Wilhelm von Polenz
Der Büttnerbauer
Wilhelm von Polenz

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XIII.

Am Sonnabend Abend war der alte Büttner zum Dorfbader gegangen und hatte sich seinen Bart abnehmen lassen. Sonntags, beim Morgengrauen, nahm er seine Feiertagskleider aus der Lade, den langschößigen Tuchrock, der zur Hochzeit neu gewesen war, die Weste mit den Perlmutterknöpfen, den Cylinder, der ihm nun auch schon an dreißig Jahre Dienste gethan hatte, und der trotz alles Streichens mit dem Rockärmel nur immer widerhaariger wurde.

Traugott Büttner ging zum Tisch des Herrn.

In seinem Feiertagsstaat, das Gesangbuch in der Hand, schritt er die Dorfstraße hinab. Er blickte nicht rechts noch links, nur auf seinen Weg.

Andere Altarleute, die ihn überholten, blickten ihm erstaunt in's Gesicht.

Ja, war denn das wirklich der Büttnerbauer! Oder war es sein Geist? Die bleichen Wangen, nicht mehr vom Bart versteckt, zeigten jetzt erst ihre ganze hohle Magerkeit.

Er erwiderte keinen der vielen Morgengrüße, die ihm von allen Seiten geboten wurden. Sein Gang war langsam, aber fest, die Blicke hielt er starr geradeaus gerichtet.

Man steckte die Köpfe zusammen. »Saht ack! Büttnertraugott gieht beichten!« – Er war eine ungewohnte Erscheinung geworden in der Kirchfahrt.

Beim Hauptgottesdienste, der der Kommunion folgt, nahm Büttner seinen altgewohnten Kirchenplatz ein. Vieler Augen waren auf ihn gerichtet; es war, als ob nach langem Krankenlager einer wiederum unter Menschen geht. Selbst der Geistliche schien unter dem Eindrucke zu stehen, daß heute ein besonderer Gast in ihrer Mitte weile; er sprach einige Male mit Betonung nach jener Richtung hin, wo der alte Mann saß.

Der hörte der Predigt vom ersten bis zum letzten Worte mit Aufmerksamkeit zu. Beim Schlusse des Gottesdienstes opferte er seinen Groschen, wie er es von jeher gethan, so oft er das Abendmahl genossen.

Man wollte ihn anreden, als er aus der Kirche trat. Alte Freunde drängten sich an ihn heran. »Nu Traugott!« hieß es: »wu hast denn Du su lange gestackt?«

Er schien für die Frager keine Zeit zu haben. Mit eigenartig ernstem Blicke sah er die Leute an, schüttelte den Kopf, wandte sich und ging. – Mancher, der jetzt kaum darauf geachtet, sollte sich später daran erinnern. – »Grade als ob 'r D'ch durch und durch buhren wullte; und duch als ob'r ganz wu andersch hin säke,« schilderte ein Zeuge nachmals diesen Blick. Dann sei er auf einmal verschwunden, aus der Menge der Kirchgänger; keiner wollte wissen, wie das geschehen. –

Traugott Büttner schritt auf seinen ehemaligen Hof zu. Heute war das Haus menschenleer; des Feiertags wegen arbeiteten die Handwerker nicht.

Er ging in die Kammer, legte die Feiertagskleidung ab und zog die Werkeltagskleider wieder an. Dann legte er die guten Sachen sorgfältig zusammengefaltet auf einen Stuhl, das Gesangbuch zu oberst auf das Bündel.

Nachdem er das besorgt, begab er sich in den Stall. Er steckte den Kühen Futter auf, reichlich, für zwei Mahlzeiten. Den Schweinen schüttete er Trebern vor und goß einen Rest von Milch darüber, zu einer rechten Feiertagsmahlzeit. Darauf sah er sich noch einmal um, wie um sich zu überzeugen, daß alles beschickt und in Ordnung sei. Dann machte er die Thüre hinter sich zu und schritt zum Hofe hinaus, auf dem Wege hin, der nach dem Walde führt.

Nach einer Weile machte er Halt, wandte sich um. Hatte er etwas vergessen? – Er wollte nur das Dach noch einmal sehen, unter dem er Zeit seines Lebens gehaust hatte. Dort ragte der freundliche Giebel über die Scheune hinweg.

Der alte Mann hielt die Hand über die Augen, um sie vor den blendenden Strahlen der Frühjahrssonne zu schützen. Er stand da eine Zeit lang, betrachtete alles noch einmal ganz genau; das würde er nicht wieder sehen! –

Dort auf den Scheunenfirsten war schon wieder mal das Stroh lose geworden; es sträubte sich wie unordentliches Haar nach allen Richtungen. Daß er das gar nicht bemerkt hatte, bisher! – Nun, der Neue würde das schon in Ordnung bringen!

Ihn fröstelte auf einmal.

Warum stand er denn hier eigentlich? Was wollte er denn? – Ja richtig! Nur schnell! Je eher, je besser! Wozu hier stehen und gaffen? Das nützte ja doch nichts! Aber das Strohdach . . . Er hätte gar nicht gedacht, daß der Wind so stark gewesen wäre, neulich! – Er war selten hier heraus gekommen in der letzten Zeit, weil ihn die Ziegelei ärgerte. Ach, diese Ziegelei! Das ganze Gut war schimpfiert. Dort blickte die Esse vor; er mochte gar nicht hinblicken!

In weitem Bogen umging er das Bauwerk; bis er hinter der Ziegelei wieder auf den Hauptweg des Gutes kam.

Wie viel tausend und abertausendmal in seinem Leben war er diesen Weg hinausgeschritten! Zu allen Jahreszeiten, ledig und mit Bürde, allein, oder in Gesellschaft der Frau, der Kinder, mit den Gespannen. Vom Büttnerschen Hofe kam der Weg, führte durch Büttnersche Felder und Wiesen, lief in den Büttnerschen Wald aus. Eine halbe Stunde und mehr konnte der Bauer geradeaus schreiten, ohne von seinem Grund und Boden herunter zu kommen.

Hier war er umgeben von den Zeugen seines Lebens und Wirkens. Jener klobige Steinblock erinnerte ihn an die tagelange schwere Arbeit, mittelst der er ihn aus dem Acker gehoben. An dieser Ecke war er in früher Jugend bewahrt worden vor Unfall, wie durch ein Wunder: die Pferde waren scheu geworden, hatten den Knaben geschleift; als der Vater desselben Weges kam, sich den Tieren entgegenwarf und so des Kindes Leben rettete. Dort jenen wilden Rosenstrauch hatte er stehen lassen, während rings alles Gebüsch gerodet wurde, der Hagebutten wegen, aus denen die Bäuerin ein schmackhaftes Mus zu bereiten verstand. – Hier hatte jeder Fußbreit Landes Bedeutung für ihn, jedes Hälmchen erzählte ihm eine Geschichte.

Jetzt verließ er den Hauptweg, schlug einen schmalen Gang zwischen zwei Feldern ein. Dabei stieß er auf einen frisch gesetzten Grenzstein. Das war die neue Einteilung! – Alles hatten sie ihm durcheinander geworfen: die Grenzen, die Schläge, die Fruchtfolge.

Da war ein Stück mit junger grüner Saat. Hafer konnte das nicht sein. Ja, zum Teufel, was war denn das? – Der Bauer blieb stehen, bückte sich, betrachtete sich die Hälmchen genau. Das war ja Gerste! – War der Mensch verrückt, hier Gerste zu bauen, auf diesem nassen Zipfel! Der würde sich mal wundern im Herbst, was er hiervon ernten mochte! Er mußte doch seinen Acker kennen. Hier gerade war undurchlässiger Tonboden, und immer Nässe. Da wollte solch ein Esel Gerste bauen! – Der Alte lachte grimmig in sich hinein.

Aber er hatte ja noch was vor heute. Richtig! –

Ein kleiner Schauer lief ihm den Rücken hinab. Nur die Furcht nicht Herr werden lassen! Die Sache war schnell vorüber, wenn man's richtig anfing. Er überzeugte sich durch einen Griff in die Brusttasche, daß das, was er brauchte, auch da sei.

Was sie wohl sagen würden, wenn sie ihn erst gefunden haben würden! – Was seine Peiniger da sagen würden! – Kaschelernst, der Hund! Dort lag sein Feld. Sein Korn schien gut zu stehen heuer. Wie er ihm im vorigen Jahre die Saat umgestürzt hatte, das war doch mal ein gelungener Streich gewesen! – Der Schimmer eines Lächelns flog über die verbissenen Züge des alten Mannes.

Jetzt mußte er Halt machen; er war zu schnell gegangen. Nur Ruhe! Er kam noch zeitig genug! Er warf einen Blick auf das Dorf, das man von hier aus in seiner ganzen Länge übersehen konnte, bis zur Kirche hinab. Eben begannen sie dort zu läuten; es war wohl zum zweiten Gottesdienste. Büttner nahm unwillkürlich die Mütze vom Kopfe, faltete die Hände, betete ein Vaterunser. Dann seufzte er tief und wandte sich wieder zum Gehen.

Ob sie ihm wohl ein christliches Begräbnis gestatten würden?

Daß er als Christ gestorben und nicht wie ein Heidenmensch, das mußten sie doch einsehen! Die ganze Gemeinde und der Pastor hatten ihn ja in der Kirche und am Altar gesehen. Das mußte doch gelten!

Es war ja am Ende nicht recht in den Augen der Menschen, was er that, und eine Sünde vor Gott dem Herrn war es auch. Aber, konnte er denn anders? Tausendmal hatte er's erwogen. Wie viele schlaflose Nächte waren darüber hingegangen seit jener, wo ihm der Gedanke zum ersten Male gekommen! Es war damals gewesen, als seine Frau unbeerdigt im Hause lag. Er selbst hatte die Tote gewaschen und angekleidet. Still hatte sie dagelegen und zufrieden, im Leichenhemde. Da war ihm beim Anblicke des friedlichen Angesichts seiner Lebensgefährtin zum ersten Male der Gedanke gekommen, wie viel besser es doch die Toten hätten, als die Lebenden. Gar nicht schrecklich war der Tod; er hatte etwas so Natürliches und Gutes. Seitdem ließ ihn die geheime Sehnsucht nach der Ruhe nicht wieder los.

Anfangs hatte ihn oft gegraust bei dem Gedanken, wie doch ein solches Ende wider Natur und Sitte sei. Er scheute vor der Ausführung zurück. Allmählich aber hatte er sich an die Vorstellung des Grauenhaften so gewöhnt, daß seine Pulse kaum schneller gingen, so oft er daran dachte.

Es gab ja keinen anderen Weg! Sie hatten ihm alles zerstört, was den Menschen an's Leben fesselt. Richtig hinausgedrängt war er worden aus seinem Hause, aus seinem Besitz, aus allen seinen Rechten. Den Boden hatten sie ihm unter den Füßen weggerissen. Wenn sie's gekonnt hätten, sie hätten ihm gewiß auch Licht und Luft genommen.

Ein Bettler war er. Aber in's Armenhaus sollten sie ihn doch nicht bekommen. Die Freude wollte er ihnen nicht machen, den ehemaligen Büttnerbauer im Armenhause zu sehen. Nun würde er 's ihnen gerade mal zeigen, daß er seinen Kopf für sich hatte. Mit guten Lehren und Ratschlägen waren sie immer schnell bei der Hand gewesen, aber ihn zu retten, hatte keiner den Finger gerührt. Er verachtete sie alle, die ganze Sippe! Daß er nun endlich keine Gesichter mehr zu sehen brauchte, war ihm ein langersehntes Glück. Sie ließen einen ja doch nicht in Frieden, wie tief man sich auch verkroch, sie kamen einem nach, überallhin, die geschwätzige neugierige Art. Man mußte schon ganz aus der Welt gehen, um Ruhe zu haben. Und nach seinem Tode würden sie wahrscheinlich erst recht klug reden. Das hätte er nicht thun sollen, würden sie sagen. Ein großes Gezeter würden sie anheben. Er kannte sie ja, wie sie waren, kaltherzig und gleichgültig, so lange einer zappelt, und dann, wenn ihm der Atem ausgegangen, wenn er verröchelt war, dann kamen sie herbeigelaufen, umstanden das Opfer mit Thränen und Seufzern und Redensarten.

Aber das sollte ihn nicht bekümmern, das hörte er ja alles nicht mehr! – Er that, was er für recht hielt. Hier durfte ihm keiner mehr was 'rein reden. Mit sich selber konnte man anfangen, was man wollte. Wer einem nichts gab, hatte einem auch nichts zu befehlen! –

Jetzt war er seinem Ziele schon ganz nahe. Dort am äußersten Feldrande stand der Baum; ein wilder Kirschbaum, schlank gewachsen. Ein Haufen Steine, aus dem Felde zusammengelesen, lag darunter. Die Krone stand in voller Blütenpracht, leuchtete weithin, wie eine weiße Haube. Dahinter lag das Büschelgewende.

Der Alte machte Halt. Was war denn hier vorgegangen? Erdhäufchen an Erdhäufchen, in langen schnurgerade ausgerichteten Reihen! und die grünen Quirle, die aus den Haufen hervorlugten: junge Fichtenpflanzen!

Hatten sie ihm das Büschelgewende also doch zugepflanzt! – Wie viele Tage und Stunden mühevoller Arbeit, mit Pflug und Egge, steckten in dem Boden! Und diese Arbeit war für nichts und wieder nichts gewesen. Was er im Laufe eines Lebens der Wildnis entrissen, hatte die gräfliche Forstverwaltung in wenigen Tagen zupflanzen lassen.

Also auch dieses Zeugnis seines Schaffens war vernichtet; so hatten sie ihm denn alle Maschen seines Lebenswerkes aufgelöst.

Er stand und starrte die grünen Spitzen der Fichtenpflänzchen an. Eine dumpfe Wut stieg in ihm auf.

Da fiel ihm noch zur rechten Zeit ein, wie sinnlos sein Ärger sei; er brauchte sich ja nicht mehr zu ärgern. Nichts auf der Welt ging ihm mehr was an, wie er keinem mehr was anging.

Noch einmal empfand er die ganze Wonne des wirklich Einsamen, den Stolz, die Verachtung des Bedürfnislosen, der im Begriffe ist, das letzte abgetragene Gewand von sich zu werfen.

Er war mit hastigen Schritten an sein Ziel gelangt. Hier stand der Kirschbaum, mit dunklem, glänzendem, wie poliertem Schafte, bis in's kleinste Ästchen von zierlichen Blütenkelchen bedeckt. Die ersten Bienen schwärmten bereits in der Krone.

Traugott Büttner achtete nicht auf das Summen und den Duft. Er maß den Baum mit prüfendem Blicke. Hier der unterste Ast war stark genug. Wenn er auf den Steinhaufen stieg, konnte er ihn erreichen. Eine Schlinge – dann die Füße losgelassen, und dann . . .

Wieder lief ihm ein Frösteln durch alle Glieder. Ein Druck am Halse, als würde er ihm zugeschnürt, ein würgendes Gefühl im Unterleibe; die Beine drohten, ihm den Dienst zu versagen.

Er mußte sich, von Schwäche übermannt, an den Stamm lehnen. Vor den Augen flimmerte es ihm. Er stand da mit offenem Munde, stieren Blickes. Es war zu fürchterlich, was er thun wollte: Hand an sich selbst legen! Fürchterlich! – Wenn ihm das einer in der Jugend gesagt hätte, daß er so enden werde!

Er betete ein Vaterunser, das erleichterte ihn. Dann richtete er sich auf; der Furchtanfall war vorüber.

Er wollte sterben; tausendmal hatte er sich's überlegt. Es war nicht das erste Mal, daß er mit dem Stricke in der Tasche hier draußen stand. Bisher hatte ihn immer noch der Gedanke an seine Kinder abgehalten, das Letzte zu thun. Sie sollten ihn nicht so hängen sehen. –

Nun waren sie fort. Was die anderen sagen würden, die Fremden, war ihm gleichgültig.

Heute wollte er's mal zu Ende führen. Er war ja gut zum Sterben vorbereitet: war zur Beichte gewesen, hatte das heilige Abendmahl genossen; Gott mußte ihm seine Sünde vergeben. –

Jetzt stand er auf dem Steinhaufen, der Strick saß fest am Aste, er brauchte nur den Kopf durch die Schlinge zu stecken. –

Noch einmal hielt er inne. Sein Blick flog über die Felder und Wiesen zu seinen Füßen. Das war sein Land, er starb auf seinem Grund und Boden. Sein Auge suchte das Vaterhaus; da unten lag es, winkte zu ihm herüber aus blühenden Baumkronen.

Fast unbewußt streifte er die Schlinge über den Kopf. Wenn er sich nun mit den Füßen abstieß, war's geschehen.

Noch ein Vaterunser!

Der Strick würgte ihn schon am Halse. Er fühlte die Steine unter sich rollen. Unwillkürlich suchte er eine Stütze mit den Füßen. Umsonst! Er hatte den Grund verloren, sein Körper wurde lang.

Was war denn das an seinem Halse? Ein Band mit eisernen Stacheln! – Sie rissen ihm den Körper in Stücke! Hing er denn? Er sah ja noch alles, ganz deutlich: dort, die beiden Leute, zehn Schritt von ihm. –

So helft mir doch! Schneidet mich ab! Seht Ihr's denn nicht! –

Nichts! Sie rühren sich nicht.

Der Wind spielt mit ihren Haaren, sie haben große, stille Augen. Der eine ist sein Vater, er erkennt ihn ganz genau, der Vater mit dem langen, gelben Haar, bartlos. Und das kleine gebückte Männchen daneben ist der Großvater. Ein uralter Mann, mit schiefer Nase und rotumränderten Augen. So stehen sie da und sehen ihm ernst und schweigend zu.

Er will mit ihnen reden. Wenn nur das Band am Halse nicht wäre. – Hülfe! Helft mir! –

Jetzt kommt der Vater heran. Vater! – So jetzt wirds leichter. – Was sind das für große, schwarze Vögel . . .

Der Wind schaukelt den Körper hin und her. Die Bienen im Kirschbaum lassen sich deshalb in ihrem Geschäfte nicht stören. Der Kopf mit dem grauen Haar hängt tief auf die Brust herab. Die weit aus ihren Höhlen hervorquellenden Augen starren die Scholle an; die Scholle, der sein Leben gegolten, der er Leib und Seele verschrieben hatte.

 

Ende

 


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