Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

IV. Kapitel.
Der Landsknecht ergreift ein Handwerk

Wir sehen den Meister in der Küche des Glockenhofes am Herde stehen, er dreht eben eine Rehkeule am Spieße herum und gießt von einer untergestellten Schale die Brühe über den brodelnden Braten; er zeigt Kunstfertigkeit auch in der Kocherei. Ein alter Landsknecht muss das wohl auch verstehen; denn wer hätte den Soldaten die geraubten Hühner und Hammel mundgerecht gemacht? Als Hanns noch Landsknecht war, galt er als der beste Koch im Lager, selbst die Hauptleute ließen sich manchmal ein gutes Hühnchen von ihm braten, sie forschten auch nicht so ängstlich nach, wo etwa dasselbe ausgeflogen sei, und sahen dafür dem Hanns in manchem durch die Finger.

Heute hätte Hanns den Rehbraten bald verbrannt, er vergaß oft das Aufgießen der Brühe und schaute sinnend in das Feuer hinein; doch als die lärmenden Gesellen aus der Hütte herüber kamen, erwachte er aus seinen Träumereien. »Pah!« sagte er zu sich selbst, »weg mit diesen Dummheiten. Endlich ist sie fort! Hanns, sei nicht so kindisch, das ist sonst deine Sitte nicht, es stünde wohl einem unbärtigen Jünglinge an, wegen seines Weibes zu seufzen, nicht aber dir, alter Eisenfresser ohne Herz; also schweige, schweige Herz, komm' zurück, alter Leichtsinn! Hanns, mache dich nicht vor den Gesellen lächerlich!« –

Die Gesellen haben inzwischen in der Zechstube am Ecktische Platz genommen; sie warten auf den Abendimbiss.

»Heute ist es hier leer!« sagte der dürre Peter, »wo sind denn die Buben? Das Triefauge ist auch nicht da, und wo steckt denn der Meister? Er ist vor einer Stunde aus der Werkstätte fortgegangen, er schien mir heute pudelnärrisch zu sein, so fuchtelte er mit dem Hammer herum. Er hieng den Kopf und sprach kein Wort. Habt Ihr es nicht auch beobachtet?«

Wolf: »Es ist so, wie Du sagst. Es muss etwas vorgefallen sein! Vielleicht hat die Nonne wieder einmal gepredigt. So ein Weib verbittert des Mannes Leben; darum, Brüder, wollen wir den Weibern Rache schwören!«

Alle: »Keine Weiber, keine Weiber! Hoch das Junggesellenleben!«

Da kommt Triefauge zur Thüre herein, von der Volderbrücke zurück, er ist eben nicht zur Lustigkeit gestimmt, wie seine Kameraden; das Scheiden der Martha gieng ihm noch im Kopfe um.

»Wie Triefauge!« rief der Langhanns, »wo steckst Du denn so lange, Du bist gewiss in den Wald hinausgegangen, Dich für Deine Sünden abzugeißeln? Du hast auch manchmal so eine kleine Anlage, uns den Feldpater zu machen, komme ich einmal an den Strick oder das Schwert, so nehme ich Dich zum Zusprechen!«

Als Langhanns so sprach, erhob sich ein lautes Gelächter.

»Ja!« sagte der Wolf, »das Triefauge wäre so der rechte Pater. Er weiß lange fromme Reden herzusagen, es steht ihm gar so schön an, wenn er mit seinen triefenden Augen zum Himmel hinaufschielt!«

Inzwischen tritt der Meister aus der Küche in die Zechstube und setzt ein Licht auf den Tisch. »Nur ein bischen Geduld!« sprach er, »ich musste heute selbst kochen; denn die Nonne mit den Kindern habe ich weggeschickt, sie bekam das Furchtfieber vor dem Eisen des Nachrichters. Wir sind nun jetzt allein, und auch ich bin wieder zum Junggesellen geworden!«

Wieder riefen alle: »Keine Weiber, keine Weiber, hoch das Junggesellenleben! Hoch der Meister!« »So ein Anhängsel ist wirklich eine Plage!« sprach Hanns, »meine Schwelle soll kein Weib mehr betreten!«

»O doch die Grethe!« sagte der Wolf, »wer brächte uns sonst den Proviant, wer würde uns Hemden nähen und vom Schmutze reinigen? Wir müssen doch auch manchmal hinab in die Stadt, um an Feiertagen in weißen Hemden und Krausen den gestutzten Bürgern gleich herumzustolzieren. Käme man so zerlumpt daher, würde einen gleich der Bettelvogt zusammenpacken und zum Stadtthor hinausjagen. So aber macht er vor uns einen tiefen Bückling, und selbst die Bürger machen uns bei ihnen Platz, wenn wir in die Herberge kommen. Sie glauben, weiß Gott was für Herren hinter uns stecken, vorzüglich wenn unser blankes Silber auf dem Zechtische klingelt. Das Kleid macht auch seinen Mann!«

»Schaut man nur den Gecken an!« spricht der Mohr, »willst Du etwa gar noch um des Bürgermeisters Tochter freien! Wäre gar nicht übel!«

»Warum denn nicht?« sprach der Wolf, »Du freilich mit Deinem schwarzen Galgengesichte erschreckst die Leute. Vor Dir und dem Triefauge lauft alles schon von weitem davon, so hässlich schaut Ihr aus!«

Nun brachte der Meister die gebratene Rehkeule auf den Tisch und zerlegte sie kunstgerecht.

»Wir vermissen die Meisterin nicht!« sprach der dürre Peter, »der Meister macht von nun an den Koch und ich den Küchenjungen; ich will heute noch meinen Dienst antreten und abspülen. Ihr werdet nicht Ursache haben, den neuen Küchenjungen auszuschelten!«

»Das ist ja herrlich!« sagte der Wolf, »und ich werde das Wasser zutragen!« »Und ich,« sprach der Mohr, »werde auffeuern!« »Und ich«, setzte das Breitmaul hinzu, »werde blasen; der Langhanns muss das Holz herbeischaffen!«

»Und Du, Triefauge?« fragte der Meister, »was wirst Du thun, zu etwas wirst Du wohl auch gut sein?«

»Das Triefauge muss die Stube ausfegen!« nahm der dürre Peter das Wort, »er braucht dann kein Wasser zum Aufspritzen, aus seinen Augen quillt es immer reichlich.«

Nachdem man den Tisch aufgehoben und in der Küche das Feuer ausgelöscht hatte, feuerte man dafür in dem Kamine auf und legte sich auf die Bänke hin.

»Also Meister!« hieß es dann, »fahre jetzt mit Deiner Lebensgeschichte weiter, wo Du gestern abends stehen geblieben bist. Du hast uns sehr neugierig gemacht!«

Hanns willfahrte gerne der Aufforderung und sprach:

»Nun erzähle ich von einer Zeit, wo ich das Leben einer Schnecke führte. Ich sah wohl ein, dass ich in Innsbruck eine ehrliche Haut anziehen müsste, wenn ich dort bleiben wollte; denn hätte ich den Landsknecht vorgekehrt, so hätte man bald auf den verdächtigen Fremden ein Auge geworfen.

Ihr würdet gestaunt haben, wenn Ihr gesehen hättet, wie lammfromm ich in Innsbruck war. Ich mietete mir ein Stübchen in einem kleinen Hause nahe bei dem Schlosse Büchsenhausen. Um 9 Uhr war ich immer schon zu Bette. Die Schenken sahen mich nur bei Tage, und selbst dann brachte ich es nie über ein paar Krügelchen Wein. Ich besuchte, wie alle andern, die Kirche, aber ich könnte nicht sagen, dass mir dies mönchische Leben besonders zugesagt hätte.

Ich hatte eine wahre Zwangsjacke an, doch ich fürchtete immer, ein Schlingel von einem Landsknechte möchte einmal daher kommen und mich ungeachtet meiner Verkleidung erkennen.

Das Goldhäufchen wurde immer kleiner; denn vom Dache herein flogen mir die Füchse nicht. Einmal aus dem Staube – sah ich sie nicht mehr, und zur Arbeit wollte ich mich lange nicht bequemen. »Die Arbeit gehört nur für Esel!« dachte ich mir. Als jedoch meine Füchse fast an den Fingern abzuzählen waren, da blieb mir nichts mehr übrig als in den sauren Apfel der Arbeit zu beißen; denn das Wegelagern durfte ich noch nicht anfangen, es war noch die alte Geschichte nicht ganz verraucht.

Schon waren zwei Jahre seit der erzählten Schlächterei im Schlosse verflossen, da hörte ich einmal einen Fremden in der Herberge berichten, wie es ein Paar Landsknechte in Ungarn drunten gemacht hätten. Ein hoher Preis sei auf die Köpfe der Mörder gesetzt, man könnte ein gutes Geschäft machen, wenn man diese Strolche ausfindig machen würde; zwei davon seien erst kürzlich irgendwo gerädert worden; es sei eine Lust gewesen zuzuschauen, so sagte er.

Als der Schuft diese Worte vorbrachte, juckte es mich gar sehr, für seinen frommen Wunsch ihn ein wenig das kalte Eisen verkosten zu lassen, das ich aus alter Neigung immer versteckt bei mir trug, und hätte ich ihn irgendwo allein gehabt, so wäre ihm seine Rede theuer zu stehen gekommen, aber in einer Herberge gieng das Ding nicht, ihn eines Besseren zu belehren.

Ich sagte: ›Das ist doch schrecklich, welche Leute es gibt! Einen solchen Spitzbuben würde ich selbst gerne ausliefern, obgleich ich sehr blutscheu und der friedlichste Mensch der Welt bin!‹

Da hieß es also auf meiner Hut sein. Bei dem Schlosse Büchsenhausen, just in meiner Nachbarschaft, stand eine Stück- und Glockengießerei.

Das Formen, Bilden und Schaffen mit dem rohen Metalle dort, das Prasseln des Feuers, das Kochen und Zischen, das wilde Aussehen der Gesellen gefiel mir, es hatte viel Aehnlichkeit mit dem Kriegshandwerke.

›Meister!‹ sagte ich eines Tages zu dem Stückgießer in Büchsenhausen, ›Euer Handwerk gefällt mir, lehrt es mich auch, ich will Euch gerne das Lehrgeld bezahlen!‹

›Wie! Du Vierschröter willst eine so edle Kunst erlernen!‹ fuhr mich der etwas hitzige Meister an, ›dazu braucht es einen andern Kopf als den eines Bauerngimpels. Lass solchen Hochmuth nur fahren. Ich habe zwanzig Jahre daran gelernt und habe nie ausgelernt, da und dort misslingt selbst mir noch etwas, und ich verstehe doch die Mischung der Metalle, und Du willst Glockengießer werden?‹ Hierauf brach der Meister in ein höhnisches Gelächter aus, was mich weidlich verdross.

Doch sich etwas besinnend, sprach er weiter: ›Nichts für ungut, ich wollte Dir nicht wehe thun und Dir Deinen Stand vorwerfen. Der Bauernstand ist ein goldener Stand und ehrenwert. Wohlan, probier' einmal und stich mir das Modell nach, welches dort auf dem Tische liegt! Kannst Du das, so sei es, ich will Dich in die Lehre nehmen, wo nicht, so bitte ich schon, künftighin meine Werkstätte zu meiden; denn Müßiggänger und Zuschauer kann ich nicht leiden, Du magst dann beim Spaten bleiben!‹

Es lag ein lateinischer Buchstabe vor mir, rund und rein in Glockspeise geformt. Das, dachte ich mir, dürfte mir nicht so schwer werden. Habe ich ja die künstlichsten Schlüsselbärte alle nachgeformt. In einer halben Stunde lag der Buchstabe aus Zirbelholz vor dem Auge des erstaunten Meisters, rein und zierlich ausgeschnitzt.

›Spitzbube!‹ sagte der Meister, mir auf die Achsel klopfend, ›das hätte ich hinter Dir nicht gesucht! Ich nehme Dich. Drei Lehrjahre, wenn Du Dich wacker hältst, dann bist Du Geselle! Für jetzt erhältst Du nur die Atzung und einen Abendtrunk, das andere musst Du selbst bestreiten. Machst Du Fortschritte in der Kunst, wie Deine Anlage prophezeit, so erlasse ich Dir selbst noch das Lehrgeld! – Die Hand her!‹ – Ich schlug ein.

Mein Spruch war immer, nichts halb, und so war ich nun, wie ich früher ein ganzer Spitzbube war, ein ganzer Glockengießer mit Leib und Seele. Allen lauschte ich das ab, was sie am besten verstanden. Ganze Nächte stierte ich schlaflos in das kochende Metall hinein, um zu sehen wie es sich mischte, probierte dies, probierte jenes, und wenn andere sich auf die Bärenhaut legten, hatte gewiss ich allein noch etwas in der Gießerei zu schaffen.

Man nannte mich nur den Metallschmecker. Der Meister schwieg und ließ mich gehen. Nur einmal bekam ich eine tüchtige Ohrfeige, weil ich, um eine kleine Glocke recht wohlklingend zu machen, zu viel Silberbeisatz genommen hatte. ›Tölpel,‹ sagte er mir, ›das Silber müssen wir für die Glocken bekommen und nicht in die Glocken stecken; so kämen wir mit unserer Kunst weit! Die Schwazer mögen Silberglocken gießen, sie haben das Bergwerk an der Nase; für uns aber ist dies zu kostspielig!‹

Die drei Jahre waren vorüber. Ich übertraf schon alle Gesellen an Kunstfertigkeit. Ich wurde nun freigesprochen, und bald war ich der Altgeselle, d. h. ich hatte den Rang nach dem Meister, durfte neben ihm am Tische sitzen und hatte zum Essen den größten Weinkrug und dazu noch zwei Thaler Wochenlohn. Das war freilich für unser einen eine Bagatelle, da ich sonst oft bei einem kleinen Streifzuge hundert solche Blättchen auf einmal mit nach Hause brachte.

Das wusste der Meister freilich nicht; doch solchen Lohn, wie ich, hatte keiner der Gesellen, sie sahen mich oft mit scheelem Auge an. Ich gefiel mir in dem neuen Leben; mein höchstes Glück war, wenn unter meinem Hammer der Glockenmantel sprang und die neue Glocke makellos vor mir stand, und wenn dann die Glocke aufgezogen frei in der Luft schwebte und der Meister den Hammer auf dieselbe schwang und der Glocke Silberton durch die Luft fieberte, da war es köstliche Musik meinen Ohren, ich feierte meinen herrlichsten Triumph. Da kam der Meister dann immer und drückte mir die Hände und sagte: ›Meisterlich, Hanns, meisterlich! Die Mischung ist vortrefflich, unsere Werkstätte hat das Prä!‹ Und das Lob des Meisters kitzelte meine Ohren. Dann gab es wieder einen tüchtigen Trunk ab, sogar der Meister brachte dem Altgesellen die Gesundheit aus.

Obwohl das Leben nicht so übel war, so war es doch mühsam, und – wir bekamen keinen Johannisberger, sondern ziemlich sauren Etschländer; den Johannisberger konnte ich nie vergessen. Auch Hühner gab es selten, höchstens etwa zur Kirchweihe oder an des Meisters Namenstage, und so wünschte ich mich manchmal zurück zu den Fleischtöpfen Ägyptens. Ueber lange einmal konnte ich dem Wunsche nicht widerstehen, wieder zu versuchen, wie der Johannisberger schmeckte. Ich spendierte einen blanken Thaler und kaufte mir von durchziehenden Augsburger Kaufleuten ein paar Flaschen, wobei man mich verwundert anschaute, dass ich so ein Feinschmecker wäre.

Ein Zufall hätte mich bald aus der Stückgießerei in Büchsenhausen vertrieben.

Es kam einmal ein fremder Geselle zugereist und fragte um Arbeit. Er redete nun auch mit uns Gesellen. Wie er mich erblickte, machte er große Augen und betrachtete mich vom Fuße bis zum Kopfe, so dass es mir auffiel. Ich nahm ihn nun auch auf das Korn und – potz Velten Kreuzdonnerwetter! wer malt meine Ueberraschung, der Mann war mit mir unter einer Fahne gestanden, just damals, als wir unsere Hauptleute massakriert hatten. Da galt es nun kaltes Blut zu haben und zu leugnen, wie ein Kelchdieb, wenn er mich etwa erkennen sollte. Der Mann wäre gefährlich gewesen, er musste wohl auch etwas von dem Preise wissen, der auf meinen Kopf gesetzt war.

›Wenn ich nicht wüsste,‹ begann nun der fremde Geselle, ›dass mein alter Kriegskamerad von der Glockengießerkunst kein Itüpfchen verstanden hat und dass er die Arbeit wie das wilde Feuer floh, so würde ich wetten, dieser Geselle da wäre leibhaftig er selber. Ja dieser da ist, wie von ihm herabgeschnitten, ja es sind seine Gesichtszüge, seine schelmischen Feueraugen, seine dunkelbraunen Haare!‹

Bei diesen Worten fixierte er mich, als wollte er mich durchbohren. ›Weißt Du!‹ sprach er weiter zu mir gewendet, ›es handelt sich um einen Mord an Hauptleuten und um hundert Goldgulden, die man so leicht verdienen könnte, das Kriegsgericht bezahlt sie bar aus!‹

Ich blickte ihn auch an und wich ihm mit meinen Augen nicht aus. Klar ließ ich meinen Augenstern in sein Antlitz fallen. Ich zitterte nicht, ob ich roth oder blass geworden war, konnte er nicht sehen; denn Ruß bedeckte dicht meine Wangen.

Endlich musste er seinen Blick vor dem meinigen senken, ich hatte ihn durch meine Kälte und Geistesgegenwart irre gemacht, ich hatte ihn besiegt, er fieng schon an zu zweifeln, er, der früher geglaubt hatte, den Mörder und sohin die hundert Goldgulden schon zu haben.

›Ich weiß nicht,‹ sprach ich mit etwas tieferer Stimme in meinem Tiroler-Dialekt, den ich mir inzwischen angeeignet hatte, ›ich weiß nicht, was Du da von Kriegskameraden, Hauptleuten und den hundert Goldgulden redest. Kameraden müssten wir erst von heute an werden. Ich sah Dich nie! Hauptleute kenne ich auch keine, den Krieg ebensowenig. Du irrst gröblich!‹

›Nun so ist's Dein Zwillingsbruder,‹ sprach der Fremde, ›der Hallunke hat viele Mordthaten auf seinem Gewissen. Weh' ihm, wenn man ihn erwischt! Er ist im ganzen Reiche vogelfrei erklärt; hundert Goldgulden stehen auf seinen Kopf!‹

›Seht, Meister!‹ sprach ich, ›was ich wert wäre, hundert Goldgulden, mögt Ihr sie nicht verdienen?‹

›Schau, ungehobelter Bengel!‹ fiel jetzt der Meister über den Fremden her, ›dass Du zum Loche hinaus kommst, sonst lass ich Dich durch meine Gesellen hinausschmeißen. Was faselst Du von Mördern, die bei mir sein sollen. Solche Spässe sind hier nicht am Platze. Sie greifen die Ehre meines Altgesellen an und seine Ehre nehme ich über mich, Du hast es mit mir zu thun! Was doch ein hergelaufener Schlingel alles wagt! Unsere Werkstätte ist eine der ersten in der Welt, und er ist mein bester Geselle. Bei mir gibt es keine solchen Gaudiebe, wie Du einer bist. Hast Du verstanden?‹

Alle Gesellen lachten nun über die Lection, die der in Hitze gebrachte Meister dem Fremden gab, und ich mit.

›Meister!‹ entschuldigte der Fremde, ›ich wollte weder Euren Altgesellen noch die Werkstätte beschimpfen; aber dafür kann ich auch nicht, dass Euer Altgeselle einem berüchtigten Gurgelabschneider so ähnlich sieht, wie ein Ei dem andern. Ich hätte geschworen, er wäre es. Doch auf der Welt gibt es allerlei Gesichter, ich habe mich halt getäuscht was auf der Welt so oft geschieht, und hundert Goldgulden wären auch etwas gewesen. Also Altgeselle, vergib mir, es war nicht bös gemeint! Was ich von meinem ehemaligen Kriegskameraden sagte, ist wahr!‹

Ich reichte ihm lächelnd zum Abschiede die Hand und gab ihm den üblichen Gesellengroschen; ein schlechter Ersatz für die hundert Goldgulden und noch dazu in Gefahr sein, durchgebläut und zur Thüre hinausgeschmissen zu werden. Seht, Gesellen, was Geistesgegenwart und kaltes Blut vermag!

Wenn der elende Tropf seinen Aufsitzer hintennach erfährt, so rauft er sich noch alle Haare aus! So nahe an dem Braten zu sein und ihn den Händen entfahren zu lassen, ha, ha, ha! Man sieht schon, er war gegen uns nicht einmal ein Anfänger.

Noch lange hatte der Meister dem Fremdlinge nachzukleffen. ›Wenn ich,‹ sprach er zu mir, ›an Deiner Stelle gewesen wäre, ich hätte diesem Thürenklopfer mit dem großen Hammer den Schädel weich geschlagen. Ich wollte wetten, es hat ihn irgend ein Augsburger Meister aus Neid hiehergeschickt, um mich zu ärgern; diese Pfuscher da draußen verstehen nicht einmal eine Kuhglocke zu gießen und wollen unsereinen verhöhnen! Der soll meine Schwelle nicht mehr betreten, ich habe mir sein Gesicht gemerkt.‹ –

Die Geschichte, welche mir hätte gefährlich werden können, war gut abgelaufen; sie trug mir die Lobsprüche des Meisters und abends einen Extrakrug Wein ein und zwar noch dazu vom bessern, wie der Meister ihn immer selbst trank.

Der Meister war eine gute Seele, ein rechter Gradaus, wie es drinnen im Herzen stand, so musste es heraus; diesem Manne hätte ich nichts zu leid thun können, und wenn er selbst mit allen Schätzen Indiens hier vorübergezogen wäre; er war ein Stück von einem Vater. Die Hausordnung galt ihm über alles. Jeder Geselle, der um 9 Uhr nicht zu Hause war, hatte am Montag sein Geld und seinen Abschied, da half keine Entschuldigung, kein Fürbitten, selbst ich durfte kein Wort einlegen, obgleich er mich sonst sehr gut leiden konnte.

Ich war aber auch pünktlich zu Hause; am Sonntag nach dem Gottesdienste blätterte ich in einer alten Bibel. Der Meister meinte, ich lese darin, ich aber schaute nur die zierlichen Goldbuchstaben und Figuren an, welche eine fleißige, geschickte Hand mit großer Mühe hineingemalt hatte, sie konnten mir als Muster in meiner Kunst dienen.

So flossen die Jahre dahin, die Jahre, in denen ich gelernt hatte, auch hart und angestrengt zu arbeiten; das wäre mir in früherer Zeit als etwas Unmögliches vorgekommen, und dabei noch so einfach zu leben! Ihr werdet es mir kaum glauben, als ich dreißig Jahre zählte, hatte ich mir, ungeachtet der Flaschen Specialwein, die ich bisweilen aus alter Liebhaberei trank, dreihundert Thaler auf die Seite gelegt, darüber hatte ich noch dreizehn der alten Goldfüchse, Geld genug, um einmal ein eigenes Anwesen kaufen zu können, denn fest war ich entschlossen, diese meine neue Lebensweise fortzuführen, weil die Kunst mich so sehr anzog!«

»Wäre schade gewesen«, sprach nun der dürre Peter, »auf Büchsenhausen drüben so zu versauern! Sagt einmal, Meister, ist unser Leben hier nicht weit angenehmer? Die Kunst kannst Du ja nebenbei doch noch treiben. Lobt man ja Deine Glocken weit herum im Lande, von Büchsenhausen hört man, seit Du weg bist, gar wenig mehr, besonders seit der alte Meister droben todt ist. Sie machen dort, glaube ich, nur mehr Donnerbüchsen!«

»Ja, mit dem Tode des Meisters,« erwiderte Hanns, »ist die Kunst dort fast zu Grabe gegangen. Ich erinnere mich noch recht gut, wie es war, als der Meister starb. Er schlug eben den Mantel einer Glocke entzwei, auf deren Gelingen er ungeduldig gewartet hatte. Es war eine große, sie wog mehr als zehntausend alte Pfund gut Gewicht, und wie der Mantel sprang, brachen auch dem Meister die Knie.

›Ich muss sie noch hören!‹ sagte er, ›muss hören, ob der Ton rein ist, zieht sie auf, schwingt den Hammer!‹ Wir beeilten uns, das schwarze Ungeheuer herauszuwinden. Sie schwebte frei mit der Krone an den Stricken hängend; wir ergriffen den Hammer und schwangen ihn gegen das Metall. ›Bum, Bum!‹ brummte die Glocke in ehrwürdigem Bass. ›Gut, gut!‹ sagte der Meister, ›vortrefflich!‹. Hierauf forderte er einen Priester und noch am selben Abende hauchte er in meinen Armen seine Seele aus. Es starb mir fast ein zweiter Vater, so lieb hatte ich den alten Meister gewonnen.«

Das Triefauge: »Es gibt doch noch edle Menschen, nicht alle sind schlecht, wie wir es so gerne uns einreden möchten!«

»Da habt Ihr wieder den Pater!« rief der Langhanns, »wir müssen ihm schon noch eine Kutte anlegen und einen Rosenkranz in die Hand geben, es steht ihm vielleicht besser an als das Mordmesser!«

Hanns: »Nun komme ich zu einem neuen Abschnitte meiner Geschichte, nämlich, wie ich von Büchsenhausen wegkam. Dieses verdient schon einen eigenen Abend, wir haben jetzt der Abende genug, wo uns die Langweile plagt; denn der Vorwinter ist ein gar mürrischer Patron, er verurtheilt uns zum Zuhausesitzen. Doch unthätig wollen wir nicht bleiben. Wolf und Langhanns, Ihr geht morgen in den Friedberger Forst hinab und schaut, dass Ihr ein Reh oder ein Paar Hasen zu schießen bekommt, wir haben in der Küche nur mehr auf zwei Tage Fleischvorrath. Geht aber dem Forstwart nicht unter die Augen, sonst kommen wir Glockenhofer als Wilddiebe ins Geschrei! Ihr kennt schon des Mannes gewohnten Rundgang in dem Forste, er ist dabei pünktlich wie eine Uhr; Ihr könnt ihm leicht ausweichen. Der Herr Ritter auf Friedberg glaubt, diese Thiere seien bloß für ihn gewachsen; unsere Röhren tragen aber ebenso weit als die seines Forstmeisters und treffen ebenso gut. Bringt also etwas Erkleckliches!«

Wolf: »Ich weiß schon den Stand der Rehe, wohin sie gewöhnlich kommen, ihren Durst zu löschen, dort schießt es sich gar gut. Ich habe mehr als zehn Rehe von dort heimgebracht und einmal gar einen Hirschen. Ist doch gut, dass der Forstwart des Friedbergers die Thiere so eifersüchtig hütet und die Wilddiebe fleißig ins Loch setzen lässt, sonst würden sie uns alles wegstehlen; er selbst getraut sich kaum ein Stückchen abzuschießen, darum müssen wir es thun, sonst würde noch das Wild den Bauern in Volders nicht nur auf das Feld, sondern auch in die Scheunen laufen und das Korn wegfressen. Die Bauern sehen es gern, wenn wir ihnen diesen Dienst thun. Somit ist uns und ihnen geholfen, dem Friedberger aber mag es wohl gleichgiltig sein, ob er ein Paar Rehe im Forste weniger oder mehr hat, er geht ja doch nicht hinaus sie zu zählen. Zudem ist es für uns eine kleine nützliche Unterhaltung.«

Da der Meister nun allein sein wollte, standen die Gesellen auf und verließen die Zechstube. Jeder gieng seinem Lager zu.

Meister Hanns blieb auf der Bank am Kamine sitzen; er gieng nicht zu Bette. Bald schaute er in die glimmende Glut des Kamines hinein und seufzte, bald schaute er nach dem Plätzchen hin, wo Martha immer am Abende spinnend gesessen war; da war es heute leer. Droben in der Kammer rührte sich auch niemand. Hanns fühlte, dass er ganz allein und verlassen in der Welt stand. Er hatte Krieg mit der Welt, Krieg mit seinem eigenen Herzen; wie sollte das enden?


 << zurück weiter >>