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III. Kapitel.
Trautls Heimgang zum Angererhofe

Als die beiden Mädchen jenseits der Innbrücke bei der Sonnenkapelle angelangt waren, blieben sie stehen, um dort ein paar Vaterunser zu beten. Das Bild des sel. Andreas von Rinn an der Vorderseite der Kapelle zog die Trautl an, so oft sie hier vorbeigieng.

»Weißt Du,« wandte sie sich an ihre Gefährtin, »dass ich unsern Anderl ganz besonders verehre; es erfüllt mein Herz immer mit Wonne, wenn ich von unserm Hause aus nach Judenstein hinüberblicke und da beneide ich dann das kleine Kind etwas um seine herrliche Krone. Ich bat oft schon, dass mir auch eine solche Krone zu theil würde; aber das ist in unseren Zeiten nicht mehr möglich. Wie glücklich waren doch die Märtyrer. Ich fühle wirklich heute den Muth in mir, die Martern aller Märtyrer auszustehen!«

»Trautl!« sprach ihre Genossin. »Das meinst Du nur, ich glaube aber, wenn es zum Ernst käme, würde bei Dir doch ein wenig das Grausen angehen.«

»Nicht doch!« antwortete das fromme Kind. »Unsere Religion befiehlt es ja, den Glauben öffentlich und selbst mit dem Leben zu bekennen. Würdest Du nicht für den Glauben zu sterben bereit sein?«

»Ich glaube halt,« entgegnete die Gefährtin, »Gott würde mir dann die Gnade geben, wenn es noth thäte, aber schwach wäre ich, ich würde sehr für meine Standhaftigkeit fürchten.«

»Weißt Du!« sprach Trautl. »Ich getraue aus mir selbst wohl auch nicht für mich einzustehen, aber ein anderer steht für uns ein. Beten wir nun fünf Vater unser und Ave Maria zu unserem lieben heiligen Pfarrkinde. Das Anderl ist ja unser Pfarrkind, es wird uns wohl auch besonders lieb haben und schützen.«

»Das thät' ich meinen!« sagte die Kameradin. »Hat es ja unser Herr Pfarrer oft gesagt und wir haben es in Tulfes droben oft schon augenscheinlich erfahren. Bete Du vor – ich will Dir nachbeten!«

Und so beteten sie die fünf ›Vater unser‹ und ›Ave Maria‹. Trautl that es mit besonders bewegter Stimme.

»Nun rüstig vorwärts!« gebot sie dann. »Soeben höre ich vom Pfarrthurm herüber halb zehn schlagen; die Mutter könnte um mich in Kummer sein.«

Sie brachen auf und giengen rasch den Berg hinan, wie es dem weniger geübten Stadtbewohner nicht möglich wäre. Ein Rästchen wurde noch am Borgias-Kirchlein gehalten, dann aber ruhten die Füße nicht mehr bis hinauf zum Stampfl, wo der Weg nach Tulfes und Tulferberg sich scheidet und der Lavirenbach durch ein kleines Thälchen sich herauswindet.

»Du gehst nun da hinauf,« sprach Trautl zur Genossin, »behüt' Dich Gott und bete für mich, wie ich für Dich beten will. Komm' gut nach Hause!«

Und so schieden sie von einander.

Es war 10 Uhr. Die Genossin blickte noch nach der Trautl und als diese der Wald vor ihren Augen verborgen hatte, sagte sie zu sich selbst: »Die Trautl ist wohl eine wahre Unschuld, wie man sie in unsern Zeiten selten findet!«

Sie beneidete die Trautl mit heiligem Neide.

Trautl ist nun allein, der Wald benimmt ihr alle Aussicht; sie wandelt still betend unter dem grünen Naturgewölbe der Bäume hin. Schon ist sie zum Freuden- oder Tulferbächlein gekommen, sie hat nur noch eine Viertelstunde hinaufzusteigen bis zu ihrer Heimat. Wie freut sich Trautl, ihre Lieben wieder zu sehen! – Sie geht schneller.

Doch wie oft täuscht sich der Mensch in seinen Hoffnungen!

Wie Trautl das Brücklein am Bache überschritten und sich noch etwa zwanzig Schritte links den Weg hinauf gewendet hat, da bricht auf einmal ein verstört aussehender Mann aus dem Dickicht der Bäume heraus. – Es ist Naz.

»Halt, Mädel!« spricht er. »Halt an! Magst Du nicht ein wenig hier rasten; geht's ja so steil hier den Berg hinan. Stelle nieder!« Und bei diesen Worten tritt er der Jungfrau in den Weg.

Trautl erschrack nicht wenig, als der Mann so rasch, mit der Axt in den Händen, aus dem Gebüsche heraus vor sie hintrat.

»O Gott! Das ist gewiss der Mann, von dem man heute auf dem Markte sprach. Mutter Gottes, heiliger Schutzengel, heiliger Joseph, steht mir bei!«

Das waren die schnellen Angstseufzer der Trautl zum Himmel hinauf.

»Lass mich gehen!« sagte Trautl mit zitternder Stimme zu Naz. »Meine Mutter erwartet mich, ich bin so schon spät auf dem Wege – sie wird um mich besorgt sein.«

»O, wegen der Mutter,« erwiderte Naz, in ein widriges Gelächter ausbrechend, »hat's nichts zur Sache; wegen einer halben Stunde wird sie wohl etwa nicht sterben. Ich will Dir den Korb vom Kopfe nehmen!«

Er legte während der letzten Worte die Axt bei Seite und riss der Trautl schnell den Korb vom Kopfe herunter, da sie es gutwillig nicht thun sondern ihre Schritte weiter setzen wollte; dann ergriff er sie an beiden Armen und hielt sie fest. Obwohl Trautl stark und rüstig war, so war sie doch zu jung, um einem Manne im besten Alter gewachsen zu sein, einem Manne, der noch dazu vom genossenen Branntwein stark aufgeregt war; – vergebens war ihr Ringen, sich den Händen des Wüstlings zu entwinden.

Nun begann ihr der schreckliche Mann die schändlichsten Anträge zu machen und Dinge zu sagen, über die Trautl's Haare sich sträubten und ihre Wangen wie mit Blut übergossen wurden. Bald sagte Naz Schmeichelworte, bald bat er, bald drohte er. Trautl aber hielt sich die Ohren zu, sie wollte fliehen, sie rang mit dem Manne, aber der Tiger ließ sie nicht aus seinen Krallen.

»Ach, lass mich doch!« rief flehend und weinend Trautl. »Lass mich armes Mädchen, ich bitte Dich durch alles, was Dir heilig ist. Wie? Hast Du denn gar keinen Tropfen menschlichen Gefühles in Deinem Herzen? Ist alle Scham und Gottesfurcht in Dir erstorben? Fürchtest Du nicht den allmächtigen, rächenden Gott, dessen Blicke auch hier in dieses Waldesdunkel eindringen? Ja, er – er sieht Dich! Jesus, Maria und Josef, steht mir bei!«

»Lass Deine Allfanzereien!« sagte Naz. »Umsonst rufst Du Deinen Gott und alle Deine Heiligen an, meinen Armen entreißen sie Dich nicht. Ich sage Dir, entweder fügst Du Dich meinem Willen aus freien Stücken oder aber, Du wirst Dich fügen müssen! Ich zwinge Dich!«

»Nein, nein! Ich will nicht – in Ewigkeit nicht, so lange ich noch einen Tropfen Leben in mir habe!« rief Trautl. »Ich will mich wehren gegen Dich, solange ich kann und sollten meine Leibeskräfte zu schwach sein, so soll noch der letzte Hauch meiner scheidenden Seele sagen: Nein, nein! – ewig nein!«

»Dann werde ich Dich umbringen!« sagte Naz. »Da liegt die Axt, mir entkommst Du heute nicht mehr; entweder fügst Du Dich oder ich schlage Dich todt!«

»Nein, nein!« rief Trautl jammernd und sich bemühend, auszureißen. »Hilfe! – Hilfe! Ist denn niemand da?«

Die Arme rief, so laut sie konnte, aber ihre Stimme verhallte in dem Walde, ihre Genossin war schon zu weit das Thälchen gegen Tulfes hinaufgekommen. Trautl's Hilferufe erreichten deren Ohr nicht mehr.

Und so rang nun Trautl mit dem fürchterlichen Naz mehr denn eine Viertelstunde, es war der Kampf des Engels der Unschuld mit dem höllischen Drachen. Gewaltig wehrte sich Trautl. Naz konnte über die mit Gottesstärke ausgerüstete Jungfrau nicht Meister werden; schon war der Schnee ringsherum im Kampfe zertreten und umgewühlt. Oft schon glaubte Trautl sich entwunden zu haben, aber neuerdings stürzte das Ungeheuer auf sie los wie ein Sperber auf das wehrlose Vögelein.

Endlich verwandelte sich Nazens unreine Lust in fürchterlichen Grimm und Hass gegen Trautl. Ihr hartnäckiger Widerstand hatte ihn aufgebracht.

»Jetzt schlage ich Dich todt, alberne Metze!« brüllte er. »Es ist mein letztes Wort! Willst Du?«

»Nein – nein! Hilfe! Hilfe!« rief Trautl. »Jesus, Maria und Josef, heiliger Schutzengel, helft mir doch standhaft zu sein! Schlag zu, herzloser, schändlicher Mann – ich fürchte den Tod nicht; denn lieber sterben als eine solche Sünde begehen!«

»Da hast Du eines!« rief Naz erbost, ihr mit dem eisernen Schlagringe, den er am rechten kleinen Finger trug, einen gewaltigen Schlag auf das Haupt versetzend. Das Blut rieselte aus der Wunde, Trautl taumelte ob der gewaltigen Erschütterung.

»Nein, nein!« rief sie, »ach, Jesus, Maria, helft mir! Nein, nein!«

Und Naz, im höchsten Grade erbittert, holte zu einem noch gewaltigeren Streiche auf das Haupt aus. Der hatte recht getroffen.

Trautl stöhnte: »Jesus – Ma – ri – a! – –« und sank ohnmächtig und bewusstlos zu Boden.

Da lag nun die zerknickte, schöne, jugendliche Rose als geistige Siegerin vor Naz mit geschlossenen Augen und nur hie und da zu einem langen Athemzuge aus tiefer Brust ausholend. Das Blut strömte aus beiden Wunden wie rothe Bächlein reichlich heraus.

Naz ist selbst entsetzt über das, was er gethan hatte, seine Seele durchfährt ein Schauder. – Es war geschehen; er konnte es nicht mehr ungeschehen machen! Eine Stimme sprach in seinem Innern: »Sieh' an das arme Mädchen, wie elend es daliegt! Lass ihr das Leben, sie wird sich erholen! Flieh' schnell von hier!«

»Aber was dann?« flüsterte der Teufel ihm zu; »wird man sie hier nicht antreffen? Wird sie, zum Leben gekommen, wohl schweigen? Das wird sie nicht – es muss ruchbar werden. Und dann wird man dem Thäter nachforschen. Sie wird Dich kennen und dann, Naz, – bist Du verloren! Sie muss stumm gemacht werden – stumm für immer, dann hat sie ausgeredet! Weiß ja niemand, wer sie gemordet – niemand ist da herum. Und ihr Bäume – ihr wäret wohl Zeugen, aber eurer Verschwiegenheit kann ich sicher sein.«

Das war der zweite Gedanke, der zweite Entschluss des entsetzlichen Mannes. Die Stimme der Menschlichkeit, kaum aufgetaucht, erstarrte schnell wieder in seinem Herzen, es war nur ein aufloderndes Flämmlein gewesen.

Naz hebt die Axt vom Boden auf, schwingt sie, sich über das Mädchen beugend, in der Luft, es zischt zwei Mal, ein durch Mark und Bein gehender Ton lässt sich hören, die Schneide der Axt war zwei Mal durch die dichten Haare und die Hirnschale Trautl's gedrungen. Ein Beutel mit dem Markt-Erlöse Trautl's liegt am Boden neben ihr. Da erwacht noch Nazens Habsucht. Es ist etwas zu einem Glas Branntwein; er hebt den Beutel auf und steckt ihn zu sich. – Ein schnöder Lohn für ein so entsetzliches Verbrechen!

Naz nimmt nun sein Mordinstrument über die Schulter und blickt nochmals nach der Trautl, ob sie genug habe.

Die Märtyrin der Unschuld zuckt noch ein paar Mal – dann nicht mehr. Sie hatte genug, sie war stumm gemacht.

Naz eilte dann fort von der ihm nun unheimlich gewordenen schauerlichen Einsamkeit, nachdem er noch vorher im nahen Bächlein von seiner Axt die Blutspuren weggewaschen hatte. Doch, Naz, wasche nur, so oft Du willst! Einer hat es gesehen, vor diesem verwischt Du die Blutspuren nicht, er weiß die Blutstropfen selbst aus dem Wasser herauszufinden, jener, der gesagt bat: »Leben für Leben!« Es wird Dir ebenso ergehen, wie es dem von Dir verlachten Glockengießer vor nahezu 200 Jahren ergangen ist!

Naz ist auf dem Wege nach Hall. Während er dahineilt, fällt ihm plötzlich ein, dass er doch nicht mit leeren Händen in die Stadt hineingehen dürfe. – Es könnte auffallen, wenn er blos mit der Axt auf der Schulter dem Münzerthore zuschreite, aus dem gerade zur jetzigen Stunde die neugierigen Marktweiber daherkommen. Der Mörder schlägt nun, wie vor seiner ersten Heimkehr, ein Bäumlein um und begibt sich mit diesem gestohlenen Gute der Stadt zu.

*

O, wie schauerlich und traurig ist es jetzt in der Waldeinsamkeit droben. Trautl liegt leblos da, ihre einst so schönen Haare hängen aufgelöst und mit Blut überklebt über das Antlitz herab. Man sieht in ihre Wunden tief hinein. Ihr wie Wachs bleiches Antlitz lächelt wehmüthig. Ihre rechte Hand hält sie über ihr Herz, gleichsam es dem ewigen Bräutigam zum Opfer bringend. Die Vögel im Walde verstanden wohl nichts von der schrecklichen That, die hier vorgieng. Sie singen munter ihre Liedchen in den Wald hinaus. Hätten sie es begriffen, was hier geschehen, so wären sie gewiss nicht so munter durch die Zweige gehüpft, noch weniger hätten sie gesungen.

Arme Trautl, Du liegst hier verlassen da! Du lebst noch – was geht in Deinem Geiste vor? Fürchte dich nicht, Du bist glücklicher als dein Mörder, der jetzt über den Berg hinabläuft. Sieh', wie ihn seine Leidenschaften und sein Gewissen hinabpeitschen. Ringe noch, tapfere Jungfrau, ringe im Geiste, die Engel beschützen Deinen Leib, dass Dir nichts mehr geschehe! Du hast Dir die Worte deines Bräutigams wohl zu Herzen genommen: »Fürchtet nicht die, welche wohl den Leib, die Seele aber nicht tödten können. Fürchtet vielmehr den, der Leib und Seele in die Hölle werfen kann!«

Du hast schon überwunden, nur eine Weile noch dauert Dein Leiden! – Siehst Du, der Herr winkt Dir schon und reicht Dir die Lilie und die Palme dar. Siehst Du, wie Dir die heil. Jungfrauen schon entgegen geben! Siehst Du, wie Dir Deine Leidensschwester, die heilige Agnes, zulächelt und der sel. Anderle auch! Dein Haupt brennen freilich jetzt gar schauerliche Wunden und Deine Zunge klebt starr vor Durst an dem Gaumen. O, denke an den Herrn auf dem Kalvarienberge! Er hat kein einziges Wassertröpfchen bekommen, als er am Kreuze rang und schmachtete.

*

»Was doch heute die Trautl hat?« sprach die Mutter am Angererhofe droben zu ihren Leuten, denen sie eben das Mittagessen auf den Tisch setzte. »Es ist schon elf Uhr und noch ist sie nicht da! Es wird ihr doch auf dem Heimwege nichts geschehen sein – ich habe Kummer! Wenn sie die Essglocke über den Wald hinabschallen hörte, wird sie doch ihre Schritte verdoppelt haben! Um diese Zeit war sie sonst immer lange schon da.«

Allen im Hause wurde etwas bange um Trautl, das Essen wollte nicht recht behagen, weil sie nicht da war. Bei jedem Geräusche lief die Mutter zur Hausthüre, um die Trautl kommen zu sehen. Diese kam aber nicht – und noch nicht, und doch war man schon vom Mittagtische aufgestanden.

»Wir werden ihr entgegengehen müssen, um zu sehen, wo sie ist!« sprach wieder die Bäurin. »Doch horcht! Jetzt kommen eilige Schritte den Wald herauf. Wie Trautl läuft! Sie will gewiss das Versäumte nachholen. Gott sei Lob! – Doch nein, das ist sie nicht, das ist ja das Plattnermädl vom Kleinberg oben. Wie es läuft und verstört aussieht!«

»Was hast Du denn, dass Du so rennst?« redete nun die Angererbäurin das in voller Angst daherlaufende und keuchende Mädchen an. »Bist Du unserer Trautl nicht begegnet?«

Lange konnte das Mädchen nicht zu Athem und zur Sprache kommen. Es musste sich am Brunnen niedersetzen. Endlich kamen ihm die abgebrochenen Worte von den Lippen:

»O, entsetzlicher Anblick! – Da drunten am Freudenbächlein – ist eine Jungfrau wie eure Trautl – o, welche Wunden – wie blutig! – Als ich zu ihr kam und sie sah – schlug sie noch die Augen auf und schaute mich groß – wie bittend – an! Dann schloss sie ihre Augen wieder. Ich flog da herauf! – Drunten, gerade neben dem Wege liegt sie. – – O, heilige Mutter Maria, dieser Anblick schwebt mir mein ganzes Leben lang vor! – Vielleicht lebt sie noch!«

»Wie?« rief die Angererbäurin aus. »Es wird wohl nicht meine Trautl sein. O, Gott! Das kann nicht sein!«

Und sie und alle Hausbewohner, die nur gehen konnten, stürzten nun mit eiliger Hast den Waldpfad hinab; die vorgehaltenen Messer von hundert drohenden Mördern hätten sie nicht erschreckt.

»Die Trautl – die Trautl!« jammerte in einemfort die von unnennbarer Angst getriebene Mutter – sie war allen voran. Schon hört sie das Bächlein rauschen, schon sieht sie etwas seitwärts am Wege liegen. Ein Korb war es. Schnell schweift der Mutter Blick ringsumher.

»O, Gott! Sie ist's – sie ist's! Da ist sie!« und halb wahnsinnig vor Schmerz stürzt sich die Mutter über ihre entsetzlich entstellte Tochter. »Trautl! Trautl!« ruft sie. »Oeffne die Augen! Deine Mutter ist da! Hörst Du mich nicht? Lebst Du nicht mehr? O, Trautl, meine Trautl, nur einmal noch öffne die Augen, dann will ich gerne mit Dir sterben! – Ach, das Kind regt sich nicht mehr – es ist schon todt!«

Und nun legt sie ihr Ohr an Trautls Mund, es ist ihr, als ob sie noch warmen Hauch verspüre. – Jetzt entwindet sich ein schwerer Seufzer aus Trautl's Brust.

»O Gott! Sie lebt doch noch. O Gott! Wie will ich Dir danken, wenn sie wieder zu sich kommt!«

So ruft wiederum die Bäurin. – Welches Jammerbild, als nun alles vom Angererhofe händeringend um die Trautl herumstand.

»Was steht Ihr da?« sprach nun Trautl's Mutter zu den Männern. »Holt doch einen Schlitten oder sollst etwas herab, worauf wir sie nach Hause bringen können und schnell laufe einer hinab nach dem Chirurgen in Hall, vielleicht ist sie zu retten. Ein anderer hole den Pfarrer!«

Man wusch so schonend wie möglich das Blut von den Wunden und stillte das Rinnen desselben, so gut es gehen wollte, und nahm alles her, was zum Verbande dienen konnte; doch Trautl rang ja schon mit dem Tode. Sie röchelte – ihre Sinne, ihre Sprache wollten nicht wiederkehren. – Endlich kam ein Schlitten, an dem ein Ochs gespannt war, vom Angererhofe herab, ein Strohsack war darauf gelegt und auch Linnen zum Verbande hatte man mit herabgebracht.

Trautl wurde nun mit der größten Sorgfalt auf den Schlitten gelegt, um ihr ja nicht wehe zu thun. Langsam – langsam gieng es nun den Berg hinan. Ach! – Das war eine traurige Heimkehr!

Vor sieben Stunden stand die Jungfrau noch frisch und gesund im Kreise ihrer Lieben; jetzt ist es aus mit ihr! Als sie gieng, war sie noch ein Mädchen, so schön wie eine aufknospende Rose im Frühling, jetzt ist sie schrecklich entstellt, fast nicht mehr zu erkennen.

Das Haus der Ruhe und der christlichen Freude war zu einem Trauerhause geworden, alles jammerte. Selbst die Augen der sonst so harten Knechte blieben nicht trocken; sie hielten das Mädchen für einen Engel im Hause.

Endlich ist man nach langsamer Fahrt auf der Höhe beim Hause angekommen. Über die Schwelle, über welche heute noch Trautl frischen Fußes hinausgetreten, wird sie nun fast als Leiche hereingetragen.

»Trautl! Trautl!« jammern die Geschwister. »Trautl! O liebe Trautl!« jammern die Eltern und das Hausgesinde.

Eben läutet es zwölf Uhr von Tulfes herüber, Trautl ist wieder heimgekehrt, aber das war ein Heimkehren, welches in der Frühe wohl Niemand geahnt hätte. – Keinem war es eingefallen, zu fragen, warum und von wem Trautl in einen solchen Zustand versetzt worden sei. Man hatte nicht Zeit, um den Thäter zu fragen. War ja, Trautl womöglich noch zu retten, der heißeste Seelenwunsch, der einzige Gedanke aller, darum war auch alles um Trautl vollauf beschäftigt, jeder wollte ihre Schmerzen lindern, sie den Armen des Todes entreißen helfen. – So lag nun Trautl in der Stube, wo einst ihre Wiege gestanden war. Die Mutter hielt, den Auslauf des Blutes zu hindern, ihre Hand über die größere Wunde, welche drei Zoll lang und einen halben Zoll breit war.

Tief betrübte Mutter, merkst Du denn nicht, dass all Dein Mühen vergebens ist; denn diese Wunde hat das Gehirn tief verletzt, Deine Tochter ist unrettbar verloren! Nur ein Wunder des Himmels könnte sie noch retten, aber Gott will sie ja bei sich haben, die Blume ist für seinen Garten bestimmt! Und doch will die Mutter nicht glauben, dass es so schlimm mit ihrer Tochter steht. Sie heftet von Zeit zu Zeit ihren Blick auf Trautl's Augen. – Diese bleiben aber geschlossen. Dann schaut die Bäurin wieder, ob der Mund sich nicht öffne und ihr den süßen Namen »Mutter!« nochmals zuflüstere. – Wohl öffnet sich Trautl's Mund, aber nur, um zu röcheln. Selbst diesen in's Herz schneidenden traurigen Ton wollte die Mutter als Antwort Trautl's ansehen, sie wollte etwas herausverstanden haben, aber es war nichts; das Röcheln dauerte in gleichmäßig rasselndem Tone fort.

Trautl sprach nichts! – Es war nur das unverständliche, schreckliche Röcheln, das als Vorbote dem herannahenden Tode vorausgeht. – Doch wir wollen der Mutter den Glauben und die Hoffnung nicht nehmen, ihr liebes Kind gerettet zu sehen; denn in der ärgsten Noth klammert sich ja der Mensch an das kleinste Faserchen der Hoffnung, besonders eine Mutter, wenn es ihrem Lieblinge gilt. Wir aber kennen das Ding besser! Wir haben für Trautl keine Hoffnung mehr, unser Wunsch ist nur: Wenn Trautl doch bald erlöst wäre! – Aber der Herr hat überall, von Ewigkeit her, seine Grenze und sein Maß gestellt. Trautl musste 35 Stunden lang leiden. Ihre Krone war noch nicht vollkommen ausgeziert. Für jede Leidensminute wurde derselben eine neue Perle eingefügt! O, ganz übersäet wurde die Krone von Himmelsperlen. Aber es wäre doch um eine einzige Fehlende ewig schade gewesen!


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