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IX. Kapitel.
Wenn die Birne reif ist, fällt sie

Der Meister war von Rinn ganz verstimmt heimgekehrt, er redete den ganzen Tag kein Wort.

»Diesen Fremden möge der Kuckuck holen!« sagte Langhanns zu den Gesellen in der Gießerei drüben, heute ist der Meister nicht auszuhalten, er macht ein so griesgrämiges, sauertöpfisches Gesicht, als ob er ein Fass Essig getrunken hätte und morgen schon Karthäuser werden müsste. Gewiss hat der Pilgrim ihm gestern nachts die Hölle heiß gemacht, vielleicht hat er ihm gar den Schwarzen citiert; doch mich würde selbst dieser nicht schrecken, der Langhanns würde auch ihm den Kragen umdrehen oder ihm wenigstens auf höfliche Art zeigen, wo der Zimmermann das Loch gemacht hat. Ich wette, er würde gerne in seine verpestete Residenz auch ohne mich zurückkehren!«

Wolf: »Du bist ein rechter Prahlhanns! Weiß ich es doch noch ganz gut, wie hasenherzig Du Dich benommen hast, als Du einmal den Rippenmann nur ein bischen zur Thüre hereingucken sahst. Es war damals als Dich das Fieber rüttelte und Du einige Wochen krank auf dem Bettschragen lagst. Riefst Du nicht immer: ›Seht, dort ist der Schwarze, kommt, helft mir, verjagt ihn, holt mir einen Pater aus Hall, dass er ihn wegbanne, er will mich erwürgen!‹ – und was dergleichen Dinge mehr waren. Wir lachten alle herzlich über Deine Aengsten, wir sahen von der höllischen Bestie nichts.«

Langhanns: »Das wird im Unverstande gewesen sein, ich einmal erinnere mich daran nicht mehr!«

Wolf: »Schöner Unverstand! Wusstest ja alles gut und kanntest uns alle, Du zähltest uns ja her, wie viel Zähne das Unthier im Rachen habe, und wie es Feuer aus Augen, Nase und Rachen speie. Endlich verlangtest Du gar, die Martha möge Dir den Rosenkranz umhängen. Ich glaube, gerade Du würdest, wenn das Schwert des Henkers Dir am Nacken säße, am ärgsten heulen!«

Langhanns: »Gewiss nicht! Ich würde Euch ein gutes Beispiel geben.«

Da trat der Meister in die Gießerei, die Gesellen verstummten; denn Hanns schaute gar ernst drein.

»Ich gehe nach Hall!« sprach er, »und zwar heute noch, ich habe so manches zu bestellen. Seit Martha fort ist, sieht es mit unsern Leibkleidern gar miserabel aus, überall Risse und Löcher und von einem reinen Hemde weiß ich gar nichts mehr. Wir sehen aus wie Oelträger. Ich werde in Hall die Grethe aufsuchen. Sie muss heraufkommen, uns wieder in Ordnung zu bringen, so dass wir doch wenigstens an Sonntagen wie andere ehrliche Christenmenschen herumgehen können. Morgen früh muss sie da sein. Wann ich zurückkomme, weiß ich nicht, wahrscheinlich heute nachts. – Feierabend machen könnt Ihr, wann es Euch beliebt, und auch der Keller steht Euch offen!«

Mit diesen Worten gieng Hanns von dannen.

»Gut, dass der Meister nach Hall geht!« sagte Langhanns, »dort wird er sich ein Räuschchen holen und gut gelaunt zurückkehren. Das Haller Weinlein ist im Stande, ihn aufgeräumt zu machen. Der dicke Wirt in der Schenke neben dem Thore hat einen vortrefflichen Bozner Hügelwein und uns gibt er immer vom Besten, die Haller Spießbürger schauen uns dann immer neidisch an, wenn er die perlenden Thränen in einem größeren Kruge uns vorsetzt, als sie haben. Uebrigens wollen wir uns die letzten Worte des Meisters wohl zu Herzen nehmen, wir machen gleich Feierabend, wenn auch die Sonne noch nicht daran denkt unterzugehen, unsere Sonne sei der große Purlepaus! Der Meister hat ihn gestern für den grämlichen Pilger angestochen, und so viel Anrecht auf des Purlepaus köstlichen Inhalt haben wir wohl auch wie dieser scheugewordene Landsknecht! Mich freut es wieder einmal den Kellermeister machen zu dürfen; es ist schon lange her, dass ich es war; schon drei volle Tage. Den Purlepaus bringen wir nicht hinauf in die Stube, er hat einen zu mächtigen Umfang, als dass er bei der Thüre hereinschliefen könnte, aber komisch wäre es, wenn er hier stünde. Sein Wanst würde mit dem des Wolf wetteifern!«

Wolf: »Hast Du schon wieder mich auf der Mühle! Du thätest besser, einmal Dich selbst im Spiegel zu besehen! Gewiss würdest Du dann selbst ob Deiner Hässlichkeit erschrecken, Du würdest ein zweites Mal nicht mehr in den Spiegel sehen!«

Langhanns: »Nicht gleich so aufbrausend! – sonst sind ja alle Dickleibigen gutmüthig, wie die Lämmlein. Bei Dir scheint es nicht der Fall sein. Triefauge, wie heißt halt das lateinische Sprichwort von den Fetten?«

Triefauge: » Omnis pinguis bonus

Langhanns: »Wie? Ein Mist ist gewiss kein Muß; hast Du nicht so gesagt, Triefauge?«

Triefauge: »Da sieht man den deutschen Michel, wie er die schönen Worte verdreht, auf Dich reimt sich asinus, zu deutsch Langohr!«

Langhanns: »Schau, wie der Lateiner witzig ist! Wer hätte das je gedacht, Bursche! Du gefällst mir immer besser! Manchmal ein lateinischer Brocken gibt uns einen Anstrich. Bürger und Bauern sehen uns dann als etwas Höheres an; sie meinen dann, dass wir von Paracelsus das Goldmachen und von dem großen Doctor Faust die Kunst, Diebe zu stellen und kugelfest zu werden, gelernt haben. Hast Du nicht bemerkt, Triefauge, wie die Haller Bürger immer große Augen hermachen, wenn wieder so ein lateinischer Verbus Deinem holden Munde entströmt?«

Triefauge: »O ja und erst die Bauern! Die stehen gaffend und den Mund weit aufsperrend vor mir, sie glauben den leibhaftigen Faust vor sich zu sehen.«

Langhanns: »Wohlan, heute wollen wir Dir den Doktorhut aufsetzen! Doch musst Du zuerst ein strenges Examen bestehen. Du musst den großen grünen Krug mit Wein hinab in Deine Gurgel jagen und erst wenn das letzte Tröpflein der rothen Lebensweisheit aus dem Kruge auf Deine Zunge träufelt und Du, von der Schwere Deines Wissens überwältigt, zu Boden sinkst, bekommst Du den Doktorhut und Doktortitel; und wehe dem, der es dann noch wagt, Dich anders zu nennen als Doktor Triefauge. Eine tüchtige Doktor-Merende bezahle er dann als Strafe!«

Was Langhanns da vorgeschlagen hatte, wurde nun wirklich ausgeführt. Man gieng in die Zechstube. Das Triefauge musste auf den Tisch hinaufstehen und im Angesichte aller den großen Krug mit Wein austrinken. Es wurde ihm dies sauer genug, noch nie hatte er so viel getrunken; aber Langhanns schrie immer: »Ziehe, ziehe! noch besser! ein halber Doktor bist Du schon, jetzt ein Dreiviertel, noch einen wackern Zug: – Er hat's, bravo! – Doktor Triefauge, bravo! sei uns gegrüßt als neuer Doktor, jetzt lasst uns ihm den Hut aufsetzen! Steig' herab, Sohn der Weisheit, von Deinem Katheder!« Das Triefauge schleuderte den leeren Krug an die Wand, dass derselbe in vielen Scherben herumflog.

»Hat's brav gemacht!« lautete es allgemein, und der Wunderdoktor stieg vom Tische herab. Er wollte aber nicht mehr recht Gleichgewicht halten. Da brachte Langhanns einen alten Hut daher, der wohl vielleicht ein Jahrhundert schon unter dem Dache gelegen sein mochte, und setzte ihn zuerst dem Triefauge regelrecht auf. Dann aber trieb er den Hut hinab bis über die Nase so dass das Triefauge kaum mehr Luft genug hatte, Athem zu schöpfen. »Doktor!« hieß es nun da, »Doktor!« dort und jeder zupfte den im Blinden herumtappenden Doktor an dem Hute, und wenn das Triefauge endlich doch einmal den Hut über die Nase und die Augen hinaufziehen wollte, war schon eine Hand bereit, welche denselben wieder hinabtrieb. Der Wein fieng im Triefauge auch schon heftig an zu wirken. Die Füße des neuen Doktors wankten, er konnte sich nun nicht mehr recht erwehren, taumelte zu Boden und lallte ein lateinisches Trinklied.

»Schlafe süß unter Deinem Hute, goldenes Doktorlein und ruhe aus auf deinen Lorbeeren!« sprach nun Langhanns. »Du bist nun gekrönt! Jetzt Brüder, nachdem das große Werk vollbracht ist, wollen wir den Krug in die Runde gehen lassen! Ihr werdet sehen, dass auch der Meister in Hall bei dem dicken Wirte sich seine Grillen vertrieben hat, er wird im rosenfarbenen Humore wiederkehren.«

» Color rosae, rosae!« stammelte das Triefauge auf dem Boden unter seinem Hute heraus. »Seht!« sprach Langhanns, »wie der neue Doktor alles gleich auffasst und mit einem gelehrten Anstrich versehen kann. Sogar träumend schwimmt er in einem lateinischen Meere!«

» Mare, mare!« fuhr das Triefauge zu lallen fort. Die anderen ließen darauf den neuen Doktor leben und den Krug wacker in die Runde gehen. Der Gefeierte hörte aber nichts mehr, er lag schnarchend da.

»Wie, – ist es mir doch,« rief Langhanns plötzlich zum Fenster eilend, »als ob ich eine Peitsche knallen gehört hätte. Habt Ihr es nicht auch vernommen?«

»Wir hörten nichts!« sagten die anderen, und verhielten sich ruhig, während Langhanns an dem Fenster stand und mit gespannten Ohren lauschte.

»Wäre doch unverzeihlich!« sagte Wolf, »wenn wir mit unserem tollen Lärmen einen vielleicht fetten Bissen übersehen würden, der Meister würde uns mit Recht ausschimpfen.«

»Bst!« flüsterte Langhanns, den Zeigefinger auf den Mund legend, »schwätzt Euch später aus! Hört, hört Ihr das Rollen eines Wagens? Frisch auf, holt die Büchsen herab von der Rumpelkammer! Sie sind noch geladen von der letzten Spähe her; vergesst die Messer nicht und nehmt auch meine Sachen mit, ich erwarte Euch hier, macht schnell! Der schnarchende Doktor ist heute unbrauchbar; es wird vergebens sein, ihn zu wecken, lassen wir ihn inzwischen liegen, wir werden seiner nicht bedürfen.«

Bald waren alle fünf bis über die Zähne bewaffnet. Sie schleichen sich hinter der Gießerei in den Wald hinauf und lauern in dem dichten Gehölze neben der Straße. Wie Fledermäuse kleben sie hinter den Bäumen und gucken durch die Aeste die Straße hinab. Noch sehen sie nichts; wohl aber hören sie Männerstimmen und das Knarren von Rädern.

Da blitzt es auf einmal im Gebüsche aus fünf Röhren! Rauch wirbelt auf, und es wälzen sich vier Männer an der Straße neben einem Fuhrwagen ächzend und sterbend in ihrem Blute!

Der Fuhrmann mit der Peitsche in der Hand und ein anderer fliehen auf der Straße gegen Volders hinab. Bald ist aber der erstere Flüchtling von Langhanns und seinem Mitgesellen erreicht. Langhanns bohrt dem Fuhrmanne ein breites zweischneidiges Messer in den Rücken; dieser ruft: »Jesus Maria!« und sinkt dann röchelnd zu Boden.

»Lass mir den Letzten, weil ihn mein Rohr nicht getroffen hat!« sprach Mohr, »ich würde sonst leer ausgehen, und das wäre doch für mich eine Schande!«

»Meinetwegen!« sprach Langhanns, »magst ihn abthun, aber laufe, er hat Hasenfüße!«

Bald hatte Mohr diesen erreicht und niedergemacht.

Als dieses geschah, war Abenddämmerung, eine Zeit, wo sich selten mehr jemand den Voldererwald heraufwagte.

»Nun aufgeräumt!« rief Langhanns »schleppen wir die Todten hin zu dem Wagen, die Rosse sollen sie uns mit den anderen Waren zur Herberge ziehen. Wir scheinen einen guten Fang gemacht zu haben. Die Todten gehören der Zunft der Kaufleute an, ihre Kleidung verräth es; wir ersparten ihnen die Fahrt nach Bozen. Sie mögen nun nach himmlischen Schätzen jagen, wir haben die irdischen und stellen uns mit diesen zufrieden. Welche Augen wird der Meister machen, wenn er von Hall heimkehrend vor der Herberge einen beladenen Wagen mit vier Rossen und sechs todten Wächtern findet; er wird sehen, dass wir unser Handwerk nicht schlecht verstehen, wenn er auch nicht an der Spitze steht!«

Man schleppte die Todten zu dem Wagen und warf sie hinauf, kratzte Erde und Sand über die Blutstellen an der Straße und lenkte die Rosse der Herberge zu.

»Schwierig ist es nur,« sprach Langhanns, »den Wagen und die Rosse etwaigen Nachforschungen zu verbergen. Die Rosse müssen halt auch ins Gras beißen und in die Erde vergraben werden. Für die sechs Kaltgemachten wird wohl auch noch ein Platz sein im Rosengärtlein. Das Rosengärtlein kann sich nun bald an Einwohnerzahl mit jedem Dorf-Friedhofe messen, es wird noch ein anderer Platz gesucht werden müssen. Den Wagen verbrennen wir heute Nachts noch in der Gießerei, das Eisenzeug daran schmieden wir um; wir können es brauchen. Die heutige Nacht wird uns noch schwitzen machen; doch lohnt es sich, wir können dann morgen ausruhen!«

Nun hält das Fuhrwerk vor der Glockenherberge, die Pferde werden angebunden. Sie zu füttern, ist nicht mehr nöthig, sie sind ja dem Tode geweiht!

»Geh, Wolf!« sprach Langhanns wieder, »durchstöbere die Taschen der Kaltgemachten; sieh', ob sie etwas haben, was klingt. Suche gut! Es wäre schade, wenn ein Heller mit ihnen in das Rosengärtlein wandern würde; die Todten brauchen in der andern Welt keinen Fuhrmann zu bezahlen; solche Thorheiten glaubten nur die Alten. Ich will inzwischen die eiserne Casse aus der Schaukel herausnehmen und in die Stube schleppen! Potz Velten, ist diese schwer; ich bin nicht im Stande, sie von der Stelle zu bringen! Dürrer, hilf mir!«

Langhanns und der dürre Peter schleppten die Eisenkiste von der Schaukel unter dem Wagen in die Zechstube und stellten sie neben dem schnarchenden Triefauge nieder.

Endlich kamen auch die anderen daher, Geldgurten und Geldbeutel tragend, und legten alles auf den Tisch nieder.

»Hast Du den Schlüssel zur Eisenkiste gefunden!« fragte Langhanns den Wolf, da drinnen wird wohl die Hauptsache der Kaltgemachten sein?«

»Den habe ich noch nicht?« sprach Wolf und begann neuerdings die Taschen der Todten zu durchsuchen. Endlich fand sich der gesuchte Schlüssel und alle standen erwartungsvoll da, die Augen auf die Casse und den Langhanns geheftet, der den Schlüssel drehte und den Deckel aufhob.

»Moos genug!« jubelte Langhanns, »viel Moos!« und ließ die anderen über seine Achsel in die mit ledernen Beuteln vollgepfropfte Truhe hineinsehen.

»Warten wir mit Zählen, bis der Meister kommt, dass er seine Augen an unserem Fange weide!« sagte Langhanns wieder. »Wir wollen inzwischen sehen, was noch in den Fässern und Kisten auf dem Wagen steckt. Vielleicht sind es Dinge, die wir auch gut brauchen können; Tuch und dergleichen.«

Die Fässer und Truhen wurden geöffnet und eine Laterne herbeigeholt.

»Herrlich, herrlich, wie gewünscht!« rief allemal das Breitmaul, wenn es etwas fand, was in seinen Kram passte.

»Das ist Tuch zu einem superben Feiertagswams!« rief Mohr, ein Stück Tuch in die Höhe haltend, »morgen schon will ich es mir anmessen lassen!«

»Seht!« sprach der dürre Peter, »da sind prächtige Zinnschüsseln für den Meister; feines Zinn, so glänzend und glatt wie Silber!«

»Horcht!« sprach endlich Langhanns mit gedämpfter Stimme, »ich höre Tritte den Wald heraufkommen, es wird der Meister sein!«

Und wirklich trat jetzt eine dunkle Gestalt aus dem Walde heraus, – es war der Meister.

»Ihr habt, glaube ich, in meiner Abwesenheit gut gehaust!« sagte er. »Wir haben nun Pferd und Wagen, was wollen wir mehr?«

»Und erst Geld noch dazu!« erwiderte der dürre Peter, »mehr Geld, als wir in unserer Schatzkammer haben. Ich glaube, dies war bis jetzt der reichste Fang und es kostete nicht mehr als sechs armen Tröpfen das Leben, uns aber wurde dabei nicht einmal ein Haar gekrümmt. So leichten Kaufs sind wir noch nie zu einer guten Prise gekommen.« »Die Kaufleute sind unsere besten Kunden!« sprach der Meister, »sie haben gewöhnlich volle Säcke und keinen Fingerhut voll Kurasche. Lasst nun sehen, was Ihr an klingender Münze erobert habt!«

Meister und Gesellen traten nun insgesammt in die Herberge und machten sich über die Geldbeutel her. Zuerst wurden jene hergenommen, die in der Eisenkiste waren, einer nach dem anderen, und auf den Tisch geschüttet. Der ganze Tisch war mit Silber bedeckt, man thürmte die verschiedenen Geldsorten in Häufchen auf. Alles half mit, sogar das Triefauge erwachte durch den Metallklang aus seinem Rausche und gesellte sich zu den anderen. Die Todten aber draußen vor dem Hause, die Pferde und den Wagen hatte man vergessen; die harten Thaler zogen so sehr an, jeder wollte zugegen sein und wissen, wie hoch die Summe sei, die man erwischte.

Schon war es ein Uhr nach Mitternacht. – Noch immer wurde am Tische gezählt. Die Raubmörder ahnten nicht, dass schon jemand auf dem Wege zum Glockenhofe herauf sei, der all' ihre Freude für immer beenden sollte.

*

Der Meister hatte wirklich die Grethe in Hall aufgesucht und sie erst nach vielem Hin- und Herreden bewogen, zu ihm hinauf zu kommen, um aufzunähen und aufzuflicken. Grethe wusste, dass die Meisterin nicht mehr droben sei, und darum war es ihr schwer, sich allein zu den etwas frech sich benehmenden Gesellen hinauf zu begeben. Sie hatte schon mehreremale bemerkt, dass die schwarzen Burschen, wenn die Meisterin gerade nicht um die Wege war, sich so manches an ihr erlauben wollten. Doch dachte sie wieder: »Ist ja der Meister da und ein armes Mädchen muss sich etwas verdienen. Der Meister bezahlt gut, ich bin ihm und der Meisterin zu manchem Danke verpflichtet!« Und so versprach sie schließlich zu kommen.

Grethe begab sich frühzeitig zu Bette; denn in aller Frühe wollte sie schon aufstehen. Mit der Sorge, es zu verschlafen, legte sie sich nieder und da kam es, dass sie schon kurz nach Mitternacht erwachte, aber glaubte, es sei 4 Uhr in der Früh'.

Rasch stand sie vom Bette auf, kleidete sich an und nahm das schon vor dem Schlafengehen hergerichtete Flick-Körblein zur Hand. – Schon war sie im Begriffe, ihre Kammer zu verlassen und sich auf den Weg nach dem Glockenhofe zu machen, da fällt ihr ein, dass sie das Morgengebet vergessen hatte. – Sie kniet nieder vor dem Liebfrauenbilde an der Wand und fleht besonders um den Schutz der Mutter Gottes für den heutigen Tag. Dann erhebt sie sich und geht vom Hause fort. Als das Mädchen über die Hügel jenseits der Haller Brücke hinaufstieg, schaute es ungeduldig nach Osten, ob von dort her noch nicht der Morgen dämmere; denn es war noch sehr dunkel. Der Mond leuchtete heute nicht am Himmel, nur die Sterne blinzelten dort frisch und hell und flimmerten auf Grethe herab. Kein Vögelein zwitscherte noch im Walde, nur unten auf der Hallerländ' flackerten einige Feuer. Man sah auf den Schiffen die rothbeleuchteten Gesichter der Schiffsleute. Grethe merkte endlich, dass sie zu frühe daran sein müsse; denn das ganze Thal und die Natur war noch in stiller Ruhe; nur die einzige Nachteule krächzte den Wald herab ihren langweiligen Todtenruf.

Fast fieng sich Grethe in dem dunkeln einsamen Walde zu fürchten an, doch zurückgehen wollte sie nicht mehr. Sie betete etwas zu Hilfe und zum Troste der armen Seelen, hatte ja ihre Mutter oft gesagt, dass diese so manches vermögen!

Nun ist sie auf der Höhe vor dem Glockenhofe angekommen. Ein Wagen steht vor dem Hause und Rosse. Was soll das? Sie wandelt leise zum Hause. Wenn sie gewusst hätte, dass es gar so frühe gewesen, hätte sie sich nicht hingetraut. Sie hätte dann am Saum des Waldes den ersten Morgenstrahl abgewartet. – Ein Lichtstrahl dringt nun durch die schlecht geschlossenen Fensterbalken heraus. Grethe hört das Gelächter der Gesellen und des Meisters sowie auch Geklingel von Geld durch die offen gebliebene Hausthüre heraus. – Und Grethe wäre kein Weibsbild gewesen, wenn sie der Neugierde widerstanden hätte, durch die Spalte zu gucken, aus welcher das Licht herausdrang.

Sie sah in der Zechstube den Meister und die Gesellen um den Tisch versammelt und Geld zählend, viel Geld. Ach, wenn sie nur auch gut hören könnte, was die Männer sprechen!

»Wer von den Kaltgemachten hatte am meisten?« hörte nun Grethe ganz deutlich den Meister fragen.

»Der,« sagte Mohr, »dem ich mein Messer in den Leib bohrte, der Hasenfuß, er hatte die gelbe Gurte umhängen!«

»So?« hörte Grethe den Meister weiter fragen, »und der Fuhrmann wird wohl nicht viel gehabt haben?«

»Doch!« sagte Langhanns, »fast wäre mein Messer ihm nicht durch die mit Thalern gespickte Gurte gedrungen.«

»Heute weiß ich nicht,« erlauschte Grethe von den Worten des Meisters weiter, »wen ich als den Besten belohnen soll, jeder hat seinen Mann weggeräumt!«

»Bei mir waren's zwei!« sprach Langhanns, »ich hätte also den Doppellohn zu bekommen, doch ich verzichte darauf. Ich hätte nur Neider.«

Nun hatte Grethe genug gehört. Sie hätte um keinen Preis gewagt, länger zu lauschen. Es hätten ja die Räuber plötzlich aufstehen und sie auf dem Horchen ertappen können, dann wäre es um sie geschehen gewesen. »Unsere Liebe Frau, hilf mir!« sprach sie in ihrem angsterfüllten schaudernden Herzen. Ganz leise auftretend schlich sie nun von dem Fenster weg. Sie getraute sich kaum mehr zu athmen. Wie pochte ihr Herz! Aber wer malt ihr Entsetzen, als sie beim Wagen vorübergehend erst jetzt beobachtete, dass da das blasse, verzerrte Gesicht eines Todten sie hässlich angrinste und dunkles Blut dessen Stirne bedeckte. Ein Strahl aus der Stube warf das Licht auf den Todten – und noch eine blutige Leiche, und noch zwei. Grethe konnte nicht mehr hinsehen. Vor Grauen sträubten sich ihre Haare empor. Sie floh von dem entsetzlichen Orte. Bald hätte sie laut »Jesus Maria!« aufgeschrien, doch noch rechtzeitig besann sie sich und drückte die Worte in sich hinab. Sie wusste nicht, mit welch' rasender Geschwindigkeit sie hinab nach Hall kam. Fast glaubte sie, die gesehenen Todten droben bei der Glockenherberge hätten sie bei den Haaren in den Lüften heruntergetragen.

Wohl hatten die Räuber etwas gehört, weil Grethe beim Anblicke der Leichen vergessen hatte, leise aufzutreten.

»Was war das?« fragte der vorsichtige Meister.

»Nichts als das Getrappe der Pferde vor der Thüre draußen!« erwiderte Langhanns, »weißt Du nicht, dass sie noch draußen am Zaume hängen, nun ist es Zeit, dass wir sie auch abthun, ehe der Morgen graut! Wie viel des Geldes ist, wissen wir jetzt! Hinab damit in die Schatzkammer! Genaue Rechnung zu halten, haben wir ja noch immer Zeit genug. Nun heißt es wegräumen, sonst findet die von Euch bestellte fromme Grethe uns noch im besten Handwerke, und dann könnte unser Stündchen geschlagen haben; denn die Weiber können nicht das Maul halten. Es bliebe nur übrig, auch das Mädel mundtodt zu machen!«

Und nun gieng es an ein Verplündern und Vergraben, dass den Gesellen der Schweiß über die Stirne rann.

Während dieses nun im Glockenhofe geschah, war Grethe lange schon in Hall drunten. Todtenblass und halb von Sinnen riss sie an der Glocke vor dem Münzerthore, so dass die Thorwache glaubte, der Feind rücke heran oder es brenne in der Stadt. In unzusammenhängenden Worten erzählte Grethe, was sie droben im Glockenhofe gesehen und gehört hatte. Der Wächter eilte sogleich zum Blutrichter, und alles, was in Hall Waffen hatte, wurde schnell aufgeboten, um die gefährliche Brut endlich einmal abzufangen.

Bald nach zwei Uhr früh zogen schon mehr als hundert gut bewaffnete Männer hinaus gegen den Glockenhof und umzingelten denselben von weitem. Der auf die Räuber besonders erboste Blutrichter leitete den ganzen Ueberfall. Auch in der Nähe des Rosengärtleins wurden einige Mann aufgestellt. Diese horchen im Verstecke. Da rauscht es über den Rasen, zwei dunkle Gestalten schleppen eine schwarze Masse daher.

»Haben wir Euch nun, Ihr Mörder!« rief schnell der Anführer der Rotte, aus dem Gebüsche mit seinen Mannen hervorbrechend, »ergebt Euch, Widerstand ist fruchtlos!«

»Noch habt Ihr uns nicht, Ihr Spürhunde!« sprach vor Wuth schäumend der überraschte Langhanns, »Wolf nun gilt's, zieh' Dein Messer!« Doch Langhanns und Wolf hatten nicht mehr Zeit nach den Messern zu greifen. An jedem ihrer Arme hiengen sogleich ein paar Männer, welche den Räubern die Messer entrangen.

Langhanns und Wolf kratzten und bissen um sich wie verzweifelt. Es half aber nichts mehr, in ein paar Minuten lagen sie festgeknebelt zu den Füßen des Anführers.

»Nun habt Ihr nur noch den Weg zum Armensünderkarren!« sprach dieser, »Eure Stunden sind gezählt, Ihr sollt nicht mehr friedlichen Wanderern die Hälse abschneiden, Euer Nest soll ausgefegt werden!«

»Elender Schuft!« schäumte Langhanns, die Worte heraussprudelnd, »hätte ich meine Faust frei, so wollte ich Dich lehren, ob man gegen allen Kriegsgebrauch einen so überfallen kann. So etwas thun nur Buschklepper, wie Du einer bist! Schäme Dich, ein richtiger Mann hätte sich getraut, die Waffe mit uns zu messen. Ihr aber könnt nichts anderes, als Salz umrühren und im Berge ein Stückchen Stein herunterbröckeln!«

»Hört einmal!« sprach der Anführer, »was so ein Galgenvogel noch von unehrlichen Ueberfällen spricht. Der Nachrichter wird Dir mores lehren! Du bist mir zu schlecht, dass ich noch mit Dir weiter Worte tausche. Lasst uns diese beiden zu den anderen schleppen, das Nest drüben wird wohl auch schon ausgenommen sein?«

Langhanns schwieg und vertröstete sich noch auf eine Gelegenheit, zu entkommen.

»Seid Ihr Kerle!« sagte Wolf, als sie ihn unter Stößen dem Glockenhofe zutransportierten, »lasst mir doch ein wenig Luft! Ihr habt mir den Magen zugebunden, das verlangt doch das Gesetz nicht, bevor wir nicht der Gewalt des Scharfrichters übergeben sind. Seid Ihr Unmenschen!«

»Der denkt gar noch an seinen Magen!« bemerkte ein Haller Bürger, »vermuthlich thäte es ihm leid, wenn er beim Scharfrichtermählchen zu kurz käme.«

»Du sollst mir gewiss keinen Bissen davon bekommen!« sagte der Wolf, »lieber gebe ich es dem Hunde.«

Im Glockenhofe drüben lagen auch schon alle gebunden am Boden der Zechstube, keiner war entkommen.

Als im Haller Pfarrthurme die Glocke zum Morgengruße ertönte, zog man mit den Mördern zum Münzerthore herein, hintennach folgte ein Wagen mit den grässlichen Leichen der Ermordeten. Sie waren zugedeckt. Ganz Hall war schon auf den Füßen, um die Glockenhofer einbringen zu sehen. Ein schwerer Stein war jetzt von den Herzen der Leute gefallen. Nun hatte man sie, die schon so lange die Gegend unsicher machten. Man jubelte, und aller Blicke waren auf den Meister geheftet. Sogar der dicke Wirt am Thore war unter den schadenfrohen Zuschauern.

Als Langhanns diesen erblickte, ärgerte es ihn gewaltig, und er rief ihm zu: »Gelt Jude! Unsere Groschen haben Dir gut gefallen! Einstens bücktest Du Dich vor uns wie eine Drahtpuppe, und jetzt willst Du auch noch mit den Ehrlichen heulen! Wirf deine Maske ab und hole mir ein Krüglein Hügelwein; denn meine Kehle ist verteufelt trocken, die Groschen dafür kannst Du abrechnen von jenen vielen, die Du uns abgezwickt hast!«

Alles schaute auf den Wirt und lachte. Dieser aber zog sich vor Aerger und Scham blass werdend zurück. Er verlor von da an die meisten Gäste, weil man ihn für einen Diebshehler ansah. Den eben erzählten Streich hatte ihm Langhanns gespielt, weil auch er mitschaute und mitlachte.


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