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Fünftes Kapitel.

»The lonely mountains o'er
And the resounding shore
A voice of weeping heard, and loud lament!
From haunted spring, and dale
Edg'd with poplar pale,
The parting genius is with sighing sent;
With flower-invowen tresses torn
The nymphs in twilight shade of tangled thicket mourn!« Aus »On the Morning of Christ's Nativity« (1630): ›Die einsamen Berge dort oben und die widerhallende Küste vernehmen lautes Wehklagen! Aus verwunschenem Quell in einem von Pappeln bleich gesäumtem Tal wird der scheidende Genius mit Seufzen entsandt; die Nymphen zerraufen ihre blumengeschmückten Flechten und klagen im Dämmerschatten des verworrenen Dickichts!‹ – D.Hg.

Milton.

Während die Marquise und der Mönch solche Verschwörungen gegen Ellena ausbrüteten, befand sie sich noch immer in dem Ursulinerkloster am See Celano. Unpäßlichkeit, die Folge der bangen und harten Angst, welche sie ausgestanden hatte, zwang sie in diesem verborgnen Zufluchtsorte zu bleiben. Ein Fieber lag auf ihren Nerven und eine allgemeine Mattigkeit drückte ihren ganzen Körper, die selbst durch das Bestreben, sie zu überwinden, noch größer wurde. Mit jedem anbrechenden Tage hoffte sie im Stande zu seyn, ihre Reise heimwärts fortzusetzen, und doch fand jeder neue Tag sie eben so unvermögend als der vorige, und die zweite Woche war bereits verstrichen, ehe die schöne Luft von Celano und die Ruhe dieses Orts ihre Lebensgeister wieder herzustellen anfieng.

Vivaldi, der sie täglich am Sprachgitter besuchte, und sie mit innerlicher Angst beobachtete, hatte sich bisher enthalten, einen Gegenstand zu erneuern, der sie in Bewegung setzen »by agitating her spirits«: ›die ihre Lebensgeister in Aufruhr bringen …‹ – D.Hg., und ihrer Gesundheit schaden könnte. Jetzt aber, da sie an Kräften zunahm, wagte er es allmählich seiner Besorgnisse zu erwähnen, daß ihr Zufluchtsort entdeckt werden und er sie noch jetzt unwiederbringlich verlieren könnte, wenn sie nicht in eine schleunige Heirath willigte. Bei jedem Besuche drang er jetzt in sie, stellte ihr die Gefahren vor, die sie umgaben und wiederholte seine Gründe und Bitten! denn es war ihm jetzt, da er glaubte, daß die Zeit schreckliche Uebel herbei drängte, nicht länger möglich, auf die zarten Bedenklichkeiten zu achten, die ihm auflegten, seine Bitten zurückzuhalten. Hätte Ellena den Eingebungen ihres Herzens gefolgt, so würde sie durch freimüthiges Annehmen seines Vorschlags seine Anhänglichkeit und seine Dienste belohnt haben; allein sie konnte die Einwendungen, welche die Vernunft dagegen machte, weder überwinden, noch außer Acht lassen.

Vivaldi stellte ihr die Gefahren vor, welche sie jetzt umringten, und erinnerte sie daran, daß sie ihm ihre Hand im Beiseyn ihrer verstorbenen Tante Bianchi, feierlich versprochen hätte, und wenn diese leben geblieben wäre, längst ihr Versprechen würde erfüllt haben. Er flehte sie aufs neue bei jeder heiligen und zärtlichen Erinnerung [an], die furchtbare Ungewißheit ihres Schicksals zu endigen und ihm das Recht zu gewähren sie zu beschützen, ehe sie sich aus diesem Schutzorte hervorwagten.

Ellena bestritt die Heiligkeit des Versprechens nicht, das sie vormals geleistet hatte, und versicherte Vivaldi, daß sie sich ihm eben so unauflöslich verbunden glaubte, als wenn sie ihm am Altare wäre gegeben worden; allein bestätigen wollte sie ihre Gelübde nicht eher, bis seine Familie geneigt schiene, sie als Tochter anzunehmen; alsdann wollte sie das Unrecht, welches man ihr zugefügt hatte, vergessen, und sich nicht länger gegen diese Verbindung sträuben. Sie setzte hinzu, daß es Vivaldi selbst geziemte, sorgsamer auf die Würde der Frau zu halten, die er mit seiner Achtung beehrte und nicht zuzugeben, daß sie sich durch einen unbesonnenen Schritt herabsetzte.

Vivaldi fühlte die volle Kraft dieser Aufforderung. Er erinnerte sich mit Beklemmung an Umstände, die ihr glücklicherweise unbekannt waren, ihm aber die Gerechtigkeit ihres Vorwurfs doppelt fühlbar machten. Die Verläumdungen, womit die Marquise ihren Namen befleckt hatte, drangen sich seinem Gedächtniß auf; Stolz und Unwillen bemächtigten sich seines Herzens und überwanden die Furcht vor dem Zufall so sehr, daß er augenblicklich den Entschluß faßte, jede andre Rücksicht fahren zu lassen, um nur die Achtung zu behaupten, welche Ellena geziemte, und sich ihre Hand zu versagen, bis seine Familie ihren Irrthum eingesehn und sie willig als ihr Kind aufgenommen haben würde.

Allein dieser Entschluß war nur vorübergehend; andre Rücksichten und Besorgnisse drängten sich ihm auf. Er sah nur zu gut, wie unwahrscheinlich es sey, daß sie je freiwillig ihren Stolz seiner Liebe nachsetzen, oder lange genährte Vorurtheile der Wahrheit und einem Gefühl von Gerechtigkeit aufopfern würde. Indessen könnte ein Plan, ihn von Ellena zu trennen, gelingen, und er sie auf immer verlieren. Es schien ihm das beste, das einzige Mittel, die frechen Verläumdungen, die man gegen sie ausgestreut hatte, zu widerlegen, wenn er selbst die hohe Achtung, die für sie fühlte, öffentlich bewiese, und sie der Welt in dem geheiligten Charakter seiner Gattin vorstellte.

Diese Betrachtungen bestimmten ihn schnell, auf seiner Bewerbung zu beharren; allein es war unmöglich, sie Ellenen einleuchtend zu machen, weil die Umstände, die er ihr hätte eröffnen müssen, ihre Delikatesse beleidigen und ihr Herz betrüben, und zugleich ihrem gerechten Stolz neue Gründe geben würden, keinen Schritt zur Annäherung gegen eine Familie zu thun, welche sie so gröblich beleidigt hatte.

Während diese Betrachtungen ihn beschäftigten, entgieng die Bewegung, welche sie ihm verursachten, Ellenas Bemerkung nicht. Seine Unruhe stieg, so wie er über die Unmöglichkeit nachdachte, sie in ihren Augen gültig zu machen, und wie wenig Hoffnung er sich machen durfte, sie zu überreden, wofern er nicht neue Gründe für sich anführen konnte. Seine ungekünstelte Betrübniß machte ihre ganze Zärtlichkeit und Dankbarkeit rege; sie fragte sich selbst, ob sie wohl länger auf ihren eignen Rechten bestehn sollte, wenn sie dadurch die Ruhe des Mannes aufs Spiel setzte, der sich um ihrentwillen so vieler Gefahr ausgesetzt, sie von harten Drangsalen befreit und ihr die Stärke seiner Zuneigung so lange und so ächt bewiesen hatte.

Wenn sie sich diese Fragen vorlegte, so kam sie sich als ein ungerechtes und eigennütziges Geschöpf vor, ungeneigt irgend ein Opfer für die Ruhe desjenigen zu bringen, der ihr selbst mit Gefahr seines Lebens die Freiheit geschenkt hatte. Ihre Tugenden selbst schienen ihr jetzt, da sie übertrieben wurden, an Laster zu gränzen; ihr Gefühl von Würde schien ihr engherziger Stolz, ihre Delikatesse Schwäche; ihre gemäßigte Zärtlichkeit kalter Undank; und ihre Vorsicht eine ins Niedrige ausgeartete Besorglichkeit.

Vivaldi, der eben so empfänglich für die Hoffnung als für die Furcht war; merkte sogleich, daß ihr Entschluß anfieng zu wanken, und machte aufs neue alle Gründe, von welchen er sich Wirkung versprechen konnte, bei ihr geltend. Allein der Gegenstand war zu wichtig für Ellena, um sich sogleich bestimmen »to be immediately decided upon«: ›um sogleich entschieden werden zu können‹. – D.Hg. zu können; er gieng nur mit einer schwachen Aufmunterung von ihr und sie bat ihn, nicht eher als den andern Tag wieder zu kommen, wo sie ihm ihren letzten Entschluß bekannt machen wollte.

Diese Zwischenzeit war vielleicht die peinlichste, die er je durchlebt hatte. Einsam am Ufer des Sees, brachte er viele Stunden in abwechselnder Hoffnung und Furcht zu: er suchte die Entscheidung vorher zu errathen, von der seine ganze künftige Ruhe abhieng, und bebte eben so schnell davor zurück, so oft seine Einbildungskraft sie ihm als ungünstig darstellte.

Er verlor die Mauern, welche sie einschlossen, fast nie aus dem Gesicht; ihr Anblick schien seine Hoffnungen zu nähren, und während er ihre rauhe Oberfläche anstaunte, war Ellenas Bild allein vor seiner Phantasie, bis sein ängstliches Verlangen, ihre Gesinnung gegen ihn zu erfahren, zu dem schmerzhaftesten Grade stieg und er plötzlich den Ort verließ. Allein ein unsichtbarer Zauber schien ihn wieder zurück zu ziehen und der Abend fand ihn langsam unter dem Schatten der melancholischen Gränzen einherschleichen, die seine Ellena verbargen.

Sie brachte ihren Tag nicht ruhiger hin. Wenn Klugheit und geziemender Stolz ihr verbothen, ein Mitglied der Vivaldischen Familie zu werden, so führten Dankbarkeit, Liebe, unwiderstehliche Zärtlichkeit eben so mächtig Vivaldis Sache. Das Andenken vergangner Zeiten kehrte zurück, und die Töne der Verstorbenen selbst schienen aus dem Grabe hervor zu hallen, und legten ihr auf, das Versprechen zu erfüllen, welches Bianchis letzte Augenblicke versüßt hatte.

Am folgenden Morgen befand sich Vivaldi lange vor der bestimmten Stunde an den Thoren des Klosters und harrte mit quälender Ungeduld, bis die Glocke das Signal zu seinem Eintritt schlug. Er fand Ellena bereits im Sprachzimmer; sie war allein und stand bei seinem Eintritt unruhig auf. Seine Schritte wankten, ihm versagte die Sprache, und nur seine Augen, mit wildem Ernst auf sie geheftet, vermochten nach ihrem Entschluß zu fragen.

Sie bemerkte die Blässe seines Gesichts und seine Bewegungen mit gemischter Bekümmerniß und Wohlgefallen. Er sah sie lächeln und ihm die Hand reichen, und Furcht, Sorge und Zweifel verschwanden auf einmal aus seiner Seele. Er war unfähig ihr zu danken, seufzte aber tief, als er ihre Hand drückte, und sich von Freude überwältigt an das Gitter lehnte, welches sie von einander trennte.

»Sie sind also würklich mein!« sagte Vivaldi, als er endlich die Sprache wieder bekam. »Wir werden uns nicht mehr trennen! Sie sind mein für immer! Aber Ihr Gesicht verändert sich! O Himmel ich habe mich doch nicht geirrt! Sprechen Sie, ich beschwöre Sie, Ellena, erlösen Sie mich von diesen schrecklichen Zweifeln!«

»Ich bin die Ihrige, Vivaldi,« antwortete Ellena schwach. »Keine Unterdrückung soll uns mehr trennen!«

Sie weinte und zog den Schleier über ihre Augen.

»Was bedeuten diese Thränen,« sagte Vivaldi unruhig. »Ach Ellena,« setzte er mit sanfterer Stimme hinzu, »sollten in solchen Augenblicken wohl Thränen fließen! Sollten jetzt Ihre Thränen auf mein Herz fallen? Ach, sie sagen mir, daß diese Einwilligung mit Widerstreben, mit Schmerzen gegeben wird – daß Ihre Liebe schwach ist – daß Ihr Herz, Ihr ganzes Herz nicht mehr mein ist.«

»Sie sollen Ihnen vielmehr sagen, daß es ganz Ihnen gehört,« erwiederte Ellena; »daß meine Liebe nie mächtiger war, als jetzt, wo sie alle Rücksicht wegen Ihrer Familie überwinden und mich zu einem Schritt zu bringen vermag, der mich in Ihren, und ich fürchte in meinen eignen, Augen herabsetzen muß.«

»O nehmen Sie diese grausame Behauptung zurück!« unterbrach sie Vivaldi. »Sie in Ihren eignen, in meiner Familie Augen herabsetzen!« Er war sehr bewegt; sein Gesicht flammte und mehr als gewöhnliche Würde erhob seine Gestalt.

»Die Zeit wird kommen, meine Ellena,« setzte er mit Nachdruck hinzu, »wo sie Ihren Werth einsehen und Ihre Vorzüge anerkennen wird. O, wäre ich König, um aller Welt zu zeigen, wie sehr ich Sie liebe und ehre!«

Ellena reichte ihm die Hand und lächelte, indem sie ihren Schleier zurückschlug, mit Dankbarkeit und wieder auflebendem Muthe durch ihre Thränen ihn an.

Ehe Vivaldi nach seinem Kloster zurück gieng, erhielt er ihre Einwilligung, mit einem alten Benedictiner, den er für sich gewonnen hatte, über die Stunde, wo die Trauung am unbemerktesten vollzogen werden konnte, zu berathschlagen. Der Priester benachrichtigte ihn, daß er nach dem Schlusse der Abendvesper einige Stunden frei haben würde, und daß er gleich nach Sonnenuntergang, wo die Brüderschaft im Refektorium versammlet wäre, in einer nahe beim Kloster gelegnen Kapelle mit ihnen zusammen kommen und die Trauung verrichten wolle.

Vivaldi kehrte sogleich mit diesem Bescheide zu Ellena zurück, und es wurde beschlossen, daß sie um die bestimmte Stunde bei dem Priester zusammen kommen wollten. Ellena hielt es für schicklich, die Aebtissin mit ihrem Vorhaben bekannt zu machen, und erhielt Erlaubniß von ihr, sich von einer Layenschwester begleiten zu lassen: Vivaldi sollte außerhalb der Mauern auf sie warten und sie zum Altare führen. Nach geendigter Ceremonie sollten die Flüchtlinge sich in ein zu diesem Zweck gemiethetes Boot einschiffen und ihren Weg nach Neapel fortsetzen. Vivaldi gieng, um ein Boot zu miethen, und Ellena bereitete sich zur Fortsetzung ihrer Reise.

So wie die bestimmte Stunde näher kam, sanken ihre Lebensgeister, und sie beobachtete mit trauriger Vorahndung die Sonne, wie sie sich hinter stürmischen Wolken zurückzog und ihre Strahlen von den höchsten Gipfeln der Gebürge verschwanden, bis der Schleier der Dämmerung die ganze Scene einhüllte. Sie verließ darauf ihr Zimmer, nahm dankbaren Abschied von der gastfreien Aebtissin, und verließ, von der Layenschwester begleitet, das Kloster.

Gleich vor dem Thore fand sie Vivaldi, dessen Blick, als er ihren Arm in den seinigen legte, ihr sanft ihre Niedergeschlagenheit vorwarf.

Stillschweigend giengen sie auf die Kapelle San Sebastian zu. Die Gegend schien mit Ellenas Stimmung zu sympathisiren. Es war ein trüber Abend und die See, die sich in dunkeln Wellen am Ufer brach, mischte ihre dumpfen Töne in die des Windes, der die hohen Fichten beugte, und in Stößen zwischen den Felsen pfiff. Sie beobachtete mit Unruhe die schweren Donnerwolken, die längs den Seiten der Berge hinrollten, und die Vögel, die sich schnell über dem Wasser kräuselten, und zu ihren Nestern zwischen den Klippen flatterten; sie sagte zu Vivaldi, daß ein Sturm heran zu kommen schiene, und daß sie gern vermeiden möchte, über den See zu gehen. Er befahl sogleich Paulo, das Boot abzusagen, und mit einem Wagen zu warten, damit sie, sobald das Wetter sich aufklärte, keinen Augenblick über die Zeit aufgehalten würden.

So wie sie sich der Kapelle näherten, heftete Ellena ihre Augen auf die trauernden Cypressen, die über ihr wehten, und seufzte.

»Dieses sind Leichenzierrathe,« sagte sie, »und kein Schmuck für einen Hochzeitaltar! Vivaldi, ich könnte mag vielleicht. abergläubisch seyn – Dünkt Ihnen nicht, daß sie künftiges Unheil weissagen? Aber verzeihen Sie mir, meine Nerven sind so schwach.«

Vivaldi suchte ihr Gemüth zu beruhigen und machte ihr zärtliche Vorwürfe, daß sie ihrer Schwermuth so sehr nachhienge. Unter diesen Gesprächen betraten sie die Kapelle. Stille und eine Art von düstrer Leichenbeleuchtung waren darin verbreitet. Der ehrwürdige Benedictiner mit einem Bruder, welcher der Braut zum Führer dienen sollte, warteten bereits, knieend und im Gebet begriffen.

Vivaldi führte die zitternde Ellena zum Altar, wo sie warteten, bis die Benedictiner ihr Gebet geendigt hätten. Es waren Augenblicke tiefer Bewegung. Sie sah sich oft mit furchtsamer Erwartung, einen lauschenden Beobachter zu entdecken, in der Kapelle umher; und so unwahrscheinlich sie es auch hielt, dass irgend Jemandem in dieser Gegend daran liegen könnte, die Ceremonie zu unterbrechen, so nahm doch diese Vorstellung unwillkührlich ihre Seele ein. Einmal glaubte sie würklich, als ihre Augen auf ein Fenster fielen, ein menschliches Gesicht dicht an das Glas gedrückt zu sehn, als wollte man sie belauschen; als sie aber wieder hinsah, war die Erscheinung verschwunden. Doch horchte sie auf die ungewissen Töne außen und fuhr zu Zeiten auf, wenn die Wellen der See an die Felsen unten schlugen, sich beinahe einbildend, daß sie in den Zugängen der Kapelle, Stimmen und Tritte von Menschen hörte. Sie gab sich Mühe, ihre Besorgniß durch die Betrachtung zu überwinden, daß eine unschuldige Neugierde vielleicht einige Einwohner des Klosters hieher gelockt haben könnte, und ihr Gemüth wurde ruhiger, bis sie eine Thüre ein wenig aufmachen und ein dunkles Gesicht hinter ihr hervor gucken sah. Es zog sich sogleich zurück und die Thüre wurde zugemacht.

Vivaldi, der Ellena erblassen sah, indem sie ihre Hand auf seinen Arm legte, folgte ihren Augen bis an die Thüre; weil er aber Niemand gewahr ward, fragte er sie, warum sie erschrocken sey?

»Wir werden beobachtet,« sagte Ellena; »es ließ sich so eben Jemand an der Thüre sehen.«

»Und wenn wir auch bemerkt würden,« erwiederte Vivaldi, »wen könnten wir wohl in dieser Gegend zu fürchten haben? Guter Vater, eilen Sie doch,« sagte er zu dem Priester, »Sie vergessen, daß wir auf sie warten.«

Der diensthabende Priester machte ein Zeichen, daß er sein Gebet bald geendigt hätte; allein der andre stand sogleich auf und sprach mit Vivaldi, der ihn bat, die Thüren der Kapelle zu verschließen, damit sie vor aller Störung gesichert wären.

»Wir dürfen die Thüren dieses heiligen Tempels nicht verriegeln,« erwiederte der Benedictiner; »es ist ein Zufluchtsort, der nie verschlossen werden darf.«

»Allein Sie werden mir doch erlauben, eine leere Neugierde zurückzuweisen,« erwiederte Vivaldi, »und mich zu erkundigen, wer au jener Thüre lauscht? Die Ruhe dieser Dame erfordert es.«

Der Bruder war es zufrieden und Vivaldi schritt zu der Thüre; da er aber Niemand in dem dunkeln Gange dahinter gewahr ward, kehrte er mit leichtern Schritten zu dem Altar zurück, von welchem der erste Priester jetzt aufstand.

»Meine Kinder,« sagte er, »ich habe euch warten lassen; allein eines alten Mannes Gebete sind nicht minder wichtig, als eines jungen Wünsche, obgleich dies nicht der Augenblick ist, wo Sie diese Wahrheit zugeben werden.«

»Ich gebe Ihnen alles zu, was Sie wollen, guter Vater,« erwiederte Vivaldi, »wenn Sie nur ohne weitern Verzug diese Gelübde bestätigen wollen. Die Zeit drängt.«

Der ehrwürdige Priester nahm seinen Stand vor dem Altare, und schlug das Buch auf. Vivaldi setzte sich zu seiner Rechten und suchte durch Blicke der Liebe Ellena aufzumuntern, die mit niedergeschlagnem Gesicht, welches ihr Schleier nur schlecht verbarg und mit zur Erde gestrecktem Blick sich auf ihre sie begleitende Schwester stützte. Die Gestalt und widrigen Zuge dieser Schwester; die hagre Figur und rauhe Gesichtsbildung des in das graue Habit seines Ordens gekleideten Bruders; das versilberte, durch einen Strahl von der Lampe oben erleuchtete Haupt des Priesters und seine gelaßne Miene, Vivaldis jugendlicher Grazie und lebhafter Gesichtsbildung entgegengesetzt, bildeten zusammen eine des Pinsels würdige Gruppe.

Der Priester hatte bereits die Ceremonie angefangen, als ein Geräusch Ellena aufs neue beunruhigte; sie sah, daß man die Thüre wieder vorsichtig öffnete, und daß eine riesenmäßige Figur sich hinter ihr hervorbog. Er trug eine Fackel und man sah beim Schimmer derselben eine andre Person in dem Gange dahinter, die über seine Schulter weg in die Kapelle sah. Das wilde Ansehn dieser Menschen und ihre sonderbare Kleidung überzeugten Ellena sogleich, daß sie nicht Bewohner des Benedictinerklosters, sondern einige schreckliche Bothen des Uebels seyn müßten. Ihr halb ersticktes Geschrei erschreckte Vivaldi, der sie auffieng, ehe sie zur Erde fiel: weil er aber nicht mit dem Gesichte nach der Thüre gekehrt stand, begriff er die Ursache ihres Schreckens nicht, bis er bei dem plötzlichen Geräusch von Fußtritten sich umdrehte, und verschiedne bewaffnete, und sehr sonderbar gekleidete Menschen bemerkte, die sich dem Altare näherten.

»Wer ist derjenige, der sich in dieses Heiligthum einzudringen erdreistet?« fragte er finster, während er sich halb von der Erde aufrichtete, wohin Ellena niedergesunken war.

»Welche gotteslästerliche Fußtritte,« rief der Priester, »entweihen so gröblich diesen heiligen Ort? –«

Ellena lag ohne Bewußtseyn, und da die Menschen immer näher heran kamen, zog Vivaldi seinen Degen, um sie zu beschützen.

Der Priester und Vivaldi sprachen nun zusammen, aber man konnte ihre Worte nicht verstehn, als eine furchtbar laute Stimme, gleich dem Ausbruch des Donners, das Geheimniß enthüllte.

»Ihr Vincentio di Vivaldi von Neapel und Ihr Ellena di Rosalba von der Villa Altieri, wir gebiethen euch im Namen der heiligen Inquisition euch zu ergeben!«

»Der Inquisition!« rief Vivaldi, der kaum glauben konnte, was er hörte. »Hier muß ein Irrthum seyn.«

Der abgeordnete wiederhohlte seine Aufforderung, ohne daß er zu antworten würdigte.

Vivaldi setzte mit immer wachsendem Erstaunen hinzu: »Bilden sie sich nicht ein, meine Leichtgläubigkeit so sehr täuschen zu können, daß ich glauben sollte, unter die Erkenntniß der Inquisition gefallen zu seyn.«

»Sie können glauben, was Ihnen beliebt; allein Sie und diese Dame sind meine Gefangne.«

»Hebe dich weg, Betrüger!« sagte Vivaldi, von der Erde aufspringend, wo er Ellena unterstützt hatte, »oder mein Schwerdt soll dich deine Verwegenheit bereuen lehren!«

»Wagen Sie es, einen Diener der heiligen Inquisition zu beleidigen!« rief der Kerl. »Dieses heilige Gericht wird Sie belehren, welcher Gefahr Sie sich aussetzen, wenn Sie seinen Befehlen widerstreben.«

Der Priester kam Vivaldis Antwort zuvor.

»Wenn Ihr würklich abgeordnete dieses furchtbaren Tribunals seyd,« sagte er, »so zeigt Eure Beglaubigung. Erinnert Euch, daß dieser Ort heilig ist, und zittert vor den Folgen eines Betrugs. Ihr irrt Euch, wenn Ihr glaubt, daß ich ohne ausdrücklichen Befehl dieser furchtbaren Macht Euch Personen ausliefern würde, die hier Zuflucht gesucht haben.«

»Zeigt Eure Vollmacht!« rief Vivaldi mit stolzer Ungeduld. –

»Hier ist sie,« erwiederte der Gerichtsdiener, und zog eine schwarze Rolle hervor, die er dem Priester überlieferte. »Lesen Sie und überzeugen Sie sich!«

Der Benedictiner fuhr zurück, so wie er die Rolle sah, doch nahm er sie hin und betrachtete sie genau. Die Art des Pergaments, das Siegel, die besondre Form der Worte, die besondern Zeichen, welche nur die Eingeweihten verstehn; alles sah einem ächten Verhaftsbefehl der heiligen Inquisition ähnlich. Die Rolle fiel ihm aus der Hand, und er heftete mit Bestürzung und unaussprechlichem Mitleid die Augen auf Vivaldi, der sich bückte, um das Pergament aufzunehmen, als der Fremde es ihm aus der Hand riß.

»Unglücklicher junger Mann!« sagte der Priester; »es ist nur zu wahr; Sie werden von dieser ehrwürdigen Macht gefordert, Ihr Verbrechen zu verantworten, und mir wird die Begehung eines schrecklichen Vergehens erspart.«

Vivaldi stand wie vom Donner getroffen.

»Für welches Verbrechen, ehrwürdiger Vater, will man mich zur Verantwortung ziehen? Dies ist eine dreiste und schlaue Betrügerei, da sogar Sie davon hintergangen werden können. Was für ein Verbrechen – was für eine Beleidigung?«

»Ich hätte Sie nicht für so verhärtet im Bösen gehalten,« erwiederte der Priester. »Halten Sie ein, fügen Sie nicht freche Falschheit zu den hartnäckigen Leidenschaften der Jugend. Sie kennen Ihr Verbrechen nur zu gut!«

»Falschheit!« erwiederte Vivaldi. »Doch alter Mann, Ihre Jahre und dieses heilige Gewand schützen Sie. Diese Nichtswürdigen aber, die es gewagt haben, das unschuldige Schlachtopfer da – auf Ellena deutend – mit in ihre Anklage zu verwickeln, sollen meine gerechte Rache empfinden.«

»Halt! halt!« sagte der Priester, ihn beim Arm ergreifend, »haben Sie Mitleid mit sich selbst und mit ihr. Wissen Sie, welche Strafe Ihre Widersetzlichkeit nach sich zieht?«

»Ich weiß es nicht und bekümmre mich nicht darum,« erwiederte Vivaldi; »allein ich will Ellena di Rosalba bis auf den letzten Blutstropfen vertheidigen. Laßt sie heran kommen, wenn sie es wagen.«

»An ihr,« sagte der Priester, »an ihr, die sinnlos zu Ihren Füßen liegt, werden Sie Ihre Rache für diese Schmähungen nehmen – an ihr, der Theilnehmerin Ihrer Schuld!«

»Der Theilnehmerin meiner Schuld!« – rief Vivaldi mit gemischtem Unwillen und Erstaunen – »meiner Schuld!«

»Rascher junger Mann! verräth sie nicht dieser Schleier hier sogar? Ich erstaune jetzt, wie er meiner Bemerkung entgehn konnte!«

»Sie haben eine Nonne aus ihrem Kloster geraubt,« sagte der Hauptanführer, »und müssen dieses Verbrechen verantworten. Wenn Sie Ihre Rodomantaden ausgekramt haben, Signor, so müssen Sie mit uns gehn; unsre Geduld ist zu Ende.«

Vivaldi bemerkte jetzt zum erstenmale, daß Ellena in einen Nonnenschleier gehüllt war; es war der nämliche, welchen Olivia ihr am Abend vor ihrer Abreise aus dem Kloster geliehen hatte, um sie vor der Aebtissin zu verbergen, und sie hatte in der Angst beim Fortgehn vergessen, ihn zurückzulassen. In dieser ganzen Zeit war ihr Gemüth zu sehr mit Sorge und Angst erfüllt gewesen, um daran zu denken, daß der Schleier den sie trug, nicht der ihrige war; allein eine von den Ursulinerschwestern hatte es nur zu gut bemerkt.

Obgleich Vivaldi den Umstand mit dem Schleier nicht zu erklären wußte, ahndete er doch andre Umstände, welche der Anklage gegen ihn einigen Anschein geben konnten, und sah dunkel den weiten Umfang des Fallstricks, den man ihm gelegt hatte. Auch glaubte er, Schedonis Hand dabei im Spiele zu sehn, und daß dieser finstre Geist sich jetzt für die Schmach, die er in der Kirche San Stefano erlitten hatte, und für alle nachfolgenden Kränkungen zu rächen suchte. Da Vivaldi nichts von den ehrgeizigen Hoffnungen wußte, welche die Marquise in dem Vater Schedoni ermuntert hatte, so sah er nicht, wie unwahrscheinlich es wäre, daß der Beichtvater durch diese Verhaftnehmung ihres Sohnes ihre Gunst aufs Spiel setzen sollte: noch weniger konnte er argwöhnen, daß Schedoni, wenn er es gethan, Geheimnisse von ihr in Besitz hätte, die ihn in Stand setzten, ihrer Rache Trotz zu biethen und sie zum Verstummen bei seinem Rathschluß zu zwingen.

Seit der Ueberzeugung, daß Schedonis Meisterhand diesen Schritt gelenkt hätte, stand Vivaldi geisterblaß und starrte in stummer unaussprechlicher Angst Ellena an, die, sobald sie wieder ins Leben kam, ihre hülflosen Hände nach ihm ausstreckte, und ihn anrief, sie zu retten.

»Verlassen Sie mich nicht,« sagte sie in den flehendsten Tönen. »Ich fühle mich sicher‚ so lange Sie bei mir sind.«

Bei dem Ton ihrer Stimme fuhr er aus seiner Erstarrung auf, wandte sich stolz zu den Kerls, die in finstrer Wachsamkeit da standen und hieß sie fortgehn, oder sich auf seine Wuth gefaßt machen. Sie zogen sogleich sämmtlich ihre Schwerdter, und Ellenas Geschrei, und das Flehen des Priesters verloren sich unter dem Tumult der Fechtenden.

Vivaldi, höchst abgeneigt, Blut zu vergießen, hielt sich bloß vertheidigend, bis die Heftigkeit seiner Gegner ihn zwang, alle seine Geschicklichkeit und Stärke aufzubiethen. Er warf den einen nieder; allein seine Fechtkunst war unvermögend, die zwei andern zurückzutreiben, und er war beinahe überwunden, als man Schritte herannahen hörte, und Paulo in die Kapelle drang. So wie er seinen Herrn im Gedränge sah, zog er das Schwerdt und eilte ihm wüthend zu Hülfe. Er focht mit unbezwinglicher Kühnheit und Muthe bis beinahe in dem Augenblicke, wo sein Gegner fiel, neue Gehülfen in die Kapelle drangen, und Vivaldi sich mit seinem treuen Diener verwundet und endlich entwaffnet sah.

Ellena, die man verhindert hatte, sich zwischen die Kämpfer zu stürzen, begleitete jetzt, da sie Vivaldi verwundet sah, ihr Bestreben, sich los zu machen, mit solchem Klagen und Flehn, daß sie sogar die Herzen der umstehenden Mörder beinahe zum Mitleid bewegte.

Durch seine Wunden außer Stand gesetzt und auch von seinen Feinden gehalten, mußte Vivaldi ohne Hoffnung ihr helfen zu können, Zeuge ihres Schmerzes und ihrer Gefahr seyn. In wahnsinnigen Tönen rief er den alten Priester an, sie zu beschützen.

»Ich wage es nicht, mich den Befehlen der heiligen Inquisition zu widersetzen,« erwiederte der Benedictiner, »selbst wenn ich auch Kräfte genug hätte, ihren Dienern Trotz zu biethen. Wissen Sie nicht, unglücklicher junger Mann, daß es Tod ist, ihnen zu widerstreben?«

»Tod!« rief Ellena, »Tod!«

»Ja, junges Frauenzimmer, ganz gewiß!«

»Signor, Sie würden sehr wohl gethan haben,« sagte einer von den Anführern, »meinen Rath zu befolgen. Sie werden theuer für das, was sie gethan haben, büssen müssen –« er zeigte auf die Kerls, die hart verwundet auf der Erde lagen.

»Dafür wird mein Herr nichts zu bezahlen haben, guter Freund,« erwiederte Paulo, »denn ihr müßt wissen, daß es ein Stückchen von meiner Arbeit ist; und hätte ich jetzt Arme frei, so würde ich, trotz ihrer Schrammen, versuchen, ob ich es nicht mit einem von euch gleich machen könnte.«

»Stille, guter Paulo,« sagte Vivaldi, »es war mein Werk;« er wandte sich darauf an den Anführer. »Um mich selbst bekümmre ich mich nicht,« sagte er; »ich habe meine Pflicht gethan – aber um sie! – Könnt ihr sie sehn, unschuldig und hülflos, wie sie da liegt, und nicht von eurer Strenge nach lassen! Könnt ihr, wollt ihr Barbaren, auch sie zum Verderben schleppen, auf eine so freche und falsche Anklage?«

»Unsre Gelindigkeit würde ihr zu nichts helfen,« erwiederte der Anführer, »wir müssen unsre Pflicht thun. Die Anklage mag wahr oder falsch seyn, sie muß sie vor ihren Richtern verantworten.«

»Welche Anklage?« fragte Ellena.

»Die Anklage, Ihre Nonnengelübde gebrochen zu haben,« erwiederte der Priester.

Ellena schlug die Augen gegen Himmel auf.

»Ist es so!« rief sie.

»Ihr hört, daß sie das Verbrechen eingesteht,« sagte einer von den Kerls.

»Sie gesteht kein Verbrechen,« erwiederte Vivaldi; »sie nimmt nur den ganzen Umfang der Bosheit wahr, die sie verfolgt. O Ellena! muß ich dich ihrer Macht überlassen! dich auf immer verlassen.«

Der Schmerz dieses Gedankens gab ihm eine augenblickliche Stärke wieder; er riß sich aus den Händen der Gerichtsdiener los, und drückte Ellena, die, unvermögend zu sprechen, mit dem Schmerz eines gebrochnen Herzens weinte, indem ihr Haupt auf seine Schulter sank, noch einmal an seine Brust. Ihr Schmerz machte selbst auf die Menschen um sie her solchen Eindruck, daß sie nicht wagten, sie zu unterbrechen.

Vivaldi's Stärke verschwand bald: erschöpft von Schmerz und von Blutverlust, war er unvermögend sich aufrecht zu halten und mußte Ellena aufs neue fahren lassen.

»Ist denn hier keine Hülfe,« rief sie mit schrecklicher Angst; »soll er hier auf der Erde den Geist aufgeben?«

Der Priester machte Anstalt, ihn in das Benedietiner-Kloster bringen zu lasen, wo seine Wunden untersucht, und ein Arzt für ihn geholt werden sollte. Die verwundeten Helfershelfer der Inquisition waren bereits dahin gebracht; allein Vivaldi weigerte sich zu gehen, wenn nicht Ellena ihn begleitete. Es war den Regeln zuwider, daß ein Frauenzimmer diesen Ort betrat, und ehe der Priester antworten konnte, sagte der Benedictiner-Bruder mit Heftigkeit: »daß sie das Gesetz des Klosters nicht zu überschreiten wagten.«

Ellenas Besorgniß um Vivaldi überwand alle Furcht für sie selbst, und sie bat ihn dringend, sich in das Benedictiner-Kloster bringen zu lassen; allein nichts konnte ihn bewegen, von ihr zu gehn. Die Gerichtsdiener machten indessen Anstalt sie zu trennen; Vivaldi führte vergebens an, welche unnütze Grausamkeit es sey, sie von einander zu reissen, wenn man wirklich die Absicht hätte, auch sie vor die Inquisition zu schleppen, und fragte eben so vergebens, ob sie im Ernste gesonnen wären, sie mit sich zu nehmen.

»Wir werden schon gut für sie sorgen, Signor,« sagte ein Gerichtsdiener, »das sey Ihnen genug. Es kann Ihnen gleichgültig seyn, ob Sie denselben Weg gehn, da Sie doch nicht zusammen gehen dürfen.«

»Hat man wohl je gehört, daß man Gefangne in Gesellschaft reisen läßt?« sagte ein andrer Kerl. »Die würden schöne Dinge mit einander aushecken! Ich wette, daß sie Einer des Andern Aussage auch nicht um ein Haar widersprechen würden.«

»So sollt ihr doch mich nicht von meinem Herrn trennen,« schrie Paulo; »ich verlange mit ihm zur Inquisition, oder zum Teufel geschickt zu werden; das ist alles eins.«

Still und leise, erwiederte der Gerichtsdiener: »erst sollst du vor die Inquisition und dann zum Teufel geschickt werden: du mußt verhört werden, ehe man dich verurtheilt.«

»Aber verderbt keine Zeit mehr,« sagte er zu seinen Begleitern, und zeigte auf Ellena – »fort mit ihr.«

Mit diesen Worten faßten sie Ellena in ihre Arme. »Laßt mich los,« rief Paulo, als er sah, daß man sie fortschleppte; »laßt mich los, sage ich! –« er riß mit Heftigkeit die Stricke, womit man ihn gebunden hielt, von einander; ein fruchtloses Bestreben, denn er wurde sogleich wieder gebunden.

So erschöpft auch Vivaldi durch Seelenschmerz und Blutverlust war, strengte er doch seine letzten Kräften an, sie zu retten – er versuchte sich von der Erde aufzurichten, aber ein plötzlicher Nebel verfinsterte seine Augen, und seine Sinne verließen ihn, während noch Ellenas Name auf seinen Lippen zitterte.

Als man sie aus der Kapelle trug, rief sie unaufhörlich Vivaldi, und flehte dann wieder, ihn noch einmal zu sehn und den letzten Abschied von ihm zu nehmen. Ihre Führer waren unerbittlich – sie hörte seine Stimme nicht mehr, denn er war unvermögend die ihrige zu vernehmen, und zu beantworten.

»O noch einmal!« rief sie in neuem Schmerz – »noch ein Wort, Vivaldi! Laß mich nur einmal noch den Ton deiner Stimme hören! –«

Aber er schwieg.

Sie verließ die Kapelle, noch immer ihre Blicke auf den Fleck geheftet, wo er lag.

»Lebe wohl, Vivaldi!« rief sie mit dem durchdringenden Tone der Verzweiflung. »Lebe wohl, Vivaldi! Lebe wohl! ach auf ewig! auf ewig lebe wohl!«

Der Ton, womit sie dies letzte Lebewohl aussprach, war so rührend, daß selbst das kalte Herz des Priesters ihm nicht widerstehn konnte; allein er wischte schnell die wenigen Thränen ab, die in seine Augen drangen, ehe man sie bemerkte. Auch Vivaldi hörte den Ton – es schien ihm vom Tode zu erwecken! Zum Letztenmal hörte er ihre klagende Stimme, und sah, als er die Augen dahin wandte, ihren Schleier durch das Portal der Kapelle flattern. Alles Leiden, alle Anstrengung, aller Widerstand waren vergebens – die Kerls banden ihn blutend, wie er war, und brachten ihn nach dem Benedictiner-Kloster zusammen mit dem verwundeten Paulo, der unaufhörlich auf dem Wege dahin rief: »ich verlange vor die Inquisition gebracht zu werden, vor die Inquisition!«



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