn, um von Wolke zu Wolke zu steigen; noch weniger würde man sich um des Vergnügens willen hinüber zu gehen, die Mühe nehmen, herauf zu klettern.«
Vivaldi sah auf, und Ellena nahm die Alpenbrücke wahr, über welche sie vor einigen Wochen mit solcher Unruhe in der mondhellen Aussicht fuhr; sie schwebte zwischen furchtbaren Klippen in der Luft, und der Strom tief unten stürzte die Felsenspalte hinab. Eine von den Klippen, die sie trugen, nebst einem Theil der Brücke selbst, lag in tiefen Schatten; die andre aber, mit Laubwerk befiedert, und den aufsteigenden Wellen zu ihren Füssen, war hell beleuchtet, und manches Gebüsch, von dem Schaume genetzt, stach funkelnd gegen den dunkeln Felsen ab, über den es hieng. Jenseits des Bogens erblaßte die lang gezogne Aussicht in neblichtes Licht.
»Wahrhaftig,« rief Paulo, »man sehe doch, was die Neugier thut! Sind da nicht würklich schon einige Leute, die ihren Weg auf die Brücke gefunden haben?«
Vivaldi nahm jetzt Figuren auf der abhängigen Brücke »upon the slender arch«: ›auf dem schlanken Brückenbogen‹. – D.Hg. wahr, und so wie ihre undeutlichen Gestalten im Mondscheine hinglitten, beunruhigten ihn andre Gefühle als die der Verwundrung: er fürchtete, es möchten Pilger seyn, die nach dem Bilde Unsrer Dame giengen, und von seinem Wege Nachricht geben könnten. Doch sah er keine Möglichkeit, ihnen auszuweichen; denn die Abgründe, die unmittelbar über ihnen aufstiegen und unten sanken, untersagten jeden Ausweg, und die Straße selbst war so schmal, daß kaum zwei Pferde einander vorbei gehen konnten.
»Sie sind alle die Brücke glücklich herunter gekommen,« sagte Paulo, »und vielleicht ohne den Hals gebrochen zu haben; wo werden sie doch nun zunächst hingehn? Unser Weg, Signor, führt doch nicht zu der Brücke dort? Wir werden doch nicht auch unsern Weg in der Luft ausklauben? Das Brausen dieses Wassers hat mir den Kopf schon ganz betäubt; und die Felsen hier sind so schwarz wie die Mitternacht und scheinen immer über einen stürzen zu wollen; es ist schon genug einen zur Verzweiflung zu bringen, wenn man sie nur ansieht. Sie hätten nicht nöthig gehabt, Signor, meiner Fröhlichkeit Einhalt zu thun.«
»Ich möchte gerne deiner Geschwätzigkeit Einhalt thun,« antwortete Vivaldi. »Sey still und vorsichtig, guter Paulo, diese Leute sind uns vielleicht nahe, wenn wir sie auch nicht sehen.
»Der Weg führt also nach der Brücke,« sagte Paulo schmerzhaft. »Sieh, dort sind sie wieder; sie winden sich rings um den Felsen und kommen auf uns zu.«
»Still, es sind Pilger,« flüsterte Vivaldi; »wir wollen unter dem Schatten dieser Felsen bleiben, während sie vorüber gehn. Bedenke, Paulo, daß ein einziges unvorsichtiges Wort uns ins Verderben stürzen kann, und daß es meine Sache ist, zu antworten, wenn sie uns zurufen.«
»Ich gehorche Ihnen, Signor.«
Die Flüchtlinge zogen sich dicht unter die Klippen und giengen langsam fort; sie hörten ganz deutlich die herannahenden Pilger reden.
»Es giebt einem doch einigen Trost,« sagte Paulo, »wenn man an einem solchen Ort wie dieser, fröhliche Stimmen hört! Der Himmel segne ihre fröhlichen Herzen; es scheint eine Pilgrimschaft zum Vergnügen zu seyn, aber sie werden nach und nach schon ernsthaft genug werden. Ich wünschte –«
»Paulo, hast du meine Warnung so bald vergessen?« sagte Vivaldi scharf.
Die Andächtigen schwiegen plötzlich still, als sie die Reisenden gewahr wurden, bis derjenige, den sie für das Oberhaupt hielten, ihnen im Vorbeigehn zurief: »Heil im Namen unsrer Frau vom Berge Carmel!« und sie den Gruß im Chore wiederholten.
»Heil! »rief Vivaldi, »die erste Messe ist vorbei,« und ritt weiter.
»Aber wenn Ihr eilt, so könnt ihr noch zur zweiten recht kommen,« sagte Paulo, ihm nachsprengend.
»Ihr kommt also eben von dem Bilde her?« sagte einer von der Gesellschaft, »und könnt uns kund thun?
»Wir sind arme Pilger, so wie ihr,« erwiederte Paulo, »und können euch eben so wenig sagen. Guten Morgen, Väter! dort schimmert die Dämmrung!«
Er holte seinen Herrn ein, der mit Ellena schnell fortgeritten war und ihm jetzt seine Unvorsichtigkeit vorwarf: die Stimmen der Carmeliten, welche die Morgenhymne sangen, verschwanden zwischen den Felsen, und die Ruhe der Einsamkeit kehrte wieder.
»Dank dem Himmel! dies Abentheuer ist vorüber,« sagte Vivaldi.
»Und nun haben wir nur noch die Brücke zu übersteigen,« sagte Paulo, »und dann hoffe, ich, werden wir alle in Sicherheit seyn.
Sie betraten nun würklich die zitternden Bretter und sahen auf den Abgrund unter sich, als eine neue Gesellschaft die Straße herankam, die sie verlassen hatten, und ein Chor von andern Stimmen als die der Carmeliten sich in das dumpfe Geräusch des Wassers mischte.
Ellena, aufs neue beunruhigt, eilte fort und Vivaldi munterte sie noch mehr zur Eile auf, ohngeachtet er ihr die Besorgniß, daß man ihnen nachsetzen möchte, auszureden suchte.
»Es sind nichts als Pilger, Signora,« sagte Paulo, »sonst würden Sie nicht ein so lautes Geschrei voraus schicken: sie müssen denken, daß wir nicht hören können.«
Die Reisenden eilten so schnell, als es der aufgerißne Weg erlaubte, und waren bald so weit entfernt, daß sie die Stimmen nicht mehr hörten; als aber Paulo sich umsah, nahm er zwei in Mäntel gehüllte Personen wahr, die unter den vorgebognen Klippen heran nahten und nur wenige Schritte von ihm entfernt waren. Ehe er seinem Herrn Nachricht geben konnte, waren sie ihm schon zur Seite.
»Kommt ihr von dem Bilde unsrer Frau?« fragte der Eine. Vivaldi, durch die Stimme aufgeschreckt, sah sich um und erkundigte sich, wer diese Frage thäte?
»Ein Pilgerbruder,« erwiederte der Mann, »der diese steilen Felsen hinangeklettert ist, bis seine Füße ihn nicht mehr tragen wollen. Habt Mitleid mit ihm und laßt ihn ein wenig reiten.«
So mitleidig auch sonst Vivaldi gegen das Leiden Andrer war, glaubte er doch nicht, daß jetzt, wo Ellenas Sicherheit auf dem Spiele stand, der rechte Augenblick sey, seinem Gefühl nachzuhängen; er bildete sich sogar ein, der Fremde spräche mit verstellter Stimme. Sein Argwohn vermehrte sich, als der Fußgänger sich nicht abweisen ließ, sondern sich nach dem Wege, den er nehmen würde, erkundigte und sich erboth, sich zu seiner Parthie zu gesellen: »denn diese Berge,« setzte er hinzu, »sind voll Räuber, und eine große Gesellschaft läuft weniger Gefahr, von ihnen angefallen zu werden, als eine kleine.«
»Wenn Sie so sehr müde sind, mein Freund,« erwiederte Vivaldi, »wie können Sie denn mit unsern Pferden Schritt halten? Ich muß gestehn, daß Sie ein Wunder gethan haben, uns einzuholen.«
»Die Furcht vor diesen Banditen,« versetzte der Fremde, trieb uns so schnell.«
»Sie brauchen nichts von Räubern zu fürchten,« sagte Vivaldi, »wenn Sie nur Ihren Schritt mäßigen wollen: denn es ist eine große Gesellschaft von Pilgern unterwegens, die Sie bald einholen wird.«
Er machte dem Gespräch ein Ende, indem er seinem Pferde die Spornen gab, und die Fremden blieben bald weit hinter ihnen zurück.
Ihr Betragen hatte unsern Flüchtlingen allerdings Ursache zur Unruhe gegeben. So bald sie ihnen aber aus dem Gesichte waren, verloren sich alle Besorgnisse, und da sie endlich aus dem Passe hervorgiengen, verließen sie die Landstraße nach Neapel und schlugen einen einsamen Weg ein, der westwärts nach Aquila führte.