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II. Kapitel.
Der Angererhof

Wenn man ein paar Minuten oder dem Kreuzhäusl links in den Weg nach Tulferberg und Volderbad einbiegt und dem Pfad entlang immer vorwärts schreitet, so kommt man in ein Thälchen, wo ein Bach schäumend über die Steine hinab springt. Es ist der Lavirenbach. Von da steigt der Weg steil aufwärts immer im dunklen Schatten dicht beästeter Fichten; im Sommer ist hier ein kühles angenehmes Wandern, wenn man langsamen Schrittes fortschlendert. Die Luft säuselt sanft durch die Nadeln der Bäume, das Murmeln des Freuden- oder Tulferbächleins, das geschwätzig der Tiefe zueilt, bildet eine angenehme Harmonie dazu. Zahlreiche Meisen schlüpfen durch die Aeste und suchen nach Würmchen oder Käfern, die unter der Baumrinde verborgen sind, und hat die Tannenmeise wieder etwas Lebendiges irgendwo herausgepickt, so wetzt sie sich geschäftig den Schnabel, wiegt sich auf einem Aestchen und beginnt ihren helltönenden Gesang. Hie und da schaut wohl auch ein Eichhörnchen, auf den hinteren Füßen sitzend und mit seinem gebogenen zottigen Schwanze wedelnd, neugierig auf den Wanderer herab, dann aber hüpft es wieder in verwegenen Sätzen von Baum zu Baum und verschwindet bald aus unseren Augen.

In dieser Waldesstille, nur von den Stimmen der Natur umgeben, weilt man gerne, wenn drunten im Thale die Sonne heiß über den gelben Saaten brennt und der aufgewirbelte Staub die Wagenfährte auf der harten Landstraße bezeichnet. Auf weichem Moose im kühlen Schatten ist es gar süß, ein Rästchen zu halten. Der Duft, welcher sich aus den zarten Sprossen der Fichten- und Lärchennadeln verbreitet, ist köstlich.

Immer den Weg links einschlagend, langt man nach einer halben Stunde vom Lavirenbache aus auf einer kleinen Ebene an und sieht vor sich den malerisch gelegenen Angererhof. Reizend ist der Fernblick, den man von hier aus gegen Nordosten ins Innthal hinab und westwärts nach Tulfes hinüber genießt.

Das frisch getünchte, hübsche Bauernhaus ist von Obstbäumen umgeben. Ein unter deren Schatten gestellter Tisch, mit frischer Milch, auch mit Butter, Honig und schwarzem Brote besetzt, gewährt im Sommer ein beneidenswertes Ruheplätzchen. In neuerer Zeit würde man sich wohl neben der Butter eine Schale Kaffee hinsetzen lassen. In der Zeit unserer Geschichte aber, da kannte man in den Dörfern und auf Bergen den Kaffee, diesen theuren Liebling der Weiber, noch nicht.

Das Angererhaus steht, wie es bei vermöglichen Bauern in Tirol der Brauch ist, mit Heiligenbildern und anderen Zieraten bemalt da. Auf hellem weißen Grunde prangt, freilich nur von grobem Pinsel gemalt, über der Hausthüre die heilige Familie und an der Nordwand die unbefleckte reine Gottesmutter. Auf dem Giebel des Daches streckt ein Thürmchen seinen Hals empor, damit es mit seiner Glocke die Arbeitsleute zur Essstunde hereinrufen könne.

In der Zeit unserer Geschichte bewohnte den Angererhof ein Bauer, namens Andrä Angerer, und sein braves Weib Maria, mit sieben Kindern. Heute sind allerdings beide sammt ihren Kindern in der Ewigkeit drüben.

Der Angererbauer hatte ein echtes Tirolerherz voll warmen Glaubens und christlichen Sinnes. Das Flämmchen der Gottesliebe, das in seinem Herzen brannte, verpflanzte er auch in die jugendlichen Herzen seiner Kinder, und die Mutter half getreulich mit. Die Bäuerin war eine Schwester Josef Speckbachers, des unerschrockenen Kämpfers für Religion und Vaterland im Jahre 1809.

Am meisten galt wohl besonders bei der Mutter die Trautl, das älteste der Kinder, im Jahre 1798 geboren, somit in der Zeit, wo wir uns jetzt am Angererhofe befinden, achtzehn Jahre alt; eine schöne blühende Jungfrau in dem Mai ihres Lebens. Aber nicht die Schönheit war an ihr das Lieblichste (sie wusste gar nicht, dass sie schön sei), sondern die Reinheit ihrer Seele, ihre Frömmigkeit. Sie wusste nichts von der verdorbenen Welt; denn sie war noch nie von ihrem elterlichen Hause weggekommen, außer etwa in die Stadt, um im Auftrage ihrer Eltern etwas zu kaufen oder zu verkaufen; wenn sie vom Hause fortmusste, so beeilte sie sich immer wieder, bald heim zu kommen, sie nahm sich nicht Zeit, um Stadt- und Landneuigkeiten sich zu bekümmern. Zu Hause that man nichts anderes als arbeiten oder beten, beten oder arbeiten. Am Sonntage war es Trautl's Freude, sich lange in der Kirche aufzuhalten; sie gieng auch eifrig zu den heiligen Sacramenten. Erst am letzten Sonntage noch hatte sie den Herrn empfangen. Die Jungfrau war wegen ihres kindlichen Gehorsams und ihrer Frömmigkeit der Augapfel ihrer Eltern und des Seelsorgers, des Herrn Pfarrers von Tulfes.

Schauen wir uns um, was heute die Trautl macht, wir haben uns das hässliche Familienbild in dem Hause des Naz genug angesehen, hier haben wir ein ganz anderes Bild, das wahre Bild einer christlichen Familie vor Augen.

Vater und Mutter im Angererhofe sind schon wach; denn ihr Wahlspruch ist: »Morgenstund' hat Gold im Mund'!« Früh schlafen gehen und früh aufstehen, ist in ihrem Hause immer der Brauch gewesen; doch die beiden treibt nicht der Stachel des Lasters aus dem Bette, wie den Naz, sondern die gewöhnliche Hausordnung. Alle Erwachsenen mussten nach ihnen gleich aus dem Bette, nur die Kleineren ließen sie etwas länger der Ruhe pflegen.

Es erschien die Mutter an der Schlafkammer der Trautl und rief ihr:

»Trautl, weißt Du noch, dass Du heute nach Hall gehen musst?«

Trautl war schon lange wach, sie hatte schon gewusst, dass sie heute zur Stadt müsse, und um nicht ihr Morgengebet abkürzen oder ganz unterlassen zu müssen, hat sie sich schon auf den ersten Hahnenschrei im Hause erhoben. Als die Mutter ihr rief, kniete sie schon angekleidet vor dem Muttergottesbilde, das sie über ihrer Schlafstätte aufgehängt hatte. Es war ihr heute so sonderbar zu Muthe, wie noch nie im Leben. Eigenthümliche Träume waren ihr im Schlafe vorgeschwebt und steckten noch in ihrem Herzen. Sie wusste zwar nicht mehr recht, was sie geträumt hatte; aber es war ihr so schwer und bang um's Herz, als ob ihr großes Unglück bevorstünde. Und darum betete sie heute länger als sonst. Sie forschte nach, ob vielleicht eine Schuld ihr Herz so schwer mache. Sie dachte zurück an ihre Lebensjahre, so weit sie konnte, aber sie fand nichts Merkliches, was ihr schwer machen konnte, sie sah nur in dem Spiegel ihrer Seele die täglichen Fehler, die leider beim besten Willen jedem Erdenkinde ankleben; denn nur zu wahr sind die Worte des hl. Johannes: »Sagen wir, wir haben keine Sünde, so betrügen wir uns selbst und die Wahrheit ist nicht in uns!«

»Mein Gott!« sagte Trautl; »ich bin wohl eine Sünderin. Du weißt es, lass es mich recht erkennen, ich möchte heute gerne alles wegthun, was Dir missfällig ist. Ich will von nun an Dir sorgfältiger dienen. Nimm von mir diese Angst der Seele, strecke Du Deine Hand über mich aus und Du, Gnadenmutter, verlass – verlass mich nicht!«

Trautl weinte, sie wusste nicht warum, es that ihr gar nichts wehe und doch war ein so wehmüthiges Gefühl in ihrem Herzen. Durch die Thränen blickte sie hinauf zu Maria so vertrauensvoll und bittend, wie ein Kind zu seiner Mutter. Das war um die Zeit, wo Naz den untern Wald hinaufgieng und vom Franciscanerklösterlein das Ave Maria-Glöcklein herauftönte.

»Jetzt ist's besser!« sagte nun Trautl. Sie steht ganz getröstet auf. Das beengende Gefühl aus dem Herzen ist weg und sie fühlt einen Muth, eilte Stärke, wie sie noch nie gefühlt hatte, und es war ihr, als hätte sie wie eine Judith allein mitten durch ein feindliches Lager wandern können. – Dies hatte das Gebet erwirkt.

Als Trautl von ihrer Schlafkammer zur Mutter in die Küche kam, wo diese eben beschäftigt war, das Morgenessen herzurichten, sah die Mutter noch große Thränentropfen an den Wangen ihres Lieblings, die das Mädchen abzuwischen vergessen hatte. Da schaute sie Trautl besorgt an und sagte:

»Was hast Du denn, Trautl? Ich glaube gar, Du hast geweint?«

»Es ist nichts, Mutter!« antwortete Trautl. »Ich hatte nur schwere Träume und daher rühren die Thränen.«

»Weiter nichts als Träume?« fuhr die Mutter fort; »dann, Kind, magst ruhig sein. Es träumen einem wohl oft kuriose Sachen. So habe ich Dich heute nachts in einem ganz schönen, weißen Kleide als Braut geschmückt gesehen und ich hatte dabei eine große Freude und – was für närrisches Zeug einem vorkommen kann – Du hattest eine schöne Lilie in der Hand, warst ganz blühweiß gekleidet und rothe Rosen schmückten Deine Haare.«

»Mutter!« versetzte Trautl ernst, »ich werde wohl nie heiraten, ich werde bei Dir bleiben, bis Du stirbst und dann in ein Kloster gehen. Das wäre so mein Wunsch!«

Mutter: »Dafür lass den lieben Herrgott sorgen! Richte Dir nur Deine Sachen für die Stadt zusammen; dann essen wir und darnach gehst Du in Gottesnamen in die Stadt hinab. Bis um Mittag bist Du schon wieder da, gelt, Kind?«

Trautl: »Ja! Du weißt schon, Mutter, ich bin nirgends lieber als bei Dir. In der Stadt drunten, in dem Gewimmel von Menschen, freut es mich nie. Man hört und sieht da zwar allerhand, aber gewöhnlich nicht viel Gutes. Auch fürchte ich mich immer durch den Wald herab und herauf. Die Kleinberger haben mir erzählt, dass unten im Walde immer ein unheimlicher Mensch herumschleiche, der auf Böses ausgehe. Doch heute, da ich mit Deinem Segen und Willen gehe, fürchte ich mich nicht. Ich will meine Schritte durch den Wald beschleunigen. Gibt's ja heute noch viel im Hause zu thun: denn morgen ist Liebfrauen-Feierabend.«

Mutter: »Ja richtig, an das hätte ich nicht gedacht. Die Unserliebfrauentage habe ich immer sehr gerne, sie kommen mir immer so tröstlich und freundlich vor!«

Trautl: »Mir auch! Da werde ich wieder zur hl. Communion gehen, der Herr Pfarrer hat es mir erlaubt. O, wie freue ich mich! An solchen Tagen könnte ich fast unmöglich vom Tische des Herrn wegbleiben.«

Mutter: »Hast wohl recht, Kind! Bleibe und denke immer so, dann wird es Dir gewiss noch gut ergehen! Was hat man denn sonst auf dieser Welt als Leiden und Sorgen; aber es dauert für uns nur eine kurze Zeit, dann gehen wir ins wahre Vaterland. O wie sehne ich mich darnach! Dann, Trautl, gehen wir nicht mehr auseinander; denn im Himmel hoffe ich alle meine Kinder einstens beisammen zu treffen!«

Trautl: »Ja Mutter, das kannst Du hoffen! Ich sehne mich auch nach dem Himmel, aus der Welt kommt es mir gar nicht mehr schön vor.«

Trautl gieng, um ihre Sachen herzurichten und als sie fertig war, schaute sie noch nach den kleinen Geschwistern, gleichsam als ahnte sie, dass sie diese zum letztenmale auf Erden sehe, dann aber begab sie sich in die Stube hinab, um mit den andern zu essen.

Ein einfaches Mahl ist bald genommen und so war auch Trautls Morgentisch bald aufgehoben.

Schon stand der lange, aus Weiden geflochtene Kopfkorb auf der Bank und Trautl war eben im Begriffe, ihn aufzunehmen, da kam die Mutter noch aus der Küche herein und sagte: »Aber Trautl, nimm Dich in Acht, dass Dir nichts geschieht! Komm' her, lass Dich noch mit Weihbrunn segnen, der Muttersegen gilt ja auch etwas vor Gott!«

Trautl kniete sich vor die Mutter hin. Diese tauchte ihre Fingerspitze in das neben der Thüre aufgehängte Weihbrunnkrügel, besprengte die Trautl und machte über deren Stirne ein Kreuz.

»Nun, Kind!« sprach sie, »magst Du in Gottes Namen gehen. Kehre gesund wieder zurück, nicht wahr? Behüt' Dich Gott, Kind!«

Trautl nahm den Korb und nochmals vor der Hausthür sich umwendend, rief sie allen ein »Behüt' Euch Gott!« zu, dann aber stieg sie den Berg hinab und bald war sie hinter den Bäumen verschwunden. Die Mutter aber schaute nach, so lange sie konnte. Die Trautl war ja in der Küche und im Hauswesen ihr rechter Arm, besser als der beste Dienstbote und zudem ihr Kind, – ein Kind, so folgsam und sanft, wie die Bäuerin es sich nicht besser hätte wünschen können. Das Mädel machte zweite Mutter an ihren jüngeren Geschwistern. War Trautl im Hause, so konnte die Mutter unbekümmert ihre Wege gehen.

Begleiten wir Trautl auf ihrem Hinabwege nach Hall. In einer halben Stunde ist sie schon am Borgias-Kirchlein. Dort stellt sie ihren Korb auf die Wehrmauer, steigt über die steinernen Stufen zum Kirchlein hinan und betet, vor der geschlossenen Thüre stehend, ein paar Vater unser; dann aber schreitet sie an dem Glockenhofe vorüber den Wald hinab nach Hall. Niemand begegnet ihr. Der lauernde Naz ist von seinem ersten Gang bereits wieder nach Hall zurückgekehrt, um sich beim Branntweinglase zu vertrösten.

Der Marktplatz war für Trautl just nicht der liebste Platz und heute, wo sie so ernst, so sonderbar gestimmt war, erst gar nicht. Sie wäre lieber in das trauliche Klosterkirchlein zu den Patern hinauf gegangen und hätte dort nach Herzensgenüge hl. Messen angehört, aber das konnte sie nicht, musste sie ja vor allem bedacht sein, ihre ländlichen Erzeugnisse an die Bürgersfrauen zu verkaufen und dann nach Hause zu eilen. Doch bleibt ihr, wenn sie sich sputet, vielleicht noch ein Lückchen, um eine hl. Messe zu gewinnen; ist ja das so schön in der Stadt, dass man nach Bequemlichkeit Kirchen und öffentlichen Gottesdienst genug findet, während man auf dem Lande, besonders wo die Häuser weit zerstreut sind, sehr hart thut bezüglich des Kirchenbesuches.

Der Marktplatz in Hall war im Jahre 1816 auch nicht anders, als er jetzt noch ist, und die Weiber auf dem Markte waren auch nicht weniger geschwätzig, als sie es jetzt noch sind. Da wurde nun viel über die Neuigkeiten des Tages und der Woche hin- und hergeredet; die eine wusste etwas, was in Innsbruck geschehen sein sollte, eine andere wusste etwas vom Unterinnthale, eine Dritte allerlei von Hall zu erzählen. Trautl achtete auf all' das leere Geschwätz nicht, sondern war nur darauf bedacht, bald von dieser ihr lästigen Stelle wegzukommen.

Da kam eine Haller Bürgerin zu Trautl's Platznachbarin und fragte diese: »Ist's wahr, was man heute sagt? Eine Weibsperson sei im Volderwald droben auf dem Wege von Tulfes herab von einem Mannsbilde angepackt worden? Wisst Ihr nichts?«

»Nein!« sagte die Nachbarin, eine Bekannte der frommen Trautl und ebenfalls von Tulfes. Wir wissen nichts.«

»Nun die,« fuhr das Weib fort, »hat es diesem Schweinehunde arg gemacht, sie hat ihn ganz, wie er war, über den Rain hinuntergeschmissen, so dass auch seine Hacke weit über ihn hinausflog; das Mädel hatte Kurasche. Recht so! So sollten es alle unsere Mädchen machen; dann würde es in der Welt besser ausschauen! – Wer etwa dieser tüchtig heimgeschickte Mann ist? Gewiss ein Haller, weil er von unten herauf den Berg anstieg! Würde ich ihn kennen, fürwahr, ich würde ihm beide Augen auskratzen, so wahr ich ein ehrliches Weib bin! Der Halunke kam viel zu gelinde davon. Ein solcher hätte wahrlich das Zuchthaus verdient! Er soll ein Mann in den Dreißigerjahren sein. Wenn ich mich nicht trüge – und ich täusche mich selten – so ist es der Bugazi, er streift immer dort oben im Walde herum, ich habe schon manches von ihm erzählen gehört. Die Weibsleute vom Berge wollen uns kaum mehr etwas zur Stadt herabbringen, und wenn es so fort geht, müssen wir uns selbst das Nothwendige zur Stadt herabholen und dann ergienge es uns vielleicht auch nicht besser. – Nehmt euch aufwärts in Acht! Ich will nun noch ein wenig herumfragen, vielleicht höre ich noch etwas Näheres.«

Das Weib gieng; Trautl hatte diese Worte alle gehört und es war ihr nun auch nicht mehr ganz wohl zu Muthe; sie machte mit ihrer Nachbarin ab, dass sie mitsammen nach Hause gehen wollten; denn sie hatten ja bis zum sogenannten Stampfl, das ist vor dem Lavirenbach im oberen Walde, den gleichen Weg. Von dort an, den Wald hinauf, war es ja nur mehr eine halbe Stunde bis zur Heimat Trautl's.

Trautl war nun mit dem Verkaufe fertig, die Nachbarin noch nicht. Da sagte Trautl zu derselben:

»Ich gehe nun ein wenig in die Pfarrkirche. Warte auf mich, ich bin bald zurück, dann wollen wir den Weg mitsammen machen!«

Die Nachbarin war einverstanden, und Trautl gieng in die nahe Pfarrkirche, um eine hl. Messe hören zu können.

Obwohl die Kunst an dem alten ehrwürdigen Gotteshause, der Pfarrkirche in Hall vieles auszusetzen hätte, so bleibt sie doch immer eine Stätte, die man mit Ehrfurcht betritt. Schon die Vorhalle erinnert an alte gläubige Zeiten und das Innere gibt erst recht Zeugnis von dem frommen Sinne der ehemaligen Bewohner von Hall. Besonders die Waldauf'sche Kapelle besucht der Einheimische und Fremde sehr gerne, weil da ein wunderthätiges Muttergottesbild dem Eintretenden mild vom Altare herab zulächelt; auch prangt da ein ganzer Schatz von kostbaren Reliquien, die einst der fromme Ritter Waldauf von Rom hiehergebracht hat. Nicht leicht kehrt ein frommes Bauernmädchen vom Haller Marktplatze heim, ohne vorher die Himmelskönigin in diesem Heiligthum begrüßt zu haben.

Trautl war oft schon dagewesen und warum sollte sie es heute versäumen, hineinzugehen, da ihr eine innere Stimme sagte, dass sie des Himmels und der Himmelskönigin Schutz heute besonders bedürfe? Ueber das Warum wusste sie keine Antwort sich zu geben. Sie geht vorüber an dem bedächtigen Kreuzzieher Simon von Cyrene, der vor dem alten Josephikirchlein zu sehen ist und schaut ihn an, wie er das Kreuz dem Herrn nachschleppt; er hat ihr immer gut gefallen. Bei der linken Seitenthüre tritt sie in die Muttergottes-Kapelle ein. Heute kommt ihr die Muttergottes viel freundlicher vor als je. Das Gnadenbild scheint mit holdseligem Blicke auf Trautl herabzuschauen und dieser ist gerade, als müsste sie den Altar hinansteigen und die Füße der seligsten Jungfrau küssen.

Trautl bleibt während einer ganzen hl. Messe hier, es ist ja noch nicht spät, bis Mittag ist sie doch zu Hause, die Kameradin wird wohl warten! Trautl kann sich fast unmöglich von der lieben Muttergottes trennen. So gut ist ihr das Beten schon lange nicht mehr von Herzen gegangen wie heute, sie schwelgt in einem süßen Gefühle der Andacht und glaubt schon im Vorhofe des Himmels zu stehen. Darum achtet sie auch nicht auf die, welche um sie herum sind, und als die hl. Messe zu Ende ist, thut es dem Mädchen leid, dass die Zeit schon gar sehr zum Heimgehen drängt. Hätte der Gehorsam gegen die liebe Mutter nicht gerufen, so hätte Trautl gemeint, eine ganze Ewigkeit da bleiben zu können. Mit einem Blicke noch auf Maria, die Himmelsmutter, geht die fromme Beterin endlich, wenn auch schweren Herzens, von dannen, und wie sie scheidet, sagt sie noch zu Maria:

»Mutter der Barmherzigkeit,
Steh' mir bei im letzten Streit!
Komme dann, ja komm' geschwind,
Schütze mich, dein treues Kind!«

»Wo bleibst Du denn so lange?« rief die Kameradin der Trautl zu, als diese endlich daherkam. »Du hast wohl lange gebetet, hast Du aber für mich auch eine Gralle fallen lassen?«

»Freilich!« antwortete Trautl. »Warum denn nicht? Mir kam es heute in der Kapelle gar so schön vor, so wie nie, und darum verzeihe mir nur, wenn ich nie fertig werden konnte. Es schien mir immer, als hätte mir die Muttergottes noch etwas zu sagen; jedoch sie sagte mir nichts!«

»Närrische Trautl!« sagte ihre Genossin. »Wir sind nicht so heilig, dass die Muttergottes etwas zu uns reden wollte. Zu Dir schon eher, aber zu mir gewiss nicht. Gehen wir nun in Gottes Namen heim zu! Fürchtest Du Dich nicht? Du weißt ja, was die Bürgersfrau zu uns gesagt hat.«

»Nein!« sprach Trautl, »ich fürchte mich nicht. Wie kann mich die liebe Gottesmutter verlassen? Das kann nicht sein! Und glaubst Du, sie ist nicht stärker, als so ein schlechter Mensch?«

»Hast wohl Recht!« erwiederte die Freundin, »ich sehe schon, ich habe viel zu wenig Vertrauen. Gelt Trautl, wir wollen von nun an zusammenhalten und wollen die Muttergottes recht gerne haben!«

»Ja, das wollen wir!« versetzte Trautl. »O, wenn Du in mein Herz sehen könntest, wie gern ich sie habe! Gewiss, ich würde für sie tausendmal durch's Feuer laufen!«

Hierauf giengen die beiden Mädchen über den langen Stadtgraben hinab, zum Münzerthore hinaus und ihr Gespräch war kein anderes als von der Muttergottes und wie sie sich freuen würden, diese einmal zu sehen.

*

Bugazi war bereits vor einiger Zeit den gleichen Weg gegangen, aber mit ganz anderen Gedanken. Dieselben waren das gerade Gegentheil und in der Hölle geboren. – Eben geht er, mit seiner Axt auf der Schulter und mit sich selbst redend an dem Bildstöckl des Glockengießers vorbei.

»Ja, ja!« sagte er, wie er den Glockengießer und hinter ihm den Henker mit dem Schwerte am Bilde erblickte. »Du warst bei all' Deiner Klugheit doch ein Gimpel und ließest Dich fangen. Wir machen es nicht so, wir sind pfiffiger, unsere Netze sind fein gesponnen, sie kommen nicht an die Sonnen. – Ich möchte aber doch wissen, ob ich heute umsonst ausgegangen bin. Hilf mir, Leidiger, wozu wärst Du denn sonst da!«

Und Naz gieng dann in den oberen Wald hinauf, dem Tulferberg zu.


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