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Anhang

Anhang.
Der Glückstraum des Mehrerbauern

Wer von Hall aus nach Judenstein wallfahrtet, der kann sich auf dem Hinauf- oder Herabwege den Schauplatz meiner Geschichten vom seligen Märtyrlein Andreas von Rinn, von den Räubern am Glockenhofe und von der heldenmüthigen Jungfrau Gertraud Angerer genau ansehen. Er braucht, wenn er alles an Ort und Stelle betrachten will, keine Stunde Umweg zu machen. Nur wer etwa die Kapelle der drei Blutstropfen auf den Amraser-Feldern zu besichtigen wünscht, muss vom Judenstein aus noch etwas über zwei Stunden westwärts gehen; von Innsbruck aus erreicht er diese denkwürdige Stätte in drei Viertelstunden.

Nicht weit von der Kirche am Judenstein sind auch noch andere sehenswerte Plätze. So z. B. steht wenige Schritte hinter der Geburtsstätte des sel. Anderl, nämlich dem heutigen Penzenhofe, das Haus, welches Josef Speckbacher, der berühmte Freiheitsheld und Schützenmajor vom Jahre 1809, seine zweite Heimat nannte. Im Jahre 1794 zog Speckbacher infolge seiner Heirat mit der braven Jungfrau Maria Schmiederer als Bauer in dieses Haus. Dort lebte er in ungestörter Ruhe bis zum Jahre 1797, in welchem ihn der Kriegslärm zum erstenmale in den Kampf für sein theures Vaterland rief. Nachdem er sich in den blutigen Gefechten bei Spinges rühmlichst ausgezeichnet hatte und dann wieder an seinen heimatlichen Herd zurückgekehrt war, wurde er am 24. Februar des folgenden Jahres 1798 durch die Geburt eines Söhnleins, seines erstgebornen und später weithin bekannt gewordenen Bübleins Andreas erfreut. Im Jahre 1800 machte Speckbacher einen Streifzug gegen die Franzosen mit und im Jahre 1805 rückte er mit der Innsbrucker Milizcompagnie zur Vertheidigung des Grenzpasses Scharnitz aus. Das Kriegsjahr 1809 hielt ihn fast ununterbrochen ferne von seinem freundlich gelegenen Anwesen und nöthigte ihn schließlich, sein Haus ängstlich zu meiden, da ihm darin jederzeit Gefangennahme oder Tod durch Feindeshand drohte. Erst in der Nacht vom 15. auf den 16. März des Jahres 1810 kehrte der Heldenmann wieder heim aber in welch' traurigem Zustande! Als kranker Flüchtling wurde Speckbacher von zwei treuen Freunden in das Stallgebäude getragen, welches ungefähr vierzig Schritte vor seinem Hause stand, und dort auf Stroh niedergelegt.

Hernach mussten ihn die beiden opferfreudigen Männer eiligst verlassen, um sich nicht der Gefahr auszusetzen, ihre Liebesthat an ihrem Freunde mit schwerer Strafe büßen zu müssen.

Um 4 Uhr früh trat sein Knecht Georg Zoppel, der ihm und seiner ganzen Familie mit seltener Anhänglichkeit ergeben war, in den Stall, um die Kühe zu füttern. Dieser gewahrte mit Schrecken, dass eine bleiche Menschengestalt im Stalle lag; umso größer war aber des Knechtes Freude, als er den Hausvater erkannte. Auf Zoppels Bericht, dass das Haus und die Wirtschaftsgebäude vor plötzlichen Nachforschungen der bayrischen Streifwachen noch immer nicht sicher seien, gab ihm Speckbacher einen Auftrag, der wieder so recht deutlich die unverwüstliche List und Schlauheit des Kriegshelden an den Tag legte. Speckbacher befahl nämlich seinem Knechte, unter dem Stallboden und zwar neben der ersten Kuh eine drei Fuß tiefe Grube zu machen. Nachdem dies geschehen und der Boden dieser Grube mit frischem Stroh belegt worden war, stieg der schwergeprüfte Mann mit Hilfe Zoppels in das Loch hinab, welches nun beinahe sechs Wochen lang seinen Aufenthaltsort bildete. Der treue Knecht überdeckte die Grube bis auf ein kleines Luftloch mit Brettern und legte Dünger und Stroh darauf, so dass der ganze Boden des Stalles ein gleiches Aussehen erhielt. Das Luftloch befand sich unter dem Futterbarren zwischen der ersten und zweiten angebundenen Kuh. Damit er desto gewisser unentdeckt bleibe, gebot Speckbacher dem Zoppel, seinen Aufenthalt vorläufig niemand, nicht einmal seiner Ehegattin und seinen Kindern bekanntzugeben. Seine Vorsicht war durchaus nicht überflüssig. Das Haus hatte beinahe ununterbrochen feindliche Einquartierungen und sehr oft giengen Soldaten und Offiziere in den Stall, um Nachforschungen zu halten. Eines Tages kam ein Lieutenant, der nach verborgenen Waffen suchte, dem Luftloche des Vergrabenen so nahe, dass Speckbacher jeden Augenblick fürchten musste, auf das Gesicht getreten und entdeckt zu werden. Erst nach vier Wochen wagte es der Knecht im Einverständnis mit dem Begrabenen, der Hausfrau Kunde von dem Aufenthalte ihres lieben Gatten zu geben. Als die Jochübergänge vom Schnee frei geworden waren und daher eine Flucht aus dem Vaterlande möglich machten und als Speckbacher sich durch die aufopfernde Pflege seines Weibes soweit erholt hatte, dass er die beabsichtigte Flucht unternehmen konnte, war bereits der Monat Mai herangekommen.

Am 2. Mai des Jahres 1810 erhob sich der Held endlich aus seinem dumpfen Grabe. Er musste aber noch einige Tage im Stalle verborgen bleiben, bis er seine Flucht über das Tuxer Joch und über die Gerlos ins Salzburgische und von da ins Steirische antreten konnte. Ende Mai kam er nach Wien. Erst nach vier Jahren war es Speckbacher gegönnt, seine Heimat wiederzusehen, als nämlich sein Vaterland infolge des Pariser Vertrages vom 3. Juni 1814 wieder an das Haus Habsburg gelangte. Aber nicht lange mehr blieb er mit seiner Familie auf dem hübschen Anwesen. Da sein Körper durch die unsäglichen Entbehrungen und Leiden, welche die letztvergangenen Jahre ihm auferlegt hatten, fast ganz erschöpft war, zog der Heldenmann mit seiner Frau und seinen Kindern nach Hall, um dort seine Lebenstage zu beschließen. In einem schlichten Hause an der heutigen »Alte Zoll-Straße« und zwar gegenüber dem Schneeburgschlösschen, nahm er seinen Wohnsitz. Dort endete er sein ebenso bewegtes als thatenreiches Leben am 28. März des Jahres 1820. Am 14. August des Jahres 1887 wurde vormittags am Speckbacherhofe bei Judenstein in feierlicher Weise ein marmorner Denkstein enthüllt. Derselbe ist noch heute neben dem Söller zwischen zwei Fenstern des ersten Stockwerkes zu sehen. Er trägt die einfachen Worte: »Familienhaus des Josef Speckbacher 1809.« An der Stelle, wo diese Erinnerungstafel eingemauert ist, stand früher folgender ernster Spruch:

»Dieses Haus gehört nicht mein und nicht dein,
Dem Dritten wird es auch nicht sein,
Dem Vierten wird es übergeben,
Der Fünfte wird nicht immer leben,
Den Sechsten trägt man auch hinaus;
D'rum sag' mir, wem gehört also dieses Haus?«

Zu der eben erwähnten Gedenkfeier wurde im hinteren Theile des Hauses und zwar an der linken Seite ein eigenes »Speckbacher-Stübchen« eingerichtet, worin man noch jetzt eine Reihe von Bildern sehen kann, die unter anderem auch berühmte Persönlichkeiten und Begebenheiten aus dem Kriegsjahre 1809 darstellen. Außerdem sind Sattel, Zaum und Rollkranz von Speckbachers Streitross für jedermann ersichtlich. In dem aufliegenden Gedenkbuche kannst Du, freundlicher Leser, Deinen Namen zu den bereits Eingezeichneten hinzufügen und dadurch Deinen Besuch auf viel geziemendere Weise verewigen, als dies durch das leidige Bekritzeln der Wände jetzt weit und breit zu geschehen pflegt.

Geht man hinter der Wallfahrts-Kirche am Judenstein den Weg entlang, welcher zwischen einem Feldzaun und Waldesdickicht gegen Süden führt, und biegt man bei der zweiten Wegkreuzung links ein, so kommt man zu einem Bauernhofe, der von weitem ein viel stattlicheres Aussehen hat, als wenn man ihn ganz in der Nähe betrachtet. Man glaubt, ein altes adeliges Schlösschen anzutreffen, wenn man von der Ferne das zweistöckige Gebäude mit seiner jetzt sehr selten gewordenen Bedachung erblickt. Treten wir zur Thüre dieses Bauernhauses hin, so können wir ganz deutlich über derselben auf einer schwarzen Metallplatte die Worte lesen:

 

»In Gottes Hand
Steht dieses Haus.
Der Friede geh' da
Ein und aus.

A. 1839 M.

 

Dieser Spruch wurde von Andrä Moser, einem wohlhabenden Bauersmanne, angebracht. Derselbe ließ dem vor uns stehenden Hause die jetzige Form geben, welche sich vor Zeiten auch in der Nähe recht schön abhob.

Das eben beschriebene Anwesen führt schon seit urdenklichen Zeiten den Namen »Mehrerhof«. Vor beiläufig zweihundert Jahren lebte darauf ein gar hart hausendes Bäuerlein. Dasselbe hatte von seinem Vater keinen Kreuzer baren Geldes, sondern nur schwer drückende Schulden überkommen. Ungeachtet all' seines Arbeitsfleißes, seiner Ordnungsliebe und Genügsamkeit vermochte es sein Hauswesen nicht vorwärts zu bringen. Ja die Sache gieng sogar augenscheinlich den Krebsgang und der Bauer sah schon zitternd die baldige Vergantung seiner alten, theuren Heimat vor Augen. Das machte ihm großes Herzeleid, nicht so fast seinetwegen, als der Kinder und der Gattin wegen; – denn er war kein leichtsinniger Hausvater.

Eines Tages legte er sich nun wieder voll Kummer zu Bette und nachdem er endlich eingeschlafen war, hatte er einen sehr lebhaften Traum. Er sah sich als reichen und glücklichen Gutsbesitzer und vernahm eine ihm unbekannte Stimme, die ihm zurief: »Siehst Du, so kannst Du werden! Geh' morgen hinauf zur Innbrücke bei Zirl. Dort wirst Du erfahren, wie Du Dein Glück machen kannst!«

So träumte dem Bauern noch ein zweites- und ein drittesmal – immer das Gleiche.

Als der Mehrerhofer aber zum drittenmale aus seinem Traume erwachte, stand er sogleich auf und kleidete sich an, weckte dann seine Frau und sprach zu ihr: »Alte, ich muss nun zu einem wichtigen Geschäft ins Oberland hinauf. Sei ohne Sorgen, wenn ich etwa bis übermorgen ausbleibe. Ich muss fortgehen, mein Glück zu machen!« Mehr sagte er nicht.

Die Frau suchte ihren lieben Mann von seiner Narretei, wie sie seinen Entschluss nannte, auf alle mögliche Weise abzubringen, aber alles Bemühen war vergebens. Schließlich ließ sie ihn ziehen, wenn auch nicht ohne Besorgnis. »Närrisch kann er doch wieder nicht sein, er redete ja sonst ganz vernünftig und ruhig!« dachte sich die Bäurin, als sie ihren Alten bis zur Hausthüre begleitete und ihm kopfschüttelnd nachschaute.

Am frühen Morgen stand der Mehrerbauer schon auf der Zirler-Brücke, voll Neugierde, was er nun da erfahren werde. Die erste Person, die ihm aus der Brücke begegnete, war der Zirler Geißhirte, der seine Thiere auf die Weide trieb. Der Hirte fragte den Bauern nur: »Bist Du auch schon da?« Dann zog er mit seinen Geißen weiter.

Es kamen wohl noch andere Leute und Fuhrwerke die Brücke hin und her, aber auch alle diese ließen unsern Mann stehen, ohne ihm über sein Glück Aufschluss zu geben; der eine wünschte ihm einen: »Guten Morgen!«, der andere sagte: »Gelobt sei Jesus Christus!«, der Dritte: »Grüß Gott!«, der Vierte: »Guten Tag!« Wieder ein anderer gieng vorüber, ihn stillschweigend vom Kopfe bis zum Fuße musternd, ja mancher, ohne ihn auch nur anzusehen.

Da war für den Mehrerhofer wohl wenig Aussicht, sein Glück zu machen und doch getraute er sich nicht vom Flecke zu gehen. Als es vom Kirchthurme herab die Elfer-Glocke läutete, fühlte er Hunger, jedoch er begnügte sich mit einem Stücke trockenen Hausbrotes, das er bei sich trug; denn er konnte ja, so dachte er, wenn er in ein Wirtshaus zu Zirl gehen würde, sein Glück gerade in dieser Zwischenzeit versäumen. »Wer weiß es, wann der Glücksbote hier vorübergeht? Vielleicht könnte derselbe gerade die Laune haben, jetzt bald zu kommen!« so sprach er zu sich.

Der Bauer schaut sich fast die Augen heraus. Oft blickt er nach der Sonne, um zu sehen, wie hoch sie stehe. – Leider sinkt sie nun schon allmählich hinter die Berge hinab und noch hat der verheißene Glücksbote kein Anzeichen seines baldigen Erscheinens gegeben.

Die Sonne ist bereits hinter die Berge hinabgesunken. Von Inzing herüber tönt schon die Abendglocke, die Leute kehren, Feierabend machend, über die Brücke nach Hause. Niemand sagt dem Bauern auch nur ein Sterbenswörtchen, was ans dessen Glück Bezug gehabt hätte.

Schon verzweifelt der Mehrerhofer und denkt sich: »Mein Traum war halt ein Traum, wie alle Träume sind, ein Nebelbild, das mit dem Erwachen zerrinnt! Aber er war doch so lebhaft und die Stimme so deutlich. Ich hörte sie ja fast noch, als ich bereits wach war. – Und doch war es mir ein Traum!«

Schon will der Bauer fortgehen, weil die Abenddämmerung eben ihre dunklen Flügel tief in das Thal hinab senkt und die Sonne nur noch ein klein wenig mehr die höchsten Spitzen der Berge mit ihren Strahlen berührt.

Da blickt er noch einmal die Straße gegen Inzing hinauf. – Niemand kommt. – Doch ja, der Zirler Geißhirt kehrt pfeifend mit seiner Herde zurück und jagt die Thiere mit der Geißel vor sich her und bläst dann wieder in sein Bockshorn, um den Zirlern drüben seine Ankunft anzukünden, damit die Dorfweiber ihre Melknäpfe für die Geiße rechtzeitig herrichten können.

»Der wird doch nicht der Bote meines Glückes sein?« dachte der Mehrerhofer. »Sonst hätte er es mir schon in der Frühe gesagt, und die Geiße sind es sicher auch nicht. Dummer Mensch, der ich bin! Schade um die vertändelte Zeit und den gemachten Weg! Aber warten will ich doch noch und will mit dem Geißer ins Dorf hinein gehen und morgen dann den großen Bock nach Hause tragen, den ich geschossen habe und mich von meinem Weibe brav ausschelten lassen!«

Der Geißhirte kommt näher und seine Geiße schellen alle eilig ihm voraus und an dem Mehrerhofer vorbei. Aus diesen gibt keine irgend ein Anzeichen vom Glücksboten. Es sind halt gewöhnliche Geiße, die sich beeilen, heim in ihren Stall zum Futter zu kommen.

Als der Zirler Hirte zur Brücke gelangte und den Bauern noch unbeweglich am alten Flecke stehen sah, wie er ihn in der Frühe angetroffen hatte, riss er verdutzt seine großen Augen auf und sagte zum Mehrerhofer: »Wie? Stehst Du noch da? Bist Du angefroren oder verwünscht?«

»Weder angefroren noch verwünscht!« entgegnete der Angeredete. »Aber ich hatte einen Traum und dieser sagte mir, ich solle zur Zirler Brücke gehen, dort werde ich erfragen, wie ich mein Glück machen könne.«

»Du bist wohl,« sprach der Geißer, »ein recht einfältiger Mensch und noch dümmer als ich!« – und dann fieng er an, hellauf zu lachen – »Schau einmal her, was man auf Träume halten kann. Mir träumte heute nachts auch etwas, aber etwas Pudelnärrisches; ich hätte es schon vergessen, wenn Du nicht eben gerade vom Träumen gesprochen hättest. Mir träumte: Ich sei auf einem Bauerngute, das der Mehrerhof hieß, und in diesem sei unter dem Küchenherde, wenn man ihn abreiße, ein Schatz zu finden. Ich will nun wetten, es gibt auf der ganzen weiten Welt keinen Mehrerhof, obwohl es genug Höfe in der Welt gibt; ich wenigstens habe in meinem ganzen Leben nie von einem Mehrerhofe etwas gehört und ich kenne doch alle Höfe im Thale bis hinab nach Innsbruck und hinauf bis Telfs. Siehst Du also, wie närrisch mein Traum war und nicht weniger närrisch ist der Deinige. Ja, wären die Träume wahr, so hätte ich schon oft die schönsten funkelnagelneuen Thaler aus der schwarzen Erde herausgegraben. Ich sah sie, ich hatte sie schon in Händen; sobald ich aber aufwachte, hatte ich in meiner festzugedrückten Hand – nichts. Schon oft hat mich im Traume der Teufel wegen meines beständigen argen Fluchens geholt, ich fühlte auch jedesmal seine schwarzen Krallen und seinen feurigen Hauch. Sobald ich aber aufwachte, schwitzte ich wohl vor Angst und schaute mich nach den feurigen Augen um, – aber es blieb finster und ich spürte keine Krallen mehr. Doch das ist wahr, ich getraute mir am andern Tage nicht mehr so arg zu fluchen, wenn auch die Geiße mit ihrer Bosheit mich gewaltig erzürnten und ich recht stark zu fluchen Versuchung genug gehabt hätte! – Du kommst wohl etwa nicht nochmals hieher, um den ganzen Tag hindurch hier an das Brückengeländer zu lehnen und Wache zu stehen? Da müssten Dich doch meine Geiße auslachen! Gute Nacht! Lass Dir Zeit auf dem Heimwege!«

Nach diesen Worten ließ der Geißer den Bauern stehen, blies wieder in das Bockshorn und trollte, mit der Peitsche schnalzend, ins Dorf hinein.

Der Mehrer hatte nun genug gehört. »Dieser Hirte, muss nun doch der Bote des Glückes gewesen sein!« so sprach er jetzt zu sich selbst. »Den Mehrerhof weiß ich besser als der Zirler-Geißer und den Küchenherd auch!« Dann machte er sich auf den Heimweg. – Mitternacht war schon lange vorüber, da hörte des Mehrerhofers Ehefrau an die wohlverschlossene Hausthüre laut klopfen. Sie hörte es schnell, weil die Sorge um ihren Mann sie nicht hatte schlafen lassen. Sie schaute von dem geöffneten Fenster herab und als sie die Gestalt ihres Mannes zu erkennen glaubte, fragte sie noch zur Sicherheit: »Bist Du's?«

Der Mehrerhofer antwortete laut mit »Ja!« und erst dann gieng sie über die Stiege hinab und öffnete die verriegelte Hausthüre.

»Bringe mir nun ein Licht und geh' dann wieder schlafen, ich werde bald nachkommen!« sagte der Bauer, kurz angebunden.

Mehr konnte die Bäurin aus ihrem Alten nicht herausbringen. Sie gieng wieder in die Kammer zu ihren Kindern, nachdem sie ihm das verlangte Licht gebracht hatte. Das Angebot, ihm etwas kochen zu wollen, hatte er ausgeschlagen.

Der Mehrerhofer betet noch ein »Vater unser« und ein »Ave Maria« zum seligen Anderl, dann holt er einen Pickel, geht in die Küche, stellt das Licht an den Fensterbalken und fängt nun an, den Herd abzureißen. – Die großen Steinplatten sind bald von der Oberfläche weg; – der Bauer pickelt weiter und weiter, da stößt er plötzlich auf etwas Hartes – es ist eine andere Steinplatte, er hebt sie weg.

»Ich habe den Schatz!« ruft nun der Bauer laut aus. »Unser Glück ist gemacht, ich brauche nun nicht mehr das Gut meiner Voreltern, meine liebe Heimat, zu verkaufen. Gott sei Dank und auch unserem lieben Anderl drüben!«

Und ist es denn auch wirklich wahr gewesen, was der Mehrerhofer da vom Glücke sagte?

Ja freilich! Unter der Platte war ein tiefes Loch, in dem ein großer eiserner Hafen stand, so wie man sie in Bauernhäusern vor Zeiten gebrauchte, um für die Schweine allerhand Aufgehacktes zu sieden. Dieser Hafen war bis oben von Goldstücken und Thalern und anderen Münzen mit dem Gepräge aus den Zeiten Kaiser Ferdinand des Zweiten, der vom Jahre 1619 bis 1637 regierte, angefüllt. Dies Geld hatte wohl ein Vorfahre des Mehrerbauern – wahrscheinlich in gefährlichen Kriegszeiten – hieher versteckt, um es vor Plünderung zu sichern. Ein Zufall hinderte ihn dann vielleicht, seinen Kindern vor dem Tode das Versteck des Familienschatzes und Nothpfennigs zu offenbaren.

Nun kam das Geld durch eine gütige Fügung der göttlichen Vorsehung einem der Mehrerhofer gerade zur rechten Zeit zu Gute. Gelegener hätte die Hilfe von oben nicht kommen können. Als der Mehrerbauer das viele Geld im Hafen sah, fiel er dankend auf seine Knie.

Die Gattin des Schatzfinders hatte in ihrer Kammer droben ganz deutlich das Pickeln in der Küche gehört. Sie schlich auf den Zehen über die Stiege herab und guckte durch die halbgeöffnete Küchenthüre hinein, um zu sehen, was der Mann thue. Als sie nun den Herd in Trümmer geschlagen erblickte, da meinte sie, der Alte habe den Verstand verloren, schlug jammernd die Hände über dem Kopf zusammen und lief auf den Bauern zu. Der Mehrerhofer aber nahm sogleich seine Frau schweigend beim Arm, zog sie zum zertrümmerten Herde hin, zeigte ihr den Hafen mit dem Gelde und sagte zu ihr: »Weib, siehst Du, unser Glück ist gemacht, ich hatte also doch Recht, danken wir dem lieben Herrgott und dem seligen Anderle!«

»Hast Du wohl nicht etwa mit dem Schwarzen etwas zu thun gehabt?« fragte zitternd und ängstlich die Bäurin. »Wenn Du mit dem Teufel verhandelt hast, mag ich von diesem Gelde nichts wissen, lieber will ich mit den Kindern mein Brot betteln gehen.«

»Nein, nein!« sprach der Mehrerhofer. »Wie Du nur von mir so etwas denken kannst?« Und nun erzählte er ihr den Traum und alles, wie es gekommen war.

Beide Eheleute dankten dann Gott aus innerstem Herzensgrunde für seine gnädige Fügung. Des Mehrerhofers Gläubiger wurden alle befriedigt bis auf den letzten Heller und das in Verfall gerathene Haus neu hergebaut, aber auch kein Armer gieng von nun an vom Mehrerhofe weg, ohne dort ein reichliches Geschenk erhalten zu haben. Gott hatte ja den Bauern fast wunderbar beschenkt, warum sollte der Mehrerhofer nicht auch anderen mittheilen? Auch des armen Geißers in Zirl wurde freigebigst gedacht.

Man staunte in der Umgegend darüber, dass der Mehrerhofer plötzlich so reich geworden war. Böse Zungen redeten allerhand, aber der Mehrerbauer machte vor niemand ein Hehl daraus, wie er seinen Reichthum erworben hatte.

Jetzt ist diese meine Geschichte zu Ende. Mancher wird an der Wahrheit derselben zweifeln. Nun, ich will niemand zum Glauben zwingen, aber ich führe zum Beweise nur an, dass es vor alten Zeiten die ganze Bewohnerschaft von Tulfes und Rinn als wahr erzählte. Jetzt ist es freilich, wie so manches Alte nicht mehr recht in der Erinnerung der Leute. Das heutige Geschlecht hat eben ein viel schwächeres Gedächtnis als es unsere Vorfahren besaßen. Damit die schöne Geschichte vom Glückstraum des Mehrerbauern schließlich nicht ganz in Vergessenheit gerathe, habe ich sie hiehergesetzt.

 

Nun, lieber Leser, lebe wohl und wenn Du einmal nach Judenstein wanderst, schaue Dir alles genau an, was Dir vom sel. Anderle, von dem Glockengießermeister Hanns Gatterer und seinen Genossen, ferner was Dir sowohl von der keuschen Jungfrau Gertraud Angerer als von Bugazi, Benizi und Puzi und endlich vom Mehrerbauern und dem Zirler Geißhirten erzählt worden ist. Vergiss dann nicht, wenn Dir mit diesen vier Geschichten eine Freude bereitet ward, beim sel. Anderl auch ein »Vater unser« zu beten für den Verfasser dieser Erzählungen, der als Kurat zu Kematen bei Innsbruck am 6. April 1883 im 63. Jahre seines Lebens starb. Gedenke auch noch mit einem »Ave Maria« derjenigen, die an der neuen verbesserten und theilweise vermehrten Ausgabe dieser Geschichten mitgewirkt haben.

 


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